(4)
<Eitelkeit>
Spiegelt er sich nicht in sich selber, so tut er's im Gegner, den er zu seinen Fßen hat. Seine Polemik ist ja von jeher die innigste Verschraubung einer, mit den vorgeschrittensten Mitteln arbeitenden, Entlarvungstechnik und einer, mit archaischen operierenden, Kunst des Selbstausdrucks. Auch in dieser Zone aber bekundet, durch Zweideutigkeit, sich der Dämon: Selbstausdruck und Entlarvung gehen in ihr als Selbstentlarvung ineinander ber. (II, 345-346)
<das Mimische>
Die Zitate der "Fackel" sind mehr als Belegstellen: Requisiten von mimischen Entlarvungen durch den Zitierenden. Freilich gerade in diesem Zusammenhang tritt zutage, wie eng verbunden mit der Grausamkeit des Satirikers die zweideutige Demut des Interpreten ist, die sich im Vorleser bis zum Unfaßlichen steigert. In einen hineinkriechen - so bezeichnet man nicht umsonst die niederste Stufe der Schmeichelei, und eben das tut Kraus: nämlich um zu vernichten. Ist Höflichkeit hier Mimikry des Hasses, Haß Mimikry der Höflichkeit geworden? (II,347)
<Geist und Sexus>
Geist und Sexus bewegen sich in dieser Sphäre in einer Solidarität, deren Gesetz Zweideutigkeit ist. Die Besessenheit des dämonischen Sexus ist das Ich, das, umgaukelt von so sßen Frauenbildern, "wie die bittre Erde sie nicht hegt", sich geniest. Und nicht anders die lieblose und selbstgenugsame Figur des besessenen Geistes: der Witz. Zu ihrer Sache kommen sie beide nicht; das Ich zum Weib so wenig wie der Witz zum Wort. Das Zersetzende ist an Stelle des Zeugenden, das Grelle an Stelle des Geheimen getreten; nun aber changieren sie in den einschmeichelndsten Nuancen: im Witzwort kommt die Lust und in der Onanie die Pointe zu ihrem Recht. (II,350)
<Prostitution>
Robert Scheu hat richtig gesehen, das fr Kraus die Prostitution eine natrliche Form, keine soziale Verbildung des weiblichen Sexus ist. Jedoch erst das und wie sich Sexual- und Tauschverkehr verschränken, macht den Charakter der Prostitution aus. Wenn sie ein Naturphanomen ist , so ist sie es genau so sehr von der natrlichen Seite der Ökonomik, als Erscheinung des Tauschverkehrs, wie von der natrlichen Seite des Sexus. (...) Diese Zweideutigkeit - diese Doppelnatur als doppelte Natrlichkeit - macht die Prostitution dämonisch. Aber Kraus "ergreift die Partei der Naturmacht". Das ihm der soziologische Bereich nie transparent wird - im Angriff auf die Presse so wenig wie in der Verteidigung der Prostitution - hängt mit dieser seiner Naturverhaftung zusammen.
(5) Die öffentliche und private Zone, die im Geschwätz dämonisch ineinanderliegen, zur dialektischen Auseinandersetzung zu bringen, reales Menschentum zum Sieg zu fuhren, das ist der Sinn der Operette, den Kraus entdeckt und in Offenbach zum intensivsten Ausdruck gebracht hat. (II,356)
(6) Aber immer zitiert gerade die Moderne die Urgeschichte. Hier geschieht das durch die Zweideutigkeit, die den gesellschaftlichen Verhältnissen und Erzeugnissen dieser Epoche eignet. Zweideutigkeit ist die bildliche Erscheinung der Dialektik, das Gesetz der Dialektik im Stilstand. Dieser Stillstand ist Utopie und das dialektische Bild also Traumbild. Ein solches Bild stellt die Ware schlechthin: als Fetisch. Ein solches Bild stellen die Passagen, die sowohl Haus sind wie Straße. Ein solches Bild stellt die Hure, die Verkäuferin und Ware in einem ist. (V,55)
(7) I,
1189
(Anmerkungen zu Seite 511-604)
(8)
|
|
(Eine methodologische Vorrede) | |
(1) Der Geschmack | |
(2) Der Conspirateur | I,513-519 |
(3) Der Lumpensammler | I,519-528 |
(4) Der literarische Markt | I,528-536 |
(5) Die Physiologies | I,537-542 |
(6) Die Detektivgeschichte | I,542-550 |
(7) Der Mann der Menge | I,550-557 |
(8) Die Menge als Schleier | I,557-562 |
(9) Die Menge bei Hugo und Baudelaire | I,562-569 |
(10) Physiologie des heros | I,570 |
(11) Fantasque escrime | I,570-576 |
(12) Heroische Moderne | I,576-584 |
(13) Anwartschaft auf die Antike | I,584-593 |
(14) Die Heroine | I,593-597 |
(15) Poetische Strategie | I,598-604 |
(9) Die Passagen sind ein Mittelding zwischen Straße und Interieur. Will man von einem Kunstgriff der Physiologien reden, so ist es der bewahrte des Feuilletons: nämlich den Boulebvard zum Interieur zu machen. Die Straße wird zur Wohnung fr den Flaneur, der zwischen Hauserfronten so wie der Brger in seinen vier Wanden zuhause ist. (I,539)
(10) Wenn die Passage die klassische Form des Interieurs ist, als das die Straße sich dem Flaneur darstellt, so ist dessen Verfallsform das Warenhaus. (I,557)
(11) Im Verlauf seiner Erzählung läßt Poe es dunkel werden. Er verweilt bei der Stadt im Gaslicht. Die Erscheinung der Straße als Interieur, in der die Phantasmagorie des Flaneurs sich zusammenfaßt, ist von der Gasbeleuchtung nur schwer zu trennen. Das erste Gaslicht brannte in den Passagen."
(12) Der Blick, der sich von dieser Ansicht zum Bilde des fechtenden Dichters zurckwendet, findet es sekundenlang von dem des Marodeurs berblendet, das anders "fechtenden" Söldners, der durch die Gegend irrt. (I,575)
(13) Von Meryon handelnd, huldigt er der Moderne; er huldigt aber dem antiken Gesicht in ihr. Denn auch bei Meryon durchdringen einander die Antike und die Moderne; auch bei Meryon tritt die Form dieser Überblendung, die Allegorie, unverkennbar auf. (I,591)
(14) Trauer ber das was war und Hoffnungslosigkeit in das Kommende ist der gemeinsame Zug an ihnen. Worin zuletzt und am innigsten die Moderne der Antike sich anverlobt, das ist diese Hinfälligkeit. (I,586)
(15) Das, wovon man weis, das man es bald nicht mehr vor sich haben wird, das wird Bild. (I,590)
(16) Kein Wort seines Vokabulars ist von vornherein zur Allegorie bestimmt. Es empfangt diese Charge von Fall zu Fall; je nachdem, worum die Sache geht, welches Sujet an der Reihe ist, ausgespäht, zerniert und besetzt zu werden. Fr den Handstreich, der bei Baudelaire Dichten heißt, zieht er Allegorien in sein Vertrauen. Sie sind die einzigen, die im Geheimnis sind. Wo la Mort oder le Souvenir, le Repentir oder le Mal sich zeigen, da sind Zentren der poetischen Strategie. Das blitzhafte Auftachen dieser Chargen, die, an ihrer Majuskel erkennbar, sich mitten in einem Text befinden, der die banalste Vokabel nicht von sich weist, zeigt, das Baudelaires Hand im Spiele ist. Seine Technik ist die putschistische. (I,603)
(17) Baudelaire nimm in einer berhmten Zeile leichten Herzens Abschied
von einer Welt, "in der die Tat nicht die Schwester des Traumes ist". Seiner
war nicht so verlassen als es ihm schien. Blanquis Tat ist die Schwester
von Baudelaires Traum gewesen. Beide sind ineinander verschlungen.
Es sind die ineinander verschlungenen Hände auf einem Stein, unter
dem Napoleon III. die Hoffnungen der Junikampfer begraben hatte. (I,604)