Zitaten
Walter Benjamin, Gesammelte Schriften. Hrsg.: Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M (Suhrkamp) 1991. (stw931-937)
Walter Benjamin, Briefe 1, 2. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno. Frankfurt/M (Suhrkamp) 1978. (edition suhrkamp 930)
(1) Nun war dieses Buch [Ursprung des deutschen
Trauerspiels] gewiß nicht materialistisch, wenn auch bereits dialektisch.
Was ich aber zur Zeit seiner Abfassung nicht wußte, das ist mir bald
nachher klarer und klarer geworden: daß von meinem sehr besonderen
sprachphilosophischen Standort aus es zur Betrachtungsweise des dialektischen
Materialismus eine wenn auch noch so gespannte und problematische Vermittlung
gibt. Zur Saturiertheit der brgerlichen Wissenschaft aber gar keine.
(BB,523)
(...) daß Sie fundiertere Antworten auf die von Ihnen gestellte
Frage als ich expressis verbis heute Ihnen zu geben vermag, zwischen
den Zeilen eines Essays „Karl Kraus finden drfen, der demnächst
wohl in der „Frankfurter Zeitung erscheinen wird. (BB,524)
(2) Analog aber deutlicher als das Barockbuch das 17te Jahrhundert durch die Gegenwart belichtet, muß es hier mit dem 19ten geschehen. (V,573)
(3) Aber immer zitiert gerade die Moderne die Urgeschichte. Hier geschieht das durch die Zweideutigkeit, die den gesellschaftlichen Verhältnissen und Erzeugnissen dieser Epoche eignet. Zweideutigkeit ist die bildliche Erscheinung der Dialektik, das Gesetz der Dialektik im Stillstand. Dieser Stillstand ist Utopie und das dialektische Bild also Traumbild. Ein solches Bild stellt die Ware schlechthin: als Fetisch. Ein solches Bild stellen die Passagen, die sowohl Haus sind wie Straße. Ein solches Bild stellt die Hure, die Verkäuferin und Ware in einem ist. (V,55)
(4) Von Meryon handelnd, huldigt er der Moderne; er huldigt aber dem antiken Gesicht in ihr. Denn auch bei Meryon durchdringen einander die Antike und die Moderne; auch bei Meryon tritt die Form dieser Überblendung, die Allegorie, unverkennbar auf. (I,591)
(5) Das Pathos dieser Arbeit: es gibt keine Verfallszeiten. Versuch, das neunzehnte Jahrhundert so durchaus positiv anzusehen wie ich in der Trauerspielarbeit das siebzehnte mich zu sehen bemhte. (...) (V,571)
(6) Hier wie in anderen Lebenssphären des Barock ist die Umsetzung der ursprnglich zeitlichen Daten in eine räumliche Uneigentlichkeit und Simultaneität bestimmend. (I,260)
(7) Monarch und Märtyrer entgehen nicht im Trauerspiel der Immanenz. (I,247)
(8) Denn nicht die Antithese von Geschichte und Natur, sondern restlose Säkularisierung des Historischen im Schöpfungsstande hat in der Weltflucht des Barock das letzte Wort. Dem trostlosen Laufe der Weltchronik tritt nicht Ewigkeit sondern die Restauration paradiesischer Zeitlosigkeit entgegen. Die Geschichte wandert in den Schauplatz hinein. (I,270-271)
(9) Wenn die Geschichte sich im Schauplatz säkularisiert, so spricht daraus dieselbe metaphysische Tendenz, die gleichzeitig in der exakten Wissenschaft auf die Infinitesimalmethode fhrte. In beiden Fällen wird der zeitliche Bewegungsvorgang in einem Raumbild eingefangen und analysiert. (I,271)
(10) In solchen und ähnlichen Beschreibungen wird der an Macht, Wissen und Wollen ins Dämonische gesteigerte Hofbeamte, der Geheim-Rat vorgefhrt, (...). (...) Und zwar ist es die unvergleichliche Zweideutigkeit seiner geistigen Souveränität, in welcher die durchaus barocke Dialektik seiner Stellung grndet. (I,276)
(11) Als die Allegorie der Auferstehung. Zuletzt springt in den Todesmalen des Barock nun erst im rckgewandten größtem Bogen und erlösend die allegorische Betrachtung um. Die sieben Jahre ihrer Versenkung sind nur ein Tag. Denn auch diese Zeit der Hölle wird im Raume säkularisiert und jene Welt, die sich dem tiefen Geist des Satan preisgab und verriet, ist Gottes. In Gottes Welt erwacht der Allegoriker. »Ja/ wenn der Höchste wird vom Kirch-Hof erndten ein/| So werd ich Todten-Kopff ein Englisch Antlitz seyn.« (I,406)
(12) Wenn mit dem Trauerspiel die Geschichte in den Schauplatz hineinwandert, so tut sie es als Schrift. Auf dem Antlitz der Natur steht >Geschichte< in der Zeichenschrift der Vergängnis. Die allegorische Physiognomie der Natur-Geschichte, die auf der Bhne durch das Trauerspiel gestellt wird, ist wirklich gegenwärtig als Ruine. Mit ihr hat sinnlich die Geschichte in den Schauplatz sich verzogen. Und zwar prägt, so gestaltet, die Geschichte nicht als Prozeß eines ewigen Lebens, vielmehr als Vorgang unaufhaltsamen Verfalls sich aus. (I,353)