000000 000000 LBC : BOELL, ANSICHTEN EINES CLOWNS 000001 000003 u+ Ansichten eines Clowns +u . 000002 000005 v+ Heinrich B”ll +v . 000003 000005 u+ Ansichten eines Clowns +u . 000004 000005 u+ Roman +u . 000005 000005 d+ Kiepenheuer u. Witsch , K”ln - Berlin , 1963 +d . 000006 000007 u+ fr Annemarie +u . 000007 000009 z+ die werden es sehen , denen von ihm noch nichts verkndet ward , und die verstehen , die noch nichts vernommen haben +z . 000008 000011 1 . 000009 000011 es war schon dunkel , als ich in Bonn ankam , ich zwang mich , meine Ankunft nicht mit der Automatik ablaufen zu lassen , die sich in fnfj„hrigem Unterwegssein herausgebildet hat : Bahnsteigtreppe runter , Bahnsteigtreppe rauf , Reisetasche abstellen , Fahrkarte aus der Manteltasche nehmen , Reisetasche aufnehmen , Fahrkarte abgeben , zum Zeitungsstand , Abendzeitungen kaufen , nach drauáen gehen und ein Taxi heranwinken . 000010 000011 fnf Jahre lang bin ich fast jeden Tag irgendwo abgefahren und irgendwo angekommen , ich ging morgens Bahnhofstreppen rauf und runter und nachmittags Bahnhofstreppen runter und rauf , winkte Taxis heran , suchte in meinen Rocktaschen nach Geld , den Fahrer zu bezahlen , kaufte Abendzeitungen an Kiosken und genoá in einer Ecke meines Bewuátseins die exakt einstudierte L„ssigkeit dieser Automatik . 000011 000011 seitdem Marie mich verlassen hat , um Zpfner , diesen Katholiken , zu heiraten , ist der Ablauf noch mechanischer geworden , ohne an L„ssigkeit zu verlieren . 000012 000011 fr die Entfernung vom Bahnhof zum Hotel , vom Hotel zum Bahnhof gibt es ein Maá : den Taxameter . 000013 000011 zwei Mark , drei Mark , vier Mark fnfzig vom Bahnhof entfernt . 000014 000011 seitdem Marie weg ist , bin ich manchmal aus dem Rhythmus geraten , habe Hotel und Bahnhof miteinander verwechselt , nerv”s an der Portierloge nach meiner Fahrkarte gesucht oder den Beamten an der Sperre nach meiner Zimmernummer gefragt , irgendetwas , das Schicksal heiáen mag , lieá mir wohl meinen Beruf und meine Situation in Erinnerung bringen . 000015 000012 ich bin ein Clown , offizielle Berufsbezeichnung : Komiker , keiner Kirche steuerpflichtig , siebenundzwanzig Jahre alt , und eine meiner Nummern heiát : Ankunft und Abfahrt , eine ( fast zu ) lange Pantomime , bei der der Zuschauer bis zuletzt Ankunft und Abfahrt verwechselt ; da ich diese Nummer meistens im Zug noch einmal durchgehe ( sie besteht aus mehr als sechshundert Abl„ufen , deren Choreographie ich natrlich im Kopf haben muá ) , liegt es nahe , daá ich hin und wieder meiner eigenen Phantasie erliege : in ein Hotel strze , nach der Abfahrtstafel ausschaue , diese auch entdecke , eine Treppe hinauf- oder hinunterrenne , um meinen Zug nicht zu vers„umen , w„hrend ich doch nur auf mein Zimmer zu gehen und mich auf die Vorstellung vorzubereiten brauche . 000016 000012 zum Glck kennt man mich in den meisten Hotels ; innerhalb von fnf Jahren ergibt sich ein Rhythmus mit weniger Variationsm”glichkeiten , als man gemeinhin annehmen mag - und auáerdem sorgt mein Agent , der meine Eigenheiten kennt , fr eine gewisse Reibungslosigkeit . 000017 000012 was er " die Sensibilit„t der Knstlerseele " nennt , wird voll respektiert , und eine " Aura des Wohlbefindens " umgibt mich , sobald ich auf meinem Zimmer bin : Blumen in einer hbschen Vase , kaum habe ich den Mantel abgeworfen , die Schuhe ( ich hasse Schuhe ) in die Ecke geknallt , bringt mir ein hbsches Zimmerm„dchen Kaffee und Kognak , l„át mir ein Bad einlaufen , das mit grnen Ingredienzien wohlriechend und beruhigend gemacht wird . 000018 000012 in der Badewanne lese ich Zeitungen , lauter unseri”se , bis zu sechs , mindestens aber drei , und singe mit m„áig lauter Stimme ausschlieálich Liturgisches : Chor„le , Hymnen , Sequenzen , die mir noch aus der Schulzeit in Erinnerung sind . 000019 000012 meine Eltern , strenggl„ubige Protestanten , huldigten der Nachkriegsmode konfessioneller Vers”hnlichkeit und schickten mich auf eine katholische Schule . 000020 000013 ich selbst bin nicht religi”s , nicht einmal kirchlich , und bediene mich der liturgischen Texte und Melodien aus therapeutischen Grnden : sie helfen mir am besten ber die beiden Leiden hinweg , mit denen ich von Natur belastet bin : Melancholie und Kopfschmerz . 000021 000013 seitdem Marie zu den Katholiken bergelaufen ist ( obwohl Marie selbst katholisch ist , erscheint mir diese Bezeichnung angebracht ) , steigert sich die Heftigkeit dieser beiden Leiden , und selbst das f+ Tantum: ergo: +f oder die Lauretanische Litanei , bisher meine Favoriten in der Schmerzbek„mpfung , helfen kaum noch . 000022 000013 es gibt ein vorbergehend wirksames Mittel : Alkohol - , es g„be eine dauerhafte Heilung : Marie ; Marie hat mich verlassen . 000023 000013 ein Clown , der ans Saufen kommt , steigt rascher ab , als ein betrunkener Dachdecker strzt . 000024 000013 wenn ich betrunken bin , fhre ich bei meinen Auftritten Bewegungen , die nur durch Genauigkeit gerechtfertigt sind , ungenau aus und verfalle in den peinlichsten Fehler , der einem Clown unterlaufen kann : ich lache ber meine eigenen Einf„lle . 000025 000013 eine frchterliche Erniedrigung . 000026 000013 solange ich nchtern bin , steigert sich die Angst vor dem Auftritt bis zu dem Augenblick , wo ich die Bhne betrete ( meistens muáte ich auf die Bhne gestoáen werden ) , und was manche Kritiker " diese nachdenkliche , kritische Heiterkeit " nannten , " hinter der man das Herz schlagen h”rt " , war nichts anderes als eine verzweifelte K„lte , mit der ich mich zur Marionette machte ; schlimm brigens , wenn der Faden riá und ich auf mich selbst zurckfiel . 000027 000013 wahrscheinlich existieren M”nche im Zustand der Kontemplation „hnlich ; Marie schleppte immer viel mystische Literatur mit sich herum , und ich erinnere mich , daá die Worte " leer " und " nichts " h„ufig darin vorkamen . 000028 000014 seit drei Wochen war ich meistens betrunken und mit trgerischer Zuversicht auf die Bhne gegangen , und die Folgen zeigten sich rascher als bei einem s„umigen Schler , der sich bis zum Zeugnisempfang noch Illusionen machen kann ; ein halbes Jahr ist eine lange Zeit zum Tr„umen . 000029 000014 ich hatte schon nach drei Wochen keine Blumen mehr auf dem Zimmer , in der Mitte des zweiten Monats schon kein Zimmer mit Bad mehr , und Anfang des dritten Monats betrug die Entfernung vom Bahnhof schon sieben Mark , w„hrend die Gage auf ein Drittel geschmolzen war . 000030 000014 kein Kognak mehr , sondern Korn , keine Varietes mehr : merkwrdige Vereine , die in dunklen S„len tagten , wo ich auf einer Bhne mit miserabler Beleuchtung auftrat , wo ich nicht einmal mehr ungenaue Bewegungen , sondern bloá noch Faxen machte , ber die sich Dienstjubilare von Bahn , Post , Zoll , katholische Hausfrauen oder evangelische Krankenschwestern amsierten , biertrinkende Bundeswehroffiziere , deren Lehrgangsabschluá ich versch”nte , nicht recht wuáten , ob sie lachen durften oder nicht , wenn ich die Reste meiner Nummer Verteidigungsrat vorfhrte , und gestern , in Bochum , vor Jugendlichen , rutschte ich mitten in einer Chaplin-Imitation aus und kam nicht wieder auf die Beine . 000031 000014 es gab nicht einmal Pfiffe , nur ein mitleidiges Geraune , und ich humpelte , als endlich der Vorhang ber mich fiel , rasch weg , raffte meine Klamotten zusammen und fuhr , ohne mich abzuschminken , in meine Pension , wo es eine frchterliche Keiferei gab , weil meine Wirtin sich weigerte , mir mit Geld fr das Taxi auszuhelfen . 000032 000014 ich konnte den knurrigen Taxifahrer nur beruhigen , indem ich ihm meinen elektrischen Rasierapparat nicht als Pfand , sondern als Bezahlung bergab . 000033 000015 er war noch nett genug , mir eine angebrochene Packung Zigaretten und zwei Mark bar herauszugeben . 000034 000015 ich legte mich angezogen auf mein ungemachtes Bett , trank den Rest aus meiner Flasche und fhlte mich zum ersten Mal seit Monaten vollkommen frei von Melancholie und Kopfschmerzen . 000035 000015 ich lag auf dem Bett in einem Zustand , den ich mir manchmal fr das Ende meiner Tage erhoffe : betrunken und wie in der Gosse . 000036 000015 ich h„tte mein Hemd hergegeben fr einen Schnaps , nur die komplizierten Verhandlungen , die der Tausch erfordert h„tte , hielten mich von diesem Gesch„ft ab . 000037 000015 ich schlief groáartig , tief und mit Tr„umen , in denen der schwere Bhnenvorhang als ein weiches , dickes Leichentuch ber mich fiel wie eine dunkle Wohltat , und doch sprte ich durch Schlaf und Traum hindurch schon die Angst vor dem Erwachen : die Schminke noch auf dem Gesicht , das rechte Knie geschwollen , ein mieses Frhstck auf Kunststofftablett und neben der Kaffeekanne ein Telegramm meines Agenten : " Koblenz und Mainz haben abgesagt Stop Anrufe abends Bonn . 000038 000015 Zohnerer " . 000039 000015 dann ein Anruf vom Veranstalter , durch den ich jetzt erst erfuhr , daá er dem christlichen Bildungswerk vorstand . 000040 000015 " Kostert " , sagte er am Telefon , auf eine subalterne Weise eisig , " wir mssen die Honorarfrage noch kl„ren , Herr Schnier " . 000041 000015 " bitte " , sagte ich , " dem steht nichts im Wege " . 000042 000015 " so ? " sagte er . 000043 000015 ich schwieg , und als er weitersprach , war seine billige Eisigkeit schon zu simplem Sadismus geworden . 000044 000015 " wir haben einhundert Mark Honorar fr einen Clown ausgemacht , der damals zweihundert wert war " - er machte eine Pause , wohl , um mir Gelegenheit zu geben , wtend zu werden , aber ich schwieg , und er wurde wieder wie er von Natur aus war , ordin„r , und sagte : " ich stehe einer gemeinntzigen Vereinigung vor , und mein Gewissen verbietet es mir , hundert Mark fr einen Clown zu zahlen , der mit zwanzig reichlich , man k”nnte sagen groázgig bezahlt ist " . 000045 000016 ich sah keinen Anlaá , mein Schweigen zu brechen . 000046 000016 ich steckte mir eine Zigarette an , goá mir noch von dem miesen Kaffee ein , h”rte ihn schnaufen ; er sagte : " h”ren Sie noch ? " . 000047 000016 und ich sagte : " ich h”re noch " , und wartete . 000048 000016 Schweigen ist eine gute Waffe ; ich habe w„hrend meiner Schulzeit , wenn ich vor dem Direktor oder vors Kollegium zitiert wurde , immer konsequent geschwiegen . 000049 000016 ich lieá den christlichen Herrn Kostert da hinten am anderen Ende der Leitung schwitzen ; um Mitleid mit mir zu bekommen , war er zu klein , aber es reichte bei ihm zum Selbstmitleid , und schlieálich murmelte er : " machen Sie mir doch einen Vorschlag , Herr Schnier " . 000050 000016 " h”ren Sie gut zu , Herr Kostert " , sagte ich , " ich schlage Ihnen folgendes vor : Sie nehmen ein Taxi , fahren zum Bahnhof , kaufen mir eine Fahrkarte erster Klasse nach Bonn - , kaufen mir eine Flasche Schnaps , kommen ins Hotel , bezahlen meine Rechnung einschlieálich Trinkgeld und deponieren hier in einem Umschlag soviel Geld , wie ich fr ein Taxi zum Bahnhof brauche ; auáerdem verpflichten Sie sich bei Ihrem christlichen Gewissen , mein Gep„ck kostenlos nach Bonn zu bef”rdern . 000051 000016 einverstanden ? " . 000052 000016 er rechnete , r„usperte sich , und sagte : " aber ich wollte Ihnen fnfzig Mark geben " . 000053 000016 " gut " , sagte ich , " dann fahren Sie mit der Straáenbahn , dann wird das ganze billiger fr Sie als fnfzig Mark . 000054 000016 einverstanden ? " . 000055 000017 er rechnete wieder und sagte : " k”nnten Sie nicht das Gep„ck im Taxi mitnehmen ? " . 000056 000017 " nein " , sagte ich , " ich habe mich verletzt und kann mich nicht damit abgeben " . 000057 000017 offenbar fing sein christliches Gewissen an , sich heftig zu regen . 000058 000017 " Herr Schnier " , sagte er milde , " es tut mir leid , daá ich ... " . 000059 000017 " schon gut , Herr Kostert " , sagte ich , " ich bin ja so glcklich , daá ich der christlichen Sache vier- bis sechsundfnfzig Mark ersparen kann " . 000060 000017 ich drckte auf die Gabel und legte den H”rer neben den Apparat . 000061 000017 es war der Typ , der noch einmal angerufen und sich auf eine langwierige Art ausgeschleimt h„tte . 000062 000017 es war viel besser , ihn ganz allein in seinem Gewissen herumpopeln zu lassen . 000063 000017 mir war elend . 000064 000017 ich vergaá zu erw„hnen , daá ich nicht nur mit Melancholie und Kopfschmerz , noch mit einer anderen , fast mystischen Eigenschaft begabt bin : ich kann durchs Telefon Gerche wahrnehmen , und Kostert roch sálich nach Veilchenpastillen . 000065 000017 ich muáte aufstehen und mir die Z„hne putzen . 000066 000017 ich gurgelte mit einem Rest Schnaps nach , schminkte mich mhsam ab , legte mich wieder ins Bett und dachte an Marie , an die Christen , an die Katholiken und schob die Zukunft vor mir her . 000067 000017 ich dachte auch an die Gossen , in denen ich einmal liegen wrde . 000068 000017 fr einen Clown gibt es , wenn er sich den fnfzig n„hert , nur zwei M”glichkeiten : Gosse oder Schloá . 000069 000017 ich glaubte nicht an das Schloá und hatte bis fnfzig noch mehr als zweiundzwanzig Jahre irgendwie hinter mich zu bringen . 000070 000017 die Tatsache , daá Koblenz und Mainz abgesagt hatten , war das , was Zohnerer als " Alarmstufe I " bezeichnen wrde , aber es kam auch einer weiteren Eigenschaft , die zu erw„hnen ich vergaá , entgegen : meiner Indolenz . 000071 000017 auch Bonn hatte Gossen , und wer schrieb mir vor , bis fnfzig zu warten ? . 000072 000018 ich dachte an Marie : an ihre Stimme und ihre Brust , ihre H„nde und ihr Haar , an ihre Bewegungen und an alles , was wir miteinander getan hatten . 000073 000018 auch an Zpfner , den sie heiraten wollte . 000074 000018 wir hatten uns als Jungen ganz gut gekannt , so gut , daá wir , als wir uns als M„nner wiedertrafen , nicht recht wuáten , ob wir du: oder Sie: zueinander sagen sollten , beide Anreden setzten uns in Verlegenheit , und wir kamen , sooft wir uns sahen , aus dieser Verlegenheit nicht raus . 000075 000018 ich verstand nicht , daá Marie ausgerechnet zu ihm bergelaufen war , aber vielleicht hatte ich Marie nie " verstanden " . 000076 000018 ich wurde wtend , als ich ausgerechnet durch Kostert aus meinem Nachdenken geweckt wurde . 000077 000018 er kratzte an der Tr wie ein Hund und sagte : " Herr Schnier , Sie mssen mich anh”ren . 000078 000018 brauchen Sie einen Arzt ? " . 000079 000018 " lassen Sie mich in Frieden " , rief ich , " schieben Sie den Briefumschlag unter der Tr durch und gehen Sie nach Hause " . 000080 000018 er schob den Briefumschlag unter die Tr , ich stand auf , hob ihn auf und ”ffnete ihn : es war eine Fahrkarte zweiter Klasse von Bochum nach Bonn drin und das Taxigeld war genau abgez„hlt : sechs Mark und fnfzig Pfennig . 000081 000018 ich hatte gehofft , er wrde es auf zehn Mark abrunden , und mir schon ausgerechnet , wieviel ich herausschlagen wrde , wenn ich die Fahrkarte erster Klasse mit Verlust zurckgab und eine zweiter Klasse kaufte . 000082 000018 es w„ren ungef„hr fnf Mark gewesen . 000083 000018 " alles in Ordnung ? " rief er von drauáen . 000084 000018 " ja " , sagte ich , " machen Sie , daá Sie weg kommen , Sie mieser christlicher Vogel " . 000085 000018 - " aber erlauben Sie mal " , sagte er , ich brllte : " weg " . 000086 000018 es blieb einen Augenblick still , dann h”rte ich ihn die Treppe hinuntergehen . 000087 000018 die Kinder dieser Welt sind nicht nur klger , sie sind auch menschlicher und groázgiger als die Kinder des Lichts . 000088 000019 ich fuhr mit der Straáenbahn zum Bahnhof , um etwas Geld fr Schnaps und Zigaretten zu sparen . 000089 000019 die Wirtin rechnete mir noch die Gebhren fr ein Telegramm an , das ich abends nach Bonn an Monika Silvs aufgegeben , das Kostert zu bezahlen sich geweigert hatte . 000090 000019 so h„tte mein Geld fr ein Taxi bis zum Bahnhof doch nicht gereicht ; das Telegramm hatte ich schon aufgegeben , bevor ich erfuhr , daá Koblenz abgesagt hatte : die waren meiner Absage zuvorgekommen , und das wurmte mich ein biáchen . 000091 000019 es w„re besser fr mich gewesen , wenn ich h„tte absagen k”nnen , telegrafisch " Auftritt wegen schwerer Knieverletzung unm”glich " . 000092 000019 nun , wenigstens war das Telegramm an Monika fort " bitte bereiten Sie Wohnung fr morgen vor . 000093 000019 herzliche Gráe Hans " . 000094 000020 2 . 000095 000020 in Bonn verlief immer alles anders ; dort bin ich nie aufgetreten , dort wohne ich , und das herangewinkte Taxi brachte mich nie in ein Hotel , sondern in meine Wohnung . 000096 000020 ich máte sagen : uns , Marie und mich . 000097 000020 kein Pf”rtner im Haus , den ich mit einem Bahnbeamten verwechseln k”nnte , und doch ist diese Wohnung , in der ich nur drei bis vier Wochen im Jahr verbringe , mir fremder als jedes Hotel . 000098 000020 ich muáte mich zurckhalten , um vor dem Bahnhof in Bonn nicht ein Taxi heranzuwinken : diese Geste war so gut einstudiert , daá sie mich fast in Verlegenheit gebracht h„tte . 000099 000020 ich hatte noch eine einzige Mark in der Tasche . 000100 000020 ich blieb auf der Freitreppe stehen und vergewisserte mich meiner Schlssel : zur Haustr , zur Wohnungstr , zum Schreibtisch ; im Schreibtisch wrde ich finden : die Fahrradschlssel . 000101 000020 schon lange denke ich an eine Schlsselpantomime : ich denke an ein ganzes Bndel von Schlsseln aus Eis , die w„hrend der Nummer dahinschmelzen . 000102 000020 kein Geld fr ein Taxi ; und ich h„tte zum ersten Mal im Leben wirklich eins gebraucht : mein Knie war geschwollen , und ich humpelte mhsam quer ber den Bahnhofsvorplatz in die Poststraáe hinein ; zwei Minuten nur vom Bahnhof bis zu unserer Wohnung , sie kamen mir endlos vor . 000103 000020 ich lehnte mich gegen einen Zigarettenautomaten und warf einen Blick auf das Haus , in dem mein Groávater mir eine Wohnung geschenkt hat ; elegant ineinandergeschachtelte Appartements mit dezent get”nten Balkonverkleidungen ; fnf Stockwerke , fnf verschiedene Farbt”ne fr die Balkonverkleidungen ; im fnften Stock , wo alle Verkleidungen rostfarben sind , wohne ich . 000104 000021 war es eine Nummer , die ich vorfhrte ? den Schlssel ins Haustrschloá stecken , ohne Erstaunen hinnehmen , daá er nicht schmolz , die Aufzugtr ”ffnen , auf die Fnf drcken : ein sanftes Ger„usch trug mich nach oben ; durchs schmale Aufzugfenster in den jeweiligen Flurabschnitt , ber diesen hinweg durchs jeweilige Flurfenster blicken : ein Denkmalrcken , der Platz , die Kirche , angestrahlt ; schwarzer Schnitt , die Betondecke und wieder , in leicht verschobener Optik : der Rcken , Platz , Kirche , angestrahlt : dreimal , beim vierten Mal nur noch Platz und Kirche . 000105 000021 Etagentrschlssel ins Schloá stecken , ohne Erstaunen hinnehmen , daá auch die sich ”ffnete . 000106 000021 alles rostfarben in meiner Wohnung : Tren , Verkleidungen , eingebaute Schr„nke ; eine Frau im rostroten Morgenmantel auf der schwarzen Couch h„tte gut gepaát ; wahrscheinlich w„re eine solche zu haben , nur : ich leide nicht nur an Melancholie , Kopfschmerzen , Indolenz und der mystischen F„higkeit , durchs Telefon Gerche wahrzunehmen , mein frchterlichstes Leiden ist die Anlage zur Monogamie ; es gibt nur eine Frau , mit der ich alles tun kann , was M„nner mit Frauen tun : Marie , und seitdem sie von mir weggegangen ist , lebe ich wie ein M”nch leben sollte ; nur : ich bin kein M”nch . 000107 000021 ich hatte mir berlegt , ob ich aufs Land fahren und in meiner alten Schule einen der Patres um Rat fragen sollte , aber alle diese Burschen halten den Menschen fr ein polygames Wesen ( aus diesem Grund verteidigen sie so heftig die Einehe ) , ich muá ihnen wie ein Monstrum vorkommen , und ihr Rat wird nichts weiter sein als ein versteckter Hinweis auf die Gefilde , in denen , wie sie glauben , die Liebe k„uflich ist . 000108 000022 bei Christen bin ich noch auf šberraschungen gefaát , wie bei Kostert etwa , dem es tats„chlich gelang , mich in Erstaunen zu versetzen , aber bei Katholiken berrascht mich nichts mehr . 000109 000022 ich habe dem Katholizismus groáe Sympathien entgegengebracht , sogar noch , als Marie mich vor vier Jahren zum ersten Mal mit in diesen " Kreis fortschrittlicher Katholiken " nahm ; es lag ihr daran , mir intelligente Katholiken vorzufhren , und natrlich hatte sie den Hintergedanken , ich k”nnte eines Tages konvertieren ( diesen Hintergedanken haben alle Katholiken ) . 000110 000022 schon die ersten Augenblicke in diesem Kreis waren frchterlich . 000111 000022 ich war damals in einer sehr schwierigen Phase meiner Entwicklung als Clown , noch keine zweiundzwanzig alt und trainierte den ganzen Tag . 000112 000022 ich hatte mich auf diesen Abend sehr gefreut , war todmde und erwartete eine Art fr”hlicher Zusammenkunft , mit viel gutem Wein , gutem Essen , vielleicht Tanz ( es ging uns dreckig , und wir konnten uns weder Wein noch gutes Essen leisten ) ; stattdessen gab es schlechten Wein , und es wurde ungef„hr so , wie ich mir ein Oberseminar fr Soziologie bei einem langweiligen Professor vorstelle . 000113 000022 nicht nur anstrengend , sondern auf eine berflssige und unnatrliche Weise anstrengend . 000114 000022 zuerst beteten sie miteinander , und ich wuáte die ganze Zeit ber nicht , wohin mit meinen H„nden und meinem Gesicht ; ich denke , in eine solche Situation sollte man einen Ungl„ubigen nicht bringen . 000115 000022 sie beteten auch nicht einfach ein Vater Unser oder ein Ave Maria ( das w„re schon peinlich genug gewesen , protestantisch erzogen , bin ich bedient mit jeglicher Art privater Beterei ) , nein , es war irgendein von Kinkel verfaáter Text , sehr programmatisch " und bitten wir Dich , uns zu bef„higen , dem šberkommenen wie dem Fortschreitenden in gleicher Weise gerecht zu werden " und so weiter , und dann erst ging man zum " Thema des Abends " ber " Armut in der Gesellschaft , in der wir leben " . 000116 000023 es wurde einer der peinlichsten Abende meines Lebens . 000117 000023 ich kann einfach nicht glauben , daá religi”se Gespr„che so anstrengend sein mssen . 000118 000023 ich weiá : an diese Religion zu glauben ist schwer . 000119 000023 Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben . 000120 000023 oft hatte Marie mir aus der Bibel vorgelesen . 000121 000023 es muá schwer sein , das alles zu glauben . 000122 000023 ich habe sp„ter sogar Kierkegaard gelesen ( eine ntzliche Lektre fr einen werdenden Clown ) , es war schwer , aber nicht anstrengend . 000123 000023 ich weiá nicht , ob es Leute gibt , die sich nach Picasso oder Klee Tischdeckchen sticken . 000124 000023 mir kam es an diesem Abend so vor , als h„kelten sich diese fortschrittlichen Katholiken aus Thomas von Aquin , Franz von Assisi , Bonaventura und Leo XIII. Lendenschurze zurecht , die natrlich ihre Bl”áe nicht deckten , denn es war keiner anwesend ( auáer mir ) , der nicht mindestens seine fnfzehnhundert Mark im Monat verdiente . 000125 000023 es war ihnen selbst so peinlich , daá sie sp„ter zynisch und snobistisch wurden , auáer Zpfner , den die ganze Geschichte so qu„lte , daá er mich um eine Zigarette bat . 000126 000023 es war die erste Zigarette seines Lebens , und er paffte sie unbeholfen vor sich hin , ich merkte ihm an , er war froh , daá der Qualm sein Gesicht verhllte . 000127 000023 mir war elend , Maries wegen , die blaá und zitternd da saá , als Kinkel die Anekdote von dem Mann erz„hlte , der fnfhundert Mark im Monat verdiente , sich gut damit einzurichten verstand , dann tausend verdiente und merkte , daá es schwieriger wurde , der geradezu in groáe Schwierigkeiten geriet , als er zweitausend verdiente , schlieálich , als er dreitausend erreicht hatte , merkte , daá er wieder ganz gut zurechtkam , und seine Erfahrungen zu der Weisheit formulierte : " bis fnfhundert im Monat gehts ganz gut , aber zwischen fnfhundert und dreitausend das nackte Elend " . 000128 000024 Kinkel merkte nicht einmal , was er anrichtete : er quatschte , seine dicke Zigarre rauchend , das Weinglas an den Mund hebend , K„sestangen fressend , mit einer olympischen Heiterkeit vor sich hin , bis sogar Pr„lat Sommerwild , der geistliche Berater des Kreises , anfing , unruhig zu werden , und ihn auf ein anderes Thema brachte . 000129 000024 ich glaube , er brachte das Stichwort Reaktion auf und hatte damit Kinkel an der Angel . 000130 000024 der biá sofort an , wurde wtend und h”rte mitten in seinem Vortrag darber , daá ein Auto fr zw”lftausend Mark billiger sei als eins fr viertausendfnfhundert , auf , und sogar seine Frau , die ihn in peinlicher Kritiklosigkeit anhimmelt , atmete auf . 000131 000025 3 . 000132 000025 ich fhlte mich zum ersten Mal halbwegs wohl in dieser Wohnung ; es war warm und sauber , und ich dachte , als ich meinen Mantel an den Kleiderhaken h„ngte und meine Guitarre in die Ecke stellte , darber nach , ob eine Wohnung vielleicht doch etwas mehr als eine Selbstt„uschung ist . 000133 000025 ich bin nicht seáhaft , werde es nie sein - und Marie ist noch weniger seáhaft als ich , und scheint sich doch entschlossen zu haben , es endgltig zu werden . 000134 000025 sie wurde schon nerv”s , wenn ich an einem Ort einmal l„nger als eine Woche hintereinander engagiert war . 000135 000025 Monika Silvs war auch diesmal so nett gewesen , wie sie immer war , wenn wir ihr ein Telegramm schickten ; sie hatte sich vom Hausverwalter die Schlssel besorgt , alles sauber gemacht , Blumen ins Wohnzimmer gestellt , den Eisschrank mit allem m”glichen gefllt . 000136 000025 gemahlener Kaffee stand in der Kche auf dem Tisch , eine Flasche Kognak daneben . 000137 000025 Zigaretten , eine brennende Kerze neben den Blumen auf dem Wohnzimmertisch . 000138 000025 Monika kann ungeheuer gefhlvoll sein , bis zur Sentimentalit„t , sie kann sogar Kitschiges tun ; die Kerze , die sie mir da auf den Tisch gestellt hatte , war eine von den knstlich betropften und h„tte die Prfung durch einen " Katholischen Kreis fr Geschmacksfragen " ganz sicher nicht bestanden , aber wahrscheinlich hatte sie in der Eile keine andere Kerze gefunden oder kein Geld fr eine teure , geschmackvolle Kerze gehabt , und ich sprte , daá gerade dieser geschmacklosen Kerze wegen meine Z„rtlichkeit fr Monika Silvs sich bis nahe an den Punkt ausdehnte , wo meine unselige Veranlagung zur Monogamie mir Grenzen gesetzt hat . 000139 000026 die anderen Katholiken aus dem Kreis wrden nie riskieren , kitschig oder sentimental zu sein , sie wrden sich nie eine Bl”áe geben , jedenfalls eher in puncto Moral als in puncto Geschmack . 000140 000026 ich konnte sogar Monikas Parfm , das viel zu herb und zu modisch fr sie ist , irgendein Zeug , das , glaube ich , Taiga heiát , noch in der Wohnung riechen . 000141 000026 ich zndete mir an Monikas Kerze eine von Monikas Zigaretten an , holte den Kognak aus der Kche , das Telefonbuch aus der Diele und hob den Telefonh”rer ab . 000142 000026 tats„chlich hatte Monika auch das fr mich in Ordnung gebracht . 000143 000026 das Telefon war angeschlossen . 000144 000026 das helle Tuten erschien mir wie der Ton eines unendlich weiten Herzens , ich liebte es in diesem Augenblick mehr als Meeresrauschen , mehr als den Atem der Strme und L”wenknurren . 000145 000026 irgendwo in diesem hellen Tuten verborgen war Maries Stimme , Leos Stimme , Monikas Stimme . 000146 000026 ich legte langsam den H”rer auf . 000147 000026 er war die einzige Waffe , die mir geblieben war , und ich wrde bald Gebrauch davon machen . 000148 000026 ich zog mein rechtes Hosenbein hoch und betrachtete mein aufgeschrftes Knie ; die Schrfungen waren oberfl„chlich , die Schwellung harmlos , ich goá mir einen groáen Kognak ein , trank das Glas halb leer und goá den Rest ber mein wundes Knie , humpelte in die Kche zurck und stellte den Kognak in den Eisschrank . 000149 000026 erst jetzt fiel mir ein , daá Kostert mir den Schnaps , den ich mir ausbedungen hatte , gar nicht gebracht hatte . 000150 000026 sicher hatte er geglaubt , es w„re aus p„dagogischen Grnden besser , mir keinen zu bringen , und hatte der christlichen Sache damit sieben Mark fnfzig gespart . 000151 000026 ich nahm mir vor , ihn anzurufen und ihn um šberweisung des Betrags zu bitten . 000152 000027 dieser Hund sollte nicht so ganz ungeschoren davonkommen , und auáerdem brauchte ich das Geld . 000153 000027 ich hatte fnf Jahre lang viel mehr verdient , als ich h„tte ausgeben mssen , und doch war alles weg . 000154 000027 ich konnte natrlich weiter auf der dreiáig-bis-fnfzig-Mark-Ebene tingeln , sobald mein Knie wieder ganz heil war ; es war mir an sich egal , das Publikum in diesen miesen S„len ist sogar netter als in den Varietes . 000155 000027 aber dreiáig bis fnfzig Mark pro Tag sind einfach zu wenig , die Hotelzimmer zu klein , man st”át beim Training an Tisch und Schr„nke , und ich bin der Meinung , daá ein Badezimmer kein Luxus ist , und wenn man mit fnf Koffern reist , ein Taxi keine Verschwendung . 000156 000027 ich nahm den Kognak noch einmal aus dem Eisschrank und trank einen Schluck aus der Flasche . 000157 000027 ich bin kein S„ufer . 000158 000027 Alkohol tut mir wohl , seitdem Marie gegangen ist . 000159 000027 ich war auch nicht mehr an Geldschwierigkeiten gew”hnt , und die Tatsache , daá ich nur noch eine Mark besaá und keine Aussicht , bald erheblich dazu zu verdienen , machte mich nerv”s . 000160 000027 das einzige , was ich wirklich verkaufen k”nnte , w„re das Fahrrad gewesen , aber wenn ich mich entschlieáen wrde , tingeln zu gehen , wrde das Fahrrad sehr ntzlich sein , es wrde mir Taxi und Fahrgeld ersparen . 000161 000027 an den Besitz der Wohnung war eine Bedingung geknpft : ich durfte sie nicht verkaufen oder vermieten . 000162 000027 ein typisches Reicheleutegeschenk . 000163 000027 immer ist ein Haken dabei . 000164 000027 ich brachte es fertig , keinen Kognak mehr zu trinken , ging ins Wohnzimmer und schlug das Telefonbuch auf . 000165 000028 4 . 000166 000028 ich bin in Bonn geboren und kenne hier viele Leute : Verwandte , Bekannte , ehemalige Mitschler . 000167 000028 meine Eltern wohnen hier , und mein Bruder Leo , der unter Zpfners Patenschaft konvertiert ist , studiert hier katholische Theologie . 000168 000028 meine Eltern wrde ich notwendigerweise einmal sehen mssen , schon um die Geldgeschichten mit ihnen zu regeln . 000169 000028 vielleicht werde ich das auch einem Rechtsanwalt bergeben . 000170 000028 ich bin in dieser Frage noch unentschlossen . 000171 000028 seit dem Tod meiner Schwester Henriette existieren meine Eltern fr mich nicht mehr als solche . 000172 000028 Henriette ist schon siebzehn Jahre tot . 000173 000028 sie war sechzehn , als der Krieg zu Ende ging , ein sch”nes M„dchen , blond , die beste Tennisspielerin zwischen Bonn und Remagen . 000174 000028 damals hieá es , die jungen M„dchen sollten sich freiwillig zur Flak melden , und Henriette meldete sich , im Februar 1945 . 000175 000028 es ging alles so rasch und reibungslos , daá ichs gar nicht begriff . 000176 000028 ich kam aus der Schule , berquerte die K”lner Straáe und sah Henriette in der Straáenbahn sitzen , die gerade in Richtung Bonn abfuhr . 000177 000028 sie winkte mir zu und lachte , und ich lachte auch . 000178 000028 sie hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rcken , einen hbschen dunkelblauen Hut auf und den dicken blauen Wintermantel mit dem Pelzkragen an . 000179 000028 ich hatte sie noch nie mit Hut gesehen , sie hatte sich immer geweigert , einen aufzusetzen . 000180 000028 der Hut ver„nderte sie sehr . 000181 000028 sie sah wie eine junge Frau aus . 000182 000028 ich dachte , sie mache einen Ausflug , obwohl es eine merkwrdige Zeit fr Ausflge war . 000183 000028 aber den Schulen war damals alles zuzutrauen . 000184 000029 sie versuchten sogar , uns im Luftschutzkeller Dreisatz beizubringen , obwohl wir die Artillerie schon h”rten . 000185 000029 unser Lehrer Brhl sang mit uns " Frommes und Nationales " wie er es nannte , worunter er " ein Haus voll Glorie schauet " wie " siehst du im Osten das Morgenrot " verstand . 000186 000029 nachts , wenn es fr eine halbe Stunde einmal ruhig wurde , h”rte man immer nur marschierende Fáe : italienische Kriegsgefangene ( es war uns in der Schule erkl„rt worden , warum die Italiener jetzt nicht mehr Verbndete waren , sondern als Gefangene bei uns arbeiteten , aber ich habe bis heute nicht begriffen , wieso ) , russische Kriegsgefangene , gefangene Frauen , deutsche Soldaten ; marschierende Fáe die ganze Nacht hindurch . 000187 000029 kein Mensch wuáte genau , was los war . 000188 000029 Henriette sah wirklich aus , als mache sie einen Schulausflug . 000189 000029 denen war alles zuzutrauen . 000190 000029 manchmal , wenn wir zwischen den Alarmen in unserem Klassenraum saáen , h”rten wir durchs offene Fenster richtige Gewehrschsse , und wenn wir erschrocken zum Fenster hinblickten , fragte der Lehrer Brhl uns , ob wir wáten , was das bedeute . 000191 000029 wir wuáten es inzwischen : es war wieder ein Deserteur oben im Wald erschossen worden . 000192 000029 " so wird es allen gehen " , sagte Brhl , " die sich weigern , unsere heilige deutsche Erde gegen die jdischen f+ Yankees +f zu verteidigen " . 000193 000029 ( vor kurzem traf ich ihn noch einmal , er ist jetzt alt , weiáhaarig , Professor an einer P„dagogischen Akademie und gilt als ein Mann mit " tapferer politischer Vergangenheit " , weil er nie in der Partei war ) . 000194 000029 ich winkte noch einmal hinter der Straáenbahn her , in der Henriette davonfuhr , ging durch unseren Park nach Hause , wo meine Eltern mit Leo schon bei Tisch saáen . 000195 000029 es gab Brennsuppe , als Hauptgericht Kartoffeln mit Soáe und zum Nachtisch einen Apfel . 000196 000030 erst beim Nachtisch fragte ich meine Mutter , wohin denn Henriettes Schulausflug fhre . 000197 000030 sie lachte ein biáchen und sagte : " Ausflug . 000198 000030 Unsinn . 000199 000030 sie ist nach Bonn gefahren , um sich bei der Flak zu melden . 000200 000030 sch„le den Apfel nicht so dick . 000201 000030 Junge , sieh mal hier " , sie nahm tats„chlich die Apfelschalen von meinem Teller , schnippelte daran herum und steckte die Ergebnisse ihrer Sparsamkeit , hauchdnne Apfelscheiben , in den Mund . 000202 000030 ich sah Vater an . 000203 000030 er blickte auf seinen Teller und sagte nichts . 000204 000030 auch Leo schwieg , aber als ich meine Mutter noch einmal ansah , sagte sie mit ihrer sanften Stimme : " du wirst doch einsehen , daá jeder das Seinige tun muá , die jdischen f+ Yankees +f von unserer heiligen deutschen Erde wieder zu vertreiben " . 000205 000030 sie warf mir einen Blick zu , mir wurde unheimlich , sie sah dann Leo mit dem gleichen Blick an , und es schien mir , als sei sie drauf und dran , auch uns beide gegen die jdischen f+ Yankees +f zu Felde zu schicken . 000206 000030 " unsere heilige deutsche Erde " , sagte sie , " und sie sind schon tief in der Eifel drin " . 000207 000030 mir war zum Lachen zu Mute , aber ich brach in Tr„nen aus , warf mein Obstmesser hin und lief auf mein Zimmer . 000208 000030 ich hatte Angst , wuáte sogar warum , h„tte es aber nicht ausdrcken k”nnen , und ich wurde rasend , als ich an die verfluchten Apfelschalen dachte . 000209 000030 ich blickte auf die mit dreckigem Schnee bedeckte deutsche Erde in unserem Garten , zum Rhein , ber die Trauerweiden hinweg aufs Siebengebirge , und diese ganze Szenerie kam mir idiotisch vor . 000210 000030 ich hatte ein paar von diesen " jdischen f+ Yankees +f " gesehen : auf einem Lastwagen wurden sie vom Venusberg runter nach Bonn zu einer Sammelstelle gebracht : sie sahen verfroren aus , „ngstlich und jung ; wenn ich mir unter Juden berhaupt etwas vorstellen konnte , dann eher etwas wie die Italiener , die noch verfrorener als die Amerikaner aussahen , viel zu mde , um noch „ngstlich zu sein . 000211 000031 ich trat gegen den Stuhl , der vor meinem Bett stand , und als er nicht umfiel , trat ich noch einmal dagegen . 000212 000031 er kippte endlich und schlug die Glasplatte auf meinem Nachttisch in Stcke . 000213 000031 Henriette mit blauem Hut und Rucksack . 000214 000031 sie kam nie mehr zurck , und wir wissen bis heute nicht , wo sie beerdigt ist . 000215 000031 irgendjemand kam nach Kriegsende zu uns und meldete , daá sie " bei Leverkusen gefallen " sei . 000216 000031 diese Besorgnis um die heilige deutsche Erde ist auf eine interessante Weise komisch , wenn ich mir vorstelle , daá ein hbscher Teil der Braunkohlenaktien sich seit zwei Generationen in den H„nden unserer Familie befindet . 000217 000031 seit siebzig Jahren verdienen die Schniers an den Whlarbeiten , die die heilige deutsche Erde erdulden muá : D”rfer , W„lder , Schl”sser fallen vor den Baggern wie die Mauern Jerichos . 000218 000031 erst ein paar Tage sp„ter erfuhr ich , wer auf die " jdischen f+ Yankees +f " Urheberrecht h„tte anmelden k”nnen : Herbert Kalick , damals vierzehn , mein Jungvolkfhrer , dem meine Mutter groázgigerweise unseren Park zur Verfgung stellte , auf daá wir alle in der Handhabung von Panzerf„usten ausgebildet wrden . 000219 000031 mein achtj„hriger Bruder Leo machte mit , ich sah ihn mit einer šbungspanzerfaust auf der Schulter am Tennisplatz vorbeimarschieren , im Gesicht einen Ernst , wie ihn nur Kinder haben k”nnen . 000220 000031 ich hielt ihn an und fragte ihn : " was machst du da ? " . 000221 000031 und er sagte mit todernstem Gesicht : " ich werde ein Werwolf , du vielleicht nicht ? " . 000222 000031 " doch " , sagte ich und ging mit ihm am Tennisplatz vorbei zum Schieástand , wo Herbert Kalick gerade die Geschichte von dem Jungen erz„hlte , der mit zehn schon das Eiserne Kreuz erster Klasse bekommen hatte , irgendwo im fernen Schlesien , wo er mit Panzerf„usten drei russische Panzer erledigt hatte . 000223 000032 als einer der Jungen fragte , wie dieser Held geheiáen habe , sagte ich : " Rbezahl " . 000224 000032 Herbert Kalick wurde ganz gelb im Gesicht und schrie : " du schmutziger Def„tist " . 000225 000032 ich bckte mich und warf Herbert eine Handvoll Asche ins Gesicht . 000226 000032 sie fielen alle ber mich her , nur Leo verhielt sich neutral , weinte , half mir aber nicht , und in meiner Angst schrie ich Herbert ins Gesicht : " du Nazischwein " . 000227 000032 ich hatte das Wort irgendwo gelesen , an einen Bahnbergang auf die Schranke geschrieben . 000228 000032 ich wuáte gar nicht genau , was es bedeutete , hatte aber das Gefhl , es k”nne hier angebracht sein . 000229 000032 Herbert Kalick brach sofort die Schl„gerei ab und wurde amtlich : er verhaftete mich , ich wurde im Schieástandschuppen zwischen Schieáscheiben und Anzeigest”cken eingesperrt , bis Herbert meine Eltern , den Lehrer Brhl und einen Parteimenschen zusammengetrommelt hatte . 000230 000032 ich heulte vor Wut , zertrampelte die Schieáscheiben und schrie den Jungen drauáen , die mich bewachten , immer wieder zu : " ihr Nazischweine " . 000231 000032 nach einer Stunde wurde ich in unser Wohnzimmer zum Verh”r geschleppt . 000232 000032 der Lehrer Brhl war kaum zu halten . 000233 000032 er sagte immer wieder : " mit Stumpf und Stiel ausrotten , ausrotten mit Stumpf und Stiel " , und ich weiá bis heute nicht genau , ob er das k”rperlich oder sozusagen geistig meinte . 000234 000032 ich werde ihm demn„chst an die Adresse der P„dagogischen Hochschule schreiben und ihn um der historischen Wahrheit willen um Aufkl„rung bitten . 000235 000032 der Parteimensch , der stellvertretende Ortsgruppenleiter L”venich , war ganz vernnftig . 000236 000032 er sagte immer : " bedenken Sie doch , der Junge ist noch keine elf " , und weil er fast beruhigend auf mich wirkte , beantwortete ich sogar seine Frage , woher ich das omin”se Wort kenne : " ich habe es gelesen , auf der Bahnschranke an der Annabergerstraáe " . 000237 000033 " es hat Dir nicht jemand gesagt " , fragte er , " ich meine , du hast es nicht geh”rt , mndlich ? " . 000238 000033 " nein " , sagte ich . 000239 000033 " der Junge weiá ja gar nicht , was er sagt " , sagte mein Vater und legte mir die Hand auf die Schulter . 000240 000033 Brhl warf meinem Vater einen b”sen Blick zu , blickte dann „ngstlich zu Herbert Kalick . 000241 000033 offenbar galt Vaters Geste als gar zu arge Sympathiekundgebung . 000242 000033 meine Mutter sagte weinend mit ihrer sanften , dummen Stimme : " er weiá ja nicht , was er tut , er weiá es nicht - ich máte ja sonst meine Hand von ihm zurckziehen " . 000243 000033 - " zieh sie nur zurck " , sagte ich . 000244 000033 alles das spielte sich in unserem Riesenwohnzimmer ab mit den pomp”sen , dunkel gebeizten Eichenm”beln , mit Groávaters Jagdtroph„en oben auf dem breiten Eichenbord , Humpen , und den schweren , bleiverglasten Bcherschr„nken . 000245 000033 ich h”rte die Artillerie oben in der Eifel , kaum zwanzig Kilometer entfernt , manchmal sogar ein Maschinengewehr . 000246 000033 Herbert Kalick , blaá , blond , mit seinem fanatischen Gesicht , als eine Art Staatsanwalt fungierend , schlug dauernd mit den Kn”cheln auf die Anrichte und forderte : " H„rte , H„rte , unnachgiebige H„rte " . 000247 000033 ich wurde dazu verurteilt , unter Herberts Aufsicht im Garten einen Panzergraben auszuwerfen , und noch am Nachmittag whlte ich , der Schnierschen Tradition folgend , die deutsche Erde auf , wenn auch - was der Schnierschen Tradition widersprach - eigenh„ndig . 000248 000033 ich grub den Graben quer durch Groávaters Lieblingsrosenbeet , genau auf die Kopie des Apoll von Belvedere zu , und ich freute mich schon auf den Augenblick , wo die Mamorstatue meinem Whleifer erliegen wrde ; ich freute mich zu frh ; sie wurde von einem kleinen sommersprossigen Jungen erlegt , der Georg hieá . 000249 000034 er sprengte sich selbst und den Apoll in die Luft durch eine Panzerfaust , die er irrtmlich zur Explosion brachte . 000250 000034 Herbert Kalicks Kommentar zu diesem Unfall war lakonisch . 000251 000034 " zum Glck war Georg ja ein Waisenkind " . 000252 000035 5 . 000253 000035 ich suchte im Telefonbuch die Nummern aller Leute zusammen , mit denen ich wrde sprechen mssen ; links schrieb ich untereinander die Namen derer , die ich anpumpen konnte : Karl Emonds , Heinrich Behlen , beides Schulkameraden , der eine ehemals Theologiestudent , jetzt Studienrat , der andere Kaplan , dann Bela Brosen , die Geliebte meines Vaters - rechts untereinander die brigen , die ich nur im „uáersten Fall um Geld bitten wrde : meine Eltern , Leo ( den ich um Geld bitten konnte , aber er hat nie welches , er gibt alles her ) , die Kreismitglieder : Kinkel , Fredebeul , Blothert , Sommerwild , zwischen diesen beiden Namens„ulen : Monika Silvs , um deren Namen ich eine hbsche Schleife malte . 000254 000035 Karl Emonds muáte ich ein Telegramm schicken und ihn um einen Anruf bitten . 000255 000035 er hat kein Telefon . 000256 000035 ich h„tte Monika gern als erste angerufen , wrde sie aber als letzte anrufen mssen : unser Verh„ltnis zueinander ist in einem Stadium , wo es sowohl physisch wie metaphysisch unh”flich w„re , wenn ich sie verschm„hte . 000257 000035 ich war in diesem Punkt in einer frchterlichen Situation : monogam , lebte ich wider Willen und doch naturgem„á z”libat„r , seitdem Marie in " metaphysischem Schrecken " , wie sie es nannte , von mir geflohen ist . 000258 000035 tats„chlich war ich in Bochum mehr oder weniger absichtlich ausgerutscht , hatte mich aufs Knie fallen lassen , um die begonnene Tournee abbrechen und nach Bonn fahren zu k”nnen . 000259 000035 ich litt auf eine kaum noch ertr„gliche Weise unter dem , was in Maries religi”sen Bchern irrtmlich als " fleischliches Verlangen " bezeichnet wird . 000260 000036 ich hatte Monika viel zu gern , um mit ihr das Verlangen nach einer anderen Frau zu stillen . 000261 000036 wenn in diesen religi”sen Bchern stnde : Verlangen nach einer Frau , so w„re das schon grob genug , aber einige Stufen besser als " fleischliches Verlangen " . 000262 000036 ich kenne nichts Fleischliches auáer Metzgerl„den , und selbst die sind nicht ganz fleischlich . 000263 000036 wenn ich mir vorstelle , daá Marie diese Sache , die sie nur mit mir tun sollte , mit Zpfner macht , steigert sich meine Melancholie zur Verzweiflung . 000264 000036 ich z”gerte lange , bevor ich auch Zpfners Telefonnummer heraussuchte und unter die Kolonne derjenigen schrieb , die ich nicht anzupumpen gedachte . 000265 000036 Marie wrde mir Geld geben , sofort , alles , was sie besaá , und sie wrde zu mir kommen und mir beistehen , besonders , wenn sie erfhre , welche Serie von Miáerfolgen mir beschieden gewesen ist , aber sie wrde nicht ohne Begleitung kommen . 000266 000036 sechs Jahre sind eine lange Zeit , und sie geh”rt nicht in Zpfners Haus , nicht an seinen Frhstckstisch , nicht in sein Bett . 000267 000036 ich war sogar bereit , um sie zu k„mpfen , obwohl das Wort k„mpfen fast nur k”rperliche Vorstellungen bei mir ausl”st , also L„cherliches : Rauferei mit Zpfner . 000268 000036 Marie war fr mich noch nicht tot , so wie meine Mutter eigentlich fr mich tot ist . 000269 000036 ich glaube , daá die Lebenden tot sind , und die Toten leben , nicht wie die Christen und Katholiken es glauben . 000270 000036 fr mich ist ein Junge , wie dieser Georg , der sich mit einer Panzerfaust in die Luft sprengte , lebendiger als meine Mutter . 000271 000036 ich sehe den sommersprossigen , ungeschickten Jungen da auf der Wiese vor dem Apoll , h”re Herbert Kalick schreien : " nicht so , nicht so - " ; h”re die Explosion , ein paar , nicht sehr viele Schreie , dann Kalicks Kommentar : " zum Glck war Georg ja ein Waisenkind " , und eine halbe Stunde sp„ter beim Abendessen an jenem Tisch , wo man ber mich zu Gericht gesessen hatte , sagte meine Mutter zu Leo : " du wirst es einmal besser machen als dieser dumme Junge , nicht wahr ! " . 000272 000037 Leo nickt , mein Vater blickt zu mir herber , findet in den Augen seines zehnj„hrigen Sohnes keinen Trost . 000273 000037 meine Mutter ist inzwischen schon seit Jahren Pr„sidentin des Zentralkomitees der Gesellschaften zur Vers”hnung rassischer Gegens„tze ; sie f„hrt zum Anne-Frank-Haus , gelegentlich sogar nach Amerika und h„lt vor amerikanischen Frauenklubs Reden ber die Reue der deutschen Jugend , immer noch mit ihrer sanften , harmlosen Stimme , mit der sie Henriette wahrscheinlich zum Abschied gesagt hat : " machs gut , Kind " . 000274 000037 diese Stimme konnte ich jederzeit am Telefon h”ren , Henriettes Stimme nie mehr . 000275 000037 sie hatte eine berraschend dunkle Stimme und ein helles Lachen . 000276 000037 einmal fiel ihr mitten in einem Tennismatch der Schl„ger aus der Hand , sie blieb auf dem Platz stehen und blickte tr„umend in den Himmel , ein anderes Mal lieá sie w„hrend des Essens den L”ffel in die Suppe fallen ; meine Mutter schrie auf , beklagte die Flecken auf Kleid und Tischtuch ; Henriette h”rte das gar nicht , und als sie wieder zu sich kam , nahm sie nur den L”ffel aus dem Suppenteller , wischte ihn an der Serviette ab und aá weiter ; als sie ein drittes Mal , w„hrend des Kartenspielens am Kamin , in diesen Zustand verfiel , wurde meine Mutter richtig b”se . 000277 000037 sie schrie : " diese verdammte Tr„umerei " , und Henriette blickte sie an und sagte ruhig : " was ist denn , ich habe einfach keine Lust mehr " , und warf die Karten , die sie noch in der Hand hatte , ins Kaminfeuer . 000278 000038 meine Mutter holte die Karten aus dem Feuer , verbrannte sich die Finger dabei , rettete aber die Karten bis auf eine Herzsieben , die angesengt war , und wir konnten nie mehr Karten spielen , ohne an Henriette zu denken , wenn auch meine Mutter so zu tun versuchte " als w„re nichts gewesen " . 000279 000038 sie ist gar nicht boshaft , nur auf eine unbegreifliche Weise dumm , und sparsam . 000280 000038 sie duldete nicht , daá ein neues Kartenspiel gekauft wurde , und ich nehme an , daá die angesengte Herzsieben immer noch im Spiel ist und meine Mutter sich nichts dabei denkt , wenn sie ihr beim Patiencenlegen in die Hand kommt . 000281 000038 ich h„tte gern mit Henriette telefoniert , aber die Vermittlung fr solche Gespr„che haben die Theologen noch nicht erfunden . 000282 000038 ich suchte die Nummer meiner Eltern , die ich immer wieder vergesse , aus dem Telefonbuch : Schnier Alfons , Dr. h. c. Generaldirektor . 000283 000038 der Doktor h. c. war mir neu . 000284 000038 w„hrend ich die Nummer w„hlte , ging ich in Gedanken nach Hause , die Koblenzer Straáe runter , in die Ebertallee , schwenkte links zum Rhein ab . 000285 000038 eine knappe Stunde zu Fuá . 000286 000038 schon h”rte ich das M„dchen : " hier bei Dr. Schnier " . 000287 000038 " ich m”chte Frau Schnier sprechen " , sagte ich . 000288 000038 " wer ist am Apparat ? " . 000289 000038 " Schnier " , sagte ich , " Hans , leiblicher Sohn jener besagten Dame " . 000290 000038 sie schluckte , berlegte einen Augenblick , und ich sprte durch die sechs Kilometer lange Leitung hindurch , daá sie z”gerte . 000291 000038 sie roch brigens sympathisch , nur nach Seife und ein biáchen nach frischem Nagellack . 000292 000038 offenbar war ihr meine Existenz zwar bekannt , aber sie hatte keine klaren Anweisungen mich betreffend . 000293 000038 wohl nur dunkle Gerchte im Ohr : Auáenseiter , radikaler Vogel . 000294 000039 " darf ich sicher sein " , fragte sie schlieálich , " daá es sich nicht um einen Scherz handelt ? " . 000295 000039 " Sie drfen sicher sein " , sagte ich , " notfalls bin ich bereit , Auskunft ber die besonderen Merkmale meiner Mutter zu geben . 000296 000039 Leberfleck links unterhalb des Mundes , Warze ... " . 000297 000039 sie lachte , sagte : " gut " und st”pselte durch . 000298 000039 unser Telefonsystem ist kompliziert . 000299 000039 mein Vater hat allein drei verschiedene Anschlsse : einen roten Apparat fr die Braunkohle , einen schwarzen fr die B”rse und einen privaten , der weiá ist . 000300 000039 meine Mutter hat nur zwei Telefone : ein schwarzes frs Zentralkomitee der Gesellschaften zur Vers”hnung rassischer Gegens„tze und ein weiáes fr Privatgespr„che . 000301 000039 obwohl meiner Mutter privates Bankkonto einen sechsstelligen Saldo zu ihren Gunsten aufweist , laufen die Rechnungen frs Telefon ( und natrlich die Reisespesen nach Amsterdam und anderswohin ) aufs Konto des Zentralkomitees . 000302 000039 das Telefonm„dchen hatte falsch gest”pselt , meine Mutter meldete sich gesch„ftsm„áig an ihrem schwarzen Apparat : " Zentralkomitee der Gesellschaften zur Vers”hnung rassischer Gegens„tze " . 000303 000039 ich war sprachlos . 000304 000039 h„tte sie gesagt : " hier Frau Schnier " , h„tte ich wahrscheinlich gesagt : " hier Hans , wie geht's , Mama ? " . 000305 000039 statt dessen sagte ich : " hier spricht ein durchreisender Delegierter des Zentralkomitees jdischer f+ Yankees +f , verbinden Sie mich bitte mit Ihrer Tochter " . 000306 000039 ich war selbst erschrocken . 000307 000039 ich h”rte , daá meine Mutter aufschrie , dann seufzte sie auf eine Weise , die mir deutlich machte , wie alt sie geworden ist . 000308 000039 sie sagte : " das kannst du wohl nie vergessen , wie ? " . 000309 000039 ich war selbst nahe am Weinen und sagte leise : " vergessen ? . 000310 000039 sollte ich das , Mama ? " . 000311 000039 sie schwieg , ich h”rte nur dieses fr mich so erschreckende Altfrauenweinen . 000312 000040 ich hatte sie seit fnf Jahren nicht gesehen , und sie muáte jetzt ber sechzig sein . 000313 000040 einen Augenblick lang hatte ich tats„chlich geglaubt , sie k”nnte ihrerseits durchst”pseln und mich mit Henriette verbinden . 000314 000040 sie redet jedenfalls immer davon , daá sie " vielleicht sogar einen Draht zum Himmel " habe ; neckisch tut sie das , wie jedermann heute von seinen Dr„hten spricht : ein Draht zur Partei , zur Universit„t , zum Fernsehen , zum Innenministerium . 000315 000040 ich h„tte Henriettes Stimme so gern geh”rt , und wenn sie nur " nichts " gesagt h„tte oder meinetwegen nur " Scheiáe " . 000316 000040 in ihrem Mund hatte es nicht eine Spur gemein geklungen . 000317 000040 als sie es zu Schnitzler sagte , wenn der von ihrer mystischen Begabung sprach , hatte es so sch”n geklungen wie Schnee ( Schnitzler war ein Schriftsteller , einer der Schmarotzer , die w„hrend des Krieges bei uns lebten , und er hatte , wenn Henriette in ihren Zustand verfiel , immer von einer mystischen Begabung gesprochen , und sie hatte einfach " Scheiáe " gesagt , wenn er davon anfing ) . 000318 000040 sie h„tte auch etwas anderes sagen k”nnen : " ich habe diesen doofen Fohlenach heute wieder geschlagen " , oder etwas Franz”sisches : f+ " la: condition: du: Monsieur: le: Comte: est: parfaite: " +f . 000319 000040 sie hatte mir manchmal bei den Schularbeiten geholfen und wir hatten immer darber gelacht , daá sie in anderer Leute Schularbeiten so gut , bei den eigenen so schlecht war . 000320 000040 statt dessen h”rte ich nur das Altfrauenweinen meiner Mutter , und ich fragte : " wie geht's Papa ? " . 000321 000040 " oh " , sagte sie , " er ist alt geworden - alt und weise " . 000322 000040 " und Leo ? " . 000323 000040 " oh , Le , der ist fleiáig , fleiáig " , sagte sie , " man prophezeit ihm eine Zukunft als Theologe " . 000324 000041 " o Gott " , sagte ich , " ausgerechnet Leo eine Zukunft als Theologe " . 000325 000041 " es war ja ziemlich bitter fr uns , als er bertrat " , sagte meine Mutter , " aber der Geist weht ja , wo er will " . 000326 000041 sie hatte ihre Stimme wieder ganz in der Gewalt , und ich war fr einen Augenblick versucht , sie nach Schnitzler zu fragen , der immer noch bei uns zu Hause aus- und eingeht . 000327 000041 er war ein dicklicher , gepflegter Bursche , der damals immer vom edlen Europ„ertum , vom Selbstbewuátsein der Germanen schw„rmte . 000328 000041 aus Neugierde hatte ich sp„ter einmal einen seiner Romane gelesen . 000329 000041 q+ " franz”sische Liebschaft " +q , langweiliger als der Titel versprach . 000330 000041 das berw„ltigend Originelle darin war die Tatsache , daá der Held , ein gefangener franz”sischer Leutnant , blond war , und die Heldin , ein deutsches M„dchen von der Mosel , dunkelhaarig . 000331 000041 er zuckte jedesmal zusammen , wenn Henriette - im ganzen glaube ich zweimal - " Scheiáe " sagte , und behauptete , eine mystische Begabung k”nne durchaus bereingehen mit der " zwanghaften Sucht , h„áliche W”rter herauszuschleudern " ( dabei war das bei Henriette gar nicht zwanghaft , und sie " schleuderte " das Wort gar nicht , sie sagte es einfach vor sich hin ) , und schleppte zum Beweis die fnfb„ndige q+ Christliche: Mystik: +q von v+ G”rres +v an . 000332 000041 in seinem Roman ging es natrlich fein zu , da z+ " klingt die Poesie franz”sischer Weinnamen wie Kristall , das Liebende aneinanderstoáen , um einander zu feiern " +z . 000333 000041 der Roman endet mit einer heimlichen Trauung ; die aber brachte Schnitzler den Undank der Reichsschrifttumskammer ein , die ihm Schreibverbot auferlegte , etwa fr zehn Monate . 000334 000041 die Amerikaner nahmen ihn mit offenen Armen als Widerstandsk„mpfer in den Kulturdienst , und er rennt heute durch Bonn und erz„hlt bei jeder Gelegenheit , er habe von den Nazis Schreibverbot gehabt . 000335 000042 ein solcher Heuchler braucht nicht einmal zu lgen , um immer richtig zu liegen . 000336 000042 dabei war er es , der meine Mutter zwang , uns zum Dienst zu schicken , mich ins Jungvolk und Henriette in den BDM: . 000337 000042 " in dieser Stunde , gn„dige Frau , mssen wir einfach zusammenhalten , zusammenstehen , zusammen leiden " . 000338 000042 ich seh ihn am Kaminfeuer stehen , mit einer von Vaters Zigarren in der Hand . 000339 000042 " gewisse Ungerechtigkeiten , deren Opfer ich geworden bin , k”nnen nicht meine klare objektive Einsicht trben , daá der Fhrer " - seine Stimme bebte tats„chlich - " der Fhrer die Rettung schon in der Hand hat " . 000340 000042 gesprochen etwa eineinhalb Tage , bevor die Amerikaner Bonn eroberten . 000341 000042 " was macht eigentlich Schnitzler ? " fragte ich meine Mutter . 000342 000042 " groáartig " , sagte sie , " im Ausw„rtigen Amt kann man ohne ihn gar nicht mehr auskommen " . 000343 000042 sie hat das alles natrlich vergessen , erstaunlich genug , daá die jdischen f+ Yankees +f berhaupt bei ihr noch Erinnerungen ausl”sen . 000344 000042 ich bereute schon l„ngst nicht mehr , daá ich mein Gespr„ch mit ihr so angefangen hatte . 000345 000042 " und was macht Groávater ? " fragte ich . 000346 000042 " phantastisch " , sagte sie , " unverwstlich . 000347 000042 feiert bald seinen neunzigsten . 000348 000042 es bleibt mir ein R„tsel , wie er das macht " . 000349 000042 " das ist sehr einfach " , sagte ich , " diese alten Knaben werden weder von Erinnerungen noch von Gewissensqualen zermrbt . 000350 000042 ist er zu Hause ? " . 000351 000042 " nein " , sagte sie , " er ist fr sechs Wochen nach Ischia " . 000352 000042 wir schwiegen beide , ich war meiner Stimme immer noch nicht ganz sicher , sie ihrer wieder vollkommen , als sie mich fragte : " aber der eigentliche Zweck deines Anrufs - es geht dir wieder schlecht , wie ich h”re . 000353 000043 du hast berufliches Pech - hat man mir erz„hlt " . 000354 000043 " so ? " sagte ich , " du frchtest wohl , ich wrde euch um Geld angehen , aber das brauchst du doch nicht zu frchten , Mama . 000355 000043 ihr gebt mir ja doch keins . 000356 000043 ich werde den Rechtsweg beschreiten , ich brauche das Geld n„mlich , weil ich nach Amerika fahren will . 000357 000043 dort hat mir jemand eine Chance geboten . 000358 000043 ein jdischer f+ Yankee +f brigens , aber ich werde alles tun , keine rassischen Gegens„tze aufkommen zu lassen " . 000359 000043 sie war weiter vom Weinen entfernt denn je . 000360 000043 ich h”rte , bevor ich auflegte , nur noch , daá sie irgendetwas von Prinzipien sagte . 000361 000043 brigens hatte sie gerochen , wie sie immer gerochen hat : nach nichts . 000362 000043 eins ihrer Prinzipien : " eine Dame str”mt keinerlei Art von Geruch aus " . 000363 000043 wahrscheinlich hat mein Vater aus diesem Grund eine so hbsche Geliebte , die sicherlich keinerlei Geruch ausstr”mt , aber so aussieht , als sei sie wohlriechend . 000364 000044 6 . 000365 000044 ich stopfte mir alle erreichbaren Kissen in den Rcken , legte mein wundes Bein hoch , zog das Telefon n„her und berlegte , ob ich nicht doch in die Kche gehen , den Eisschrank ”ffnen und die Kognakflasche herberholen sollte . 000366 000044 dieses " berufliche Pech " hatte aus dem Mund meiner Mutter besonders boshaft geklungen , und sie hatte ihren Triumph nicht zu unterdrcken versucht . 000367 000044 wahrscheinlich war ich doch zu naiv , wenn ich annahm , hier in Bonn wáte noch keiner von meinen Reinf„llen . 000368 000044 wenn Mutter es wuáte , wuáte es Vater , dann wuáte es auch Leo , durch Leo Zpfner , der ganze Kreis und Marie . 000369 000044 es wrde sie furchtbar treffen , schlimmer als mich . 000370 000044 wenn ich das Saufen wieder ganz drangab , wrde ich rasch wieder auf einer Stufe sein , die Zohnerer , mein Agent , als " ganz nett oberhalb des Durchschnitts " bezeichnet , und das wrde ausreichen , mich meine noch fehlenden zweiundzwanzig Jahre bis zur Gosse hinbringen zu lassen . 000371 000044 was Zohnerer immer rhmt , ist meine " breite handwerkliche Basis " ; von Kunst versteht er sowieso nichts , die beurteilt er mit einer fast schon genialen Naivit„t einfach nach dem Erfolg . 000372 000044 vom Handwerk versteht er was , und er weiá gut , daá ich noch zwanzig Jahre oberhalb der dreiáig-Mark-Ebene herumtingeln kann . 000373 000044 bei Marie ist das anders . 000374 000044 sie wird betrbt sein ber " den knstlerischen Abstieg " und ber mein Elend , das ich gar nicht als so schrecklich empfinde . 000375 000044 jemand , der auáen steht - jeder auf dieser Welt steht auáerhalb jedes anderen - empfindet eine Sache immer als schlimmer oder besser als der , der in der Sache drin ist , mag die Sache Glck oder Unglck , Liebeskummer oder " knstlerischer Abstieg " sein . 000376 000045 mir wrde es gar nichts ausmachen , in muffigen S„len vor katholischen Hausfrauen oder evangelischen Krankenschwestern gute Clownerie oder auch nur Faxen zu machen . 000377 000045 nur haben diese konfessionellen Vereine eine unglckliche Vorstellung von Honorar . 000378 000045 natrlich denkt so eine gute Vereinsvorsteherin , fnfzig Mark sind eine nette Summe , und wenn er das zwanzigmal im Monat bekommt , máte er eigentlich zurechtkommen . 000379 000045 aber wenn ich ihr dann meine Schminkrechnung zeige und ihr erz„hle , daá ich zum Trainieren ein Hotelzimmer brauche , das etwas gr”áer ist als zweizwanzig mal drei , denkt sie wahrscheinlich , meine Geliebte sei so kostspielig wie die K”nigin von Saba . 000380 000045 wenn ich ihr aber dann erz„hle , daá ich fast nur von weichgekochten Eiern , Bouillon , Bouletten und Tomaten lebe , bekreuzigt sie sich und denkt , ich máte unterern„hrt sein , weil ich nicht jeden Mittag ein " deftiges Essen " zu mir nehme . 000381 000045 wenn ich ihr weiterhin erz„hle , daá meine privaten Laster aus Abendzeitungen , Zigaretten , Mensch-„rgere-dich-nicht-spielen bestehen , h„lt sie mich wahrscheinlich fr einen Schwindler . 000382 000045 ich habe es lange schon aufgegeben , mit irgendjemand ber Geld zu reden oder ber Kunst . 000383 000045 wo die beiden miteinander in Berhrung kommen , stimmt die Sache nie : die Kunst ist entweder unter- oder berbezahlt . 000384 000045 ich habe in einem englischen Wanderzirkus einmal einen Clown gesehen , der handwerklich zwanzigmal und knstlerisch zehnmal soviel konnte wie ich und der pro Abend keine zehn Mark verdiente : er hieá James Ellis , war schon Ende vierzig , und als ich ihn zum Abendessen einlud - es gab Schinkenomelett , Salat und Apfelpastete - wurde ihm bel : er hatte seit zehn Jahren nicht mehr so viel auf einmal gegessen . 000385 000046 seitdem ich James kennengelernt habe , rede ich nicht mehr ber Geld und ber Kunst . 000386 000046 ich nehme es , wie es kommt , und rechne mit der Gosse . 000387 000046 Marie hat ganz andere Ideen im Kopf ; sie redete immer von " Verkndigung " , alles sei Verkndigung , auch , was ich tue ; ich sei so heiter , sei auf meine Weise so fromm und so keusch , und so weiter . 000388 000046 es ist grauenhaft , was in den K”pfen von Katholiken vor sich geht . 000389 000046 sie k”nnen nicht einmal guten Wein trinken , ohne dabei irgendwelche Verrenkungen vorzunehmen , sie mssen sich um jeden Preis " bewuát " werden , wie gut der Wein ist , und warum . 000390 000046 was das Bewuátsein angeht , stehen sie den Marxisten nicht nach . 000391 000046 Marie war entsetzt , als ich mir vor ein paar Monaten eine Guitarre kaufte und sagte , ich wrde n„chstens selbstverfaáte und selbstkomponierte Lieder zur Guitarre singen . 000392 000046 sie meinte , das w„re unter meinem " Niveau " , und ich sagte ihr , unter dem Niveau der Gosse gebe es nur noch den Kanal , aber sie verstand nicht , was ich damit meinte , und ich hasse es , ein Bild zu erkl„ren . 000393 000046 entweder versteht man mich oder nicht . 000394 000046 ich bin kein Exeget . 000395 000046 man h„tte meinen k”nnen , meine Marionettenf„den w„ren gerissen ; im Gegenteil : ich hatte sie fest in der Hand und sah mich da liegen , in Bochum auf dieser Vereinsbhne , besoffen , mit aufgeschrftem Knie , h”rte im Saal das mitleidige Raunen und kam mir gemein vor : ich hatte soviel Mitleid gar nicht verdient , und ein paar Pfiffe w„ren mir lieber gewesen ; nicht einmal das Humpeln war ganz der Verletzung angemessen , obwohl ich tats„chlich verletzt war . 000396 000047 ich wollte Marie zurckhaben und hatte angefangen zu k„mpfen , auf meine Weise , nur um der Sache willen , die in ihren Bchern als " fleischliches Verlangen " bezeichnet wird . 000397 000048 7 . 000398 000048 ich war einundzwanzig , sie neunzehn , als ich eines Abends einfach auf ihr Zimmer ging , um mit ihr die Sachen zu tun , die Mann und Frau miteinander tun . 000399 000048 ich hatte sie am Nachmittag noch mit Zpfner gesehen , wie sie Hand in Hand mit ihm aus dem Jugendheim kam , beide l„chelnd , und es gab mir einen Stich . 000400 000048 sie geh”rte nicht zu Zpfner , und dieses dumme H„ndchenhalten machte mich krank . 000401 000048 Zpfner kannte fast jedermann in der Stadt , vor allem wegen seines Vaters , den die Nazis rausgeschmissen hatten ; er war Studienrat gewesen und hatte es abgelehnt , nach dem Krieg gleich als Oberstudiendirektor an dieselbe Schule zu gehen . 000402 000048 irgendeiner hatte ihn sogar zum Minister machen wollen , aber er war wtend geworden und hatte gesagt : " ich bin Lehrer , und ich m”chte wieder Lehrer sein " . 000403 000048 er war ein groáer , stiller Mann , den ich als Lehrer ein biáchen langweilig fand . 000404 000048 er vertrat einmal unseren Deutschlehrer und las uns ein Gedicht , das von der sch”nen , jungen Lilofee , vor . 000405 000048 mein Urteil in Schulsachen besagt nichts . 000406 000048 es war einfach ein Irrtum , mich l„nger als gesetzlich vorgeschrieben auf die Schule zu schicken ; selbst die gesetzlich vorgeschriebene Zeit war schon zuviel . 000407 000048 ich habe der Schule wegen nie die Lehrer angeklagt , sondern nur meine Eltern . 000408 000048 diese " er muá aber doch das Abitur machen " - Vorstellung ist eigentlich eine Sache , deren sich das Zentralkomitee der Gesellschaften zur Vers”hnung rassischer Gegens„tze einmal annehmen sollte . 000409 000049 es ist tats„chlich eine Rassenfrage : Abiturienten , Nichtabiturienten , Lehrer , Studienr„te , Akademiker , Nichtakademiker , lauter Rassen . 000410 000049 - als Zpfners Vater uns das Gedicht vorgelesen hatte , wartete er ein paar Minuten und fragte dann l„chelnd : " na , m”chte einer was dazu sagen ? " und ich sprang sofort auf und sagte : " ich finde das Gedicht wunderbar " . 000411 000049 daraufhin brach die ganze Klasse in Lachen aus , Zpfners Vater nicht . 000412 000049 er l„chelte , aber nicht auf eine hochn„sige Weise . 000413 000049 ich fand ihn sehr nett , nur ein biáchen zu trocken . 000414 000049 seinen Sohn kannte ich nicht sehr gut , aber besser als den Vater . 000415 000049 ich war einmal am Sportplatz vorbeigekommen , als er dort mit seiner Jungengruppe Fuáball spielte , und als ich mich dorthin stellte und zusah , rief er mir zu : " willst du nicht mitmachen ? " und ich sagte sofort ja und ging als linker L„ufer in die Mannschaft , die gegen Zpfner spielte . 000416 000049 nach dem Spiel sagte er zu mir : " willst du nicht mitkommen ? " . 000417 000049 ich fragte : " wohin ? " und er sagte : " zu unserem Heimabend " , und als ich sagte : " ich bin doch gar nicht katholisch " , lachte er , und die anderen Jungen lachten mit ; Zpfner sagte : " wir singen - und du singst doch sicher gern " . 000418 000049 - " ja " , sagte ich , " aber von Heimabenden habe ich die Nase voll , ich bin zwei Jahre in einem Internat gewesen " . 000419 000049 obwohl er lachte , war er doch gekr„nkt . 000420 000049 er sagte : " aber wenn du Lust hast , komm doch wieder zum Fuáballspielen " . 000421 000049 ich spielte noch ein paar Mal Fuáball mit seiner Gruppe , ging mit ihnen Eis essen , und er lud mich nie mehr ein , mit zum Heimabend zu kommen . 000422 000049 ich wuáte auch , daá Marie im selben Heim mit ihrer Gruppe Abende hielt , ich kannte sie gut , sehr gut , weil ich viel mit ihrem Vater zusammen war , und manchmal ging ich abends zum Sportplatz , wenn sie mit ihren M„dchen da V”lkerball spielte , und sah ihnen zu . 000423 000050 genauer gesagt : ihr , und sie winkte mir manchmal mitten aus dem Spiel heraus zu und l„chelte , und ich winkte zurck und l„chelte auch ; wir kannten uns sehr gut . 000424 000050 ich ging damals oft zu ihrem Vater , und sie blieb manchmal bei uns sitzen , wenn ihr Vater mir Hegel und Marx zu erkl„ren versuchte , aber zu Hause l„chelte sie mir nie zu . 000425 000050 als ich sie an diesem Nachmittag mit Zpfner Hand in Hand aus dem Jugendheim kommen sah , gab es mir einen Stich . 000426 000050 ich war in einer dummen Lage . 000427 000050 ich war von der Schule weggegangen , mit einundzwanzig von der Untersekunda . 000428 000050 die Patres waren sehr nett gewesen , sie hatten mir sogar einen Abschiedsabend gegeben , mit Bier und Schnittchen , Zigaretten und fr die Nichtraucher Schokolade , und ich hatte meinen Mitschlern allerlei Nummern vorgefhrt : katholische Predigt und evangelische Predigt , Arbeiter mit Lohntte , auch allerlei Faxen und Chaplin-Imitationen . 000429 000050 ich hatte sogar eine Abschiedsrede gehalten " ber die irrige Annahme , daá das Abitur ein Bestandteil der ewigen Seligkeit sei " . 000430 000050 es war ein rauschender Abschied , aber zu Hause waren sie b”se und bitter . 000431 000050 meine Mutter war einfach gemein zu mir . 000432 000050 sie riet meinem Vater , mich in den " Ptt " zu stecken , und mein Vater fragte mich dauernd , was ich dann werden wolle , und ich sagte " Clown " . 000433 000050 er sagte : " du meinst Schauspieler - gut - vielleicht kann ich dich auf eine Schule schicken " . 000434 000050 - " nein " , sagte ich , " nicht Schauspieler , sondern Clown - und Schulen ntzen mir nichts " . 000435 000050 - " aber was stellst du dir denn vor ? " fragte er . 000436 000050 " nichts " , sagte ich , " nichts . 000437 000050 ich werde schon abhauen " . 000438 000050 es waren zwei frchterliche Monate , denn ich fand nicht den Mut , wirklich abzuhauen , und bei jedem Bissen , den ich aá , blickte mich meine Mutter an , als w„re ich ein Verbrecher . 000439 000051 dabei hat sie jahrelang allerlei hergelaufene Schmarotzer am Fressen gehalten , aber das waren " Knstler und Dichter " ; Schnitzler , dieser Kitschbruder , und Gruber , der gar nicht so bel war . 000440 000051 er war ein fetter , schweigsamer und schmutziger Lyriker , der ein halbes Jahr bei uns wohnte und nicht eine einzige Zeile schrieb . 000441 000051 wenn er morgens zum Frhstck herunterkam , blickte meine Mutter ihn jedesmal an , als erwarte sie , die Spuren seines n„chtlichen Ringens mit dem D„mon zu entdecken . 000442 000051 es war schon fast unzchtig , wie sie ihn ansah . 000443 000051 er verschwand eines Tages spurlos , und wir Kinder waren berrascht und erschrocken , als wir auf seinem Zimmer einen ganzen Haufen zerlesener Kriminalromane entdeckten , auf seinem Schreibtisch ein paar Zettel , auf denen nur ein Wort stand : " nichts " , auf einem Zettel stand es zweimal : " nichts , nichts " . 000444 000051 fr solche Leute ging meine Mutter sogar in den Keller und holte ein Extrastck Schinken . 000445 000051 ich glaube , wenn ich angefangen h„tte , mir riesige Staffeleien anzuschaffen , und auf riesige Leinw„nde bl”des Zeug gepinselt h„tte , w„re sie sogar imstande gewesen , sich mit meiner Existenz zu vers”hnen . 000446 000051 dann h„tte sie sagen k”nnen : " unser Hans ist ein Knstler , er wird seinen Weg schon finden . 000447 000051 er ringt noch " . 000448 000051 aber so war ich nichts als ein etwas „ltlicher Untersekundaner , von dem sie nur wuáte , daá er " ganz gut irgendwelche Faxen " machen kann . 000449 000051 ich weigerte mich natrlich , fr das biáchen Fressen auch noch " Proben meines K”nnens " zu geben . 000450 000051 so verbrachte ich halbe Tage bei Maries Vater , dem alten Derkum , dem ich ein biáchen im Laden half und der mir Zigaretten schenkte , obwohl es ihm nicht sehr gut ging . 000451 000051 es waren nur zwei Monate , die ich auf diese Weise zu Hause verbrachte , aber sie kamen mir wie eine Ewigkeit vor , viel l„nger als der Krieg . 000452 000052 Marie sah ich selten , sie war mitten in der Vorbereitung frs Abitur und lernte mit ihren Schulkameradinnen . 000453 000052 manchmal ertappte mich der alte Derkum dabei , daá ich ihm gar nicht zuh”rte , sondern nur auf die Kchentr starrte , dann schttelte er den Kopf und sagte : " sie kommt heute erst sp„t " , und ich wurde rot . 000454 000052 es war ein Freitag und ich wuáte , daá der alte Derkum freitags abends immer ins Kino ging , aber ich wuáte nicht , ob Marie zu Hause sein oder bei einer Freundin frs Abitur pauken wrde . 000455 000052 ich dachte an gar nichts und doch an fast alles , sogar daran , ob sie " nachher " noch in der Lage sein wrde , ihre Prfung zu machen , und schon wuáte ich , was sich nachher best„tigte , daá nicht nur halb Bonn sich ber die Verfhrung emp”ren wrde , sondern hinzufgen wrde : " und so kurz vor dem Abitur " . 000456 000052 ich dachte sogar an die M„dchen aus ihrer Gruppe , fr die es eine Entt„uschung sein wrde . 000457 000052 ich hatte eine frchterliche Angst vor dem , was im Internat ein Junge einmal als " die k”rperlichen Einzelheiten " bezeichnet hatte , und die Frage der Potenz beunruhigte mich . 000458 000052 das šberraschende fr mich war , daá ich vom " fleischlichen Verlangen " nicht das geringste sprte . 000459 000052 ich dachte auch daran , daá es unfair von mir war , mit dem Schlssel , den ihr Vater mir gegeben hatte , ins Haus und auf Maries Zimmer zu gehen , aber ich hatte gar keine andere Wahl , als den Schlssel zu benutzen . 000460 000052 das einzige Fenster in Maries Zimmer lag zur Straáe hin , und die war bis zwei Uhr morgens so belebt , daá ich auf dem Polizeibro gelandet w„re - und ich muáte diese Sache heute mit Marie tun . 000461 000052 ich ging sogar in eine Drogerie und kaufte mir von dem Geld , das ich von meinem Bruder Leo geliehen hatte , irgendein Zeug , von dem sie in der Schule erz„hlt hatten , daá es die m„nnliche Kraft steigere . 000462 000053 ich wurde knallrot , als ich in die Drogerie ging , zum Glck bediente mich ein Mann , aber ich sprach so leise , daá er mich anbrllte und mich aufforderte , " laut und deutlich " zu sagen , was ich wolle , und ich nannte den Namen des Pr„parats , bekam es und zahlte bei der Frau des Drogisten , die mich kopfschttelnd ansah . 000463 000053 natrlich kannte sie mich , und als sie am n„chsten Morgen erfuhr , was geschehen war , machte sie sich wahrscheinlich Gedanken , die gar nicht zutrafen , denn zwei Straáen weiter ”ffnete ich die Schachtel und lieá die Pillen in die Gosse rollen . 000464 000053 um sieben , als die Kinos angefangen hatten , ging ich in die Gudenaugasse , den Schlssel schon in der Hand , aber die Ladentr war noch auf , und als ich reinging , steckte oben Marie den Kopf in den Flur und rief " hallo , ist da jemand ? " . 000465 000053 - " ja " , rief ich , " ich bins " - ich rannte die Treppe hinauf , und sie sah mich erstaunt an , als ich sie , ohne sie anzurhren , langsam in ihr Zimmer zurckdr„ngte . 000466 000053 wir hatten nicht viel miteinander gesprochen , uns immer nur angesehen und angel„chelt , und ich wuáte auch bei ihr nicht , ob ich du oder Sie sagen sollte . 000467 000053 sie hatte den grauen , zerschlissenen , von ihrer Mutter geerbten Bademantel an , das dunkle Haar hinten mit einer grnen Kordel zusammengebunden ; sp„ter , als ich die Schnur aufknpfte , sah ich , daá es ein Stck Angelschnur von ihrem Vater war . 000468 000053 sie war so erschrocken , daá ich gar nichts zu sagen brauchte , und sie wuáte genau , was ich wollte . 000469 000053 " geh " , sagte sie , aber sie sagte es automatisch , ich wuáte ja , daá sie es sagen muáte , und wir wuáten beide , daá es sowohl ernst gemeint wie automatisch gesagt war , aber schon als sie " geh " zu mir sagte , und nicht " gehen Sie " , war die Sache entschieden . 000470 000054 es lag soviel Z„rtlichkeit in dem winzigen Wort , daá ich dachte , sie wrde fr ein Leben ausreichen , und ich h„tte fast geweint ; sie sagte es so , daá ich berzeugt war : sie hatte gewuát , daá ich kommen wrde , jedenfalls war sie nicht vollkommen berrascht . 000471 000054 " nein , nein " , sagte ich , " ich gehe nicht - wohin sollte ich denn gehen ? " . 000472 000054 sie schttelte den Kopf . 000473 000054 " soll ich mir zwanzig Mark leihen und nach K”ln fahren - und dich dann sp„ter heiraten ? " . 000474 000054 - " nein " , sagte sie , " fahr nicht nach K”ln " . 000475 000054 ich sah sie an und hatte kaum noch Angst . 000476 000054 ich war kein Kind mehr , und sie war eine Frau , ich blickte dorthin , wo sie den Bademantel zusammenhielt , ich blickte auf ihren Tisch am Fenster und war froh , daá kein Schulkram da herumlag : nur N„hzeug und ein Schnittmuster . 000477 000054 ich lief in den Laden runter , schloá ihn ab und legte den Schlssel dahin , wo er schon seit fnfzig Jahren hingelegt wird : zwischen die Seidenkissen und die Stterlinhefte . 000478 000054 als ich wieder raufkam , saá sie weinend auf ihrem Bett . 000479 000054 ich setzte mich auch auf ihr Bett , an die andere Ecke , zndete eine Zigarette an , gab sie ihr , und sie rauchte die erste Zigarette ihres Lebens , ungeschickt ; wir muáten lachen , sie blies den Rauch so komisch aus ihrem gespitzten Mund , daá es fast kokett aussah , und als er ihr zuf„llig einmal aus der Nase herauskam , lachte ich : es sah so verworfen aus . 000480 000054 schlieálich fingen wir an zu reden , und wir redeten viel . 000481 000054 sie sagte , sie denke an die Frauen in K”ln , die " diese Sache " fr Geld machten und wohl glaubten , sie w„re mit Geld zu bezahlen , aber es w„re nicht mit Geld zu bezahlen , und so stnden alle Frauen , deren M„nner dorthin gingen , in ihrer Schuld , und sie wolle nicht in der Schuld dieser Frauen stehen . 000482 000054 auch ich redete viel , ich sagte , daá ich alles , was ich ber die sogenannte k”rperliche Liebe und ber die andere Liebe gelesen h„tte , fr Unsinn hielte . 000483 000055 ich k”nnte das nicht voneinander trennen , und sie fragte mich , ob ich sie denn sch”n f„nde und sie liebte , und ich sagte , sie sei das einzige M„dchen , mit dem ich " diese Sache " tun wollte , und ich h„tte immer nur an sie gedacht , wenn ich an die Sache gedacht h„tte , auch schon im Internat ; immer nur an sie . 000484 000055 schlieálich stand Marie auf und ging ins Badezimmer , w„hrend ich auf ihrem Bett sitzenblieb , weiterrauchte und an die scheuálichen Pillen dachte , die ich hatte in die Gosse rollen lassen . 000485 000055 ich bekam wieder Angst , ging zum Badezimmer rber , klopfte an , Marie z”gerte einen Augenblick , bevor sie ja sagte , dann ging ich rein , und sobald ich sie sah , war die Angst wieder weg . 000486 000055 ihr liefen die Tr„nen bers Gesicht , w„hrend sie sich Haarwasser ins Haar massierte , dann puderte sie sich , und ich sagte : " was machst du denn da ? " . 000487 000055 und sie sagte : " ich mach mich sch”n " . 000488 000055 die Tr„nen gruben kleine Rillen in den Puder , den sie viel zu dick auftrug , und sie sagte : " willst du nicht doch wieder gehn ? " . 000489 000055 und ich sagte : " nein " . 000490 000055 sie betupfte sich noch mit K”lnisch Wasser , w„hrend ich auf der Kante der Badewanne saá und mir berlegte , ob zwei Stunden wohl ausreichen wrden ; mehr als eine halbe Stunde hatten wir schon verschw„tzt . 000491 000055 in der Schule hatte es Spezialisten fr diese Fragen gegeben : wie schwer es sei , ein M„dchen zur Frau zu machen , und ich hatte dauernd Gunther im Kopf , der Siegfried vorschicken muáte , und dachte an das frchterliche Nibelungengemetzel , das dieser Sache wegen entstanden war , und wie ich in der Schule , als wir die Nibelungensage durchnahmen , aufgestanden war und zu Pater Wunibald gesagt hatte : " eigentlich war Brunhild doch Siegfrieds Frau " , und er hatte gel„chelt und gesagt : " aber verheiratet war er mit Krimhild , mein Junge " , und ich war wtend geworden und hatte behauptet , das w„re eine Auslegung , die ich als " pf„ffisch " empf„nde . 000492 000056 Pater Wunibald wurde wtend , klopfte mit dem Finger aufs Pult , berief sich auf seine Autorit„t und verbat sich eine " derartige Beleidigung " . 000493 000056 ich stand auf und sagte zu Marie : " wein doch nicht " , und sie h”rte auf zu weinen und machte mit der Puderquaste die Tr„nenrillen wieder glatt . 000494 000056 bevor wir auf ihr Zimmer gingen , blieben wir im Flur noch am Fenster stehen und blickten auf die Straáe : es war Januar , die Straáe naá , gelb die Lichter ber dem Asphalt , grn die Reklame ber dem Gemseladen drben : Emil Schmitz . 000495 000056 ich kannte Schmitz , wuáte aber nicht , daá er Emil mit Vornamen hieá , und der Vorname Emil kam mir bei dem Nachnamen Schmitz unpassend vor . 000496 000056 bevor wir in Maries Zimmer gingen , ”ffnete ich die Tr einen Spalt und knipste drinnen das Licht aus . 000497 000056 als ihr Vater nach Hause kam , schliefen wir noch nicht ; es war fast elf , wir h”rten , wie er unten in den Laden ging , sich Zigaretten zu holen , bevor er die Treppe heraufkam . 000498 000056 wir dachten beide , er msse etwas merken : es war doch etwas so Ungeheures passiert . 000499 000056 aber er merkte nichts , lauschte nur einen Augenblick an der Tr und ging nach oben . 000500 000056 wir h”rten , wie er seine Schuhe auszog , auf den Boden warf , wir h”rten ihn sp„ter im Schlaf husten . 000501 000056 ich dachte darber nach , wie er die Sache hinnehmen wrde . 000502 000056 er war nicht mehr katholisch , schon lange aus der Kirche ausgetreten , und er hatte bei mir immer auf die " verlogene sexuelle Moral der brgerlichen Gesellschaft " geschimpft und war wtend " ber den Schwindel , den die Pfaffen mit der Ehe treiben " . 000503 000057 aber ich war nicht sicher , ob er das , was ich mit Marie getan hatte , ohne Krach hinnehmen wrde . 000504 000057 ich hatte ihn sehr gern und er mich , und ich war versucht , mitten in der Nacht aufzustehen , auf sein Zimmer zu gehen , ihm alles zu sagen , aber dann fiel mir ein , daá ich alt genug war , einundzwanzig , Marie auch alt genug , neunzehn , und daá bestimmte Formen m„nnlicher Aufrichtigkeit peinlicher sind als Schweigen , und auáerdem fand ich : es ging ihn gar nicht so viel an , wie ich gedacht hatte . 000505 000057 ich h„tte ja wohl kaum am Nachmittag zu ihm gehen und ihm sagen k”nnen : " Herr Derkum , ich will diese Nacht bei Ihrer Tochter schlafen " - und was geschehen war , wrde er schon erfahren . 000506 000057 wenig sp„ter stand Marie auf , káte mich im Dunkeln und zog die Bettw„sche ab . 000507 000057 es war ganz dunkel im Zimmer , von drauáen kam kein Licht rein , wir hatten die dicken Vorh„nge zugezogen , und ich dachte darber nach , woher sie wuáte , was jetzt zu tun war : die Bettw„sche abziehen und das Fenster ”ffnen . 000508 000057 sie flsterte mir zu : ich geh ins Badezimmer , wasch du dich hier , und sie zog mich an der Hand aus dem Bett , fhrte mich im Dunkeln an der Hand in die Ecke , wo ihre Waschkommode stand , fhrte meine Hand an den Waschkrug , die Seifenschssel , die Waschschssel und ging mit den Bettchern unterm Arm raus . 000509 000057 ich wusch mich , legte mich wieder ins Bett und wunderte mich , wo Marie so lange mit der sauberen W„sche blieb . 000510 000057 ich war todmde , froh , daá ich , ohne in Angstzust„nde zu fallen , an den verflixten Gunther denken konnte , und bekam dann Angst , es k”nnte Marie irgendetwas passiert sein . 000511 000057 im Internat hatten sie frchterliche Einzelheiten erz„hlt . 000512 000057 es war nicht angenehm , ohne Bettw„sche da auf der Matratze zu liegen , sie war alt und durchgelegen , ich hatte nur mein Unterhemd an und fror . 000513 000058 ich dachte wieder an Maries Vater . 000514 000058 alle hielten ihn fr einen Kommunisten , aber als er nach dem Krieg Brgermeister werden sollte , hatten die Kommunisten dafr gesorgt , daá er's nicht wurde , und jedesmal , wenn ich anfing , die Nazis mit den Kommunisten zu vergleichen , wurde er wtend und sagte : " es ist schon ein Unterschied , Junge , ob einer in einem Krieg f„llt , den eine Schmierseifenfirma fhrt - oder ob er fr eine Sache stirbt , an die einer glauben kann " . 000515 000058 was er wirklich war , weiá ich bis heute nicht , und als Kinkel ihn einmal in meiner Gegenwart einen " genialen Sektierer " nannte , war ich drauf und dran , Kinkel ins Gesicht zu spucken . 000516 000058 der alte Derkum war einer der wenigen M„nner , die mir Respekt eingefl”át haben . 000517 000058 er war mager und bitter , viel jnger , als er aussah , und vom vielen Zigarettenrauchen hatte er Atembeschwerden . 000518 000058 ich h”rte ihn die ganze Zeit ber , w„hrend ich auf Marie wartete , da oben im Schlafzimmer husten , kam mir gemein vor , und wuáte doch , daá ichs nicht war . 000519 000058 er hatte einmal zu mir gesagt : " weiát du auch , warum in den herrschaftlichen H„usern , wie dein Elternhaus eins ist , die Dienstm„dchenzimmer immer neben den Zimmern fr die heranwachsenden Jungen liegen ? . 000520 000058 ich will es dir sagen : es ist eine uralte Spekulation auf die Natur und die Barmherzigkeit " . 000521 000058 ich wnschte , er w„re runtergekommen und h„tte mich in Maries Bett berrascht , aber raufgehen und sozusagen Meldung erstatten , das wollte ich nicht . 000522 000058 es wurde schon hell drauáen . 000523 000058 mir war kalt , und die Sch„bigkeit von Maries Zimmer bedrckte mich . 000524 000058 die Derkums galten schon lange als heruntergekommen , und der Abstieg wurde dem " politischen Fanatismus " von Maries Vater zugeschrieben . 000525 000059 sie hatten eine kleine Druckerei gehabt , einen kleinen Verlag , eine Buchhandlung , aber jetzt hatten sie nur noch diesen kleinen Schreibwarenladen , in dem sie auch Sáigkeiten an Schulkinder verkauften . 000526 000059 mein Vater hatte einmal zu mir gesagt : " da siehst du , wie weit Fanatismus einen Menschen treiben kann - dabei hat Derkum nach dem Krieg als politisch Verfolgter die besten Chancen gehabt , seine eigene Zeitung zu bekommen " . 000527 000059 merkwrdigerweise hatte ich den alten Derkum nie fanatisch gefunden , aber vielleicht hatte mein Vater Fanatismus und Konsequenz miteinander verwechselt . 000528 000059 Maries Vater verkaufte nicht einmal Gebetbcher , obwohl das eine M”glichkeit gewesen w„re , besonders vor den weiáen Sonntagen ein biáchen Geld zu verdienen . 000529 000059 als es hell in Maries Zimmer wurde , sah ich , wie arm sie wirklich waren : sie hatte drei Kleider im Schrank h„ngen : das dunkelgrne , von dem ich das Gefhl hatte , es schon seit einem Jahrhundert an ihr gesehen zu haben , ein gelbliches , das fast ganz verschlissen war , und das merkwrdige dunkelblaue Kostm , das sie immer in der Prozession trug , der alte flaschengrne Wintermantel und nur drei Paar Schuhe . 000530 000059 einen Augenblick lang sprte ich die Versuchung aufzustehen , die Schubladen zu ”ffnen und mir ihre W„sche anzusehen , aber dann lieá ich es . 000531 000059 ich glaube , nicht einmal , wenn ich mit einer Frau richtig verheiratet w„re , wrde ich mir deren W„sche ansehen . 000532 000059 ihr Vater hustete schon lange nicht mehr . 000533 000059 es war schon sechs vorber , als Marie endlich aus dem Badezimmer kam . 000534 000059 ich war froh , daá ich mit ihr getan hatte , was ich immer mit ihr hatte tun wollen , ich káte sie und war glcklich , daá sie l„chelte . 000535 000060 ich sprte ihre H„nde an meinem Hals : eiskalt , und ich fragte sie flsternd : " was hast du denn gemacht ? " . 000536 000060 sie sagte : " was soll ich wohl gemacht haben , ich habe die Bettw„sche ausgewaschen . 000537 000060 ich h„tte dir gern frische gebracht , aber wir haben nur vier Paar , immer zwei auf den Betten und zwei in der W„sche " . 000538 000060 ich zog sie neben mich , deckte sie zu und legte ihre eiskalten H„nde in meine Achselh”hlen , und Marie sagte , dort l„gen sie so wunderbar , warm wie V”gel in einem Nest . 000539 000060 " ich konnte die Bettw„sche doch nicht Frau Huber geben " , sagte sie , " die w„scht immer fr uns , und so h„tte die ganze Stadt teilgenommen an dem , was wir getan haben , und wegwerfen wollte ich sie auch nicht . 000540 000060 ich dachte einen Augenblick lang daran , sie wegzuwerfen , aber dann fand ich es doch zu schade " . 000541 000060 - " hast du denn kein warmes Wasser gehabt ? " fragte ich , und sie sagte : " nein , der Boiler ist schon lange kaputt " . 000542 000060 dann fing sie ganz pl”tzlich an zu weinen , und ich fragte sie , warum sie denn jetzt weine , und sie flsterte : " mein Gott , ich bin doch katholisch , das weiát du doch - " und ich sagte , daá jedes andere M„dchen , evangelisch oder ungl„ubig , wahrscheinlich auch weinen wrde , und ich wáte sogar , warum ; sie blickte mich fragend an , und ich sagte : " weil es wirklich so etwas wie Unschuld gibt " . 000543 000060 sie weinte weiter , und ich fragte nicht , warum sie weine . 000544 000060 ich wuáte es : sie hatte diese M„dchengruppe schon ein paar Jahre und war immer mit der Prozession gegangen , hatte bestimmt mit den M„dchen dauernd von der Jungfrau Maria gesprochen - und nun kam sie sich wie eine Betrgerin oder Verr„terin vor . 000545 000060 ich konnte mir vorstellen , wie schlimm es fr sie war . 000546 000060 es war wirklich schlimm , aber ich hatte nicht l„nger warten k”nnen . 000547 000060 ich sagte , ich wrde mit den M„dchen sprechen , und sie schrak hoch und sagte : " was - mit wem ? " . 000548 000061 - " mit den M„dchen aus deiner Gruppe " , sagte ich , " es ist wirklich eine schlimme Sache fr dich , und wenn es hart auf hart kommt , kannst du meinetwegen sagen , ich h„tte dich vergewaltigt " . 000549 000061 sie lachte und sagte : " nein , das ist Unsinn , was willst du denn den M„dchen sagen ? " . 000550 000061 ich sagte : " ich werde nichts sagen , ich werde einfach vor ihnen auftreten , ein Paar Nummern vorfhren und Imitationen machen , und sie werden denken : ach , das ist also dieser Schnier , der mit Marie diese Sache getan hat - dann ist es schon ganz anders , als wenn da nur herumgeflstert wird " . 000551 000061 sie berlegte , lachte wieder und sagte leise : " du bist nicht dumm " . 000552 000061 dann weinte sie pl”tzlich wieder und sagte : " ich kann mich hier nicht mehr blicken lassen " . 000553 000061 ich fragte : " warum ? " aber sie weinte nur und schttelte den Kopf . 000554 000061 ihre H„nde in meinen Achselh”hlen wurden warm , und je w„rmer ihre H„nde wurden , desto schl„friger wurde ich . 000555 000061 bald waren es ihre H„nde , die mich w„rmten , und als sie mich wieder fragte , ob ich sie denn liebe und sch”n f„nde , sagte ich , das sei doch selbstverst„ndlich , aber sie meinte , sie h”re das Selbstverst„ndliche so gern , und ich murmelte schl„frig , ja , ja , ich f„nde sie sch”n und liebte sie . 000556 000061 ich wurde wach , als Marie aufstand , sich wusch und anzog . 000557 000061 sie sch„mte sich nicht , und mir war es selbstverst„ndlich , ihr dabei zuzusehen . 000558 000061 es war noch deutlicher als eben : wie „rmlich sie gekleidet war . 000559 000061 w„hrend sie alles zuband und zukn”pfte , dachte ich an die vielen hbschen Dinge , die ich ihr kaufen wrde , wenn ich Geld h„tte . 000560 000061 ich hatte schon oft vor Modegesch„ften gestanden und mir R”cke und Pullover , Schuhe und Taschen angesehen und mir vorgestellt , wie ihr das alles stehen wrde , aber ihr Vater hatte so strikte Vorstellungen von Geld , daá ich nie gewagt h„tte , ihr etwas mitzubringen . 000561 000062 er hatte mir einmal gesagt : " es ist schrecklich , arm zu sein , schlimm ist aber auch , so gerade hinzukommen , ein Zustand , in dem sich die meisten Menschen befinden " . 000562 000062 - " und reich zu sein ? " hatte ich gefragt , " wie ist das ? " . 000563 000062 ich war rot geworden . 000564 000062 er hatte mich scharf angesehen , war auch rot geworden und hatte gesagt : " Junge , das kann schlimm werden , wenn du das Denken nicht aufgibst . 000565 000062 wenn ich noch Mut und den Glauben h„tte , daá man in dieser Welt etwas ausrichten kann , weiát du , was ich tun wrde ? " . 000566 000062 - " nein " , sagte ich . 000567 000062 " ich wrde " , sagte er und wurde wieder rot , " irgend eine Gesellschaft grnden , die sich um die Kinder reicher Leute kmmert . 000568 000062 die Dummk”pfe wenden den Begriff asozial immer nur auf die Armen an " . 000569 000062 mir ging viel durch den Kopf , w„hrend ich Marie beim Ankleiden zusah . 000570 000062 es machte mich froh und auch unglcklich , wie selbstverst„ndlich fr sie ihr K”rper war . 000571 000062 sp„ter , als wir miteinander von Hotel zu Hotel zogen , bin ich morgens immer im Bett geblieben , um ihr zusehen zu k”nnen , wie sie sich wusch und anzog , und wenn das Badezimmer so ungnstig lag , daá ich ihr vom Bett aus nicht zusehen konnte , legte ich mich in die Wanne . 000572 000062 an diesem Morgen in ihrem Zimmer w„re ich am liebsten liegen geblieben und wnschte , sie wrde nie mit Anziehen fertig . 000573 000062 sie wusch sich grndlich Hals , Arme und Brust und putzte sich eifrig die Z„hne . 000574 000062 ich selbst habe mich immer m”glichst vor dem Waschen am Morgen gedrckt , und Z„hneputzen ist mir immer noch ein Greuel . 000575 000062 ich ziehe die Badewanne vor , aber ich sah Marie immer gern dabei zu , sie war so sauber und alles so selbstverst„ndlich , sogar die kleine Bewegung , mit der sie den Deckel auf die Zahnpastatube schraubte . 000576 000063 ich dachte auch an meinen Bruder Leo , der sehr fromm war , gewissenhaft und genau , und der immer wieder betonte , er " glaube " an mich . 000577 000063 er stand auch vor dem Abitur , und er sch„mte sich irgendwie , daá ers geschafft hatte , mit neunzehn , ganz normal , w„hrend ich mit einundzwanzig mich immer noch in der Untersekunda ber die betrgerische Interpretation des Nibelungenlieds „rgerte . 000578 000063 Leo kannte sogar Marie von irgendwelchen Arbeitsgemeinschaften her , wo katholische und evangelische Jugendliche ber Demokratie und ber konfessionelle Toleranz diskutierten . 000579 000063 wir beide , Leo und ich , betrachteten unsere Eltern nur noch als eine Art Heimleiterehepaar . 000580 000063 es war fr Leo ein frchterlicher Schock gewesen , als er erfuhr , daá Vater schon seit fast zehn Jahren eine Geliebte hat . 000581 000063 auch fr mich war es ein Schock , aber kein moralischer , ich konnte mir schon vorstellen , daá es schlimm sein muáte , mit meiner Mutter verheiratet zu sein , deren trgerische Sanftmut eine I:- und E:-Sanftmut war . 000582 000063 sie sprach selten einen Satz , in dem ein A: , O: oder U: vorgekommen w„re , und es war typisch fr sie , daá sie Leos Namen in Le abgekrzt hatte . 000583 000063 ihr Lieblingssatz war : " wir sehen die Dinge eben verschieden " - der zweitliebste Satz war : " im Prinzip habe ich recht , ich bin bereit , gewisse Dinge zu ventilieren " . 000584 000063 fr mich war die Tatsache , daá Vater eine Geliebte hat , eher ein „sthetischer Schock : es paáte gar nicht zu ihm . 000585 000063 er ist weder leidenschaftlich noch vital , und wenn ich nicht annehmen muáte , daá sie nur eine Art Krankenschwester oder Seelenbadefrau fr ihn war ( wobei wieder der pathetische Ausdruck Geliebte nicht zutrifft ) , so war das Unordentliche daran , daá es nicht zu Vater paáte . 000586 000064 tats„chlich war sie einfach eine liebe , hbsche , nicht wahnsinnig intelligente S„ngerin , der er nicht einmal zus„tzliche Engagements oder Konzerte verschaffte . 000587 000064 dazu war er wieder zu korrekt . 000588 000064 mir kam die Sache reichlich verworren vor , fr Leo wars bitter . 000589 000064 er war in seinen Idealen getroffen , und meine Mutter wuáte Leos Zustand nicht anders zu umschreiben als " Le ist in einer Krise " , und als er dann eine Klassenarbeit fnf schrieb , wollte sie Leo zu einem Psychologen schleppen . 000590 000064 es gelang mir , das zu verhindern , indem ich ihm zun„chst einmal alles erz„hlte , was ich ber diese Sache , die Mann und Frau miteinander tun , wuáte , und ihm so intensiv bei den Schularbeiten half , daá er die n„chsten Arbeiten wieder drei und zwei schrieb - und dann hielt meine Mutter den Psychologen nicht mehr fr notwendig . 000591 000064 Marie zog das dunkelgrne Kleid an , und obwohl sie Schwierigkeiten mit dem Reiáverschluá hatte , stand ich nicht auf , ihr zu helfen : es war so sch”n anzusehen , wie sie sich mit den H„nden auf den Rcken griff , ihre weiáe Haut , das dunkle Haar und das dunkelgrne Kleid ; ich war auch froh zu sehen , daá sie nicht nerv”s dabei wurde ; sie kam schlieálich ans Bett , und ich richtete mich auf und zog den Reiáverschluá zu . 000592 000064 ich fragte sie , warum sie denn so schrecklich frh aufstehe , und sie sagte , ihr Vater schliefe erst gegen morgen richtig ein und wrde bis neun im Bett bleiben , und sie msse die Zeitungen unten reinnehmen und den Laden aufmachen , denn manchmal k„men die Schulkinder schon vor der Messe , um Hefte zu kaufen , Bleistifte , Bonbons , und " auáerdem " , sagte sie , " ist es besser , wenn du um halb acht aus dem Haus bist . 000593 000064 ich mache jetzt Kaffee , und in fnf Minuten kommst du leise in die Kche runter " . 000594 000065 ich kam mir fast verheiratet vor , als ich in die Kche runterkam , Marie mir Kaffee einschenkte und mir ein Br”tchen zurechtmachte . 000595 000065 sie schttelte den Kopf und sagte : " nicht gewaschen , nicht gek„mmt , kommst du immer so zum Frhstck ? " und ich sagte ja , nicht einmal im Internat h„tten sie es fertig gebracht , mich zum regelm„áigen Waschen am frhen Morgen zu erziehen . 000596 000065 " aber was machst du denn ? " fragte sie , " irgendwie muát du dich doch frisch machen ? " . 000597 000065 " ich reibe mich immer mit K”lnisch Wasser ab " , sagte ich . 000598 000065 " das ist ziemlich teuer " , sagte sie und wurde sofort rot . 000599 000065 " ja " , sagte ich , " aber ich bekomme es immer geschenkt , eine groáe Flasche , von einem Onkel , der Generalvertreter fr das Zeug ist " . 000600 000065 ich sah mich vor Verlegenheit in der Kche um , die ich so gut kannte : sie war klein und dunkel , nur eine Art Hinterzimmer zum Laden ; in der Ecke der kleine Herd , in dem Marie die Briketts bei Glut gehalten hatte , auf die Weise wie alle Hausfrauen es tun : sie wickelt sie abends in nasses Zeitungspapier , stochert morgens die Glut hoch und entfacht mit Holz und frischen Briketts das Feuer . 000601 000065 ich hasse diesen Geruch von Brikettasche , der morgens in den Straáen h„ngt und an diesem Morgen in der muffigen kleinen Kche hing . 000602 000065 es war so eng , daá Marie jedesmal , wenn sie den Kaffeetopf vom Herd nahm , aufstehen und den Stuhl wegschieben muáte , und wahrscheinlich hatten ihre Groámutter und ihre Mutter es genau so machen mssen . 000603 000065 an diesem Morgen kam mir die Kche , die ich so gut kannte , zum ersten Mal allt„glich vor . 000604 000065 vielleicht erlebte ich zum ersten Mal , was Alltag ist : Dinge tun mssen , bei denen nicht mehr die Lust dazu entscheidet . 000605 000065 ich hatte keine Lust , dieses enge Haus je wieder zu verlassen und drauáen irgendwelche Pflichten auf mich zu nehmen ; die Pflicht , fr das , was ich mit Marie getan hatte , einzustehen , bei den M„dchen , bei Leo , sogar meine Eltern wrden es irgendwo erfahren . 000606 000066 ich w„re am liebsten hier geblieben und h„tte bis an mein Lebensende Bonbons und Stterlinhefte verkauft , mich abends mit Marie oben ins Bett gelegt und bei ihr geschlafen , richtig geschlafen bei ihr , so wie die letzten Stunden vor dem Aufstehen , mit ihren H„nden unter meinen Achseln . 000607 000066 ich fand es furchtbar und groáartig , diesen Alltag , mit Kaffeetopf und Br”tchen und Maries verwaschener blauweiáer Schrze ber dem grnen Kleid , und mir schien , als sei nur Frauen der Alltag so selbstverst„ndlich wie ihr K”rper . 000608 000066 ich war stolz darauf , daá Marie meine Frau war , und fhlte mich selbst nicht ganz so erwachsen , wie ich mich von jetzt an wrde verhalten mssen . 000609 000066 ich stand auf , ging um den Tisch herum , nahm Marie in die Arme und sagte : " weiát du noch , wie du nachts aufgestanden bist und die Bettcher gewaschen hast ? " . 000610 000066 sie nickte . 000611 000066 " und ich vergesse nicht " , sagte sie , " wie du meine H„nde unter den Achseln gew„rmt hast - jetzt muát du gehen , es ist gleich halb acht , und die ersten Kinder kommen " . 000612 000066 ich half ihr , die Zeitungspakete von drauáen hereinzuholen und auszupacken . 000613 000066 drben kam gerade Schmitz mit seinem Gemseauto vom Markt , und ich sprang in den Flur zurck , damit er mich nicht sehen sollte - aber er hatte mich schon gesehen . 000614 000066 nicht einmal der Teufel kann so scharfe Augen haben wie Nachbarn . 000615 000066 ich stand da im Laden und blickte auf die frischen Morgenzeitungen , auf die die meisten M„nner so verrckt sind . 000616 000066 mich interessieren Zeitungen nur abends oder in der Badewanne , und in der Badewanne kommen mir die seri”sesten Morgenzeitungen so unseri”s wie Abendzeitungen vor . 000617 000067 die Schlagzeile an diesem Morgen lautete : " Strauá : mit voller Konsequenz ! " . 000618 000067 vielleicht w„re es doch besser , die Abfassung eines Leitartikels oder der Schlagzeilen einer kybernetischen Maschine zu berlassen . 000619 000067 es gibt Grenzen , ber die hinaus Schwachsinn unterbunden werden sollte . 000620 000067 die Ladenklingel ging , ein kleines M„dchen , acht oder neun Jahre alt , schwarzhaarig mit roten Wangen und frisch gewaschen , das Gebetbuch unterm Arm , kam in den Laden . 000621 000067 " Seidenkissen " , sagte sie , " fr einen Groschen " . 000622 000067 ich wuáte nicht , wieviel Seidenkissen es fr einen Groschen gab , ich machte das Glas auf und z„hlte zwanzig Stck in eine Tte und sch„mte mich zum ersten Mal meiner nicht ganz sauberen Finger , die durch das dicke Bonbonglas noch vergr”áert wurden . 000623 000067 das M„dchen sah mich erstaunt an , als zwanzig Bonbons in die Tte fielen , aber ich sagte : " stimmt schon , geh " , und ich nahm ihren Groschen von der Theke und warf ihn in die Kasse . 000624 000067 Marie lachte , als sie zurckkam und ich ihr stolz den Groschen zeigte . 000625 000067 " jetzt muát du gehen " , sagte sie . 000626 000067 " warum eigentlich ? " fragte ich , " kann ich nicht warten , bis dein Vater herunterkommt ? " . 000627 000067 " wenn er herunterkommt , um neun , muát du wieder hier sein . 000628 000067 geh " , sagte sie , " du muát es deinem Bruder Leo sagen , bevor ers von irgend jemand anderem erf„hrt " . 000629 000067 " ja " , sagte ich , " du hast recht - und du " , ich wurde schon wieder rot , " muát du nicht zur Schule ? " . 000630 000067 " ich geh heute nicht " , sagte sie , " nie mehr gehe ich . 000631 000067 komm rasch zurck " . 000632 000067 es fiel mir schwer , von ihr wegzugehen , sie brachte mich bis zur Ladentr , und ich káte sie in der offenen Tr , so daá Schmitz und seine Frau drben es sehen konnten . 000633 000067 sie glotzten herber wie Fische , die pl”tzlich berrascht entdecken , daá sie den Angelhaken schon lange verschluckt haben . 000634 000068 ich ging weg , ohne mich umzusehen . 000635 000068 mir war kalt , ich schlug den Rockkragen hoch , steckte mir eine Zigarette an , machte einen kleinen Umweg ber den Markt , ging die Franziskanerstraáe runter und sprang an der Ecke Koblenzer Straáe auf den fahrenden Bus , die Schaffnerin drckte mir die Tr auf , drohte mir mit dem Finger , als ich bei ihr stehen blieb , um zu bezahlen , und deutete kopfschttelnd auf meine Zigarette . 000636 000068 ich knipste sie aus , schob den Rest in meine Rocktasche und ging zur Mitte durch . 000637 000068 ich stand nur da , blickte auf die Koblenzer Straáe und dachte an Marie . 000638 000068 irgend etwas in meinem Gesicht schien den Mann , neben dem ich stand , wtend zu machen . 000639 000068 er senkte sogar die Zeitung , verzichtete auf sein " Strauá : mit voller Konsequenz ! " , schob seine Brille vorne auf die Nase , sah mich kopfschttelnd an und murmelte " unglaublich " . 000640 000068 die Frau , die hinter ihm saá - ich war fast ber einen Sack voll M”hren , den sie neben sich stehen hatte , gestolpert - nickte zu seinem Kommentar , schttelte auch den Kopf und bewegte lautlos ihre Lippen . 000641 000068 ich hatte mich sogar ausnahmsweise vor Maries Spiegel mit ihrem Kamm gek„mmt , trug meine graue , saubere , ganz normale Jacke , und mein Bartwuchs war nie so stark , daá ein Tag ohne Rasur mich zu einer " unglaublichen " Erscheinung h„tte machen k”nnen . 000642 000068 ich bin weder zu groá , noch zu klein , und meine Nase ist nicht so lang , daá sie in meinem Paá unter besondere Merkmale eingetragen ist . 000643 000068 dort steht : keine . 000644 000068 ich war weder schmutzig noch betrunken , und doch regte die Frau mit dem M”hrensack sich auf , mehr als der Mann mit der Brille , der schlieálich nach einem letzten verzweifelten Kopfschtteln seine Brille wieder hochschob und sich mit Strauáens Konsequenzen besch„ftigte . 000645 000069 die Frau fluchte lautlos vor sich hin , machte unruhige Kopfbewegungen , um den brigen Fahrg„sten mitzuteilen , was ihre Lippen nicht preisgaben . 000646 000069 ich weiá bis heute nicht , wie Juden aussehen , sonst k”nnte ich ermessen , ob sie mich fr einen gehalten hat , ich glaube eher , daá es nicht an meinem Žuáeren lag , eher an meinem Blick , wenn ich aus dem Bus auf die Straáe blickte und an Marie dachte . 000647 000069 mich machte diese stumme Feindseligkeit nerv”s , ich stieg eine Station zu frh aus , und ich ging zu Fuá das Stck die Ebertallee hinunter , bevor ich zum Rhein hin abschwenkte . 000648 000069 die St„mme der Buchen in unserem Park waren schwarz , noch feucht , der Tennisplatz frischgewalzt , rot , vom Rhein her h”rte ich das Hupen der Schleppk„hne , und als ich in den Flur trat , h”rte ich Anna in der Kche leise vor sich hinschimpfen . 000649 000069 ich verstand immer nur " ... kein gutes Ende - gutes Ende - kein " . 000650 000069 ich rief in die offene Kchentr hinein : " fr mich kein Frhstck , Anna " , ging rasch weiter und blieb im Wohnzimmer stehen . 000651 000069 so dunkel war mir die Eichent„felung , die Holzgalerie mit Humpen und Jagdtroph„en noch nie vorgekommen . 000652 000069 nebenan im Musikzimmer spielte Leo eine Mazurka von Chopin . 000653 000069 er hatte damals vor , Musik zu studieren , stand morgens um halb sechs auf , um vor Schulbeginn noch zu ben . 000654 000069 was er spielte , versetzte mich in eine sp„tere Tageszeit , und ich vergaá auch , daá Leo spielte . 000655 000069 Leo und Chopin passen nicht zueinander , aber er spielte so gut , daá ich ihn vergaá . 000656 000069 von den „lteren Komponisten sind mir Chopin und Schubert die liebsten . 000657 000069 ich weiá , daá unser Musiklehrer recht hatte , wenn er Mozart himmlisch , Beethoven groáartig , Gluck einzigartig und Bach gewaltig nannte ; ich weiá . 000658 000070 Bach kommt mir immer vor wie eine dreiáigb„ndige Dogmatik , die mich in Erstaunen versetzt . 000659 000070 aber Schubert und Chopin sind so irdisch , wie ich es wohl bin . 000660 000070 ich h”re sie am liebsten . 000661 000070 im Park , zum Rhein hin , sah ich vor den Trauerweiden die Schieáscheiben in Groávaters Schieástand sich bewegen . 000662 000070 offenbar war Fuhrmann beauftragt , sie zu ”len . 000663 000070 mein Groávater trommelt manchmal ein paar " alte Knaben " zusammen , dann stehen fnfzehn Riesenautos im kleinen Rondell vor dem Haus , fnfzehn Chauffeure stehen fr”stelnd zwischen den Hecken und B„umen oder spielen gruppenweise auf den Steinb„nken Skat , und wenn einer von den " alten Knaben " eine Zw”lf geschossen hat , h”rt man bald drauf einen Sektpfropfen knallen . 000664 000070 manchmal hatte Groávater mich rufen lassen , und ich hatte den alten Knaben ein paar Faxen vorgemacht , Adenauer imitiert , oder Erhard - was auf eine deprimierende Weise einfach ist , oder ich hatte ihnen kleine Nummern vorgefhrt : Manager im Speisewagen . 000665 000070 und wie boshaft ich es auch zu machen versucht hatte , sie hatten sich totgelacht , " k”stlich amsiert " , und wenn ich anschlieáend mit einem leeren Patronenkarton oder einem Tablett rundging , hatten sie meistens Scheine geopfert . 000666 000070 mit diesen zynischen alten Knackern verstand ich mich ganz gut , ich hatte nichts mit ihnen zu tun , mit chinesischen Mandarinen h„tte ich mich genausogut verstanden . 000667 000070 einige hatten sich sogar zu Kommentaren meinen Darbietungen gegenber verstiegen " kolossal " - " groáartig " . 000668 000070 manche hatten sogar mehr als ein Wort gesagt : " der Junge hat's in sich " oder " in dem steckt noch was " . 000669 000071 w„hrend ich Chopin h”rte , dachte ich zum erstenmal daran , Engagements zu suchen , um ein biáchen Geld zu verdienen . 000670 000071 ich k”nnte Groávater bitten , mich als Alleinunterhalter bei Kapitalistenversammlungen zu empfehlen , oder zur Aufheiterung nach Aufsichtsratssitzungen . 000671 000071 ich hatte sogar schon eine Nummer " Aufsichtsrat " einstudiert . 000672 000071 als Leo ins Zimmer kam , war Chopin sofort weg ; Leo ist sehr groá , blond , mit seiner randlosen Brille sieht er aus , wie ein Superintendent aussehen máte oder ein schwedischer Jesuit . 000673 000071 die scharfen Bgelfalten seiner dunklen Hose nahmen den letzten Hauch Chopin weg , der weiáe Pullover ber der scharfgebgelten Hose wirkte peinlich , wie der Kragen des roten Hemdes , das ber dem weiáen Pullover zu sehen war . 000674 000071 ein solcher Anblick - wenn ich sehe , wie jemand vergeblich versucht , gelockert auszusehen - versetzt mich immer in tiefe Melancholie , wie anspruchsvolle Vornamen , Ethelbert , Gerentrud . 000675 000071 ich sah auch wieder , wie Leo Henriette „hnlich sieht , ohne ihr zu gleichen : die Stupsnase , die blauen Augen , der Haaransatz - aber nicht ihren Mund , und alles , was an Henriette hbsch und beweglich wirkte , ist an ihm rhrend und steif . 000676 000071 man sieht ihm nicht an , daá er der beste Turner in der Klasse ist ; er sieht aus wie ein Junge , der vom Turnen befreit ist , hat aber ber seinem Bett ein halbes Dutzend Sportdiplome h„ngen . 000677 000071 er kam rasch auf mich zu , blieb pl”tzlich ein paar Schritte vor mir stehen , seine verlegenen H„nde etwas seitw„rts gespreizt , und sagte : " Hans , was ist denn ? " . 000678 000071 er blickte mir in die Augen , etwas darunter , wie jemand , der einen auf einen Flecken aufmerksam machen will , und ich merkte , daá ich geweint hatte . 000679 000072 wenn ich Chopin oder Schubert h”re , weine ich immer . 000680 000072 ich nahm mit dem rechten Zeigefinger die beiden Tr„nen weg und sagte : " ich wuáte nicht , daá du so gut Chopin spielen kannst . 000681 000072 spiel die Mazurka doch noch einmal " . 000682 000072 " ich kann nicht " , sagte er , " ich muá zur Schule , wir kriegen in der ersten Stunde die Deutschthemen frs Abitur " . 000683 000072 " ich bring dich mit Mutters Auto hin " , sagte ich . 000684 000072 " ich mag nicht mit diesem dummen Auto fahren " , sagte er , " du weiát , daá ich es hasse " . 000685 000072 Mutter hatte damals von einer Freundin " wahnsinnig preiswert " einen Sportwagen bernommen , und Leo war sehr empfindlich , wenn ihm irgend etwas als Angeberei ausgelegt werden konnte . 000686 000072 es gab nur eine M”glichkeit , ihn in wilden Zorn zu versetzen : wenn jemand ihn h„nselte oder h„tschelte unserer reichen Eltern wegen , dann wurde er rot und schlug mit den F„usten um sich . 000687 000072 " mach eine Ausnahme " , sagte ich , " setz dich ans Klavier und spiel . 000688 000072 willst du gar nicht wissen , wo ich war ? " . 000689 000072 er wurde rot , blickte auf den Boden und sagte : " nein , ich will es nicht wissen " . 000690 000072 " ich war bei einem M„dchen " , sagte ich , " bei einer Frau - meiner Frau " . 000691 000072 " so ? " sagte er , ohne aufzublicken . 000692 000072 " wann hat die Trauung denn stattgefunden ? " . 000693 000072 er wuáte immer noch nicht , wohin mit seinen verlegenen H„nden , wollte pl”tzlich mit gesenktem Kopf an mir vorbeigehen . 000694 000072 ich hielt ihn am Žrmel fest . 000695 000072 " es ist Marie Derkum " , sagte ich leise . 000696 000072 er entzog mir seinen Ellenbogen , trat einen Schritt zurck und sagte : " mein Gott , nein " . 000697 000073 er sah mich b”se an und knurrte irgend etwas vor sich hin . 000698 000073 " was " , fragte ich , " was hast du gesagt ? " . 000699 000073 " daá ich jetzt doch mit dem Auto fahren muá - bringst du mich ? " . 000700 000073 ich sagte ja , nahm ihn bei der Schulter und ging neben ihm her durchs Wohnzimmer . 000701 000073 ich wollte es ihm ersparen , mich anzusehen . 000702 000073 " geh und hol die Schlssel " , sagte ich , " dir gibt Mutter sie - und vergiá die Papiere nicht - und , Leo , ich brauche Geld - hast du noch Geld ? " . 000703 000073 " auf der Kasse " , sagte er , " kannst du's dir selber holen ? " . 000704 000073 " ich weiá nicht " , sagte ich , " schick es mir lieber " . 000705 000073 " schicken ? " fragte er . 000706 000073 " willst du weggehen ? " . 000707 000073 " ja " , sagte ich . 000708 000073 er nickte und ging die Treppe hinauf . 000709 000073 erst in dem Augenblick , als er mich fragte , hatte ich gewuát , daá ich weggehen wollte . 000710 000073 ich ging in die Kche , wo Anna mich knurrend empfing . 000711 000073 " ich dachte , du wolltest kein Frhstck mehr " , sagte sie b”se . 000712 000073 " Frhstck nicht " , sagte ich , " aber Kaffee " . 000713 000073 ich setzte mich an den gescheuerten Tisch und sah Anna zu , wie sie am Herd den Filter von der Kaffeekanne nahm und ihn zum Austropfen auf eine Tasse stellte . 000714 000073 wir frhstckten immer morgens mit den M„dchen in der Kche , weil es uns zu langweilig war , im Eázimmer feierlich serviert zu bekommen . 000715 000073 um diese Zeit war nur Anna in der Kche . 000716 000073 Norette , das Zweitm„dchen , war bei Mutter im Schlafzimmer , servierte ihr das Frhstck und besprach mit ihr Garderobe und Kosmetik . 000717 000073 wahrscheinlich mahlte Mutter jetzt irgendwelche Weizenkeime zwischen ihren herrlichen Z„hnen , w„hrend irgendein Zeug , das aus Plazenten hergestellt ist , auf ihrem Gesicht liegt und Norette ihr aus der Zeitung vorliest . 000718 000074 vielleicht waren sie auch jetzt erst beim Morgengebet , das sich aus Goethe und Luther zusammensetzt und meistens einen Zusatz moralischer Aufrstung erh„lt , oder Norette las meiner Mutter aus den gesammelten Prospekten fr Abfhrmittel vor . 000719 000074 sie hat ganze Schnellhefter voll Medikamentenprospekte , getrennt nach " Verdauung " , " Herz " , " Nerven " , und wenn sie irgendwo eines Arztes habhaft werden kann , informiert sie sich nach " Neuerscheinungen " , spart dabei das Honorar fr eine Konsultation . 000720 000074 wenn einer der Žrzte ihr dann Probepackungen schickt , ist sie selig . 000721 000074 ich sah Annas Rcken an , daá sie den Augenblick scheute , wo sie sich rumdrehen , mir ins Gesicht blicken und mit mir reden muáte . 000722 000074 wir beide haben uns gern , obwohl sie die peinliche Tendenz , mich zu erziehen , nie unterdrcken kann . 000723 000074 sie war schon fnfzehn Jahre bei uns , Mutter hat sie von einem Vetter , der evangelischer Pfarrer war , bernommen . 000724 000074 Anna ist aus Potsdam , und schon die Tatsache , daá wir , obschon evangelisch , rheinischen Dialekt sprechen , kommt ihr irgendwie ungeheuerlich , fast widernatrlich vor . 000725 000074 ich glaube , ein Protestant , der bayrisch spr„che , wrde ihr wie der Leibhaftige vorkommen . 000726 000074 ans Rheinland hat sie sich schon ein biáchen gew”hnt . 000727 000074 sie ist groá , schlank und stolz drauf , daá sie " sich wie eine Dame bewegt " . 000728 000074 ihr Vater war Zahlmeister bei einem Ding , von dem ich nur weiá , daá es I.: R.: 9 hieá . 000729 000074 es nutzt gar nichts , Anna zu sagen , daá wir ja nicht bei diesem I.: R.: 9 sind ; was Jugenderziehung anbelangt , l„át sie sich nicht von dem Spruch abbringen : " das w„re beim I.: R.: 9 nicht m”glich gewesen " . 000730 000074 ich bin nie ganz hinter dieses I.: R.: 9 gekommen , weiá aber inzwischen , daá ich in dieser geheimnisvollen Erziehungsinstitution wahrscheinlich nicht einmal als Kloreiniger eine Chance gehabt h„tte . 000731 000075 vor allem meine Waschpraktiken riefen bei Anna immer I.: R.: 9-Beschw”rungen hervor , und " diese frchterliche Angewohnheit , so lange wie m”glich im Bett zu bleiben " , ruft bei ihr einen Ekel hervor , als w„re ich mit Lepra behaftet . 000732 000075 als sie sich endlich umdrehte , mit der Kaffeekanne an den Tisch kam , hielt sie die Augen gesenkt wie eine Nonne , die einen etwas anrchigen Bischof bedient . 000733 000075 sie tat mir leid , wie die M„dchen aus Maries Gruppe . 000734 000075 Anna hatte mit ihrem Nonneninstinkt sicher gemerkt , wo ich herkam , w„hrend meine Mutter wahrscheinlich , wenn ich drei Jahre lang mit einer Frau heimlich verheiratet w„re , nicht das geringste merken wrde . 000735 000075 ich nahm Anna die Kanne aus der Hand , goá mir Kaffee ein , hielt Annas Arm fest und zwang sie , mich anzusehen : sie tat es mit ihren blassen , blauen Augen , flatternden Lidern , und ich sah , daá sie tats„chlich weinte . 000736 000075 " verdammt , Anna " , sagte ich , " sieh mich an . 000737 000075 ich nehme an , daá man in deinem I.: R.: 9 sich auch mannhaft in die Augen geschaut hat " . 000738 000075 " ich bin kein Mann " , wimmerte sie , ich lieá sie los ; sie stellte sich mit dem Gesicht zum Herd , murmelte etwas von Snde und Schande , Sodom und Gomorrha , und ich sagte : " Anna , mein Gott , denk doch dran , was die in Sodom und Gomorrha wirklich gemacht haben " . 000739 000075 sie schttelte meine Hand von ihrer Schulter , ich ging aus der Kche , ohne ihr zu sagen , daá ich von zu Haus wegwollte . 000740 000075 sie war die einzige , mit der ich manchmal ber Henriette sprach . 000741 000075 Leo stand schon drauáen vor der Garage und blickte „ngstlich auf seine Armbanduhr . 000742 000075 " hat Mutter gemerkt , daá ich weg war ? " fragte ich . 000743 000075 er sagte " nein " , gab mir die Schlssel und hielt das Tor auf . 000744 000076 ich stieg in Mutters Auto , fuhr raus und lieá Leo einsteigen . 000745 000076 er blickte angestrengt auf seine Fingern„gel . 000746 000076 " ich habe das Sparbuch " , sagte er , " ich hole das Geld in der Pause . 000747 000076 wohin soll ichs schicken ? " . 000748 000076 - " schicks an den alten Derkum " , sagte ich . 000749 000076 " bitte " , sagte er , " fahr los , es ist Zeit " . 000750 000076 ich fuhr schnell , ber unseren Gartenweg , durch die Ausfahrt und muáte drauáen an der Haltestelle warten , an der Henriette eingestiegen war , als sie zur Flak fuhr . 000751 000076 es stiegen ein paar M„dchen in Henriettes Alter in die Straáenbahn . 000752 000076 als wir die Bahn berholten , sah ich noch mehr M„dchen in Henriettes Alter , lachend , wie sie gelacht hatte , mit blauen Mtzen auf dem Kopf und M„nteln mit Pelzkragen . 000753 000076 wenn ein Krieg k„me , wrden ihre Eltern sie genau so wegschicken , wie meine Eltern Henriette weggeschickt hatten , sie wrden ihnen Taschengeld zustecken , ein paar belegte Brote , ihnen auf die Schulter klopfen und sagen " mach's gut " . 000754 000076 ich h„tte den M„dchen gern zugewinkt , lieá es aber . 000755 000076 es wird alles miáverstanden . 000756 000076 wenn man in einem so dummen Auto f„hrt , kann man nicht einmal einem M„dchen winken . 000757 000076 ich hatte einmal einem Jungen im Hofgarten eine halbe Tafel Schokolade geschenkt und ihm die blonden Haare aus der schmutzigen Stirn gestrichen ; er weinte und hatte sich die Tr„nen durchs Gesicht auf die Stirn geschmiert , ich wollte ihn nur tr”sten . 000758 000076 es gab einen frchterlichen Auftritt mit zwei Frauen , die fast die Polizei gerufen h„tten , und ich fhlte mich nach der Keiferei wirklich wie ein Unhold , weil eine der Frauen immer zu mir sagte : " Sie schmutziger Kerl , Sie schmutziger Kerl " . 000759 000076 es war scheuálich , der Auftritt kam mir so pervers vor , wie ein wirklicher Unhold mir vorkommt . 000760 000077 w„hrend ich die Koblenzer Straáe runterfuhr , viel zu schnell , schaute ich nach einem Ministerauto aus , das ich h„tte schrammen k”nnen . 000761 000077 Mutters Auto hat vorstehende Radnaben , mit denen ich ein Auto h„tte ankratzen k”nnen , aber so frh war noch kein Minister unterwegs . 000762 000077 ich sagte zu Leo : " wie ist es nun , gehst du wirklich zum Milit„r ? " . 000763 000077 er wurde rot und nickte . 000764 000077 " wir haben darber gesprochen " , sagte er , " im Arbeitskreis , und sind zu dem Ergebnis gekommen , daá es der Demokratie dient " . 000765 000077 - " na gut " , sagte ich , " geh nur hin und mach diese Idiotie mit , ich bedaure manchmal , daá ich nicht wehrpflichtig bin " . 000766 000077 Leo drehte sich mir fragend zu , wandte aber den Kopf weg , als ich ihn ansehen wollte . 000767 000077 " warum ? " fragte er . 000768 000077 " oh " , sagte ich , " ich wrde so gern den Major einmal wiedersehen , der bei uns einquartiert war und Frau Wieneken erschieáen lassen wollte . 000769 000077 er ist jetzt sicher Oberst oder General " . 000770 000077 ich hielt vor dem Beethovengymnasium , um ihn rauszulassen , er schttelte den Kopf , sagte : " park doch hinten rechts vom Konvikt " , ich fuhr weiter , hielt , gab Leo die Hand , aber er l„chelte gequ„lt , hielt mir weiter die offene Hand hin . 000771 000077 ich war in Gedanken schon weg , verstand nicht , und es machte mich nerv”s , wie Leo dauernd „ngstlich auf seine Armbanduhr blickte . 000772 000077 es war erst fnf vor acht , und er hatte noch reichlich Zeit . 000773 000077 " du willst doch nicht wirklich zum Milit„r gehn " , sagte ich . 000774 000077 " warum nicht " , sagte er b”se , " gib mir den Autoschlssel " . 000775 000077 ich gab ihm den Autoschlssel , nickte ihm zu und ging . 000776 000077 ich dachte die ganze Zeit an Henriette und fand es Wahnsinn , daá Leo Soldat werden wollte . 000777 000077 ich ging durch den Hofgarten , unter der Universit„t her zum Markt . 000778 000077 mir war kalt , und ich wollte zu Marie . 000779 000078 der Laden war voller Kinder , als ich dort ankam . 000780 000078 die Kinder nahmen Bonbons , Griffel , Radiergummi aus den Regalen und legten dem alten Derkum das Geld auf die Theke . 000781 000078 als ich mich durch den Laden ins Hinterzimmer zw„ngte , blickte er nicht auf . 000782 000078 ich ging zum Herd , w„rmte meine H„nde an der Kaffeekanne und dachte , Marie wrde jeden Augenblick kommen . 000783 000078 ich hatte keine Zigaretten mehr , und ich berlegte , ob ich sie so nehmen oder bezahlen sollte , wenn ich Marie darum bat . 000784 000078 ich goá mir aus der Kanne Kaffee ein , und mir fiel auf , daá drei Tassen auf dem Tisch standen . 000785 000078 als es im Laden still wurde , setzte ich meine Tasse ab . 000786 000078 ich wnschte , Marie w„re bei mir gewesen . 000787 000078 ich wusch mir am Splbecken neben dem Herd Gesicht und H„nde , k„mmte mich mit der Nagelbrste , die in der Seifenschale lag , ich zog meinen Hemdkragen glatt , die Krawatte hoch und prfte noch einmal meine Fingern„gel : sie waren sauber . 000788 000078 ich wuáte pl”tzlich , daá ich das alles tun muáte , was ich sonst nie tat . 000789 000078 als ihr Vater hereinkam , hatte ich mich gerade gesetzt , ich stand sofort auf . 000790 000078 er war so verlegen wie ich , auch so schchtern , er sah nicht b”se aus , nur sehr ernst , und als er die Hand zur Kaffeekanne ausstreckte , zuckte ich zusammen , nicht viel , aber merklich . 000791 000078 er schttelte den Kopf , goá sich ein , hielt mir die Kanne hin , ich sagte danke , er sah mich immer noch nicht an . 000792 000078 in der Nacht oben in Maries Bett , als ich ber alles nachdachte , hatte ich mich sehr sicher gefhlt . 000793 000078 ich h„tte gern eine Zigarette gehabt , aber ich wagte nicht , mir eine aus seiner Schachtel zu nehmen , die auf dem Tisch lag . 000794 000078 jederzeit sonst h„tte ich es getan . 000795 000078 wie er da stand , ber den Tisch gebeugt , mit der groáen Glatze und dem grauen , unordentlichen Haarkranz , kam er mir sehr alt vor . 000796 000079 ich sagte leise : " Herr Derkum , Sie haben ein Recht " , aber er schlug mit der Hand auf den Tisch , sah mich endlich an , ber seine Brille hinweg , und sagte : " verflucht , muáte das sein - und gleich so , daá die ganze Nachbarschaft dran teilhat ? " . 000797 000079 ich war froh , daá er nicht entt„uscht war und von Ehre anfing . 000798 000079 " muáte das wirklich sein - du weiát doch , wie wir uns krumm gelegt haben fr diese verfluchte Prfung , und jetzt " , er schloá die Hand , ”ffnete sie , als wenn er einen Vogel frei lieáe , " nichts " . 000799 000079 - " wo ist Marie ? " fragte ich . 000800 000079 " weg " , sagte er , " nach K”ln gefahren " . 000801 000079 - " wo ist sie ? " rief ich , " wo ? " . 000802 000079 - " nur die Ruhe " , sagte er , " das wirst du schon erfahren . 000803 000079 ich nehme an , daá du jetzt von Liebe , Heirat und so weiter anfangen willst - spar dir das - los , geh . 000804 000079 ich bin gespannt , was aus dir wird . 000805 000079 geh " . 000806 000079 ich hatte Angst , an ihm vorbeizugehen . 000807 000079 ich sagte : " und die Adresse ? " . 000808 000079 - " hier " , sagte er und schob mir einen Zettel ber den Tisch . 000809 000079 ich steckte den Zettel ein . 000810 000079 " sonst noch was " , schrie er , " sonst noch was ? . 000811 000079 worauf wartest du noch ? " . 000812 000079 - " ich brauche Geld " , sagte ich , und ich war froh , daá er pl”tzlich lachte , es war ein merkwrdiges Lachen , hart und b”se , wie ich es erst einmal von ihm geh”rt hatte , als wir ber meinen Vater sprachen . 000813 000079 " Geld " , sagte er , " das ist ein Witz , aber komm " , sagte er , " komm " , und zog mich am Žrmel in den Laden , trat hinter die Theke , riá die Kasse auf und warf mir mit beiden H„nden Kleingeld hin : Groschen , Fnfer und Pfennige , er streute die Mnzen ber die Hefte und Zeitungen , ich z”gerte , fing dann langsam an , die Mnzen einzusammeln , ich war versucht , sie mir in die offene Hand zu streichen , nahm sie aber dann einzeln auf , z„hlte sie und steckte sie markweise in die Tasche . 000814 000079 er sah mir dabei zu , nickte , zog sein Portemonnaie und legte mir ein Fnfmarkstck hin . 000815 000080 wir wurden beide rot . 000816 000080 " entschuldige " , sagte er leise , " entschuldige , o Gott - entschuldige " . 000817 000080 er dachte , ich w„re beleidigt , aber ich verstand ihn sehr gut . 000818 000080 ich sagte : " schenken Sie mir noch eine Schachtel Zigaretten " , und er griff sofort hinter sich ins Regal und gab mir zwei Schachteln . 000819 000080 er weinte . 000820 000080 ich beugte mich ber die Theke und káte ihn auf die Wange . 000821 000080 er ist der einzige Mann , den ich je gekát habe . 000822 000081 8 . 000823 000081 die Vorstellung , daá Zpfner Marie beim Ankleiden zuschauen k”nnte oder zusehen darf , wie sie den Deckel auf die Zahnpastatube schraubt , machte mich ganz elend . 000824 000081 mein Bein schmerzte , und es kamen mir Zweifel , ob ich auf der dreiáig-bis-fnfzig-Mark-Ebene noch eine Chance zum Tingeln gehabt h„tte . 000825 000081 mich qu„lte auch die Vorstellung , daá Zpfner berhaupt nichts dran lag , Marie beim Zuschrauben der Zahnpastatuben zuzuschauen : meiner bescheidenen Erfahrung nach haben Katholiken nicht den geringsten Sinn fr Details . 000826 000081 ich hatte Zpfners Telefonnummer auf meinem Blatt stehen , war noch nicht gewappnet , diese Nummer zu w„hlen . 000827 000081 man weiá nie , was ein Mensch unter weltanschaulichem Zwang alles tut , und vielleicht hatte sie Zpfner wirklich geheiratet , und Maries Stimme am Telefon sagen zu h”ren : hier Zpfner - ich h„tte es nicht ertragen . 000828 000081 um mit Leo telefonieren zu k”nnen , hatte ich unter Priesterseminaren im Telefonbuch gesucht , nichts gefunden , und ich wuáte doch , daá es diese beiden Dinger gab : Leoninum und Albertinum . 000829 000081 schlieálich fand ich die Kraft , den H”rer aufzunehmen und die Nummer der Auskunft zu w„hlen , ich bekam sogar Anschluá , und das M„dchen , das sich meldete , sprach sogar mit rheinischem Tonfall . 000830 000081 manchmal sehne ich mich danach , rheinisch zu h”ren , so sehr , daá ich von irgendeinem Hotel aus eine Bonner Telefondienststelle anrufe , um diese vollkommen unmartialische Sprache zu h”ren , der das R: fehlt , genau der Laut , auf dem die milit„rische Disziplin haupts„chlich beruht . 000831 000082 ich h”rte das " bitte warten " nur fnfmal , dann meldete sich schon ein M„dchen , und ich fragte sie nach diesen " Dingern , in denen katholische Priester ausgebildet werden " ; ich sagte , ich h„tte unter Priesterseminaren nachgesehen , nichts gefunden , sie lachte und sagte , diese " Dinger " - sie sprach dabei sehr hbsch die Anfhrungszeichen - hieáen Konvikte , und sie gab mir die Nummern von beiden . 000832 000082 die M„dchenstimme am Telefon hatte mich ein biáchen getr”stet . 000833 000082 sie hatte so natrlich geklungen , nicht prde , nicht kokett , und sehr rheinisch . 000834 000082 es gelang mir sogar , die Telegrammaufnahme zu bekommen und das Telegramm an Karl Emonds aufzugeben . 000835 000082 es ist mir immer unverst„ndlich gewesen , warum jedermann , der fr intelligent gehalten werden m”chte , sich bemht , diesen Pflichthaá auf Bonn auszudrcken . 000836 000082 Bonn hat immer gewisse Reize gehabt , schl„frige Reize , so wie es Frauen gibt , von denen ich mir vorstellen kann , daá ihre Schl„frigkeit Reize hat . 000837 000082 Bonn vertr„gt natrlich keine šbertreibung , und man hat diese Stadt bertrieben . 000838 000082 eine Stadt , die keine šbertreibung vertr„gt , kann man nicht darstellen : immerhin eine seltene Eigenschaft . 000839 000082 es weiá ja auch jedes Kind , daá das Bonner Klima ein Rentnerklima ist , es bestehen da Beziehungen zwischen Luft- und Blutdruck . 000840 000082 was Bonn berhaupt nicht steht , ist diese defensive Gereiztheit : ich hatte zu Hause reichlich Gelegenheit , mit Ministerialbeamten , Abgeordneten , Generalen zu sprechen - meine Mutter ist eine Partytante - , und sie alle befinden sich im Zustand gereizter , manchmal fast weinerlicher Verteidigung . 000841 000082 sie l„cheln alle so verqu„lt ironisch ber Bonn . 000842 000083 ich verstehe dieses Getue nicht . 000843 000083 wenn eine Frau , deren Reiz ihre Schl„frigkeit ist , anfinge , pl”tzlich wie eine Wilde Can-Can zu tanzen , so k”nnte man nur annehmen , daá sie gedopt w„re - aber eine ganze Stadt zu dopen , das gelingt ihnen nicht . 000844 000083 eine gute alte Tante kann einem beibringen , wie man Pullover strickt , Deckchen h„kelt und Sherry serviert - ich wrde doch nicht von ihr erwarten , daá sie mir einen zweistndigen geistreichen und verst„ndnisvollen Vortrag ber Homosexualit„t h„lt oder pl”tzlich in den Nutten-Jargon verf„llt , den alle in Bonn so schmerzlich vermissen . 000845 000083 falsche Erwartungen , falsche Scham , falsche Spekulation auf Widernatrliches . 000846 000083 es wrde mich nicht wundern , wenn sogar die Vertreter des Heiligen Stuhls anfingen , sich ber Nuttenmangel zu beklagen . 000847 000083 ich lernte bei einer der Parties zu Hause einmal einen Parteimenschen kennen , der in einem Ausschuá zur Bek„mpfung der Prostitution saá und sich bei mir flsternd ber den Nuttenmangel in Bonn beklagte . 000848 000083 Bonn war vorher wirklich nicht so bel mit seinen vielen engen Gassen , Buchhandlungen , Burschenschaften , kleinen B„ckereien mit einem Hinterzimmer , wo man Kaffee trinken konnte . 000849 000083 bevor ich Leo anzurufen versuchte , humpelte ich auf den Balkon , um einen Blick auf meine Heimatstadt zu werfen . 000850 000083 die Stadt ist wirklich hbsch : das Mnster , die D„cher des ehemaligen kurfrstlichen Schlosses , das Beethovendenkmal , der kleine Markt und der Hofgarten . 000851 000083 Bonns Schicksal ist es , daá man ihm sein Schicksal nicht glaubt . 000852 000083 ich atmete in vollen Zgen oben auf meinem Balkon die Bonner Luft , die mir berraschenderweise wohltat : als Luftver„nderung kann Bonn fr Stunden Wunder wirken . 000853 000083 ich ging vom Balkon weg , ins Zimmer zurck und w„hlte , ohne zu z”gern , die Nummer des Dings , in dem Leo studiert . 000854 000084 ich war bange . 000855 000084 seitdem er katholisch geworden ist , habe ich Leo noch nicht gesehen . 000856 000084 er hat mir die Konversion auf seine kindlich korrekte Art mitgeteilt : " lieber Bruder " , schrieb er , " teile ich Dir hierdurch mit , daá ich nach reiflicher šberlegung zu dem Entschluá gekommen bin , zur katholischen Kirche berzutreten und mich auf den Priesterberuf vorzubereiten . 000857 000084 gewiá werden wir bald Gelegenheit haben , uns mndlich ber diese entscheidende Ver„nderung in meinem Leben zu unterhalten . 000858 000084 Dein Dich liebender Bruder Leo " . 000859 000084 schon die altmodische Art , wie er krampfhaft versucht , den Briefbeginn mit Ich zu umgehen , statt : ich teile Dir mit , teile ich Dir mit , schreibt - das war ganz Leo . 000860 000084 nichts von der Eleganz , mit der er Klavier spielen kann . 000861 000084 diese Art , alles gesch„ftsm„áig zu erledigen , steigert meine Melancholie . 000862 000084 wenn er so weitermacht , wird er einmal ein edler , weiáhaariger Pr„lat . 000863 000084 in diesem Punkt - im Briefstil - sind Vater und Leo gleich hilflos : sie schreiben ber alles , als ob es um Braunkohle ginge . 000864 000084 es dauerte lange , ehe sich in dem Ding jemand bequemte , ans Telefon zu kommen , und ich fing gerade an , diese kirchliche Schlamperei , meiner Stimmung entsprechend , mit harten Worten zu brandmarken , sagte " Scheiáe " , da hob dort jemand den H”rer ab , und eine berraschend heisere Stimme sagte : " ja ? " . 000865 000084 ich war entt„uscht . 000866 000084 ich hatte mit einer sanften Nonnenstimme gerechnet , mit dem Geruch schwachen Kaffees und trockenen Kuchens , statt dessen : ein kr„chzender Mann , und es roch nach Krllschnitt und Kohl , auf eine so penetrante Art , daá ich anfing zu husten . 000867 000084 " pardon " , sagte ich schlieálich , " k”nnte ich den Studenten der Theologie Leo Schnier sprechen ? " . 000868 000085 " mit wem spreche ich ? " . 000869 000085 " Schnier " , sagte ich . 000870 000085 offenbar ging das ber seinen Horizont . 000871 000085 er schwieg lange , ich fing wieder an zu husten , faáte mich und sagte : " ich buchstabiere : Schule , Nordpol , Ida , Emil , Richard " . 000872 000085 " was soll das ? " sagte er schlieálich , und ich glaubte , aus seiner Stimme soviel Verzweiflung zu h”ren , wie ich empfand . 000873 000085 vielleicht hatten sie einen netten alten , pfeiferauchenden Professor dort ans Telefon gesteckt , und ich kramte in aller Eile ein paar lateinische Vokabeln zusammen und sagte demtig : f+ " sum: frater: leonis: " +f . 000874 000085 ich kam mir unfair dabei vor , ich dachte an die vielen , die vielleicht hin und wieder den Wunsch versprten , jemand dort zu sprechen , und die nie ein lateinisches Wort gelernt hatten . 000875 000085 merkwrdigerweise kicherte er jetzt und sagte : f+ " frater: tuus: est: in: refectorio: +f - beim Essen " , sagte er etwas lauter , " die Herren sind beim Essen , und w„hrend des Essens darf nicht gest”rt werden " . 000876 000085 " die Sache ist sehr dringend " , sagte ich . 000877 000085 " Todesfall ? " fragte er . 000878 000085 " nein " , sagte ich , " aber fast " . 000879 000085 " also schwerer Unfall ? " . 000880 000085 " nein " , sagte ich , " ein innerlicher Unfall " . 000881 000085 " ach " , sagte er und seine Stimme klang etwas milder , " innere Verblutungen " . 000882 000085 " nein " , sagte ich , " seelisch . 000883 000085 eine rein seelische Angelegenheit " . 000884 000085 offenbar war das ein Fremdwort fr ihn , er schwieg auf eine eisige Weise . 000885 000085 " mein Gott " , sagte ich , " der Mensch besteht doch aus Leib und Seele " . 000886 000085 sein Brummen schien Zweifel an dieser Behauptung auszudrcken , zwischen zwei Zgen aus seiner Pfeife murmelte er : " Augustin - Bonaventura - Cusanus - Sie sind auf dem falschen Wege " . 000887 000086 " Seele " , sagte ich hartn„ckig , " bitte richten Sie Herrn Schnier aus , die Seele seines Bruders sei in Gefahr , und er m”ge , sobald er mit dem Essen fertig ist , anrufen " . 000888 000086 " Seele " , sagte er kalt , " Bruder , Gefahr " . 000889 000086 er h„tte genausogut : Mll , Mist , Melkeimer sagen k”nnen . 000890 000086 mir kam die Sache komisch vor : immerhin wurden die Studenten dort zu zuknftigen Seelsorgern ausgebildet , und er muáte das Wort Seele schon einmal geh”rt haben . 000891 000086 " die Sache ist sehr , sehr dringend " , sagte ich . 000892 000086 er machte nur " hm , hm " , es schien ihm vollkommen unverst„ndlich , daá etwas , das mit Seele zusammenhing , dringend sein k”nnte . 000893 000086 " ich werde es ausrichten " , sagte er , " was war das mit der Schule ? " . 000894 000086 " nichts " , sagte ich , " gar nichts . 000895 000086 die Sache hat nichts mit Schule zu tun . 000896 000086 ich habe das Wort lediglich benutzt , um meinen Namen zu buchstabieren " . 000897 000086 " Sie glauben wohl , die lernen in der Schule noch buchstabieren . 000898 000086 glauben Sie das im Ernst ? " . 000899 000086 er wurde so lebhaft , daá ich annehmen konnte , er habe endlich sein Lieblingsthema erreicht . 000900 000086 " viel zu milde Methoden heute " , schrie er , " viel zu milde " . 000901 000086 " natrlich " , sagte ich , " es máte viel mehr Prgel in der Schule geben " . 000902 000086 " nicht wahr " , rief er feurig . 000903 000086 " ja " , sagte ich " besonders die Lehrer máten viel mehr Prgel kriegen . 000904 000086 Sie denken doch daran , meinem Bruder die Sache auszurichten ? " . 000905 000087 " schon notiert " , sagte er , " dringende seelische Angelegenheit . 000906 000087 Schulsache . 000907 000087 h”ren Sie , junger Freund , darf ich Ihnen als der zweifellos Žltere einen wohlgemeinten Rat geben ? " . 000908 000087 " oh , bitte " , sagte ich . 000909 000087 " lassen Sie von Augustinus ab : geschickt formulierte Subjektivit„t ist noch lange nicht Theologie und richtet in jungen Seelen Schaden an . 000910 000087 nichts als Journalismus mit ein paar dialektischen Elementen . 000911 000087 Sie nehmen mir diesen Rat nicht bel ? " . 000912 000087 " nein " , sagte ich , " ich gehe auf der Stelle hin und schmeiá meinen Augustinus ins Feuer " . 000913 000087 " recht so " , sagte er fast jubelnd , " ins Feuer damit . 000914 000087 Gott mit Ihnen " . 000915 000087 ich war drauf und dran , danke zu sagen , aber es kam mir unangebracht vor , und so legte ich einfach auf und wischte mir den Schweiá ab . 000916 000087 ich bin sehr geruchsempfindlich , und der intensive Kohlgeruch hatte mein vegetatives Nervensystem mobilisiert . 000917 000087 ich dachte auch ber die Methoden der kirchlichen Beh”rden nach : es war ja nett , daá sie einem alten Mann das Gefhl gaben , noch ntzlich zu sein , aber ich konnte nicht einsehen , daá sie einem Schwerh”rigen und so schrulligen alten Knaben ausgerechnet den Telefondienst bergaben . 000918 000087 den Kohlgeruch kannte ich vom Internat her . 000919 000087 ein Pater dort hatte uns mal erkl„rt , daá Kohl als sinnlichkeitsd„mpfend gelte . 000920 000087 die Vorstellung , daá meine oder irgend jemandes Sinnlichkeit ged„mpft wurde , war mir ekelhaft . 000921 000087 offenbar denken sie dort Tag und Nacht nur an das " fleischliche Verlangen " , und irgendwo in der Kche sitzt sicherlich eine Nonne , die den Speisezettel aufsetzt , dann mit dem Direktor darber spricht , und beide sitzen sich dann gegenber und sprechen nicht darber , aber denken bei jeder Speise , die auf dem Zettel steht : das hemmt , das f”rdert die Sinnlichkeit . 000922 000087 mir erscheint eine solche Szene als ein klarer Fall von Obsz”nit„t , genau wie dieses verfluchte , stundenlange Fuáballspielen im Internat ; wir wuáten alle , daá es mde machen sollte , damit wir nicht auf M„dchengedanken k„men , das machte mir das Fuáballspielen widerlich , und wenn ich mir vorstelle , daá mein Bruder Leo Kohl essen muá , damit seine Sinnlichkeit ged„mpft wird , m”chte ich am liebsten in dieses Ding gehen und ber den ganzen Kohl Salzs„ure schtten . 000923 000088 was die Jungen da vor sich haben , ist auch ohne Kohl schwer genug : es muá schrecklich schwer sein , jeden Tag diese unfaábaren Sachen zu verkndigen : Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben . 000924 000088 im Weinberg des Herrn herumzuackern und zu sehen , wie verflucht wenig Sichtbares da herauskommt . 000925 000088 Heinrich Behlen , der so nett zu uns war , als Marie die Fehlgeburt hatte , hat mir das alles einmal erkl„rt . 000926 000088 er bezeichnete sich mir gegenber immer als " ungelernter Arbeiter im Weinberg des Herrn , sowohl was die Stimmung wie was die Bezahlung anbetrifft " . 000927 000088 ich brachte ihn nach Haus , als wir um fnf aus dem Krankenhaus weggingen , zu Fuá , weil wir kein Geld fr die Straáenbahn hatten , und als er vor seiner Haustr stand und den Schlsselbund aus der Tasche zog , unterschied er sich in nichts von einem Arbeiter , der von der Nachtschicht kommt , mde , unrasiert , und ich wuáte , es muáte schrecklich fr ihn sein : jetzt die Messe zu lesen , mit all den Geheimnissen , von denen Marie mir immer erz„hlte . 000928 000088 als Heinrich die Tr aufschloá , stand seine Haush„lterin da im Flur , eine mrrische alte Frau , in Pantoffeln , die Haut an ihren nackten Beinen ganz gelblich , und nicht einmal eine Nonne , und nicht seine Mutter oder Schwester ; sie zischte ihn an : " was soll das ? . 000929 000088 was soll das ? " . 000930 000088 diese „rmliche Junggesellenmuffigkeit ; verflucht , mich wundert's nicht , wenn manche katholischen Eltern Angst haben , ihre jungen T”chter zu einem Priester in die Wohnung zu schicken , und mich wundert's nicht , wenn diese armen Kerle manchmal Dummheiten machen . 000931 000089 fast h„tte ich den schwerh”rigen alten Pfeifenraucher in Leos Konvikt noch einmal angerufen : ich h„tte mich gern mit ihm ber das fleischliche Verlangen unterhalten . 000932 000089 ich hatte Angst , einen von denen anzurufen , die ich kannte : dieser Unbekannte wrde mich wahrscheinlich besser verstehen . 000933 000089 ich h„tte ihn gern gefragt , ob meine Auffassung vom Katholizismus richtig sei . 000934 000089 es gab fr mich nur vier Katholiken auf der Welt : Papst Johannes , Alec Guinness , Marie und Gregory , einen altgewordenen Negerboxer , der fast einmal Weltmeister geworden w„re und sich jetzt in Varietes kmmerlich als Kraftmensch durchschlug . 000935 000089 hin und wieder im Turnus der Engagements traf ich ihn . 000936 000089 er war sehr fromm , richtig kirchlich , geh”rte dem Dritten Orden an und trug sein Skapulier immer vorne auf seiner enormen Boxerbrust . 000937 000089 die meisten hielten ihn fr schwachsinnig , weil er fast kein Wort sprach und auáer Gurken und Brot kaum etwas aá ; und doch war er so stark , daá er mich und Marie auf seinen H„nden wie Puppen vor sich her durchs Zimmer tragen konnte . 000938 000089 es gab noch ein paar Katholiken mit ziemlich hohem Wahrscheinlichkeitsgrad : Karl Emonds und Heinrich Behlen , auch Zpfner . 000939 000089 bei Marie fing ich schon an zu zweifeln : ihr " metaphysischer Schrecken " leuchtete mir nicht ein , und wenn sie nun hinging und mit Zpfner all das tat , was ich mit ihr getan hatte , so beging sie Dinge , die in ihren Bchern eindeutig als Ehebruch und Unzucht bezeichnet wurden . 000940 000089 ihr metaphysischer Schrecken bezog sich einzig und allein auf meine Weigerung , uns standesamtlich trauen , unsere Kinder katholisch erziehen zu lassen . 000941 000090 wir hatten noch gar keine Kinder , sprachen aber dauernd darber , wie wir sie anziehen , wie wir mit ihnen sprechen , wie wir sie erziehen wollten , und wir waren uns in allen Punkten einig , bis auf die katholische Erziehung . 000942 000090 ich war einverstanden , sie taufen zu lassen . 000943 000090 Marie sagte , ich msse es schriftlich geben , sonst wrden wir nicht kirchlich getraut . 000944 000090 als ich mich mit der kirchlichen Trauung einverstanden erkl„rte , stellte sich heraus , daá wir auch standesamtlich getraut werden muáten - und da verlor ich die Geduld , und ich sagte , wir sollten doch noch etwas warten , jetzt k„me es ja wohl auf ein Jahr nicht mehr an , und sie weinte und sagte , ich verstnde eben nicht , was es fr sie bedeute , in diesem Zustand zu leben und ohne die Aussicht , daá unsere Kinder christlich erzogen wrden . 000945 000090 es war schlimm , weil sich herausstellte , daá wir in diesem Punkt fnf Jahre lang aneinander vorbeigeredet hatten . 000946 000090 ich hatte tats„chlich nicht gewuát , daá man sich staatlich trauen lassen muá , bevor man kirchlich getraut wird . 000947 000090 natrlich h„tte ich das wissen mssen , als erwachsener Staatsbrger und " vollverantwortliche m„nnliche Person " , aber ich wuáte es einfach nicht , so wie ich bis vor kurzem nicht wuáte , daá man Weiáwein kalt und Rotwein angew„rmt serviert . 000948 000090 ich wuáte natrlich , daá es Standes„mter gab und dort irgendwelche Trauungszeremonien vollzogen und Urkunden ausgestellt wurden , aber ich dachte , das w„re eine Sache fr unkirchliche Leute und fr solche , die sozusagen dem Staat eine kleine Freude machen wollten . 000949 000090 ich wurde richtig b”se , als ich erfuhr , daá man dorthin muáte , bevor man kirchlich getraut werden konnte , und als Marie dann noch davon anfing , daá ich mich schriftlich verpflichten msse , unsere Kinder katholisch zu erziehen , bekamen wir Streit . 000950 000091 das kam mir wie Erpressung vor , und es gefiel mir nicht , daá Marie so ganz und gar einverstanden mit dieser Forderung nach schriftlicher Abmachung war . 000951 000091 sie konnte ja die Kinder taufen lassen und sie so erziehen , wie sie es fr richtig hielt . 000952 000091 es ging ihr schlecht an diesem Abend , sie war blaá und mde , sprach ziemlich laut mit mir , und als ich dann sagte , ja , gut , ich wrde alles tun , auch diese Sachen unterschreiben , wurde sie b”se und sagte : " das tust du jetzt nur aus Faulheit , und nicht , weil du von der Berechtigung abstrakter Ordnungsprinzipien berzeugt bist " , und ich sagte ja , ich t„t es tats„chlich aus Faulheit und weil ich sie gern mein ganzes Leben lang bei mir haben m”chte , und ich wrde sogar regelrecht zur katholischen Kirche bertreten , wenn es n”tig sei , um sie zu behalten . 000953 000091 ich wurde sogar pathetisch und sagte , ein Wort wie " abstrakte Ordnungsprinzipien " erinnere mich an eine Folterkammer . 000954 000091 sie empfand es als Beleidigung , daá ich , um sie zu behalten , sogar katholisch werden wollte . 000955 000091 und ich hatte geglaubt , ihr auf eine Weise geschmeichelt zu haben , die fast zu weit ging . 000956 000091 sie sagte , es ginge jetzt nicht mehr um sie und um mich , sondern um die " Ordnung " . 000957 000091 es war Abend , in einem Hotelzimmer in Hannover , in einem von diesen teuren Hotels , wo man , wenn man eine Tasse Kaffee bestellt , nur eine dreiviertel Tasse Kaffee bekommt . 000958 000091 sie sind in diesen Hotels so fein , daá eine volle Tasse Kaffee als ordin„r gilt , und die Kellner wissen viel besser , was fein ist , als die feinen Leute , die dort die G„ste spielen . 000959 000091 ich komme mir in diesen Hotels immer vor wie in einem besonders teuren und besonders langweiligen Internat , und ich war an diesem Abend todmde : drei Auftritte hintereinander . 000960 000092 am frhen Nachmittag vor irgendwelchen Stahlaktion„ren , nachmittags vor Lehramtskandidaten und abends in einem Variete , wo der Applaus so matt war , daá ich den nahenden Untergang schon heraush”rte . 000961 000092 als ich mir in diesem dummen Hotel Bier aufs Zimmer bestellte , sagte der Oberkellner so eisig am Telefon : " jawoll , mein Herr " , als h„tte ich Jauche gewnscht , und sie brachten mir das Bier in einem Silberbecher . 000962 000092 ich war mde , ich wollte nur noch Bier trinken , ein biáchen Mensch-„rgere-dich-nicht spielen , ein Bad nehmen , die Abendzeitungen lesen und neben Marie einschlafen : meine rechte Hand auf ihrer Brust und mein Gesicht so nah an ihrem Kopf , daá ich den Geruch ihres Haars mit in den Schlaf nehmen konnte . 000963 000092 ich hatte noch den matten Applaus im Ohr . 000964 000092 es w„re fast humaner gewesen , sie h„tten alle den Daumen zur Erde gekehrt . 000965 000092 diese mde , blasierte Verachtung meiner Nummern war so schal wie das Bier in dem dummen Silberbecher . 000966 000092 ich war einfach nicht in der Lage , ein weltanschauliches Gespr„ch zu fhren . 000967 000092 " es geht um die Sache , Hans " , sagte sie , etwas weniger laut , und sie merkte nicht einmal , daá ' Sache ' fr uns eine bestimmte Bedeutung hatte ; sie schien es vergessen zu haben . 000968 000092 sie ging vor dem Fuáende des Doppelbettes auf und ab und schlug beim Gestikulieren mit der Zigarette jedesmal so pr„zis in die Luft , daá die kleinen Rauchw”lkchen wie Punkte wirkten . 000969 000092 sie hatte inzwischen Rauchen gelernt , in dem lindgrnen Pullover sah sie sch”n aus : die weiáe Haut , das Haar dunkler als frher , ich sah an ihrem Hals zum erstenmal Sehnen . 000970 000092 ich sagte : " sei doch barmherzig , laá mich erst mal ausschlafen , wir wollen morgen beim Frhstck noch einmal ber alles reden , vor allem ber die Sache " , aber sie merkte nichts , drehte sich um , blieb vor dem Bett stehen , und ich sah ihrem Mund an , daá es Motive zu diesem Auftritt gab , die sie sich selbst nicht eingestand . 000971 000093 als sie an der Zigarette zog , sah ich ein paar F„ltchen um ihren Mund , die ich noch nie gesehen hatte . 000972 000093 sie sah mich kopfschttelnd an , seufzte , drehte sich wieder um und ging auf und ab . 000973 000093 " ich versteh nicht ganz " , sagte ich mde , " erst streiten wir um meine Unterschrift unter dieses Erpressungsformular - dann um die standesamtliche Trauung - jetzt bin ich zu beidem bereit , und du bist noch b”ser als vorher " . 000974 000093 " ja " , sagte sie , " es geht mir zu rasch , und ich spre , daá du die Auseinandersetzung scheust . 000975 000093 was willst du eigentlich ? " . 000976 000093 " dich " , sagte ich , und ich weiá nicht , ob man einer Frau etwas Netteres sagen kann . 000977 000093 " komm " , sagte ich , " leg dich neben mich und bring den Aschenbecher mit , dann k”nnen wir viel besser reden " . 000978 000093 ich konnte das Wort Sache nicht mehr in ihrer Gegenwart aussprechen . 000979 000093 sie schttelte den Kopf , stellte mir den Aschenbecher aufs Bett , ging zum Fenster und blickte hinaus . 000980 000093 ich hatte Angst . 000981 000093 " irgend etwas an diesem Gespr„ch gef„llt mir nicht - es klingt nicht nach dir ! " . 000982 000093 " wonach denn ? " fragte sie leise , und ich fiel auf die pl”tzlich wieder so sanfte Stimme herein . 000983 000093 " sie riecht nach Bonn " , sagte ich , " nach dem Kreis , nach Sommerwild und Zpfner - und wie sie alle heiáen " . 000984 000093 " vielleicht " , sagte sie , ohne sich umzudrehen , " bilden deine Ohren sich ein , geh”rt zu haben , was deine Augen gesehen haben " . 000985 000094 " ich versteh dich nicht " , sagte ich mde , " was meinst du " . 000986 000094 " ach " , sagte sie , " als ob du nicht wátest , daá hier Katholikentag ist " . 000987 000094 " ich hab die Plakate gesehen " , sagte ich . 000988 000094 " und daá Heribert und Pr„lat Sommerwild hier sein k”nnten , ist dir nicht in den Sinn gekommen ? " . 000989 000094 ich hatte nicht gewuát , daá Zpfner mit Vornamen Heribert hieá . 000990 000094 als sie den Namen nannte , fiel mir ein , daá nur er gemeint sein konnte . 000991 000094 ich dachte wieder an das H„ndchenhalten . 000992 000094 mir war schon aufgefallen , daá in Hannover viel mehr katholische Priester und Nonnen zu sehen waren als zu der Stadt zu passen schien , aber ich hatte nicht daran gedacht , daá Marie hier jemand treffen k”nnte , und selbst wenn - wir waren ja manchmal , wenn ich ein paar Tage frei hatte , nach Bonn gefahren , und sie hatte den ganzen " Kreis " ausgiebig genieáen k”nnen . 000993 000094 " hier im Hotel ? " fragte ich mde . 000994 000094 " ja " , sagte sie . 000995 000094 " warum hast du mich nicht mit ihnen zusammen gebracht ? " . 000996 000094 " du warst ja kaum hier " , sagte sie , " eine Woche lang immer unterwegs - Braunschweig , Hildesheim , Celle ... " . 000997 000094 " aber jetzt habe ich Zeit " , sagte ich , " ruf sie an , und wir trinken noch was unten in der Bar " . 000998 000094 " sie sind weg " , sagte sie , " heute Nachmittag gefahren " . 000999 000094 " es freut mich " , sagte ich , " daá du so lange und ausgiebig ' katholische Luft ' hast atmen k”nnen , wenn auch importierte " . 001000 000094 das war nicht mein , sondern ihr Ausdruck . 001001 000094 manchmal hatte sie gesagt , sie msse mal wieder katholische Luft atmen . 001002 000094 " warum bist du b”se " , sagte sie ; sie stand immer noch mit dem Gesicht zur Straáe , rauchte schon wieder , und auch das war mir fremd an ihr : dieses hastige Rauchen , es war mir so fremd wie die Art , in der sie mit mir sprach . 001003 000095 in diesem Augenblick h„tte sie Irgendeine sein k”nnen , eine Hbsche , nicht sehr Intelligente , die irgendeinen Vorwand suchte , um zu gehen . 001004 000095 " ich bin nicht b”se " , sagte ich , " du weiát es . 001005 000095 sag mir nur , daá du's weiát " . 001006 000095 sie sagte nichts , nickte aber , und ich konnte genug von ihrem Gesicht sehen , um zu wissen , daá sie die Tr„nen zurckhielt . 001007 000095 warum ? . 001008 000095 sie h„tte weinen sollen , heftig und lange . 001009 000095 dann h„tte ich aufstehen , sie in den Arm nehmen und kssen k”nnen . 001010 000095 ich tat es nicht . 001011 000095 ich hatte keine Lust , und nur aus Routine oder Pflicht wollte ich's nicht tun . 001012 000095 ich blieb liegen . 001013 000095 ich dachte an Zpfner und Sommerwild , daá sie drei Tage lang mit denen hier herumgeredet hatte , ohne mir etwas davon zu erz„hlen . 001014 000095 sie hatten sicherlich ber mich gesprochen . 001015 000095 Zpfner geh”rt zum Dachverband katholischer Laien . 001016 000095 ich z”gerte zu lange , eine Minute , eine halbe oder zwei , ich weiá nicht . 001017 000095 als ich dann aufstand und zu ihr ging , schttelte sie den Kopf , schob meine H„nde von ihrer Schulter weg und fing wieder an zu reden , von ihrem metaphysischen Schrecken und von Ordnungsprinzipien , und ich kam mir vor , als w„re ich schon zwanzig Jahre lang mit ihr verheiratet . 001018 000095 ihre Stimme hatte einen erzieherischen Ton , ich war zu mde , ihre Argumente aufzufangen , sie flogen an mir vorbei . 001019 000095 ich unterbrach sie und erz„hlte ihr von dem Reinfall , den ich im Variete erlebt hatte , dem ersten seit drei Jahren . 001020 000095 wir standen nebeneinander am Fenster , blickten auf die Straáe hinunter , wo dauernd Taxis vorfuhren , die katholische Komiteemitglieder zum Bahnhof brachten : Nonnen , Priester und seri”s wirkende Laien . 001021 000096 in einer Gruppe erkannte ich Schnitzler , er hielt einer sehr fein aussehenden alten Nonne die Taxitr auf . 001022 000096 als er bei uns wohnte , war er evangelisch . 001023 000096 er muáte entweder konvertiert sein oder als evangelischer Beobachter hier gewesen sein . 001024 000096 ihm war alles zuzutrauen . 001025 000096 unten wurden Koffer geschleppt und Trinkgelder in Hoteldienerh„nde gedrckt . 001026 000096 mir drehte sich vor Mdigkeit und Verwirrung alles vor den Augen : Taxis und Nonnen , Lichter und Koffer , und ich hatte dauernd den m”rderisch mden Applaus im Ohr . 001027 000096 Marie hatte l„ngst ihren Monolog ber die Ordnungsprinzipien abgebrochen , sie rauchte auch nicht mehr , und als ich vom Fenster zurcktrat , kam sie mir nach , faáte mich an der Schulter und káte mich auf die Augen . 001028 000096 " du bist so lieb " , sagte sie " so lieb und so mde " , aber als ich sie umarmen wollte , sagte sie leise : " bitte , bitte , nicht " , und es war falsch von mir , daá ich sie wirklich loslieá . 001029 000096 ich warf mich in den Kleidern aufs Bett , schlief sofort ein , und als ich am Morgen wach wurde , war ich nicht erstaunt darber , daá Marie gegangen war . 001030 000096 ich fand den Zettel auf dem Tisch : " ich muá den Weg gehen , den ich gehen muá " . 001031 000096 sie war fast fnfundzwanzig , und es h„tte ihr etwas Besseres einfallen mssen . 001032 000096 ich nahm es ihr nicht bel , es kam mir nur ein biáchen wenig vor . 001033 000096 ich setzte mich sofort hin und schrieb ihr einen langen Brief , nach dem Frhstck noch einen , ich schrieb ihr jeden Tag und schickte die Briefe alle an Fredebeuls Adresse nach Bonn , aber ich bekam nie Antwort . 001034 000097 9 . 001035 000097 es dauerte auch bei Fredebeul lange , bis jemand an den Apparat kam ; das dauernde Tuten machte mich nerv”s , ich stellte mir vor , daá Frau Fredebeul schlief , von dem Tuten geweckt wurde , wieder einschlief , wieder geweckt wurde , und ich durchlitt alle Qualen ihrer von diesem Anruf betroffenen Ohren . 001036 000097 ich war drauf und dran , wieder aufzulegen , gestand mir aber eine Art Notstand zu und lieá es weiterklingeln . 001037 000097 Fredebeul selbst aus tiefem Schlaf zu wecken , h„tte mich nicht im geringsten gequ„lt : dieser Bursche hat keinen ruhigen Schlaf verdient ; er ist krankhaft ehrgeizig , hat wahrscheinlich immer die Hand auf dem Telefon liegen , um anzurufen oder Anrufe anzunehmen , von Ministerialdirektoren , Redakteuren , Zentralkomitees , Dachverb„nden und von der Partei . 001038 000097 seine Frau habe ich gern . 001039 000097 sie war noch Schlerin , als er sie zum erstenmal mit in den Kreis brachte , und die Art , wie sie da saá , mit ihren hbschen Augen den theologisch-soziologischen Auseinandersetzungen folgte , machte mich ganz elend . 001040 000097 ich sah ihr an , daá sie viel lieber tanzen oder ins Kino gegangen w„re . 001041 000097 Sommerwild , bei dem diese Zusammenkunft stattfand , fragte mich dauernd : ist Ihnen zu heiá , Schnier , und ich sagte : nein , Pr„lat , obwohl mir der Schweiá von Stirn und Wangen lief . 001042 000097 ich ging schlieálich auf Sommerwilds Balkon , weil ich das Gerede nicht mehr ertragen konnte . 001043 000097 sie selbst hatte das ganze Palaver ausgel”st , weil sie - brigens vollkommen auáer dem Zusammenhang des Gespr„chs , das eigentlich ber Gr”áe und Grenzen des Provinzialismus ging - gesagt hatte , sie f„nde einiges , was Benn geschrieben h„tte , doch " ganz hbsch " . 001044 000098 daraufhin wurde Fredebeul , als dessen Verlobte sie galt , knallrot , denn Kinkel warf ihm einen seiner berhmten sprechenden Blicke zu : " wie , das hast du noch nicht bei ihr in Ordnung gebracht ? " . 001045 000098 er brachte es also selbst in Ordnung und schreinerte das arme M„dchen zurecht , indem er das ganze Abendland als Hobel ansetzte . 001046 000098 es blieb fast nichts von dem netten M„dchen brig , die Sp„ne flogen , und ich „rgerte mich ber diesen Feigling Fredebeul , der nicht eingriff , weil er mit Kinkel auf eine bestimmte ideologische Linie " verschworen " ist , ich weiá jetzt gar nicht mehr , ob links oder rechts , jedenfalls haben sie ihre Linie , und Kinkel fhlte sich moralisch verpflichtet , Fredebeuls Braut auszurichten . 001047 000098 auch Sommerwild rhrte sich nicht , obwohl er die Kinkel und Fredebeul entgegengesetzte Linie vertritt , ich weiá nicht welche : wenn Kinkel und Fredebeul links sind , ist Sommerwild rechts , oder umgekehrt . 001048 000098 auch Marie war ein biáchen blaá geworden , aber ihr imponiert Bildung - das habe ich ihr nie ausreden k”nnen - , und Kinkels Bildung imponierte auch der sp„teren Frau Fredebeul : sie nahm mit fast schon unzchtigen Seufzern die wortstarke Belehrung hin : das ging von den Kirchenv„tern bis Brecht wie ein Unwetter nieder , und als ich erfrischt vom Balkon zurckkam , saáen alle vollkommen erschossen da , tranken Bowle - und das ganze nur , weil das arme Ding gesagt hatte , sie f„nde einiges von Benn " ganz hbsch " . 001049 000098 jetzt hat sie schon zwei Kinder von Fredebeul , ist kaum zweiundzwanzig , und w„hrend das Telefon immer noch in ihrer Wohnung klingelte , stellte ich mir vor , wie sie irgendwo mit Babyflaschen , Puderdosen , Windeln und Cremes herumhantierte , vollkommen hilflos und konfus , und ich dachte an die Berge von schmutziger Babyw„sche und das ungesplte , fettige Geschirr in ihrer Kche . 001050 000099 ich hatte ihr einmal , als mir die Unterhaltung zu anstrengend wurde , geholfen , Toast zu r”sten , Schnittchen zu machen und Kaffee zu kochen , Arbeiten , von denen ich nur sagen kann , daá sie mir weniger widerw„rtig sind als gewisse Formen der Unterhaltung . 001051 000099 eine sehr zaghafte Stimme sagte : " ja , bitte ? " und ich konnte aus dieser Stimme heraush”ren , daá es in Kche , Badezimmer und Schlafzimmer hoffnungsloser aussah als je . 001052 000099 riechen konnte ich diesmal fast nichts : nur , daá sie eine Zigarette in der Hand haben muáte . 001053 000099 " Schnier " , sagte ich , und ich hatte einen Ausruf der Freude erwartet , wie sie ihn immer tut , wenn ich sie anrufe . 001054 000099 ach , Sie in Bonn - wie nett - oder „hnlich , aber sie schwieg verlegen , sagte dann schwach : " ach , nett " . 001055 000099 ich wuáte nicht , was ich sagen sollte . 001056 000099 frher hatte sie immer gesagt : " wann kommen Sie noch einmal und fhren uns was vor ? " . 001057 000099 kein Wort . 001058 000099 es war mir peinlich , nicht meinet- , mehr ihretwegen , meinetwegen war es nur deprimierend , ihretwegen war es peinlich . 001059 000099 " die Briefe " , sagte ich schlieálich mhsam , " die Briefe , die ich Marie an Ihre Adresse schickte ? " . 001060 000099 " liegen hier " , sagte sie , " unge”ffnet zurckgekommen " . 001061 000099 " an welche Adresse hatten Sie sie denn nachgeschickt ? " . 001062 000099 " ich weiá nicht " , sagte sie , " das hat mein Mann gemacht " . 001063 000099 " aber Sie mssen doch auf den zurckkommenden Briefen gesehen haben , welche Adresse er drauf geschrieben hat ? " . 001064 000099 " wollen Sie mich verh”ren ? " . 001065 000099 " o nein " , sagte ich sanft , " nein , nein , ich dachte nur ganz bescheiden , ich k”nnte ein Recht haben , zu erfahren , was mit meinen Briefen geschehen ist " . 001066 000100 " die Sie , ohne uns zu fragen , hierhergeschickt haben " . 001067 000100 " liebe Frau Fredebeul " , sagte ich , " bitte , werden Sie jetzt menschlich " . 001068 000100 sie lachte , matt , aber doch h”rbar , sagte aber nichts . 001069 000100 " ich meine " , sagte ich , " es gibt doch einen Punkt , wo die Menschen , wenn auch aus ideologischen Grnden - menschlich werden " . 001070 000100 " soll das heiáen , daá ich mich bisher unmenschlich verhalten habe ? " . 001071 000100 " ja " , sagte ich . 001072 000100 sie lachte wieder , sehr matt , aber immer noch h”rbar . 001073 000100 " ich bin sehr unglcklich ber diese Geschichte " , sagte sie schlieálich , " aber mehr kann ich nicht sagen . 001074 000100 Sie haben uns alle eben schrecklich entt„uscht " . 001075 000100 " als Clown ? " fragte ich . 001076 000100 " auch " , sagte sie , " aber nicht nur " . 001077 000100 " Ihr Mann ist wohl nicht zu Hause ? " . 001078 000100 " nein " , sagte sie , " er kommt erst in ein paar Tagen zurck . 001079 000100 er h„lt Wahlreden in der Eifel " . 001080 000100 " was ? " rief ich ; das war wirklich eine Neuigkeit , " doch nicht fr die CDU: ? " . 001081 000100 " warum nicht " , sagte sie in einem Ton , der mir deutlich zu verstehen gab , daá sie gern einh„ngen wrde . 001082 000100 " na gut " , sagte ich , " ist es zuviel verlangt , wenn ich Sie bitte , mir meine Briefe hierherzuschicken " . 001083 000100 " wohin ? " . 001084 000100 " nach Bonn - hier an meine Bonner Adresse " . 001085 000100 " Sie sind in Bonn ? " fragte sie , und es kam mir so vor , als ob sie ein " um Gottes willen " unterdrcke . 001086 000101 " auf Wiedersehen " , sagte ich , " und dank fr soviel Humanit„t " . 001087 000101 es tat mir leid , daá ich so b”se mit ihr war , ich war am Ende . 001088 000101 ich ging in die Kche , nahm den Kognak aus dem Eisschrank und nahm einen tiefen Schluck . 001089 000101 es half nichts , ich nahm noch einen , es half ebensowenig . 001090 000101 von Frau Fredebeul hatte ich eine solche Abfertigung am wenigsten erwartet . 001091 000101 ich hatte mit einem langen Sermon ber die Ehe gerechnet , mit Vorwrfen ber mein Verhalten Marie gegenber ; sie konnte auf eine nette , konsequente Weise dogmatisch sein , aber meistens , wenn ich in Bonn war und sie anrief , hatte sie mich scherzhaft aufgefordert , ihr doch noch einmal in Kche und Kinderzimmer zu helfen . 001092 000101 ich muáte mich in ihr get„uscht haben , oder vielleicht war sie wieder schwanger und schlecht gelaunt . 001093 000101 ich hatte nicht den Mut , noch einmal anzurufen und m”glicherweise herauszukriegen , was mit ihr los war . 001094 000101 sie war immer so nett zu mir gewesen . 001095 000101 ich konnte es mir nicht anders erkl„ren , als daá Fredebeul ihr " strikte Anweisungen " gegeben hatte , mich so abzufertigen . 001096 000101 mir ist schon oft aufgefallen , daá Ehefrauen loyal gegenber ihrem Mann sind bis zum v”lligen Wahnsinn . 001097 000101 Frau Fredebeul war wohl zu jung , als daá sie h„tte wissen k”nnen , wie sehr mich ihre unnatrliche K„lte treffen wrde , und ich konnte ihr wohl nicht zumuten , einzusehen , daá Fredebeul nicht viel mehr ist als ein opportunistischer Schw„tzer , der um jeden Preis Karriere machen will und seine Groámutter " fallen lassen " wrde , wenn sie ihm hinderlich w„re . 001098 000101 sicher hatte er ihr gesagt : " Schnier abschreiben " , und sie schrieb mich einfach ab . 001099 000101 sie war ihm untertan , und so lange er gemeint hatte , ich sei zu irgend etwas ntze , hatte sie ihrer Natur folgen und nett zu mir sein drfen , jetzt muáte sie gegen ihre Natur schn”de zu mir sein . 001100 000102 vielleicht tat ich ihnen auch unrecht , und sie folgten beide nur ihrem Gewissen . 001101 000102 wenn Marie mit Zpfner verheiratet war , war es wohl sndhaft , wenn sie mir Kontakt mit ihr verschafften - daá Zpfner der: Mann im Dachverband war und Fredebeul ntzen konnte , machte dem Gewissen keine Schwierigkeiten . 001102 000102 sicher muáten die das Gute und Richtige auch dann tun , wenn es ihnen ntzte . 001103 000102 ber Fredebeul war ich weniger erschrocken als ber seine Frau . 001104 000102 ber ihn hatte ich mir nie Illusionen gemacht , und nicht einmal die Tatsache , daá er jetzt Wahlreden fr die CDU: hielt , konnte mich in Erstaunen versetzen . 001105 000102 ich stellte die Kognakflasche endgltig in den Eisschrank zurck . 001106 000102 am besten rief ich sie jetzt alle hintereinander an , um die Katholiken hinter mir zu haben . 001107 000102 ich war irgendwie wach geworden und humpelte nicht einmal mehr , als ich aus der Kche wieder ins Wohnzimmer ging . 001108 000102 sogar die Garderobe und die Tr zur Besenkammer in der Diele waren rostfarben . 001109 000102 ich versprach mir nichts davon , Kinkel anzurufen - und w„hlte doch seine Nummer . 001110 000102 er hatte sich immer als begeisterter Verehrer meiner Kunst erkl„rt - und wer unser Gewerbe kennt , weiá , daá sogar das winzigste Lob eines Bhnenarbeiters unsere Brust bis zum Platzen schwellen l„át . 001111 000102 ich hatte den Wunsch , Kinkels christlichen Abendfrieden zu st”ren - und den Hintergedanken , daá er mir Maries Aufenthalt verraten wrde . 001112 000102 er war der Kopf des Kreises , hatte Theologie studiert , dann aber einer hbschen Frau wegen das Studium abgebrochen , war Jurist geworden , hatte sieben Kinder und galt als " einer unserer f„higsten Sozialpolitiker " . 001113 000103 vielleicht war er's wirklich , ich konnte das nicht beurteilen . 001114 000103 bevor ich ihn kennenlernte , hatte Marie mir eine Broschre von ihm zu lesen gegeben , Wege: zu: einer: neuen: Ordnung: , und nach der Lektre dieser Schrift , die mir gut gefiel , hatte ich ihn mir als einen groáen , zarten , blonden Menschen vorgestellt , und als ich ihn dann zum erstenmal sah : einen schweren , kurzen Kerl mit dichtem schwarzen Haar , " strotzend von Vitalit„t " , konnte ich gar nicht glauben , daá er es sei . 001115 000103 daá er nicht so aussah , wie ich ihn mir vorgestellt habe , macht mich vielleicht so ungerecht ihm gegenber . 001116 000103 der alte Derkum hatte immer , wenn Marie anfing , von Kinkel zu schw„rmen , von den Kinkel-Cocktails gesprochen : Mischungen aus wechselnden Bestandteilen : Marx plus Guardini , oder Bloy plus Tolstoi . 001117 000103 als wir zum erstenmal eingeladen wurden , fing die Sache gleich peinlich an . 001118 000103 wir kamen viel zu frh , und im Hintergrund der Wohnung stritten sich Kinkels Kinder laut , mit zischenden Stimmen , die durch Zischen beschwichtigt wurden , darber , wer den Abendbrottisch abr„umen msse . 001119 000103 Kinkel kam , l„chelnd , noch kauend , und berspielte krampfhaft seine Gereiztheit ber unser zu frhes Erscheinen . 001120 000103 auch Sommerwild kam , nicht kauend , sondern grinsend und h„ndereibend . 001121 000103 Kinkels Kinder im Hintergrund kreischten auf eine b”sartige Weise , die in peinlichem Widerspruch zu Kinkels L„cheln und Sommerwilds Grinsen stand , wir h”rten , wie es hinten von Ohrfeigen klatschte , ein brutales Ger„usch , und , hinter geschlossenen Tren , wuáte ich , ging das Kreischen heftiger als vorher weiter . 001122 000103 ich saá da neben Marie und rauchte vor Aufregung , durch die Disharmonien im Hintergrund vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht , eine Zigarette nach der anderen , w„hrend Sommerwild mit Marie plauderte , immer dieses " verzeihende und groázgige L„cheln " auf dem Gesicht . 001123 000104 wir waren zum erstenmal seit unserer Flucht wieder in Bonn . 001124 000104 Marie war blaá vor Aufregung , auch vor Ehrfurcht und Stolz , und ich verstand sie sehr gut . 001125 000104 es lag ihr daran , sich mit der " Kirche wieder zu vers”hnen " , und Sommerwild war so nett zu ihr , und Kinkel und Sommerwild waren Leute , zu denen sie ehrfrchtig aufblickte . 001126 000104 sie stellte mich Sommerwild vor , und als wir uns wieder setzten , sagte Sommerwild : " sind Sie verwandt mit den Braunkohlenschniers ? " . 001127 000104 mich „rgerte das . 001128 000104 er wuáte ganz genau , mit wem ich verwandt war . 001129 000104 fast jedes Kind in Bonn wuáte , daá Marie Derkum mit einem von den Braunkohlenschniers durchgebrannt war , " kurz vor dem Abitur , und sie war doch so fromm " . 001130 000104 ich beantwortete Sommerwilds Frage gar nicht , er lachte und sagte : " mit Ihrem Herrn Groávater geh ich manchmal auf die Jagd , und Ihren Herrn Vater treffe ich gelegentlich zum Skat in der Bonner Herren-Union " . 001131 000104 auch darber „rgerte ich mich . 001132 000104 er konnte doch nicht so dumm sein , anzunehmen , daá mir dieser Unsinn mit Jagd und Herren-Union imponieren wrde , und er sah mir nicht so aus , als ob er aus Verlegenheit irgend etwas sagte . 001133 000104 ich machte endlich den Mund auf und sagte : " auf die Jagd ? . 001134 000104 ich dachte immer , katholischen Geistlichen w„re Teilnahme an der Jagd verboten " . 001135 000104 es entstand ein peinliches Schweigen , Marie wurde rot , Kinkel rannte irritiert durchs Zimmer und suchte den Korkenzieher , seine Frau , die gerade hereingekommen war , schttete Salzmandeln auf einen Glasteller , auf dem schon Oliven lagen . 001136 000104 sogar Sommerwild wurde rot , und es stand ihm gar nicht , er war schon rot genug im Gesicht . 001137 000104 er sagte leise , und doch ein biáchen gekr„nkt : " fr einen Protestanten sind Sie gut informiert " . 001138 000105 und ich sagte : " ich bin kein Protestant , aber ich interessiere mich fr bestimmte Dinge , weil Marie sich dafr interessiert " . 001139 000105 und w„hrend Kinkel uns allen Wein einschenkte , sagte Sommerwild : " es gibt Vorschriften , Herr Schnier , aber auch Ausnahmen . 001140 000105 ich stamme aus einem Geschlecht , in dem der Oberf”rsterberuf erblich war " . 001141 000105 wenn er gesagt h„tte F”rsterberuf , so h„tte ich das verstanden , daá er sagte Oberf”rsterberuf , fand ich wieder „rgerlich , aber ich sagte nichts , machte nur ein mucksiges Gesicht . 001142 000105 dann fingen sie mit ihrer Augensprache an . 001143 000105 Frau Kinkel sagte mit den Augen zu Sommerwild : lassen Sie ihn , er ist ja noch so schrecklich jung . 001144 000105 und Sommerwild sagte mit seinen Augen zu ihr : ja , jung und ziemlich ungezogen , und Kinkel sagte , w„hrend er mir als letztem Wein eingoá , mit den Augen zu mir : o Gott , wie jung Sie noch sind . 001145 000105 laut sagte er zu Marie : " wie geht's dem Vater ? . 001146 000105 immer noch der alte ? " . 001147 000105 die arme Marie war so blaá und verst”rt , daá sie nur stumm nicken konnte . 001148 000105 Sommerwild sagte : " was w„re unsere gute alte , so fromme Stadt ohne Herrn Derkum " . 001149 000105 das „rgerte mich wieder , denn der alte Derkum hatte mir erz„hlt , daá Sommerwild versucht hatte , die Kinder der katholischen Schule , die immer noch bei ihm Bonbons und Bleistifte kaufen , vor ihm zu warnen . 001150 000105 ich sagte : " ohne Herrn Derkum w„re unsere gute alte , so fromme Stadt noch dreckiger , er ist wenigstens kein Heuchler " . 001151 000105 Kinkel warf mir einen erstaunten Blick zu , hob sein Glas und sagte : " danke , Herr Schnier , Sie geben mir das Stichwort fr einen guten Toast : trinken wir auf das Wohl von Martin Derkum " . 001152 000105 ich sagte : " ja , auf sein: Wohl mit Freuden " . 001153 000105 und Frau Kinkel sprach wieder mit den Augen zu ihrem Mann : er ist nicht nur jung und ungezogen - auch unversch„mt . 001154 000106 ich habe nie verstanden , daá Kinkel sp„ter immer diesen " ersten Abend mit Ihnen " als den nettesten bezeichnet hat . 001155 000106 kurz drauf kamen Fredebeul , seine Braut , Monika Silvs und ein gewisser von Severn , von dem , bevor er kam , gesagt wurde , daá er " zwar eben konvertiert sei , aber der SPD: nahestehe " , was offenbar als himmelstrmende Sensation angesehen wurde . 001156 000106 ich sah auch Fredebeul an diesem Abend zum erstenmal , und es ging mir mit ihm wie mit fast allen : ich war ihnen trotz allem sympathisch , und sie waren mir alle trotz allem unsympathisch , auáer Fredebeuls Braut und Monika Silvs ; von Severn war mir weder das eine noch das andere . 001157 000106 er war langweilig und schien fest entschlossen , sich auf der sensationellen Tatsache , Konvertit und: SPD:-Mitglied zu sein , endgltig auszuruhen ; er l„chelte , war freundlich , und doch schienen seine etwas vorstehenden Augen st„ndig zu sagen : seht mich an , ich bins ! . 001158 000106 ich fand ihn gar nicht bel . 001159 000106 Fredebeul war sehr jovial zu mir , er sprach fast eine Dreiviertelstunde ber Beckett und Ionesco , rasselte lauter Zeug herunter , von dem ich merkte , daá ers zusammengelesen hatte , und sein glattes hbsches Gesicht mit dem berraschend breiten Mund strahlte vor Wohlwollen , als ich dummerweise bekannte , Beckett gelesen zu haben ; alles , was er sagt , kommt mir immer so bekannt vor , als ob ichs schon irgendwo gelesen h„tte . 001160 000106 Kinkel strahlte ihn bewundernd an , und Sommerwild blickte um sich , mit den Augen sprechend : was , wir Katholiken sind nicht hinterm Mond . 001161 000106 das alles war vor dem Gebet . 001162 000106 es war Frau Kinkel , die sagte : " ich glaube , Odilo , wir k”nnen das Gebet sprechen . 001163 000106 Heribert kommt wohl heute nicht " - sie blickten alle auf Marie , dann viel zu pl”tzlich von ihr weg , aber ich kapierte nicht , warum wieder so ein peinliches Schweigen entstand - erst in Hannover im Hotelzimmer wuáte ich pl”tzlich , daá Heribert Zpfners Vorname ist . 001164 000107 er kam doch noch sp„ter , nach dem Gebet , als sie mitten im Thema des Abends waren , und ich fand es sehr lieb , wie Marie sofort , als er reinkam , auf ihn zuging , ihn ansah und eine hilflose Schulterbewegung machte , bevor Zpfner die anderen begráte und sich l„chelnd neben mich setzte . 001165 000107 Sommerwild erz„hlte dann die Geschichte von dem katholischen Schriftsteller , der lange mit einer geschiedenen Frau zusammenlebte , und als er sie dann heiratete , sagte ein hoher Pr„lat zu ihm : " aber mein lieber Besewitz , konnten Sies denn nicht beim Konkubinat belassen ? " . 001166 000107 sie lachten alle ziemlich ausgelassen ber diese Geschichte , besonders Frau Kinkel auf eine fast schon obsz”ne Weise . 001167 000107 der einzige , der nicht lachte , war Zpfner , und ich hatte ihn gern deswegen . 001168 000107 auch Marie lachte nicht . 001169 000107 sicher erz„hlte Sommerwild diese Geschichte , um mir zu zeigen , wie groáherzig , warm , wie witzig und farbig die katholische Kirche sei ; daá ich mit Marie auch sozusagen im Konkubinat lebte , daran dachten sie nicht . 001170 000107 ich erz„hlte ihnen die Geschichte von dem Arbeiter , der ganz in unserer N„he gelebt hatte ; er hieá Frehlingen und hatte in seinem Siedlungsh„uschen auch mit einer geschiedenen Frau zusammengelebt , deren drei Kinder er sogar ern„hrte . 001171 000107 zu Frehlingen war eines Tages der Pfarrer gekommen und hatte ihn mit ernster Miene und unter gewissen Drohungen aufgefordert , " dem unsittlichen Treiben ein Ende zu setzen " , und Frehlingen , der ziemlich fromm war , hatte die hbsche Frau mit ihren drei Kindern tats„chlich fortgeschickt . 001172 000107 ich erz„hlte auch , wie die Frau nachher auf den Strich ging , um die Kinder zu ern„hren , und wie Frehlingen ans Saufen gekommen war , weil er sie wirklich gern hatte . 001173 000108 es entstand wieder so ein peinliches Schweigen , wie immer , wenn ich etwas sagte , aber Sommerwild lachte und sagte : " aber Herr Schnier , Sie wollen doch die beiden F„lle nicht etwa miteinander vergleichen ? " . 001174 000108 - " wieso nicht ? " sagte ich . 001175 000108 " das k”nnen Sie nur , weil Ihnen Besewitz kein Begriff ist " , sagte er wtend , " er ist der feinsinnigste Autor , der die Bezeichnung christlich verdient " . 001176 000108 und ich wurde auch wtend und sagte : " wissen Sie denn , wie feinsinnig Frehlingen war - und welch ein christlicher Arbeiter " . 001177 000108 er sah mich nur kopfschttelnd an und hob verzweifelt die H„nde . 001178 000108 es entstand eine Pause , in der man nur Monika Silvs hsteln h”rte , aber sobald Fredebeul im Zimmer ist , braucht kein Gastgeber Angst vor einer Gespr„chspause zu haben . 001179 000108 er hakte sich in die kurze Stille sofort ein , lenkte zum Thema des Abends zurck und sprach von der Relativit„t des Armutsbegriffs , etwa eineinhalb Stunden lang , bis er endlich Kinkel Gelegenheit gab , die Anekdote von jenem Mann zu erz„hlen , der zwischen fnfhundert Mark und dreitausend im Monat das nackte Elend erlebt hatte , und Zpfner bat mich um eine Zigarette , um seine Schamr”te mit Rauch zu verhllen . 001180 000108 mir war so elend wie Marie , als wir mit der letzten Bahn nach K”ln zurckfuhren . 001181 000108 wir hatten das Geld fr die Fahrt zusammengekratzt , weil Marie soviel daran gelegen hatte , die Einladung anzunehmen . 001182 000108 es war uns auch k”rperlich bel , wir hatten zu wenig gegessen und mehr getrunken , als wir gewohnt waren . 001183 000108 die Fahrt kam uns endlos lang vor , und als wir in K”ln-West ausstiegen , muáten wir zu Fuá nach Hause gehen . 001184 000109 wir hatten kein Fahrgeld mehr . 001185 000109 bei Kinkel kam sofort jemand ans Telefon . 001186 000109 " Alfred Kinkel hier " , sagte eine selbstbewuáte Jungenstimme . 001187 000109 " Schnier " , sagte ich , " k”nnte ich Ihren Vater sprechen ? " . 001188 000109 " Schnier , der Theologe oder Schnier , der Clown ? " . 001189 000109 " der Clown " , sagte ich . 001190 000109 " ach " , sagte er , " ich hoffe , Sie nehmen es nicht zu schwer ? " . 001191 000109 " schwer ? " sagte ich mde , " was soll ich nicht zu schwer nehmen ? " . 001192 000109 " was ? " sagte er , " Sie haben die Zeitung nicht gelesen ? " . 001193 000109 " welche ? " sagte ich . 001194 000109 " die Stimme Bonns " , sagte er . 001195 000109 " ein Verriá ? " fragte ich . 001196 000109 " oh " , sagte er , " ich glaube , das ist schon eher eine Todesanzeige . 001197 000109 soll ichs Ihnen mal holen und vorlesen ? " . 001198 000109 " nein , danke " , sagte ich . 001199 000109 dieser Junge hatte einen hbsch sadistischen Unterton in der Stimme . 001200 000109 " aber Sie sollten sichs anschauen " , sagte er , " um daraus zu lernen " . 001201 000109 mein Gott , p„dagogische Ambitionen hatte er auch noch . 001202 000109 " wer hats denn geschrieben ? " sagte ich . 001203 000109 " ein gewisser Kostert , der als unser Korrespondent im Ruhrgebiet bezeichnet wird . 001204 000109 gl„nzend geschrieben , aber ziemlich gemein " . 001205 000109 " nun ja , sagte ich , " er ist ja auch ein Christ " . 001206 000109 " sie etwa nicht ? " . 001207 000109 " nein " , sagte ich , " Ihr Vater ist wohl nicht zu sprechen ? " . 001208 000109 " er will nicht gest”rt werden , aber fr Sie st”re ich ihn gerne " . 001209 000110 es war das erstemal , daá Sadismus mir ntzlich wurde . 001210 000110 " danke " , sagte ich . 001211 000110 ich h”rte , wie er den H”rer auf den Tisch legte , durchs Zimmer ging , und wieder h”rte ich im Hintergrund dieses b”se Zischen . 001212 000110 es h”rte sich an , als w„re eine ganze Schlangenfamilie miteinander in Streit geraten : zwei m„nnliche Schlangen und eine weibliche . 001213 000110 es ist mir immer peinlich , wenn ich Augen- oder Ohrenzeuge von Vorg„ngen werde, die nicht fr mein Auge oder Ohr bestimmt sind , und die mystische Begabung , durchs Telefon Gerche wahrzunehmen , ist keineswegs eine Freude , sondern eine Last . 001214 000110 es roch in der Kinkelschen Wohnung nach Fleischbrhe , als h„tten sie einen ganzen Ochsen gekocht . 001215 000110 das Gezische im Hintergrund klang lebensgef„hrlich , als wrde der Sohn den Vater oder die Mutter den Sohn umbringen . 001216 000110 ich dachte an Laokoon , und daá dieses Gezische und Gekeife - ich konnte sogar Ger„usche eines Handgemenges h”ren , Aus und Ahs , Ausrufe wie " du ekelhaftes Biest " , " du brutales Schwein " - in der Wohnung dessen stattfand , der als die " graue Eminenz des deutschen Katholizismus " bezeichnet wurde , trug nicht zu meiner Erheiterung bei . 001217 000110 ich dachte auch an den miesen Kostert in Bochum , der sich noch gestern abend ans Telefon geh„ngt und seinen Text durchtelefoniert haben muáte , und doch hatte er heute morgen an meiner Zimmertr wie ein demtiger K”ter gekratzt und den christlichen Bruder gespielt . 001218 000110 Kinkel str„ubte sich offenbar buchst„blich mit H„nden und Fáen , ans Telefon zu kommen , und seine Frau - ich konnte die Ger„usche und Bewegungen im Hintergrund allm„hlich entziffern - war noch heftiger dagegen als er , w„hrend der Sohn sich weigerte , mir zu sagen , er habe sich get„uscht , sein Vater sei nicht zu Hause . 001219 000111 pl”tzlich wurde es vollkommen still , so still wie es ist , wenn jemand verblutet , wirklich : es war eine verblutende Stille . 001220 000111 dann h”rte ich schleppende Schritte , h”rte , wie einer den H”rer vom Tisch nahm , und rechnete damit , daá der H”rer aufgelegt wrde . 001221 000111 ich wuáte noch genau , wo das Telefon in Kinkels Wohung steht . 001222 000111 genau unter der von drei Barockmadonnen , die Kinkel immer als die minderwertigste bezeichnet . 001223 000111 mir w„re fast lieber gewesen , er h„tte aufgelegt . 001224 000111 ich hatte Mitleid mit ihm , es muáte frchterlich fr ihn sein , jetzt mit mir zu sprechen , und fr mich selbst erhoffte ich nichts von diesem Gespr„ch , weder Geld noch guten Rat . 001225 000111 w„re seine Stimme auáer Atem gewesen , h„tte mein Mitleid berwogen , aber seine Stimme war so dr”hnend und vital wie je . 001226 000111 jemand hat mal seine Stimme mit einem ganzen Trompetenkorps verglichen . 001227 000111 " hallo , Schnier " , dr”hnte es mir entgegen " reizend , daá Sie anrufen " . 001228 000111 " hallo , Doktor " , sagte ich " , ich bin in einer Klemme " . 001229 000111 das einzig B”sartige an meinen Worten war das Doktor , denn sein Doktor ist , wie der von Papa , ein nagelneuer h. c. . 001230 000111 " Schnier " , sagte er , " stehen wir so miteinander , daá Sie glauben , mich mit Herr Doktor anreden zu mssen ? " . 001231 000111 " ich habe keine Ahnung , wie wir miteinander stehen " , sagte ich . 001232 000111 er lachte besonders dr”hnend : vital , katholisch , offen , mit " barocker Heiterkeit " . 001233 000111 - " meine Sympathien fr Sie sind unver„ndert die gleichen " . 001234 000111 es fiel mir schwer , das zu glauben . 001235 000111 wahrscheinlich war ich fr ihn schon so tief gefallen , daá es sich nicht mehr lohnte , mich noch tiefer fallen zu lassen . 001236 000112 " sie sind in einer Krise " , sagte er , " nichts weiter , Sie sind noch jung , reiáen Sie sich zusammen , und es wird wieder werden " . 001237 000112 zusammenreissen , das klang nach Annas I. R. 9 . 001238 000112 " wovon sprechen Sie ? " fragte ich mit sanfter Stimme . 001239 000112 " wovon soll ich sprechen " , sagte er , " von Ihrer Kunst , Ihrer Karriere " . 001240 000112 " aber das meine ich gar nicht " , sagte ich , " ich spreche , wie Sie wissen , grunds„tzlich nicht ber Kunst , und ber Karriere schon gar nicht . 001241 000112 ich meine - ich will - ich suche Marie " , sagte ich . 001242 000112 er stieá einen nicht genau definierbaren Ton aus , der zwischen Grunzen und Rlpsen lag . 001243 000112 ich h”rte im Hintergrund des Zimmers noch Restgezische , h”rte , wie Kinkel den H”rer auf den Tisch legte , wieder aufnahm , seine Stimme war kleiner und dunkler , er hatte sich eine Zigarre in den Mund gesteckt . 001244 000112 " Schnier " , sagte er , " lassen Sie doch das Vergangene vergangen sein . 001245 000112 Ihre Gegenwart ist die Kunst " . 001246 000112 " vergangen ? " fragte ich , " versuchen Sie sich doch vorzustellen , Ihre Frau ginge pl”tzlich zu einem anderen " . 001247 000112 er schwieg auf eine Weise , die mir auszudrcken schien : t„te sie es doch , sagte dann , an seiner Zigarre herumschmatzend : " sie war nicht Ihre Frau , und Sie haben nicht sieben Kinder miteinander " . 001248 000112 " so " , sagte ich , " sie war nicht meine Frau ? " . 001249 000112 " ach " , sagte er , " dieser romantische Anarchismus . 001250 000112 seien Sie ein Mann " . 001251 000112 " verflucht " , sagte ich , " gerade , weil ich diesem Geschlecht angeh”re , ist die Sache schlimm fr mich - und die sieben Kinder k”nnen ja noch kommen . 001252 000112 Marie ist erst fnfundzwanzig " . 001253 000113 " unter einem Mann " , sagte er , " verstehe ich jemand , der sich abfindet " . 001254 000113 " das klingt sehr christlich " , sagte ich . 001255 000113 " Gott , ausgerechnet Sie wollen mir wohl sagen , was christlich ist " . 001256 000113 " ja " , sagte ich , " soweit ich unterrichtet bin , spenden sich nach katholischer Auffassung die Eheleute gegenseitig das Sakrament ? " . 001257 000113 " natrlich " , sagte er . 001258 000113 " und wenn sie doppelt und dreifach standesamtlich und kirchlich verheiratet sind und spenden sich das Sakrament nicht - ist die Ehe nicht existent " . 001259 000113 " hm " , machte er . 001260 000113 " h”ren Sie , Doktor " , sagte ich , " wrde es Ihnen etwas ausmachen , die Zigarre aus dem Mund zu nehmen . 001261 000113 das Ganze klingt , als spr„chen wir ber Aktienkurse . 001262 000113 ihr Schmatzen macht mir die Sache irgendwie peinlich " . 001263 000113 " na , h”ren Sie " , sagte er , aber er nahm die Zigarre aus dem Mund , " und merken Sie sich , wie Sie ber die Sache denken , ist Ihre Sache . 001264 000113 Fr„ulein Derkum denkt offenbar anders darber und handelt so , wie ihr Gewissen es ihr befiehlt . 001265 000113 genau richtig - kann ich nur sagen " . 001266 000113 " warum sagt mir dann keiner von euch ekelhaften Katholiken , wo sie ist ? . 001267 000113 ihr versteckt sie vor mir " . 001268 000113 " machen Sie sich doch nicht l„cherlich , Schnier " , sagte er , " wir leben nicht mehr im Mittelalter " . 001269 000113 " ich wnschte , wir lebten im Mittelalter " , sagte ich , " dann w„re sie mir als Konkubine erlaubt und wrde nicht dauernd in die Gewissenszange genommen . 001270 000113 nun , sie wird wiederkommen " . 001271 000114 " an Ihrer Stelle w„re ich nicht so sicher , Schnier " , sagte Kinkel . 001272 000114 " es ist schlimm , daá Ihnen offenbar das Organ fr Metaphysik fehlt " . 001273 000114 " mit Marie war alles in Ordnung , solange sie sich Sorgen um meine Seele gemacht hat , aber ihr habt ihr beigebracht , sich Sorgen um ihre eigene Seele zu machen , und jetzt ist es so , daá ich , dem das Organ fr Metaphysik fehlt , mir Sorgen um Maries Seele mache . 001274 000114 wenn sie mit Zpfner verheiratet ist , wird sie erst richtig sndig . 001275 000114 soviel habe ich von eurer Metaphysik kapiert : es ist Unzucht und Ehebruch , was sie begeht , und Pr„lat Sommerwild spielt dabei die Rolle des Kupplers " . 001276 000114 er brachte es tats„chlich fertig zu lachen , wenn auch nicht sehr dr”hnend . 001277 000114 " das klingt alles sehr komisch , wenn man bedenkt , daá Heribert sozusagen die weltliche und Pr„lat Sommerwild sozusagen die geistliche Eminenz des deutschen Katholizismus ist " . 001278 000114 " und Sie sind sein Gewissen " , sagte ich wtend , " und wissen genau , daá ich recht habe " . 001279 000114 er schnaufte eine Weile da oben am Venusberg unter der minderwertigsten seiner drei Barockmadonnen . 001280 000114 " sie sind auf eine bestrzende Weise jung - und auf eine beneidenswerte " . 001281 000114 " lassen Sie das , Doktor " , sagte ich , " lassen Sie sich nicht bestrzen und beneiden Sie mich nicht , wenn ich Marie nicht zurckbekomme , bringe ich euren attraktivsten Pr„laten um . 001282 000114 ich bringe ihn um " , sagte ich , " ich habe nichts mehr zu verlieren " . 001283 000114 er schwieg und steckte wieder seine Zigarre in den Mund . 001284 000114 " ich weiá " , sagte ich , " daá jetzt Ihr Gewissen fieberhaft arbeitet . 001285 000114 wenn ich Zpfner umbr„chte , das w„r Ihnen ganz recht : der mag Sie nicht und steht Ihnen zu weit rechts , w„hrend Sommerwild fr Sie eine gute Sttze in Rom ist , wo sie - ganz zu Unrecht brigens nach meiner bescheidenen Meinung - als linker Vogel verschrieen sind " . 001286 000115 " lassen Sie doch diesen Unsinn , Schnier . 001287 000115 was haben Sie nur ? " . 001288 000115 " Katholiken machen mich nerv”s " , sagte ich , " weil sie unfair sind " . 001289 000115 " und Protestanten ? " fragte er lachend . 001290 000115 " die machen mich krank mit ihrem Gewissensgefummel " . 001291 000115 " und Atheisten ? " . 001292 000115 er lachte noch immer . 001293 000115 " die langweilen mich , weil sie immer nur von Gott sprechen " . 001294 000115 " und was sind Sie eigentlich ? " . 001295 000115 " ich bin ein Clown " , sagte ich , " im Augenblick besser als mein Ruf . 001296 000115 und es gibt ein katholisches Lebewesen , das ich notwendig brauche : Marie - aber ausgerechnet die habt ihr mir genommen " . 001297 000115 " Unsinn , Schnier " , sagte er , " schlagen Sie sich doch diese Entfhrungstheorien aus dem Kopf . 001298 000115 wir leben im zwanzigsten Jahrhundert " . 001299 000115 " eben " , sagte ich , " im dreizehnten w„re ich ein netter Hofnarr gewesen , und nicht einmal die Kardin„le h„tten sich drum gekmmert , ob ich mit ihr verheiratet gewesen w„re oder nicht . 001300 000115 jetzt trommelt jeder katholische Laie auf ihrem armen Gewissen rum , treibt sie in ein unzchtiges , ehebrecherisches Leben nur wegen eines dummen Fetzens Papier . 001301 000115 Ihre Madonnen , Doktor , h„tten Ihnen im dreizehnten Jahrhundert Exkommunikation und Kirchenbann eingebracht . 001302 000115 sie wissen ganz genau , daá sie in Bayern und Tirol aus den Kirchen geklaut werden - ich brauche Ihnen nicht zu sagen , daá Kirchenraub auch heute noch als ziemlich schweres Verbrechen gilt " . 001303 000116 " h”ren Sie , Schnier " , sagte er , " wollen Sie etwa pers”nlich werden ? . 001304 000116 das berrascht mich bei Ihnen " . 001305 000116 " Sie mischen sich seit Jahren in meine pers”nlichsten Dinge ein , und wenn ich eine kleine Nebenbemerkung mache und Sie mit einer Wahrheit konfrontiere , die pers”nlich unangenehm werden k”nnte , werden Sie wild . 001306 000116 wenn ich wieder zu Geld gekommen bin , werde ich einen Privatdetektiv engagieren , der fr mich herausfinden muá , woher Ihre Madonnen stammen " . 001307 000116 er lachte nicht mehr , hstelte nur , und ich merkte , daá er noch nicht begriffen hatte , daá es mir ernst war . 001308 000116 " h„ngen Sie ein , Kinkel " , sagte ich , " legen Sie auf , sonst fange ich noch vom Existenzminimum an . 001309 000116 ich wnsche Ihnen und Ihrem Gewissen einen guten Abend " . 001310 000116 aber er begriff es noch immer nicht , und so war ich es , der zuerst auflegte . 001311 000117 10 . 001312 000117 ich wuáte sehr gut , daá Kinkel berraschend nett zu mir gewesen war . 001313 000117 ich glaube , er h„tte mir sogar Geld gegeben , wenn ich ihn drum gebeten h„tte . 001314 000117 sein Gerede von Metaphysik mit der Zigarre im Mund und die pl”tzliche Gekr„nktheit , als ich von seinen Madonnen anfing , das war mir doch zu ekelhaft . 001315 000117 ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben . 001316 000117 auch mit Frau Fredebeul nicht . 001317 000117 weg , Fredebeul selbst wrde ich bei irgendeiner Gelegenheit einmal ohrfeigen . 001318 000117 es ist sinnlos , gegen ihn mit " geistigen Waffen " zu k„mpfen . 001319 000117 manchmal bedaure ich , daá es keine Duelle mehr gibt . 001320 000117 die Sache zwischen Zpfner und mir , wegen Marie , w„re nur durch ein Duell zu kl„ren gewesen . 001321 000117 es war scheuálich , daá sie mit Ordnungsprinzipien , schriftlichen Erkl„rungen und tagelangen Geheimbesprechungen in einem Hannoverschen Hotel gefhrt worden war . 001322 000117 Marie war nach der zweiten Fehlgeburt so herunter , nerv”s , rannte dauernd in die Kirche und war gereizt , wenn ich an meinen freien Abenden nicht mit ihr ins Theater , ins Konzert oder zu einem Vortrag ging . 001323 000117 wenn ich ihr vorschlug , doch wieder wie frher Mensch-„rgere-dich-nicht zu spielen , Tee dabei zu trinken und auf dem Bauch im Bett zu liegen , wurde sie noch gereizter . 001324 000117 im Grunde fing die Sache damit an , daá sie nur noch aus Freundlichkeit , um mich zu beruhigen oder nett zu mir zu sein , Mensch-„rgere-dich-nicht mit mir spielte . 001325 000117 und sie ging auch nicht mehr mit in die Filme , in die ich so gern gehe : die fr Sechsj„hrige zugelassen sind . 001326 000118 ich glaube , es gibt niemanden auf der Welt , der einen Clown versteht , nicht einmal ein Clown versteht den anderen , da ist immer Neid oder Miágunst im Spiel . 001327 000118 Marie war nahe daran , mich zu verstehen , ganz verstand sie mich nie . 001328 000118 sie meinte immer , ich máte als " sch”pferischer Mensch " ein " brennendes Interesse daran haben , soviel Kultur wie m”glich aufzunehmen . 001329 000118 ein Irrtum . 001330 000118 ich wrde natrlich sofort ein Taxi nehmen , wenn ich abends frei h„tte und erfhre , daá irgendwo Beckett gespielt wird , und ich gehe auch hin und wieder ins Kino , wenn ich genau berlege , sogar oft , und immer nur in Filme , die auch fr Sechsj„hrige zugelassen sind . 001331 000118 Marie konnte das nie verstehen , ein groáer Teil ihrer katholischen Erziehung bestand eben doch nur aus psychologischen Informationen und einem mystisch verbr„mten Rationalismus , im Rahmen des " laát sie Fuáball spielen , damit sie nicht an M„dchen denken " . 001332 000118 dabei dachte ich so gern an M„dchen , sp„ter immer nur an Marie . 001333 000118 ich kam mir manchmal schon wie ein Unhold vor . 001334 000118 ich gehe gern in diese Filme fr Sechsj„hrige , weil darin von dem Erwachsenenkitsch mit Ehebruch und Ehescheidung nichts vorkommt . 001335 000118 in den Ehebruchs- und Ehescheidungsfilmen spielt immer irgend jemandes Glck eine so groáe Rolle . 001336 000118 " mach mich glcklich , Liebling " oder " willst du denn meinem Glck im Wege stehen ? " . 001337 000118 unter Glck , das l„nger als eine Sekunde , vielleicht zwei , drei Sekunden dauert , kann ich mir nichts vorstellen . 001338 000118 richtige Hurenfilme sehe ich wieder ganz gern , aber es gibt so wenige . 001339 000118 die meisten sind so anspruchsvoll , daá man gar nicht merkt , daá es eigentlich Hurenfilme sind . 001340 000118 es gibt noch eine Kategorie von Frauen , die nicht Huren und nicht Ehefrauen sind , die barmherzigen Frauen , aber sie werden in den Filmen vernachl„ssigt . 001341 000119 in den Filmen , die fr Sechsj„hrige zugelassen sind , wimmelt es meistens von Huren . 001342 000119 ich habe nie begriffen , was die Ausschsse , die die Filme einstufen , sich dabei denken , wenn sie solche Filme fr Kinder zulassen . 001343 000119 die Frauen in diesen Filmen sind entweder von Natur Huren , oder sind es nur im soziologischen Sinn ; barmherzig sind sie fast nie . 001344 000119 da tanzen in irgendeinem Wildwest-Tingel-Tangel Blondinen Cancan , rauhe Cowboys , Goldgr„ber oder Trapper , die zwei Jahre lang in der Einsamkeit hinter Stinktieren her gewesen sind , schauen den hbschen , jungen Blondinen beim Cancantanzen zu , aber wenn diese Cowboys , Goldgr„ber , Trapper dann hinter den M„dchen hergehen und mit auf deren Zimmer wollen , kriegen sie meistens die Tr vor der Nase zugeknallt , oder irgendein brutales Schwein boxt sie unbarmherzig nieder . 001345 000119 ich denke mir , daá damit etwas wie Tugendhaftigkeit ausgedrckt werden soll . 001346 000119 Unbarmherzigkeit , wo Barmherzigkeit das einzig Menschliche w„re . 001347 000119 kein Wunder , daá die armen Hunde dann anfangen , sich zu prgeln , zu schieáen , - es ist wie das Fuáballspielen im Internat, nur , da es erwachsene M„nner sind , unbarmherziger . 001348 000119 ich verstehe die amerikanische Moral nicht . 001349 000119 ich denke mir , daá dort eine barmherzige Frau als Hexe verbrannt wrde , eine Frau , die es nicht fr Geld und nicht aus Leidenschaft fr den Mann tut , nur aus Barmherzigkeit mit der m„nnlichen Natur . 001350 000119 besonders peinlich finde ich Knstlerfilme . 001351 000119 Knstlerfilme werden wohl meistens von Leuten gemacht , die van Gogh fr ein Bild nicht einmal ein ganzes , sondern nur ein halbes Paket Tabak gegeben und sp„ter auch das noch bereut h„tten , weil ihnen klar geworden w„re , daá er es ihnen fr eine Pfeife Tabak auch gegeben h„tte . 001352 000120 in Knstlerfilmen wird das Leiden der Knstlerseele , die Not und das Ringen mit dem D„mon immer in die Vergangenheit verlegt . 001353 000120 ein lebender Knstler , der keine Zigaretten hat , keine Schuhe fr seine Frau kaufen kann , ist uninteressant fr die Filmleute , weil noch nicht drei Generationen von Schw„tzern ihnen best„tigt haben , daá er ein Genie ist . 001354 000120 eine Generation von Schw„tzern wrde ihnen nicht ausreichen . 001355 000120 " das ungestme Suchen der Knstlerseele " . 001356 000120 sogar Marie glaubte daran . 001357 000120 peinlich , es gibt so etwas Žhnliches , man sollte es nur anders nennen . 001358 000120 was ein Clown braucht , ist Ruhe , die Vort„uschung von dem , was andere Leute Feierabend nennen . 001359 000120 aber diese anderen Leute begreifen eben nicht , daá die Vort„uschung von Feierabend fr einen Clown darin besteht , seine Arbeit zu vergessen , sie begreifen es nicht , weil sie sich , was fr sie wieder vollkommen natrlich ist , erst an ihrem: Feierabend mit sogenannter Kunst besch„ftigen . 001360 000120 ein Problem fr sich sind die knstlerischen Menschen , die an nichts anderes als Kunst denken , aber keinen Feierabend brauchen , weil sie nicht arbeiten . 001361 000120 wenn dann einer anf„ngt , einen knstlerischen Menschen zum Knstler zu ernennen , entstehen die peinlichsten Miáverst„ndnisse . 001362 000120 die knstlerischen Menschen fangen immer genau dann von Kunst an , wenn der Knstler gerade das Gefhl hat , so etwas wie Feierabend zu haben . 001363 000120 sie treffen meistens den Nerv ganz genau , in diesen zwei , drei , bis zu fnf Minuten , wo der Knstler die Kunst vergiát , f„ngt ein knstlerischer Mensch von van Gogh , Kafka , Chaplin oder Beckett an . 001364 000120 in solchen Augenblicken m”chte ich am liebsten Selbstmord begehen - wenn ich anfange , nur: an die Sache zu denken , die ich mit Marie tue , oder an Bier , fallende Bl„tter im Herbst , an Mensch-„rgere-dich-nicht oder an etwas Kitschiges , vielleicht Sentimentales , f„ngt irgendein Fredebeul oder Sommerwild von Kunst an . 001365 000121 genau in dem Augenblick , wo ich das ungeheuer erregende Gefhl habe , ganz normal zu sein , auf eine so spieáige Weise normal wie Karl Emonds , fangen Fredebeul oder Sommerwild von Claudel oder Ionesco an . 001366 000121 ein biáchen davon hat auch Marie , frher weniger , in der letzten Zeit mehr . 001367 000121 ich merkte es , als ich ihr erz„hlte , daá ich anfangen wrde , Lieder zur Guitarre zu singen . 001368 000121 es traf , wie sie sagte , ihren „sthetischen Instinkt . 001369 000121 der Feierabend des Nichtknstlers ist die Arbeitszeit eines Clowns . 001370 000121 alle wissen , was Feierabend ist , vom hochbezahlten Manager bis zum einfachsten Arbeiter , ob diese Burschen Bier trinken oder in Alaska B„ren schieáen , ob sie Briefmarken sammeln , Impressionisten oder Expressionisten ( eins ist sicher , wer Kunst sammelt: , ist kein Knstler ) . 001371 000121 - schon die Art , wie sie sich ihre Feierabendzigarette anstecken , eine bestimmte Miene aufsetzen , kann mich zur Raserei bringen , weil ich dieses Gefhl gerade gut genug kenne , sie um die Dauer dieses Gefhls zu beneiden . 001372 000121 es gibt Augenblicke des Feierabends fr einen Clown - dann mag er die Beine ausstrecken und fr eine halbe Zigarette lang wissen , was Feierabend ist . 001373 000121 m”rderisch ist der sogenannte Urlaub : das kennen die anderen offenbar fr drei , vier , sechs Wochen ! Marie hat ein paarmal versucht , mir dieses Gefhl zu verschaffen , wir fuhren an die See , ins Binnenland , in B„der , ins Gebirge , ich wurde schon am zweiten Tag krank , war von oben bis unten mit Pusteln bedeckt , und meine Seele war voller Mordgedanken . 001374 000121 ich denke , ich war krank vor Neid . 001375 000121 dann kam Marie auf den frchterlichen Gedanken , mit mir Ferien zu machen an einem Ort , wo Knstler Urlaub machen . 001376 000122 natrlich waren es lauter knstlerische Menschen , und ich hatte am ersten Abend schon eine Schl„gerei mit einem Schwachsinnigen , der im Filmgewerbe eine groáe Rolle spielt und mich in ein Wildwest-Tingel-tangel Blondinen Cancan , rauhe Dramen verwickelte . 001377 000122 ich wurde nicht nur ganz sch”n zusammengeschlagen ( diese knstlerischen Menschen , die es fertigbringen , von kunst„hnlichen Berufen gut zu leben , arbeiten ja nicht und strotzen vor Kraft ) , ich bekam auch eine schwere Gelbsucht . 001378 000122 sobald wir aus diesem frchterlichen Nest heraus waren , wurde ich rasch wieder gesund . 001379 000122 was mich so unruhig macht , ist die Unf„higkeit , mich zu beschr„nken , oder , wie mein Agent Zohnerer sagen wrde , zu konzentrieren . 001380 000122 meine Nummern sind zu sehr gemischt aus Pantomime , Artistik , Clownerie - ich w„re ein guter Pierrot , k”nnte aber auch ein guter Clown sein , und ich wechsle meine Nummern zu oft . 001381 000122 wahrscheinlich h„tte ich mit den Nummern katholische und evangelische Predigt , Aufsichtsratssitzung , Straáenverkehr und ein paar anderen jahrelang leben k”nnen , aber wenn ich eine Nummer zehn- oder zwanzigmal gezeigt habe , wird sie mir so langweilig , daá ich mitten im Ablauf G„hnanf„lle bekomme , buchst„blich , ich muá meine Mundmuskulatur mit „uáerster Anspannung disziplinieren . 001382 000122 ich langweile mich ber mich selbst . 001383 000122 wenn ich mir vorstelle , daá es Clowns gibt , die dreiáig Jahre lang dieselben Nummern vorfhren , wird mir so bang ums Herz , als wenn ich dazu verdammt w„re , einen ganzen Sack Mehl mit einem L”ffel leerzuessen . 001384 000122 mir muá eine Sache Spaá machen , sonst werde ich krank . 001385 000122 pl”tzlich f„llt mir ein , ich k”nnte m”glicherweise auch jonglieren oder singen : alles Ausflchte , um dem t„glichen Training zu entfliehen . 001386 000123 mindestens vier , m”glichst sechs Stunden Training , besser noch l„nger . 001387 000123 ich hatte auch das in den vergangenen sechs Wochen vernachl„ssigt und mich t„glich mit ein paar Kopfst„nden , Handst„nden und Purzelb„umen begngt und auf der Gummimatte , die ich immer mit mir herumschleppe , ein biáchen Gymnastik gemacht . 001388 000123 jetzt war das verletzte Knie eine gute Entschuldigung , auf der Couch zu liegen , Zigaretten zu rauchen und Selbstmitleid zu inhalieren . 001389 000123 meine letzte neue Pantomime Ministerrede war ganz gut gewesen , aber ich war es leid , zu karikieren , und kam doch ber eine bestimmte Grenze nicht hinaus . 001390 000123 alle meine lyrischen Versuche waren gescheitert . 001391 000123 es war mir noch nie gelungen , das Menschliche darzustellen , ohne furchtbaren Kitsch zu produzieren . 001392 000123 meine Nummern Tanzendes Paar und Schulgang und Heimkehr aus der Schule waren wenigstens artistisch noch passabel . 001393 000123 als ich aber dann Lebenslauf eines Mannes versuchte , fiel ich doch wieder in die Karikatur . 001394 000123 Marie hatte recht , als sie meine Versuche , Lieder zur Guitarre zu singen , als Fluchtversuch bezeichnete . 001395 000123 am besten gelingt mir die Darstellung allt„glicher Absurdit„ten : ich beobachte , addiere diese Beobachtungen , potenziere sie und ziehe aus ihnen die Wurzel , aber mit einem anderen Faktor als mit dem ich sie potenziert habe . 001396 000123 in jedem gr”áeren Bahnhof kommen morgens Tausende Menschen an , die in der Stadt arbeiten - und es fahren Tausende aus der Stadt weg , die auáerhalb arbeiten . 001397 000123 warum tauschen diese Leute nicht einfach ihre Arbeitspl„tze aus ? oder die Autoschlangen , die sich in Hauptverkehrszeiten aneinander vorbeiqu„len . 001398 000123 Austausch der Arbeits- oder Wohnpl„tze , und die ganze berflssige Stinkerei , das dramatische Mit-den-Armen-rudern der Polizisten w„re zu vermeiden : es w„re so still auf den Straáenkreuzungen , daá sie dort Mensch-„rgere-dich-nicht spielen k”nnten . 001399 000124 ich machte aus dieser Beobachtung eine Pantomime , bei der ich nur mit H„nden und Fáen arbeite , mein Gesicht unbewegt und schneeweiá immer in der Mitte bleibt , und es gelingt mir , mit meinen vier Extremit„ten den Eindruck einer ungeheuren Quantit„t von berstrzter Bewegung zu erwecken . 001400 000124 mein Ziel ist : m”glichst wenig , am besten gar keine Requisiten . 001401 000124 fr die Nummer Schulgang und Heimkehr von der Schule brauche ich nicht einmal einen Ranzen ; die Hand , die ihn h„lt , gengt , ich renne vor bimmelnden Straáenbahnen im letzten Augenblick ber die Straáe , springe auf Busse , von diesen ab , werde durch Schaufenster abgelenkt , schreibe mit Kreide orthographisch Falsches an H„userw„nde , stehe - zu sp„t gekommen - vor dem scheltenden Lehrer , nehme den Ranzen von der Schulter und schleiche mich in die Bank . 001402 000124 das Lyrische in der kindlichen Existenz darzustellen gelingt mir ganz gut : im Leben eines Kindes hat das Banale Gr”áe , es ist fremd , ohne Ordnung , immer tragisch . 001403 000124 auch ein Kind hat nie Feierabend als Kind ; erst , wenn die " Ordnungsprinzipien " angenommen werden , f„ngt der Feierabend an . 001404 000124 ich beobachte jede Art der Feierabend„uáerung mit fanatischem Eifer : wie ein Arbeiter die Lohntte in die Tasche steckt und auf sein Motorrad steigt , wie ein B”rsenjobber endgltig den Telefonh”rer aus der Hand legt , sein Notizbuch in die Schublade legt , diese abschlieát oder eine Lebensmittelverk„uferin die Schrze ablegt , sich die H„nde w„scht und vor dem Spiegel ihr Haar und ihre Lippen zurechtmacht , ihre Handtasche nimmt - und weg ist sie , es ist alles so menschlich , daá ich mir oft wie ein Unmensch vorkomme , weil ich den Feierabend nur als Nummer vorfhren kann . 001405 000125 ich habe mich mit Marie darber unterhalten , ob ein Tier wohl Feierabend haben k”nnte , eine Kuh , die wiederk„ut , ein Esel , der d”send am Zaun steht . 001406 000125 sie meinte , Tiere , die arbeiten und also Feierabend h„tten , w„ren eine Blasphemie . 001407 000125 Schlaf w„re so etwas wie Feierabend , eine groáartige Gemeinsamkeit zwischen Mensch und Tier , aber das Feierabendliche am Feierabend w„re ja , daá man ihn ganz bewuát erlebt . 001408 000125 sogar Žrzte haben Feierabend , neuerdings sogar die Priester . 001409 000125 darber „rgere ich mich , sie drften keinen haben und máten wenigstens das am Knstler verstehen . 001410 000125 von Kunst brauchen sie gar nichts zu verstehen , nichts von Sendung , Auftrag und solchem Unsinn , aber von der Natur des Knstlers . 001411 000125 ich habe mich mit Marie immer darber gestritten , ob der Gott , an den sie glaubt , wohl Feierabend habe , sie behauptete immer ja , holte das Alte Testament heraus und las mir aus der Sch”pfungsgeschichte vor : und am siebten Tage ruhte Gott . 001412 000125 ich widerlegte sie mit dem neuen Testament , meinte , es k”nnte ja sein , daá der Gott im alten Testament Feierabend gehabt habe , aber ein Christus mit Feierabend w„re mir unvorstellbar . 001413 000125 Marie wurde blaá , als ich das sagte , gab zu , daá ihr die Vorstellung eines Christus mit Feierabend blasphemisch vorkomme , er habe gefeiert , aber wohl nie Feierabend gehabt . 001414 000125 schlafen kann ich wie ein Tier , meistens traumlos , oft nur fr Minuten , und habe doch das Gefhl , eine Ewigkeit lang weg gewesen zu sein , als h„tte ich den Kopf durch eine Wand gesteckt , hinter der dunkle Unendlichkeit liegt , Vergessen und ewiger Feierabend , und das , woran Henriette dachte , wenn sie pl”tzlich den Tennisschl„ger auf den Boden , den L”ffel in die Suppe fallen lieá oder mit einem kurzen Schwung die Spielkarten ins Feuer warf : nichts . 001415 000126 ich fragte sie einmal , woran sie denke , wenn es ber sie k„me , und sie sagte : " weiát du es wirklich nicht ? " . 001416 000126 - " nein " , sagte ich , und sie sagte leise : " an nichts , ich denke an nichts " . 001417 000126 ich sagte , man k”nne doch gar nicht an nichts denken , und sie sagte : " doch , das kann man , ich bin dann pl”tzlich ganz leer und doch wie betrunken , und ich m”chte am liebsten auch noch die Schuhe abwerfen und die Kleider - ohne Ballast sein " . 001418 000126 sie sagte auch , es sei so groáartig , daá sie immer darauf warte , aber es k„me nie , wenn sie drauf warte , immer ganz unerwartet , und es sei wie eine Ewigkeit . 001419 000126 sie hatte es auch ein paarmal in der Schule gehabt , ich erinnere mich der heftigen Telefongespr„che meiner Mutter mit der Klassenlehrerin und des Ausdrucks : " ja , ja , hysterisch , das ist das Wort - und bestrafen Sie sie hart " . 001420 000126 ich habe ein „hnliches Gefhl der groáartigen Leere manchmal beim Mensch-„rgere-dich-nicht-Spielen , wenn es ber drei , vier Stunden lang dauert ; allein die Ger„usche , das Klappern des Wrfels , das Tappen der Puppen , das Klick , wenn man eine Puppe schl„gt . 001421 000126 ich brachte sogar Marie , die mehr zum Schachspielen neigt , dazu , schtig auf dieses Spiel zu werden . 001422 000126 es war wie ein Narkotikum fr uns . 001423 000126 wir spielten es manchmal fnf , sechs Stunden lang hintereinander , und Kellner und Zimmerm„dchen , die uns Tee oder Kaffee brachten , hatten die gleiche Mischung aus Angst und Wut im Gesicht wie meine Mutter , wenn es ber Henriette kam , und manchmal sagten sie , was die Leute im Bus gesagt hatten , als ich von Marie nach Hause fuhr : " unglaublich " . 001424 000126 Marie erfand ein sehr kompliziertes Anschreibesystem mit Punkten : je nachdem , wo einer rausgeschmissen wurde oder einen rausschmiá , bekam er Punkte , eine interessante Tabelle entwickelte sie , und ich kaufte ihr einen Vierfarbenstift , weil sie die passiven Werte und die aktiven Werte , wie sie sie nannte , dann besser markieren konnte . 001425 000127 manchmal spielten wir es auch w„hrend langer Eisenbahnfahrten zum Erstaunen seri”ser Fahrg„ste - bis ich ganz pl”tzlich merkte , daá Marie nur noch mit mir spielte , weil sie mir eine Freude machen , mich beruhigen , meiner " Knstlerseele " Entspannung verschaffen wollte . 001426 000127 sie war nicht mehr dabei , vor ein paar Monaten fing es an , als ich mich weigerte , nach Bonn zu fahren , obwohl ich fnf Tage lang hintereinander keine Vorstellung hatte . 001427 000127 ich wollte nicht nach Bonn . 001428 000127 ich hatte Angst vor dem Kreis , hatte Angst , Leo zu begegnen , aber Marie sagte dauernd , sie msse noch einmal " katholische Luft " atmen . 001429 000127 ich erinnerte sie daran , wie wir nach dem ersten Abend im Kreis von Bonn nach K”ln zurckgefahren waren , mde , elend und niedergeschlagen , und wie sie dauernd im Zug zu mir gesagt hatte : " du bist so lieb , so lieb " , und an meiner Schulter geschlafen hatte , manchmal nur war sie aufgeschreckt , wenn drauáen der Schaffner die Stationsnamen aufrief : Sechtem , Walberberg , Brhl , Kalscheuren - sie zuckte jedesmal zusammen , schrak hoch , und ich drckte ihren Kopf wieder an meine Schulter , und als wir in K”ln-West ausstiegen , sagte sie : " wir w„ren besser ins Kino gegangen " . 001430 000127 ich erinnerte sie daran , als sie von der katholischen Luft , die sie atmen msse , anfing und schlug ihr vor , ins Kino zu gehen , zu tanzen , Mensch-„rgere-dich-nicht zu spielen , aber sie schttelte den Kopf und fuhr dann allein nach Bonn . 001431 000127 ich kann mir unter katholischer Luft nichts vorstellen . 001432 000127 schlieálich waren wir in Osnabrck , und so ganz unkatholisch konnte die Luft dort nicht sein . 001433 000128 11 . 001434 000128 ich ging ins Badezimmer , kippte etwas von dem Badezeug , das Monika Silvs mir hingestellt hatte , in die Wanne und drehte den Heiáwasserhahn auf . 001435 000128 baden ist fast so gut wie schlafen , wie schlafen fast so gut ist , wie " die Sache " tun . 001436 000128 Marie hat es so genannt , und ich denke immer in ihren Worten daran . 001437 000128 ich konnte mir gar nicht vorstellen , daá sie mit Zpfner " die Sache " tun wrde , meine Phantasie hat einfach keine Kammern fr solche Vorstellungen , so wie ich nie ernsthaft in Versuchung war , in Maries W„sche zu kramen . 001438 000128 ich konnte mir nur vorstellen , daá sie mit Zpfner Mensch-„rgere-dich-nicht spielen wrde - und das machte mich rasend . 001439 000128 nichts , was ich mit ihr getan hatte , konnte sie doch mit ihm tun , ohne sich als Verr„terin oder Hure vorzukommen . 001440 000128 sie konnte ihm noch nicht mal Butter aufs Br”tchen streichen . 001441 000128 wenn ich mir vorstellte , daá sie seine Zigarette aus dem Aschenbecher nehmen und weiterrauchen wrde , wurde ich fast wahnsinnig , und die Einsicht , daá er Nichtraucher war und wahrscheinlich Schach mit ihr spielen wrde , bot keinen Trost . 001442 000128 irgend etwas muáte sie ja mit ihm tun , tanzen oder Kartenspielen , er ihr oder sie ihm vorlesen , und sprechen muáte sie mit ihm , bers Wetter und ber Geld . 001443 000128 sie konnte eigentlich nur fr ihn kochen , ohne dauernd an mich denken zu mssen , denn das hat sie so selten fr mich getan , daá es nicht unbedingt Verrat oder Hurerei sein wrde . 001444 000128 am liebsten h„tte ich gleich Sommerwild angerufen , aber es war noch zu frh , ich hatte mir vorgenommen , ihn gegen halb drei Uhr frh aus dem Schlaf zu wecken und mich mit ihm ausgiebig ber Kunst zu unterhalten . 001445 000129 acht Uhr am Abend , das war eine zu anst„ndige Zeit , ihn anzurufen und ihn zu fragen , wieviel Ordnungsprinzipien er Marie schon zu fressen gegeben hatte und welche Provision er von Zpfner bekommen wrde : ein Abtkreuz aus dem dreizehnten Jahrhundert oder eine mittelrheinische Madonna aus dem vierzehnten . 001446 000129 ich dachte auch darber nach , auf welche Weise ich ihn umbringen wrde . 001447 000129 Žstheten bringt man wohl am besten mit wertvollen Kunstgegenst„nden um , damit sie sich noch im Tode ber einen Kunstfrevel „rgern . 001448 000129 eine Madonna w„re nicht wertvoll genug und zu stabil , dann k”nnte er noch mit dem Trost sterben , die Madonna w„re gerettet , und ein Gem„lde ist nicht schwer genug , h”chstens der Rahmen , und das g„be ihm wieder den Trost , das Gem„lde selbst k”nnte erhalten bleiben . 001449 000129 von einem wertvollen Gem„lde k”nnte ich vielleicht die Farbe abkratzen und ihn mit der Leinwand ersticken oder strangulieren : kein perfekter Mord , aber ein perfekter Žsthetenmord . 001450 000129 es wrde auch nicht leicht sein , einen so kerngesunden Burschen in sein Jenseits zu bef”rdern , Sommerwild ist groá und schlank , eine " wrdige Erscheinung " , weiáhaarig und " gtig " , Alpinist und stolz darauf , daá er an zwei Weltkriegen teilgenommen und das silberne Sportabzeichen gemacht hat . 001451 000129 ein z„her , gut trainierter Gegner . 001452 000129 ich muáte unbedingt einen wertvollen Kunstgegenstand aus Metall auftreiben , aus Bronze oder Gold , vielleicht auch aus Marmor , aber ich konnte ja schlecht vorher nach Rom fahren und aus den vatikanischen Museen etwas klauen . 001453 000129 w„hrend das Badewasser einlief , fiel mir Blothert ein , ein wichtiges Mitglied des Kreises , das ich nur zweimal gesehen hatte . 001454 000130 er war so etwas wie der " rechte Gegenspieler " von Kinkel , Politiker wie dieser , aber " mit anderem Hintergrund und aus anderem Raum kommend " ; fr ihn war Zpfner , was Fredebeul fr Kinkel war : eine Art Adlatus , auch " geistiger Erbe " , aber Blothert anzurufen w„re weniger sinnvoll gewesen , als wenn ich meine Wohnzimmerw„nde um Hilfe gebeten h„tte . 001455 000130 das einzige , was in ihm halbwegs erkennbare Lebenszeichen hervorrief , waren Kinkels Barockmadonnen . 001456 000130 er verglich sie auf eine Weise mit seinen , die mir klar machte , wie abgrndig die beiden einander hassen . 001457 000130 er war Pr„sident von irgend etwas , von dem Kinkel gern Pr„sident geworden w„re , sie duzten sich noch von einer gemeinsamen Schule her . 001458 000130 ich erschrak jedes der beiden Male , als ich Blothert sah . 001459 000130 er war mittelgroá , hellblond und sah wie fnfundzwanzig aus , wenn einer ihn ansah , grinste er , wenn er etwas sagte , knirschte er erst eine halbe Minute mit den Z„hnen , und von vier Worten , die er sagte , waren zwei " der Kanzler " und f+ " katholon " +f - und dann sah man pl”tzlich , daá er ber fnfzig war , und er sah aus , wie ein durch geheimnisvolle Laster gealterter Abiturient . 001460 000130 unheimliche Erscheinung . 001461 000130 manchmal verkrampfte er sich , wenn er ein paar Worte sagte , fing an zu stottern und sagte " der Ka ka ka ka " , oder " das ka ka ka " , und ich hatte Mitleid mit ihm , bis er endlich das restliche " nzler " oder " tholon " herausgespuckt hatte . 001462 000130 Marie hatte mir von ihm erz„hlt , er sei auf eine geradezu " sensationelle Weise intelligent " . 001463 000130 ich habe nie Beweise fr diese Behauptung bekommen , ihn nur bei einer Gelegenheit mehr als zwanzig Worte sprechen h”ren : als im Kreis ber die Todesstrafe gesprochen wurde . 001464 000130 er war " ohne jede Einschr„nkung dafr " gewesen , und was mich an dieser Žuáerung verwunderte , war nur die Tatsache , daá er nicht das Gegenteil heuchelte . 001465 000131 er sprach mit einer triumphierenden Wonne im Gesicht , verhaspelte sich wieder mit seinem Ka ka , und es klang , als schlage er bei jedem Ka jemand den Kopf ab . 001466 000131 er sah mich manchmal an , und jedesmal mit einem Staunen , als máte er sich " unglaublich " verkneifen , das Kopfschtteln verkniff er sich nicht . 001467 000131 ich glaube , jemand , der nicht katholisch ist , existiert fr ihn gar nicht . 001468 000131 ich dachte immer , wenn die Todesstrafe eingefhrt wrde , wrde er dafr pl„dieren , alle Nichtkatholiken hinzurichten . 001469 000131 er hatte auch eine Frau , Kinder und ein Telefon . 001470 000131 dann wollte ich doch lieber noch einmal meine Mutter anrufen . 001471 000131 Blothert fiel mir ein , als ich an Marie dachte . 001472 000131 er wrde ja bei ihr aus- und eingehen , er hatte irgend etwas mit dem Dachverband zu tun , und die Vorstellung , daá er zu ihren Dauerg„sten geh”ren wird , machte mir Angst . 001473 000131 ich habe sie sehr gern , und ihre Pfadfinderworte : " ich muá den Weg gehen , den ich gehen muá " , waren vielleicht wie die Abschiedslosung einer Urchristin zu verstehen , die sich den Raubtieren vorwerfen l„át . 001474 000131 ich dachte auch an Monika Silvs und wuáte , daá ich irgendwann ihre Barmherzigkeit annehmen wrde . 001475 000131 sie war so hbsch und so lieb , und sie war mir im Kreis noch weniger passend vorgekommen als Marie . 001476 000131 ob sie in der Kche hantierte - ich hatte auch ihr einmal geholfen , Schnittchen zu machen - , ob sie l„chelte , tanzte oder malte , es war so selbstverst„ndlich , wenn auch die Bilder , die sie malte , mir nicht gefielen . 001477 000131 sie hatte sich von Sommerwild zu viel von Verkndigung und Aussage vorreden lassen und malte fast nur noch Madonnen . 001478 000131 ich wrde versuchen , ihr das auszureden . 001479 000131 es kann ja gar nicht gelingen , selbst wenn man dran glaubt und gut malen kann . 001480 000131 sie sollten die ganze Madonnenmalerei den Kindern berlassen oder frommen M”nchen , die sich nicht fr Knstler halten . 001481 000132 ich berlegte , ob es mir gelingen wrde , Monika das Madonnenmalen auszureden . 001482 000132 sie ist keine Dilettantin , noch jung , zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig , bestimmt unberhrt - und diese Tatsache fl”át mir Angst ein . 001483 000132 es kam mir der frcherliche Gedanke , daá die Katholiken mir die Rolle zugedacht hatten , fr sie den Siegfried zu spielen . 001484 000132 sie wrde schlieálich mit mir ein paar Jahre zusammenleben , nett sein , bis die Ordnungsprinzipien zu wirken anfingen , und dann wrde sie nach Bonn zurckkehren und von Severn heiraten . 001485 000132 ich wurde rot bei diesem Gedanken und lieá ihn fallen . 001486 000132 Monika war so lieb , und ich mochte sie nicht zum Gegenstand boshafter šberlegungen machen . 001487 000132 falls ich mich verabredete , muáte ich ihr zun„chst Sommerwild ausreden , diesen Salonl”wen , der fast wie mein Vater aussieht . 001488 000132 nur stellt mein Vater keinen anderen Anspruch , als ein halbwegs humaner Ausbeuter zu sein , und diesem Anspruch gengt er . 001489 000132 bei Sommerwild habe ich immer den Eindruck , daá er genausogut Kur- oder Konzertdirektor , f+ public relations-Manager +f einer Schuhfabrik , ein gepflegter Schlagers„nger , vielleicht auch Redakteur einer " gescheit " gemachten , modischen Zeitschrift sein k”nnte . 001490 000132 er h„lt jeden Sonntagabend eine Predigt in St. Korbinian . 001491 000132 Marie hat mich zweimal dorthin geschleppt . 001492 000132 die Vorfhrung ist peinlicher , als Sommerwilds Beh”rden erlauben sollten . 001493 000132 da lese ich doch lieber Rilke , Hofmannsthal , Newman einzeln , als daá ich mir aus den dreien eine Art Honigwasser zurechtmischen lasse . 001494 000132 mir brach w„hrend der Predigt der Schweiá aus . 001495 000132 mein vegetatives Nevernsystem vertr„gt bestimmte Erscheinungsformen von Unnatur nicht . 001496 000132 daá das Seiende sei und das Schwebende schwebe - mir wird angst , wenn ich solche Ausdrcke h”re . 001497 000133 da ist es mir schon lieber , wenn ein hilfloser dicklicher Pastor von der Kanzel die unfaábaren Wahrheiten dieser Religion herunterstammelt und sich nicht einbildet , " druckreif " zu sprechen . 001498 000133 Marie war traurig , weil mir gar nichts an Sommerwilds Predigten imponiert hatte . 001499 000133 besonders qu„lend war , daá wir nach der Predigt in einem Cafe in der N„he der Korbiniankirche hockten , das ganze Cafe sich mit knstlerischen Menschen fllte , die aus Sommerwilds Predigt kamen . 001500 000133 dann kam er selbst , es bildete sich eine Art Kreis um ihn , und wir wurden in den Kreis einbezogen , und dieses halbseidene Zeug , das er von der Kanzel heruntergesagt hatte , wurde noch zwei- , drei- , bis zu viermal wiedergek„ut . 001501 000133 eine bildhbsche junge Schauspielerin mit goldenem langen Haar und einem Engelsgesicht , von der Marie mir zuflsterte , daá sie schon zu " drei Vierteln " konvertiert sei , war drauf und dran , Sommerwild die Fáe zu kssen . 001502 000133 ich glaube , er h„tte sie nicht daran gehindert . 001503 000133 ich drehte das Badewasser ab , zog den Rock aus , Hemd und Unterhemd ber den Kopf , und warf sie in die Ecke und wollte gerade ins Bad steigen , als das Telefon klingelte . 001504 000133 ich kenne nur einen Menschen , der das Telefon so vital und m„nnlich ans Klingeln bringen kann : Zohnerer , mein Agent . 001505 000133 er spricht so nah und aufdringlich ins Telefon , daá ich jedesmal Angst habe , seine Spucke mitzubekommen . 001506 000133 wenn er mir Freundliches sagen will , f„ngt er das Gespr„ch mit : " Sie waren gestern groáartig " an ; das sagt er einfach , ohne zu wissen , ob ich wirklich groáartig war oder nicht ; wenn er mir Unfreundliches sagen will , f„ngt er an mit : " h”ren Sie , Schnier , Sie sind kein Chaplin " ; er meinte damit gar nicht , ich w„re kein so guter Clown wie Chaplin , sondern nur , ich w„re nicht berhmt genug , um mir irgend etwas zu erlauben , ber das sich Zohnerer ge„rgert hat . 001507 000134 heute wrde er nicht einmal Unfreundliches sagen , er wrde auch nicht , wie er es immer tat , wenn ich eine Vorstellung abgesagt hatte , den bevorstehenden Weltuntergang verknden . 001508 000134 er wrde mich nicht einmal der " Absagehysterie " bezichtigen . 001509 000134 wahrscheinlich hatten auch Offenbach , Bamberg und Nrnberg abgesagt , und er wrde mir am Telefon vorrechnen , wieviel Unkosten inzwischen auf meinem Konto stnden . 001510 000134 der Apparat klingelte weiter , kr„ftig , m„nnlich , vital , ich war drauf und dran , ein Sofakissen drberzuwerfen - , zog aber meinen Bademantel ber , ging ins Wohnzimmer und blieb vor dem klingelnden Telefon stehen . 001511 000134 Manager haben Nerven , Standverm”gen , Worte wie " Sensibilit„t der Knstlerseele " sind fr sie Worte wie " Dortmunder Aktienbier " , und jeder Versuch , mit ihnen ernsthaft ber Kunst und Knstler zu reden , w„re reine Atemverschwendung . 001512 000134 sie wissen auch genau , daá selbst ein gewissenloser Knstler tausendmal mehr Gewissen hat als ein gewissenhafter Manager , und sie besitzen eine Waffe , gegen die keiner ankommt : die nackte Einsicht in die Tatsache , daá ein Knstler gar nicht anders kann , als machen , was er macht : Bilder malen , als Clown durch die Lande ziehen , Lieder singen , aus Stein oder Granit " Bleibendes " herauszuhauen . 001513 000134 ein Knstler ist wie eine Frau , die gar nicht anders kann als lieben , und die auf jeden hergelaufenen m„nnlichen Esel hereinf„llt . 001514 000134 zur Ausbeutung eignen sich am besten Knstler und Frauen , und jeder Manager hat zwischen eins und neunundneunzig Prozent von einem Zuh„lter . 001515 000134 das Klingeln war reines Zuh„lterklingeln . 001516 000135 er hatte natrlich von Kostert erfahren , wann ich von Bochum abgefahren war , und wuáte genau , daá ich zu Hause war . 001517 000135 ich band den Bademantel zu und nahm den H”rer auf . 001518 000135 sofort schlug mir sein Bieratem ins Gesicht . 001519 000135 " verflucht , Schnier " , sagte er , " was soll das , mich so lange warten zu lassen " . 001520 000135 " ich unternahm gerade den bescheidenen Versuch , ein Bad zu nehmen " , sagte ich , " sollte das vertragswidrig sein ? " . 001521 000135 " Ihr Humor kann nur Galgenhumor sein " , sagte er . 001522 000135 " wo ist der Strick " , sagte ich , " baumelt er schon ? " . 001523 000135 " lassen wir die Symbolik " , sagte er , " reden wir ber die Sache " . 001524 000135 " ich habe nicht mit Symbolen angefangen " , sagte ich . 001525 000135 " egal , wer von was angefangen hat " , sagte er , " Sie scheinen also fest entschlossen , knstlerisch Selbstmord zu begehen " . 001526 000135 " lieber Herr Zohnerer " , sagte ich leise , " wrde es Ihnen etwas ausmachen , wenn Sie Ihr Gesicht etwas vom H”rer abwendeten - ich krieg Ihren Bieratem so unmittelbar ins Gesicht " . 001527 000135 er fluchte in Rotwelsch vor sich hin : " Knordenpuppe , Faikenegon " , lachte dann : " Ihre Frechheit scheint ungebrochen . 001528 000135 wovon sprachen wir noch ? " . 001529 000135 " von Kunst " , sagte ich , " aber wenn ich bitten drfte : reden wir lieber bers Gesch„ft " . 001530 000135 " dann h„tten wir kaum noch miteinander zu reden " , sagte er , " h”ren Sie , ich gebe Sie nicht auf . 001531 000135 verstehen Sie mich ? " . 001532 000135 ich konnte vor Erstaunen nicht antworten . 001533 000135 " wir ziehen Sie fr ein halbes Jahr aus dem Verkehr , und dann baue ich Sie wieder auf . 001534 000135 ich hoffe , dieser Schleimscheiáer in Bochum hat Sie nicht ernsthaft getroffen ? " . 001535 000136 " doch " , sagte ich , " er hat mich betrogen - um eine Flasche Schnaps und das , was eine Fahrt erster Klasse nach Bonn mehr kostet als zweiter " . 001536 000136 " es war Schwachsinn von Ihnen , sich das Honorar herunterhandeln zu lassen . 001537 000136 Vertrag ist Vertrag - und durch den Unfall ist Ihr Versagen erkl„rt " . 001538 000136 " Zohnerer " , sagte ich leise , " sind Sie wirklich so menschlich oder ... " . 001539 000136 " Quatsch " , sagte er , " ich habe Sie gern . 001540 000136 falls Sie das noch nicht bemerkt haben , sind Sie bl”der , als ich dachte , und auáerdem , in Ihnen steckt gesch„ftlich noch was drin . 001541 000136 lassen Sie doch diese kindische Sauferei " . 001542 000136 er hatte recht . 001543 000136 kindisch war der richtige Ausdruck dafr . 001544 000136 ich sagte : " es hat mir aber geholfen " . 001545 000136 " wobei ? " fragte er . 001546 000136 " seelisch " , sagte ich . 001547 000136 " Quatsch " , sagte er , " lassen Sie doch die Seele aus dem Spiel . 001548 000136 wir k”nnten natrlich Mainz wegen Vertragsbruchs verklagen und wrden wahrscheinlich gewinnen - aber ich rate ab . 001549 000136 ein halbes Jahr Pause - und ich baue Sie wieder auf " . 001550 000136 " und wovon soll ich leben ? " fragte ich . 001551 000136 " na " , sagte er , " ein biáchen wird Ihr Vater doch rausrcken " . 001552 000136 " und wenn ers nicht tut ? " . 001553 000136 " dann suchen Sie sich eine nette Freundin , die Sie so lange aush„lt " . 001554 000136 " ich wrde lieber tingeln gehen " , sagte ich , " ber D”rfer und St„dtchen , mit dem Fahrrad " . 001555 000136 " Sie t„uschen sich " , sagte er , " auch in D”rfern und St„dtchen werden Zeitungen gelesen , und im Augenblick werde ich Sie nicht fr zwanzig Mark den Abend an Jnglingsvereine los " . 001556 000137 " haben Sie's versucht ? " fragte ich . 001557 000137 " ja " , sagte er , " ich habe den ganzen Tag Ihretwegen telefoniert . 001558 000137 nichts zu machen . 001559 000137 es gibt nichts Deprimierenderes fr die Leute als einen Clown , der Mitleid erregt . 001560 000137 das ist wie ein Kellner , der im Rollstuhl kommt und Ihnen Bier bringt . 001561 000137 Sie machen sich Illusionen " . 001562 000137 " Sie nicht ? " fragte ich . 001563 000137 er schwieg , und ich sagte : " ich meine , wenn Sie annehmen , nach einem halben Jahr k”nnte ichs wieder probieren " . 001564 000137 " vielleicht " , sagte er , " aber es ist die einzige Chance . 001565 000137 besser w„re , ein ganzes Jahr warten " . 001566 000137 " ein Jahr " , sagte ich , " wissen Sie , wie lange ein Jahr dauert ? " . 001567 000137 - " dreihundertfnfundsechzig Tage " , sagte er , und er wendete mir wieder rcksichtslos sein Gesicht zu . 001568 000137 der Bieratem ekelte mich an . 001569 000137 " wenn ichs unter einem anderen Namen versuchte " , sagte ich , " mit einer neuen Nase und anderen Nummern . 001570 000137 Lieder zur Guitarre und ein biáchen Jonglieren " . 001571 000137 " Quatsch " , sagte er , " Ihre Singerei ist zum Heulen und Ihr Jonglieren ist purer Dilettantismus . 001572 000137 alles Quatsch . 001573 000137 sie haben das Zeug zu einem ganz guten Clown , vielleicht sogar zu einem guten , und melden Sie sich nicht wieder bei mir , ehe Sie nicht mindestens ein Vierteljahr lang t„glich acht Stunden trainiert haben . 001574 000137 ich komme dann und schau mir Ihre neuen Nummern an - oder alte , aber trainieren Sie , lassen Sie die bl”de Sauferei " . 001575 000137 ich schwieg . 001576 000137 ich h”rte ihn keuchen , an seiner Zigarette ziehen . 001577 000137 " suchen Sie sich wieder so eine treue Seele " , sagte er , " wie das M„dchen , das mit Ihnen gereist ist " . 001578 000138 " treue Seele " , sagte ich . 001579 000138 " ja " , sagte er , " alles andere ist Quatsch . 001580 000138 und bilden Sie sich nicht ein , Sie k”nnten ohne mich fertig werden und in miesen Vereinen herumtingeln . 001581 000138 das geht drei Wochen gut , Schnier , da k”nnen Sie bei Feuerwehrjubil„en ein biáchen Unsinn machen und mit dem Hut rumgehen . 001582 000138 sobald ichs erfahre , schnre ich Ihnen das alles ab " . 001583 000138 " Sie Hund " , sagte ich . 001584 000138 " ja " , sagte er , " ich bin der beste Hund , den Sie finden k”nnen , und wenn Sie anfangen , auf eigne Faust tingeln zu gehen , sind Sie in sp„testens zwei Monaten vollkommen erledigt . 001585 000138 ich kenn das Gesch„ft . 001586 000138 h”ren Sie ? " . 001587 000138 ich schwieg . 001588 000138 " ob Sie h”ren ? " fragte er leise . 001589 000138 " ja " , sagte ich . 001590 000138 " ich habe Sie gern . 001591 000138 Schnier " , sagte er , " ich habe gut mit Ihnen gearbeitet - sonst wrde ich nicht ein so kostspieliges Telefongespr„ch mit Ihnen fhren " . 001592 000138 " es ist sieben vorbei " , sagte ich , " und der Spaá kostet Sie sch„tzungsweise zwei Mark fnfzig " . 001593 000138 " ja " , sagte er , " vielleicht drei Mark , aber im Augenblick wrde kein Agent so viel an Sie legen . 001594 000138 also : in einem Vierteljahr und mit mindestens sechs tadellosen Nummern . 001595 000138 Quetschen Sie aus Ihrem Alten soviel raus , wie Sie k”nnen . 001596 000138 tschs " . 001597 000138 er hing tats„chlich ein . 001598 000138 ich hielt den H”rer noch in der Hand , h”rte das Tuten , wartete , legte nach langem Z”gern erst auf . 001599 000138 er hatte mich schon ein paar Mal beschwindelt , aber nie belogen . 001600 000138 zu einer Zeit , wo ich wahrscheinlich zweihundertfnfzig Mark pro Abend wert gewesen w„re , hatte er mir Hundertachtzigmarkvertr„ge besorgt - und wahrscheinlich ganz nett an mir verdient . 001601 000138 erst als ich aufgelegt hatte , wurde mir klar , daá er der erste war , mit dem ich gern noch l„nger telefoniert h„tte . 001602 000139 er sollte mir irgendeine andere Chance geben - als ein halbes Jahr warten . 001603 000139 vielleicht gab es eine Artistengruppe , die jemand wie mich brauchte , ich war nicht schwer , schwindelfrei und konnte nach einigem Training ganz gut ein biáchen Akrobatik mitmachen , oder mit einem anderen Clown zusammen Sketche einstudieren . 001604 000139 Marie hatte immer gesagt , ich brauche ein " Gegenber " , dann wrden mir die Nummern nicht so langweilig . 001605 000139 Zohnerer hatte bestimmt noch nicht alle M”glichkeiten bedacht . 001606 000139 ich beschloá , ihn sp„ter anzurufen , ging ins Badezimmer zurck , warf den Bademantel ab , die brigen Kleider in die Ecke und stieg in die Wanne . 001607 000139 ein warmes Bad ist fast so sch”n wie Schlaf . 001608 000139 unterwegs hatte ich immer , auch als wir noch wenig Geld hatten , Zimmer mit Bad genommen . 001609 000139 Marie hatte immer gesagt , fr diese Verschwendung sei meine Herkunft verantwortlich , aber das stimmt nicht . 001610 000139 zu Hause waren sie mit warmem Badewasser so geizig gewesen wie mit allem anderen . 001611 000139 kalt duschen , das durften wir jederzeit , aber ein warmes Bad galt auch zu Hause als Verschwendung , und nicht einmal Anna , die sonst ein paar Augen zudrckte , war in diesem Punkt umzustimmen gewesen . 001612 000139 in ihrem I.: R.: 9 hatte offenbar ein warmes Wannenbad als eine Art Todsnde gegolten . 001613 000139 auch in der Badewanne fehlte mir Marie . 001614 000139 sie hatte mir manchmal vorgelesen , wenn ich in der Wanne lag , vom Bett aus , einmal aus dem Alten Testament die ganze Geschichte von Salomon und der K”nigin von Saba , ein anderes Mal den Kampf der Machab„er , und hin und wieder aus q+ schau: heimw„rts: , Engel: +q von v+ Thomas Wolfe +v . 001615 000139 jetzt lag ich vollkommen verlassen in dieser dummen , rostroten Badewanne , das Badezimmer war schwarzgekachelt , aber Wanne , Seifenschale , Duschengriff und Klobrille waren rostfarben . 001616 000140 mir fehlte Maries Stimme . 001617 000140 wenn ich es mir berlegte , konnte sie nicht einmal mit Zpfner in der Bibel lesen , ohne sich wie eine Verr„terin oder Hure vorzukommen . 001618 000140 sie wrde an das Hotel in Dsseldorf denken mssen , wo sie mir von Salomon und der K”nigin von Saba vorgelesen hatte , bis ich in der Wanne vor Ersch”pfung einschlief . 001619 000140 die grnen Teppiche in dem Hotelzimmer , Maries dunkles Haar , ihre Stimme , dann brachte sie mir eine brennende Zigarette , und ich káte sie . 001620 000140 ich lag bis obenhin im Schaum und dachte an sie . 001621 000140 sie konnte gar nichts mit ihm oder bei ihm tun , ohne an mich zu denken . 001622 000140 sie konnte nicht einmal in seiner Gegenwart den Deckel auf die Zahnpastatube schrauben . 001623 000140 wie oft hatten wir miteinander gefrhstckt , elend und ppig , hastig und ausgiebig , sehr frh am Morgen , sp„t am Vormittag , mit sehr viel Marmelade und ohne . 001624 000140 die Vorstellung , daá sie mit Zpfner jeden Morgen um dieselbe Zeit frhstcken wrde , bevor er in seinen Wagen stieg und in sein katholisches Bro fuhr , machte mich fast fromm. ich betete darum , daá es nie sein wrde : Frhstck mit Zpfner . 001625 000140 ich versuchte mir Zpfner vorzustellen : braunhaarig , hellh„utig , gerade gewachsen , eine Art Alkibiades des deutschen Katholizismus , nur nicht so leichtfertig . 001626 000140 er stand nach Kinkels Aussage " zwar in der Mitte , aber doch mehr nach rechts als nach links " . 001627 000140 dieses Links-und-rechts-stehen war eines ihrer Hauptgespr„chsthemen . 001628 000140 wenn ich ehrlich war , muáte ich Zpfner zu den vier Katholiken , die mir als solche erschienen , hinzuz„hlen : Papst Johannes , Alec Guinness , Marie , Gregory - und Zpfner . 001629 000140 gewiá hatte auch bei ihm bei aller m”glichen Verliebtheit die Tatsache eine Rolle gespielt , daá er Marie aus einer sndigen in eine sndenlose Situation rettete . 001630 000141 das H„ndchenhalten mit Marie war offenbar nichts Ernsthaftes gewesen . 001631 000141 ich hatte mit Marie sp„ter darber geredet , sie war rot geworden , aber auf eine nette Art , und hatte mir gesagt , es " w„re viel zusammengekommen " bei dieser Freundschaft : daá ihre V„ter beide von den Nazis verfolgt gewesen w„ren , auch der Katholizismus , und " seine Art , weiát du . 001632 000141 ich hab ihn immer noch gern " . 001633 000141 ich lieá einen Teil des lau gewordenen Badewassers ablaufen , heiáes zulaufen und schttete noch etwas von dem Badezeug ins Wasser . 001634 000141 ich dachte an meinen Vater , der auch an dieser Badezeugfabrik beteiligt ist . 001635 000141 ob ich mir Zigaretten kaufe , Seife , Schreibpapier , Eis am Stiel oder Wrstchen : mein Vater ist daran beteiligt . 001636 000141 ich vermute , daá er sogar an den zweieinhalb Zentimetern Zahnpasta , die ich gelegentlich verbrauche , beteiligt ist . 001637 000141 ber Geld durfte aber bei uns zu Hause nicht gesprochen werden . 001638 000141 wenn Anna mit meiner Mutter abrechnen , ihr die Bcher zeigen wollte , sagte meine Mutter immer : " ber Geld sprechen - wie gr„álich " . 001639 000141 ein Ž: f„llt bei ihr hin und wieder , sie spricht es ganz nah an E: aus . 001640 000141 wir bekamen nur sehr wenig Taschengeld . 001641 000141 zum Glck hatten wir eine groáe Verwandtschaft , wenn sie alle zusammengetrommelt wurden , kamen fnfzig bis sechzig Onkels und Tanten zusammen , und einige davon waren so nett , uns hin und wieder etwas Geld zuzustecken , weil die Sparsamkeit meiner Mutter sprichw”rtlich war . 001642 000141 zu allem šberfluá ist die Mutter meiner Mutter adelig gewesen , eine von Hohenbrode , und mein Vater kommt sich heute noch wie ein gn„dig aufgenommener Schwiegersohn vor , obwohl sein Schwiegervater Tuhler hieá , nur seine Schwiegermutter eine geborene von Hohenbrode war . 001643 000142 die Deutschen sind ja heute adelschtiger und adelsgl„ubiger als 1910 . 001644 000142 sogar Menschen , die fr intelligent gehalten werden , reiáen sich um Adelsbekanntschaften . 001645 000142 ich máte auch auf diese Tatsache einmal Mutters Zentralkomitee aufmerksam machen . 001646 000142 es ist eine Rassenfrage . 001647 000142 selbst ein so vernnftiger Mann wie mein Groávater kann es nicht verwinden , daá die Schniers im Sommer 1918 schon geadelt werden sollten , daá es " sozusagen " schon aktenkundig war , aber dann trmte im entscheidenden Augenblick der Kaiser , der das Dekret h„tte unterschreiben mssen - er hatte wohl andere Sorgen - wenn er berhaupt je Sorgen gehabt hat . 001648 000142 diese Geschichte von dem " fast-Adel " der Schniers wird noch heute nach fast einem halben Jahrhundert bei jeder Gelegenheit erz„hlt . 001649 000142 " man hat das Dekret in seiner Majest„t Schreibmappe gefunden " , sagt mein Vater immer . 001650 000142 ich wundere mich , daá keiner nach Doorn gefahren ist und das Ding noch hat unterschreiben lassen . 001651 000142 ich h„tte einen reitenden Boten dorthin geschickt , dann w„re die Angelegenheit wenigstens in einem ihr angemessenen Stil erledigt worden . 001652 000142 ich dachte , wie Marie , wenn ich schon in der Badewanne lag , die Koffer auspackte . 001653 000142 wie sie vor dem Spiegel stand , die Handschuhe auszog , die Haare glatt strich ; wie sie die Bgel aus dem Schrank nahm , die Kleider darber h„ngte , die Bgel wieder in den Schrank ; sie knirschten auf der Messingstange . 001654 000142 dann die Schuhe , das leise Ger„usch der Abs„tze , das Scharren der Sohlen , und wie sie ihre Tuben , Fl„schchen und Tiegel auf die Glasplatte am Toilettentisch stellte ; den groáen Cremetiegel , oder die schmale Nagellackflasche , die Puderdose und den harten metallischen Laut des aufrecht hingestellten Lippenstifts . 001655 000143 ich merkte pl”tzlich , daá ich angefangen hatte , in der Badewanne zu weinen , und ich machte eine berraschende physikalische Entdeckung : meine Tr„nen kamen mir kalt vor . 001656 000143 sonst waren sie mir immer heiá vorgekommen , und ich hatte in den vergangenen Monaten einige Male heiáe Tr„nen geweint , wenn ich betrunken war . 001657 000143 ich dachte auch an Henriette , meinen Vater , an den konvertierten Leo und wunderte mich , daá er sich noch nicht gemeldet hatte . 001658 000144 12 . 001659 000144 in Osnabrck hatte sie mir zum erstenmal gesagt , sie habe Angst vor mir , als ich mich weigerte , nach Bonn zu fahren , und sie unbedingt dorthin wollte , um " katholische Luft " zu atmen . 001660 000144 der Ausdruck gefiel mir nicht , ich sagte , es g„be auch in Osnabrck genug Katholiken , aber sie sagte , ich verstnde sie eben nicht und ich wollte sie nicht verstehen . 001661 000144 wir waren schon zwei Tage in Osnabrck , zwischen zwei Engagements , und hatten noch drei Tage vor uns . 001662 000144 es regnete seit dem frhen Morgen , in keinem Kino lief ein Film , der mich interessiert h„tte , und ich hatte gar nicht erst den Vorschlag gemacht , Mensch-„rgere-dich-nicht zu spielen . 001663 000144 schon am Vortag hatte Marie dabei ein Gesicht gemacht wie eine besonders beherrschte Kinderschwester . 001664 000144 Marie lag lesend auf dem Bett , ich stand rauchend am Fenster und blickte auf die Hamburger Straáe , manchmal auf den Bahnhofsplatz , wo die Leute aus der Halle rannten , im Regen auf die haltende Straáenbahn zu . 001665 000144 wir konnten auch " die Sache " nicht machen . 001666 000144 Marie war krank . 001667 000144 sie hatte keine regelrechte Fehlgeburt gehabt , aber irgend etwas dieser Art . 001668 000144 ich war nicht genau dahinter gekommen , und keiner hatte es mir erkl„rt . 001669 000144 sie hatte jedenfalls geglaubt , sie sei schwanger , war es jetzt nicht mehr , sie war nur ein paar Stunden am Morgen im Krankenhaus gewesen . 001670 000144 sie war blaá , mde und gereizt , und ich hatte gesagt , es w„re sicher nicht gut fr sie , jetzt die lange Bahnfahrt zu machen . 001671 000144 ich h„tte gern N„heres gewuát , ob sie Schmerzen gehabt hatte , aber sie sagte mir nichts , weinte nur manchmal , aber auf eine mir ganz fremde , gereizte Art . 001672 000145 ich sah den kleinen Jungen von links die Straáe heraufkommen , auf den Bahnhofsplatz zu , er war klatschnaá und hielt im str”menden Regen seine Schulmappe offen vor sich hin . 001673 000145 er hatte den Deckel der Tasche nach hinten geschlagen und trug die Tasche vor sich her mit einem Gesichtsausdruck , wie ich ihn auf Bildern von den Heiligen Drei K”nigen gesehen habe , die dem Jesuskind Weihrauch , Gold und Myrrhe hinhalten . 001674 000145 ich konnte die nassen , fast schon aufgel”sten Buchumschl„ge erkennen . 001675 000145 der Gesichtsausdruck des Jungen erinnerte mich an Henriette . 001676 000145 hingegeben , verloren und weihevoll . 001677 000145 Marie fragte mich vom Bett aus : " woran denkst du ? " . 001678 000145 und ich sagte : " an nichts " . 001679 000145 ich sah den Jungen noch ber den Bahnhofsvorplatz gehen , langsam , dann im Bahnhof verschwinden , und hatte Angst um ihn ; er wrde fr diese weihevolle Viertelstunde fnf Minuten bitterlich báen mssen : eine zeternde Mutter , ein bekmmerter Vater , kein Geld im Haus fr neue Bcher und Hefte . 001680 000145 " woran denkst du " , fragte Marie noch einmal . 001681 000145 ich wollte schon wieder " an nichts " sagen , dann fiel mir der Junge ein , und ich erz„hlte ihr , woran ich dachte : wie der Junge nach Haus kam , in irgendein Dorf in der N„he , und wie er wahrscheinlich lgen wrde , weil niemand ihm glauben konnte , was er tats„chlich getan hatte . 001682 000145 er wrde sagen , er w„re ausgerutscht , die Mappe w„re ihm in eine Pftze gefallen , oder er habe sie fr ein paar Minuten aus der Hand gestellt , genau unter den Abfluá einer Dachrinne , und pl”tzlich w„re ein Wasserguá gekommen , mitten in die Mappe hinein . 001683 000145 ich erz„hlte das alles Marie mit leiser , monotoner Stimme , und sie sagte vom Bett her : " was soll das ? . 001684 000146 warum erz„hlst du mir solchen Unsinn ? " . 001685 000146 - " weil es das war , woran ich dachte , als du mich gefragt hast " . 001686 000146 sie glaubte mir die ganze Geschichte von dem Jungen nicht , und ich wurde b”se . 001687 000146 wir hatten einander noch nie belogen oder der Lge bezichtigt . 001688 000146 ich wurde so wtend , daá ich sie zwang , aufzustehen , die Schuhe anzuziehen und mit mir in den Bahnhof hinberzulaufen . 001689 000146 ich vergaá in der Eile den Regenschirm , wir wurden naá und fanden den Jungen im Bahnhof nicht . 001690 000146 wir gingen durch den Wartesaal , sogar zur bahnhofsmission , und ich erkundigte mich schlieálich beim Beamten an der Sperre , ob vor kurzem ein Zug abgefahren sei . 001691 000146 er sagte , ja , nach Bohmte , vor zwei Minuten . 001692 000146 ich fragte ihn , ob ein Junge durch die Sperre gekommen sei , klatschnaá , mit blondem Haar , so und so groá , er wurde miátrauisch und fragte : " was soll das ? . 001693 000146 hat er was ausgefressen ? " . 001694 000146 - " nein " , sagte ich , " ich will nur wissen , ob er mitgefahren ist " . 001695 000146 wir waren beide naá , Marie und ich , und er blickte uns miátrauisch von oben bis unten an . 001696 000146 " sind Sie Rheinl„nder ? " fragte er . 001697 000146 es klang , als fragte er mich , ob ich vorbestraft w„re . 001698 000146 " ja " , sagte ich . 001699 000146 " Ausknfte dieser Art kann ich nur mit Genehmigung meiner vorgesetzten Beh”rde geben " , sagte er . 001700 000146 er hatte sicher mit einem Rheinl„nder schlechte Erfahrungen gemacht , wahrscheinlich beim Milit„r . 001701 000146 ich kannte einen Bhnenarbeiter , der einmal von einem Berliner beim Milit„r betrogen worden war und seitdem jeden Berliner und jede Berlinerin wie pers”nliche Feinde behandelte . 001702 000146 beim Auftritt einer Berliner Artistin schaltete er pl”tzlich das Licht aus , sie vertrat sich und brach ein Bein . 001703 000146 die Sache wurde nie nachgewiesen , sondern als " Kurzschluá " deklariert , aber ich bin sicher , daá dieser Bhnenarbeiter das Licht nur ausgeschaltet hat , weil das M„dchen aus Berlin war und er beim Milit„r von einem Berliner einmal betrogen worden war . 001704 000147 der Beamte an der Sperre in Osnabrck sah mich mit einem Gesicht an , daá mir ganz bange wurde . 001705 000147 " ich habe mit dieser Dame gewettet " , sagte ich , " es geht um eine Wette " . 001706 000147 das war falsch , weil es gelogen war und jeder mir sofort ansieht , wenn ich lge . 001707 000147 " so " , sagte er , " gewettet . 001708 000147 wenn Rheinl„nder schon anfangen zu wetten " . 001709 000147 es war nichts zu machen . 001710 000147 einen Augenblick lang dachte ich daran , ein Taxi zu nehmen , nach Bohmte zu fahren , dort am Bahnhof auf den Zug zu warten und zu sehen , wie der Junge ausstieg . 001711 000147 aber er konnte ja auch in irgendeinem Nest vor oder Hinter Bohmte aussteigen . 001712 000147 wir waren klatschnaá und froren , als wir ins Hotel zurckkamen . 001713 000147 ich schob Marie in die Kneipe unten , stellte mich an die Theke , legte meinen Arm um sie und bestellte Kognak . 001714 000147 der Wirt , der gleichzeitig Hotelbesitzer war , sah uns an , als h„tte er am liebsten die Polizei gerufen . 001715 000147 wir hatten am Tag davor stundenlang Mensch-„rgere-dich-nicht gespielt , uns Schinkenbrote und Tee heraufbringen lassen , am Morgen war Marie ins Krankenhaus gefahren , blaá zurckgekommen . 001716 000147 er stellte uns den Kognak so hin , daá er halb berschwappte , und blickte ostentativ an uns vorbei . 001717 000147 " du glaubst mir nicht ? " fragte ich Marie , " ich meine mit dem Jungen " . 001718 000147 - " doch " , sagte sie , " ich glaubs dir " . 001719 000147 sie sagte es nur aus Mitleid , nicht , weil sie mir wirklich glaubte , und ich war wtend , weil ich nicht den Mut hatte , den Wirt wegen des verschtteten Kognaks zur Rede zu stellen . 001720 000147 neben uns stand ein schwerer Kerl , der schmatzend sein Bier trank . 001721 000147 er leckte sich nach jedem Schluck den Bierschaum von den Lippen , sah mich an , als wollte er mich jeden Augenblick ansprechen . 001722 000148 ich frchte mich davor , von halbbetrunkenen Deutschen einer bestimmten Altersklasse angesprochen zu werden , sie reden immer vom Krieg , finden , daá es herrlich war , und wenn sie ganz betrunken sind , stellt sich raus , daá sie M”rder sind und alles " halb so schlimm " finden . 001723 000148 Marie zitterte vor K„lte , sah mich kopfschttelnd an , als ich unsere Kognakgl„ser ber die Nickeltheke dem Wirt zuschob . 001724 000148 ich war erleichtert , weil er sie diesmal vorsichtig zu uns rberschob , ohne etwas zu verschtten . 001725 000148 es befreite mich von dem Druck , mich feige zu fhlen . 001726 000148 der Kerl neben uns schlrfte einen Klaren in sich hinein und fing an , mit sich selbst zu sprechen . 001727 000148 " vierundvierzig " , sagte er , " haben wir Klaren und Kognak eimerweise getrunken - vierundvierzig eimerweise - den Rest kippten wir auf die Straáe und steckten ihn an ... kein Tropfen fr die Schlappohren " . 001728 000148 er lachte . 001729 000148 " nicht ein Tropfen " . 001730 000148 als ich unsere Gl„ser noch einmal ber die Theke dem Wirt zuschob , fllte er nur ein Glas , sah mich fragend an , bevor er das zweite fllte , und ich merkte jetzt erst , daá Marie gegangen war . 001731 000148 ich nickte , und er fllte auch das zweite Glas . 001732 000148 ich trank beide leer , und bin heute noch erleichtert , daá es mir gelang , danach wegzugehen . 001733 000148 Marie lag weinend oben auf dem Bett , als ich meine Hand auf ihre Stirn legte , schob sie sie weg , leise , sanft , aber sie schob sie weg . 001734 000148 ich setzte mich neben sie , nahm ihre Hand , und sie lieá sie mir . 001735 000148 ich war froh . 001736 000148 es wurde schon dunkel drauáen , ich saá eine Stunde neben ihr auf dem Bett und hielt ihre Hand , bevor ich anfing zu sprechen . 001737 000148 ich sprach leise , erz„hlte noch einmal die Geschichte von dem Jungen , und sie drckte meine Hand , als wollte sie sagen : ja , ich glaub's dir ja . 001738 000148 ich bat sie auch , mir doch genau zu erkl„ren , was sie im Krankenhaus mit ihr gemacht hatten , sie sagte , es w„re eine " Frauensache " gewesen , " harmlos , aber scheuálich " . 001739 000149 das Wort Frauensache fl”át mir Schrecken ein . 001740 000149 es klingt fr mich auf eine b”se Weise geheimnisvoll , weil ich in diesen Dingen vollkommen unwissend bin . 001741 000149 ich war schon drei Jahre mit Marie zusammen , als ich zum erstenmal etwas von dieser " Frauensache " erfuhr . 001742 000149 ich wuáte natrlich , wie Frauen Kinder bekommen , aber von den Einzelheiten wuáte ich nichts . 001743 000149 ich war vierundzwanzig Jahre alt und Marie schon drei Jahre meine Frau , als ich zum erstenmal davon erfuhr . 001744 000149 Marie lachte damals , als sie merkte , wie ahnungslos ich war . 001745 000149 sie zog meinen Kopf an ihre Brust und sagte dauernd : " du bist lieb , wirklich lieb " . 001746 000149 der zweite , der mir davon erz„hlte , war Karl Emonds , mein Schulkamerad , der dauernd mit seinen frchterlichen Empf„ngnistabellen hantiert . 001747 000149 sp„ter ging ich noch fr Marie zur Apotheke , holte ihr ein Schlafmittel und saá an ihrem Bett , bis sie eingeschlafen war . 001748 000149 ich weiá bis heute nicht , was mit ihr los gewesen war und welche Komplikationen die Frauensache ihr gemacht hatte . 001749 000149 ich ging am anderen Morgen in die Stadtbibliothek , las im Lexikon alles , was ich darber finden konnte , und war erleichtert . 001750 000149 gegen Mittag fuhr Marie dann allein nach Bonn , nur mit einer Tasche . 001751 000149 sie sprach gar nicht mehr davon , daá ich mitfahren k”nnte . 001752 000149 sie sagte : " wir treffen uns dann bermorgen wieder in Fragkfurt " . 001753 000149 nachmittags , als die Sittenpolizei kam , war ich froh , daá Marie weg war , obwohl die Tatsache , daá sie weg war , fr mich „uáerst peinlich wurde . 001754 000149 ich nehme an , daá der Wirt uns angezeigt hatte . 001755 000149 ich gab Marie natrlich immer als meine Frau aus , und wir hatten nur zwei- oder dreimal Schwierigkeiten deswegen gehabt . 001756 000150 in Osnabrck wurde es peinlich . 001757 000150 es kamen eine Beamtin und ein Beamter in Zivil , sehr h”flich , auf eine Weise exakt , die ihnen wahrscheinlich als " angenehm wirkend " einexerziert worden war . 001758 000150 bestimmte Formen der H”flichkeit bei Polizisten sind mir besonders unangenehm . 001759 000150 die Beamtin war hbsch , nett geschminkt , setzte sich erst , als ich sie dazu aufgefordert hatte , nahm sogar eine Zigarette an , w„hrend ihr Kollege " unauff„llig " das Zimmer musterte . 001760 000150 " Fr„ulein Derkum ist nicht mehr bei Ihnen ? " - " nein " , sagte ich , " sie ist vorgefahren , ich treffe sie in Frankfurt , bermorgen " . 001761 000150 - " Sie sind Artist ? " . 001762 000150 ich sagte ja , obwohl es nicht stimmt , aber ich dachte , es sei einfacher , ja zu sagen . 001763 000150 " Sie mssen das verstehen " , sagte die Beamtin , " gewisse Stichproben mssen wir schon machen , wenn Durchreisende abortive - sie hstelte - Erkrankungen haben " . 001764 000150 - " ich verstehe alles " , sagte ich - ich hatte im Lexikon nichts von abortiv gelesen . 001765 000150 der Beamte lehnte es ab , sich zu setzen , h”flich , sah sich aber weiter unauff„llig um . 001766 000150 " Ihre Heimatadresse ? " fragte die Beamtin . 001767 000150 ich gab ihr unsere Bonner Adresse . 001768 000150 sie stand auf . 001769 000150 ihr Kollege warf einen Blick auf den offenen Kleiderschrank . 001770 000150 " die Kleider von Fr„ulein Derkum ? " fragte er . 001771 000150 " ja " , sagte ich . 001772 000150 er blickte seine Kollegin " vielsagend " an , sie zuckte mit den Schultern , er auch , sah noch einmal genau den Teppich an , bckte sich ber einen Flecken , sah mich an , als erwarte er , daá ich den Mord jetzt gestehen wrde . 001773 000150 dann gingen sie . 001774 000150 sie waren bis zum Schluá der Vorstellung „uáerst h”flich . 001775 000150 sobald sie weg waren , packte ich hastig alle Koffer , lieá mir die Rechnung heraufbringen , vom Bahnhof einen Gep„cktr„ger schicken und fuhr mit dem n„chsten Zug weg . 001776 000150 ich bezahlte dem Hotelier sogar den angebrochenen Tag . 001777 000150 das Gep„ck gab ich nach Frankfurt auf und stieg in den n„chsten Zug , der sdw„rts fuhr . 001778 000151 ich hatte Angst und wollte weg . 001779 000151 beim Packen hatte ich an Maries Handtuch Blutflecken gesehen . 001780 000151 noch auf dem Bahnsteig , bevor ich endlich im Zug nach Frankfurt saá , hatte ich Angst , es wrde mir pl”tzlich eine Hand auf die Schulter gelegt und jemand wrde mich mit h”flicher Stimme von hinten fragen : " gestehen Sie ? " . 001781 000151 ich h„tte alles gestanden . 001782 000151 es war schon Mitternacht vorber , als ich durch Bonn fuhr . 001783 000151 ich dachte gar nicht daran , auszusteigen . 001784 000151 ich fuhr bis Frankfurt durch , kam dort gegen vier Uhr frh an , ging in ein viel zu teures Hotel und rief Marie in Bonn an . 001785 000151 ich hatte Angst , sie k”nnte nicht zu Hause sein , aber sie kam sofort an den Apparat und sagte : " Hans , Gott sei Dank , daá du anrufst , ich hab mir solche Sorgen gemacht " . 001786 000151 " Sorgen " , sagte ich . 001787 000151 " ja " , sagte sie , " ich habe in Osnabrck angerufen und erfahren , daá du weg bist . 001788 000151 ich komme sofort nach Frankfurt , sofort " . 001789 000151 ich nahm ein Bad , lieá mir ein Frhstck aufs Zimmer bringen , schlief ein und wurde gegen elf von Marie geweckt . 001790 000151 sie war wie ver„ndert , sehr lieb und fast fr”hlich , und als ich fragte : " hast du schon genug katholische Luft geatmet ? " lachte sie und káte mich . 001791 000151 ich erz„hlte ihr nichts von der Polizei . 001792 000152 13 . 001793 000152 ich berlegte , ob ich das Badewasser noch ein zweites Mal aufbessern sollte . 001794 000152 aber es war verbraucht , ich sprte , daá ich raus muáte . 001795 000152 das Bad hatte meinem Knie nicht gut getan , es war wieder geschwollen und fast steif . 001796 000152 als ich aus der Wanne stieg , rutschte ich aus und fiel beinahe auf die sch”nen Kacheln . 001797 000152 ich wollte Zohnerer sofort anrufen und ihm vorschlagen , mich in eine Artistengruppe zu vermitteln . 001798 000152 ich trocknete mich ab , steckte mir eine Zigarette an und betrachtete mich im Spiegel : ich war mager geworden . 001799 000152 beim Klingeln des telefons hoffte ich einen Augenblick lang , es k”nnte Marie sein . 001800 000152 aber es war nicht ihr Klingeln . 001801 000152 es h„tte Leo sein k”nnen . 001802 000152 ich humpelte ins Wohnzimmer , nahm den H”rer auf und sagte : " hallo " . 001803 000152 " oh " , sagte Sommerwilds Stimme , " ich habe Sie doch hoffentlich nicht bei einem doppelten Salto gest”rt " . 001804 000152 " ich bin kein Artist " , sagte ich wtend , " sondern ein Clown - das ist ein Unterschied , mindestens so erheblich wie zwischen Jesuiten und Dominikanern - und wenn hier irgend etwas Doppeltes geschieht , dann h”chstens ein Doppelmord " . 001805 000152 er lachte . 001806 000152 " Schnier , Schnier " , sagte er , " ich mache mir ernsthaft Sorgen um Sie . 001807 000152 sie sind wohl nach Bonn gekommen , um uns allen telefonisch Feindschaft anzusagen ? " . 001808 000152 " habe ich Sie etwa angerufen " , sagte ich , " oder Sie mich ? " . 001809 000152 " ach " , sagte er , " kommt es wirklich so sehr darauf an ? " . 001810 000152 ich schwieg . 001811 000152 " ich weiá sehr wohl " , sagte er , " daá Sie mich nicht m”gen , es wird Sie berraschen , ich mag Sie , und Sie werden mir das Recht zugestehen mssen , gewisse Ordnungen , an die ich glaube und die ich vertrete , durchzusetzen " . 001812 000153 " notfalls mit Gewalt " , sagte ich . 001813 000153 " nein " , sagte er , seine Stimme klang klar , " nein , nicht mit Gewalt , aber nachdrcklich , so wie es die Person , um die es geht , erwarten darf " . 001814 000153 " warum sagen Sie Person und nicht Marie ? " . 001815 000153 " weil mir daran liegt , die Sache so objektiv wie nur m”glich zu halten " . 001816 000153 " das ist Ihr groáer Fehler , Pr„lat " , sagte ich , " die Sache ist so subjektiv , wie sie nur sein kann " . 001817 000153 mir war kalt im Bademantel , meine Zigarette war feucht geworden und brannte nicht richtig . 001818 000153 " ich bringe nicht nur Sie , auch Zpfner um , wenn Marie nicht zurckkommt " . 001819 000153 " ach Gott " , sagte er „rgerlich , " lassen Sie Heribert doch aus dem Spiel " . 001820 000153 " Sie sind witzig " , sagte ich , " irgendeiner nimmt mir meine Frau weg , und ausgerechnet den soll ich aus dem Spiel lassen " . 001821 000153 " er ist nicht irgendeiner , Fr„ulein Derkum war nicht Ihre Frau - und er hat sie Ihnen nicht weggenommen , sondern sie ist gegangen " . 001822 000153 " vollkommen freiwillig , was ? " . 001823 000153 " ja " , sagte er , " vollkommen freiwillig , wenn auch m”glicherweise im Widerstreit zwischen Natur und šbernatur " . 001824 000153 " ach " , sagte ich , " wo ist denn da die šbernatur ? " . 001825 000153 " Schnier " , sagte er „rgerlich , " ich glaube trotz allem , daá Sie ein guter Clown sind - aber von Theologie verstehen Sie nichts " . 001826 000154 " soviel verstehe ich aber davon " , sagte ich , " daá ihr Katholiken einem Ungl„ubigen wie mir gegenber so hart seid wie die Juden gegenber den Christen , die Christen gegenber den Heiden . 001827 000154 ich h”re immer nur : Gesetz , Theologie - und das alles im Grunde genommen nur wegen eines idiotischen Fetzens Papier , den der Staat - der Staat ausstellen muá " . 001828 000154 " Sie verwechseln Anlaá und Ursache " , sagte er , " ich verstehe Sie , Schnier " , sagte er , " ich verstehe Sie " . 001829 000154 " Sie verstehen gar nichts " , sagte ich , " und die Folge wird ein doppelter Ehebruch sein . 001830 000154 der , den Marie begeht , indem sie euren Heribert heiratet , dann den zweiten , den sie begeht , indem sie eines Tages mit mir wieder von dannen zieht . 001831 000154 ich bin wohl nicht feinsinnig und nicht Knstler , vor allem nicht christlich genug , als daá ein Pr„lat zu mir sagen wrde : Schnier , h„tten Sie's doch beim Konkubinat gelassen " . 001832 000154 " Sie verkennen den theologischen Kern des Unterschieds zwischen Ihrem Fall und dem , ber den wir damals stritten " . 001833 000154 " welchen Unterschied ? " fragte ich , " wohl den , daá Besewitz sensibler ist - und fr euren Verein eine wichtige Glaubenslokomotive ? " . 001834 000154 " nein " , er lachte tats„chlich . 001835 000154 " nein . 001836 000154 der Unterschied ist ein kirchenrechtlicher . 001837 000154 B. lebte mit einer geschiedenen Frau zusammen , die er gar nicht kirchlich h„tte heiraten k”nnen , w„hrend Sie - nun , Fr„ulein Derkum war nicht geschieden , und einer Trauung stand nichts im Wege " . 001838 000154 " ich war bereit zu unterschreiben " , sagte ich , " sogar zu konvertieren " . 001839 000154 " auf eine ver„chtliche Weise bereit " . 001840 000155 " soll ich Gefhle , einen Glauben heucheln , die ich nicht habe ? . 001841 000155 wenn Sie auf Recht und Gesetz bestehen - lauter formalen Dingen - warum werfen Sie mir fehlende Gefhle vor ? " . 001842 000155 " ich werfe Ihnen gar nichts vor " . 001843 000155 ich schwieg . 001844 000155 er hatte recht , die Erkenntnis war schlimm . 001845 000155 Marie war weggegangen , und sie hatten sie natrlich mit offenen Armen aufgenommen , aber wenn sie h„tte bei mir bleiben wollen , h„tte keiner sie zwingen k”nnen , zu gehen . 001846 000155 " hallo , Schnier " , sagte Sommerwild . 001847 000155 " sind Sie noch da ? " . 001848 000155 " ja " , sagte ich , " ich bin noch da " . 001849 000155 ich hatte mir das Telefongespr„ch mit ihm anders vorgestellt . 001850 000155 um halb drei Uhr morgens ihn aus dem Schlaf wecken , ihn beschimpfen und bedrohen . 001851 000155 " was kann ich fr Sie tun ? " fragte er leise . 001852 000155 " nichts " , sagte ich , " wenn Sie mir sagen , daá diese Geheimkonferenzen in dem Hotel in Hannover einzig und allein dem Zweck dienten , Marie in ihrer Treue zu mir zu best„rken - dann will ich es Ihnen glauben " . 001853 000155 " zweifellos verkennen Sie , Schnier " , sagte er , " daá Fr„ulein Derkums Verh„ltnis zu Ihnen in einer Krise war " . 001854 000155 " und da mát ihr gleich einhaken " , sagte ich , " ihr eine gesetzliche und kirchenrechtliche Lcke zeigen , sich von mir zu trennen . 001855 000155 ich dachte immer , die katholische Kirche w„re gegen die Scheidung " . 001856 000155 " Herrgott noch mal , Schnier " , rief er , " Sie k”nnen doch von mir als katholischem Priester nicht verlangen , daá ich eine Frau darin best„rke , im Konkubinat zu verharren " . 001857 000155 " warum nicht ? " sagte ich . 001858 000155 " Sie treiben sie in Unzucht und Ehebruch hinein - wenn Sie das als Priester verantworten k”nnen , bitte " . 001859 000156 " Ihr Antiklerikalismus berrascht mich . 001860 000156 ich kenne das nur bei Katholiken " . 001861 000156 " ich bin gar nicht antiklerikal , bilden Sie sich nichts ein , ich bin nur Anti-Sommerwild , weil Sie unfair gewesen sind und doppelzngig sind " . 001862 000156 " mein Gott " , sagte er , " wieso ? " . 001863 000156 " wenn man Ihre Predigten h”rt , denkt man , Ihr Herz w„re so groá wie ein Focksegel , aber dann tuscheln und mogeln Sie in Hotelhallen herum . 001864 000156 w„hrend ich im Schweiáe meines Angesichts mein Brot verdiene , konferieren Sie mit meiner Frau , ohne mich anzuh”ren . 001865 000156 unfair und doppelzngig , aber was soll man von einem Žstheten anders erwarten ? " . 001866 000156 " schimpfen Sie nur " , sagte er , " tun Sie mir Unrecht , bitte . 001867 000156 ich kann Sie ja so gut verstehen " . 001868 000156 " nichts verstehen Sie , Sie haben Marie ein verfluchtes , gepanschtes Zeug eingetrichtert . 001869 000156 ich trinke nun mal lieber reine Sachen : reiner Kartoffelschnaps ist mir lieber als ein gef„lschter Kognak " . 001870 000156 " reden Sie nur " , sagte er , " reden Sie - es klingt ganz , als w„ren Sie innerlich beteiligt " . 001871 000156 " ich bin daran beteiligt , Pr„lat , innerlich und „uáerlich , weil es um Marie geht " . 001872 000156 " es wird der Tag kommen , an dem Sie einsehen , daá Sie mir Unrecht getan haben , Schnier . 001873 000156 in dieser Sache und im allgemeinen - " seine Stimme nahm eine fast weinerliche F„rbung an , " und was mein Panschen betrifft , vielleicht vergessen Sie , daá manche Menschen Durst haben , einfach Durst , und daá ihnen Gepanschtes lieber sein k”nnte als gar nichts zu trinken " . 001874 000156 " aber in Ihrer Heiligen Schrift steht doch die Sache von dem reinen , klaren Wasser - warum schenken Sie das nicht aus ? " . 001875 000157 " vielleicht " , sagte er zittrig , " weil ich - ich bleibe in Ihrem Vergleich - weil ich am Ende einer langen Kette stehe , die das Wasser aus dem Brunnen sch”pft , ich bin vielleicht der hundertste oder tausendste in der Kette und das Wasser ist nicht mehr ganz so frisch - und noch eins , Schnier , h”ren Sie ? " . 001876 000157 " ich h”re " , sagte ich . 001877 000157 " Sie k”nnen eine Frau auch lieben , ohne mit ihr zusammenzuleben " . 001878 000157 " so ? " sagte ich , " jetzt fangen Sie wohl von der Jungfrau Maria an " . 001879 000157 " spotten Sie nicht , Schnier " , sagte er , " das paát nicht zu Ihnen " . 001880 000157 " ich spotte gar nicht " , sagte ich , " ich bin durchaus f„hig , etwas zu respektieren , was ich nicht verstehe . 001881 000157 ich halte es nur fr einen verh„ngnisvollen Irrtum , einem jungen M„dchen , das nicht ins Kloster gehen will , die Jungfrau Maria als Vorbild anzubieten . 001882 000157 ich habe sogar einmal einen Vortrag darber gehalten " . 001883 000157 " so ? " sagte er , " wo denn ? " . 001884 000157 " hier in Bonn " , sagte ich , " vor jungen M„dchen . 001885 000157 vor Maries Gruppe . 001886 000157 ich bin von K”ln rbergekommen an einem Heimabend , habe den M„dchen ein paar Faxen vorgemacht und mich mit ihnen ber die Jungfrau Maria unterhalten . 001887 000157 fragen Sie Monika Silvs , Pr„lat . 001888 000157 ich konnte mit den M„dchen natrlich nicht ber das reden , was Sie das fleischliche Verlangen nennen ! . 001889 000157 h”ren Sie noch ? " . 001890 000157 " ich h”re " , sagte er , " und staune . 001891 000157 Sie werden recht drastisch , Schnier " . 001892 000157 " verflucht noch mal , Pr„lat " , sagte ich , " der Vorgang , der zur Zeugung eines Kindes fhrt , ist eine ziemlich drastische Sache - wir k”nnen uns auch , wenn es Ihnen lieber ist , ber den Klapperstorch unterhalten . 001893 000158 alles , was ber diese drastische Sache gesagt , gepredigt und gelehrt wird , ist Heuchelei . 001894 000158 ihr haltet im Grunde eures Herzens diese Sache fr eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei - oder macht euch Illusionen und trennt das K”rperliche von dem , was auáerdem noch zu der Sache geh”rt - aber gerade das , was auáerdem dazu geh”rt , ist das Komplizierte . 001895 000158 nicht einmal die Ehefrau , die ihren Eheherrn nur noch erduldet , ist nur K”rper - und nicht der dreckigste Trunkenbold , der zu einer Dirne geht , ist nur K”rper , sowenig wie die Dirne . 001896 000158 ihr behandelt diese Sache wie eine Sylvesterrakete - und sie ist Dynamit " . 001897 000158 " Schnier " , sagte er matt , " ich bin erstaunt , wieviel Sie ber die Sache nachgedacht haben " . 001898 000158 " erstaunt " , schrie ich , " Sie sollten erstaunt sein ber die gedankenlosen Hunde , die ihre Frauen einfach als rechtm„áigen Besitz betrachten . 001899 000158 fragen Sie Monika Silvs , was ich den M„dchen damals darber gesagt habe . 001900 000158 seitdem ich weiá , daá ich m„nnlichen Geschlechts bin , habe ich fast ber nichts so sehr nachgedacht - und das erstaunt Sie ? " . 001901 000158 " Ihnen fehlt jede , aber auch die geringste Vorstellung von Recht: und Gesetz: . 001902 000158 diese Dinge - wie kompliziert sie auch sein m”gen - mssen doch geregelt werden " . 001903 000158 " ja " , sagte ich , " von euren Regeln habe ich ein biáchen mitbekommen . 001904 000158 ihr schiebt die Natur auf ein Gleis , das ihr Ehebruch nennt - wenn die Natur in die Ehe einbricht , bekommt ihr es mit der Angst zu tun . 001905 000158 gebeichtet , verziehen , gesndigt - und so weiter . 001906 000158 alles gesetzlich geregelt " . 001907 000158 er lachte . 001908 000158 sein Lachen klang gemein . 001909 000158 " Schnier " , sagte er , " ich merke schon , was mit Ihnen los ist . 001910 000159 offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel " . 001911 000159 " Sie verstehen nicht einmal etwas von Zoologie " , sagte ich , " geschweige denn vom f+ homo: sapiens: +f . 001912 000159 Esel sind gar nicht monogam , obwohl sie fromm aussehen . 001913 000159 bei Eseln herrscht vollkommene Promiskuit„t . 001914 000159 Raben sind monogam , Stichlinge Dohlen und manchmal Nash”rner " . 001915 000159 " Marie offenbar nicht " , sagte er . 001916 000159 er muáte wohl gemerkt haben , wie mich dieser kleine Satz traf , denn er fuhr leise fort : " tut mir leid , Schnier , ich h„tte es Ihnen gern erspart , glauben Sie mir das ? " . 001917 000159 ich schwieg . 001918 000159 ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich , sah , wie die Glut sich verteilte , kleine , schwarze L”cher brannte . 001919 000159 " Schnier " , rief er flehend , " glauben Sie mir wenigstens , daá ichs Ihnen nicht gern sage " . 001920 000159 " ist es nicht gleichgltig " , sagte ich , " was ich Ihnen glaube ? . 001921 000159 aber bitte : ich glaubs Ihnen " . 001922 000159 " Sie sprachen eben soviel von Natur " , sagte er , " Sie h„tten Ihrer Natur folgen , hinter Marie herreisen und um sie k„mpfen sollen " . 001923 000159 " k„mpfen " , sagte ich , " wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen " . 001924 000159 " es war keine Ehe , was Sie mit Fr„ulein Derkum fhrten " . 001925 000159 " gut " , sagte ich , " meinetwegen . 001926 000159 keine Ehe . 001927 000159 ich habe fast jeden Tag mit ihr zu telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben " . 001928 000159 " ich weiá " , sagte er , " ich weiá . 001929 000159 jetzt ist es zu sp„t " . 001930 000159 " jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch " , sagte ich . 001931 000159 " Sie sind dessen unf„hig " , sagte er , " ich kenne Sie besser als Sie glauben , und Sie m”gen schimpfen und mir drohen , soviel Sie wollen , ich sags Ihnen , das Schreckliche an Ihnen ist , daá Sie ein unschuldiger , fast m”chte ich sagen , reiner Mensch sind . 001932 000160 kann ich Ihnen helfen ... ich meine ... " . 001933 000160 er schwieg . 001934 000160 " Sie meinen mit Geld " , fragte ich . 001935 000160 " auch das " , sagte er , " aber ich meinte beruflich " . 001936 000160 " ich komme vielleicht drauf zurck " , sagte ich , " auf beides , das Geld und das Berufliche . 001937 000160 wo ist sie denn ? " . 001938 000160 ich h”rte ihn atmen , und in der Stille roch ich zum erstenmal etwas : ein mildes Rasierwasser , ein biáchen Rotwein , auch Zigarre , aber schwach . 001939 000160 " sie sind nach Rom gefahren " , sagte er . 001940 000160 " Flitterwochen , wie ? " fragte ich heiser . 001941 000160 " so nennt man's " , sagte er . 001942 000160 " damit die Hurerei komplett wird " , sagte ich . 001943 000160 ich legte auf , ohne ihm Danke oder auf Wiedersehen zu sagen . 001944 000160 ich blickte auf die schwarzen Pnktchen , die die Zigarettenglut im Teppich gebrannt hatte , aber ich war zu mde , drauf zu treten und sie ganz zum Verl”schen zu bringen . 001945 000160 mir war kalt , und das Knie schmerzte . 001946 000160 ich war zu lange in der Badewanne gewesen . 001947 000160 mit mir hatte Marie nicht nach Rom fahren wollen . 001948 000160 sie war rot geworden , als ich ihr das vorschlug , sie sagte : Italien ja , aber Rom nicht , und als ich sie fragte , warum nicht , fragte sie : weiát Du's wirklich nicht ? . 001949 000160 nein , sagte ich , und sie hatte es mir nicht gesagt . 001950 000160 ich w„re gern mit ihr nach Rom gefahren , um den Papst zu sehen . 001951 000160 ich glaube , ich h„tte sogar auf dem Petersplatz stundenlang gewartet , in die H„nde geklatscht und f+ Evviva +f gerufen , wenn er ans Fenster gekommen w„re . 001952 000160 als ich das Marie erkl„rte , wurde sie fast wtend . 001953 000160 sie sagte , sie f„nde es " irgendwie pervers " , daá ein Agnostiker wie ich dem Heiligen Vater zujubeln m”chte . 001954 000161 sie war richtig eiferschtig . 001955 000161 ich habe das oft bei Katholiken bemerkt : sie hten ihre Sch„tze - die Sakramente , den Papst - wie Geizh„lse . 001956 000161 auáerdem sind sie die eingebildetste Menschengruppe , die ich kenne . 001957 000161 sie bilden sich auf alles was ein : auf das , was stark an ihrer Kirche , auf das , was schwach an ihr ist , und sie erwarten von jedem , den sie fr halbwegs intelligent halten , daá er bald konvertiert . 001958 000161 vielleicht war Marie deshalb nicht mit mir nach Rom gefahren , weil sie sich dort ihres sndigen Zusammenlebens mit mir besonders h„tte sch„men mssen . 001959 000161 in manchen Dingen war sie naiv , und sehr intelligent war sie nicht . 001960 000161 es war gemein von ihr , jetzt mit Zpfner dorthin zu fahren . 001961 000161 sicher wrden sie eine Audienz bekommen , und der arme Papst , der sie mit Meine Tochter und Zpfner mit Mein guter Sohn anreden wrde , wrde nicht ahnen , daá ein unzchtiges und ehebrecherisches Paar vor ihm kniete . 001962 000161 vielleicht war sie auch mit Zpfner nach Rom gefahren , weil sie dort nichts an mich erinnerte . 001963 000161 wir waren in Neapel , Venedig und Florenz gewesen , in Paris und in London , und in vielen deutschen St„dten . 001964 000161 in Rom konnte sie vor Erinnerungen sicher sein , und sicher hatte sie dort ausreichend " katholische Luft " . 001965 000161 ich nahm mir vor , Sommerwild doch noch anzurufen und ihm zu sagen , daá ich es besonders sch„big von ihm f„nde , mich wegen meiner monogamen Veranlagung zu verspotten . 001966 000161 aber fast alle gebildeten Katholiken haben diesen gemeinen Zug , entweder hocken sie sich hinter ihren Schutzwall aus Dogmen , werfen mit aus Dogmen zurechtgehauenen Prinzipien um sich , aber wenn man sie ernsthaft konfrontiert mit ihren " unerschtterlichen Wahrheiten " , l„cheln sie und beziehen sich auf " die menschliche Natur " . 001967 000162 notfalls setzen sie ein mokantes L„cheln auf , als wenn sie gerade beim Papst gewesen w„ren und der ihnen ein Stckchen Unfehlbarkeit mitgegeben h„tte . 001968 000162 jedenfalls , wenn man anf„ngt , ihre kaltbltig verkndeten ungeheuerlichen Wahrheiten ganz ernst zu nehmen , ist man entweder ein " Protestant " oder humorlos . 001969 000162 redet man ernsthaft mit ihnen ber die Ehe , fahren sie ihren Heinrich den Achten auf , mit dieser Kanone schieáen sie schon seit dreihundert Jahren , damit wollen sie kundtun , wie hart ihre Kirche ist , aber wenn sie kundtun wollen , wie weich sie ist , welch ein groáes Herz sie hat , kommen sie mit Besewitz-Anekdoten , erz„hlen Bischofswitze , aber nur unter " Eingeweihten " , worunter sie - ob sie sich links oder rechts fhlen , spielt dann keine Rolle mehr - " gebildet und intelligent " verstehen . 001970 000162 als ich Sommerwild damals aufforderte , doch die Pr„latenstory mit Besewitz einmal von der Kanzel herunter zu erz„hlen , wurde er wtend . 001971 000162 von der Kanzel herunter schieáen sie , wenn es um Mann und Frau geht , immer nur mit ihrer Hauptkanone : Heinrich dem Achten . 001972 000162 ein K”nigreich fr eine Ehe ! . 001973 000162 das Recht ! . 001974 000162 das Gesetz ! . 001975 000162 das Dogma ! . 001976 000162 mir wurde bel , aus verschiedenen Grnden , k”rperlich , weil ich seit dem elenden Frhstck in Bochum auáer Kognak und Zigaretten nichts zu mir genommen hatte - seelisch , weil ich mir vorstellte , wie Zpfner in einem r”mischen Hotel Marie beim Ankleiden zusah . 001977 000162 wahrscheinlich wrde er auch in ihrer W„sche kramen . 001978 000162 diese korrekt gescheitelten , intelligenten , gerechten und gebildeten Katholiken brauchen barmherzige Frauen . 001979 000162 Marie war fr Zpfner nicht die richtige . 001980 000162 einer wie er , der immer tadellos angezogen ist , modisch genug , um nicht altmodisch , und doch nicht so modisch , um dandyhaft zu wirken ; und einer , der sich morgens ausgiebig mit kaltem Wasser w„scht und sich mit einem Eifer die Z„hne putzt , als gelte es einen Rekord zu gewinnen - fr ihn ist Marie nicht intelligent genug und auch eine viel zu eifrige Morgentoilettenmacherin . 001981 000163 er ist der Typ , der sich , bevor er zum Papst ins Audienzzimmer gefhrt wird , noch rasch mit dem Taschentuch ber die Schuhe fahren wrde . 001982 000163 mir tat auch der Papst leid , vor dem die beiden knien wrden . 001983 000163 er wrde gtig l„cheln und sich herzlich freuen ber dieses hbsche , sympathische , katholische deutsche Paar - und wieder einmal betrogen sein . 001984 000163 er konnte ja nicht ahnen , daá er zwei Ehebrechern seinen Segen erteilte . 001985 000163 ich ging ins Badezimmer , frottierte mich , zog mich wieder an , ging in die Kche und setzte Wasser auf . 001986 000163 Monika hatte an alles gedacht . 001987 000163 Streichh”lzer lagen auf dem Gasherd , gemahlener Kaffee stand da in einer luftdichten Dose , Filterpapier daneben , Schinken , Eier , Bchsengemse im Eisschrank . 001988 000163 ich mache Kchenarbeit nur dann gern , wenn sie die einzige Chance ist , bestimmten Formen der Erwachsenengespr„chigkeit zu entfliehen . 001989 000163 wenn Sommerwild von " Eros " anf„ngt , Blothert sein Ka ... Ka ... Kanzler ausspuckt oder Fredebeul einen geschickt kompilierten Vortrag ber Cocteau h„lt - dann allerdings gehe ich lieber in die Kche , drcke Mayonnaise aus Tuben , halbiere Oliven und streiche Leberwurst auf Br”tchen . 001990 000163 wenn ich allein in der Kche fr mich etwas anrichten will , fhle ich mich verloren . 001991 000163 meine H„nde werden ungeschickt vor Einsamkeit , und die Notwendigkeit , eine Bchse zu ”ffnen , Eier in die Pfanne zu schlagen , versetzt mich in tiefe Melancholie . 001992 000163 ich bin kein Junggeselle . 001993 000164 wenn Marie krank war oder arbeiten ging - sie hatte eine Zeitlang in K”ln in einem Papierwarenladen gearbeitet - , machte es mir nicht soviel aus , in der Kche zu arbeiten , und als sie die erste Fehlgeburt hatte , hatte ich sogar die Bettw„sche gewaschen , bevor unsere Wirtin aus dem Kino nach Hause kam . 001994 000164 es gelang mir , eine Bchse Bohnen zu ”ffnen , ohne mir die Hand zu ratschen , ich goá kochendes Wasser in den Filter , w„hrend ich an das Haus dachte . 001995 000164 das Zpfner sich hatte bauen lassen . 001996 000164 vor zwei Jahren war ich einmal dort gewesen . 001997 000165 14 . 001998 000165 ich sah sie im Dunkel nach Haus kommen . 001999 000165 der scharf gebrstete Rasen sah im Mondlicht fast blau aus . 002000 000165 neben der Garage abgeschnittene Zweige , vom G„rtner dort aufgeh„uft . 002001 000165 zwischen Ginster und Rotdornbusch der Abfalleimer , zum Abholen bereit . 002002 000165 Freitagabend . 002003 000165 schon wrde sie wissen , wonach es in der Kche roch , nach Fisch , sie wrde auch wissen , welche Zettel sie finden wrde , den einen von Zpfner auf dem Fernsehapparat : " muáte noch dringend zu F. Kuá . 002004 000165 Heribert " , den anderen vom M„dchen auf dem Eisschrank : " bin ins Kino , um zehn zurck . 002005 000165 Grete ( Luise , Birgit ) " . 002006 000165 Garagentor ”ffnen , Licht anknipsen : an der weiágetnchten Wand der Schatten eines Rollers und einer ausrangierten N„hmaschine . 002007 000165 in Zpfners Box der Mercedes bewies , daá Zpfner zu Fuá gegangen war . 002008 000165 " Luft schnappen , ein biáchen Luft schnappen , Luft " . 002009 000165 Dreck an Reifen und Kotflgeln kndete von Eifelfahrten , nachmitt„glichen Reden vor der Jungen Union ( " zusammenhalten , zusammenstehen , zusammen leiden " ) . 002010 000165 ein Blick nach oben : auch im Kinderzimmer alles dunkel . 002011 000165 die Nachbarh„user durch zweispurige Einfahrten und breite Rabatten getrennt . 002012 000165 kr„nklich der Widerschein der Fernsehapparate . 002013 000165 da wird der heimkehrende Gatte und Vater als st”rend empfunden , w„re die Heimkehr des verlorenen Sohnes als St”rung empfunden worden ; kein Kalb w„re geschlachtet , nicht einmal H„hnchen gegrillt worden - man h„tte schnell auf einen Leberwurstrest im Eisschrank verwiesen . 002014 000166 an Samstagnachmittagen gab es Verbrderungen , wenn Federb„lle ber Hecken flogen , junge Katzen oder Welpen wegliefen , Federb„lle zurckgeworfen , junge Katzen - " oh , wie sá " - oder junge Welpen - " oh , wie sá " - an Gartentoren oder durch Heckenlcken zurckgereicht wurden . 002015 000166 ged„mpft die Gereiztheit in den Stimmen , nie pers”nlich ; sie riá nur manchmal aus der gleichm„áigen Kurve aus und kratzte Zacken in den Nachbarschaftshimmel , immer aus nichtigen , nie aus den wahren Anl„ssen : wenn eine Untertasse klirrend zerbrach , ein rollender Ball Blumen knickte , Kinderhand Kieselsteine auf Autolack schleuderte , Frischgewaschenes , Frischgebgeltes von Gartenschl„uchen genetzt wird - werden die Stimmen schrill , die wegen Betrug , Ehebruch , Abtreibung nicht schrill werden drfen . 002016 000166 " ach , du hast einfach berempfindliche Ohren , nimm was dagegen " . 002017 000166 nimm nichts , Marie . 002018 000166 die Haustr ge”ffnet : still und angenehm warm . 002019 000166 das kleine Mariechen oben schl„ft . 002020 000166 so rasch geht das : Hochzeit in Bonn , Flitterwochen in Rom , Schwangerschaft , Entbindung - braune Locken auf schneeweiáem Kinderkopfkissen . 002021 000166 erinnerst du dich , wie er uns das Haus zeigte und vital verkndete : hier ist fr zw”lf Kinder Platz - und wie er dich jetzt morgens beim Frhstck mustert , das unausgesprochene Na auf den Lippen , und wie unkomplizierte Konfessions- und Parteifreunde nach dem dritten Glas Kognak ausrufen : " von eins bis zw”lf , da fehlen nach Adam Riese noch elf ! " . 002022 000166 es wird geflstert in der Stadt . 002023 000166 du bist schon wieder im Kino gewesen , an diesem strahlenden sonnigen Nachmittag im Kino . 002024 000166 und schon wieder im Kino - und wieder . 002025 000167 den ganzen Abend allein im Kreis , bei Blothert zu Hause , und nichts als das Ka Ka Ka im Ohr , und diesmal war nicht das -nzler die Erg„nzung , sondern das -tholon . 002026 000167 wie ein Fremdk”rper rollt dir das Wort im Ohr herum . 002027 000167 es klingt so nach Klicker , klingt auch ein biáchen nach Geschwr . 002028 000167 Blothert hat den Geigerz„hler , der das f+ katholon +f aufzuspren vermag . 002029 000167 " der hats - der hats nicht - die hats - die hats nicht . 002030 000167 das ist wie beim Bl„tterrupfen : sie liebt mich , sie liebt mich nicht . 002031 000167 sie liebt mich . 002032 000167 da werden Fuáballklubs und Parteifreunde , Regierung und Opposition aufs f+ katholon +f geprft . 002033 000167 wie ein Rassenmerkmal wird es gesucht und nicht gefunden ; nordische Nase , westischer Mund . 002034 000167 einer hat's sicher , der hat's gefressen , das Vielbegehrte , so heftig Gesuchte . 002035 000167 Blothert selbst , hte dich vor seinen Augen , Marie . 002036 000167 versp„tete Begehrlichkeit , Seminaristenvorstellung vom sechsten Gebot , und wenn er von gewissen Snden spricht , dann nur lateinisch . 002037 000167 f+ in: sexto: , de: sexto: +f . 002038 000167 natrlich , das klingt nach Sex . 002039 000167 und die lieben Kinder . 002040 000167 die „ltesten , Hubert , achtzehn , Margret , siebzehn , drfen noch ein wenig aufbleiben , auf daá ihnen das Erwachsenengespr„ch zum Vorteil gereiche . 002041 000167 ber f+ katholon +f , St„ndestaat , Todesstrafe , die in Frau Blotherts Augen ein so merkwrdiges Flackern hervorruft , ihre Stimme auf gereizte H”hen treibt , wo Lachen und Weinen sich auf eine lustvolle Weise vereinen . 002042 000167 du hast versucht , dich mit Fredebeuls abgestandenem Links-Zynismus zu tr”sten : vergebens . 002043 000167 vergebens wirst du versucht haben , dich an Blotherts abgestandenem Rechts-Zynismus zu „rgern . 002044 000167 es gibt ein sch”nes Wort : nichts . 002045 000167 denk an nichts . 002046 000167 nicht an Kanzler und f+ katholon +f , denk an den Clown , der in der Badewanne weint , dem der Kaffee auf die Pantoffeln tropft . 002047 000168 15 . 002048 000168 ich konnte das Ger„usch einordnen , aber mich nicht zu ihm verhalten , ich hatte es ”fter geh”rt , aber noch nie darauf reagieren mssen . 002049 000168 bei uns zu Hause reagierten die M„dchen auf das Ger„usch der Haustrklingel , die Ladenklingel bei Derkums hatte ich oft geh”rt , war aber nie aufgestanden . 002050 000168 in K”ln hatten wir in einer Pension gewohnt , in Hotels gibt es nur Telefonklingeln . 002051 000168 ich h”rte das Klingeln , nahm es aber nicht an . 002052 000168 es war fremd , nur zweimal hatte ich es in dieser Wohnung geh”rt , als ein Junge Milch brachte und Zpfner Marie die Teerosen schickte . 002053 000168 als die Rosen kamen , lag ich im Bett , Marie kam zu mir rein , zeigte sie mir , hielt entzckt die Nase in den Strauá , und es kam zu einer peinlichen Szene , weil ich dachte , die Blumen w„ren fr mich . 002054 000168 manchmal hatten mir Verehrerinnen Blumen ins Hotel geschickt . 002055 000168 ich sagte zu Marie : " hbsch , die Rosen , behalt sie " , und sie sah mich an und sagte : " aber sie sind ja fr mich " . 002056 000168 ich wurde rot . 002057 000168 es war mir peinlich , und mir fiel ein , daá ich Marie noch nie Blumen hatte schicken lassen . 002058 000168 natrlich brachte ich ihr alle Blumen mit , die ich auf die Bhne gereicht bekam , aber gekauft hatte ich ihr nie welche , meistens muáte ich den Blumenstrauá , den ich auf die Bhne gereicht bekam , selbst bezahlen . 002059 000168 " von wem sind denn die Blumen ? " sagte ich . 002060 000168 " von Zpfner " , sagte sie . 002061 000168 " verdammt " , sagte ich , " was soll das ? " . 002062 000168 ich dachte an das H„ndchenhalten . 002063 000168 Marie wurde rot und sagte : " warum sollte er mir keine Blumen schicken ? " . 002064 000168 - " die Frage muá anders lauten " , sagte ich : " warum sollte er dir Blumen schicken ? " . 002065 000169 - " wir kennen uns schon lange " , sagte sie , " und vielleicht verehrt er mich " . 002066 000169 - " gut " , sagte ich , " soll er dich verehren , aber soviel kostbare Blumen , das ist aufdringlich . 002067 000169 ich finde es geschmacklos " . 002068 000169 sie war beleidigt und ging hinaus . 002069 000169 als der Milchjunge klingelte , saáen wir im Wohnzimmer , und Marie ging raus , ”ffnete ihm und gab ihm Geld . 002070 000169 Besuch hatten wir in unserer Wohnung nur einmal gehabt : Leo , bevor er konvertierte , aber der hatte nicht geklingelt , er war mit Marie heraufgekommen . 002071 000169 das Klingeln klang auf eine merkwrdige Weise zugleich schchtern und doch hartn„ckig . 002072 000169 ich hatte eine frchterliche Angst , es k”nnte Monika sein , vielleicht gar von Sommerwild unter irgendeinem Vorwand geschickt . 002073 000169 ich bekam sofort wieder den Nibelungenkomplex . 002074 000169 ich rannte mit meinen klatschnassen Pantoffeln in die Diele , fand den Knopf nicht , auf den ich drcken muáte . 002075 000169 w„hrend ich ihn suchte , fiel mir ein , daá Monika ja den Hausschlssel hatte . 002076 000169 ich fand endlich den Knopf , drckte und h”rte unten ein Ger„usch , als ob eine Biene gegen eine Fensterscheibe brummte . 002077 000169 ich ging in den Flur raus , stellte mich neben den Aufzug . 002078 000169 das Besetztzeichen wurde rot , die Eins leuchtete auf , die Zwei , ich starrte nerv”s auf die Ziffern , bis ich pl”tzlich bemerkte , daá jemand neben mir stand . 002079 000169 ich erschrak , drehte mich um : eine hbsche Frau , hellblond , nicht bertrieben schlank , mit sehr lieben , hellgrauen Augen . 002080 000169 ihr Hut war fr meinen Geschmack etwas zu rot . 002081 000169 ich l„chelte , sie l„chelte auch und sagte : " Sie sind sicher Herr Schnier - mein Name ist Grebsel , ich bin Ihre Nachbarin . 002082 000169 ich freue mich , Sie einmal leibhaftig zu sehen " . 002083 000169 - " ich freue mich auch " sagte ich - ich freute mich wirklich . 002084 000170 Frau Grebsel war trotz des zu roten Hutes eine Augenweide . 002085 000170 ich sah unter ihrem Arm eine Zeitung " die Stimme Bonns " , sie sah meinen Blick , wurde rot und sagte : " machen Sie sich nichts draus " . 002086 000170 - " ich werde den Hund ohrfeigen " , sagte ich , " wenn Sie wáten , was das fr ein Mieser , heuchlerischer Vogel ist - und betrogen hat er mich auch , um eine ganze Flasche Schnaps " . 002087 000170 sie lachte . 002088 000170 " mein Mann und ich , wir wrden uns freuen " , sagte sie , " wenn wir unsere Nachbarschaft einmal realisieren k”nnten . 002089 000170 bleiben Sie l„nger ? " . 002090 000170 - " ja " , sagte ich , " ich werde einmal klingeln , wenn Sie gestatten - ist bei Ihnen auch alles rostfarben ? " . 002091 000170 - " natrlich " , sagte sie , " rostfarben ist doch das Kennzeichen des fnften Stocks " . 002092 000170 der Aufzug hatte auf der dritten Etage l„nger gehalten , jetzt wurde die Vier rot , die Fnf , ich riá die Tr auf und trat vor Erstaunen einen Schritt zurck . 002093 000170 mein Vater kam aus dem Aufzug , hielt die Tr der einsteigenden Frau Grebsel auf und wandte sich mir zu . 002094 000170 " mein Gott " , sagte ich , " Vater " . 002095 000170 ich hatte noch nie Vater zu ihm gesagt , immer nur Papa . 002096 000170 er sagte " Hans " , machte einen ungeschickten Versuch , mich zu umarmen . 002097 000170 ich ging vor ihm her in die Wohnung , nahm ihm Hut und Mantel ab , ”ffnete die Wohnzimmertr und zeigte auf die Couch . 002098 000170 er setzte sich umst„ndlich . 002099 000170 wir waren beide sehr verlegen . 002100 000170 Verlegenheit scheint zwischen Eltern und Kindern die einzige M”glichkeit der Verst„ndigung zu sein . 002101 000170 wahrscheinlich hatte meine Begráung " Vater " sehr pathetisch geklungen , und das steigerte die Verlegenheit , die ohnehin unvermeidlich war . 002102 000170 mein Vater setzte sich in einen der rostfarbenen Sessel und sah mich kopfschttelnd an : mit meinen klatschnassen Pantoffeln , nassen Socken , in dem viel zu langen Bademantel , der berflssigerweise auch noch feuerrot war . 002103 000171 mein Vater ist nicht groá , zart und auf eine so gekonnt nachl„ssige Weise gepflegt , daá sich die Fernsehleute um ihn reiáen , wenn irgendwelche Wirtschaftsfragen diskutiert werden . 002104 000171 er strahlt auch Gte aus , Vernunft , und ist inzwischen als Fernsehstar berhmter als er als Braunkohlenschnier je h„tte werden k”nnen . 002105 000171 er haát jede Nuance der Brutalit„t . 002106 000171 man wrde , wenn man ihn so sieht , erwarten , daá er Zigarren raucht , keine dicken , sondern leichte , schlanke Zigarren , aber daá er Zigaretten raucht , wirkt bei einem fast siebzigj„hrigen Kapitalisten berraschend flott und fortschrittlich . 002107 000171 ich verstehe schon , daá sie ihn in alle Diskussionen schicken , bei denen es um Geld geht . 002108 000171 man sieht ihm an , daá er nicht nur Gte ausstrahlt , sondern auch gtig ist . 002109 000171 ich hielt ihm die Zigaretten hin , gab ihm Feuer , und als ich mich dabei zu ihm hinbeugte , sagte er : " ich weiá ja nicht viel ber Clowns , aber doch einiges . 002110 000171 daá sie in Kaffee baden , ist mir neu " . 002111 000171 er kann sehr witzig sein . 002112 000171 " ich bade nicht in Kaffee , Vater " , sagte ich , " ich wollte nur Kaffee aufgieáen , das ist mir miáglckt " . 002113 000171 sp„testens bei diesem Satz h„tte ich wieder Papa sagen sollen , aber es war zu sp„t . 002114 000171 " m”chtest du was trinken ? " . 002115 000171 er l„chelte , sah mich miátrauisch an und fragte : " was hast du denn im Haus ? " . 002116 000171 ich ging in die Kche : im Eisschrank war der Kognak , es standen auch ein paar Flaschen Mineralwasser da , Zitronenlimonade und eine Flasche Rotwein . 002117 000171 ich nahm von jeder Sorte eine Flasche , trug sie ins Wohnzimmer und reihte sie vor meinem Vater auf dem Tisch auf . 002118 000171 er nahm die Brille aus der Tasche und studierte die Etiketts . 002119 000171 kopfschttelnd schob er als erstes den Kognak beiseite . 002120 000172 ich wuáte , daá er gern Kognak trank , und sagte gekr„nkt : " aber es scheint eine gute Marke zu sein " . 002121 000172 - " die Marke ist vorzglich " , sagte er , " aber der beste Kognak ist keiner mehr , wenn er eisgekhlt ist " . 002122 000172 " mein Gott " , sagte ich , " geh”rt Kognak denn nicht in den Eisschrank ? " . 002123 000172 er blickte mich ber seine Brille hinweg an , als w„re ich soeben der Sodomie berfhrt worden . 002124 000172 er ist auf seine Weise auch ein Žsthet , er bringt es fertig , den Toast morgens dreimal , viermal in die Kche zurckzuschicken , bis Anna genau die richtige Br„unungsstufe herausbringt , ein stiller Kampf , der jeden Morgen neu beginnt , denn Anna h„lt Toast sowieso fr " angels„chsischen Bl”dsinn " . 002125 000172 - " Kognak im Eisschrank " , sagte mein Vater ver„chtlich , " wuátest du wirklich nicht - oder tust du nur so ? . 002126 000172 man weiá ja nie , wo man mit dir dran ist ! " . 002127 000172 " ich wuáte es nicht " , sagte ich . 002128 000172 er sah mich prfend an , l„chelte und schien berzeugt . 002129 000172 " dabei habe ich soviel Geld fr deine Erziehung ausgegeben " , sagte er . 002130 000172 das sollte ironisch klingen , so wie eben ein fast siebzigj„hriger Vater mit seinem voll erwachsenen Sohn spricht , aber die Ironie gelang ihm nicht , sie fror an dem Wort Geld fest . 002131 000172 er verwarf kopfschttelnd auch die Zitronenlimonade und den Rotwein und sagte : " unter diesen Umst„nden erscheint mir Mineralwasser als das sicherste Getr„nk " . 002132 000172 ich holte zwei Gl„ser aus der Anrichte , ”ffnete eine Mineralwasserflasche . 002133 000172 wenigstens das schien ich richtig zu machen . 002134 000172 er nickte wohlwollend , w„hrend er mir dabei zusah . 002135 000172 " st”rt es dich " , sagte ich , " wenn ich im Bademantel bleibe ? " . 002136 000172 " ja " , sagte er , " es st”rt mich . 002137 000172 zieh dich bitte ordentlich an . 002138 000173 dein Aufzug und dein - dein Kaffeegeruch verleihen der Situation eine Komik , die ihr nicht entspricht . 002139 000173 ich habe ernsthaft mit dir zu reden . 002140 000173 und auáerdem - entschuldige , daá ich so offen spreche - hasse ich , wie du wohl noch weiát , jede Erscheinungsform der Schlamperei " . 002141 000173 " es ist keine Schlamperei " , sagte ich , " nur eine Erscheinungsform der Entspannung " . 002142 000173 " ich weiá nicht " , sagte er , " wie oft du in deinem Leben mir wirklich gehorsam gewesen bist , jetzt bist du mir nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet . 002143 000173 ich bitte dich nur um einen Gefallen " . 002144 000173 ich war erstaunt . 002145 000173 mein Vater war frher eher schchtern gewesen , fast schweigsam . 002146 000173 er hat beim Fernsehen zu diskutieren und argumentieren gelernt , mit einem " zwingenden Charme " . 002147 000173 ich war mde , mich diesem Charme zu entziehen . 002148 000173 ich ging ins Badezimmer , zog mir die kaffeenassen Socken aus , trocknete die Fáe ab , zog Hemd , Hose , Rock an , lief barfuá in die Kche , h„ufte mir die gew„rmten weiáen Bohnen auf einen Teller und schlug die weichgekochten Eier einfach ber den Bohnen aus , kratzte die Eireste mit dem L”ffel aus den Schalen , nahm eine Schnitte Brot , einen L”ffel und ging ins Wohnzimmer . 002149 000173 mein Vater blickte auf meinen Teller mit einer Miene , die eine sehr gut gekonnte Mischung aus Erstaunen und Ekel darstellte . 002150 000173 " entschuldige " , sagte ich " ich habe seit heute morgen neun Uhr nichts mehr gegessen , und ich denke , es liegt dir nichts daran , wenn ich ohnm„chtig zu deinen Fáen niederfalle " . 002151 000173 er brachte ein gequ„ltes Lachen zustande , schttelte den Kopf , seufzte und sagte : " na gut - aber weiát du , nur: Eiweiá ist einfach nicht gesund " . 002152 000174 " ich werde anschlieáend einen Apfel essen " , sagte ich . 002153 000174 ich rhrte die Bohnen und die Eier zusammen , biá in das Brot und nahm einen L”ffel von meinem Brei , der mir sehr gut schmeckte . 002154 000174 " du solltest wenigstens etwas von diesem Tomatenzeug drauftun " , sagte er . 002155 000174 " ich hab keins im Hause " , sagte ich . 002156 000174 ich aá viel zu hastig , und die notwendigen Ger„usche , die ich beim Essen machte , schienen meinem Vater zu miáfallen . 002157 000174 er unterdrckte seinen Ekel , aber nicht berzeugend , und ich stand schlieálich auf , ging in die Kche , aá stehend am Eisschrank meinen Teller leer und sah mir selbst w„hrend des Essens in dem Spiegel zu , der ber dem Eisschrank h„ngt . 002158 000174 ich hatte nicht einmal das wichtigste Training in den letzten Wochen absolviert : das Gesichtstraining . 002159 000174 ein Clown , dessen Haupteffekt sein unbewegliches Gesicht ist , muá sein Gesicht sehr beweglich halten . 002160 000174 frher steckte ich mir immer , bevor ich mit dem Training begann , die Zunge heraus , um mir mich erst einmal ganz nahe zu bringen , bevor ich mich mir wieder entfremden konnte . 002161 000174 sp„ter lieá ich das und blickte mir , ohne irgendwelche Tricks anzuwenden , selbst ins Gesicht , t„glich eine halbe Stunde lang , bis ich zuletzt gar nicht mehr da war : da ich zum Narziámus nicht neige , war ich oft nahe daran , verrckt zu werden . 002162 000174 ich vergaá einfach , daá ich es war , dessen Gesicht ich da im Spiegel sah , drehte den Spiegel um , wenn ich mit dem Training fertig war , und wenn ich sp„ter im Laufe des Tages zuf„llig im Vorbergehen in einen Spiegel blickte , erschrak ich : das war ein fremder Kerl in meinem Badezimmer , auf der Toilette , ein Kerl , von dem ich nicht wuáte , ob er ernst oder komisch war , ein langnasiges , blasses Gespenst - und ich rannte , so schnell ich konnte , zu Marie , um mich in ihrem Gesicht zu sehen . 002163 000175 seitdem sie weg ist , kann ich mein Gesichtstraining nicht mehr absolvieren : ich habe Angst , verrckt zu werden . 002164 000175 ich ging immer , wenn ich vom Training kam , ganz nah an Marie heran , bis ich mich in ihren Augen sah : winzig , ein biáchen verzerrt , doch erkennbar : das war ich , und war doch derselbe , vor dem ich im Spiegel Angst hatte . 002165 000175 wie sollte ich Zohnerer erkl„ren , daá ich ohne Marie gar nicht mehr vor dem Spiegel trainieren konnte ? . 002166 000175 mich selbst beim Essen zu beobachten war nur traurig , nicht erschreckend . 002167 000175 ich konnte mich an dem L”ffel festhalten , konnte die Bohnen erkennen , Spuren von Eiweiá und Eidotter darin , die Scheibe Brot , die immer kleiner wurde . 002168 000175 der Spiegel best„tigte mir so etwas rhrend Reales wie einen leergegessenen Teller , eine Scheibe Brot , die kleiner wurde , einen leicht beschmierten Mund , den ich mit dem Rock„rmel abwischte . 002169 000175 ich trainierte nicht . 002170 000175 es war niemand da , der mich aus dem Spiegel zurckgeholt h„tte . 002171 000175 ich ging langsam ins Wohnzimmer zurck . 002172 000175 " viel zu rasch " , sagte mein Vater , " du iát zu hastig . 002173 000175 setz dich jetzt endlich . 002174 000175 trinkst du nichts ? " . 002175 000175 " nein " , sagte ich , " ich wollte mir Kaffee machen , aber der ist ja miálungen " . 002176 000175 " soll ich dir welchen machen ? " fragte er . 002177 000175 " kannst du das denn ? " fragte ich . 002178 000175 " man rhmt mir nach , daá ich einen sehr guten Kaffee mache " , sagte er . 002179 000175 " ach , laá nur " , sagte ich , " ich trinke etwas Sprudel , so wichtig ist das nicht " . 002180 000175 " aber ich machs gern " , sagte er . 002181 000175 " nein " , sagte ich , " danke . 002182 000175 es sieht in der Kche abscheulich aus . 002183 000176 eine riesige Kaffeepftze , offene Konservenbchsen , Eierschalen auf dem Boden " . 002184 000176 " na gut " , sagte er , " wie du willst " . 002185 000176 er wirkte auf eine unangemessene Weise gekr„nkt . 002186 000176 er goá mir Sprudel ein , hielt mir sein Zigarettenetui hin , ich nahm eine , er gab mir Feuer , wir rauchten . 002187 000176 er tat mir leid . 002188 000176 ich hatte ihn mit meinem Teller voll Bohnen wahrscheinlich ganz aus dem Konzept gebracht . 002189 000176 er hatte sicher damit gerechnet , bei mir das vorzufinden , was er sich unter Boheme vorstellt : ein gekonntes Durcheinander und allerlei Modernes an Decke und W„nden , aber die Wohnung ist auf eine zuf„llige Art stillos eingerichtet , fast spieáig , und ich merkte , daá ihn das bedrckte . 002190 000176 die Anrichte hatten wir nach einem Katalog gekauft , die Bilder an den W„nden waren lauter Drucke , nur zwei gegenstandlose darunter , einzig hbsch zwei Aquarelle von Monika Silvs , die ber der Kommode h„ngen : Rheinlandschaft III und Rheinlandschaft IV , dunkelgraue T”ne mit kaum sichtbaren weiáen Spuren . 002191 000176 die paar hbschen Sachen , die wir haben , Sthle , ein paar Vasen und der Teewagen in der Ecke , hat Marie gekauft . 002192 000176 mein Vater ist ein Mensch , der Atmosph„re braucht , und die Atmosph„re in unserer Wohnung machte ihn nerv”s und stumm . 002193 000176 " hat Mutter dir erz„hlt , daá ich hier bin ? " fragte ich schlieálich , als wir die zweite Zigarette ansteckten , ohne ein Wort gesprochen zu haben . 002194 000176 " ja " , sagte er , " warum kannst du ihr solche Sachen nicht ersparen " . 002195 000176 " wenn sie sich nicht mit ihrer Komiteestimme gemeldet h„tte , w„re alles anders gekommen " , sagte ich . 002196 000176 " hast du was gegen dieses Komitee ? " fragte er ruhig . 002197 000176 " nein " , sagte ich , " es ist sehr gut , daá die rassischen Gegens„tze vers”hnt werden , aber ich habe eine andere Auffassung von Rasse als das Komitee . 002198 000177 Neger zum Beispiel sind ja geradezu der letzte Schrei - ich wollte Mutter schon einen Neger , den ich gut kenne , als Krippenfigur anbieten , und wenn man bedenkt , daá es einige hundert Negerrassen gibt . 002199 000177 das Komitee wird nie arbeitslos . 002200 000177 oder Zigeuner " , sagte ich , " Mutter sollte einmal welche zum Tee einladen . 002201 000177 direkt von der Straáe . 002202 000177 es gibt noch Aufgaben genug " . 002203 000177 " darber wollte ich nicht mit dir reden " , sagte er . 002204 000177 ich schwieg . 002205 000177 er sah mich an und sagte leise : " ich wollte mit dir ber Geld reden " . 002206 000177 ich schwieg weiter . 002207 000177 " ich nehme an , daá du in ziemlicher Verlegenheit bist . 002208 000177 sag doch was " . 002209 000177 " Verlegenheit ist hbsch gesagt . 002210 000177 ich werde wahrscheinlich ein Jahr lang nicht auftreten k”nnen . 002211 000177 sieh hier " . 002212 000177 ich zog das Hosenbein hoch und zeigte ihm mein geschwollenes Knie , ich lieá die Hose wieder runter und zeigte mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf meine linke Brust . 002213 000177 " und hier " , sagte ich . 002214 000177 " mein Gott " , sagte er , " Herz ? " . 002215 000177 " ja " , sagte ich , " Herz " . 002216 000177 " ich werde Drohmert anrufen und ihn bitten , dich zu empfangen . 002217 000177 er ist der beste Herzspezialist , den wir haben " . 002218 000177 " Miáverst„ndnis " , sagte ich , " ich brauche Drohmert nicht zu konsultieren " . 002219 000177 " du sagtest doch : Herz " . 002220 000177 " vielleicht h„tte ich Seele , Gemt , Inneres sagen sollen - mir schien Herz angebracht " . 002221 000177 " ach so " , sagte er trocken , " diese Geschichte " . 002222 000177 sicher hatte Sommerwild ihm beim Skat in der Herren-Union , zwischen Hasenpfeffer , Bier und einem Herz-Solo ohne drei , die " Geschichte " erz„hlt . 002223 000178 er stand auf , fing an , auf und ab zu gehen , blieb dann hinter dem Sessel stehen , sttzte sich auf die Sessellehne und blickte auf mich herunter . 002224 000178 " es klingt sicher dumm " , sagte er , " wenn ich dir ein groáes Wort sage , aber weiát du , was dir fehlt ? . 002225 000178 dir fehlt das , was den Mann zum Manne macht : sich abfinden k”nnen " . 002226 000178 " das habe ich heute schon einmal geh”rt " , sagte ich . 002227 000178 " dann h”rs zum dritten Mal : finde dich ab " . 002228 000178 " laá " , sagte ich mde . 002229 000178 " was glaubst du wohl , wie mir zumute war , als Leo zu mir kam und sagte , er wrde katholisch . 002230 000178 es war so schmerzlich fr mich wie Henriettes Tod - es h„tte mich nicht so geschmerzt , wenn er gesagt h„tte , er wrde Kommunist . 002231 000178 darunter kann ich mir was vorstellen , wenn ein junger Mensch einen falschen Traum tr„umt , von sozialer Gerechtigkeit und so weiter . 002232 000178 aber das " . 002233 000178 er klammerte sich an die Sessellehne und schttelte heftig den Kopf . 002234 000178 " das . 002235 000178 nein . 002236 000178 nein " . 002237 000178 es schien ihm ernst zu sein . 002238 000178 er war ganz blaá geworden und sah viel „lter aus , als er ist . 002239 000178 " setz dich , Vater " , sagte ich , " trink jetzt einen Kognak " . 002240 000178 er setzte sich , nickte zu der Kognakflasche hin , ich holte ein Glas aus der Anrichte , goá ihm ein , und er nahm den Kognak und trank ihn , ohne mir zu danken oder zuzuprosten . 002241 000178 " du verstehst das sicher nicht " , sagte er . 002242 000178 " nein " , sagte ich . 002243 000178 " mir ist bange um jeden jungen Menschen , der an diese Sache glaubt " , sagte er , " deshalb hat es mich so schrecklich getroffen , aber auch damit habe ich mich abgefunden - abgefunden . 002244 000178 was siehst du mich so an ? " . 002245 000178 " ich muá dir etwas abbitten " , sagte ich , " wenn ich dich im Fernsehen sah , habe ich gedacht , du w„rst ein groáartiger Schauspieler . 002246 000178 sogar ein biáchen Clown " . 002247 000179 er sah mich miátrauisch an , fast gekr„nkt , und ich sagte rasch : " nein wirklich , Papa , groáartig " . 002248 000179 ich war froh , daá ich das Papa wiedergefunden hatte . 002249 000179 " sie haben mich einfach in diese Rolle gedr„ngt " , sagte er . 002250 000179 " sie steht dir gut " , sagte ich , " und was du daran spielst , ist gut gespielt " . 002251 000179 " ich spiele nichts daran " , sagte er ernst , " gar nichts , ich brauche nichts zu spielen " . 002252 000179 " schlimm " , sagte ich , " fr deine Gegner " . 002253 000179 " ich habe keine Gegner " , sagte er emp”rt . 002254 000179 " noch schlimmer fr deine Gegner " , sagte ich . 002255 000179 er sah mich wieder miátrauisch an , lachte dann und sagte : " aber ich empfinde sie wirklich nicht als Gegner " . 002256 000179 " noch viel schlimmer , als ich dachte " , sagte ich , " wissen die , mit denen du da dauernd ber Geld redest , gar nicht , daá ihr das Wichtigste immer verschweigt - oder habt ihrs abgesprochen , bevor ihr auf den Schirm gezaubert werdet ? " . 002257 000179 er goá sich Kognak ein , sah mich fragend an : " ich habe mit dir ber deine Zukunft sprechen wollen " . 002258 000179 " Augenblick " , sagte ich , " mich interessiert einfach , wie das gemacht wird . 002259 000179 ihr redet immer von Prozenten , zehn , zwanzig , fnf , fnfzig Prozent - aber ihr sagt nie , wieviel Prozent von was ? " . 002260 000179 er sah fast dumm aus , als er das Kognakglas hob , trank und mich ansah . 002261 000179 " ich meine " , sagte ich , " ich habe nicht viel im Rechnen gelernt , aber ich weiá , daá hundert Prozent von einem halben Pfennig ein halber Pfennig sind , w„hrend fnf Prozent von einer Milliarde fnfzig Millionen sind ... verstehst du ? " . 002262 000179 " mein Gott " , sagte er , " hast du soviel Zeit , fernzusehen ? " . 002263 000179 " ja " , sagte ich , " seit dieser Geschichte , wie du sie nennst , seh ich viel fern - es macht mich so sch”n leer . 002264 000179 ganz leer , und wenn man seinen Vater alle drei Jahre einmal sieht , freut man sich doch , wenn man ihn mal auf dem Fernsehschirm sieht . 002265 000180 irgendwo in einer Kneipe , bei Bier , im Halbdunkel . 002266 000180 manchmal bin ich richtig stolz auf dich , wie geschickt du es verhinderst , daá irgendeiner nach der Prozentzahl fragt " . 002267 000180 " du irrst " , sagte er khl , " ich verhindere gar nichts " . 002268 000180 " ist es denn nicht langweilig , gar keine Gegner zu haben ? " . 002269 000180 er stand auf und sah mich b”se an . 002270 000180 ich stand auch auf . 002271 000180 wir stellten uns beide hinter unsere Sessel , legten die Arme auf die Lehne . 002272 000180 ich lachte und sagte : " als Clown interessiere ich mich natrlich fr die modernen Formen der Pantomime . 002273 000180 einmal , als ich allein im Hinterzimmer einer Kneipe saá , hab ich den Ton ausgeschaltet . 002274 000180 groáartig . 002275 000180 das Eindringen des f+ l'art pour l'art +f in die Lohnpolitik , in die Wirtschaft . 002276 000180 schade , daá du meine Nummer Aufsichtsratssitzung nie gesehen hast " . 002277 000180 " ich will dir was sagen " , sagte er , " ich habe mit Genneholm ber dich gesprochen . 002278 000180 ich habe ihn gebeten , sich einige deiner Auftritte einmal anzusehen und mir eine - eine Art Gutachten zu machen " . 002279 000180 ich muáte pl”tzlich g„hnen . 002280 000180 es war unh”flich , aber unvermeidlich , und ich war mir der Peinlichkeit durchaus bewuát . 002281 000180 ich hatte in der Nacht schlecht geschlafen und einen schlimmen Tag hinter mir . 002282 000180 wenn einer seinen Vater nach drei Jahren zum erstenmal wiedersieht , eigentlich zum erstenmal in seinem Leben ernsthaft mit ihm redet - ist G„hnen sicherlich das am wenigsten Angebrachte . 002283 000180 ich war sehr erregt , aber todmde , und es tat mir leid , daá ich ausgerechnet jetzt g„hnen muáte . 002284 000180 der Name Genneholm wirkte wie ein Schlafmittel auf mich . 002285 000180 Menschen wie mein Vater mssen immer das: Beste: haben : den besten Herzspezialisten der Welt Drohmert , den besten Theaterkritiker der Bundesrepublik Genneholm , den besten Schneider , den besten Sekt , das beste Hotel , den besten Schriftsteller . 002286 000181 es ist langweilig . 002287 000181 mein G„hnen wurde fast zu einem G„hnkrampf , meine Mundmuskulatur knackte . 002288 000181 die Tatsache , das Genneholm schwul ist , „ndert nichts an der Tatsache , daá sein Name Langeweile in mir ausl”st . 002289 000181 Schwule k”nnen sehr amsant sein , aber gerade amsante Leute finde ich langweilig , besonders Exzentriker , und Genneholm war nicht nur schwul , auch exzentrisch . 002290 000181 er kam meistens zu den Parties , die Mutter gab , und rckte einem immer ziemlich nah auf den Leib , so daá man jedesmal vollkommen berflssigerweise seinen Atem roch und an seiner letzten Mahlzeit teilnahm . 002291 000181 als ich ihn zum letzten Mal traf , vor vier Jahren , hatte er nach Kartoffelsalat gerochen , und angesichts dieses Geruchs kamen mir seine kardinalsrote Weste und sein honigfarbener Mephistoschnurrbart gar nicht mehr extravagant vor . 002292 000181 er war sehr witzig , jedermann wuáte , daá er witzig war , und so muáte er dauernd witzig sein . 002293 000181 eine ermdende Existenz . 002294 000181 " entschuldige " , sagte ich , als ich sicher sein konnte , den G„hnkrampf vorl„ufig hinter mir zu haben . 002295 000181 " was sagt denn Genneholm ? " . 002296 000181 mein Vater war gekr„nkt . 002297 000181 das ist er immer , wenn man sich gehen l„át , und mein G„hnen schmerzte ihn nicht subjektiv , sondern objektiv . 002298 000181 er schttelte den Kopf wie ber meine Bohnensuppe . 002299 000181 " Genneholm beobachtet deine Entwicklung mit groáem Interesse , er ist dir sehr wohlgesinnt " . 002300 000181 " ein Schwuler gibt die Hoffnung nie auf " , sagte ich , " das ist ein z„hes Volk " . 002301 000182 " laá das " , sagte mein Vater scharf , " sei froh , daá du einen so einfluáreichen und fachm„nnischen G”nner im Hintergrund hast " . 002302 000182 " ich bin ja ganz glcklich " , sagte ich . 002303 000182 " aber er hat enorm viele Einw„nde gegen das , was du bisher geleistet hast . 002304 000182 er meint , du solltest alles Pierrotische meiden , h„ttest zum Harlekin zwar Begabung , w„rest aber zu schade - und als Clown w„rst du unm”glich . 002305 000182 er sieht deine Chance in einer konsequenten Hinwendung zur Pantomime ... h”rst du mir berhaupt zu ? " . 002306 000182 seine Stimme wurde immer sch„rfer . 002307 000182 " bitte " , sagte ich , " ich h”re jedes Wort , jedes einzelne dieser klugen , zutreffenden W”rter , laá dich nicht dadurch st”ren , daá ich die Augen geschlossen habe " . 002308 000182 w„hrend er Genneholm zitierte , hatte ich die Augen geschlossen . 002309 000182 es war so wohltuend und befreite mich vom Anblick der dunkelbraunen Kommode , die hinter Vater an der Wand stand . 002310 000182 ein scheuáliches M”belstck , das irgendwie nach Schule aussah : die dunkelbraune Farbe , die schwarzen Kn”pfe , die hellgelbe Zierleiste an der oberen Kante . 002311 000182 die Kommode stammte aus Maries Elternhaus . 002312 000182 " bitte " , sagte ich leise , " sprich doch weiter " . 002313 000182 ich war todmde , hatte Magenschmerzen , Kopfschmerzen , und ich stand so verkrampft da hinter dem Sessel , daá mein Knie anfing , noch mehr anzuschwellen . 002314 000182 hinter meinen geschlossenen Lidern sah ich mein Gesicht , wie ich es von tausend Trainingsstunden aus dem Spiegel kannte , vollkommen unbewegt , schneeweiá geschminkt , nicht einmal die Wimpern bewegten sich , auch nicht die Brauen , nur die Augen , langsam bewegte ich sie hin und her wie ein banges Kaninchen , um jene Wirkung zu erzielen , die Kritiker wie Genneholm " diese erstaunliche F„higkeit , animalische Melancholie darzustellen " , genannt hatten . 002315 000183 ich war tot und auf tausend Stunden mit meinem Gesicht eingesperrt - keine M”glichkeit , mich in Maries Augen zu retten . 002316 000183 " sprich doch " , sagte ich . 002317 000183 " er riet mir , dich zu einem der besten Lehrer zu schicken . 002318 000183 fr ein Jahr , fr zwei , fr ein halbes . 002319 000183 Genneholm meint , du mátest dich konzentrieren , studieren , soviel Bewuátheit erreichen , daá du wieder naiv werden kannst . 002320 000183 und Training , Training , Training - und , h”rst du noch ? " . 002321 000183 seine Stimme klang Gottseidank milder . 002322 000183 " ja " , sagte ich . 002323 000183 " und ich bin bereit , dir das zu finanzieren " . 002324 000183 ich hatte das Gefhl , als w„re mein Knie so dick und rund wie ein Gasometer . 002325 000183 ohne die Augen zu ”ffnen , tastete ich mich um den Sessel herum , setzte mich , tastete nach den Zigaretten auf dem Tisch wie ein Blinder . 002326 000183 mein Vater stieá einen Schreckensruf aus . 002327 000183 ich kann einen Blinden so gut spielen , daá man glaubt , ich w„re blind . 002328 000183 ich kam mir auch blind vor , vielleicht wrde ich blind bleiben . 002329 000183 ich spielte nicht den Blinden , sondern den soeben Erblindeten , und als ich die Zigarette endlich im Mund hatte , sprte ich die Flamme von Vaters Feuerzeug , sprte auch , wie heftig sie zitterte . 002330 000183 " Junge " , sagte er „ngstlich , " bist du krank ? " . 002331 000183 " ja " , sagte ich leise , zog an der Zigarette , inhalierte tief , " ich bin todkrank , aber nicht blind . 002332 000183 Magenschmerzen , Kopfschmerzen , Knieschmerzen , eine ppig wuchernde Melancholie - aber das schlimmste ist , ich weiá genau , daá Genneholm recht hat , zu ungef„hr fnfundneunzig Prozent , und ich weiá sogar , was er weiter gesagt hat . 002333 000183 hat er von Kleist gesprochen ? " . 002334 000184 " ja " , sagte mein Vater . 002335 000184 " hat er gesagt , ich máte meine Seele erst verlieren - ganz leer sein , dann k”nnte ich mir wieder eine leisten . 002336 000184 hat er das gesagt ? " . 002337 000184 " ja " , sagte mein Vater , " woher weiát du das ? " . 002338 000184 " mein Gott " , sagte ich , " ich kenne doch seine Theorien und weiá , woher er sie hat . 002339 000184 aber ich will meine Seele nicht verlieren , ich will sie wiederhaben " . 002340 000184 " du hast sie verloren ? " . 002341 000184 " ja " . 002342 000184 " wo ist sie ? " . 002343 000184 " in Rom " , sagte ich , schlug die Augen auf und lachte . 002344 000184 mein Vater war wirklich vor Angst ganz blaá und alt geworden . 002345 000184 sein Lachen klang erleichtert und doch „rgerlich . 002346 000184 " du Bengel " , sagte er , " war das Ganze gespielt ? " . 002347 000184 " leider " , sagte ich , " nicht ganz und nicht gut . 002348 000184 Genneholm wrde sagen : noch viel zu naturalistisch - und er hat recht . 002349 000184 Schwule haben meistens recht , sie haben ein enormes Einfhlungsverm”gen - aber auch nicht mehr . 002350 000184 immerhin " . 002351 000184 " du Bengel " , sagte mein Vater , " du hast mich dran gekriegt " . 002352 000184 " nein " , sagte ich , " nein , ich habe dich nicht mehr dran gekriegt , als ein wirklich Blinder dich drankriegt . 002353 000184 glaub mir , nicht jedes Tappen und nach Halt Suchen ist unbedingt notwendig . 002354 000184 mancher Blinde spielt , obwohl er wirklich blind ist , den Blinden . 002355 000184 ich k”nnte jetzt vor deinen Augen von hier bis zur Tr humpeln , daá du vor Schmerz und Mitleid aufschreien und sofort einen Arzt anrufen wrdest , den besten Chirurgen der Welt , Fretzer . 002356 000184 soll ich ? " . 002357 000184 ich war schon aufgestanden . 002358 000184 " bitte , laá " , sagte er gequ„lt , und ich setzte mich wieder . 002359 000185 " bitte , setz du dich auch " , sagte ich , " bitte , es macht mich nerv”s , wenn du so herumstehst " . 002360 000185 er setzte sich , goá sich Sprudel ein und sah mich verwirrt an . 002361 000185 " man wird aus dir nicht klug " , sagte er , " gib mir doch eine klare Antwort . 002362 000185 ich zahl dir das Studium , egal , wo du hingehen willst . 002363 000185 London , Paris , Brssel . 002364 000185 das Beste ist gerade gut genug " . 002365 000185 " nein " , sagte ich mde , " es w„re genau das Falsche . 002366 000185 mir ntzt kein Studium mehr , nur noch Arbeit . 002367 000185 studiert habe ich , als ich dreizehn , vierzehn war , bis einundzwanzig . 002368 000185 ihr habts nur nicht gemerkt . 002369 000185 und wenn Genneholm meint , ich k”nnte jetzt noch studieren , ist er dmmer , als ich dachte " . 002370 000185 " er ist ein Fachmann " , sagte mein Vater , " der beste , den ich kenne " . 002371 000185 - " sogar der beste , den es hier gibt " , sagte ich , " aber nur ein Fachmann , er versteht was von Theater , Trag”die , f+ Commedia dell'arte +f , Kom”die , Pantomime . 002372 000185 aber schau dir einmal an , wie seine eigenen kom”diantischen Versuche ausfallen , wenn er pl”tzlich mit violetten Hemden und scharzen Seidenschleifen auftaucht . 002373 000185 da wrde jeder Dilettant sich sch„men . 002374 000185 daá Kritiker kritisch sind , ist nicht das Schlimme an ihnen , sondern daá sie sich selbst gegenber so unkritisch und humorlos sind . 002375 000185 peinlich . 002376 000185 natrlich , er ist wirklich vom Fach - aber wenn er meint , ich sollte nach sechs Bhnenjahren noch ein Studium anfangen - Unsinn ! " . 002377 000185 " du brauchst also das Geld nicht ? " fragte mein Vater . 002378 000185 eine kleine Spur von Erleichterung in seiner Stimme machte mich miátrauisch . 002379 000185 " doch " , sagte ich , " ich brauche das Geld " . 002380 000185 " was willst du denn tun ? . 002381 000185 weiter auftreten , in diesem Stadium ? " . 002382 000185 " welches Stadium ? " fragte ich . 002383 000185 " na " , sagte er verlegen , " du kennst doch deine Presse " . 002384 000186 " meine Presse ? " sagte ich , " ich bin seit drei Monaten nur noch in der Provinz aufgetreten " . 002385 000186 " ich habe mir das besorgen lassen " , sagte er , " ich habe es mit Genneholm durchgearbeitet " . 002386 000186 " verdammt " , sagte ich , " was hast du ihm dafr bezahlt ? " . 002387 000186 er wurde rot . 002388 000186 " laá das doch " , sagte er , " also , was hast du vor ? " . 002389 000186 " trainieren " , sagte ich , " arbeiten , ein halbes Jahr , ein ganzes , ich weiá noch nicht " . 002390 000186 " wo ? " . 002391 000186 " hier " , sagte ich , " wo sonst ? " . 002392 000186 es gelang ihm nur schlecht , seinen Schrecken zu verbergen . 002393 000186 " ich werde euch nicht bel„stigen und nicht kompromittieren , ich werde nicht einmal zum f+ jour: fixe: +f kommen " , sagte ich . 002394 000186 er wurde rot . 002395 000186 ich war ein paarmal zu ihrem f+ jour: fixe: +f gegangen , wie irgendeiner , ohne sozusagen privat zu ihnen zu gehen . 002396 000186 ich hatte Cocktails getrunken und Oliven gegessen , Tee getrunken und mir beim Weggehen Zigaretten eingesteckt , so offen , daá die Diener es sahen und sich err”tend abwendeten . 002397 000186 " ach " , sagte mein Vater nur . 002398 000186 er wand sich in seinem Sessel . 002399 000186 am liebsten w„re er aufgestanden und h„tte sich ans Fenster gestellt . 002400 000186 jetzt senkte er nur den Blick und sagte : " es w„re mir lieber , du wrdest den soliden Weg w„hlen , den Genneholm vorschl„gt . 002401 000186 eine unsichere Sache zu finanzieren f„llt mir schwer . 002402 000186 hast du denn nichts erspart ? . 002403 000186 du muát doch ganz hbsch verdient haben in diesen Jahren " . 002404 000186 " keinen Pfennig hab ich erspart " , sagte ich , " ich besitze eine , eine einzige Mark " . 002405 000186 ich zog die Mark aus der Tasche und zeigte sie ihm . 002406 000186 er beugte sich tats„chlich darber und sah sie sich an wie ein merkwrdiges Insekt . 002407 000187 " es f„llt mir schwer , dir zu glauben " , sagte er , " ich habe dich jedenfalls nicht zum Verschwender erzogen . 002408 000187 was mátest du denn so monatlich haben , wie hast du dir die Sache gedacht ? " . 002409 000187 mein Herz schlug heftig . 002410 000187 ich hatte nicht geglaubt , daá er mir so direkt wrde helfen wollen . 002411 000187 ich berlegte . 002412 000187 nicht zu wenig und nicht zuviel , und doch genug muáte ich haben , aber ich hatte keine , nicht die geringste Ahnung , was ich brauchen wrde . 002413 000187 Strom , Telefon , und irgendwie muáte ich ja leben . 002414 000187 ich schwitzte vor Aufregung . 002415 000187 " zun„chst " , sagte ich , " brauche ich eine dicke Gummimatte , so groá wie dieses Zimmer , sieben mal fnf , die k”nntest du mir aus euren Rheinischen Gummibearbeitungsfabriken billiger besorgen " . 002416 000187 " sch”n " , sagte er l„chelnd , " ich stifte sie dir sogar . 002417 000187 sieben mal fnf - aber Genneholm meint , du solltest dich nicht mit Akrobatik verzetteln " . 002418 000187 " werde ich nicht , Papa " , sagte ich , " auáer der Matte wrde ich wohl noch tausend Mark im Monat brauchen " . 002419 000187 " tausend Mark " , sagte er . 002420 000187 er stand auf , sein Schrecken war aufrichtig , seine Lippen bebten . 002421 000187 " na gut " , sagte ich , " was dachtest du denn ? " . 002422 000187 ich hatte keine Ahnung , wieviel Geld er wirklich hatte . 002423 000187 ein Jahr lang tausend Mark - soviel konnte ich rechnen - waren zw”lftausend Mark , und eine solche Summe konnte ihn nicht umbringen . 002424 000187 er war wirklich Million„r , das hatte Maries Vater mir genau erkl„rt und mir einmal vorgerechnet . 002425 000187 ich erinnerte mich nicht mehr genau . 002426 000187 er hatte berall Aktien und die " H„nde drin " . 002427 000187 sogar in dieser Badezeugfabrik . 002428 000187 er ging hinter seinem Sessel hin und her , ganz ruhig , die Lippen bewegend , als ob er rechnete . 002429 000188 vielleicht tat ers wirklich , aber es dauerte sehr lange . 002430 000188 mir fiel wieder ein , wie sch„big sie gewesen waren , als ich mit Marie von Bonn wegging . 002431 000188 Vater hatte mir geschrieben , daá er mir aus moralischen Grnden jede Untersttzung verweigere und von mir erwarte , daá ich mit " meiner H„nde Arbeit " mich " und das unglckliche , anst„ndige M„dchen , das du verfhrt hast " ern„hrte . 002432 000188 er habe den alten Derkum , wie ich wisse , immer gesch„tzt , als Gegner und als Mensch , und es sei ein Skandal . 002433 000188 wir wohnten in einer Pension in K”ln-Ehrenfeld . 002434 000188 die siebenhundert Mark , die Maries Mutter ihr hinterlassen hatte , waren nach einem Monat weg , und ich hatte das Gefhl , sehr sparsam und vernnftig damit umgegangen zu sein . 002435 000188 wir wohnten in der N„he des Ehrenfelder Bahnhofs , blickten vom Fenster unseres Zimmers aus auf die rote Backsteinmauer des Bahndamms , Braunkohlenzge fuhren voll in die Stadt herein , leer aus ihr hinaus , ein trostreicher Anblick , ein herzbewegendes Ger„usch , ich muáte immer an die ausgeglichene Verm”genslage zu Hause denken . 002436 000188 vom Badezimmer aus der Blick auf Zinkwannen und W„scheleinen , im Dunkeln manchmal das Ger„usch einer fallenden Bchse oder einer Tte voll Abfall , die einer heimlich aus dem Fenster in den Hof warf . 002437 000188 ich lag oft in der Wanne und sang Liturgisches , bis die Wirtin mir erst das Singen - " die Leute denken ja , ich beherberge einen abgesprungenen Pastor " - verbot , dann den Badekredit sperrte . 002438 000188 ich badete ihr zu oft , sie fand das berflssig . 002439 000188 sie stocherte manchmal mit dem Schreisen in den heruntergeworfenen Abfallpaketen auf dem Hof , um aus dem Inhalt den Absender zu ermitteln : Zwiebelschalen , Kaffeesatz , Kotelettknochen gaben ihr Stoff fr umst„ndliche Kombinationen , die sie durch beil„ufig vorgenommene Erkundigungen in Metzgerl„den und Gemsegesch„ften erg„nzte , nie mit Erfolg . 002440 000189 der Abfall lieá nie bindende Schlsse auf die Individualit„t zu . 002441 000189 Drohungen , die sie in den w„scheverhangenen Himmel hinaufschickte , waren so formuliert , daá jeder sich gemeint vorkam : " mir macht keiner was vor , ich weiá , wo ich dran bin " . 002442 000189 wir lagen morgens immer im Fenster und lauerten auf den Brieftr„ger , der uns manchmal P„ckchen brachte , von Maries Freundinnen , Leo , Anna , in sehr unregelm„áigen Abst„nden Groávaters Schecks , aber von meinen Eltern nur Aufforderungen , " mein Schicksal in die Hand zu nehmen , aus eigner Kraft das Miágeschick zu meistern " . 002443 000189 sp„ter schrieb meine Mutter sogar , sie habe mich " verstoáen " . 002444 000189 sie kann bis zur Idiotie geschmacklos sein , denn sie zitierte den Ausdruck aus einem Roman von v+ Schnitzler +v , der q+ Herz: im: Zwiespalt: +q heiát . 002445 000189 in diesem Roman wird ein M„dchen von seinen Eltern " verstoáen " , weil es sich weigert , ein Kind zur Welt zu bringen , das ein " edler , aber schwacher Knstler " , ich glaube ein Schauspieler , ihr gezeugt hat . 002446 000189 Mutter zitierte w”rtlich einen Satz aus dem achten Kapitel des Romans : z+ " mein Gewissen zwingt mich , dich zu verstoáen " +z . 002447 000189 sie fand , daá dies ein passendes Zitat war . 002448 000189 jedenfalls " verstieá " sie mich . 002449 000189 ich bin sicher , sie tat es nur , weil es ein Weg war , der sowohl ihrem Gewissen wie ihrem Konto Konflikte ersparte . 002450 000189 zu Hause erwarteten sie , daá ich einen heroischen Lebenslauf beginnen wrde : in eine Fabrik gehen oder auf den Bau , um meine Geliebte zu ern„hren , und sie waren alle entt„uscht , als ich das nicht tat . 002451 000189 sogar Leo und Anna drckten ihre Entt„uschung deutlich aus . 002452 000190 sie sahen mich schon mit Stullen und Henkelmann im Morgengrauen losziehen , eine Kuáhand zu Maries Zimmer hinaufwerfen , sahen mich abends " mde , aber befriedigt " heimkehren , Zeitung lesen und Marie beim Stricken zuschauen . 002453 000190 aber ich machte nicht die geringste Anstrengung , aus dieser Vorstellung ein lebendes Bild zu machen . 002454 000190 ich blieb bei Marie , und Marie war es viel lieber , wenn ich bei ihr blieb . 002455 000190 ich fhlte mich als " Knstler " ( viel mehr als jemals sp„ter ) , und wir verwirklichten unsere kindlichen Vorstellungen von Boheme : mit Chiantiflaschen und Sackleinen an den W„nden und buntem Bast . 002456 000190 ich werde heute noch rot vor Rhrung , wenn ich an dieses Jahr denke . 002457 000190 wenn Marie am Wochenende zu unserer Wirtin ging , um Aufschub fr die Mietzahlung zu erlangen , fing die Wirtin jedesmal Streit an und fragte , warum ich denn nicht arbeiten ginge . 002458 000190 und Marie sagte mit ihrem wunderbaren Pathos : " mein Mann ist ein Knstler , ja , ein Knstler " . 002459 000190 ich h”rte sie einmal von der dreckigen Treppe aus ins offene Zimmer der Wirtin hinunterrufen : " ja , ein Knstler " , und die Wirtin rief mit ihrer heiseren Stimme zurck : " was , ein Knstler ? . 002460 000190 und Ihr Mann ist er auch ? . 002461 000190 da wird sich das Standesamt aber gefreut haben " . 002462 000190 am meisten „rgerte sie sich darber , daá wir fast immer bis zehn oder elf im Bett blieben . 002463 000190 sie hatte nicht Phantasie genug , sich auszurechnen , daá wir auf diese Weise am leichtesten eine Mahlzeit und Strom frs Heiz”fchen sparten , und wuáte nicht , daá ich meistens erst gegen zw”lf in das Pfarrs„lchen zum Training gehen konnte , weil vormittags dort immer etwas los war : Mtterberatung , Kommunionunterricht , Kochkurse oder Beratungsstunde einer katholischen Siedlungsgenossenschaft . 002464 000190 wir wohnten nahe an der Kirche , an der Heinrich Behlen Kaplan war , und er hatte mir dieses S„lchen mit Bhne als Trainingsm”glichkeit besorgt , auch das Zimmer in der Pension . 002465 000191 damals waren viele Katholiken sehr nett zu uns . 002466 000191 die Frau , die im Pfarrheim den Kochlehrgang abhielt , gab uns immer zu essen , was brig geblieben war , meistens nur Suppe und Pudding , manchmal auch Fleisch , und wenn Marie ihr beim Aufr„umen half , steckte sie ihr gelegentlich ein Paket Butter zu oder eine Tte Zucker . 002467 000191 sie blieb manchmal dort , wenn ich mit dem Training anfing , hielt sich den Bauch vor Lachen und kochte am Nachmittag Kaffee . 002468 000191 auch als sie erfuhr , daá wir nicht verheiratet waren , blieb sie nett . 002469 000191 ich hatte den Eindruck , sie rechnete gar nicht damit , daá Knstler " richtig heiraten " . 002470 000191 an manchen Tagen , wenn es kalt war , gingen wir schon frher hin . 002471 000191 Marie nahm an dem Kochkurs teil , und ich saá in der Garderobe neben einem elektrischen Heiz”fchen und las . 002472 000191 ich h”rte durch die dnne Wand das Gekicher im Saal , dann ernste Vortr„ge ber Kalorien , Vitamine , Kalkulation , doch im ganzen schien mir das Unternehmen sehr munter zu sein . 002473 000191 wenn Mtterberatung war , durften wir nicht erscheinen , bis alles vorbei war . 002474 000191 die junge Žrztin , die die Beratung abhielt , war sehr korrekt , auf eine freundliche , aber bestimmte Art , und hatte eine frchterliche Angst vor dem Staub , den ich aufwirbelte , wenn ich auf der Bhne herumhopste . 002475 000191 sie behauptete sp„ter , der Staub hinge noch am Tage darauf in der Luft und gef„hrde die S„uglinge , und sie setzte es durch , daá ich vierundzwanzig Stunden , bevor sie ihre Beratung abhielt , nicht die Bhne benutzen durfte . 002476 000191 Heinrich Behlen bekam sogar Krach mit seinem Pfarrer deswegen , der gar nicht gewuát hatte , daá ich dort jeden Tag trainierte , und der Heinrich aufforderte , " die N„chstenliebe nicht zu weit zu treiben " . 002477 000192 manchmal ging ich auch mit Marie in die Kirche . 002478 000192 es war so sch”n warm dort , ich setzte mich immer ber den Heizungskanal ; es war auch vollkommen still , der Straáenl„rm drauáen schien unendlich weit weg zu sein , und die Kirche war auf eine wohltuende Weise leer : nur sieben oder acht Menschen , und ich hatte einige Male das Gefhl , dazuzugeh”ren zu dieser stillen traurigen Versammlung von Hinterbliebenen einer Sache , die in ihrer Ohnmacht groáartig wirkte . 002479 000192 auáer Marie und mir lauter alte Frauen . 002480 000192 und die unpathetische Art , mit der Heinrich Behlen zelebrierte , paáte so gut zu der dunklen , h„álichen Kirche . 002481 000192 einmal sprang ich sogar ein , als sein Meádiener ausgefallen war , am Ende der Messe , wenn das Buch von rechts nach links getragen wird . 002482 000192 ich merkte einfach , daá Heinrich pl”tzlich unsicher wurde , den Rhythmus verlor , und ich lief rasch hin , holte das Buch von der rechten Seite , kniete mich hin , als ich vor der Mitte des Altars war , und trug es nach links . 002483 000192 ich w„re mir unh”flich vorgekommen , h„tte ich Heinrich nicht aus der Verlegenheit geholfen . 002484 000192 Marie wurde knallrot , Heinrich l„chelte . 002485 000192 wir kannten uns schon lange , er war im Internat Kapit„n der Fuáballmannschaft gewesen , „lter als ich . 002486 000192 meistens warteten wir nach der Messe drauáen vor der Sakristei auf Heinrich , er lud uns zum Frhstck ein , kaufte auf Kredit in einem Kramladen Eier , Schinken , Kaffee und Zigaretten , und er war immer glcklich wie ein Kind , wenn seine Haush„lterin krank war . 002487 000192 ich dachte an all die Menschen , die uns geholfen hatten , w„hrend sie zu Hause auf ihren Scheiámillionen herumhockten , mich verstoáen hatten und ihre moralischen Grnde genossen . 002488 000193 mein Vater ging immer noch hinter seinem Sessel hin und her und bewegte rechnend seine Lippen . 002489 000193 ich war drauf und dran , ihm zu sagen , ich verzichte auf sein Geld , aber irgendwie , so schien mir , hatte ich ein Recht darauf , von ihm etwas zu bekommen , und ich wollte mir mit einer einzigen Mark in der Tasche keinen Heroismus erlauben , den ich sp„ter bereuen wrde . 002490 000193 ich brauchte wirklich Geld , dringend , und er hatte mir keinen Pfennig gegeben , seitdem ich von zu Hause weg war . 002491 000193 Leo hatte uns sein ganzes Taschengeld gegeben , Anna uns manchmal ein selbstgebackenes Weiábrot geschickt , und sp„ter hatte uns sogar Groávater hin und wieder Geld geschickt , Verrechnungsschecks ber fnfzehn , zwanzig Mark , und einmal aus einem Grund , den ich nie herausbekam , einen Scheck ber zweiundzwanzig Mark . 002492 000193 wir hatten jedesmal ein frchterliches Theater mit diesen Schecks : unsere Wirtin hatte kein Bankkonto , Heinrich auch nicht , er hatte so wenig Ahnung von Verrechnungsschecks wie wir . 002493 000193 er zahlte den ersten Scheck einfach auf das Caritaskonto seiner Pfarre ein , lieá sich an der Sparkasse Zweck und Ort des Verrechnungsschecks erkl„ren , ging dann zu seinem Pfarrer und bat um einen Barscheck ber fnfzehn Mark - aber der Pfarrer platzte fast vor Wut . 002494 000193 er erkl„rte Heinrich , er k”nne ihm keinen Barscheck geben , weil er die Zeckbestimmung erkl„ren msse , und so ein Caritaskonto sei eine heikle Sache , es wrde kontrolliert , und wenn er schriebe : " Gef„lligkeitsscheck fr Kaplan Behlen , Gegenwert fr privaten Verrechnungsscheck " , bek„me er Krach , denn eine Pfarrcaritas sei schlieálich kein Umschlagplatz fr Verrechnungsschecks " dunkler Herkunft " . 002495 000193 er k”nne den Verrechnungsscheck nur als Spende fr einen bestimmten Zweck deklarieren , als unmittelbare Untersttzung von Schnier fr Schnier , und mir den Gegenwert bar als Spende der Caritas auszahlen . 002496 000194 das ginge , sei aber nicht ganz korrekt . 002497 000194 es dauerte im ganzen zehn Tage , bis wir die fnfzehn Mark wirklich hatten , denn Heinrich hatte natrlich noch tausend andere Dinge zu tun , er konnte sich nicht ausschlieálich der Einl”sung meiner Verrechnungsschecks widmen , ich bekam jedesmal einen Schrecken , wenn ich danach von Groávater einen Verrechnungsscheck bekam . 002498 000194 es war teuflisch , es war Geld und doch kein Geld , und es war nie das , was wir wirklich brauchten : unmittelbar Geld . 002499 000194 schlieálich richtete sich Heinrich selbst ein Bankkonto ein , um uns Barschecks fr die Verrechnungsschecks geben zu k”nnen , aber er war oft fr drei , vier Tage weg , einmal war er fr drei Wochen in Urlaub , als der Scheck ber zweiundzwanzig Mark kam , und ich trieb schlieálich in K”ln meinen einzigen Jugendfreund auf , Edgar Wieneken , der irgendein Amt - ich glaube Kulturreferent bei der SPD: - bekleidete . 002500 000194 ich fand seine Adresse im Telefonbuch , hatte aber keine zwei Groschen , um ihn anzurufen , und ging zu Fuá von K”ln-Ehrenfeld nach K”ln-Kalk , traf ihn nicht an , wartete bis acht Uhr abends vor der Haustr , weil seine Wirtin sich weigerte , mich in sein Zimmer zu lassen . 002501 000194 er wohnte in der N„he einer sehr groáen und sehr dunklen Kirche , in der Engelsstraáe ( ich weiá bis heute nicht , ob er sich verpflichtet fhlte , in der Engelsstraáe zu wohnen , weil er in der SPD: war ) . 002502 000194 ich war vollkommen erledigt , todmde , hungrig , hatte nicht einmal Zigaretten und wuáte , daá Marie zu Hause saá und sich „ngstigte . 002503 000194 und K”ln-Kalk , die Engelsstraáe , die chemische Fabrik in der N„he - das ist kein heilsamer Anblick fr Melancholiker . 002504 000194 ich ging schlieálich in eine B„ckerei und bat die Frau hinter der Theke , mir ein Br”tchen zu schenken . 002505 000195 sie war jung , sah aber mies aus . 002506 000195 ich wartete , bis der Laden einen Augenblick leer war , ging rasch hinein und sagte , ohne guten Abend zu wnschen : " schenken Sie mir ein Br”tchen " . 002507 000195 ich hatte Angst , es wrde jemand reinkommen - sie sah mich an , ihr dnner gr„mlicher Mund wurde erst noch dnner , rundete sich dann , fllte sich , dann steckte sie ohne ein Wort drei Br”tchen und ein Stck Hefekuchen in eine Tte und gab es mir . 002508 000195 ich glaube , ich sagte nicht einmal Danke , als ich die Tte nahm und rasch wegging . 002509 000195 ich setzte mich auf die Trschwelle des Hauses , in dem Edgar wohnte , aá die Br”tchen und den Kuchen und fhlte ab und zu nach dem Verrechnungsscheck ber zweiundzwanzig Mark in meiner Tasche . 002510 000195 Zweiundzwanzig war eine merkwrdige Zahl , ich grbelte darber nach , wie sie zustande gekommen sein konnte , vielleicht war es irgendein Rest auf einem Konto gewesen , vielleicht sollte es auch ein Witz sein , wahrscheinlich war es ein Zufall , aber das Merkwrdige war , daá sowohl die Ziffer 22 wie in Worten Zweiundzwanzig drauf stand , und Groávater muáte sich doch irgend etwas dabei gedacht haben . 002511 000195 ich bekam es nie heraus . 002512 000195 sp„ter entdeckte ich , daá ich nur eineinhalb Stunden in Kalk in der Engelsstraáe auf Edgar gewartet hatte : es kam mir vor wie eine Ewigkeit voller Trbsal : die dunklen H„userfronten , die D„mpfe von der chemischen Fabrik . 002513 000195 Edgar freute sich , mich wiederzusehen . 002514 000195 er strahlte , klopfte mir auf die Schulter , nahm mich mit auf sein Zimmer , wo er ein groáes Foto von Brecht an der Wand hatte , darunter eine Klampfe und viele Taschenbcher auf einem selbst zusammengehauenen Regal . 002515 000195 ich h”rte ihn drauáen mit seiner Wirtin schimpfen , weil sie mich nicht reingelassen hatte , dann kam er mit Schnaps zurck , erz„hlte mir strahlend , er habe soeben im Theaterausschuá eine Schlacht gegen die " miefigen Hunde von der CDU: " gewonnen , und forderte mich auf , ihm alles zu erz„hlen , was ich , seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten , erlebt hatte . 002516 000196 wir hatten als Jungen jahrelang miteinander gespielt . 002517 000196 sein Vater war Bademeister , sp„ter Platzwart auf dem Sportgel„nde in der N„he unseres Hauses . 002518 000196 ich bat ihn , mir die Erz„hlung zu ersparen , kl„rte ihn in Stichworten ber meine Situation auf und bat ihn , mir den Scheck doch zu versilbern . 002519 000196 er war furchtbar nett , er verstand alles , gab mir sofort dreiáig Mark bar , wollte den Scheck gar nicht haben , aber ich flehte ihn an , den Scheck zu nehmen . 002520 000196 ich glaube , ich weinte fast , als ich ihn bat , den Scheck doch zu nehmen . 002521 000196 er nahm ihn , ein biáchen gekr„nkt , und ich lud ihn ein , uns doch einmal zu besuchen und mir beim Training zuzusehen . 002522 000196 er brachte mich noch bis zur Straáenbahnhaltestelle an der Kalker Post , aber als ich drben auf dem Platz ein freies Taxi stehen sah , rannte ich hinber , setzte mich rein und sah nur noch Edgars verdutztes , gekr„nktes , bleiches , groáes Gesicht . 002523 000196 es war das erste Mal , daá ich mir ein Taxi leistete , und wenn je ein Mensch ein Taxi verdient hat , dann war ich es an diesem Abend . 002524 000196 ich h„tte es nicht ertragen , mit der Straáenbahn quer durch K”ln zu bummeln und noch eine Stunde auf das Wiedersehen mit Marie zu warten . 002525 000196 das Taxi kostete fast acht Mark . 002526 000196 ich gab dem Fahrer noch fnfzig Pfennig Trinkgeld und rannte in unserer Pension die Treppe hinauf . 002527 000196 Marie fiel mir weinend um den Hals , und ich weinte auch . 002528 000196 wir hatten beide soviel Angst ausgestanden , waren eine Ewigkeit lang voneinander getrennt gewesen , wir waren zu verzweifelt , uns zu kssen , flsterten nur immer wieder , daá wir uns nie , nie , nie mehr trennen wrden , " bis daá der Tod uns scheidet " , flsterte Marie . 002529 000197 dann machte Marie " sich fertig " , wie sie es nannte , schminkte sich , malte sich die Lippen , und wir gingen zu einer der Buden auf der Venloer Straáe , aáen jeder zwei Portionen Gulasch , kauften uns eine Flasche Rotwein und gingen nach Hause . 002530 000197 Edgar hat mir diese Taxifahrt nie ganz verziehen . 002531 000197 wir sahen ihn danach ”fter , und er half uns sogar noch einmal mit Geld , als Marie die Fehlgeburt hatte . 002532 000197 er sprach auch nie ber die Taxifahrt , aber es blieb bei ihm ein Miátrauen zurck , das bis heute nicht getilgt ist . 002533 000197 " mein Gott " , sagte mein Vater laut und in einer neuen Tonlage , die mir ganz fremd an ihm war , " sprich doch laut und deutlich und mach die Augen auf . 002534 000197 auf den Trick fall ich nicht mehr rein " . 002535 000197 ich machte die Augen auf und sah ihn an . 002536 000197 er war b”se . 002537 000197 " rede ich etwa ? " fragte ich . 002538 000197 " ja " , sagte er , " du murmelst vor dich hin , aber das einzige Wort , das ich verstehe , ist hin und wieder Scheiámillionen " . 002539 000197 " das ist auch das einzige , das du verstehen kannst und verstehen sollst " . 002540 000197 " und Verrechnungsscheck habe ich verstanden " , sagte er . 002541 000197 " ja , ja " , sagte ich , " komm , setz dich wieder hin und sag mir , was du dir gedacht hast - als monatliche Untersttzung fr ein Jahr " . 002542 000197 ich ging zu ihm rber , packte ihn sanft an den Schultern und drckte ihn in seinen Sessel . 002543 000197 er stand sofort wieder auf , und wir standen uns ganz nah gegenber . 002544 000197 " ich habe mir die Sache hin und her berlegt " , sagte er leise , " wenn du meine Bedingung der soliden , kontrollierten Ausbildung nicht wahrnehmen , sondern hier arbeiten willst ... máten eigentlich - na , ich dachte , zweihundert Mark im Monat reichen " . 002545 000198 ich war sicher , daá er zweihundertfnfzig oder dreihundert hatte sagen wollen , im letzten Augenblick aber zweihundert gesagt hatte . 002546 000198 er schien doch ber meinen Gesichtsausdruck erschrocken zu sein , er sagte rascher als zu seiner gepflegten Erscheinung paáte : " Genneholm sprach davon , daá Askese die Grundlage der Pantomime sei " . 002547 000198 ich sagte immer noch nichts . 002548 000198 ich sah ihn nur an , mit " leeren Augen " , wie eine Kleistsche Marionette . 002549 000198 ich war nicht einmal wtend , nur auf eine Weise erstaunt , die das , was ich mhsam gelernt hatte : leere Augen zu haben , zu meinem natrlichen Ausdruck machte . 002550 000198 er wurde nerv”s , hatte leichte Schweiáspuren auf der Oberlippe . 002551 000198 meine erste Regung war immer noch nicht Wut oder Verbitterung oder gar Haá ; meine leeren Augen fllten sich langsam mit Mitleid . 002552 000198 " lieber Papa " , sagte ich leise , " zweihundert Mark sind gar nicht so wenig , wie du zu glauben scheinst . 002553 000198 das ist eine ganz hbsche Summe , ich will nicht mit dir darber streiten , aber weiát du wenigstens , daá Askese ein teures Vergngen ist , jedenfalls die Askese , an die Genneholm denkt ; er meint n„mlich Di„t und nicht Askese , viel mageres Fleisch und Salate - die billigste Form der Askese ist der Hunger , aber ein hungriger Clown - nun , ist immer noch besser als ein betrunkener " . 002554 000198 ich trat zurck , es war mir peinlich , so nahe bei ihm zu stehen , daá ich beobachten konnte , wie die Schweiáperlen auf seinen Lippen dicker wurden . 002555 000198 " h”r mal " , sagte ich , " reden wir , wie es sich fr f+ Gentlemen +f ziemt , nicht mehr ber Geld , sondern ber etwas anderes " . 002556 000199 " aber ich will dir wirklich helfen " , sagte er verzweifelt , " ich will dir gern dreihundert geben " . 002557 000199 " ich will jetzt von Geld nichts h”ren " , sagte ich , " ich wollte dir nur erkl„ren , was die erstaunlichste Erfahrung unserer Kindheit fr mich war " . 002558 000199 " was denn ? " fragte er und sah mich an , als erwarte er ein Todesurteil . 002559 000199 er dachte wohl , ich wrde von seiner Geliebten anfangen , der er in Godesberg eine Villa gebaut hat . 002560 000199 " ruhig , ruhig " , sagte ich , " du wirst dich wundern ; die erstaunlichste Erfahrung unserer Kindheit war die Erkenntnis , daá wir zu Hause nie richtig zu fressen bekamen " . 002561 000199 er zuckte zusammen , als ich fressen sagte , schluckte , lachte dann knurrend und fragte : " du meinst , ihr w„rt nie richtig satt geworden ? " . 002562 000199 - " genau das " , sagte ich ruhig , " wir sind nie richtig satt geworden , wenigstens zu Hause nicht . 002563 000199 ich weiá bis heute nicht , ob es aus Geiz oder aus Prinzip geschah , mir w„re lieber , ich wáte , daá es aus Geiz geschah - aber weiát du eigentlich , was ein Kind sprt , wenn es den ganzen Nachmittag radgefahren , Fuáball gespielt , im Rhein geschwommen hat ? " . 002564 000199 " ich nehme an , Appetit " , sagte er khl . 002565 000199 " nein " , sagte ich , " Hunger . 002566 000199 verdammt , wir wuáten als Kinder immer nur , daá wir reich waren , sehr reich - aber von diesem Geld haben wir nichts gehabt - nicht einmal richtig zu essen " . 002567 000199 " hat es euch je an etwas gefehlt ? " . 002568 000199 " ja " , sagte ich , " ich sags ja : an Essen - und auáerdem am Taschengeld . 002569 000199 weiát du , worauf ich als Kind immer Hunger hatte ? " . 002570 000199 " mein Gott " , sagte er „ngstlich , " auf was ? " . 002571 000199 " auf Kartoffeln " , sagte ich . 002572 000199 " aber Mutter hatte damals schon den Schlankheitsfimmel - du weiát ja , sie war immer ihrer Zeit voraus - , und es wimmelte bei uns st„ndig von irgendwelchen dummen Schw„tzern , von denen jeder eine andere Ern„herungstheorie hatte , leider spielte in keiner einzigen dieser Ern„hrungstheorien die Kartoffel eine positive Rolle . 002573 000200 die M„dchen in der Kche kochten sich manchmal welche , wenn ihr aus wart : Pellkartoffeln mit Butter , Salz und Zwiebeln , und manchmal weckten sie uns , und wir durften im Schlafanzug runter kommen und uns unter der Bedingung absoluter Verschwiegenheit mit Kartoffeln vollschlagen . 002574 000200 meistens gingen wir freitags zu Wienekens , da gab es immer Kartoffelsalat , und Frau Wieneken h„ufte uns den Teller besonders hoch voll . 002575 000200 und dann gab es bei uns immer zu wenig Brot im Brotkorb , eine knappe beschissene Angelegenheit war das , unser Brotkorb , dieses verdammte Kn„ckebrot , oder ein paar Scheiben , die " aus gesundheitlichen Grnden " halb trocken waren - wenn ich zu Wienekens kam und Edgar hatte gerade Brot geholt , dann hielt seine Mutter mit der linken Hand den Laib vor der Brust fest und schnitt mit der rechten frische Scheiben ab , die wir auffingen und mit Apfelkraut beschmierten " . 002576 000200 mein Vater nickte matt , ich hielt ihm die Zigaretten hin , er nahm eine , ich gab ihm Feuer . 002577 000200 ich hatte Mitleid mit ihm . 002578 000200 es muá schlimm fr einen Vater sein , sich mit seinem Sohn , wenn er schon fast achtundzwanzig ist , zum erstenmal richtig zu unterhalten . 002579 000200 " noch tausend andere Dinge " , sagte ich , " zum Beispiel Lakritzen , Luftballons . 002580 000200 Mutter hielt Luftballons fr reine Verschwendung . 002581 000200 stimmt . 002582 000200 sie sind reine Verschwendung - aber um eure ganzen Scheiámillionen als Luftballons in den Himmel zu schicken , h„tte unsere Verschwendungssucht gar nicht ausgereicht . 002583 000200 und diese billigen Bonbons , ber die Mutter ganz besonders gescheite Abschreckungstheorien hatte , die bewiesen , daá sie reines , reines Gift seien . 002584 000201 aber dann gab sie uns nicht etwa bessere Bonbons , die nicht giftig waren , sondern gar keine . 002585 000201 im Internat wunderten sich alle " , sagte ich leise , " daá ich als einziger nie bers Essen murrte , alles aufaá und das Essen herrlich fand " . 002586 000201 " na , siehst du " , sagte er matt , " es hat wenigstens sein Gutes gehabt " . 002587 000201 es klang nicht sehr berzeugt und gar nicht glcklich , was er da sagte . 002588 000201 " oh " , sagte ich , " ber den theoretischen p„dagogischen Wert einer solchen Erziehung bin ich mir vollkommen klar - aber es war eben alles Theorie , P„dagogik , Psychologie , Chemie - und eine t”dliche Verdrossenheit . 002589 000201 bei Wienekens wuáte ich , wann es Geld gab , freitags , auch bei Schniewinds und Holleraths merkte man , wenn es am Monatsersten oder am Fnfzehnten Geld gab - es gab was extra , fr jeden eine besonders dicke Scheibe Wurst , oder Kuchen , und Frau Wieneken ging freitags morgens immer zum Friseur , weil am frhen Abend - nun , du wrdest sagen , der Venus geopfert wurde " . 002590 000201 " was " , rief mein Vater , " du meinst doch nicht ... " . 002591 000201 er wurde rot und sah mich kopfschttelnd an . 002592 000201 " doch " , sagte ich , " das meine ich . 002593 000201 freitags nachmittags wurden die Kinder ins Kino geschickt . 002594 000201 vorher durften sie noch Eis essen gehen , so daá sie fr mindestens dreieinhalb Stunden aus dem Haus waren , wenn die Mutter vom Friseur kam und der Vater mit der Lohntte nach Haus . 002595 000201 du weiát , so groá sind Arbeiterwohnungen nicht " . 002596 000201 - " du meinst " , sagte mein Vater , " du meinst , ihr h„ttet gewuát , warum die Kinder ins Kino geschickt wurden ? " . 002597 000202 " natrlich nicht genau " , sagte ich , " und das meiste fiel mir erst sp„ter ein , wenn ich daran dachte - und erst viel sp„ter fiel mir ein , warum Frau Wieneken immer auf eine so rhrende Art rot wurde , wenn wir dann aus dem Kino kamen und Kartoffelsalat aáen . 002598 000202 sp„ter , als er Platzwart wurde , war das anders - da war er wohl mehr zu Hause . 002599 000202 ich merkte als Junge nur immer , daá ihr irgenwie peinlich zu Mute war - und sp„ter erst fiel mir ein , warum . 002600 000202 aber in einer Wohnung , die aus einem groáen Zimmer und einer Kche bestand , und mit drei Kindern - hatten sie wohl gar keine andere Wahl " . 002601 000202 mein Vater war so erschttert , daá ich Angst hatte , er wrde es fr geschmacklos halten , jetzt wieder von Geld anzufangen . 002602 000202 er empfand unsere Begegnung als tragisch , fing aber schon an , diese Tragik auf einer Ebene edlen Leidens auch ein biáchen zu genieáen , Geschmack daran zu finden , und dann wrde es schwer sein , ihn wieder auf die monatlichen dreihundert Mark zu bringen , die er mir angeboten hatte . 002603 000202 mit Geld war es „hnlich wie mit dem " fleischlichen Verlangen " . 002604 000202 keiner sprach richtig darber , dachte richtig daran , es wurde entweder - wie Marie vom fleischlichen Verlangen der Priester gesagt hatte - " sublimiert " oder als ordin„r empfunden , nie als das , was es im Augenblick war : Essen oder ein Taxi , eine Schachtel Zigaretten oder ein Zimmer mit Bad . 002605 000202 mein Vater litt , es war offensichtlich und erschtternd . 002606 000202 er wandte sich zum Fenster hin , zog sein Taschentuch und trocknete sich ein paar Tr„nen . 002607 000202 ich hatte das noch nie gesehen : daá er weinte und sein Taschentuch richtig benutzte . 002608 000202 er bekam jeden Morgen zwei frische Taschentcher herausgelegt und warf sie abends ein biáchen verknautscht , aber nicht merklich angeschmutzt in den W„schepuff in seinem Badezimmer . 002609 000203 es hatte Zeiten gegeben , in denen meine Mutter aus Sparsamkeit , weil Waschmittel knapp waren , lange Diskussionen mit ihm darber fhrte , ob er nicht die Taschentcher wenigstens zwei oder drei Tage mit sich herumtragen k”nne . 002610 000203 " du tr„gst sie ja doch nur mit dir herum , und richtig schmutzig sind sie nie - und es gibt doch Verpflichtungen der Volksgemeinschaft gegenber " . 002611 000203 sie spielte damit auf " Kampf dem Verderb " und " Groschengrab " an . 002612 000203 aber Vater war - das einzige Mal , soweit ich mich erinnern konnte - energisch geworden und hatte darauf bestanden , morgens seine beiden frischen Taschentcher zu bekommen . 002613 000203 ich hatte noch nie ein Tr”pfchen oder St„ubchen , irgend etwas , was Naseputzen notwendig gemacht h„tte , an ihm gesehen . 002614 000203 jetzt stand er am Fenster und trocknete nicht nur Tr„nen , wischte sogar so etwas Ordin„res wie Schweiá von der Oberlippe . 002615 000203 ich ging raus in die Kche , weil er immer noch weinte , ich h”rte ihn sogar ein biáchen schluchzen . 002616 000203 es gibt nur wenige Menschen , die man gern dabei hat , wenn man weint , und ich dachte mir , der eigene Sohn , den man kaum kennt , w„re die am wenigsten angemessene Gesellschaft . 002617 000203 ich selber kannte nur einen Menschen , in dessen Gegenwart ich weinen konnte , Marie , und ich wuáte nicht , ob Vaters Geliebte von der Art war , daá er in ihrer Gegenwart weinen konnte . 002618 000203 ich hatte sie nur einmal gesehen , sie lieb und hbsch und auf eine angenehme Weise dumm gefunden , hatte aber viel von ihr geh”rt . 002619 000203 von Verwandten war sie uns als geldgierige Person geschildert worden , aber in unserer Verwandtschaft galt jedermann als geldgierig , der so unversch„mt war , daran zu erinnern , daá ein Mensch hin und wieder essen , trinken und Schuhe kaufen muá . 002620 000204 einer , der Zigaretten , warme B„der , Blumen , Schnaps fr lebensnotwendig erkl„rt , hat jede Chance , als " irrsinniger Verschwender " in die Chronik einzugehen . 002621 000204 ich stelle mir vor , daá eine Geliebte eine kostspielige Person ist : sie muá ja wohl Strmpfe kaufen , Kleider , muá Miete zahlen und immer gut gelaunt sein , was nur m”glich ist bei " vollkommen ausgeglichener Finanzlage " , wie Vater es ausgedrckt h„tte . 002622 000204 wenn er nach den sterbenslangweiligen Aufsichtsratssitzungen zu ihr ging , muáte sie doch gut gelaunt sein , gut riechen , beim Friseur gewesen sein . 002623 000204 ich konnte mir nicht vorstellen , daá sie geldgierig war . 002624 000204 wahrscheinlich war sie nur kostspielig , und das war in unserer Verwandtschaft gleichbedeutend mit geldgierig . 002625 000204 wenn der G„rtner Henkels , der dem alten Fuhrmann manchmal half , pl”tzlich mit erstaunlicher Bescheidenheit darauf aufmerksam machte , daá die Tarife fr Hilfsarbeiter " eigentlich schon seit drei Jahren " h”her seien als der Lohn , den er von uns bekam , hielt meine Mutter mit schriller Stimme einen zweistndigen Vortrag ber die " Geldgier gewisser Leute " . 002626 000204 sie hatte einmal unserem Brieftr„ger fnfundzwanzig Pfennige als Neujahrstrinkgeld gegeben und war emp”rt gewesen , als sie am n„chsten Morgen die fnfundzwanzig Pfennig in einem Briefumschlag im Postkasten fand mit einem Zettel , auf dem der Brieftr„ger schrieb : " ich bringe es nicht ber mich , Sie zu berauben , gn„dige Frau " . 002627 000204 natrlich kannte sie einen Staatssekret„r im Postministerium , bei dem sie sich sofort ber den " geldgierigen , impertinenten Menschen " beschwerte . 002628 000204 ich ging in der Kche rasch um die Kaffeepftze herum , durch die Diele ins Badezimmer , zog den St”psel aus der Wanne , und es fiel mir ein , daá ich das erste Bad seit Jahren genommen hatte , ohne wenigstens die Lauretanische Litanei zu singen . 002629 000205 ich stimmte leise summend das f+ Tantum ergo +f an , w„hrend ich mit der Brause die Schaumreste von den W„nden der sich leerenden Wanne spritzte . 002630 000205 ich versuchte es auch mit der Lauretanischen Litanei , ich habe dieses Judenm„dchen Miriam immer gern gehabt , und manchmal fast an es geglaubt . 002631 000205 aber auch die Lauretanische Litanei half nichts , sie war wohl doch zu katholisch , und ich war wtend auf den Katholizismus und die Katholiken . 002632 000205 ich nahm mir vor , Heinrich Behlen anzurufen und Karl Emonds . 002633 000205 mit Karl Emonds hatte ich seit dem frchterlichen Krach , den wir vor zwei Jahren hatten , nicht mehr gesprochen - und geschrieben hatten wir uns nie . 002634 000205 er war gemein zu mir gewesen , aus einem ganz dummen Grund : ich hatte seinem jngsten Sohn , dem einj„hrigen Gregor , ein rohes Ei in die Milch geschlagen , als ich auf ihn aufpassen muáte , w„hrend Karl mit Sabine im Kino und Marie beim " Kreis " war . 002635 000205 Sabine hatte mir gesagt , ich solle um zehn die Milch aufzuw„rmen , in die Flasche tun und Gregor geben , und weil der Junge mir so blaá und mickrig vorkam ( er weinte nicht einmal , sondern quengelte auf eine mitleiderregende Weise vor sich hin ) , dachte ich , ein rohes Ei in die Milch geschlagen k”nnte ihm gut tun . 002636 000205 ich trug ihn , w„hrend die Milch warm wurde , auf den Armen in der Kche hin und her und sprach mit ihm : " Ei , was kriegt denn unser Jngelchen , was geben wir ihm denn - ein Eichen " und so weiter , schlug dann das Ei auf , schlug es im Mixer und tat es Gregor in die Milch . 002637 000205 Karls andere Kinder schliefen fest , ich war ungest”rt mit Gregor in der Kche , und als ich ihm die Flasche gab , hatte ich den Eindruck , daá das Ei in der Milch ihm sehr wohltat . 002638 000206 er l„chelte und schlief nachher sofort ein , ohne noch lange zu quengeln . 002639 000206 als Karl dann aus dem Kino kam , sah er die Eierschalen in der Kche , kam ins Wohnzimmer , wo ich mit Sabine saá , und sagte : " das war vernnftig von dir , dir ein Ei zu machen " . 002640 000206 ich sagte , ich h„tte das Ei nicht selber gegessen , sondern Gregor gegeben - und sofort brach ein wilder Sturm , ein Geschimpfe los . 002641 000206 Sabine wurde regelrecht hysterisch und nannte mich " M”rder " , Karl schrie mich an : " du Vagabund - du Hurenbock " , und das machte mich so wild , daá ich ihn " verkrampfter Pauker " nannte , meinen Mantel nahm und in Zorn davonlief . 002642 000206 er rief mir noch in den Flur hinunter nach : " du verantwortungsloser Lump " , und ich schrie in den Flur hinauf : " du hysterischer Spieáer , du elender Steiátrommler " . 002643 000206 ich habe Kinder wirklich gern , kann auch ganz gut mit ihnen umgehen , besonders mit S„uglingen , ich kann mir nicht denken , daá ein Ei einem einj„hrigen Kind schadet , aber daá Karl mich ' Hurenbock ' genannt hatte , kr„nkte mich mehr als Sabines ' M”rder ' . 002644 000206 schlieálich kann man einer erregten Mutter einiges zubilligen und verzeihen , aber Karl wuáte genau , daá ich kein Hurenbock war . 002645 000206 unser Verh„ltnis war auf eine idiotische Weise gespannt , weil er meine " freie Lebensweise " im Grunde seines Herzens " groáartig " fand und mich seine spieáige im Grunde meines Herzens anzog . 002646 000206 ich konnte ihm nie klar machen , auf welche fast t”dliche Weise regelm„áig mein Leben war , wie pedantisch es ablief mit Bahnfahrt , Hotel , Training , Auftritt , Mensch-„rgere-dich-nicht-spielen und Biertrinken - und wie mich das Leben , das er fhrte , gerade wegen seiner Spieáigkeit anzog . 002647 000206 und er dachte natrlich , wie alle , daá wir absichtlich keine Kinder bek„men , Maries Fehlgeburten waren ihm " verd„chtig " ; er wuáte nicht , wie gern wir Kinder gehabt h„tten . 002648 000207 ich hatte trotz allem telegrafisch um einen Anruf gebeten , wrde ihn aber nicht anpumpen . 002649 000207 er hatte inzwischen vier Kinder und kam nur sehr schlecht mit dem Geld hin . 002650 000207 ich spritzte die Wanne noch einmal ab , ging leise in die Diele und blickte in die offene Wohnzimmertr . 002651 000207 mein Vater stand wieder mit dem Gesicht zum Tisch und weinte nicht mehr . 002652 000207 mit seiner roten Nase , den feuchten , faltigen Wangen , sah er wie irgendein alter Mann aus , fr”stelnd , auf eine berraschende Weise leer und fast dumm . 002653 000207 ich goá ihm ein biáchen Kognak ein , brachte ihm das Glas . 002654 000207 er nahm es und trank . 002655 000207 der berraschend dumme Ausdruck auf seinem Gesicht blieb , die Art , wie er sein Glas leerte , es mir stumm , mit einem hilflosen Flehen in den Augen hinhielt , hatte fast etwas Trotteliges , das ich noch nie an ihm gesehen hatte . 002656 000207 er sah aus wie jemand , der sich fr nichts , nichts mehr wirklich interessiert , nur noch fr Kriminalromane , eine bestimmte Weinmarke und dumme Witze . 002657 000207 das zerknautschte und feuchte Taschentuch hatte er einfach auf den Tisch gelegt , und ich empfand diesen fr ihn enormen Stilfehler als einen Ausdruck von Bockigkeit - wie bei einem unartigen Kind , dem schon tausendmal gesagt worden ist , daá man Taschentcher nicht auf den Tisch legt . 002658 000207 ich goá ihm noch etwas ein , er trank und machte eine Bewegung , die ich nur deuten konnte als " bitte , hol mir meinen Mantel " . 002659 000207 ich reagierte nicht darauf . 002660 000207 ich muáte ihn irgendwie wieder auf Geld bringen . 002661 000207 es fiel mir nichts besseres ein als meine Mark aus der Tasche zu nehmen und mit der Mnze ein biáchen zu jonglieren : ich lieá sie an meinem nach oben ausgestreckten rechten Arm herunterrollen - dann denselben Weg zurck . 002662 000208 seine Amsiertheit ber diesen Trick wirkte ziemlich gequ„lt . 002663 000208 ich warf die Mark hoch , fast bis an die Decke , fing sie wieder auf - aber er wiederholte nur seine Geste : " bitte , meinen Mantel " . 002664 000208 ich warf die Mark noch einmal hoch , fing sie auf dem dicken Zeh meines rechten Fuáes auf und hielt sie hoch , ihm fast unter die Nase , aber er machte nur eine „rgerliche Bewegung und brachte ein knurriges " laá das " zustande . 002665 000208 ich ging achselzuckend in die Diele , nahm seinen Mantel , seinen Hut von der Garderobe . 002666 000208 er stand schon neben mir , ich half ihm , hob die Handschuhe auf , die aus seinem Hut gefallen waren , und gab sie ihm . 002667 000208 er war wieder nahe am Weinen , machte irgendwelche komischen Bewegungen mit Nase und Lippen und flsterte mir zu : " kannst du mir nicht auch was Nettes sagen ? " . 002668 000208 " doch " , sagte ich leise , " es war nett von dir , daá du mir die Hand auf die Schulter gelegt hast , als diese Idioten mich verurteilten - und es war besonders nett , daá du Frau Wieneken das Leben gerettet hast , als der schwachsinnige Major sie erschieáen lassen wollte " . 002669 000208 " ach " , sagte er , " das hatte ich alles schon fast vergessen " . 002670 000208 " das ist besonders nett " , sagte ich , " daá du's vergessen hast - ich hab's nicht vergessen " . 002671 000208 er sah mich an und flehte stumm , nicht Henriettes Namen zu nennen , und ich nannte Henriettes Namen nicht , obwohl ich vorgehabt hatte , ihn zu fragen , warum er nicht so nett gewesen war , ihr den Schulausflug zur Flak zu verbieten . 002672 000208 ich nickte , und er verstand : ich wrde nicht von Henriette sprechen . 002673 000208 sicher saá er w„hrend der Aufsichtsratssitzungen da , kritzelte M„nnchen aufs Papier und manchmal ein H: , noch eins , manchmal vielleicht sogar ihren vollen Namen : Henriette . 002674 000209 er war nicht schuldig , nur auf eine Weise dumm , die Tragik ausschloá oder vielleicht die Voraussetzung dafr war . 002675 000209 ich wuáte es nicht . 002676 000209 er war so fein und zart und silberhaarig , sah so gtig aus und hatte mir nicht einmal ein Almosen geschickt , als ich mit Marie in K”ln war . 002677 000209 was machte diesen liebenswrdigen Mann , meinen Vater , so hart und so stark , warum redete er da am Fernsehschirm von gesellschaftlichen Verpflichtungen , von Staatsbewuátsein , von Deutschland , sogar von Christentum , an das er doch nach eignem Gest„ndnis gar nicht glaubte , und zwar so , daá man gezwungen war , ihm zu glauben ? . 002678 000209 es konnte doch nur das Geld sein , nicht das konkrete , mit dem man Milch kauft und Taxi f„hrt , sich eine Geliebte h„lt und ins Kino geht - nur das abstrakte . 002679 000209 ich hatte Angst vor ihm , und er hatte Angst vor mir : wir wuáten beide , daá wir keine Realisten waren , und wir verachteten beide die , die von " Realpolitik " sprachen . 002680 000209 es ging um mehr , als diese Dummk”pfe je verstehen wrden . 002681 000209 in seinen Augen las ich es : er konnte sein Geld nicht einem Clown geben , der mit Geld nur eins tun wrde : es ausgeben , genau das Gegenteil von dem , was man mit Geld tun muáte . 002682 000209 und ich wuáte , selbst wenn er mir eine Million gegeben h„tte , ich h„tte sie ausgegeben , und Geldausgeben war fr ihn gleichbedeutend mit Verschwenden . 002683 000209 w„hrend ich in der Kche und im Badezimmer wartete , um ihn allein weinen zu lassen , hatte ich gehofft , er wrde so erschttert sein , daá er mir eine groáe Summe schenkte , ohne die bl”den Bedingungen , aber ich las jetzt in seinen Augen , er konnte es nicht . 002684 000209 er war kein Realist , und ich war keiner , und wir beide wuáten , daá die anderen in all ihrer Plattheit nur Realisten waren , dumm wie alle Puppen , die sich tausendmal an den Kragen fassen und doch den Faden nicht entdecken , an dem sie zappeln . 002685 000210 ich nickte noch einmal , um ihn ganz zu beruhigen : ich wrde weder von Geld noch von Henriette anfangen , aber ich dachte an sie auf eine Weise , die mir ungeh”rig vorkam , ich stellte sie mir vor , wie sie jetzt w„re : dreiunddreiáig , wahrscheinlich von einem Industriellen geschieden . 002686 000210 ich konnte mir nicht vorstellen , daá sie diesen Kitsch mitgemacht h„tte , mit Flirts und Parties und " am Christentum festhalten " , in Komitees herumhocken und " zu denen von der SPD: besonders nett sein , sonst bekommen sie noch mehr Komplexe " . 002687 000210 ich konnte sie mir nur desperat vorstellen , etwas tun , das die Realisten fr snobistisch halten wrden , weil es ihnen an Phantasie fehlte . 002688 000210 irgendeinem der unz„hligen Tr„ger des Pr„sidententitels einen Cocktail in den Kragen schtten oder einen z„hnefletschenden Oberheuchler mit ihrem Auto in seinen Mercedes hineinfahren . 002689 000210 was h„tte sie schon tun k”nnen , wenn sie nicht malen oder auf der T”pferscheibe Butterf„áchen h„tte drehen k”nnen . 002690 000210 sie wrde es doch spren , wie ich es sprte , berall , wo sich Leben zeigte , diese unsichtbare Wand , wo das Geld aufh”rte , zum Ausgeben da zu sein , wo es unantastbar wurde und in Tabernakeln als Ziffer existierte . 002691 000210 ich gab meinem Vater den Weg frei . 002692 000210 er fing wieder an zu schwitzen und tat mir leid . 002693 000210 ich lief schnell ins Wohnzimmer zurck und holte das schmutzige Taschentuch vom Tisch und steckte es ihm in die Manteltasche . 002694 000210 meine Mutter konnte sehr unangenehm werden , wenn sie bei der monatlichen W„schekontrolle ein Stck vermiáte , sie wrde die M„dchen des Diebstahls oder der Schlamperei bezichtigen . 002695 000210 " soll ich dir ein Taxi bestellen ? " fragte ich . 002696 000211 " nein " , sagte er , " ich geh noch ein biáchen zu Fuá . 002697 000211 Fuhrmann wartet in der N„he des Bahnhofs " . 002698 000211 er ging an mir vorbei , ich ”ffnete die Tr , begleitete ihn bis zum Aufzug und drckte auf den Knopf . 002699 000211 ich nahm noch einmal meine Mark aus der Tasche , legte sie auf die ausgestrechte linke and und blickte sie an . 002700 000211 mein Vater blickte angeekelt weg und schttelte den Kopf . 002701 000211 ich dachte , er k”nnte wenigstens seine Brieftasche herausnehmen und mir fnfzig , hundert Mark geben , aber Schmerz , Edelmut und die Erkenntnis seiner tragischen Situation hatten ihn auf eine solche Ebene der Sublimierung geschoben , daá jeder Gedanke an Geld ihm widerw„rtig , meine Versuche , ihn daran zu erinnern , ihm wie ein Sakrileg erschienen . 002702 000211 ich hielt ihm die Aufzugstr auf , er umarmte mich , fing pl”tzlich an zu schnffeln , kicherte und sagte : " du riechst wirklich nach Kaffee - schade , ich h„tte dir so gern einen guten Kaffee gemacht - das kann ich n„mlich " . 002703 000211 er l”ste sich von mir , stieg in den Aufzug , und ich sah ihn drinnen auf den Knopf drcken und listig l„cheln , bevor der Aufzug sich in Bewegung setzte . 002704 000211 ich blieb noch stehen und beobachtete , wie die Ziffern aufleuchten : vier , drei , zwei , eins - dann ging das rote Licht aus . 002705 000212 16 . 002706 000212 ich kam mir dumm vor , als ich in die Wohnung zurckging , die Tr schloá . 002707 000212 ich h„tte sein Angebot , mir Kaffee zu kochen , annehmen und ihn noch etwas festhalten sollen . 002708 000212 im entscheidenden Augenblick , wenn er den Kaffee servierte , glcklich ber seine Leistung diesen eingoá , dann h„tte ich sagen mssen : " raus mit dem Geld " oder " her mit dem Geld " . 002709 000212 im entscheidenden Augenblick geht es immer primitiv zu , barbarisch . 002710 000212 dann sagt man : " ihr kriegt halb Polen , wir halb Rum„nien - und bitte , m”chten Sie von Schlesien zwei Drittel oder nur die H„lfte ? . 002711 000212 ihr kriegt vier Ministersessel , wir kriegen den Huckepackkonzern " . 002712 000212 ich war ein Dummkopf gewesen , auf meine und seine Stimmung hereinzufallen und nicht einfach nach seiner Brieftasche zu greifen . 002713 000212 ich h„tte einfach von Geld anfangen , mit ihm darber sprechen sollen , ber das tote , abstrakte , an die Kette gelegte Geld , das fr viele Menschen Leben oder Tod bedeutete . 002714 000212 " das ewige Geld " - diesen Schreckensausruf tat meine Mutter bei jeder Gelegenheit , schon , wenn wir sie um dreiáig Pfennig fr ein Schulheft baten . 002715 000212 das ewige Geld . 002716 000212 die ewige Liebe . 002717 000212 ich ging in die Kche , schnitt mir Brot ab , strich Butter drauf , ging ins Wohnzimmer und w„hlte Bela Brosens Nummer . 002718 000212 ich hoffte nur , mein Vater wrde in diesem Zustand - fr”stelnd vor Erschtterung - nicht nach Hause gehen , sondern zu seiner Geliebten . 002719 000212 sie sah so aus , als ob sie ihn ins Bett stecken , ihm einen W„rmebeutel machen , heiáe Milch mit Honig geben wrde . 002720 000213 Mutter hat eine verfluchte Art , wenn man sich elend fhlt , von Zusammenreiáen und Willen zu sprechen , und seit einiger Zeit h„lt sie kaltes Wasser fr das " einzige Heilmittel " . 002721 000213 " hier Brosen " , sagte sie , und es war mir angenehm , daá sie keinen Geruch ausstr”mte . 002722 000213 sie hat eine wunderbare Stimme , Alt , warm und lieb . 002723 000213 ich sagte : " Schnier - Hans - Sie erinnern sich ? " . 002724 000213 " mich erinnern " , sagte sie herzlich , " und wie - und wie ich mit Ihnen fhle " . 002725 000213 ich wuáte nicht , wovon sie sprach , es fiel mir erst ein , als sie weitersprach . 002726 000213 " bedenken Sie doch " , sagte sie , " alle Kritiker sind dumm , eitel , egoistisch " . 002727 000213 ich seufzte . 002728 000213 " wenn ich das glauben k”nnte " , sagte ich , " w„re mir besser " . 002729 000213 " glauben Sie's doch einfach " , sagte sie , " einfach glauben . 002730 000213 sie k”nnen sich nicht vorstellen , wie der eiserne Wille , einfach etwas zu glauben , hilft " . 002731 000213 " und wenn mich dann einer lobt , was mache ich dann ? " . 002732 000213 " oh " , sie lachte und drehte aus dem Oh eine hbsche Koloratur , " dann glauben Sie einfach , daá er zuf„llig einmal einen Anfall von Ehrlichkeit gehabt hat und seinen Egoismus vergessen hat " . 002733 000213 ich lachte . 002734 000213 ich wuáte nicht , ob ich sie Bela oder Frau Brosen anreden sollte . 002735 000213 wir kannten uns ja gar nicht , und es gibt noch kein Buch , in dem man nachschlagen kann , wie man die Geliebte seines Vaters anredet . 002736 000213 ich sagte schlieálich " Frau Bela " , obwohl mir dieser Knstlername auf eine besonders intensive Weise schwachsinnig vorkam . 002737 000213 " Frau Bela " , sagte ich , " ich bin in einer b”sen Klemme . 002738 000213 Vater war bei mir , wir sprachen ber alles M”gliche , und ich kam nicht mehr dazu , mit ihm ber Geld zu sprechen - dabei " , ich sprte , daá sie rot wurde , ich hielt sie fr sehr gewissenhaft , glaubte , ihr Verh„ltnis zu Vater habe bestimmt mit " wahrer Liebe " zu tun , und " Geldsachen " seien ihr peinlich . 002739 000214 " h”ren Sie bitte " , sagte ich , " vergessen Sie alles , was Ihnen jetzt durch den Kopf geht , sch„men Sie sich nicht , ich bitte Sie nur , wenn Vater mit Ihnen ber mich spricht , - ich meine , vielleicht k”nnten Sie ihn auf den Gedanken bringen , daá ich dringend Geld brauche . 002740 000214 bares Geld . 002741 000214 sofort , ich bin vollkommen pleite . 002742 000214 h”ren Sie ? " . 002743 000214 " ja " , sagte sie , so leise , daá ich Angst bekam . 002744 000214 dann h”rte ich , daá sie vor sich hinschnuffelte . 002745 000214 " Sie halten mich sicher fr eine schlechte Frau , Hans " , sagte sie , sie weinte jetzt offen , " fr ein k„ufliches Wesen , wie es so viele gibt . 002746 000214 sie mssen: mich ja dafr halten . 002747 000214 oh " . 002748 000214 " keine Spur " , sagte ich laut , " ich habe Sie noch nie dafr gehalten - wirklich nicht " . 002749 000214 ich hatte Angst , sie k”nne von ihrer Seele und der Seele meines Vaters anfangen , ihrem heftigen Schluchzen nach zu urteilen , war sie ziemlich sentimental , und es war nicht ausgeschlossen , daá sie sogar von Marie anfangen wrde . 002750 000214 " tats„chlich " , sagte ich , nicht ganz berzeugt , denn daá sie die k„uflichen Wesen so ver„chtlich zu machen versuchte , kam mir verd„chtig vor , " tats„chlich " , sagte ich , " bin ich immer von Ihrem Edelmut berzeugt gewesen und habe nie schlecht von Ihnen gedacht " . 002751 000214 das stimmte . 002752 000214 " und auáerdem " , ich h„tte sie gern noch einmal angeredet , brachte aber das scheuáliche Bela nicht ber die Lippen , " auáerdem bin ich fast dreiáig . 002753 000214 h”ren Sie noch ? " . 002754 000214 " ja " , seufzte sie und schluchzte da hinten in Godesberg herum , als ob sie im Beichtstuhl hockte . 002755 000214 " versuchen Sie nur , ihm beizubringen , daá ich Geld brauche " . 002756 000215 " ich glaube " , sagte sie matt , " es w„re falsch , mit ihm direkt darber zu sprechen . 002757 000215 alles , was seine Familie betrifft - Sie verstehen , ist fr uns tabu - aber es gibt einen anderen Weg " . 002758 000215 ich schwieg . 002759 000215 ihr Schluchzen hatte sich wieder zu schlichtem Schnuffeln gemildert . 002760 000215 " er gibt mir hin und wieder Geld fr notleidende Kollegen " , sagte sie , " er l„át mir da v”llig freie Hand , und - glauben Sie nicht , es w„re angebracht , wenn ich Sie als im Augenblick notleidenden Kollegen in den Nutzen dieser kleinen Summen bringe ? " . 002761 000215 " ich bin tats„chlich ein notleidender Kollege , nicht nur fr den Augenblick , sondern fr mindestens ein halbes Jahr . 002762 000215 aber bitte , sagen Sie mir , was Sie unter kleine Summe verstehen ? " . 002763 000215 sie hstelte , gab noch ein Oh von sich , das aber unkoloriert blieb und sagte : " es sind meistens Zuschsse in ganz konkreten Notsituationen , wenn jemand stirbt , krank wird , eine Frau ein Kind kriegt - ich meine , es handelt sich nicht um Daueruntersttzungen , sondern um sogenannte Beihilfen " . 002764 000215 " wie hoch ? " fragte ich . 002765 000215 sie antwortete nicht sofort , und ich versuchte , sie mir vorzustellen . 002766 000215 ich hatte sie vor fnf Jahren einmal gesehen , als es Marie gelang , mich in eine Oper zu schleppen . 002767 000215 Frau Brosen hatte die Partie eines von einem Grafen verfhrten Bauernm„dchens gesungen , und ich hatte mich ber Vaters Geschmack gewundert . 002768 000215 sie war eine mittelgroáe , recht kr„ftige Person , offenbar blond und mit dem obligatorisch wogenden Busen , die an einer Kate , an einem Bauernwagen angelehnt , zuletzt auf eine Heugabel gesttzt , mit einer sch”nen kr„ftigen Stimme einfache Gemtsbewegungen zum besten gab . 002769 000215 " hallo ? " rief ich , " hallo ? " . 002770 000216 " oh " , sagte sie , und es gelang ihr wieder eine , wenn auch schwache Koloratur . 002771 000216 " Ihre Frage ist so direkt " . 002772 000216 " es entspricht meiner Situation " , sagte ich . 002773 000216 mir wurde bange . 002774 000216 je l„nger sie schwieg , desto kleiner wrde die Summe werden , die sie nannte . 002775 000216 " na " , sagte sie schlieálich , " die Summen schwanken zwischen zehn und etwa dreiáig Mark " . 002776 000216 " und wenn Sie einen Kollegen erfinden wrden , der in eine ganz auáergew”hnlich schwierige Situation geraten ist : sagen wir , einen schweren Unfall erlitten hat und fr einige Monate etwa einhundert Mark Zuschuá vertragen kann ? " . 002777 000216 " mein Lieber " , sagte sie leise , " Sie erwarten doch von mir nicht , daá ich schwindele ? " . 002778 000216 " nein " , sagte ich , " ich habe wirklich einen Unfall erlitten - und sind wir nicht letztlich Kollegen ? . 002779 000216 Knstler ? " . 002780 000216 " ich will's versuchen " , sagte sie , " aber ich weiá nicht , ob er anbeiát " . 002781 000216 " was ? " rief ich . 002782 000216 " ich weiá nicht , ob es gelingen wird , die Sache so auszumalen , daá es ihn berzeugt . 002783 000216 ich habe nicht viel Phantasie " . 002784 000216 das h„tte sie gar nicht zu sagen brauchen , ich fing schon an , sie fr das dmmste Weibsstck zu halten , mit dem ich je zu tun gehabt hatte . 002785 000216 " wie w„rs denn " , sagte ich , " wenn Sie versuchen wrden , mir ein Engagement zu besorgen , am Theater hier - Nebenrollen natrlich , Chargen kann ich gut spielen " . 002786 000216 " nein , nein , mein lieber Hans " , sagte sie , " ich finde mich ohnehin in diesem Intrigenspiel nicht zurecht " . 002787 000216 " na gut " , sagte ich , " ich will Ihnen nur noch sagen , daá auch kleine Summen willkommen sind . 002788 000216 auf Wiedersehen und vielen Dank " . 002789 000216 ich legte auf , bevor sie noch etwas h„tte sagen k”nnen . 002790 000217 ich hatte das dunkle Gefhl , daá aus dieser Quelle nie etwas flieáen wrde . 002791 000217 sie war zu dumm . 002792 000217 der Tonfall , in dem sie anbeiáen sagte , hatte mich miátrauisch gemacht . 002793 000217 es war nicht unm”glich , daá sie diese " Untersttzungen fr hilfsbedrftige Kollegen " einfach in ihre Tasche steckte . 002794 000217 mein Vater tat mir leid , ich h„tte ihm eine hbsche und intelligente Geliebte gewnscht . 002795 000217 es tat mir noch immer leid , daá ich ihm nicht die Chance gegeben hatte , mir einen Kaffee zu kochen . 002796 000217 dieses dumme Luder wrde wahrscheinlich l„cheln , heimlich den Kopf schtteln wie eine verhinderte Lehrerin , wenn er in ihrer Wohnung in die Kche ging , um Kaffee zu kochen , und dann heuchlerisch strahlen , den Kaffee loben , wie bei einem Hund , der einen Stein apportiert . 002797 000217 ich war wtend , als ich vom Telefon weg ans Fenster ging , es ”ffnete und auf die Straáe blickte . 002798 000217 ich hatte Angst , eines Tages máte ich auf Sommerwilds Angebot zurckgreifen . 002799 000217 ich nahm pl”tzlich meine Mark aus der Tasche , warf sie auf die Straáe und bereute es im gleichen Augenblick , ich blickte ihr nach , sah sie nicht , glaubte aber zu h”ren , wie sie auf das Dach der vorberfahrenden Straáenbahn fiel . 002800 000217 ich nahm das Butterbrot vom Tisch , aá es , w„hrend ich auf die Straáe blickte . 002801 000217 es war fast acht , ich war schon fast zwei Stunden in Bonn , hatte schon mit sechs sogenannten Freunden telefoniert , mit meiner Mutter und meinem Vater gesprochen und besaá nicht eine Mark mehr , sondern eine weniger , als ich bei der Ankunft gehabt hatte . 002802 000217 ich w„re gern runtergegangen , um die Mark wieder von der Straáe aufzulesen , aber es ging schon auf halb neun , Leo konnte jeden Augenblick anrufen oder kommen . 002803 000218 Marie ging es gut , sie war jetzt in Rom , am Busen ihrer Kirche , und berlegte , was sie zur Audienz beim Papst wrde anziehen mssen . 002804 000218 Zpfner wrde ihr ein Bild von Jaqueline Kennedy besorgen , ihr eine spanische Mantilla und einen Schleier kaufen mssen , denn , genau besehen , war Marie jetzt fast so etwas wie eine f+ " first lady " +f des deutschen Katholizismus . 002805 000218 ich nahm mir vor , nach Rom zu fahren und auch den Papst um eine Audienz zu bitten . 002806 000218 ein wenig von einem weisen , alten Clown hatte auch er , und schlieálich war die Figur des Harlekin in Bergamo entstanden ; ich wrde mir das von Genneholm , der alles wuáte , best„tigen lassen . 002807 000218 ich wrde dem Papst erkl„ren , daá meine Ehe mit Marie eigentlich an der standesamtlichen Trauung gescheitert war , und ihn bitten , in mir eine Art Gegentyp zu Heinrich dem Achten zu sehen : der war polygam und gl„ubig gewesen , ich war monogam und ungl„ubig . 002808 000218 ich wrde ihm erz„hlen , wie eingebildet und gemein " fhrende " deutsche Katholiken seien , und er solle sich nicht t„uschen lassen . 002809 000218 ein paar Nummern wrde ich vorfhren , hbsche leichte Sachen wie Schulgang und Heimkehr von der Schule , nicht aber meine Nummer Kardinal ; das wrde ihn kr„nken , weil er ja selbst einmal Kardinal gewesen war - und er war der letzte , dem ich weh tun wollte . 002810 000218 immer wieder erliege ich meiner Phantasie : ich stellte mir meine Audienz beim Papst so genau vor , sah mich da knien und als Ungl„ubiger um seinen Segen bitten , die Schweizer Gardisten an der Tr und irgendeinen wohlwollend , nur leicht angeekelt l„chelnden Monsignore dabei - daá ich fast glaubte , ich w„re schon beim Papst gewesen . 002811 000218 ich wrde versucht sein , Leo zu erz„hlen , ich w„re beim Papst gewesen und h„tte eine Audienz gehabt . 002812 000219 ich war: in diesen Minuten beim Papst , sah sein L„cheln und h”rte seine sch”ne Bauernstimme , erz„hlte ihm , wie der Lokalnarr von Bergamo zum Harlekin geworden war . 002813 000219 Leo ist in diesem Punkt sehr streng , er nennt mich immer Lgner . 002814 000219 Leo wurde immer wtend , wenn ich ihn traf und ihn fragte : " weiát du noch , wie wir das Holz miteinander durchges„gt haben ? " . 002815 000219 er schreit dann : " aber wir haben: das Holz nicht miteinander durchges„gt " . 002816 000219 er hat auf eine sehr unwichtige , dumme Weise recht . 002817 000219 Leo war sechs oder sieben , ich acht oder neun , als er im Pferdeschuppen ein Stck Holz fand , den Rest eines Zaunpfahles , er hatte auch eine verrostete S„ge im Schuppen gefunden und bat mich , mit ihm gemeinsam den Pfahlrest durchzus„gen . 002818 000219 ich fragte ihn , warum wir denn ein so dummes Stck Holz durchs„gen sollten ; er konnte keine Grnde angeben , er wollte einfach nur s„gen ; ich fand es vollkommen sinnlos , und Leo weinte eine halbe Stunde lang - und viel sp„ter , zehn Jahre sp„ter erst , als wir im Deutschunterricht bei Pater Wunibald ber Lessing sprachen , pl”tzlich mitten im Unterricht und ohne jeden Zusammenhang fiel mir ein , was Leo gewollt hatte : er wollte eben nur s„gen , in diesem Augenblick , wo er Lust darauf hatte , mit mir s„gen . 002819 000219 ich verstand ihn pl”tzlich , nach zehn Jahren , und erlebte seine Freude , seine Spannung , seine Erregung , alles , was ihn bewegt hatte , so intensiv , daá ich mitten im Unterricht anfing , S„gebewegungen zu machen . 002820 000219 ich sah Leos freudig erhitztes Jungengesicht mir gegenber , schob die verrostete S„ge hin , er schob sie her - bis Pater Wunibald mich pl”tzlich an den Haaren zupfte und " zur Besinnung brachte " . 002821 000219 seitdem habe ich wirklich mit Leo das Holz durchges„gt - er kann das nicht begreifen . 002822 000220 er ist ein Realist . 002823 000220 er versteht heute nicht mehr , daá man etwas scheinbar Dummes sofort tun muá . 002824 000220 sogar Mutter hat manchmal Augenblickssehnschte : am Kaminfeuer Karten zu spielen , in der Kche eigenh„ndig Apfelbltentee aufzugieáen . 002825 000220 sicher hat sie pl”tzlich Sehnsucht , an dem sch”nen blankpolierten Mahagonitisch zu sitzen , Karten zu spielen , glckliche Familie zu sein . 002826 000220 aber immer , wenn sie Lust dazu hatte , hatte von uns keiner Lust dazu ; es gab Szenen , Unverstandene-Mutter-Getue , dann bestand sie auf unserer Gehorsamspflicht , Viertes Gebot , merkte dann aber , daá es ein merkwrdiges Vergngen sein wrde , mit Kindern , die nur: aus Gehorsamspflicht mitmachen , Karten zu spielen - und ging weinend auf ihr Zimmer . 002827 000220 manchmal versuchte sie es auch mit Bestechung , erbot sich , etwas " besonders Gutes " zu trinken oder zu essen herauszurcken - und es wurde wieder einer von den tr„nenreichen Abenden , von denen Mutter uns so viele beschert hat . 002828 000220 sie wuáte nicht , daá wir uns alle deshalb so strikte weigerten , weil immer noch die Herzsieben im Spiel war und uns jedes Kartenspiel an Henriette erinnerte , aber keiner sagte es ihr , und sp„ter , wenn ich an ihre vergeblichen Versuche dachte , am Kaminfeuer glckliche Familie zu spielen , spielte ich in Gedanken allein mit ihr Karten , obwohl Kartenspiele , die man zu zweien spielen kann , langweilig sind . 002829 000220 ich spielte tats„chlich: mit ihr , " Sechsundsechzig " und " Krieg " , ich trank Apfelbltentee , sogar mit Honig drin , Mutter - mit neckisch erhobenem Zeigefinger drohend - gab mir sogar eine Zigarette , und irgendwo im Hintergrund spielte Leo seine Etden , w„hrend wir alle , auch die M„dchen , wuáten , daá Vater bei " diesem Weib " war . 002830 000220 irgendwie muá Marie von diesen " Lgen " erfahren haben , denn sie sah mich immer zweifelnd an , wenn ich ihr etwas erz„hlte , und diesen Jungen in Osnabrck habe ich sogar wirklich: gesehen . 002831 000221 manchmal ergeht es mir auch umgekehrt : daá mir das , was ich wirklich: erlebt habe , als unwahr und nicht real erscheint . 002832 000221 wie die Tatsache , daá ich damals von K”ln aus nach Bonn zu Maries Jugendgruppe fuhr , um mit den M„dchen ber die Jungfrau Maria zu sprechen . 002833 000221 das , was andere f+ nonfiction +f nennen , kommt mir sehr fiktiv vor . 002834 000222 17 . 002835 000222 ich trat vom Fenster zurck , gab die Hoffnung auf meine Mark da unten im Dreck auf , ging in die Kche , mir noch ein Butterbrot zu machen . 002836 000222 sehr viel Eábares war nicht mehr da : noch eine Bchse Bohnen , eine Bchse Pflaumen ( ich mag Pflaumen nicht , aber das konnte Monika nicht wissen ) , ein halbes Brot , eine halbe Flasche Milch , etwa ein Viertel Kaffee , fnf Eier , drei Scheiben Speck und eine Tube Senf . 002837 000222 in der Dose auf dem Tisch im Wohnzimmer waren noch vier Zigaretten . 002838 000222 ich fhlte mich so elend , daá ich die Hoffnung aufgab , je wieder trainieren zu k”nnen . 002839 000222 mein Knie war so dick geschwollen , daá die Hose schon knapp zu werden begann , die Kopfschmerzen so heftig , daá sie fast schon berirdisch wurden : ein dauernder bohrender Schmerz , in meiner Seele war's schw„rzer denn je , dann das " fleischliche Verlangen " - und Marie in Rom . 002840 000222 ich brauchte sie , ihre Haut , ihre H„nde auf meiner Brust . 002841 000222 ich habe , wie Sommerwild es einmal ausdrckte , " ein waches und wahres Verh„ltnis zur k”rperlichen Sch”nheit " , und habe gern hbsche Frauen um mich , wie meine Nachbarin , Frau Grebsel , aber ich spre kein " fleischliches Verlangen " nach diesen Frauen , und die meisten Frauen sind darber gekr„nkt , obwohl sie , wenn ich es sprte und zu stillen verlangte , sicher nach der Polizei rufen wrden . 002842 000222 es ist eine komplizierte und grausame Geschichte , dieses fleischliche Verlangen , fr nicht monogame M„nner wahrscheinlich eine st„ndige Tortur , fr monogame wie mich ein st„ndiger Zwang zur latenten Unh”flichkeit , die meisten Frauen sind irgendwie gekr„nkt , wenn sie das , was ihnen als Eros bekannt ist , nicht spren . 002843 000223 auch Frau Blothert , bieder , fromm , war immer ein biáchen beleidigt . 002844 000223 manchmal verstehe ich sogar die Unholde , ber die soviel in den Zeitungen steht , und wenn ich mir vorstelle , daá es so etwas wie " eheliche Pflicht " gibt , wird mir bange . 002845 000223 es muá ja in diesen Ehen unhold zugehen , wenn eine Frau von Staat und Kirche zu dieser Sache vertraglich verpflichtet ist . 002846 000223 man kann ja Barmherzigkeit nicht vorschreiben . 002847 000223 ich wollte versuchen , mit dem Papst auch darber zu sprechen . 002848 000223 er wird bestimmt falsch informiert . 002849 000223 ich machte mir noch ein Butterbrot , ging in die Diele und nahm aus meiner Manteltasche die Abendzeitung heraus , die ich in K”ln vom Zug aus gekauft hatte . 002850 000223 manchmal hilft die Abendzeitung : sie macht mich so leer wie das Fernsehen . 002851 000223 ich bl„tterte sie durch , berflog die Schlagzeilen , bis ich eine Notiz entdeckte , ber die ich lachen muáte . 002852 000223 Bundesverdienstkreuz fr Dr. Herbert Kalick . 002853 000223 Kalick war der Junge gewesen , der mich angezeigt hatte wegen Def„tismus und w„hrend der Gerichtsverhandlung auf H„rte , unerbittliche H„rte bestanden hatte . 002854 000223 er hatte damals den genialen Einfall gehabt , das Waisenhaus fr den Endkampf zu mobilisieren . 002855 000223 ich wuáte , daá er ein hohes Tier geworden war . 002856 000223 in der Abendzeitung stand , er habe das Bundesverdienstkreuz bekommen wegen " seiner Verdienste um die Verbreitung des demokratischen Gedankens in der Jugend " . 002857 000223 er hatte mich vor zwei Jahren einmal eingeladen , um sich mit mir zu vers”hnen . 002858 000223 sollte ich ihm etwa verzeihen , daá Georg , der Waisenjunge , beim šben mit einer Panzerfaust t”dlich verunglckt war - oder daá er mich , einen Zehnj„hrigen , wegen Def„tismus angezeigt und auf H„rte , unnachgiebiger H„rte bestanden hatte ? . 002859 000224 Marie meinte , eine Einladung zur Vers”hnung k”nne man nicht ablehnen , und wir hatten Blumen gekauft und waren hingefahren . 002860 000224 er hatte eine hbsche Villa , fast schon in der Eifel , eine hbsche Frau und das , was die beiden stolz " ein Kinder " nennen . 002861 000224 seine Frau ist auf jene Art hbsch , daá man nicht weiá , ob sie lebendig ist oder nur aufgezogen . 002862 000224 ich war die ganze Zeit ber , w„hrend ich neben ihr saá , versucht , sie bei den Armen oder bei den Schultern zu packen , oder an den Beinen , um festzustellen , ob sie nicht doch eine Puppe war . 002863 000224 alles , was sie zur Konversation beitrug , bestand aus zwei Ausdrcken " ach , wie hbsch " und " ach , wie scheuálich " . 002864 000224 ich fand sie erst langweilig , war aber dann fasziniert und erz„hlte ihr allerlei , so wie man Groschen in einen Automaten wirft - nur um herauszubekommen , wie sie reagieren wrde . 002865 000224 als ich ihr erz„hlte , meine Groámutter sei gestorben - was gar nicht stimmte , denn meine Groámutter war schon vor zw”lf Jahren gestorben - sagte sie : " oh , wie scheuálich " , und ich finde , man kann , wenn jemand stirbt , viel Dummes sagen , aber " oh , wie scheuálich " nicht . 002866 000224 dann erz„hlte ich ihr , daá ein gewisser Humeloh ( den es gar nicht gab , den ich rasch erfand , um etwas Positives in den Automaten zu schmeiáen ) , den Ehrendoktor bekommen habe , sie sagte : " oh , wie hbsch " . 002867 000224 als ich ihr dann erz„hlte , daá mein Bruder Leo konvertiert sei , z”gerte sie einen Augenblick - und dieses Z”gern erschien mir fast wie ein Lebenszeichen ; sie sah mich mit ihren sehr groáen , leeren Puppenaugen an , um herauszufinden , in welche Kategorie fr mich dieses Ereignis geh”re , sagte dann : " scheuálich , was ? " ; es war mir immerhin gelungen , ihr eine Ausdrucks-Variation abzuringen . 002868 000225 ich schlug ihr vor , doch die beiden Ohs einfach wegzulassen , nur noch hbsch und scheuálich zu sagen ; sie kicherte , legte mir noch Spargel nach und sagte dann ernst : " oh , wie hbsch " . 002869 000225 schlieálich lernten wie an diesem Abend auch noch das " ein Kinder " kennen , einen fnfj„hrigen Bengel , der so , wie er war , im Werbefernsehen als Kind h„tte auftreten k”nnen . 002870 000225 dieses Zahnpastagetue , gute Nacht , Pappi , gute Nacht , Mammi , ein Diener vor Marie , einer vor mir . 002871 000225 ich wunderte mich , daá das Werbefernsehen ihn noch nicht entdeckt hat . 002872 000225 sp„ter , als wir Kaffee und Kognak am Kamin tranken , sprach Herbert von der groáen Zeit , in der wir leben . 002873 000225 er holte dann noch Sekt und wurde pathetisch . 002874 000225 er bat mich um Verzeihung , kniete sogar nieder , um mich um eine , wie er es nannte , " s„kularisierte Absolution " zu bitten - und ich war drauf und dran , ihn einfach in den Hintern zu treten , nahm aber dann ein K„semesser vom Tisch und schlug ihn feierlich zum Demokraten . 002875 000225 seine Frau rief : " ach , wie hbsch " , und ich hielt , als Herbert sich gerhrt wieder hinsetzte , einen Vortag ber die jdischen f+ Yankees +f . 002876 000225 ich sagte , man habe eine Zeitlang geglaubt , der Name Schnier , mein Name , habe mit schnorren zu tun , aber es sei nachgewiesen , daá er von Schneider , Schnieder abzuleiten sei , nicht von Schnorren , und ich sei weder Jude noch f+ Yankee +f , und doch - und dann ohrfeigte ich Herbert ganz pl”tzlich , weil mir einfiel , daá er einen unserer Schulkameraden , G”tz Buchel , gezwungen hatte , den Nachweis seiner arischen Abstammung zu erbringen , und G”tz war in Schwierigkeiten geraten , weil seine Mutter eine Italienerin war , aus einem Dorf in Sditalien - und ber deren Mutter dort etwas herauszukriegen , was auch nur ann„hernd einem arischen Nachweis „hnlich war , erwies sich als unm”glich , zumal das Dorf , in dem G”tz' Mutter geboren war , um diese Zeit schon von den jdischen f+ Yankees +f besetzt war . 002877 000226 es waren peinliche , lebensgef„hrliche Wochen fr Frau Buchel und G”tz , bis G”tz' Lehrer auf die Idee kam , einen von den Rassespezialisten der Bonner Universit„t zu einem Gutachten zu bewegen . 002878 000226 der stellte fest , daá G”tz " rein , aber auch vollkommen rein westisch " sei , aber Herbert Kalick brachte dann den Unsinn auf , alle Italiener w„ren Verr„ter , und G”tz hatte bis Kriegsende keine ruhige Minute mehr . 002879 000226 das fiel mir ein , w„hrend ich den Vortrag ber die jdischen f+ Yankees +f zu halten versuchte - und ich knallte Herbert Kalick einfach eine ins Gesicht , schmiá mein Sektglas ins Kaminfeuer , das K„semesser hinterdrein und zog Marie am Arm hinter mir her , hinaus . 002880 000226 wir konnten da oben kein Taxi bekommen und muáten zu Fuá gehen , eine ganze Weile , bis wir zur Busstation kamen . 002881 000226 Marie weinte und sagte die ganze Zeit ber , es sei unchristlich und unmenschlich von mir gewesen , aber ich sagte , ich sei kein Christ und mein Beichtstuhl sei noch nicht ge”ffnet . 002882 000226 sie fragte mich auch , ob ich denn an seiner , Herberts , Wandlung zum Demokraten zweifle , und ich sagte : " nein , nein , ich zweifle ja gar nicht dran - im Gegenteil - aber ich mag ihn einfach nicht und werde ihn nie m”gen " . 002883 000226 ich schlug das Telefonbuch auf und suchte Kalicks Nummer . 002884 000226 ich war in der rechten Laune , mich mit ihm am Telefon zu unterhalten . 002885 000226 mir fiel ein , daá ich ihn sp„ter noch einmal bei einem f+ jour: fixe: +f zu Hause getroffen , er mich flehend und kopfschttelnd angesehen hatte , w„hrend er sich mit einem Rabbiner ber " jdische Geistigkeit " unterhielt . 002886 000227 mir tat der Rabbiner leid . 002887 000227 er war ein sehr alter Mann , mit weiáem Bart und sehr gtig und auf eine Weise harmlos , die mich beunruhigte . 002888 000227 natrlich erz„hlte Herbert jedem , den er kennenlernte , daá er Nazi und Antisemit gewesen sei , daá die " Geschichte ihm aber die Augen ge”ffnet " habe . 002889 000227 dabei hatte er noch am Tag , bevor die Amerikaner in Bonn einmarschierten , mit den Jungen in unserem Park gebt und ihnen gesagt : " wenn ihr das erste Judenschwein seht , dann drauf mit dem Ding " . 002890 000227 was mich an diesen f+ jours: fixes: +f bei meiner Mutter aufregte , war die Harmlosigkeit der zurckgekehrten Emigranten . 002891 000227 sie waren so gerhrt von all der Reue und den laut hinausposaunten Bekenntnissen zur Demokratie , daá es dauernd zu Verbrderungen und Umarmungen kam . 002892 000227 sie begriffen nicht , daá das Geheimnis des Schreckens im Detail liegt . 002893 000227 groáe Sachen zu bereuen ist ja kinderleicht : politische Irrtmer , Ehebruch , Mord , Antisemitismus - aber wer verzeiht einem , wer versteht die Details ? . 002894 000227 wie Brhl und Herbert Kalick meinen Vater angesehen hatten , als er mir die Hand auf die Schulter legte , und wie Herbert Kalick , auáer sich vor Wut , mit den Kn”cheln auf unseren Tisch schlug , mit seinen toten Augen mich ansah und sagte : " H„rte , unerbittliche H„rte " , oder wie er G”tz Buchel am Kragen packte , ihn vor die Oberklasse stellte , obwohl der Lehrer leise protestierte , und sagte : " seht Euch den an - wenn das kein Jude ist ! " . 002895 000227 ich habe zuviel Augenblicke im Kopf , zuviel Details , Winzigkeiten - und Herberts Augen haben sich nicht ge„ndert . 002896 000227 mir wurde bange , als ich ihn da bei dem alten , etwas dummen Rabbiner stehen sah , der so vers”hnlich gestimmt war , sich von Herbert einen Cocktail holen und etwas ber jdische Geistigkeit vorschw„tzen lieá . 002897 000228 die Emigranten wissen auch nicht , daá nur wenige Nazis an die Front geschickt wurden , gefallen sind fast nur die anderen , Hubert Knieps , der im Haus neben Wienekens wohnte , und Gnther Cremer , der Sohn des B„ckers , sie wurden , obwohl sie Hitlerjugendfhrer waren , an die Front geschickt , weil sie " politisch nicht spurten " , die ganze ekelhafte Schnffelei nicht mitmachten . 002898 000228 Kalick w„re nie an die Front geschickt worden , der spurte , so wie er heute spurt . 002899 000228 er ist der geborene Spurer . 002900 000228 die Sache war ja ganz anders , als die Emigranten glauben . 002901 000228 sie k”nnen natrlich nur in Kategorien wie schuldig , nicht schuldig - Nazis , Nichtnazis denken . 002902 000228 der Kreisleiter Kierenhahn kam manchmal zu Maries Vater in den Laden , nahm sich einfach ein Paket Zigaretten aus der Schublade , ohne Marken oder Geld hinzulegen , steckte sich eine Zigarette an , setzte sich vor Maries Vater auf die Theke und sagte : " na , Martin , wie w„r's , wenn wir dich in ein nettes , kleines , nicht ganz so grausames KZ:-chen steckten ? " . 002903 000228 dann sagte Maries Vater : " Schwein bleibt Schwein , und du bist immer eins gewesen " . 002904 000228 die beiden kannten sich schon seit ihrem sechsten Lebensjahr . 002905 000228 Kierenhahn wurde wtend und sagte : " Martin , treib's nicht zu weit , bertreib's nicht " . 002906 000228 Maries Vater sagte : " ich treib's noch weiter : mach , daá du wegkommst " . 002907 000228 Kierenhahn sagte : " ich werde dafr sorgen , daá du nicht in ein nettes , sondern in ein bles KZ: kommst " . 002908 000228 so ging das hin und her , und Maries Vater w„re abgeholt worden , wenn nicht der Gauleiter seine " schtzende Hand " ber ihn gehalten h„tte , aus einem Grund , den wir nie herausbekamen . 002909 000228 er hielt natrlich nicht seine schtzende Hand ber alle , nicht ber den Lederh„ndler Marx und den Kommunisten Krupe . 002910 000229 sie wurden ermordet . 002911 000229 und dem Gauleiter geht es ganz gut heute , er hat sein Baugesch„ft . 002912 000229 als Marie ihn eines Tages traf , sagte er , er " k”nne nicht klagen " . 002913 000229 Maries Vater sagte mir immer : " wie schrecklich diese Nazigeschichte war , kannst du nur ermessen , wenn du dir vorstellst , daá ich so einem Schwein wie dem Gauleiter tats„chlich mein Leben verdanke , und daá ich auch noch schriftlich bescheinigen muá , daá ich es ihm verdanke " . 002914 000229 ich hatte Kalicks Nummer inzwischen gefunden , z”gerte noch , sie zu w„hlen . 002915 000229 es fiel mir ein , daá morgen Mutters f+ jour: fixe: +f war . 002916 000229 ich k”nnte hingehen , mir wenigstens vom Geld meiner Eltern die Taschen voll Zigaretten und Salzmandeln stecken , eine Tte fr Oliven mitnehmen , eine zweite fr K„segeb„ck , dann mit dem Hut rundgehen und fr " ein notleidendes Mitglied der Familie " sammeln . 002917 000229 ich hatte das als Fnfzehnj„hriger einmal gemacht , " fr einen besonderen Zweck " gesammelt und fast hundert Mark zusammenbekommen . 002918 000229 ich hatte nicht einmal Gewissensbisse , als ich das Geld fr mich verwendete , und wenn ich morgen " fr ein notleidendes Mitglied der Familie " sammelte , wrde ich nicht einmal lgen : ich war ein notleidendes Mitglied der Familie - und sp„ter k”nnte ich noch in die Kche gehen , an Annas Busen weinen und mir ein paar Wurstreste einstecken . 002919 000229 alle bei meiner Mutter versammelten Idioten wrden mein Auftreten fr einen herrlichen Witz erkl„ren , meine Mutter selbst wrde es mit saurem L„cheln als Witz durchgehen lassen mssen - und keiner wrde wissen , daá es todernst war . 002920 000229 diese Leute verstehen nichts . 002921 000229 sie wissen zwar alle , daá ein Clown melancholisch sein muá , um ein guter Clown zu sein , aber daá fr ihn die Melancholie eine todernste Sache ist , darauf kommen sie nicht . 002922 000230 bei Mutters f+ jour: fixe: +f wrde ich sie alle treffen : Sommerwild und Kalick , Liberale und Sozialdemokraten , sechs verschiedene Sorten von Pr„sidenten , sogar Anti-Atom-Leute ( meine Mutter war sogar einmal drei Tage Anti-Atomk„mpferin gewesen , war aber dann , als ihr ein Pr„sident von irgendwas klar machte , daá eine konsequente Anti-Atom-Politik einen radikalen Aktiensturz herbeifhren wrde , sofort - buchst„blich sofort , zum Telefon gelaufen , hatte das Komitee angerufen und sich " distanziert " ) . 002923 000230 ich wrde - zum Schluá erst , wenn ich mit meinem Hut schon rundgegangen war , Kalick ”ffentlich ohrfeigen , Sommerwild als pf„ffischen Heuchler beschimpfen und den anwesenden Vertreter des Dachverbandes katholischer Laien der Verleitung zu Unzucht und Ehebruch anklagen . 002924 000230 ich nahm den Finger von der W„hlscheibe und rief Kalick nicht an . 002925 000230 ich hatte ihn nur fragen wollen , ob er seine Vergangenheit inzwischen bew„ltigt habe , ob sein Verh„ltnis zur Macht noch in Ordnung sei und ob er mich ber die jdische Geistigkeit aufkl„ren k”nne . 002926 000230 Kalick hatte einmal w„hrend einer Hitlerjugendveranstaltung einen Vortrag gehalten mit dem Titel " Machiavelli oder der Versuch , ein Verh„ltnis zur Macht zu gewinnen " . 002927 000230 ich verstand nicht viel davon , nur Kalicks " offenes , hier deutlich ausgesprochenes Bekenntnis zur Macht " , aber an den Mienen der anderen anwesenden Hitlerjugendfhrer konnte ich ablesen , daá sogar ihnen diese Rede zu weit ging . 002928 000230 Kalick sprach ohnehin kaum von Machiavelli , nur von Kalick , und die Mienen der anderen Fhrer zeigten , daá sie diese Rede fr eine ”ffentliche Schamlosigkeit hielten . 002929 000230 es gibt ja diese Burschen , von denen man soviel in den Zeitungen liest : Schamverletzer . 002930 000231 Kalick war nichts weiter als ein politischer Schamverletzer , und wo er auftrat , lieá er Schamverletzte hinter sich . 002931 000231 ich freute mich auf den f+ jour: fixe: +f . 002932 000231 ich wrde endlich etwas vom Geld meiner Eltern haben : Oliven und Salzmandeln , Zigaretten - ich wrde auch bndelweise Zigarren einstecken und sie unter Preis verkaufen . 002933 000231 ich wrde Kalick den Orden von der Brust reiáen und ihn ohrfeigen . 002934 000231 verglichen mit ihm , kam mir sogar meine Mutter menschlich vor . 002935 000231 als ich ihn zum letztenmal traf , bei meinen Eltern in der Garderobe , hatte er mich traurig angesehen und gesagt : " es gibt fr jeden Menschen eine Chance , die Christen nennen es Gnade " . 002936 000231 ich hatte ihm keine Antwort gegeben . 002937 000231 ich war schlieálich kein Christ . 002938 000231 es war mir eingefallen , daá er bei seinem Vortrag damals auch vom " Eros der Grausamkeit " gesprochen hatte und vom Machiavellismus des Sexuellen . 002939 000231 wenn ich an seinen Sexualmachiavellismus dachte , hatte ich Mitleid mit den Huren , zu denen er ging , wie ich Mitleid mit den Ehefrauen hatte , die irgendeinem Unhold vertraglich verpflichtet waren . 002940 000231 ich dachte an die unz„hligen hbschen jungen M„dchen , deren Schicksal es war , entweder gegen Geld mit Typen wie Kalick oder ohne Bezahlung mit einem Ehemann die Sache zu tun , ohne daá sie Lust dazu hatten . 002941 000232 18 . 002942 000232 ich w„hlte statt Kalicks Nummer die des Dings , in dem Leo wohnt . 002943 000232 irgendwann muáten sie doch mit dem Essen fertig werden und ihre sinnlichkeitsd„mpfenden Salate verschlungen haben . 002944 000232 ich war froh , als sich dieselbe Stimme wie vorhin wieder meldete . 002945 000232 er rauchte jetzt eine Zigarre , und der Kohlgeruch war weniger deutlich . 002946 000232 " Schnier " , sagte ich , " Sie erinnern sich ? " . 002947 000232 er lachte . 002948 000232 " natrlich " , sagte er , " ich hoffe , Sie haben mich nicht w”rtlich genommen und Ihren Augustinus tats„chlich verbrannt " . 002949 000232 " doch " , sagte ich , " ich hab's getan . 002950 000232 das Ding auseinandergerissen und bogenweise in den Ofen gesteckt " . 002951 000232 er schwieg einen Augenblick . 002952 000232 " Sie scherzen " , sagte er heiser . 002953 000232 " nein " , sagte ich , " in solchen Dingen bin ich konsequent " . 002954 000232 " um Gottes Willen " , sagte er , " ist Ihnen denn das Dialektische an meiner Žuáerung nicht klar geworden ? " . 002955 000232 " nein " , sagte ich , " ich bin nun mal eine gerade , ehrliche , unkomplizierte Haut . 002956 000232 was ist nun mit meinem Bruder " , sagte ich , " wann werden die Herren die Gte haben , mit dem Essen fertig zu sein ? " . 002957 000232 " der Nachtisch ist eben reingebracht worden " , sagte er , " es kann nicht mehr lange dauern " . 002958 000232 " was gibt's denn ? " fragte ich . 002959 000232 " zum Nachtisch ? " . 002960 000232 " ja " . 002961 000232 " eigentlich darf ich's nicht sagen , aber Ihnen sag ich's . 002962 000232 Pflaumenkompott mit einem Schlag Sahne drauf . 002963 000233 sieht ganz hbsch aus . 002964 000233 m”gen Sie Pflaumen ? " . 002965 000233 " nein " , sagte ich , " ich habe eine ebenso unerkl„rliche wie unberwindliche Abneigung gegen Pflaumen " . 002966 000233 " Sie sollten Hoberers Versuch ber die Idiosynkrasie lesen . 002967 000233 h„ngt alles mit sehr , sehr frhen Erlebnissen - meistens vor der Geburt - zusammen . 002968 000233 interessant . 002969 000233 Hoberer hat achthundert F„lle genau untersucht . 002970 000233 Sie sind Melancholiker ? " . 002971 000233 " woher wissen Sie das ? " . 002972 000233 " ich h”rs an der Stimme . 002973 000233 Sie sollten beten und ein Bad nehmen " . 002974 000233 " gebadet habe ich schon , und beten kann ich nicht " , sagte ich . 002975 000233 " es tut mir leid " , sagte er , " ich werde Ihnen einen neuen Augustinus stiften . 002976 000233 oder Kierkegaard " . 002977 000233 " den hab ich noch " , sagte ich , " sagen Sie , k”nnten Sie meinem Bruder noch etwas ausrichten ? " . 002978 000233 " gern " , sagte er . 002979 000233 " sagen Sie ihm , er soll mir Geld mitbringen , soviel er auftreiben kann " . 002980 000233 er murmelte vor sich hin , sagte dann laut : " ich notiers nur . 002981 000233 soviel Geld wie m”glich mitbringen . 002982 000233 brigens sollten Sie Bonaventura wirklich lesen . 002983 000233 groáartig - und verachten Sie mir das neunzehnte Jahrhundert nicht so sehr . 002984 000233 Ihre Stimme klingt , als wenn Sie das neunzehnte Jahrhundert verachten " . 002985 000233 " stimmt " , sagte ich , " ich hasse es " . 002986 000233 " Irrtum " , sagte er , " Unsinn . 002987 000233 nicht einmal die Architektur war so schlecht , wie sie gemacht wird " . 002988 000233 er lachte . 002989 000233 " warten Sie bis zum Ende des zwanzigsten , bevor Sie das neunzehnte Jahrhundert hassen . 002990 000233 macht es Ihnen was aus , wenn ich zwischendurch meinen Nachtisch esse " . 002991 000234 " Pflaumen ? " fragte ich . 002992 000234 " nein " , sagte er , er lachte dnn : " ich bin in Ungnade gefallen und bekomme keine Herrenkost , nur noch Dienerkost ; heute als Nachtisch Karamelpudding . 002993 000234 brigens " , er hatte offenbar schon einen L”ffel Pudding im Mund , schluckte , sprach kichernd weiter , " brigens r„che ich mich . 002994 000234 ich telefoniere stundenlang mit einem frheren Konfrater in Mnchen , der auch ein Schler Schelers war . 002995 000234 manchmal rufe ich in Hamburg an , die Kinoauskunft , oder in Berlin den Wetterdienst , aus Rache . 002996 000234 das f„llt ja bei diesem Selbstw„hlsystem gar nicht auf " . 002997 000234 er aá wieder , kicherte , flsterte dann : " die Kirche ist ja reich , stinkreich . 002998 000234 sie stinkt wirklich vor Geld - wie der Leichnam eines reichen Mannes . 002999 000234 arme Leichen riechen gut - wuáten Sie das ? " . 003000 000234 " nein " , sagte ich . 003001 000234 ich sprte , wie meine Kopfschmerzen nachlieáen , und malte um die Nummer des Dings einen roten Kreis . 003002 000234 " Sie sind ungl„ubig , nicht wahr ? . 003003 000234 sagen Sie nicht nein : ich h”re an Ihrer Stimme , daá Sie ungl„ubig sind . 003004 000234 stimmts ? " . 003005 000234 " ja " , sagte ich . 003006 000234 " das macht nichts , gar nichts " , sagte er , " es gibt da eine Stelle bei Isaias , die von Paulus im R”merbrief sogar zitiert wird . 003007 000234 h”ren Sie gut zu : z+ die werden es sehen , denen von ihm noch nichts verkndet ward , und die verstehen , die noch nichts vernommen haben +z " . 003008 000234 er kicherte b”sartig . 003009 000234 " haben Sie verstanden ? " . 003010 000234 " ja " , sagte ich matt . 003011 000234 er sagte laut : " guten Abend , Herr Direktor , guten Abend " , und legte auf . 003012 000234 seine Stimme hatte zuletzt auf eine b”sartige Weise unterwrfig geklungen . 003013 000234 ich ging zum Fenster und blickte auf die Uhr drauáen an der Ecke . 003014 000235 es war schon fast halb neun . 003015 000235 ich fand , sie aáen ziemlich ausgiebig . 003016 000235 ich h„tte Leo gern gesprochen , aber es ging mir jetzt fast nur noch um das Geld , das er mir leihen wrde . 003017 000235 ich wurde mir allm„hlich ber den Ernst meiner Situation klar . 003018 000235 manchmal weiá ich nicht , ob das , was ich handgreiflich realistisch erlebt habe , wahr ist , oder das , was ich wirklich erlebe . 003019 000235 ich werfe die Dinge durcheinander . 003020 000235 ich h„tte nicht schw”ren k”nnen , ob ich den Jungen in Osnabrck gesehen hatte , aber ich h„tte geschworen , daá ich mit Leo Holz ges„gt hatte . 003021 000235 ich h„tte auch nicht beschw”ren k”nnen , ob ich zu Edgar Wieneken nach Kalk zu Fuá gegangen war , um Groávaters Scheck ber zweiundzwanzig Mark in Bargeld zu verwandeln . 003022 000235 daá ich mich der Details so genau erinnere , ist keine Garantie - der grnen Bluse , die die B„ckerin trug , die mir die Br”tchen schenkte , oder der L”cher im Strumpf eines jungen Arbeiters , der an mir vorbeigegangen war , als ich auf der Trschwelle saá und auf Edgar wartete . 003023 000235 ich war vollkommen sicher , auf Leos Oberlippe Schweiátropfen gesehen zu haben , als wir das Holz durchs„gten . 003024 000235 ich entsann mich auch aller Einzelheiten der Nacht , in der Marie in K”ln die erste Fehlgeburt hatte . 003025 000235 Heinrich Behlen hatte mir ein paar kleine Auftritte vor Jugendlichen fr zwanzig Mark den Abend vermittelt . 003026 000235 Marie war meistens mit mir gegangen , an diesem Abend aber zu Hause geblieben , weil sie sich schlecht fhlte , und als ich sp„t mit den neunzehn Mark Reingewinn in der Tasche nach Hause kam , fand ich das Zimmer leer , sah im aufgeschlagenen Bett das blutige Bettuch und fand den Zettel auf der Kommode : " bin im Krankenhaus . 003027 000235 nichts Schlimmes . 003028 000235 Heinrich weiá Bescheid " . 003029 000235 ich rannte sofort los , lieá mir von Heinrichs griesgr„miger Haush„lterin sagen , in welchem Krankenhaus Marie lag , lief dorthin , aber sie lieáen mich nicht rein , ich muáte erst Heinrich im Krankenhaus suchen , ans Telefon rufen lassen , bevor die Nonne an der Pforte mich reinlieá . 003030 000236 es war schon halb zw”lf nachts , und als ich endlich in Maries Zimmer kam , war schon alles vorbei , sie lag da im Bett , ganz blaá , weinend , neben ihr eine Nonne , die den Rosenkranz betete . 003031 000236 die Nonne betete ruhig weiter , w„hrend ich Maries Hand hielt und Heinrich ihr mit leiser Stimme zu erkl„ren versuchte , was mit der Seele des Wesens geschehen wrde , das sie nicht hatte geb„ren k”nnen . 003032 000236 Marie schien fest davon berzeugt , daá das Kind - sie nannte es so - nie in den Himmel kommen k”nnte , weil es nicht getauft war . 003033 000236 sie sagte immer , es wrde in der Vorh”lle bleiben , und ich erfuhr in dieser Nacht zum erstenmal , welche scheuálichen Sachen die Katholiken im Religionsunterricht lernen . 003034 000236 Heinrich war vollkommen hilflos Maries Žngsten gegenber , und gerade , daá er so hilflos war , empfand ich als tr”stlich . 003035 000236 er sprach von der Barmherzigkeit Gottes , die ja " wohl gr”áer ist als das mehr juristische Denken der Theologen " . 003036 000236 die ganze Zeit ber betete die Nonne den Rosenkranz . 003037 000236 Marie - sie kann in religi”sen Dingen sehr hartn„ckig sein - fragte immer wieder , wo denn die Diagonale zwischen Gesetz und Barmherzigkeit verlaufe . 003038 000236 ich erinnerte mich des Ausdrucks Diagonale . 003039 000236 schlieálich ging ich raus , ich kam mir wie ein Ausgestoáener , vollkommen berflssig vor . 003040 000236 ich stellte mich an ein Flurfenster , rauchte , blickte ber die Mauer auf der anderen Seite in einen Autofriedhof . 003041 000236 an der Mauer klebten lauter Wahlplakate . 003042 000236 schenk Dein Vertrauen der SPD: . 003043 000236 w„hlt CDU: . 003044 000236 offenbar lag ihnen daran , die Kranken , die aus ihren Zimmern vielleicht auf die Mauer blicken konnten , mit ihrer unbeschreiblichen Stupidit„t zu deprimieren . 003045 000237 schenk Dein Vertrauen der SPD: war ja geradezu genial , fast literarisch gegen den Stumpfsinn , der darin lag , einfach w„hlt: CDU: auf ein Plakat zu drucken . 003046 000237 es war fast zwei Uhr nachts geworden , und ich stritt mich sp„ter mit Marie darber , ob das , was ich dann sah , wirklich passiert war oder nicht . 003047 000237 es kam ein streunender Hund von links , er schnffelte an einer Laterne , dann an dem SPD:-Plakat , an dem CDU:-Plakat und pinkelte gegen das CDU:-Plakat und lief weiter , langsam in die Straáe hinein , die rechts vollkommen dunkel wurde . 003048 000237 Marie stritt mir , wenn wir sp„ter ber diese trostlose Nacht sprachen , immer den Hund ab , und wenn sie mir den Hund als " wahr " zubilligte , stritt sie ab , daá er gegen das CDU:-Plakat gepinkelt h„tte . 003049 000237 sie sagte , ich h„tte so sehr unter dem Einfluá ihres Vaters gestanden , daá ich , ohne mir einer Lge oder Verf„lschung der Wahrheit bewuát zu sein , behaupten wrde , der Hund habe seine " Schweinerei " an das CDU:-Plakat gemacht , auch wenn es das SPD:-Plakat gewesen w„re . 003050 000237 dabei hatte ihr Vater die SPD: viel mehr verachtet als die CDU: - und was ich gesehen hatte , hatte ich gesehen . 003051 000237 es war fast fnf , als ich Heinrich nach Hause brachte und er mir , w„hrend wir durch Ehrenfeld gingen , immer wieder zumurmelte , auf die Haustren weisend : " alles meine Sch„fchen , alles meine Sch„fchen " . 003052 000237 seine keifende Haush„lterin mit den gelblichen Beinen , ihr b”se ausgestoáenes " was soll das ? " . 003053 000237 ich ging nach Hause , wusch heimlich in kaltem Wasser im Badezimmer das Bettuch aus . 003054 000237 Ehrenfeld , Braunkohlenzge , W„scheleinen , Badeverbot und nachts manchmal die an unserem Fenster vorbeirauschenden Abfallpakete , wie Blindg„nger , deren Drohung im Aufklatschen verpuffte , h”chstens durch eine wegrollende Eierschale verl„ngert wurde . 003055 000238 Heinrich bekam wieder Krach mit seinem Pfarrer unseretwegen , weil er aus der Caritaskasse Geld haben wollte , ich ging dann noch einmal zu Edgar Wieneken , und Leo schickte uns seine Taschenuhr zum Versetzen , Edgar trieb aus einer Arbeiterwohlfahrtskasse etwas fr uns auf , und wir konnten wenigstens die Medikamente , das Taxi und die H„lfte der Arztkosten bezahlen . 003056 000238 ich dachte an Marie , die rosenkranzbetende Nonne , das Wort Diagonale , den Hund , die Wahlplakate , den Autofriedhof - und an meine kalten H„nde , nachdem ich das Bettuch ausgewaschen hatte - , und ich h„tte das alles doch nicht beschw”ren k”nnen . 003057 000238 ich h„tte auch nicht schw”ren m”gen , daá der Mann da in Leos Konvikt mir erz„hlt hatte , er telefoniere , um die Kirche finanziell zu sch„digen , mit dem Wetterdienst in Berlin , und ich hatte es doch geh”rt , wie sein Schmatzen und Schlucken , als er den Karamelpudding aá . 003058 000239 19 . 003059 000239 ohne lange zu berlegen und ohne zu wissen , was ich ihr sagen wollte , w„hlte ich die Nummer von Monika Silvs . 003060 000239 es hatte noch nicht zum erstenmal ausgeklingelt , da hob sie schon ab und sagte : " Hallo " . 003061 000239 schon ihre Stimme tat mir wohl . 003062 000239 sie ist klug und kr„ftig . 003063 000239 ich sagte : " hier Hans , ich wollte ... " . 003064 000239 aber sie unterbrach mich und sagte : " ach , Sie ... " . 003065 000239 es klang nicht kr„nkend oder unangenehm , nur war deutlich herauszuh”ren , daá sie nicht auf meinen , sondern auf jemand anderes Anruf gewartet hatte . 003066 000239 vielleicht wartete sie auf den Anruf einer Freundin , ihrer Mutter - und doch war ich gekr„nkt . 003067 000239 " ich wollte mich nur bedanken " , sagte ich , " Sie waren so lieb " . 003068 000239 ich konnte ihr Parfm gut riechen , Taiga , oder wie es heiát , viel zu herb fr sie . 003069 000239 " es tut mir ja alles so leid " , sagte sie , " es muá schlimm fr Sie sein " . 003070 000239 ich wuáte nicht , was sie meinte : die Kostertsche Kritik , die offenbar ganz Bonn gelesen hatte , oder Maries Hochzeit , oder beides . 003071 000239 " kann ich etwas fr Sie tun ? " fragte sie leise . 003072 000239 " ja " , sagte ich , " Sie k”nnten herkommen und sich meiner Seele erbarmen , auch meines Knies , das ziemlich stark geschwollen ist " . 003073 000239 sie schwieg . 003074 000239 ich hatte erwartet , daá sie sofort Ja sagen wrde , mir war unheimlich bei dem Gedanken , daá sie wirklich kommen k”nnte . 003075 000239 aber sie sagte nur : " heute nicht , ich erwarte Besuch " . 003076 000240 sie h„tte dazu sagen sollen , wen sie erwartete , wenigstens sagen k”nnen : eine Freundin oder einen Freund . 003077 000240 das Wort Besuch machte mich elend . 003078 000240 ich sagte : " nun , dann vielleicht morgen , ich muá wahrscheinlich mindestens eine Woche liegen " . 003079 000240 " kann ich nicht sonst etwas fr Sie tun , ich meine etwas , was sich telefonisch erledigen l„át " . 003080 000240 sie sagte das mit einer Stimme , die mich hoffen lieá , ihr Besuch k”nnte doch eine Freundin sein . 003081 000240 " ja " , sagte ich . 003082 000240 " Sie k”nnten mir die Mazurka in B-Dur Opus 7 von Chopin vorspielen " . 003083 000240 sie lachte und sagte : " Sie haben Einf„lle " . 003084 000240 beim Klang ihrer Stimme wurde ich zum erstenmal schwankend in meiner Monogamie . 003085 000240 " ich mag Chopin nicht sehr " , sagte sie , " und spiele ihn schlecht " . 003086 000240 " ach , Gott " , sagte ich , " das macht doch nichts . 003087 000240 haben Sie die Noten da ? " . 003088 000240 " irgendwo werden sie sein " , sagte sie . 003089 000240 " Moment bitte " . 003090 000240 sie legte den H”rer auf den Tisch , und ich h”rte sie durchs Zimmer gehen . 003091 000240 es dauerte einige Minuten , bis sie zurckkam , und es fiel mir ein , was Marie mir einmal erz„hlt hatte , daá sogar manche Heilige Freundinnen gehabt hatten . 003092 000240 natrlich nur geistig , aber immerhin : was geistig an der Sache war , hatten diese Frauen ihnen gegeben . 003093 000240 ich hatte nicht einmal das . 003094 000240 Monika nahm den H”rer wieder auf . 003095 000240 " ja " , sagte sie seufzend , " hier sind die Mazurki " . 003096 000240 " bitte " , sagte ich , " spielen Sie doch die Mazurka B-Dur Opus 7 Nr. I " . 003097 000240 " ich habe jahrelang nicht mehr Chopin gespielt , ich máte ein biáchen ben " . 003098 000241 " vielleicht m”chten Sie nicht gern , daá ihr Besuch h”rt , wenn Sie Chopin spielen ? " . 003099 000241 " oh " , sagte sie lachend , " der soll es ruhig h”ren " . 003100 000241 " Sommerwild ? " fragte ich ganz leise , ich h”rte ihren berraschten Ausruf und fuhr fort : " wenn er's wirklich ist , dann schlagen Sie ihm den Deckel ihres Flgels auf den Kopf " . 003101 000241 " das hat er nicht verdient " , sagte sie , " er hat Sie sehr gern " . 003102 000241 " das weiá ich " , sagte ich , " ich glaube es sogar , aber mir w„re lieber , ich h„tte den Mut , ihn umzubringen " . 003103 000241 " ich be ein biáchen und spiele Ihnen die Mazurka " , sagte sie rasch . 003104 000241 " ich rufe Sie an " . 003105 000241 " ja " , sagte ich , aber wir legten beide nicht auf . 003106 000241 ich h”rte ihren Atem , ich weiá nicht wie lange , aber ich h”rte ihn , dann legte sie auf . 003107 000241 ich h„tte den H”rer noch lange in der Hand gehalten , um sie atmen zu h”ren . 003108 000241 mein Gott , wenigstens der Atem einer Frau . 003109 000241 obwohl die Bohnen , die ich gegessen hatte , mir noch schwer im Magen lagen und meine Melancholie steigerten , ging ich in die Kche , ”ffnete auch die zweite Bchse Bohnen , kippte den Inhalt in den Topf , in dem ich auch die erste Portion gew„rmt hatte , und zndete das Gas an . 003110 000241 ich warf das Filterpapier mit dem Kaffeesatz in den Abfalleimer , nahm ein sauberes Filterpapier , tat vier L”ffel Kaffee hinein , setzte Wasser auf und versuchte , in der Kche Ordnung zu schaffen . 003111 000241 ich warf den Aufnehmer ber die Kaffeepftze , die leeren Bchsen und die Eierschalen in den Eimer . 003112 000241 ich hasse unaufger„umte Zimmer , aber ich bin selber unf„hig aufzur„umen . 003113 000241 ich ging ins Wohnzimmer , nahm die schmutzigen Gl„ser , setzte sie in der Kche in den Ausguá . 003114 000242 es war nichts Unordentliches mehr in der Wohnung , und doch sah es nicht aufger„umt aus . 003115 000242 Marie hat so eine geschickte und sehr rasche Art , ein Zimmer aufger„umt erscheinen zu lassen , obwohl sie nichts Sichtbares , Kontrollierbares darin anstellt . 003116 000242 es muá an ihren H„nden liegen . 003117 000242 der Gedanke an Maries H„nde - nur die Vorstellung , daá sie ihre H„nde Zpfner auf die Schulter legen k”nnte - steigerte meine Melancholie zur Verzweiflung . 003118 000242 eine Frau kann mit ihren H„nden soviel ausdrcken oder vort„uschen , daá mir M„nnerh„nde immer wie angeleimte Holzkl”tze vorkommen . 003119 000242 M„nnerh„nde sind H„ndedruckh„nde , Prgelh„nde , natrlich Schieáh„nde und Unterschrifth„nde . 003120 000242 drcken , prgeln , schieáen , Verrechnungsschecks unterschreiben - das ist alles , was M„nnerh„nde k”nnen , und natrlich : arbeiten . 003121 000242 Frauenh„nde sind schon fast keine H„nde mehr : ob sie Butter aufs Brot oder Haare aus der Stirn streichen . 003122 000242 kein Theologe ist je auf die Idee gekommen , ber die Frauenh„nde im Evangelium zu predigen : Veronika , Magdalena , Maria und Martha - lauter Frauenh„nde im Evangelium , die Christus Z„rtlichkeiten erwiesen . 003123 000242 stattdessen predigen sie ber Gesetze , Ordnungsprinzipien , Kunst , Staat . 003124 000242 Christus hat sozusagen privat fast nur mit Frauen Umgang gehabt . 003125 000242 natrlich brauchte er M„nner , weil die wie Kalick ein Verh„ltnis zur Macht haben , Sinn fr Organisationen und den ganzen Unsinn . 003126 000242 er brauchte M„nner , so wie man bei einem Umzug einfach M”belpacker braucht , fr die grobe Arbeit , und Petrus und Johannes waren so liebenswrdig , daá sie fast schon keine M„nner mehr waren , w„hrend Paulus so m„nnlich war , wie es sich fr einen R”mer geziemte . 003127 000242 wir bekamen zu Hause bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Bibel vorgelesen , weil es in unserer Verwandtschaft von Pastoren wimmelt , aber keiner hat je ber die Frauen im Evangelium oder so etwas Unfaábares wie den ungerechten Mammon gesprochen . 003128 000243 auch bei den Katholiken im " Kreis " wollte nie einer ber den ungerechten Mammon sprechen , Kinkel , und Sommerwild l„chelten immer nur verlegen , wenn ich sie darauf ansprach - als h„tten sie Christus bei einem peinlichen Lapsus ertappt , und Fredebeul sprach von dem Verschleiá durch die Geschichte , den dieser Ausdruck erfahren habe . 003129 000243 ihn st”rte das " Irrationale " daran , wie er sagte . 003130 000243 als ob Geld etwas Rationales w„re . 003131 000243 in Maries H„nden verlor sogar das Geld seine Fragwrdigkeit , sie hatte eine wunderbare Art , achtlos und zugleich sehr achtsam damit umzugehen . 003132 000243 da ich Schecks und andere " Zahlungsmittel " grunds„tzlich ablehne , bekam ich mein Honorar immer bar auf den Tisch des Hauses , und so brauchten wir nie l„nger als zwei , h”chstens drei Tage im voraus zu planen . 003133 000243 sie gab fast jedem Geld , der sie darum anging , manchmal auch solchen , die sie gar nicht angegangen hatten , sondern von denen sich im Laufe des Gespr„chs herausstellte , daá sie Geld brauchten . 003134 000243 einem Kellner in G”ttingen bezahlte sie einmal einen Wintermantel fr seinen gerade schulpflichtigen Jungen , und dauernd zahlte sie fr hilflose , in Zgen ins Erster-Klasse-Abteil verirrte Groámtter , die zu Beerdigungen fuhren , Zuschl„ge und šberg„nge . 003135 000243 es gibt unz„hlige Groámtter , die mit Zgen zu Beerdigungen von Kindern , Enkeln , Schwiegert”chtern und Schwiegers”hnen fahren und - manchmal natrlich mit einer gewissen Groámutterhilflosigkeit kokettierend - sich umst„ndlich mit schweren Koffern und Paketen voller Dauerwurst , Speck und Kuchen in Abteile erster Klasse fallen lassen . 003136 000244 Marie zwang mich dann , die schweren Koffer und Pakete im Gep„cknetz unterzubringen , obwohl jedermann im Abteil wuáte , daá die Oma nur eine Fahrkarte zweiter Klasse in der Tasche hatte . 003137 000244 sie ging dann auf den Flur und " regelte " die Sache mit dem Schaffner , bevor die Oma auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht wurde . 003138 000244 Marie fragte vorher immer , wie weit sie denn fahre , und wer denn gestorben sei - damit sie den Aufschlag auch richtig l”sen konnte . 003139 000244 die Kommentare der Groámtter bestanden meistens in den liebenswrdigen Worten : " die Jugend ist gar nicht so schlecht , wie sie immer gemacht wird " , das Honorar in gewaltigen Schinkenbroten . 003140 000244 besonders zwischen Dortmund und Hannover - so kam es mir immer vor - sind t„glich viele Groámtter zu Beerdigungen unterwegs . 003141 000244 Marie sch„mte sich immer , daá wir Erster fuhren , und es w„re ihr unertr„glich gewesen , wenn jemand aus unserem Abteil hinausgeworfen worden w„re , weil er nur Zweiter gel”st hatte . 003142 000244 sie hatte eine unersch”pfliche Geduld beim Anh”ren sehr umst„ndlicher Schilderungen von Verwandtschaftsverh„ltnissen und beim Anschauen von Fotos wildfremder Menschen . 003143 000244 einmal saáen wir zwei Stunden lang neben einer alten Bckeburger B„uerin , die dreiundzwanzig Enkelkinder hatte und von jedem ein Foto bei sich trug , und wir h”rten uns dreiundzwanzig Lebensl„ufe an , sahen dreiundzwanzig Fotos von jungen M„nnern und jungen Frauen , die es alle zu etwas gebracht hatten : Stadtinspektor in Mnster , oder verheiratet mit einem Bahnbetriebsassistenten , Leiter eines S„gewerks , und ein anderer war " hauptamtlich in dieser Partei , die wir immer w„hlen - Sie wissen schon " , und von einem weiteren , der bei der Bundeswehr war , behauptete sie , der " w„re schon immer fr das ganz Sichere " gewesen . 003144 000245 Marie war immer ganz in diesen Geschichten drin , fand sie ungeheuer spannend und sprach vom " wahren Leben " , mich ermdete das Element der Wiederholung in dieser Form . 003145 000245 es gab soviele Groámtter zwischen Dortmund und Hannover , deren Enkel Bahnassistenten waren , und deren Schwiegert”chter frhzeitig starben , weil sie " die Kinder nicht mehr alle zur Welt bringen , die Frauen heutzutage - das ist es " . 003146 000245 Marie konnte sehr lieb sein und nett zu alten und hilfsbedrftigen Leuten ; sie half ihnen auch bei jeder Gelegenheit beim Telefonieren . 003147 000245 ich sagte ihr einmal , sie h„tte eigentlich zur Bahnhofsmission gehen sollen , und sie sagte etwas pikiert : " warum nicht ? " . 003148 000245 ich hatte es gar nicht b”se oder abf„llig gemeint . 003149 000245 nun war sie ja in einer Art Bahnhofsmission , ich glaube , daá Zpfner sie geheiratet hat , um sie zu " retten " , sie ihn , um ihn zu " retten " , und ich war nicht sicher , ob er ihr erlauben wrde , von seinem Geld Groámttern D-Zug-Zuschl„ge und den šbergang in die erste Klasse zu bezahlen . 003150 000245 er war bestimmt nicht geizig , aber auf eine so aufreibende Art bedrfnislos wie Leo . 003151 000245 er war nicht bedrfnislos wie Franz von Assisi , der sich die Bedrfnisse anderer Menschen vorstellen konnte , obwohl er selbst auch bedrfnislos war . 003152 000245 die Vorstellung , daá Marie jetzt Zpfners Geld in ihrer Handtasche hatte , war mir unertr„glich , wie das Wort Flitterwochen und die Idee , ich k”nnte um Marie k„mpfen . 003153 000245 k„mpfen konnte doch nur k”rperlich gemeint sein . 003154 000245 selbst als schlecht trainierter Clown war ich sowohl Zpfner wie Sommerwild berlegen . 003155 000245 bevor sie sich auch nur in Positur gestellt h„tten , h„tte ich schon drei Purzelb„ume geschlagen , mich von hinten an sie herangemacht , sie aufs Kreuz gelegt und in den Schwitzkasten genommen . 003156 000246 oder dachten sie etwa an regelrechte Schl„gereien . 003157 000246 solch perverse Varianten der Nibelungensage waren ihnen zuzutrauen . 003158 000246 oder meinten sie's geistig ? . 003159 000246 ich hatte keine Angst vor ihnen , und warum hatte Marie meine Briefe , die ja eine Art geistigen Kampfes ankndigten , nicht beantworten drfen ? . 003160 000246 sie nahmen Worte wie Hochzeitsreise und Flitterwochen in den Mund und wollten mich obsz”n nennen , diese Heuchler . 003161 000246 sie sollten sich nur einmal anh”ren , was Kellner und Zimmerm„dchen sich von Flitterwochen und Hochzeitsreisenden erz„hlen . 003162 000246 da flstert doch jeder miese Vogel im Zug , im Hotel , wo sie sich auch zeigen , hinter ihnen her " Flitterwochen " , und jedes Kind weiá , daá sie die Sache dauernd machen . 003163 000246 wer zieht die W„sche vom Bett und w„scht sie ? . 003164 000246 wenn sie Zpfner die H„nde auf die Schulter legt , muá ihr doch einfallen , wie ich ihre eiskalten H„nde unter meinen Achseln gew„rmt habe . 003165 000246 ihre H„nde , mit denen sie die Haustr ”ffnet , der kleinen Marie oben die Bettdecke geradezieht , in der Kche unten den Toaster einst”pselt , Wasser aufsetzt , eine Zigarette aus der Packung nimmt . 003166 000246 den Zettel des M„dchens findet sie diesmal nicht auf dem Kchentisch , sondern auf dem Eisschrank . 003167 000246 " bin ins Kino gegangen . 003168 000246 um zehn zurck " . 003169 000246 im Wohnzimmer auf dem Fernsehapparat Zpfners Zettel . 003170 000246 " muáte noch dringend zu F. Ksse , Heribert " . 003171 000246 Eisschrank anstatt Kchentisch , Ksse statt Kuá . 003172 000246 in der Kche , w„hrend du dick Butter , dick Leberwurst auf die Toastscheiben streichst , statt zwei , drei L”ffel Schokoladenpulver in die Tasse tust , fhlst du sie zum erstenmal : die Schlankheitskurengereiztheit , erinnerst dich der von Frau Blothert hingekreischten Feststellung , als du das zweite Stck Kuchen nahmst : " aber das sind ja im ganzen mehr als fnfzehnhundert Kalorien , k”nnen Sie sich das leisten ? " . 003173 000247 der Metzgerblick auf die Taille , Blick , der die unausgesprochene Feststellung enth„lt : " nein , Sie k”nnen es sich nicht leisten " . 003174 000247 oh , allerheiligster Ka - ka - ka , du -nzler und -tholon ! . 003175 000247 " ja , ja , du f„ngst an , anzusetzen " . 003176 000247 es wird geflstert in der Stadt , in der Flsterstadt . 003177 000247 warum diese Unruhe , dieser Wunsch , im Dunkeln allein zu sein , in Kinos und Kirchen , im dunklen Wohnzimmer jetzt mit Schokolade und Toast . 003178 000247 was hast du auf der Tanzparty dem jungen Bengel geantwortet , der die Frage rasch herausschoá : " sagen Sie mir schnell , was Sie lieben , gn„dige Frau , schnell ! " . 003179 000247 du wirst ihm die Wahrheit gesagt haben : " Kinder , Beichtsthle , Kinos , gregorianischen Choral und Clowns " . 003180 000247 - " und M„nner nicht , gn„dige Frau ? " . 003181 000247 - doch , einen " , wirst du gesagt haben . 003182 000247 " nicht die M„nner als solche , sie sind so dumm " . 003183 000247 - " darf ich das puplizieren ? " . 003184 000247 - " nein , nein , um Gottes willen , nein ! " . 003185 000247 wenn sie gesagt hat einen , aber warum sagt sie dann nicht meinen ? . 003186 000247 wenn man einen Mann liebt , in Worten einen , kann man doch nur seinen meinen , den angetrauten . 003187 000247 oh , vergessenes , verschlucktes kleines m . 003188 000247 das M„dchen kommt nach Haus . 003189 000247 Schlssel ins Schloá , Tr auf , Tr zu , Schlssel ins Schloá . 003190 000247 Licht in der Diele an , aus , in der Kche an , Eisschranktr auf , zu , Licht in der Kche aus . 003191 000247 in der Diele sanft an die Tr geklopft . 003192 000247 " gute Nacht , Frau Direktor " . 003193 000247 - " gute Nacht . 003194 000247 war Marie lieb ? " . 003195 000247 - " ja , sehr " . 003196 000247 Licht in der Diele aus , Schritte die Treppe hinauf . 003197 000247 ( " da saá sie also ganz allein im dunklen Zimmer und h”rte Kirchenmusik " ) . 003198 000248 alles rhrst du mit diesen H„nden an , die die Bettw„sche gewaschen haben , die ich unter meinen Achseln gew„rmt habe : Plattenspieler , Platte , Hebel , Knopf , Tasse , Brot , Kinderhaar , Kinderdecke , den Tennisschl„ger . 003199 000248 " warum gehst du eigentlich nicht mehr zum Tennis ? " . 003200 000248 Achselzucken . 003201 000248 keine Lust , einfach keine Lust . 003202 000248 Tennis ist so gut fr Frauen von Politikern und fhrenden Katholiken . 003203 000248 nein , nein , so ganz identisch sind die Begriffe noch nicht . 003204 000248 es h„lt schlank , elastisch und attraktiv . 003205 000248 " und F. spielt so gern Tennis mit dir . 003206 000248 magst du ihn nicht ? " . 003207 000248 doch , doch . 003208 000248 er hat so was Herzliches . 003209 000248 ja , ja , man sagt , er sei mit " Schnauze und Ellenbogen " Minister geworden . 003210 000248 er gilt als Schurke , Intrigant , und doch ist seine Zuneigung zu Heribert echt : Korrupte und Brutale m”gen manchmal Gewissenhafte , Unbestechliche . 003211 000248 wie rhrend korrekt es bei Heriberts Hausbau zuging : keine Sonderkredite , keine " Hilfen " baugewerblich erfahrener Partei- und Konfessionsfreunde . 003212 000248 nur , weil er " Hanglage " wollte , muáte er den šberpreis bezahlen , den er " an sich " fr korrupt h„lt . 003213 000248 aber gerade die Hanglage erweist sich nun als st”rend . 003214 000248 wer auf H„ngen baut , kann ansteigende oder abfallende G„rten w„hlen . 003215 000248 Heribert hat abfallend gew„hlt - das erweist sich als Nachteil , wenn die kleine Marie anfangen wird , mit B„llen zu spielen , immer rollen die B„lle auf des Anliegers Hecke zu , manchmal durch diese durch in den Steingarten , knicken Zweige , Blumen , berrollen empfindliche , kostbare Moose und machen verkrampfte Entschuldigungsszenen notwendig . 003216 000248 " wie kann man nur einem so entzckenden kleinen M„delchen b”se sein ? " . 003217 000248 kann man nicht . 003218 000248 fr”hlich wird von Silberstimmen L„ssigkeit gemimt , von Schlankheitskuren verkrampfte Mnder , angestrengte H„lse mit gespannten Muskeln geben Fr”hlichkeit von sich , wo ein handfester Krach mit scharfem Wortwechsel das einzig Erl”sende w„re . 003219 000249 alles verschluckt , mit falscher Nachbarschaftsfr”hlichkeit zugedeckt , bis irgendwann an stillen Sommerabenden hinter verschlossenen Tren und heruntergelassenen Roll„den mit edlem Geschirr nach Embryogespenstern geworfen wird . 003220 000249 " ich wollte es doch haben - du , du wolltest nicht " . 003221 000249 edles Geschirr klingt nicht edel , wenn's an die Kchenwand geworfen wird . 003222 000249 Krankenwagensirenen heulen den Hang hinauf . 003223 000249 geknickter Krokus , verletztes Moos , Kinderhand rollt Kinderball in Steingarten , heulende Sirenen verknden den nicht erkl„rten Krieg . 003224 000249 oh , h„tten wir ansteigenden Garten gew„hlt . 003225 000249 das Klingeln des Telefons schreckte mich auf . 003226 000249 ich nahm den H”rer ab , wurde rot , ich hatte Monika Silvs vergessen . 003227 000249 sie sagte : " hallo , Hans ? " . 003228 000249 ich sagte : " ja " , wuáte noch nicht , weswegen sie anrief . 003229 000249 erst als sie sagte : " Sie werden entt„uscht sein " , fiel mir die Mazurka wieder ein . 003230 000249 ich konnte jetzt nicht mehr zurck , konnte nicht sagen " ich verzichte " , wir muáten durch diese entsetzliche Mazurka hindurch . 003231 000249 ich h”rte noch , wie Monika den H”rer auf den Flgel legte , zu spielen anfing , sie spielte ausgezeichnet , der Klang war hervorragend , aber w„hrend sie spielte , fing ich an , vor Elend zu weinen . 003232 000249 ich h„tte nicht versuchen drfen , diesen Augenblick zu wiederholen : als ich von Marie nach Hause kam und Leo im Musikzimmer die Mazurka spielte . 003233 000249 man kann Augenblicke nicht wiederholen und nicht mitteilen . 003234 000249 der Herbstabend , bei uns im Park , als Edgar Wieneken die 100 Meter in 10,1 lief . 003235 000249 ich habe ihn eigenh„ndig gestoppt , eigenh„ndig fr ihn die Strecke abgemessen , und er lief sie an diesem Abend in 10,1 . 003236 000250 er war in Hochform , Hochstimmung - aber natrlich glaubte niemand es uns . 003237 000250 es war unser Fehler , daá wir berhaupt darber sprachen und dem Augenblick dadurch Dauer verleihen wollten . 003238 000250 wir h„tten glcklich sein sollen zu wissen , daá er wirklich 10,1 gelaufen war . 003239 000250 sp„ter lief er natrlich immer wieder seine 10,9 und 11,0 , und niemand glaubte uns , sie lachten uns aus . 003240 000250 ber solche Augenblicke reden ist schon falsch , sie wiederholen zu wollen , Selbstmord . 003241 000250 es war eine Art Selbstmord , den ich beging , als ich jetzt Monika am Telefon zuh”rte , wie sie Mazurka spielte . 003242 000250 es gibt rituelle Augenblicke , die die Wiederholung in sich schlieáen : wie Frau Wieneken das Brot schnitt - aber ich hatte auch diesen Augenblick mit Marie wiederholen wollen , indem ich sie einmal bat , doch das Brot so zu schneiden , wie Frau Wieneken es getan hatte . 003243 000250 die Kche einer Arbeiterwohnung ist kein Hotelzimmer , Marie war nicht Frau Wieneken - das Messer rutschte ihr aus , sie schnitt sich in den linken Oberarm , und dieses Erlebnis machte uns fr drei Wochen krank . 003244 000250 so teuflisch kann Sentimentalit„t ausgehen . 003245 000250 man soll Augenblicke lassen , nie wiederholen . 003246 000250 ich konnte vor Elend nicht einmal mehr weinen , als Monika mit der Mazurka zu Ende war . 003247 000250 sie muá es gesprt haben . 003248 000250 als sie ans Telefon kam , sagte sie nur leise : " na , sehen Sie " . 003249 000250 ich sagte : " es war mein Fehler - nicht Ihrer - verzeihen Sie mir " . 003250 000250 ich fhlte mich , als l„ge ich besoffen und stinkend in der Gosse , mit Erbrochenem bedeckt , den Mund voll widerlicher Flche , und als h„tte ich jemand bestellt , mich zu fotografieren , und Monika das Foto geschickt . 003251 000250 " darf ich sie noch einmal anrufen ? " fragte ich leise . 003252 000250 " in ein paar Tagen vielleicht . 003253 000251 ich habe nur eine Erkl„rung fr meine Scheuálichkeit , mir ist so elend , daá ich's nicht beschreiben kann " . 003254 000251 ich h”rte nichts , nur ihren Atem , fr ein paar Augenblicke , dann sagte sie : " ich fahre weg , fr vierzehn Tage " . 003255 000251 " wohin ? " fragte ich . 003256 000251 " in Exerzitien " , sagte sie , " und ein biáchen malen " . 003257 000251 " wann kommen Sie her " , fragte ich , " und machen mir ein Omelette mit Pilzen und einen von Ihren hbschen Salaten ? " . 003258 000251 " ich kann nicht kommen " , sagte sie , " jetzt nicht " . 003259 000251 " sp„ter ? " fragte ich . 003260 000251 " ich komme " , sagte sie ; ich h”rte noch , daá sie weinte , dann legte sie auf . 003261 000252 20 . 003262 000252 ich dachte , ich máte ein Bad nehmen , so schmutzig fhlte ich mich , und ich dachte , ich máte stinken , wie Lazarus gestunken hatte - aber ich war vollkommen sauber und roch nicht . 003263 000252 ich kroch in die Kche , drehte das Gas unter den Bohnen ab , unter dem Wasser , ging wieder ins Wohnzimmer , setzte die Kognakflasche an den Mund : es half nichts . 003264 000252 nicht einmal das Klingeln des Telefons weckte mich aus meiner Dumpfheit . 003265 000252 ich nahm auf , sagte : " ja ? " und Sabine Emonds sagte : " Hans , was machst du fr Sachen ? " . 003266 000252 ich schwieg , und sie sagte : " schickst Telegramme . 003267 000252 das wirkt so dramatisch . 003268 000252 ist es denn so schlimm ? " . 003269 000252 " schlimm genug " , sagte ich matt . 003270 000252 " ich war mit den Kindern spazieren " , sagte sie , " und Karl ist fr eine Woche weg , mit seiner Klasse in einem Landschulheim - und ich muáte erst jemand zu den Kindern holen , bevor ich anrufen konnte " . 003271 000252 ihre Stimme klang gehetzt , auch ein biáchen gereizt , wie sie immer klingt . 003272 000252 ich brachte es nicht ber mich , sie um Geld zu bitten . 003273 000252 seitdem er verheiratet ist , rechnet Karl an seinem Existenzminimum herum ; er hatte drei Kinder , als ich den Krach mit ihm bekam , das vierte war damals unterwegs , aber ich hatte nicht den Mut , Sabine zu fragen , ob es inzwischen angekommen war . 003274 000252 immer herrschte in ihrer Wohnung diese schon nicht mehr ged„mpfte Gereiztheit , berall lagen seine verfluchten Notizbcher herum , in denen er Berechnungen anstellt , wie er mit seinem Gehalt zurechtkommen k”nnte , und wenn ich allein mit ihm war , wurde Karl immer auf eine scheuáliche Weise " offen " und fing seine Unter-M„nner-Gespr„che an , bers Kinderkriegen , und immer fing er an , der katholischen Kirche Vorwrfe zu machen ( ausgerechnet mir gegenber ! ) , und es kam immer ein Punkt , wo er mich wie ein heulender Hund ansah , und meistens kam gerade dann Sabine herein , schaute ihn verbittert an , weil sie wieder schwanger war . 003275 000253 fr mich gibt es kaum etwas Peinlicheres , als wenn eine Frau ihren Mann verbittert anschaut , weil sie schwanger ist . 003276 000253 schlieálich hockten sie beide da und heulten , weil sie sich doch wirklich gern haben . 003277 000253 im Hintergrund der Kinderl„rm , Nachtt”pfe wurden mit Wonne umgeschmissen , klatschnasse Waschlappen gegen nagelneue Tapeten geworfen , w„hrend Karl immer von " Disziplin , Disziplin " und von " absolutem , unbedingtem Gehorsam " spricht , und es blieb mir nichts anderes brig , als ins Kinderzimmer zu gehen und den Kindern ein paar Faxen vorzumachen , um sie zu beruhigen , aber es beruhigte sie nie , sie kreischten vor Vergngen , wollten mir alles nachmachen , und zu guter Letzt hockten wir da , hatten jeder ein Kind auf dem Schoá , die Kinder durften an unseren Weingl„sern nippen . 003278 000253 Karl und Sabine fingen an , von den Bchern und Kalendern zu sprechen , in denen man nachsehen kann , wann eine Frau kein Kind kriegen kann . 003279 000253 und dann bekommen sie dauernd Kinder , und es fiel ihnen nicht ein , daá diese Erz„hlungen Marie und mich besonders qu„len muáten , weil wir ja keine Kinder bekamen . 003280 000253 wenn Karl betrunken war , fing er an , Flche nach Rom zu schicken , unselige Wnsche auf Kardinalsh„upter und Papstgemter zu h„ufen , und das Groteske war , daá ich anfing , den Papst zu verteidigen . 003281 000253 Marie wuáte noch viel besser Bescheid und kl„rte und Sabine darber auf , daá die in Rom in dieser Frage ja gar nicht anders k”nnen . 003282 000254 zuletzt wurden sie beide listig und blickten sich an , als wollten sie sagen : ach , ihr - ihr mát doch etwas ganz Raffiniertes anstellen , daá ihr keine Kinder kriegt , und es endete meistens damit , daá eins der bermdeten Kinder Marie , mir , Karl oder Sabine das Weinglas aus der Hand riá und den Wein ber die Klassenarbeitshefte ausgoá , die Karl immer stapelweise auf dem Schreibtisch liegen hat . 003283 000254 das war natrlich peinlich fr Karl , der seinen Schlern dauernd von Disziplin und Ordnung vorpredigt , ihnen dann ihre Klassenarbeitshefte mit Weinflecken zurckgeben muá . 003284 000254 es gab Prgel , Weinen , und indem sie uns einen " Ach-ihr-M„nner-Blick " zuwarf , ging Sabine mit Marie in die Kche , um Kaffee zu kochen , und sicher hatten sie dann ihr Unter-Frauen-Gespr„ch , etwas , das Marie so peinlich ist wie mir das Unter-M„nnern-Gespr„ch . 003285 000254 wenn ich dann mit Karl allein war , fing er wieder von Geld an , in vorwurfsvollem Ton , als wenn er sagen wollte : ich rede mit dir darber , weil du ein netter Kerl bist , aber verstehen: tust du nichts davon . 003286 000254 ich seufzte und sagte : " Sabine , ich bin vollkommen ruiniert , beruflich , seelisch , k”rperlich , finanziell ... ich bin ... " . 003287 000254 " wenn du wirklich Hunger hast " , sagte sie , " dann weiát du doch hoffentlich , wo immer ein T”pfchen Suppe fr dich auf dem Herd steht " . 003288 000254 ich schwieg , ich war gerhrt , es klang so ehrlich und trocken . 003289 000254 " h”rst du ? " sagte sie . 003290 000254 " ich h”re " , sagte ich , " und ich werde sp„testens morgen mittag kommen und mein T”pfchen Suppe essen . 003291 000254 und wenn ihr noch einmal jemand braucht , der auf die Kinder aufpassen muá , ich - ich " , ich stockte . 003292 000255 ich konnte ja schlecht , was ich immer umsonst fr sie getan hatte , jetzt fr Geld anbieten , und die idiotische Geschichte mit dem Ei , das ich Gregor gegeben hatte , fiel mir ein . 003293 000255 Sabine lachte und sagte : " na , sag's doch " . 003294 000255 ich sagte : " ich meine , wenn ihr mich bei Bekannten empfehlen k”nntet , ich habe ja Telefon - und ich mach's so billig wie jeder andere " . 003295 000255 sie schwieg , und ich konnte gut merken , daá sie erschttert war . 003296 000255 " du " , sagte sie , " ich kann nicht mehr lange sprechen , aber sag mir doch - was ist denn passiert ? " . 003297 000255 offenbar war sie die einzige in Bonn , die Kosterts Kritik nicht gelesen hatte , und mir fiel ein , daá sie ja gar nicht wissen konnte , was zwischen Marie und mir geschehen war . 003298 000255 sie kannte ja keinen aus dem Kreis . 003299 000255 " Sabine " , sagte ich , " Marie ist von mir weg - und hat einen gewissen Zpfner geheiratet " . 003300 000255 " mein Gott " , rief sie , " das ist doch nicht wahr " . 003301 000255 " es ist wahr " , sagte ich . 003302 000255 sie schwieg , und ich h”rte , wie gegen die Tr der Telefonzelle gebumst wurde . 003303 000255 sicher irgendein Idiot , der seinem Skatbruder mitteilen wollte , wie er das Herz Solo ohne drei h„tte gewinnen k”nnen . 003304 000255 " du h„ttest sie heiraten sollen " , sagte Sabine leise , " ich meine - ach , du weiát , was ich meine " . 003305 000255 " ich weiá " , sagte ich , " ich wollte ja , aber dann kam heraus , daá man diesen verfluchten Schein vom Standesamt haben muá , und daá ich unterschreiben , verstehst du , unterschreiben muáte , die Kinder katholisch erziehen zu lassen " . 003306 000255 " aber es ist doch nicht daran gescheitert ? " fragte sie . 003307 000255 das Bumsen an der Tr der Telefonzelle wurde st„rker . 003308 000256 " ich weiá nicht " , sagte ich , " der Anlaá war's schon - aber es kommt wohl vieles hinzu , was ich nicht verstehe . 003309 000256 h„ng jetzt ein , Sabinchen , sonst bringt dich dieser erregte deutsche Mensch an der Tr noch um . 003310 000256 es wimmelt von Unholden in diesem Land " . 003311 000256 - " du muát mir versprechen , zu kommen " , sagte sie , " und denk daran : dein Sppchen steht den ganzen Tag auf dem Feuer " . 003312 000256 ich h”rte , daá ihre Stimme schwach wurde , sie flsterte noch : " wie gemein , wie gemein " , aber sie hatte offenbar in ihrer Verwirrung nicht den H”rer auf die Gabel gelegt , nur auf das Tischchen , auf dem immer das Telefonbuch liegt . 003313 000256 ich h”rte den Kerl sagen : " na , endlich " , aber Sabine schien schon weg zu sein . 003314 000256 ich schrie ins Telefon laut : " Hilfe , Hilfe " , mit einer schrillen , hohen Stimme , der Kerl fiel drauf rein , nahm den H”rer auf und sagte : " kann ich etwas fr Sie tun ? " . 003315 000256 seine Stimme klang seri”s , gefaát , sehr m„nnlich , und ich konnte riechen , daá er irgendetwas Saures gegessen hatte , eingelegte Heringe oder etwas „hnliches . 003316 000256 " hallo , hallo " , sagte er , und ich sagte : " sind Sie Deutscher , ich spreche grunds„tzlich nur mit deutschen Menschen " . 003317 000256 " das ist ein guter Grundsatz " , sagte er , " wo fehlt's denn bei Ihnen " . 003318 000256 " ich mache mir Sorgen um die CDU: " , sagte ich , " w„hlen Sie auch fleiáig CDU: ? " . 003319 000256 " aber das ist doch selbstverst„ndlich " , sagte er beleidigt , und ich sagte : " dann bin ich beruhigt " , und legte auf . 003320 000257 21 . 003321 000257 ich h„tte den Kerl richtig beleidigen , ihn fragen sollen , ob er seine eigene Frau schon vergewaltigt , den f+ Grand +f mit zweien gewonnen und im Amt mit seinen Kollegen den obligatorischen zweistndigen Plausch ber den Krieg schon hinter sich habe . 003322 000257 er hatte die Stimme eines richtigen Eheherrn und aufrechten deutschen Menschen gehabt , und sein " na , endlich " hatte geklungen wie " Legt an " . 003323 000257 Sabine Emonds' Stimme hatte mich etwas getr”stet , sie hatte ein biáchen gereizt geklungen , auch gehetzt , aber ich wuáte , daá sie Maries Handlungsweise wirklich gemein fand und das T”pfchen Suppe bei ihr immer fr mich auf dem Herd stand . 003324 000257 sie war eine sehr gute K”chin , und wenn sie nicht schwanger war und dauernd die " Ach-ihr-M„nner-Blicke " um sich warf , war sie sehr munter und auf eine viel nettere Art katholisch als Karl , der ber das " Sextum " seine merkwrdigen Seminaristenvorstellungen behalten hatte . 003325 000257 Sabines vorwurfsvolle Blicke galten wirklich dem ganzen Geschlecht , sie nahmen nur , wenn sie Karl , den Urheber ihres Zustandes , anblickte , eine besonders dunkle F„rbung an , fast gewitterhaft . 003326 000257 ich hatte meistens versucht , Sabine abzulenken , ich fhrte eine meiner Nummern vor , dann muáte sie lachen , lange und herzlich , bis sie anfing , Tr„nen zu lachen , dann blieb sie meistens in den Tr„nen h„ngen , und es war kein Lachen mehr drin ... . 003327 000257 und Marie muáte sie hinausbringen und sie tr”sten , w„hrend Karl mit finsterer , schuldbewuáter Miene bei mir saá und schlieálich vor Verzweiflung anfing , Hefte zu korrigieren . 003328 000258 manchmal half ich ihm dabei , indem ich die Fehler mit einem roten Tintenkuli anstrich , aber er traute mir nie , sah alles noch einmal durch und war jedesmal wtend , weil ich nichts bersehen und die Fehler ganz korrekt angestrichen hatte . 003329 000258 er konnte sich gar nicht vorstellen , daá ich eine solche Arbeit selbstverst„ndlich fair und in seinem Sinn erledigen wrde . 003330 000258 Karls Problem ist nur ein Geldproblem . 003331 000258 wenn Karl Emonds eine Siebenzimmerwohnung h„tte , w„re die Gereiztheit , das Gehetztsein nicht mehr unumg„nglich . 003332 000258 ich hatte mich mit Kinkel einmal ber seinen Begriff " Existenzminimum " gestritten . 003333 000258 Kinkel galt als einer der genialen Spezialisten fr solche Themen , und er war es , glaube ich , der das Existenzminimum fr eine alleinstehende Person in einer Groástadt , die Miete nicht gerechnet , auf vierundachtzig , sp„ter auf sechsundachtzig Mark berechnen lieá . 003334 000258 ich kam ihm schon gar nicht mit dem Einwand , daá er selbst , nach der ekelhaften Anekdote zu urteilen , die er uns erz„hlt hatte , offenbar das fnfunddreiáigfache davon fr sein: Existenzminimum hielt . 003335 000258 solche Einw„nde gelten ja als zu pers”nlich und geschmacklos , aber das Geschmacklose liegt darin , daá so einer anderen ihr Existenzminimum vorrechnet . 003336 000258 in dem Betrag von sechsundachtzig Mark war sogar ein Betrag fr kulturelle Bedrfnisse eingeplant : Kino wahrscheinlich , oder Zeitungen , und als ich Kinkel fragte , ob sie erwarteten , daá sich der Betreffende fr dieses Geld einen guten Film anschaue , einen mit volkserzieherischem Wert - wurde er wtend , und als ich ihn fragte , wie der Posten " Erneuerung des W„schebestandes " zu verstehen sei , ob sie vom Ministerium extra einen gutmtigen alten Mann anheuern , der durch Bonn rennt und seine Unterhose verschleiát und dem Ministerium berichtet , wie lange er braucht , bis die Unterhose verschlissen ist - da sagte seine Frau , ich sei auf eine gef„hrliche Weise subjektiv , und ich sagte ihr , ich k”nnte mir etwas darunter vorstellen , wenn Kommunisten anfingen zu planen , mit Modellmahlzeiten , Verschleiázeiten fr Taschentcher und diesem Unsinn , schlieálich h„tten Kommunisten nicht das heuchlerische Alibi šbernatur , aber daá Christen wie ihr Mann sich zu solch einem anmaáenden Wahnsinn herg„ben , f„nde ich unglaublich - da sagte sie , ich sei eben ein kompletter Materialist und h„tte kein Verst„ndnis fr Opfer , Leid , Schicksal , Gr”áe der Armut . 003337 000259 bei Karl Emonds habe ich nie den Eindruck von Opfer , Leid , Schicksal , Gr”áe der Armut . 003338 000259 er verdient ganz gut , und alles , was sich von Schicksal und Gr”áe zeigte , war eine st„ndige Gereiztheit , weil er sich ausrechnen konnte , daá er nie eine fr ihn angemessene Wohnung wrde bezahlen k”nnen . 003339 000259 als mir klar wurde , daá ausgerechnet Karl Emonds der einzige war , den ich um Geld angehen konnte , wurde mir meine Situation klar . 003340 000259 ich besaá keinen Pfennig mehr . 003341 000260 22 . 003342 000260 ich wuáte auch , daá ich das alles nicht tun wrde : nach Rom fahren und mit dem Papst sprechen oder morgen nachmittag bei Mutters f+ jour: fixe: +f Zigaretten und Zigarren klauen , Erdnsse in die Tasche stecken . 003343 000260 ich hatte nicht einmal mehr die Kraft , daran zu glauben wie an das Holzdurchs„gen mit Leo . 003344 000260 jeder Versuch , die Marionettenf„den wieder zu knpfen und mich daran hochziehen , wrde scheitern . 003345 000260 irgendwann wrde ich soweit sein , daá ich Kinkel anpumpte , auch Sommerwild und sogar diesen Sadisten Fredebeul , der mir wahrscheinlich ein Fnfmarkstck vor die Nase halten und mich zwingen wrde , danach zu springen . 003346 000260 ich wrde froh sein , wenn mich Monika Silvs zum Kaffee einlud , nicht , weil es Monika Silvs war , sondern wegen des kostenlosen Kaffees . 003347 000260 ich wrde die dumme Bela Brosen noch einmal anrufen , mich bei ihr einschmeicheln und ihr sagen , daá ich nicht mehr nach der H”he der Summe fragen wrde , daá jede , jede Summe mir willkommen w„re , dann - eines Tages wrde ich zu Sommerwild gehen , ihm " berzeugend " dartun , daá ich reumtig , einsichtig sei , reif zu konvertieren , und dann wrde das Frchterlichste kommen : eine von Sommerwild inszenierte Vers”hnung mit Marie und Zpfner , aber wenn ich konvertierte , wrde mein Vater wahrscheinlich gar nichts mehr fr mich tun . 003348 000260 offenbar w„re das fr ihn das Schrecklichste . 003349 000260 ich muáte mir die Sache berlegen : meine Wahl war nicht f+ rouge: et: noir: +f , sondern dunkelbraun oder schwarz : Braunkohle oder Kirche . 003350 000261 ich wrde werden , was sie alle von mir schon so lange erwarteten : ein Mann , reif , nicht mehr subjektiv , sondern objektiv und bereit , in der Herren-Union einen deftigen Skat zu dreschen . 003351 000261 ich hatte noch ein paar Chancen : Leo , Heinrich Behlen , Groávater , Zohnerer , der mich vielleicht als Schmalzguitarristen aufbauen wrde , ich wrde singen : " wenn der Wind in deinen Haaren spielt , weiá ich , du bist mein " . 003352 000261 ich hatte es Marie schon vorgesungen , und sie hatte sich die Ohren zugehalten und mir gesagt , sie f„nde es scheuálich . 003353 000261 schlieálich wrde ich das allerletzte tun : zu den Kommunisten gehen und ihnen all die Nummern vorfhren , die die so hbsch als antikapitalistisch einstufen konnten . 003354 000261 ich war tats„chlich einmal hingefahren und hatte mich mit irgendwelchen Kulturfritzen in Erfurt getroffen . 003355 000261 sie empfingen mich mit ziemlichem Pomp am Bahnhof , Riesenblumenstr„uáe , und im Hotel gab es anschlieáend Forelle blau , Kaviar , Halbgefrorenes und Unmengen von Sekt . 003356 000261 dann fragten sie uns , was wir denn von Erfurt sehen m”chten . 003357 000261 ich sagte , ich wrde gern die Stelle sehen , wo Luther seine Doktordisputation gehalten habe , und Marie sagte , sie habe geh”rt , es gebe in Erfurt eine katholisch-theologische Fakult„t , sie interessiere sich fr das religi”se Leben . 003358 000261 sie machten saure Gesichter , konnten aber nichts machen , und es wurde alles sehr peinlich : fr die Kulturfritzen , fr die Theologen und fr uns . 003359 000261 die Theologen muáten ja meinen , wir h„tten irgend etwas mit diesen Idioten zu tun , und keiner sprach offen mit Marie , auch als sie sich ber Glaubensfragen mit einem Professor unterhielt . 003360 000261 der merkte irgendwie , daá Marie nicht richtig mit mir verheiratet war . 003361 000261 er fragte sie in Gegenwart der Funktion„re : " aber Sie sind doch wirklich Katholikin " , und sie wurde schamrot und sagte : " ja , auch wenn ich in der Snde lebe , bleibe ich ja katholisch " . 003362 000262 es wurde scheuálich , als wir merkten , daá auch den Funktion„ren unser Nichtverheiratetsein gar nicht gefiel , und als wir dann zum Kaffee ins Hotel zurckgingen , fing einer der Funktion„re davon an , daá es bestimmte Erscheinungsformen kleinbrgerlicher Anarchie gebe , die er gar nicht billige . 003363 000262 dann fragten sie mich , was ich vorfhren wolle , in Leipzig , in Rostock , ob ich nicht den " Kardinal " , " Ankunft in Bonn " und " Aufsichtsratssitzung " vorfhren k”nne . 003364 000262 ( woher sie vom Kardinal wuáten , haben wir nie herausgekriegt , denn diese Nummer hatte ich fr mich allein einstudiert , sie nur Marie gezeigt , und die hatte mich gebeten , sie doch nicht aufzufhren , Kardin„le trgen nun einmal M„rtyrerrot ) . 003365 000262 und ich sagte nein , ich msse erst die Lebensbedingungen hier ein wenig studieren , denn der Sinn der Komik l„ge darin , den Menschen in abstrakter Form Situationen vorzufhren , die ihrer eigenen Wirklichkeit entnommen seien , nicht einer fremden , und es g„be ja in ihrem Land weder Bonn noch Aufsichtsr„te , noch Kardin„le . 003366 000262 sie wurden unruhig , einer wurde sogar blaá und sagte , sie h„tten sich das anders vorgestellt , und ich sagte , ich auch . 003367 000262 es war scheuálich . 003368 000262 ich sagte , ich k”nnte ja ein biáchen studieren und eine Nummer wie " Sitzung des Kreiskomitees " vorfhren oder " der Kulturrat tritt zusammen " , oder " der Parteitag w„hlt sein Pr„sidium " - oder " Erfurt , die Blumenstadt " ; es sah gerade um den Erfurter Bahnhof herum nach allem anderen , nur nicht nach Blumen aus - aber da stand der Hauptmacher auf , sagte , sie k”nnten doch keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse dulden . 003369 000262 er war schon nicht mehr blaá , sondern richtig bleich - ein paar andere waren wenigstens so mutig , zu grinsen . 003370 000263 ich erwiderte ihm , ich s„he keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse darin , wenn ich etwa eine leicht einzustudierende Nummer wie " der Parteitag w„hlt sein Pr„sidium " vorfhrte , und ich machte den dummen Fehler , Bardeidag zu sagen , da wurde der bleiche Fanatiker wild , schlug auf den Tisch , so heftig , daá mir die Schlagsahne vom Kuchen auf den Teller rutschte , und sagte : " wir haben uns in Ihnen get„uscht , get„uscht " , und ich sagte , dann k”nnte ich ja abfahren , und er sagte : " ja , das k”nnen Sie - bitte , mit dem n„chsten Zug " . 003371 000263 ich sagte noch , ich k”nnte ja die Nummer Aufsichtsrat einfach Sitzung des Kreiskomitees nennen , denn da wrden ja wohl auch nur Sachen beschlossen , die vorher schon beschlossene Sache gewesen w„ren . 003372 000263 da wurden sie regelrecht unh”flich , verlieáen das S„lchen , bezahlten nicht einmal den Kaffee fr uns . 003373 000263 Marie weinte , ich war nahe daran , irgend jemand zu ohrfeigen , und als wir dann zum Bahnhof hinbergingen , um mit dem n„chsten Zug zurckzufahren , war weder ein Gep„cktr„ger noch ein Boy aufzutreiben , und wir muáten eigenh„ndig unsere Koffer schleppen , etwas , was ich hasse . 003374 000263 zum Glck begegnete uns auf dem Bahnhofsvorplatz einer von den jungen Theologen , mit denen Marie am Morgen gesprochen hatte . 003375 000263 er wurde rot , als er uns sah , nahm aber der weinenden Marie den schweren Koffer aus der Hand , und Marie flsterte die ganze Zeit ber auf ihn ein , er solle sich doch nicht in Schwierigkeiten bringen . 003376 000263 es war scheuálich . 003377 000263 wir waren im ganzen nur sechs oder sieben Stunden in Erfurt gewesen , aber wir hatten es mit allen verdorben : mit den Theologen und mit den Funktion„ren . 003378 000264 als wir in Bebra ausstiegen und in ein Hotel gingen , weinte Marie die ganze Nacht , schrieb morgens einen langen Brief an den Theologen , aber wir erfuhren nie , ob er ihn wirklich bekommen hat . 003379 000264 ich hatte geglaubt , mich mit Marie und Zpfner zu vers”hnen , wrde das letzte sein , aber mich dem blassen Fanatiker auszuliefern und denen da den Kardinal vorzufhren , wrde doch das aller-allerletzte sein . 003380 000264 ich hatte immer noch Leo , Heinrich Behlen , Monika Silvs , Zohnerer , Groávater und das T”pfchen Suppe bei Sabine Emonds , und ich konnte mir wohl ein biáchen Geld verdienen , indem ich auf Kinder aufpaáte . 003381 000264 ich wrde mich schriftlich verpflichten , den Kindern keine Eier zu geben . 003382 000264 offenbar war das fr eine deutsche Mutter unertr„glich . 003383 000264 was andere die objektive Wichtigkeit der Kunst nennen , ist mir schnuppe , aber wo es gar keine Aufsichtsr„te gibt , ber Aufsichtsr„te zu spotten , das wrde mir gemein vorkommen . 003384 000264 ich hatte einmal eine ziemlich lange Nummer " der General " einstudiert , lange daran gearbeitet , und als ich sie auffhrte , wurde es das , was man in unseren Kreisen einen Erfolg nennt : d. h. die richtigen Leute lachten , und die richtigen „rgerten sich . 003385 000264 als ich nach dem Auftritt mit stolzgeschwellter Brust in die Garderobe ging , wartete eine alte , sehr kleine Frau auf mich . 003386 000264 ich bin nach den Auftritten immer gereizt , vertrage nur Marie um mich , aber Marie hatte die alte Frau in meine Garderobe gelassen . 003387 000264 die fing an zu reden , bevor ich noch richtig die Tr zugemacht hatte , und erkl„rte mir , ihr Mann sei auch General gewesen , er w„re gefallen und h„tte ihr vorher noch einen Brief geschrieben und sie gebeten , keine Pension anzunehmen . 003388 000264 " sie sind noch sehr jung " , sagte sie , " aber doch alt genug , zu verstehen " - und dann ging sie raus . 003389 000265 ich konnte von da ab die Nummer General nie mehr auffhren . 003390 000265 die Presse , die sich Linkspresse nennt , schrieb daraufhin , ich habe mich offenbar von der Reaktion einschchtern lassen , die Presse , die sich Rechtspresse nennt , schrieb , ich h„tte wohl eingesehen , daá ich dem Osten in die Hand spiele , und die unabh„ngige Presse schrieb , ich habe offensichtlich jeglicher Radikalit„t und dem Engagement abgeschworen . 003391 000265 alles kompletter Schwachsinn . 003392 000265 ich konnte die Nummer nicht mehr vorfhren , weil ich immer an die alte kleine Frau denken muáte , die sich wahrscheinlich , von allen verlacht und verspottet , kmmerlich durchschlug . 003393 000265 wenn mir eine Sache keinen Spaá mehr macht , h”re ich damit auf - das einem Journalisten zu erkl„ren , ist wahrscheinlich viel zu kompliziert . 003394 000265 sie mssen immer etwas " wittern " , " in der Nase haben " , und es gibt den weitverbreiteten h„mischen Typ des Journalisten , der nie drber kommt , daá er selbst kein Knstler ist und nicht einmal das Zeug zu einem knstlerischen Menschen hat . 003395 000265 da versagt dann natrlich die Witterung , und es wird geschwafelt , m”glichst in Gegenwart hbscher junger M„dchen , die noch naiv genug sind , jeden Schmierfink anzuhimmeln , nur , weil er in einer Zeitung sein " Forum " hat und " Einfluá " . 003396 000265 es gibt merkwrdige unerkannte Formen der Prostitution , mit denen verglichen die eigentlich Prostitution ein redliches Gewerbe ist : da wird wenigstens fr's Geld was geboten . 003397 000265 selbst dieser Weg , mich von der Barmherzigkeit k„uflicher Liebe erl”sen zu lassen , war mir verschlossen : ich hatte kein Geld . 003398 000265 inzwischen probierte Marie in ihrem r”mischen Hotel ihre spanische Mantilla an , um als f+ first lady +f des deutschen Katholizismus standesgem„á zu repr„sentieren . 003399 000266 nach Bonn zurckgekehrt , wrde sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit Tee trinken , l„cheln , Komitees beitreten , Ausstellungen " religi”ser Kunst " er”ffnen und sich nach einer " angemessenen Schneiderin umschauen " . 003400 000266 alle Frauen , die amtlich nach Bonn heirateten , " schauten sich nach angemessenen Schneiderinnen um " . 003401 000266 Marie als f+ first lady +f des deutschen Katholizismus , mit der Teetasse oder dem Cocktailglas in der Hand : " haben Sie den sáen kleinen Kardinal schon gesehen , der morgen die von Kr”gert entworfene Mariens„ule einweiht ? . 003402 000266 ach , in Italien sind offenbar sogar die Kardin„le Kavaliere . 003403 000266 einfach sá " . 003404 000266 ich konnte nicht einmal mehr richtig humpeln , wirklich nur noch kriechen , ich kroch auf den Balkon hinaus , um etwas Heimatluft zu atmen : auch sie half nichts . 003405 000266 ich war schon zu lange in Bonn , fast zwei Stunden , und nach dieser Frist ist die Bonner Luft als Luftver„nderung keine Wohltat mehr . 003406 000266 es fiel mir ein , daá sie es eigentlich mir verdanken , daá Marie katholisch geblieben ist . 003407 000266 sie hatte frchterliche Glaubenskrisen , aus Entt„uschungen ber Kinkel , auch ber Sommerwild , und ein Kerl wie Blothert h„tte wahrscheinlich sogar den Heiligen Franziskus zum Atheisten gemacht . 003408 000266 sie ging eine Zeitlang nicht einmal mehr zur Kirche , dachte gar nicht daran , sich mit mir kirchlich trauen zu lassen , sie verfiel in eine Art Trotz und ging erst drei Jahre , nachdem wir aus Bonn weg waren , in den Kreis , obwohl die sie dauernd einluden . 003409 000266 ich sagte ihr damals , Entt„uschung sei kein Grund . 003410 000266 wenn sie die Sache als solche fr wahr hielte - k”nnten tausend Fredebeuls sie nicht unwahr machen , und schlieálich - so sagte ich - gebe es ja doch Zpfner , den ich zwar ein biáchen steif f„nde , gar nicht mein Typ , aber als Katholiken glaubwrdig . 003411 000267 es g„be sicher viele glaubwrdige Katholiken , ich z„hlte ihr Past”re auf , deren Predigten ich mir mitangeh”rt hatte , ich erinnerte sie an den Papst , Gary Cooper , Alec Guinness - und sie rankte sich an Papst Johannes und Zpfner wieder hoch . 003412 000267 merkwrdigerweise zog Heinrich Behlen um diese Zeit schon nicht mehr , im Gegenteil , sie sagte , sie f„nde ihn schmierig , wurde immer verlegen , wenn ich von ihm anfing , so daá ich den Verdacht bekam , er k”nne sich ihr " gen„hert " haben . 003413 000267 ich fragte sie nie danach , aber mein Verdacht war groá , und wenn ich mir Heinrichs Haush„lterin vorstellte , konnte ich verstehen , daá er sich M„dchen " n„herte " . 003414 000267 mir war der Gedanke daran widerw„rtig , aber ich konnte es verstehen , so wie ich manche widerw„rtigen Sachen , die im Internat passierten , verstand . 003415 000267 es fiel mir jetzt erst ein , daá ich es gewesen war , der ihr Papst Johannes und Zpfner als Trost bei Glaubenszweifeln angeboten hatte . 003416 000267 ich hatte mich vollkommen fair dem Katholizismus gegenber verhalten , genau das war falsch gewesen , aber fr mich war Marie auf eine so natrliche Weise katholisch , daá ich ihr diese Natur zu erhalten sann . 003417 000267 ich weckte sie , wenn sie sich verschlief , damit sie rechtzeitig zur Kirche kam . 003418 000267 oft genug habe ich ihr ein Taxi spendiert , damit sie pnktlich kam , ich habe fr sie herumtelefoniert , wenn wir in evangelischen Gegenden waren , um eine Heilige Messe fr sie aufzutreiben , und sie hat immer gesagt , das f„nde sie " besonders " lieb , aber dann sollte ich diesen verfluchten Zettel unterschreiben , schriftlich: geben , daá ich die Kinder katholisch erziehen lassen wrde . 003419 000267 wir hatten oft ber unsere Kinder gesprochen . 003420 000268 ich hatte mich sehr auf Kinder gefreut , mich schon mit meinen Kindern unterhalten , ich hatte sie schon auf dem Arm gehalten , ihnen rohe Eier in die Milch geschlagen , mich beunruhigte nur die Tatsache , daá wir in Hotels wohnen wrden , und in Hotels werden meistens nur die Kinder von Million„ren oder K”nigen gut behandelt . 003421 000268 den Kindern von Nichtk”nigen oder Nichtmillion„ren , jedenfalls den Jungen , wird zuerst einmal zugebrllt : " du bist hier nicht zu Hause " , eine dreifache Unterstellung , weil vorausgesetzt wird , daá man sich zu Hause wie ein Schwein benimmt , daá man sich nur wohlfhlt , wenn man sich wie ein Schwein benimmt , und daá man sich als Kind um keinen Preis wohlfhlen soll . 003422 000268 M„dchen haben immer die Chance , als " sá " betrachtet und gut behandelt zu werden , aber Jungen werden zun„chst angeschnauzt , wenn die Eltern nicht dabei sind . 003423 000268 fr die Deutschen ist ja jeder Junge ein ungezogenes Kind , das nie ausgesprochene Adjektiv ungezogen ist einfach mit dem Substantiv verschmolzen . 003424 000268 wrde einer auf die Idee kommen , das Vokabularium , das die meisten Eltern im Gespr„ch mit ihren Kindern verwenden , einmal zu testen , wrde er feststellen , daá das Vokabularium der Bild-Zeitung , damit verglichen , fast das W”rterbuch der Brder Grimm w„re . 003425 000268 es wird nicht mehr lange dauern , und deutsche Eltern werden mit ihren Kindern nur noch in der Kalick-Sprache sprechen : oh , wie hbsch und oh , wie scheuálich ; hin und wieder werden sie sich zu differenzierten Žuáerungen wie " keine Widerrede " oder " davon verstehst du nichts " entschlieáen . 003426 000268 mit Marie habe ich sogar schon darber gesprochen , was wir unseren Kindern anziehen wrden , sie war fr " helle , flott geschnittene Regenm„ntel " , ich fr Anoraks , weil ich mir vorstellte , daá ein Kind in einem hellen , flottgeschnittenen Regenmantel nicht in einer Pftze spielen k”nnte , w„hrend ein Anorak frs Spielen in der Pftze gnstig w„re , sie - ich dachte immer zun„chst an ein M„dchen - w„re warm angezogen und h„tte doch die Beine frei , und wenn sie Steine in die Pftze warf , wrden die Spritzer nicht unbedingt den Mantel , m”glicherweise nur die Beine treffen , und wenn sie mit einer Blechbchse die Pftze aussch”pfte und das schmutzige Wasser vielleicht schief aus der Bchse herauslaufen lieá , brauchte es nicht unbedingt den Mantel zu treffen , jedenfalls war die Chance , daá sie sich nur die Beine beschmutzte , gr”áer . 003427 000269 Marie war der Meinung , daá sie sich in einem hellen Regenmantel eben mehr in acht nehmen wrde , die Frage , ob unsere Kinder wirklich in Pftzen wrden spielen drfen , wurde nie grunds„tzlich gekl„rt . 003428 000269 Marie l„chelte nur immer , wich aus und sagte : wir wollen mal abwarten . 003429 000269 wenn sie mit Zpfner Kinder haben sollte , k”nnte sie ihnen weder Anoraks anziehen noch flottgeschnittene , helle Regenm„ntel , sie muáte ihre Kinder ohne Mantel laufen lassen , denn wir hatten ber alle Mantelsorten ausgiebig gesprochen . 003430 000269 wir hatten auch ber lange und kurze Unterhosen , W„sche , Socken , Schuhe gesprochen - sie muáte ihre Kinder nackt durch Bonn laufen lassen , wenn sie sich nicht als Hure oder Verr„terin fhlen wollte . 003431 000269 ich wuáte auch gar nicht , was sie ihren Kindern zu essen geben wollte : wir hatten alle Nahrungssorten , alle Ern„hrungsmethoden durchgesprochen , waren uns einig gewesen , daá wir keine Stopfkinder haben wrden , Kinder , in die dauernd Brei oder Milch hineingestopft oder hineingeschttet wird . 003432 000269 ich wollte nicht , daá meine Kinder zum Essen gezwungen wrden , es hatte mich angeekelt , wenn ich zusah , wie Sabine Emonds ihre ersten beiden Kinder , besonders das „lteste , das Karl seltsamerweise Edeltrud genannt hatte , stopfte . 003433 000270 ber die leidige Eierfrage hatte ich mich sogar mit Marie gestritten , sie war gegen Eier , und als wir uns darber stritten , sagte sie , das sei Reicheleutekost , war dann rot geworden , und ich hatte sie tr”sten mssen . 003434 000270 ich war daran gew”hnt , anders als andere behandelt und betrachtet zu werden , nur , weil ich von den Braunkohlenschniers abstamme , und Marie war es nur zweimal passiert , daá sie etwas Dummes darber sagte : am ersten Tag , als ich zu ihr in die Kche runterkam , und als wir ber Eier sprachen . 003435 000270 es ist scheuálich , reiche Eltern zu haben , besonders scheuálich natrlich , wenn man von dem Reichtum nie etwas gehabt hat . 003436 000270 Eier hatte es bei uns zu Hause sehr selten gegeben , meine Mutter hielt Eier fr " ausgesprochen sch„dlich " . 003437 000270 bei Edgar Wieneken war es im umgekehrten Sinn peinlich , er wurde berall als Arbeiterkind eingefhrt und vorgestellt ; es gab sogar Priester , die , wenn sie ihn vorstellten , sagten : " ein waschechtes Arbeiterkind " , das klang so , als wenn sie gesagt h„tten : seht mal , der hat gar keine H”rner und sieht ganz intelligent aus . 003438 000270 es ist eine Rassenfrage , um die sich Mutters Zentralkomitee einmal kmmern sollte . 003439 000270 die einzigen Menschen , die in diesem Punkt unbefangen zu mir waren , waren Wienekens und Maries Vater . 003440 000270 sie kreideten es mir nicht an , daá ich von den Braunkohlenschniers abstamme , und flochten mir auch keinen Kranz daraus . 003441 000271 23 . 003442 000271 ich ertappte mich dabei , daá ich noch immer auf dem Balkon stand und auf Bonn blickte . 003443 000271 ich hielt mich am Gel„nder fest , mein Knie schmerzte heftig , aber die Mark , die ich runtergeworfen hatte , beunruhigte mich . 003444 000271 ich h„tte sie gern wiedergehabt , konnte aber jetzt nicht auf die Straáe gehen , Leo muáte jeden Augenblick kommen . 003445 000271 irgendwann muáten sie ja mit ihren Pflaumen , der Schlagsahne und dem Tischgebet fertig sein . 003446 000271 ich konnte die Mark unten auf der Straáe nicht entdecken ; es war ziemlich tief , und nur in M„rchen blinken Geldstcke so deutlich , daá man sie findet . 003447 000271 es war das erstemal , daá ich irgend etwas , was mit Geld zusammenhing , bereute : diese weggeworfene Mark , zw”lf Zigaretten , zwei Straáenbahnfahrten , ein Wrstchen mit Brot . 003448 000271 ohne Reue , aber mit einer gewissen Wehmut dachte ich an die vielen D-Zug-Zuschl„ge und šberg„nge in die erste Klasse , die wir fr nieders„chsische Groámtter bezahlt hatten , wehmtig , wie einer an Ksse denkt , die er einem M„dchen gegeben hat , das einen anderen heiratete . 003449 000271 auf Leo war nicht viel Hoffnung zu setzen , er hat merkwrdige Vorstellungen von Geld , ungef„hr wie eine Nonne von der " ehelichen Liebe " . 003450 000271 nichts blinkte unten auf der Straáe , obwohl alles hellerleuchtet war , kein Sternthaler zu sehn ; nur Autos , Straáenbahn , Bus und Bonner Brger . 003451 000271 ich hoffte , daá die Mark auf dem Dach der Straáenbahn liegengeblieben war und irgendeiner im Depot sie finden wrde . 003452 000272 natrlich konnte ich mich auch an den Busen der evangelischen Kirche schmeiáen . 003453 000272 nur : als ich Busen dachte , fr”stelte mich . 003454 000272 an Luthers Brust h„tte ich mich schmeiáen k”nnen , aber " Busen der evangelischen Kirche " - nein . 003455 000272 wenn ich schon heuchelte , wollte ich mit Erfolg heucheln , m”glichst viel Spaá dabei haben . 003456 000272 es wrde mir Spaá machen , einen Katholiken zu heucheln , ich wrde mich ein halbes Jahr ganz " zurckhalten " , dann anfangen , in Sommerwilds Abendpredigten zu gehen , bis ich anfing , von f+ katholons +f zu wimmeln wie eine schw„rende Wunde von Bazillen . 003457 000272 aber damit nahm ich mir eine letzte Chance , in Vaters Gunst zu gelangen und in einem Braunkohlenbro Verrechnungsschecks zu unterschreiben . 003458 000272 vielleicht wrde meine Mutter mich in ihrem Zentralkomitee unterbringen und mir Gelegenheit geben , dort meine Rassentheorien zu vertreten . 003459 000272 ich wrde nach Amerika fahren und vor Frauenclubs als lebendes Beispiel der Reue der deutschen Jugend Vortr„ge halten . 003460 000272 nur , ich hatte nichts zu bereuen , gar nichts , und ich wrde also Reue heucheln mssen . 003461 000272 ich konnte ihnen auch erz„hlen , wie ich Herbert Kalick die Asche vom Tennisplatz ins Gesicht geworfen hatte , wie ich im Schieástandschuppen eingesperrt gewesen war und sp„ter vor Gericht gestanden hatte : vor Kalick , Brhl , L”venich . 003462 000272 aber wenn ich es erz„hlte , wars schon geheuchelt . 003463 000272 ich konnte diese Augenblicke nicht beschreiben und sie mir wie einen Orden um den Hals h„ngen . 003464 000272 jeder tr„gt die Orden seiner heldenhaften Augenblicke an Hals und Brust . 003465 000272 sich an die Vergangenheit klammern ist Heuchelei , weil kein Mensch die Augenblicke kennt : wie Henriette in ihrem blauen Hut in der Straáenbahn gesessen hatte und weggefahren war , um die heilige deutsche Erde bei Leverkusen gegen die jdischen f+ Yankees +f zu verteidigen . 003466 000273 nein , die sicherste Heuchelei und die , die mir am meisten Spaá machen wrde , war " auf die katholische Karte setzen " . 003467 000273 da gewann jede Nummer . 003468 000273 ich warf noch einen Blick ber die D„cher der Universit„t hinweg auf die B„ume im Hofgarten : da hinten zwischen Bonn und Godesberg auf den H„ngen wrde Marie wohnen . 003469 000273 gut . 003470 000273 es war besser , in ihrer N„he zu sein . 003471 000273 es w„re zu leicht fr sie , wenn sie denken konnte , ich w„re dauernd unterwegs . 003472 000273 sie sollte immer damit rechnen , mir zu begegnen , und jedesmal schamrot werden , wenn ihr einfiel , wie unzchtig und ehebrecherisch ihr Leben verlief , und wenn ich ihr mit ihren Kindern begegnete , und sie trgen Regenm„ntel , Anoraks oder Lodenm„ntel ; ihre Kinder wrden ihr pl”tzlich nackt vorkommen . 003473 000273 es wird geflstert in der Stadt , gn„dige Frau , daá Sie Ihre Kinder nackt umherlaufen lassen . 003474 000273 das geht zu weit . 003475 000273 und Sie haben ein kleines m vergessen , gn„dige Frau , an entscheidender Stelle ; wenn Sie sagen , daá Sie nur einen Mann lieben - h„tten Sie sagen mssen meinen . 003476 000273 es wird auch geflstert , daá Sie ber den dumpfen Groll l„cheln , den jeder hier gegen den n„hrt , den Sie den Alten nennen . 003477 000273 Sie finden , daá alle ihm auf eine vertrackte Weise „hnlich sind . 003478 000273 schlieálich - finden Sie - halten sich alle fr so unersetzlich , wie er sich h„lt , schlieálich lesen alle Kriminalromane . 003479 000273 natrlich passen die Umschl„ge der Kriminalromane nicht in die geschmackvoll eingerichteten Wohnungen . 003480 000273 die D„nen haben vergessen , ihren Stil auf die Umschl„ge fr Kriminalromane auszudehnen . 003481 000273 die Finnen werden so schlau sein und ihre Umschl„ge den Sthlen , Sesseln , Gl„sern und T”pfen anpassen . 003482 000274 sogar bei Blothert liegen Kriminalromane herum , waren nicht schamhaft genug versteckt an jenem Abend , als man das Haus besichtigte . 003483 000274 immer im Dunkel , gn„dige Frau , in Kinos und Kirchen , in dunklen Wohnzimmern bei Kirchenmusik , die Helligkeit der Tennispl„tze scheuend . 003484 000274 viel Geflster . 003485 000274 die Dreiáig- , die Vierzigminuten-Beichten im Mnster . 003486 000274 kaum verhohlene Emp”rung im Blick der Wartenden . 003487 000274 mein Gott , was hat denn die soviel zu beichten : hat den hbschesten , nettesten , fairsten Mann . 003488 000274 richtig anst„ndig . 003489 000274 eine entzckende kleine Tochter , zwei Autos . 003490 000274 die gereizte Ungeduld da hinterm Gitter , das endlose Hin- und Hergeflster ber Liebe , Ehe , Pflicht , Liebe und schlieálich die Frage : " nicht einmal Glaubenszweifel - was fehlt Ihnen denn , meine Tochter ? " . 003491 000274 du kannst es nicht aussprechen , nicht einmal denken , was ich weiá . 003492 000274 dir fehlt ein Clown , offizielle Berufsbezeichnung : Komiker , keiner Kirche steuerpflichtig . 003493 000274 ich humpelte vom Balkon ins Badezimmer , um mich zu schminken . 003494 000274 es war ein Fehler gewesen , Vater ungeschminkt gegenberzustehen und gegenberzusitzen , aber ich hatte mit seinem Besuch ja am wenigsten rechnen k”nnen . 003495 000274 Leo war immer so erpicht drauf gewesen , meine wahre Meinung , mein wahres Gesicht , mein wahres Ich zu sehen . 003496 000274 er sollte es sehen . 003497 000274 er hatte immer Angst vor meinen " Masken " , vor meiner Spielerei , vor dem , was er " unernst " nannte , wenn ich keine Schminke trug . 003498 000274 mein Schminkkoffer war noch unterwegs zwischen Bochum und Bonn . 003499 000274 als ich im Badezimmer das weiáe Wandschr„nkchen ”ffnete , war es zu sp„t . 003500 000275 ich h„tte daran denken mssen , welche t”dliche Sentimentalit„t Gegenst„nden innewohnt . 003501 000275 Maries Tuben und Tiegel , Fl„schchen und Stifte : es war nichts mehr davon im Schrank , und daá so eindeutig nichts: mehr von ihr darin war , war so schlimm , als wenn ich eine Tube oder einen Tiegel von ihr gefunden h„tte . 003502 000275 alles weg . 003503 000275 vielleicht war Monika Silvs so barmherzig gewesen , alles einzupacken und wegzutun . 003504 000275 ich blickte mich im Spiegel an : meine Augen waren vollkommen leer , zum erstenmal brauchte ich sie nicht , indem ich mich eine halbe Stunde lang anblickte und Gesichtsgymnastik trieb , zu leeren . 003505 000275 es war das Gesicht eines Selbstm”rders , und als ich anfing , mich zu schminken , war mein Gesicht das Gesicht eines Toten . 003506 000275 ich schmierte mir Vaseline bers Gesicht und riá eine halb eingetrocknete Tube weiáer Schminke auf , quetschte heraus , was noch drin war , und schminkte mich vollkommen weiá : kein Strich schwarz , kein Tupfer rot , alles weiá , auch die Brauen berschminkt ; mein Haar sah darber wie eine Percke aus , mein ungeschminkter Mund dunkel , fast blau , die Augen , hellblau wie ein steinerner Himmel , so leer wie die eines Kardinals , der sich nicht eingesteht , daá er den Glauben l„ngst verloren hat . 003507 000275 ich hatte nicht einmal Angst vor mir . 003508 000275 mit diesem Gesicht konnte ich Karriere machen , konnte sogar an der Sache Heuchelei begehen , die mir in all ihrer Hilflosigkeit , in ihrer Dummheit , die relativ sympathischste war : die Sache , an die Edgar Wieneken glaubte . 003509 000275 diese Sache wrde wenigstens nicht schmecken , sie war in ihrer Geschmacklosigkeit die ehrlichste unter den unehrlichen , das kleinste der kleineren šbel . 003510 000275 es gab also auáer Schwarz , Dunkelbraun und Blau noch eine Alternative , die Rot zu nennen wieder zu euphemistisch und zu optimistisch w„re , es war Grau mit einem sanften Schimmer von Morgenrot drin . 003511 000276 eine traurige Farbe fr eine traurige Sache , in der vielleicht sogar Platz fr einen Clown war , der sich der schlimmsten aller Clownssnden schuldig gemacht hatte : Mitleid zu erregen . 003512 000276 das Schlimme war nur : Edgar konnte ich am allerwenigsten betrgen , ihm am wenigsten etwas vorheucheln . 003513 000276 ich war der einzige Zeuge dafr , daá er die hundert Meter wirklich in 10,1 gelaufen war , und er war einer der wenigen , die mich immer so genommen hatten , wie ich war , denen ich immer so erschienen war , wie ich war . 003514 000276 und er hatte keinen Glauben als den an bestimmte Menschen - die anderen glaubten ja an mehr als an die Menschen : an Gott , an abstraktes Geld , an etwas wie Staat und Deutschland . 003515 000276 Edgar nicht . 003516 000276 es war schon schlimm genug fr ihn gewesen , als ich damals das Taxi nahm . 003517 000276 es tat mir jetzt leid , ich h„tte es ihm erkl„ren mssen , niemand sonst war ich irgendwelche Erkl„rungen schuldig . 003518 000276 ich ging vom Spiegel weg ; es gefiel mir zu gut , was ich dort sah , ich dachte keinen Augenblick daran , daá ich selbst es war , den ich sah . 003519 000276 das war kein Clown mehr , ein Toter , der einen Toten spielte . 003520 000276 ich humpelte in unser Schlafzimmer hinber , das ich noch nicht betreten hatte , aus Angst vor Maries Kleidern . 003521 000276 die meisten Kleider habe ich selbst ihr gekauft , sogar die Žnderungen mit den Schneiderinnen besprochen . 003522 000276 sie kann fast alle Farben tragen auáer Rot und Schwarz , sie kann sogar Grau tragen , ohne langweilig auszusehen , Rosa steht ihr sehr gut und Grn . 003523 000276 ich k”nnte in der Branche Damenmode wahrscheinlich Geld verdienen , aber fr einen , der monogam und nicht schwul ist , w„re das eine zu frchterliche Tortur . 003524 000276 die meisten M„nner geben ihren Frauen einfach Verrechnungsschecks und empfehlen ihnen , sich dem " Diktat der Mode " zu beugen . 003525 000277 wenn dann Violett modern ist , tragen alle diese Frauen , die mit Verrechnungsschecks gefttert werden , Violett , und wenn dann auf einer Party s„mtliche Frauen , die " etwas auf sich halten " , in Violett herumlaufen , sieht das ganze aus wie eine Generalversammlung mhsam zum Leben erweckter weiblicher Bisch”fe . 003526 000277 es gibt nur wenige Frauen , denen Violett steht . 003527 000277 Marie konnte gut Violett tragen . 003528 000277 als ich noch zu Hause war , kam pl”tzlich die Sackmode auf , und alle armen Hhner , denen ihre M„nner befehlen , sich " repr„sentativ " zu kleiden , rannten auf unserem f+ jour: fixe: +f in S„cken herum . 003529 000277 ein paar Frauen taten mir so leid - besonders die groáe , schwere Frau irgendeines der zahllosen Pr„sidenten - , daá ich am liebsten zu ihr gegangen w„re und irgend etwas - eine Tischdecke oder einen Vorhang - als Mantel der Barmherzigkeit um sie gelegt h„tte . 003530 000277 ihr Mann , dieser stupide Hund , merkte nichts , sah nichts , h”rte nichts , er h„tte seine Frau in einem rosa Nachthemd auf den Markt geschickt , wenn irgendein Schwuler das als Mode diktiert h„tte . 003531 000277 am n„chsten Tag hielt er vor hundertfnfzig evangelischen Past”ren einen Vortrag ber das Wort " Erkennen " in der Ehe . 003532 000277 wahrscheinlich wuáte er nicht einmal , daá seine Frau viel zu eckige Knie hat , als daá sie kurze Kleider tragen k”nnte . 003533 000277 ich riá die Tr des Kleiderschranks schnell auf , um dem Spiegel zu entgehen : nichts mehr von Marie im Schrank , nichts mehr , nicht einmal mehr ein Schuhspanner oder ein Grtel , wie ihn Frauen manchmal h„ngen lassen . 003534 000277 kaum noch der Geruch ihres Parfms , sie h„tte barmherzig sein , auch meine Kleider mitnehmen , sie verschenken oder verbrennen k”nnen , aber meine Sachen hingen noch da : eine grne Manchesterhose , die ich nie getragen hatte , ein schwarzer Tweedrock , ein paar Krawatten , und drei Paar Schuhe standen unten auf dem Schuhbrett ; in den kleinen Schubladen wrde ich alles finden , alles : Manschettenkn”pfe und die weiáen St„bchen fr die Hemdkragen , Socken und Taschentcher . 003535 000278 ich h„tte es mir denken k”nnen : wenn es um Besitz geht , werden Christen unerbittlich , gerecht . 003536 000278 ich brauchte die Schubladen gar nicht zu ”ffnen : was mir geh”rte , wrde alles da sein , was ihr geh”rte , alles weg . 003537 000278 wie barmherzig w„re es gewesen , auch meine Klamotten mitzunehmen , aber hier in unserem Kleiderschrank war es ganz gerecht zugegangen , auf eine t”dliche Weise korrekt . 003538 000278 sicher hatte Marie auch Mitleid empfunden , als sie alles , was mich an sie erinnern wrde , wegnahm , und bestimmt hatte sie geweint , jene Tr„nen , die Frauen in Ehescheidungsfilmen weinen , wenn sie sagen : " die Zeit mit dir werde ich nie vergessen " . 003539 000278 der aufger„umte , saubere Schrank ( irgend jemand war sogar mit dem Staublappen drber gegangen ) war das Schlimmste , was sie mir hinterlassen konnte , ordentlich , getrennt , ihre Sachen von meinen geschieden . 003540 000278 es sah im Schrank aus wie nach einer erfolgreichen Operation . 003541 000278 nichts mehr von ihr , nicht einmal ein abgesprungener Blusenknopf . 003542 000278 ich lieá die Tr offen , um dem Spiegel zu entgehen , humpelte in die Kche zurck , steckte mir die Flasche Kognak in die Rocktasche , ging ins Wohnzimmer und legte mich auf die Couch und zog mein Hosenbein hoch . 003543 000278 das Knie war stark geschwollen , aber der Schmerz lieá nach , sobald ich lag . 003544 000278 es waren noch vier Zigaretten in der Schachtel , ich steckte eine davon an . 003545 000279 ich berlegte , was schlimmer gewesen w„re : wenn Marie ihre Kleider hier gelassen h„tte , oder so : alles ausger„umt und sauber und nicht einmal irgendwo ein Zettel : " Die Zeit mit dir werde ich nie vergessen " . 003546 000279 vielleicht war es so besser , und doch h„tte sie wenigstens einen abgesprungenen Knopf liegen oder einen Grtel h„ngen lassen k”nnen , oder den ganzen Schrank mitnehmen und verbrennen sollen . 003547 000279 als die Nachricht von Henriettes Tod kam , wurde bei uns zu Hause gerade der Tisch gedeckt , Anna hatte Henriettes Serviette , die ihr noch nicht waschreif zu sein schien , in dem gelben Serviettenring auf der Anrichte gelassen , und wir alle blickten auf die Serviette , es war etwas Marmelade dran und ein kleiner brauner Flecken von Suppe oder Soáe . 003548 000279 ich sprte zum erstenmal , wie furchtbar die Gegenst„nde sind , die einer zurckl„át , wenn er weggeht oder stirbt . 003549 000279 Mutter machte tats„chlich einen Versuch zu essen , sicher sollte das bedeuten : das Leben geht weiter oder etwas „hnliches , aber ich wuáte genau : es stimmte nicht , nicht das Leben geht weiter , sondern der Tod . 003550 000279 ich schlug ihr den Suppenl”ffel aus der Hand , rannte in den Garten , wieder zurck ins Haus , wo das Gekreische und Geschreie in vollem Gang war . 003551 000279 meine Mutter hatte sich an der heiáen Suppe das Gesicht verbrannt . 003552 000279 ich rannte in Henriettes Zimmer hinauf , riá das Fenster auf und warf alles , so wie es mir zwischen die H„nde kam , in den Garten hinaus : Sch„chtelchen und Kleider , Puppen , Hte , Schuhe , Mtzen , und als ich die Schubladen aufriá , fand ich ihre W„sche und dazwischen merkwrdige kleine Dinge , die ihr bestimmt teuer gewesen waren : getrocknete Žhren , Steine , Blumen , Papierfetzen und ganze Bndel von Briefen , mit rosa B„ndern umwickelt , Tennisschuhe , Schl„ger , Troph„en , wie es mir in die H„nde kam , warf ich es raus in den Garten . 003553 000280 Leo sagte mir sp„ter , ich h„tte ausgesehen wie " ein Verrckter " , und es w„re so schnell gegangen , wahnsinnig schnell , daá niemand etwas h„tte tun k”nnen . 003554 000280 ganze Schubladen kippte ich einfach so ber die Fensterbank , rannte in die Garage und trug den schweren Reservetank voll Benzin in den Garten , kippte ihn ber das Zeug und steckte es an : alles , was herumlag , stieá ich mit dem Fuá in die hohe Flamme , suchte alle Fetzen und Stcke , getrocknete Blumen , Žhren und die Briefbndel zusammen und warf sie ins Feuer . 003555 000280 ich lief ins Eázimmer , nahm die Serviette mit dem Ring von der Anrichte , warf sie ins Feuer ! . 003556 000280 Leo sagte sp„ter , das ganze habe keine fnf Minuten gedauert , und bevor einer ahnte , was geschah , brannte die Flamme schon lichterloh , und ich hatte alles reingeworfen . 003557 000280 es tauchte sogar ein amerikanischer Offizier auf , der meinte , ich verbrenne Geheimmaterial , Akten des groádeutschen Werwolfs , aber als der kam , war schon alles angesengt , schwarz und h„álich und stinkend , und als er nach einem der Briefbndel greifen wollte , schlug ich ihm auf die Hand und kippte den Rest Benzin , der noch im Kanister war , in die Flamme . 003558 000280 sp„ter tauchte sogar die Feuerwehr auf mit l„cherlich groáen Schl„uchen , und im Hintergrund schrie einer mit einer l„cherlich hohen Stimme das l„cherlichste Kommando , das ich je geh”rt habe : " Wasser marsch ! " und sie sch„mten sich nicht , diesen armseligen Scheiterhaufen noch mit ihren Schl„uchen zu bespritzen , und weil ein Fensterrahmen ein biáchen Feuer gefangen hatte , richtete einer seinen Schlauch darauf , drinnen schwamm alles , und sp„ter warf sich der Parkettboden , und Mutter heulte wegen des verdorbenen Bodens und telefonierte mit s„mtlichen Versicherungen , um herauszubekommen , ob es Wasserschaden , Feuerschaden war oder unter die Sachversicherung fiel . 003559 000281 ich nahm einen Schluck aus der Flasche , steckte sie wieder in die Rocktasche zurck und betastete mein Knie . 003560 000281 wenn ich lag , schmerzte es weniger . 003561 000281 wenn ich vernnftig war , mich konzentrierte , wrden Schwellung und Schmerz nachlassen . 003562 000281 ich konnte mir eine leere Apfelsinenkiste besorgen , mich vor den Bahnhof setzen , Guitarre spielen und die Lauretanische Litanei singen . 003563 000281 ich wrde - wie zuf„llig - meinen Hut oder meine Mtze neben mich auf die Stufe legen , und wenn erst einer auf die Idee kam , was reinzuwerfen , wrden andere auch den Mut dazu haben . 003564 000281 ich brauchte Geld , schon , weil ich fast keine Zigaretten mehr hatte . 003565 000281 am besten w„re es , einen Groschen und ein paar Fnfpfennigstcke in den Hut reinzulegen . 003566 000281 sicher wrde Leo mir wenigstens soviel mitbringen . 003567 000281 ich sah mich schon da sitzen : das weiágeschminkte Gesicht vor der dunklen Bahnhofsfassade , ein blaues Trikot , meine schwarze Tweedjacke und die grne Manchesterhose , und ich " hub an " , gegen den Straáenl„rm anzusingen : f+ Rosa: mystica: - ora: pro: nobis: - turris: Davidica: - ora: pro: nobis: - virgo: fidelis: - ora: pro: nobis: +f - ich wrde dort sitzen , wenn die Zge aus Rom ankamen und meine f+ coniux: infidelis: +f mit ihrem katholischen Mann ankam . 003568 000281 die Trauungszeremonie muáte peinliche šberlegungen notwendig gemacht haben : Marie war nicht Witwe , sie war nicht geschieden , sie war - das wuáte ich nun zuf„llig genau - nicht mehr Jungfrau . 003569 000281 Sommerwild hatte sich die Haare raufen mssen , eine Trauung ohne Schleier verdarb ihm das ganze „sthetische Konzept . 003570 000281 oder hatten sie besondere liturgische Vorschriften fr gefallene M„dchen und ehemalige Clownskonkubinen ? . 003571 000282 was hatte sich der Bischof gedacht , der die Trauung vollzog ? . 003572 000282 unter einem Bischof wrden sie es nicht tun . 003573 000282 Marie hatte mich einmal in ein Bischofsamt geschleppt , und das ganze Hin und Her mit Mitra ab- und Mitra aufsetzen , weiáes Band um- , weiáes Band ablegen , Bischofsstab dorthin , Bischofsstab hierhin legen , rotes Band um , weiáes ablegen , hatte mich sehr beeindruckt , als sensible Knstlernatur habe ich ein Organ fr die Žsthetik der Wiederholung . 003574 000282 ich dachte auch an meine Schlsselpantomime . 003575 000282 ich konnte mir Plastilin besorgen , einen Schlssel hineindrcken , Wasser in die Hohlform gieáen und im Eisschrank ein paar Schlssel backen ; es war sicher m”glich , eine kleine transportable Khltruhe zu finden , in der ich mir jeden Abend fr meinen Auftritt die Schlssel backen wrde , die w„hrend der Nummer dahinschmelzen sollten . 003576 000282 vielleicht war aus dem Einfall was zu machen , im Augenblick verwarf ich ihn , er war zu kompliziert , machte mich von zu vielen Requisiten und von technischen Zuf„llen abh„ngig , und wenn irgendein Bhnenarbeiter im Krieg einmal von einem Rheinl„nder betrogen worden war , wrde er die Khltruhe ”ffnen und mir die Schau unm”glich machen . 003577 000282 das andere war besser : mit meinem wahren Gesicht , weiágeschminkt , auf der Bonner Bahnhofstreppe sitzen , die Lauretanische Litanei singen und auf der Guitarre ein paar Akkorde anschlagen . 003578 000282 neben mir der Hut , den ich frher bei Chaplin-Imitationen getragen hatte , mir fehlten nur die Lockmnzen : ein Groschen w„re schon gut , ein Groschen und ein Fnfer besser , am besten aber drei Mnzen : ein Groschen und ein Fnfer und ein Zweipfennigstck . 003579 000282 die Leute muáten sehen , daá ich kein religi”ser Fanatiker war , der eine milde Gabe verabscheute , und sie muáten sehen , daá jedes Scherflein , auch ein kupfernes , willkommen war . 003580 000283 sp„ter wrde ich dann eine silberne Mnze dazulegen , es muáte ersichtlich sein , daá gr”áere Gaben nicht nur nicht verschm„ht , sondern auch gegeben wurden . 003581 000283 ich wrde sogar eine Zigarette in den offenen Hut legen , der Griff zur Zigarettenschachtel fiel den meisten sicher leichter als zum Portemonnaie . 003582 000283 irgendwann wrde natrlich einer auftauchen , der Ordnungsprinzipien geltend machte : Lizenz als Straáens„nger , oder einer vom Zentralkomitee zur Bek„mpfung der Gottesl„sterung wrde das Religi”se meiner Darbietung angreifbar finden . 003583 000283 fr den Fall , daá ich nach Ausweisen gefragt wurde , h„tte ich immer ein Brikett neben mir liegen , die Aufschrift " Heiz dir ein mit Schnier " kannte jedes Kind , ich wrde mit roter Kreide das schwarze Schnier deutlich unterstreichen , vielleicht ein H. davor malen . 003584 000283 das w„re eine unpraktische , aber unmiáverst„ndliche Visitenkarte : gestatten , Schnier . 003585 000283 und eins konnte mein Vater wirklich fr mich tun , es wrde ihn nicht einmal etwas kosten . 003586 000283 er konnte mir eine Straáens„ngerlizenz besorgen . 003587 000283 er brauchte nur den Oberbrgermeister anzurufen , oder ihn , wenn er in der Herren-Union mit ihm Skat spielte , darauf anzusprechen . 003588 000283 das muáte er fr mich tun . 003589 000283 dann konnte ich auf der Bahnhofstreppe sitzen und auf den Zug aus Rom warten . 003590 000283 wenn Marie es fertigbr„chte an mir vorberzugehen , ohne mich zu umarmen , blieb immer noch Selbstmord . 003591 000283 sp„ter . 003592 000283 ich z”gerte , an Selbstmord zu denken , aus einem Grund , der hochmtig erscheinen mag : ich wollte mich Marie erhalten . 003593 000283 sie konnte sich von Zpfner wieder trennen , dann waren wir in der idealen Besewitz-Situation , sie konnte meine Konkubine bleiben , weil sie kirchlich ja nie mehr von Zpfner geschieden werden konnte . 003594 000284 ich brauchte mich dann nur noch vom Fernsehen entdecken zu lassen , neuen Ruhm zu erwerben , und die Kirche wrde s„mtliche Augen zudrcken . 003595 000284 mich verlangte ja nicht danach , mit Marie kirchlich getraut zu werden , und sie brauchten nicht einmal ihre ausgeleierte Kanone Heinrich den Achten auf mich abzuschieáen . 003596 000284 ich fhlte mich besser . 003597 000284 das Knie schwoll ab , der Schmerz lieá nach , Kopfschmerz und Melancholie blieben , aber sie sind mir so vertraut wie der Gedanke an den Tod . 003598 000284 ein Knstler hat den Tod immer bei sich , wie ein guter Priester sein Brevier . 003599 000284 ich weiá sogar genau , wie es nach meinem Tod sein wird : die Schniergruft wird mir nicht erspart bleiben . 003600 000284 meine Mutter wird weinen und behaupten , sie sei die einzige gewesen , die mich je verstanden hat . 003601 000284 nach meinem Tod wird sie jedermann erz„hlen , " wie unser Hans wirklich war " . 003602 000284 bis zum heutigen Tag und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeiten hinein ist sie fest davon berzeugt , daá ich " sinnlich " und " geldgierig " bin . 003603 000284 sie wird sagen : " ja , unser Hans , der war begabt , nur leider sehr sinnlich und geldgierig - leider vollkommen undiszipliniert - aber so begabt , begabt " . 003604 000284 Sommerwild wird sagen : " unser guter Schnier , k”stlich , k”stlich - leider hatte er unausrottbare antiklerikale Ressentiments und keinerlei Gefhl fr Metaphysik " . 003605 000284 Blothert wird bereuen , daá er mit seiner Todesstrafe nicht frh genug durchgedrungen ist , um mich ”ffentlich hinrichten zu lassen . 003606 000284 fr Fredebeul werde ich " eine unersetzliche Type " sein , " ohne jede soziologische Konsequenz " . 003607 000284 Kinkel wird weinen , aufrichtig und heiá , er wird vollkommen erschttert sein , aber zu sp„t . 003608 000284 Monika Silvs wird schluchzen , als wenn sie meine Witwe w„re , und bereuen , daá sie nicht sofort zu mir gekommen ist und mir das Omlette gemacht hat . 003609 000285 Marie wird es einfach nicht glauben , daá ich tot bin - sie wird Zpfner verlassen , von Hotel zu Hotel fahren und nach mir fragen , vergebens . 003610 000285 mein Vater wird die Tragik voll auskosten , voller Reue darber sein , daá er mir nicht wenigstens ein paar Lappen heimlich auf den Garderobekasten legte , als er wegging . 003611 000285 Karl und Sabine werden weinen , hemmungslos , auf eine Weise , die allen Teilnehmern am Begr„bnis un„sthetisch vorkommen wird . 003612 000285 Sabine wird heimlich in Karls Manteltasche greifen , weil sie wieder ihr Taschentuch vergessen hat . 003613 000285 Edgar wird sich verpflichtet fhlen , die Tr„nen zu unterdrcken , und vielleicht nach der Beerdigung in unserem Park die Hundertmeterstrecke noch einmal abgehen , allein zum Friedhof zurckgehen und an der Ged„chtnisplakette fr Henriette einen groáen Strauá Rosen niederlegen . 003614 000285 auáer mir weiá keiner , daá er in sie verliebt war , keiner weiá , daá die gebndelten Briefe , die ich verbrannte , alle hinten als Absender nur E. W. trugen . 003615 000285 und ich werde ein weiteres Geheimnis mit ins Grab nehmen : daá ich Mutter einmal beobachtete , wie sie im Keller heimlich in ihre Vorratskammer ging , sich eine dicke Scheibe Schinken abschnitt und sie unten aá , stehend , mit den Fingern , hastig , es sah nicht einmal widerw„rtig aus , nur berraschend , und ich war eher gerhrt als entsetzt . 003616 000285 ich war in den Keller gegangen , um in der Kofferkammer nach alten Tennisb„llen zu suchen , verbotenerweise , und als ich ihre Schritte h”rte , knipste ich das Licht aus , ich sah , wie sie ein Glas eingemachtes Apfelmus aus dem Regal nahm , das Glas noch einmal absetzte , sah nur die Schneidebewegung ihrer Ellenbogen , und dann stopfte sie sich die zusammengerollte Scheibe Schinken in den Mund . 003617 000286 ich habs nie erz„hlt und werde es nie erz„hlen . 003618 000286 unter einer Marmorplatte in der Schniergruft wird mein Geheimnis ruhen . 003619 000286 merkwrdigerweise mag ich die , von deren Art ich bin : die Menschen . 003620 000286 wenn einer von meiner Art stirbt , bin ich traurig . 003621 000286 sogar am Grab meiner Mutter wrde ich weinen . 003622 000286 am Grab des alten Derkum konnte ich mich gar nicht fassen ; ich schaufelte immer mehr und mehr Erde auf das nackte Holz des Sarges und h”rte hinter mir jemanden flstern , das sei ungeh”rig - aber ich schaufelte weiter , bis Marie mir die Schppe aus der Hand nahm . 003623 000286 ich wollte nichts mehr sehen von dem Laden , dem Haus , wollte auch kein Andenken an ihn haben . 003624 000286 nichts . 003625 000286 Marie war nchtern , sie verkaufte den Laden und tat das Geld weg " fr unsere Kinder " . 003626 000286 ich konnte schon , ohne zu humpeln , in die Diele gehen , meine Guitarre holen . 003627 000286 ich kn”pfte die Hlle ab , schob im Wohnzimmer zwei Sessel gegeneinander , zog das Telefon zu mir hin , legte mich wieder und stimmte die Guitarre . 003628 000286 die wenigen T”ne taten mir wohl . 003629 000286 als ich anfing zu singen , fhlte ich mich fast wohl : f+ mater: amabilis: - mater: admirabilis: +f - das f+ ora: pro: nobis: +f intonierte ich auf der Guitarre . 003630 000286 die Sache gefiel mir . 003631 000286 mit der Guitarre in der Hand , den offenen Hut neben mir , mit meinem wahren Gesicht wrde ich auf den Zug aus Rom warten . 003632 000286 f+ mater: boni: consilii: +f . 003633 000286 Marie hatte mir doch gesagt , als ich mit dem Geld von Edgar Wieneken kam , daá wir uns nie , nie mehr trennen wrden : " bis daá der Tod uns scheidet " . 003634 000286 ich war noch nicht tot . 003635 000286 Frau Wieneken sagte immer : " wer singt , lebt noch " und : " wems schmeckt , der ist noch nicht verloren " . 003636 000286 ich sang und hatte Hunger . 003637 000286 am wenigsten konnte ich mir Marie seáhaft vorstellen : wir waren miteinander von Stadt zu Stadt , von Hotel zu Hotel gezogen , und wenn wir irgendwo ein paar Tage blieben , sagte sie immer : " die offenen Koffer starren mich an wie M„uler , die gestopft werden wollen " , und wir stopften den Koffern die M„uler , und wenn ich wo ein paar Wochen bleiben muáte , lief sie durch die St„dte wie durch ausgegrabene St„dte . 003638 000287 Kinos , Kirchen , unseri”se Zeitungen , Mensch-„rgere-dich-nicht . 003639 000287 wollte sie wirklich an dem groáen feierlichen Hochamt teilnehmen , wenn Zpfner zum Malteserritter geschlagen wurde , zwischen Kanzlern und Pr„sidenten , zu Hause mit eigener Hand die Wachsflecken aus dem Ordenshabit bgeln ? . 003640 000287 Geschmackssache , Marie , aber nicht dein Geschmack . 003641 000287 es ist besser , auf einen ungl„ubigen Clown zu vertrauen , der dich frh genug weckt , damit du pnktlich zur Messe kommst , der dir notfalls ein Taxi zur Kirche spendiert . 003642 000287 mein blaues Trikot brauchst du nie zu waschen . 003643 000288 24 . 003644 000288 als das Telefon klingelte , war ich einige Augenblicke verwirrt . 003645 000288 ich hatte mich ganz darauf konzentriert , die Wohnungsklingel nicht zu berh”ren und Leo die Tr zu ”ffnen . 003646 000288 ich legte die Guitarre aus der Hand , starrte auf den klingelnden Apparat , nahm den H”rer auf und sagte : " hallo " . 003647 000288 " Hans ? " sagte Leo . 003648 000288 " ja " , sagte ich , " sch”n , daá du kommst " . 003649 000288 er schwieg , hstelte , ich hatte seine Stimme nicht sofort erkannt . 003650 000288 er sagte : " ich habe das Geld fr dich " . 003651 000288 das: Geld klang seltsam . 003652 000288 Leo hat berhaupt seltsame Vorstellungen von Geld . 003653 000288 er ist fast vollkommen bedrfnislos , raucht nicht , trinkt nicht , liest keine Abendzeitungen und geht nur ins Kino , wenn mindestens fnf Personen , denen er vollkommen vertraut , ihm den Film als sehenswert empfohlen haben ; das geschieht alle zwei-drei Jahre . 003654 000288 er geht lieber zu Fuá als mit der Bahn zu fahren . 003655 000288 als er das: Geld sagte , sank meine Stimmung sofort wieder . 003656 000288 wenn er gesagt h„tte , etwas: Geld , so h„tte ich gewuát , daá es zwei bis drei Mark w„ren . 003657 000288 ich schluckte an meiner Angst und fragte heiser : " wieviel ? " . 003658 000288 - " oh " , sagte er , " sechs Mark und siebzig Pfennige " . 003659 000288 das war fr ihn eine Menge , ich glaube , fr das , was man pers”nliche Bedrfnisse nennt , langte das fr ihn auf zwei Jahre : hin und wieder eine Bahnsteigkarte , eine Rolle Pfefferminz , ein Groschen fr einen Bettler , er brauchte ja nicht einmal Streichh”lzer , und wenn er sich einmal eine Schachtel kaufte , um sie fr " Vorgesetzte " , denen er Feuer geben muáte , griffbereit zu haben , dann kam er ein Jahr damit aus , und selbst wenn er sie ein Jahr lang mit sich herumtrug , sah sie noch wie neu aus . 003660 000288 natrlich muáte er hin und wieder zum Friseur gehen , aber das nahm er sicher vom " Studienkonto " , das Vater ihm eingerichtet hatte . 003661 000288 frher hatte er manchmal Geld fr Konzertkarten ausgegeben , aber meistens hatte er von Mutter deren Freikarten bekommen . 003662 000288 reiche Leute bekommen ja viel mehr geschenkt als arme , und was sie kaufen mssen , bekommen sie meistens billiger , Mutter hatte einen ganzen Katalog vom Grossisten : ich h„tte ihr zugetraut , daá sie sogar Briefmarken billiger bekam . 003663 000288 sechs Mark siebzig - das war fr Leo eine respektable Summe . 003664 000288 fr mich auch , im Augenblick - aber er wuáte wahrscheinlich noch nicht , daá ich - wie wir es zu Hause nannten - " im Moment ohne Einnahmen " war . 003665 000288 ich sagte : " gut , Leo , vielen Dank - bring mir doch eine Schachtel Zigaretten mit , wenn du herkommst " . 003666 000288 ich h”rte ihn hsteln , keine Antwort , und fragte : " du h”rst mich doch ? . 003667 000288 wie ? " . 003668 000288 vielleicht war er gekr„nkt , daá ich mir gleich von seinem Geld Zigaretten mitbringen lieá . 003669 000288 " ja , ja " , sagte er , " nur ... " er stammelte , stotterte : " es f„llt mir schwer , es dir zu sagen - kommen kann ich nicht " . 003670 000288 " was ? " rief ich , " du kannst nicht kommen ? " . 003671 000288 " es ist ja schon viertel vor neun " , sagte er , " und ich muá um neun im Haus sein " . 003672 000288 " und wenn du zu sp„t kommst " , sagte ich , " wirst du dann exkommuniziert ? " . 003673 000288 " ach , laá das doch " , sagte er gekr„nkt . 003674 000288 " kannst du denn nicht um Urlaub oder so etwas bitten ? " . 003675 000288 " nicht um diese Zeit " , sagte er , " das h„tte ich mittags machen mssen " . 003676 000290 " und wenn du einfach zu sp„t kommst ? " . 003677 000290 " dann ist eine strenge f+ Adhortation +f f„llig ! " sagte er leise . 003678 000290 " das klingt nach Garten " , sagte ich , " wenn ich mich meines Lateins noch erinnere " . 003679 000290 er lachte ein biáchen . 003680 000290 " eher nach Gartenschere " , sagte er , " es ist ziemlich peinlich " . 003681 000290 " na gut " , sagte ich , " ich will dich nicht zwingen , dieses peinliche Verh”r auf dich zu nehmen , Leo - aber die Gegenwart eines Menschen wrde mir gut tun " . 003682 000290 " die Sache ist kompliziert " , sagte er , " du muát mich verstehen . 003683 000290 eine f+ Adhortation +f wrde ich noch auf mich nehmen , aber wenn ich diese Woche noch einmal zur f+ Adhortation +f muá , kommt es in die Papiere , und ich muá im f+ Scrutinium +f darber Rechenschaft geben " . 003684 000290 " wo ? " sagte ich , " bitte , sags langsam " . 003685 000290 er seufzte , knurrte ein biáchen und sagte ganz langsam : f+ " Scrutinium " +f . 003686 000290 " verdammt , Leo " , sagte ich , " das klingt ja , als wrden Insekten auseinandergenommen . 003687 000290 und ' in die Papiere ' - das ist ja wie in Annas I.: R.: 9 . 003688 000290 da kam auch alles sofort in die Papiere , wie bei Vorbestraften " . 003689 000290 " mein Gott , Hans " , sagte er , " wollen wir uns in den wenigen Minuten ber unser Erziehungssystem streiten ? " . 003690 000290 " wenns dir so peinlich ist , dann bitte nicht . 003691 000290 aber es gibt doch sicher Wege - ich meine Umwege , ber Mauern klettern oder etwas „hnliches , wie beim I.: R.: 9 . 003692 000290 ich meine , es gibt doch immer Lcken in so strengen Systemen " . 003693 000290 " ja " , sagte er , " die gibt es , wie beim Milit„r , aber ich verabscheue sie . 003694 000290 ich will meinen geraden Weg gehen " . 003695 000290 " kannst du nicht meinetwegen deinen Abscheu berwinden und einmal ber die Mauer steigen ? " . 003696 000290 er seufzte , und ich konnte mir vorstellen , wie er den Kopf schttelte . 003697 000291 " hats denn nicht Zeit bis morgen ? . 003698 000291 ich meine , ich kann die Vorlesung schw„nzen und gegen neun bei dir sein . 003699 000291 ist es so dringend ? . 003700 000291 oder f„hrst du gleich wieder los ? " . 003701 000291 " nein " , sagte ich , " ich bleibe eine Zeitlang in Bonn . 003702 000291 gib mir wenigstens Heinrich Behlens Adresse , ich m”chte ihn anrufen , und vielleicht kommt er noch rber , von K”ln , oder wo er jetzt sein mag . 003703 000291 ich bin n„mlich verletzt , am Knie , ohne Geld , ohne Engagement - und ohne Marie . 003704 000291 allerdings werde ich morgen auch noch verletzt , ohne Geld , ohne Engagement und ohne Marie sein - es ist also nicht dringend . 003705 000291 aber vielleicht ist Heinrich inzwischen Pastor , hat ein Moped , oder irgend etwas . 003706 000291 h”rst du noch ? " . 003707 000291 " ja " , sagte er matt . 003708 000291 " bitte " , sagte ich , " gib mir seine Adresse , seine Telefonnummer " . 003709 000291 er schwieg . 003710 000291 das Seufzen hatte er schon raus , wie jemand , der hundert Jahre lang im Beichtstuhl gesessen und ber die Snden und Torheiten der Menschheit geseufzt hat . 003711 000291 " na gut " , sagte er schlieálich , mit h”rbarer šberwindung , " du weiát also nicht ? " . 003712 000291 " was weiá ich nicht " , rief ich , " mein Gott , Leo , sprich doch deutlich " . 003713 000291 " Heinrich ist nicht mehr Priester " , sagte er leise . 003714 000291 " ich denke , das bleibt man , solange man atmet " . 003715 000291 " natrlich " , sagte er , " ich meine , er ist nicht mehr im Amt . 003716 000291 er ist weggegangen , seit Monaten spurlos verschwunden " . 003717 000291 er quetschte das alles mhsam aus sich heraus . 003718 000291 " na " , sagte ich , " er wird schon wieder auftauchen " , dann fiel mir etwas ein , und ich fragte : " ist er allein ? " . 003719 000291 " nein " , sagte Leo streng , " mit einem M„dchen weg " . 003720 000291 es klang , als h„tte er gesagt : " er hat die Pest auf dem Hals " . 003721 000292 mir tat das M„dchen leid . 003722 000292 sie war sicherlich katholisch , und es muáte peinlich fr sie sein , mit einem ehemaligen Priester jetzt irgendwo in einer Bude zu hocken und die Details des " fleischlichen Verlangens " zu erdulden , herumliegende W„sche , Unterhosen , Hosentr„ger , Unterteller mit Zigarettenresten , durchgerissene Kinobillets und beginnende Geldknappheit , und wenn das M„dchen die Treppe hinunterging , um Brot , Zigaretten oder eine Flasche Wein zu holen , machte eine keifende Wirtin die Tr auf , und sie konnte nicht einmal rufen : " mein Mann ist ein Knstler , ja , ein Knstler " . 003723 000292 mir taten sie beide leid , das M„dchen mehr als Heinrich . 003724 000292 die kirchlichen Beh”rden waren in einem solchen Fall , wenn es um einen nicht nur unansehnlichen , sogar schwierigen Kaplan ging , sicher streng . 003725 000292 bei einem Typ wie Sommerwild wrden sie wahrscheinlich s„mtliche Augen zudrcken . 003726 000292 er hatte ja auch keine Haush„lterin mit gelblicher Haut an den Beinen , sondern eine hbsche , blhende Person , die er Maddalena nannte , eine ausgezeichnete K”chin , immer gepflegt und heiter . 003727 000292 " na gut " , sagte ich , " dann f„llt er vorl„ufig fr mich aus " . 003728 000292 " mein Gott " , sagte Leo , " du hast aber eine kaltschn„uzige Art , das hinzunehmen " . 003729 000292 " ich bin weder Heinrichs Bischof noch ernsthaft an der Sache interessiert " , sagte ich , " nur die Details machen mir Kummer . 003730 000292 hast du denn wenigstens Edgars Adresse oder Telefonnummer ? " . 003731 000292 " du meinst Wieneken ? " . 003732 000292 " ja " , sagte ich . 003733 000292 " du erinnerst dich doch noch an Edgar ? . 003734 000292 in K”ln habt ihr euch doch bei uns getroffen , und zu Hause spielten wir doch immer bei Wienekens und aáen Kartoffelsalat " . 003735 000293 " ja , natrlich " , sagte er , " natrlich erinnere ich mich , aber Wieneken ist gar nicht im Lande , soviel ich weiá . 003736 000293 jemand hat mir erz„hlt , daá er eine Studienreise macht , mit irgendeiner Kommission , Indien oder Thailand , ich weiá nicht genau " . 003737 000293 " bist du sicher ? " fragte ich . 003738 000293 " ziemlich " , sagte er , " ja , jetzt erinnere ich mich , Heribert hats mir erz„hlt " . 003739 000293 " wer ? " schrie ich , " wer hats dir erz„hlt ? " . 003740 000293 er schwieg , ich h”rte ihn nicht einmal mehr seufzen , und ich wuáte jetzt , warum er nicht zu mir kommen wollte . 003741 000293 " wer ? " schrie ich noch einmal , aber er gab keine Antwort . 003742 000293 er hatte sich auch schon dieses Beichtstuhlhsteln angew”hnt , das ich manchmal geh”rt hatte , wenn ich in der Kirche auf Marie wartete . 003743 000293 " es ist besser " , sagte ich leise , " wenn du auch morgen nicht kommst . 003744 000293 es w„re schade um deine vers„umte Vorlesung . 003745 000293 sag mir nur noch , daá du auch Marie gesehen hast " . 003746 000293 offenbar hatte er wirklich nichts als Seufzen und Hsteln gelernt . 003747 000293 jetzt seufzte er wieder , tief , unglcklich , lange . 003748 000293 " du brauchst mir nicht zu antworten " , sagte ich , " grá mir nur den netten Kerl , mit dem ich heute zweimal bei euch telefoniert habe " . 003749 000293 " Strder ? " fragte er leise . 003750 000293 " ich weiá nicht , wie er heiát , aber er klang so nett am Telefon " . 003751 000293 " aber den nimmt doch keiner ernst " , sagte er , " der ist doch - ist doch sozusagen auf Gnadenbrot gesetzt " . 003752 000293 Leo brachte es tats„chlich fertig , eine Art Lachen zustandezubringen , " er schleicht sich nur manchmal ans Telefon und redet Unsinn " . 003753 000294 ich stand auf , blickte durch einen Spalt im Vorhang auf die Uhr unten auf dem Platz . 003754 000294 es war drei Minuten vor neun . 003755 000294 " du muát jetzt gehen " , sagte ich , " sonst bekommst dus doch in die Papiere . 003756 000294 und vers„um mir morgen deine Vorlesung nicht " . 003757 000294 " aber versteh mich doch " , flehte er . 003758 000294 " verflucht " , sagte ich , " ich versteh dich ja . 003759 000294 nur zu gut " . 003760 000294 " was bist du eigentlich fr ein Mensch ? " fragte er . 003761 000294 " ich bin ein Clown " , sagte ich , " und sammle Augenblicke . 003762 000294 tschs " . 003763 000294 ich legte auf . 003764 000295 25 . 003765 000295 ich hatte vergessen , ihn nach seinen Erlebnissen beim Milit„r zu fragen , aber vielleicht wrde sich irgendwann die Gelegenheit dazu ergeben . 003766 000295 sicher wrde er die " Verpflegung " loben - so gut hatte er zu Hause nie zu essen bekommen - , die Strapazen fr " erzieherisch „uáerst wertvoll " halten und die Berhrung mit dem Mann aus dem Volke fr " ungeheuer lehrreich " . 003767 000295 ich konnte mir sparen , ihn danach zu fragen . 003768 000295 er wrde diese Nacht in seinem Konviktsbett kein Auge zu tun , sich in Gewissensbissen hin und herw„lzen und sich fragen , ob es richtig gewesen war , nicht zu mir zu kommen . 003769 000295 ich hatte ihm soviel sagen wollen : daá es besser fr ihn w„re , in Sdamerika oder Moskau , irgendwo in der Welt , nur nicht in Bonn , Theologie zu studieren . 003770 000295 er muáte doch begreifen , daá fr das , was er seinen Glauben nannte , hier kein Platz war , zwischen Sommerwild und Blothert , in Bonn , war ein konvertierter Schnier , der sogar Priester wurde , ja fast geeignet , die B”rsenkurse zu festigen . 003771 000295 ich muáte einmal mit ihm ber alles reden , am besten , wenn zu Hause f+ jour: fixe: +f war . 003772 000295 wir beiden abtrnnigen S”hne wrden uns zu Anna in die Kche setzen , Kaffee trinken , alte Zeiten heraufbeschw”ren , glorreiche Zeiten , in denen in unserem Park noch mit Panzerf„usten gebt worden war und Wehrmachtsautos vor der Einfahrt hielten , als wir Einquartierung bekamen . 003773 000295 ein Offizier - Major , oder sowas - mit Feldwebeln und Soldaten , ein Auto mit Standarte , und sie alle hatten nichts anderes im Kopf als Spiegeleier , Kognak , Zigaretten und handgreifliche Scherze mit den M„dchen in der Kche . 003774 000296 manchmal wurden sie dienstlich , d.h. wichtigtuerisch : dann traten sie vor unserem Haus an , der Offizier warf sich in die Brust , steckte sogar seine Hand unter den Rock , wie ein Schmierenschauspieler , der einen Obristen spielt , und schrie etwas vom " Endsieg " . 003775 000296 peinlich , l„cherlich , sinnlos . 003776 000296 als dann herauskam , daá Frau Wieneken nachts heimlich mit ein paar Frauen duch den Wald gegangen war , durch die deutschen und amerikanischen Linien hindurch , um drben bei ihrem Bruder , der eine B„ckerei hatte , Brot zu holen , wurde die Wichtigtuerei lebensgef„hrlich . 003777 000296 der Offizier wollte Frau Wieneken und zwei andere Frauen wegen Spionage und Sabotage erschieáen lassen ( Frau Wieneken hatte bei einem Verh”r zugegeben , drben mit einem amerikanischen Soldaten gesprochen zu haben ) . 003778 000296 aber da wurde mein Vater - zum zweitenmal in seinem Leben , soweit ich mich erinnern kann - , energisch , holte die Frauen aus dem improvisierten Gef„ngnis , unserer Bgelkammer , heraus und versteckte sie im Bootsschuppen unten am Ufer . 003779 000296 er wurde richtig tapfer , schrie den Offizier an , der schrie ihn an . 003780 000296 das L„cherlichste an dem Offizier waren seine Orden , die auf der Brust bebten vor Emp”rung , w„hrend meine Mutter mit ihrer sanften Stimme sagte : " meine Herren , meine Herren - es gibt schlieálich Grenzen " . 003781 000296 was ihr peinlich an der Sache war , war die Tatsache , daá zwei " Herren " sich anbrllten . 003782 000296 mein Vater sagte : " bevor diesen Frauen ein Leid geschieht , mssen Sie mich erschieáen - bitte " und er kn”pfte wirklich seinen Rock auf und hielt dem Offizier seine Brust hin , aber die Soldaten zogen dann ab , weil die Amerikaner schon auf den Rheinh”hen waren , und die Frauen konnten aus dem Bootsschuppen wieder raus . 003783 000297 das Peinlichste an diesem Major , oder was er war , waren seine Orden . 003784 000297 undekoriert h„tte er vielleicht noch die M”glichkeit gehabt , eine gewisse Wrde zu wahren . 003785 000297 wenn ich die miesen Spieáer bei Mutters f+ jour: fixe: +f mit ihren Orden herumstehen sehe , denke ich immer an diesen Offizier , und sogar Sommerwilds Orden kommt mir dann noch ertr„glich vor : f+ pro: Ecclesia: +f und irgend was . 003786 000297 Sommerwild tut immerhin fr seine Kirche Dauerhaftes : er h„lt seine " Knstler " bei der Stange und hat noch Geschmack genug , den Orden " an sich " fr peinlich zu halten . 003787 000297 er tr„gt ihn nur bei Prozessionen , feierlichen Gottesdiensten und Fernsehdiskussionen . 003788 000297 das Fernsehen bringt auch ihn um den Rest von Scham , den ich ihm zubilligen muá . 003789 000297 wenn unser Zeitalter einen Namen verdient , máte es Zeitalter der Prostitution heiáen . 003790 000297 die Leute gew”hnen sich ans Hurenvokabularium . 003791 000297 ich traf Sommerwild einmal nach einer solchen Diskussion ( " kann moderne Kunst religi”s sein ? " ) , und er fragte mich : " war ich gut ? . 003792 000297 fanden Sie mich gut ? " wortw”rtlich Fragen , wie sie Huren ihren abziehenden Freiern stellen . 003793 000297 es fehlte nur noch , daá er gesagt h„tte : " empfehlen Sie mich weiter " . 003794 000297 ich sagte ihm damals : " ich finde: Sie nicht gut , kann Sie also gestern nicht gut gefunden haben " . 003795 000297 er war vollkommen niedergeschlagen , obwohl ich meinen Eindruck von ihm noch sehr schonend ausgedrckt hatte . 003796 000297 er war abscheulich gewesen ; um ein paar billiger Bildungspointen willen hatte er seinen Gespr„chspartner , einen etwas hilflosen Sozialisten , " geschlachtet " oder " abgeschossen " , vielleicht auch nur " zur Sau gemacht " . 003797 000297 listig , indem er fragte : " so , Sie finden also den frhen Picasso abstrakt ? " brachte er den alten , grauhaarigen Mann , der etwas von Engagement murmelte , vor zehn Millionen Zuschauern um , indem er sagte : " ach , Sie meinen wohl sozialistische Kunst - oder gar sozialistischen Realismus ? " . 003798 000298 als ich ihn am anderen Morgen auf der Straáe traf und ihm sagte , ich h„tte ihn schlecht gefunden , war er wie vernichtet . 003799 000298 daá einer: von zehn Millionen ihn nicht gut gefunden hatte , traf seine Eitelkeit schwer , aber er wurde durch eine " wahre Welle des Lobes " in allen katholischen Zeitungen reichlich entsch„digt . 003800 000298 sie schrieben , er habe fr die " gute Sache " einen Sieg errungen . 003801 000298 ich steckte mir die drittletzte Zigarette an , nahm die Guitarre wieder hoch und klimperte ein biáchen vor mich hin . 003802 000298 ich dachte darber nach , was ich Leo alles erz„hlen , was ich ihn fragen wollte . 003803 000298 immer , wenn ich ernsthaft mit ihm reden muáte , machte er entweder Abitur oder hatte Angst vor einem f+ Scrutinium +f . 003804 000298 ich berlegte auch , ob ich wirklich die Lauretanische Litanei singen sollte ; besser nicht : es k”nnte einer auf die Idee kommen , mich fr einen Katholiken zu halten , sie wrden mich fr " einen der unsrigen " erkl„ren , und es k”nnte eine hbsche Propaganda fr sie draus werden , sie machen sich ja alles " dienstbar " , und das Ganze wrde miáverst„ndlich und verwirrend wirken , daá ich gar nicht katholisch war , nur die Lauretanische Litanei sch”n fand und Sympathie mit dem Judenm„dchen empfand , dem sie gewidmet war , sogar das wrde niemand verstehen , und durch irgendwelche Drehs wrden sie ein paar Millionen f+ katholons +f an mir entdecken , mich vors Fernsehen schleppen - und die Aktienkurse wrden noch mehr steigen . 003805 000298 ich muáte mir einen anderen Text suchen , schade , ich h„tte am liebsten wirklich die Lauretanische Litanei gesungen , aber auf der Bonner Bahnhofstreppe konnte das nur miáverst„ndlich sein . 003806 000299 schade . 003807 000299 ich hatte schon so nett gebt und konnte das f+ ora: pro: nobis: +f so hbsch auf der Guitarre intonieren . 003808 000299 ich stand auf , um mich fr den Auftritt fertig zu machen . 003809 000299 sicher wrde auch mein Agent Zohnerer mich " fallen lassen " , wenn ich anfing , auf der Straáe zur Guitarre Lieder zu singen . 003810 000299 h„tte ich wirklich Litaneien , f+ Tantum: ergo: +f und all die Texte gesungen , die ich so gern sang und in der Badewanne jahrelang gebt hatte , so w„re er vielleicht noch " eingestiegen " , das w„re eine gute Masche gewesen , ungef„hr so wie Madonnenmalerei . 003811 000299 ich glaubte ihm sogar , daá er mich wirklich gern hatte - die Kinder dieser Welt sind herzlicher als die Kinder des Lichts - , aber " gesch„ftlich " war ich fr ihn erledigt , wenn ich mich auf die Bonner Bahnhofstreppe setzte . 003812 000299 ich konnte wieder laufen , ohne merklich zu humpeln . 003813 000299 das machte die Apfelsinenkiste berflssig , ich brauchte mir nur unter den linken Arm ein Sofakissen , unter den rechten die Guitarre zu klemmen und zur Arbeit zu gehen . 003814 000299 zwei Zigaretten besaá ich noch , eine wrde ich noch rauchen , die letzte wrde in dem schwarzen Hut verlockend genug aussehen ; wenigstens eine Mnze daneben w„re gut gewesen . 003815 000299 ich suchte in meinen Hosentaschen , krempelte sie um ; ein paar Kinobillets , ein rotes Mensch-„rgere-dich-nicht-Pppchen , ein verschmutztes Papiertaschentuch , aber kein Geld . 003816 000299 ich riá in der Diele die Garderobenschublade auf : eine Kleiderbrste , eine Quittung der Bonner Kirchenzeitung , ein Bon fr eine Bierflasche , kein Geld . 003817 000299 ich whlte in der Kche s„mtliche Schubladen durch , rannte ins Schlafzimmer , suchte zwischen Kragenkn”pfen , Hemdenst„bchen , Manschettenkn”pfen , zwischen Socken und Taschentchern , in den Taschen der grnen Manchesterhose : nichts . 003818 000300 ich zog meine dunkle Hose runter , lieá sie auf dem Boden liegen wie eine abgestreifte Haut , warf das weiáe Hemd daneben und zog das hellblaue Trikot ber den Kopf : grasgrn und hellblau , ich klappte die Spiegeltr auf : groáartig , so gut hatte ich noch nie ausgesehen . 003819 000300 ich hatte die Schminke zu dick aufgetragen , ihr Fettgehalt war in den Jahren , die sie schon dort gelegen haben mochte , eingetrocknet , und nun sah ich im Spiegel , daá die Schminkschicht schon gesprungen war , Risse zeigte wie ein ausgegrabenes Denkmalsgesicht . 003820 000300 meine dunklen Haare wie eine Percke darber . 003821 000300 ich summte einen Text vor mich hin , der mir gerade einfiel : " der arme Papst Johannes , h”rt nicht die CDU: , er ist nicht Mllers Esel , er will nicht Mllers Kuh " . 003822 000300 das konnte fr den Anfang gehn , und das Zentralkomitee zur Bek„mpfung der Gottesl„sterung konnte an dem Text nichts auszusetzen haben . 003823 000300 ich wrde mich noch viele Strophen hinzudichten , das Ganze balladesk intonieren . 003824 000300 ich h„tte gern geweint : die Schminke hinderte mich , sie saá so gut , mit den Rissen , mit den Stellen , wo sie anfing abzubl„ttern , die Tr„nen h„tten das alles zerst”rt . 003825 000300 ich k”nnte sp„ter weinen , nach Feierabend , wenn mir noch danach zumute war . 003826 000300 der professionelle Habitus ist der beste Schutz , auf Leben und Tod zu treffen sind nur Heilige und Amateure . 003827 000300 ich trat vom Spiegel zurck , tiefer in mich hinein und zugleich weiter weg . 003828 000300 wenn Marie mich so sah und es dann ber sich brachte , ihm die Wachsflecken aus seiner Malteserritteruniform rauszubgeln - dann war sie tot , und wir waren geschieden . 003829 000300 dann konnte ich anfangen , an ihrem Grab zu trauern . 003830 000300 ich hoffte , sie wrden alle genug Kleingeld bei sich haben , wenn sie vorbeikamen : Leo etwas mehr als einen Groschen , Edgar Wieneken , wenn er aus Thailand zurckkam , vielleicht eine alte Goldmnze , und Groávater , wenn er aus Ischia kam - er wrde mir wenigstens einen Verrechnungsscheck ausschreiben . 003831 000301 ich hatte inzwischen gelernt , daraus Bargeld zu machen , meine Mutter wrde wahrscheinlich zwei bis fnf Pfennige fr angebracht halten , Monika Silvs wrde sich vielleicht zu mir herunterbeugen und mir einen Kuá geben , w„hrend Sommerwild Klinkel und Fredebeul , emp”rt ber meine Geschmacklosigkeit , nicht einmal eine Zigarette in meinen Hut werfen wrden . 003832 000301 zwischendurch , wenn fr Stunden kein Zug aus dem Sden zu erwarten war , wrde ich zu Sabine Edmonds hinausradeln und mein Sppchen essen . 003833 000301 vielleicht wrde Sommerwild Zpfner in Rom anrufen und ihm raten , schon in Godesberg auszusteigen . 003834 000301 dann wrde ich hinausradeln , mich vor die Villa mit abfallendem Garten am Hang setzen und mein Liedchen dort singen : sie sollte nur kommen , mich anschauen und tot oder lebendig sein . 003835 000301 der einzige , der mir leid tat , war mein Vater . 003836 000301 es war sehr nett von ihm gewesen , daá er die Frauen vor dem Erschieáen rettete , und es war nett gewesen , daá er mir die Hand auf die Schulter legte , und - ich sahs jetzt im Spiegel - so geschminkt wie ich war , glich ich ihm nicht nur , ich war ihm verblffend „hnlich , und ich verstand jetzt , wie heftig er Leos Konversion abgelehnt hatte . 003837 000301 mit Leo hatte ich kein Mitleid , er hatte ja seinen Glauben . 003838 000301 es war noch nicht halb zehn , als ich im Aufzug runterfuhr . 003839 000301 mir fiel der christliche Herr Kostert ein , der mir noch die Flasche Schnaps schuldete und die Differenz zwischen der Fahrkarte erster und zweiter Klasse . 003840 000301 ich wrde ihm eine unfrankierte Postkarte schreiben und an sein Gewissen pochen . 003841 000302 er muáte mir auch noch den Gep„ckschein schicken . 003842 000302 es war gut , daá mir meine Nachbarin , die hbsche Frau Grebsel , nicht begegnete . 003843 000302 ich h„tte ihr das alles erkl„ren mssen . 003844 000302 wenn sie mich auf der Treppe des Bahnhofs sitzen sah , brauchte ich nichts mehr zu erkl„ren . 003845 000302 mir fehlte nur das Brikett , meine Visitenkarte . 003846 000302 es war khl drauáen , M„rzabend , ich schlug den Rockkragen hoch , setzte den Hut auf , tastete nach meiner letzten Zigarette in der Tasche . 003847 000302 mir fiel die Kognakflasche ein , sie h„tte sehr dekorativ gewirkt , aber doch die Mildt„tigkeit behindert , es war eine teure Marke , am Korken erkennbar . 003848 000302 das Kissen unter den linken , die Guitarre unter den rechten Arm geklemmt , ging ich zum Bahnhof zurck . 003849 000302 auf dem Weg erst bemerkte ich Spuren der Zeit , die man hier die " n„rrische " nennt . 003850 000302 ein als Fidel Castro maskierter betrunkener Jugendlicher versuchte mich anzurempeln , ich wich ihm aus . 003851 000302 auf der Bahnhofstreppe wartete eine Gruppe von Matadoren und spanischen Donnas auf ein Taxi . 003852 000302 ich hatte vergessen , es war Karneval . 003853 000302 das paáte gut . 003854 000302 nirgendwo ist ein Professioneller besser versteckt als unter Amateuren . 003855 000302 ich legte mein Kissen auf die dritte Stufe von unten , setzte mich hin , nahm den Hut ab und legte die Zigarette hinein , nicht genau in die Mitte , nicht an den Rand , so , als w„re sie von oben geworfen worden , und fing an zu singen : " der arme Papst Johannes " , niemand achtete auf mich , das w„re auch nicht gut gewesen : nach einer , nach zwei , drei Stunden wrden sie schon anfangen , aufmerksam zu werden . 003856 000302 ich unterbrach mein Spiel , als ich drinnen die Stimme des Ansagers h”rte . 003857 000302 er meldete einen Zug aus Hamburg - und ich spielte weiter . 003858 000302 ich erschrak , als die erste Mnze in meinen Hut fiel : es war ein Groschen , er traf die Zigarette , verschob sie zu sehr an den Rand . 003859 000303 ich legte sie wieder richtig hin und sang weiter . 000000 000000 LBT : BERGENGRUEN, DAS TEMPELCHEN 000001 000005 v+ Werner Bergengrn +v . 000002 000005 u+ das Tempelchen +u . 000003 000005 u+ Erz„hlung +u . 000004 000005 d+ im Verlag der Arche Zrich Nymphenburger Verlagshandlung Mnchen +d . 000005 000007 das in Weiáruáland gelegene Gut Makarjewskoje geh”rte im vorigen Jahrhundert der Familie Makedonow , und nachdem sie in der m„nnlichen Linie ausgestorben war , kam es schlieálich durch Heirat an den Kollegienassessor Tschaikin . 000006 000007 die Groámutter seiner Frau war eine geborene Makedonowa . 000007 000007 diese Groámutter lebte in Petersburg und war die Witwe eines Oberstleutnants , der zuletzt an einer milit„rischen Erziehungsanstalt Kriegsgeschichte gelehrt hatte . 000008 000007 eines Sommers , schon nach der Jahrhundertwende , kam sie fr ein paar Wochen zu Besuch , um , wie sie sagte , noch einmal ihr Geburtshaus zu sehen und unter dem alten Dache zu schlafen . 000009 000008 sie war klein , zart und gebrechlich . 000010 000008 gern ging sie am Arm ihrer Enkelin durch den Park und erz„hlte von Vergangenem . 000011 000008 wie es bei alten Leuten zu sein pflegt , waren das oft Geschichten , die sie nicht zum ersten Male erz„hlte . 000012 000008 dann aber bekam Jelisaweta eine Erz„hlung zu h”ren , die ihr neu und berraschend war und sich ihr tiefer einpr„gte als alle anderen . 000013 000008 ja , nachdem sie selber bereits zu Jahren gekommen war und nachdem sich auf Grund der Umgestaltungen , die vom zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts an ber die ”stlichen L„nder hingingen , auch in ihrem Leben vieles ge„ndert hatte , hat sie diese Groámuttergeschichte im Sinn behalten und hat gemeint , in ihr ein stattliches Maá angedeuteter Aufschlsse und Erfahrungen niedergelegt zu finden , und vielleicht mehr , als die Groámutter selbst gewuát hatte . 000014 000008 manchmal gar wollte es ihr , - man m”chte annehmen : irrigerweise , - fast scheinen , als l„ge hier eine Art Schlssel zur Dechiffrierung des Lebens und der menschlichen Schicksale bereit . 000015 000008 doch war es auch der Enkelin nicht gegeben , diesen Gehalt zu erkennen und fr das eigene Dasein fruchtbar zu machen . 000016 000008 eines Vormittags , als die beiden am Tennisplatz vorberkamen , sagte die Groámutter : " bevor Onkel Kostja den Tennisplatz angelegt hat , war hier eine Art Wildnis . 000017 000008 die Wege waren verwachsen , und es stand da ein Lusth„uschen , so ein weiáes Tempelchen in der griechischen Manier . 000018 000009 kannst du dich daran noch erinnern ? " . 000019 000009 " erinnern nicht , Groámamachen " , antwortete die junge Frau , " ich habe nur geh”rt , daá es so etwas gegeben hat , und es lag auch bei meinen Eltern eine Zeichnung herum . 000020 000009 dann weiá ich noch , daá nachher umgebaut wurde , und an die Stelle des h”lzernen Lusth„uschens kam ein steinerner Pavillon . 000021 000009 an den erinnere ich mich noch genau " . 000022 000009 " ach , Kindchen , du sprichst von dieser Ver„nderung ! . 000023 000009 nun , als sie vorgenommen wurde , da war ich seit drei Jahren verheiratet , Onkel Fedjuscha war schon geboren , und ich erwartete Tante Katja , und Groápapa und ich waren zu Besuch hergekommen . 000024 000009 wir gingen im Park spazieren und sahen eine Weile zu , wie das Tempelchen abgebrochen wurde , das doch fr mich eine so groáe Bedeutung gehabt hatte . 000025 000009 wir setzten uns auf die Bank , und ich dachte , jetzt máte ich es dem Groápapa erz„hlen , jetzt sei der rechte und vielleicht gar der letzte Augenblick , und ich hatte auch den festen Vorsatz dazu . 000026 000009 diesen Vorsatz hatte ich brigens schon lange , n„mlich seit unserer Verlobung , aber seine Ausfhrung schob sich hinaus , weil ich frchtete , Groápapa wrde mich nicht so verstehen , wie ich es mir wnschte , und vielleicht wrde er sich nur „rgern und mich ausschelten . 000027 000010 jetzt auf der Bank jedoch wollte ich danach nicht mehr fragen , sondern ganz einfach den Mund auftun . 000028 000010 aber Groápapa interessierte sich so sehr fr die Bauarbeiten , das war ja bei ihm eine alte Passion , und alle Augenblicke sprang er auf , lief hin und sprach mit den Arbeitern , und einmal hat er einem ein Werkzeug aus der Hand genommen und ihm auseinandergesetzt , was er falsch machte , das war so seine Art . 000029 000010 so wurde aus dem Erz„hlen nichts , und als wir nachher wieder in unserer Garnison waren , da hatte jeder Tag sein Fllsel , und da fhlte ich , daá die Gelegenheit vorber war . 000030 000010 und doch sind auch sp„ter noch Augenblicke gewesen , in denen ich es ihm zu sagen dachte , aber es hat dann immer irgendein Hindernis gegeben . 000031 000010 vielleicht bin ich zum letzten Male in Makarjewskoje . 000032 000010 und jetzt , da nicht einmal der Pavillon mehr steht , von dem alten Tempelchen gar nicht zu reden , und da auáer mir niemand am Leben ist von uns allen , die wir damals hier zusammen waren , jetzt m”chte ich doch einmal aussprechen drfen , was ich so lange in mir bewahrt habe . 000033 000010 freilich , in den letzten Jahren hat es mich nicht mehr viel besch„ftigt , - so treulos ist die Seele ! - weder bedrckt noch beglckt , denn mit der Zeit blaát alles ab , und nur die frhen Kinderjahre , ja , die behalten ihre Unverwelklichkeit . 000034 000011 das wirst du ja geh”rt haben , Kindchen , daá Groápapa als junger Mann bei uns im Quartier war und daá wir uns hier kennen gelernt und verlobt haben . 000035 000011 damals stand er noch bei den Sappeuren , und er hatte die Aufgabe , die Brcke bei Gorodischtsche neu zu bauen , die von den Insurgenten gesprengt worden war . 000036 000011 das war , als der Aufstand schon zu Ende ging . 000037 000011 gelegentlich fielen wohl noch kleine Gefechte vor , aber wir in unserer Gegend , wir haben ja von der ganzen Sache berhaupt wenig gemerkt , eigentlich war die Brckensprengung das einzige gewesen . 000038 000011 hier war eben kein rechter Boden fr diese Geschichten , in unserem Kreise gab es damals nur zwei oder drei polnische Gutsbesitzer , die Bauern waren meistens Rechtgl„ubige , und katholische Leute fand man selten ; wie das jetzt ist , das wirst du besser wissen als ich . 000039 000011 Groápapa liebte die Polen nicht und sagte , sie seien Aufrhrer von Natur , aber ich bin immer gut mit ihnen ausgekommen . 000040 000011 Groápapa hatte so milit„rische Ansichten , weiát du , der Kaiser hier und der Kaiser dort , und niemand soll r„sonnieren . 000041 000011 nun , damals ist das so gewesen , heute denken viele anders , und manche auch schon allzusehr . 000042 000011 ich meine immer , auf das Herz des Menschen kommt es an , und nicht auf seine Sprache oder auf die Gedanken in seinem Kopf . 000043 000011 die Gedanken in seinem Kopf , die k”nnen falsch sein , das ist wie mit der Orthographie oder dem h”heren Rechnen , wo man sich auch sehr t„uschen kann . 000044 000012 aber in seinem Herzen hat der Mensch einen Punkt , da kann er nicht irren . 000045 000012 und an dem kann man ihn erkennen . 000046 000012 damals gab sich Groápapa schon viel Mhe um mich , und natrlich gefiel mir das . 000047 000012 aber ich sah ihn doch nicht sehr h„ufig , weil er immer bei der Brcke war . 000048 000012 ganz versessen war er auf diesen Bau ! . 000049 000012 der Sommer ging schon in den Herbst ber , es war naá und khl . 000050 000012 eines Morgens war ich ganz frh im Park herumgegangen und dann im Walde und dann wieder im Park . 000051 000012 ich hatte gemerkt , daá Groápapa richtige Absichten auf mich hatte , und auch meine Eltern hatten mir so etwas angedeutet , und da meinte ich , ich máte in der Einsamkeit und in der Natur mit mir zu Rate gehen , wahrscheinlich hatte ich irgendwo gelesen , daá man das so macht . 000052 000012 ich war noch sehr jung , jnger als heutzutage die M„dchen zu sein pflegen , um die man anh„lt . 000053 000012 du warst , glaube ich , zwanzig , nicht wahr ? . 000054 000012 mir scheint , ich bin an diesem Morgen nicht sehr weit gekommen mit meinen šberlegungen , ich war auch noch so kindisch , daá ich mich von jedem Eichh”rnchen ablenken lieá . 000055 000012 dann fand ich es an der Zeit , zum Frhstck ins Haus zu laufen , aber da ging pl”tzlich ein Schauer nieder , ich war gerade in der N„he des Tempelchens , und so wollte ich dort Schutz suchen . 000056 000013 du sagst ja , daá du ein Bild von ihm gesehen hast . 000057 000013 da weiát du , daá es im Gebsch versteckt lag und gerade so groá war , daá eine kleine Gesellschaft dort Tee trinken konnte ; der Pavillon ist stattlicher gewesen , aber damals ging alles noch bescheidener zu . 000058 000013 wir benutzten das Tempelchen selten , weil meine Mutter fand , es herrsche dort ein fauliger Geruch . 000059 000013 vielleicht war auch der Schwamm darin . 000060 000013 aber von auáen machte es sich doch hbsch mit seinem weiáen Anstrich mitten im Grnen , genau so , wie man sich das Altertum vorstellt . 000061 000013 also gut , ich gehe hinein . 000062 000013 ich kann dir sagen , ich bekam einen groáen Schrecken . 000063 000013 auf dem Boden lag ein Mensch , den ich noch nie gesehen hatte . 000064 000013 er hatte sich eingewickelt in die blaugelbe Tischdecke , und auf dem kahlen Tisch lag ein Bndel wie ein Lumpenkn„uel , und daneben eine Mtze , die schon jede Gestalt und Farbe verloren hatte . 000065 000013 unwillkrlich stieá ich einen Schrei aus . 000066 000013 der Fremde schien geschlafen zu haben , aber sofort war er munter wie einer , der weiá , daá er auch im Schlaf nicht alle seine Achtsamkeit auf die Seite tun darf . 000067 000013 nicht daá er aufgesprungen w„re , aber sein Kopf und sein Oberk”rper schnellten f”rmlich in die H”he , und zugleich griff er mit der rechten Hand sehr geschwind nach seiner rckw„rtigen Hosentasche , als wollte er eine Waffe hervorziehen ; diese Bewegung zeichnete sich deutlich unter der Decke ab . 000068 000014 aber inzwischen hatte er bemerkt , daá niemand eingetreten war als ein junges M„dchen , und so fhrte er seine Bewegung nicht zu Ende . 000069 000014 er l„chelte und lieá sich wieder zurcksinken , ohne aber seinen Blick von meinem Gesicht zu entfernen . 000070 000014 die Furcht verlieá mich . 000071 000014 ich war berrascht und unwillig . 000072 000014 ich fragte ihn , wer er sei und wie er hierherkomme . 000073 000014 ich muá dir jetzt erst beschreiben , wie er aussah . 000074 000014 es war ein junger Mensch . 000075 000014 das heiát , heute weiá ich , daá er jung war wie ein Spatz . 000076 000014 damals habe ich vielleicht mehr empfunden , daá er fast ein Jahrzehnt vor mir voraushaben mochte . 000077 000014 die schwarzen Haare waren ungek„mmt , er hatte einen schmutzigen Stoppelbart und ein bleiches Gesicht . 000078 000014 die Wangen waren hohl wie bei einem Hungernden oder einem Kranken . 000079 000014 als er sich aufrichtete , da wurde sichtbar , daá er keinen Rock trug , sondern nur ein fetzenhaftes Hemd . 000080 000014 ja , er sah abgerissen und verwahrlost aus , und doch war es unverkennbar , daá er nicht zu den Landstreichern geh”rte , sondern zu uns , und dann kam es mir auch zum Bewuátsein , daá ich ihn ja unwillkrlich ' Sie ' genannt hatte , schon bei der ersten Anrede . 000081 000014 ja , und gerade darum war seine Erscheinung ergreifend , weil Sch”nheit und Adel erst durch eine solche Verhllung von Schmutz und Verwahrlostheit hindurchleuchten muáten . 000082 000015 er war schlank und kr„ftig gewachsen , und er hatte sch”ne , geistvolle Augen , dunkelbraun und von sehr lebhaftem Ausdruck . 000083 000015 das alles habe ich natrlich nicht gleich im ersten Augenblick wahrgenommen , aber so in der Erz„hlung fasse ich es schon jetzt zusammen . 000084 000015 ' verzeihen Sie , ich bin nicht sehr pr„sentabel ' , sagte er l„chelnd und zog die zurckgeglittene Decke wieder hinauf , so daá seine schmutzigen , b„uerlichen Stiefel zu sehen waren . 000085 000015 sein L„cheln hatte eine solche Ungezwungenheit und Heiterkeit , daá man ihm augenblicks wohlgesinnt sein muáte ; auch etwas Sp”ttisches war dabei , weiát du , von der Art jenes Spottes , den der Sp”tter auch gegen sich selbst richten kann , das ist mir aber erst sp„ter bewuát geworden . 000086 000015 das Sp”ttische war auch mit Schwermut gemischt , das l„át sich kaum beschreiben . 000087 000015 jetzt tat es mir leid , daá ich ihn so unfreundlich gefragt hatte , aber er hat wohl richtig verstanden , daá das nur von meiner šberraschung kam . 000088 000015 und zugleich fiel es mir auf die Seele , wie elend er war und wie kalt er es gehabt haben muáte ; die Fenster des Tempelchens waren ja unverglast , wahrscheinlich hat es im Altertum noch kein Glas gegeben . 000089 000016 ' verzeihen Sie , mein Fr„ulein ' , fuhr er fort , ' ich bin in einer ungewissen Lage und auch nicht bei sehr guter Gesundheit . 000090 000016 ich habe die regnerische Nacht nicht drauáen verbringen m”gen . 000091 000016 da nahm ich mir die Freiheit , hier einzudringen . 000092 000016 ich hoffe , Sie finden das nicht unverzeihlich . 000093 000016 ich bin unterwegs ' . 000094 000016 ' wohin ? ' fragte ich . 000095 000016 und ich weiá noch , daá es mir Mhe machte , dies kleine Wort herauszubringen , in einen solchen Zustand war ich geraten . 000096 000016 er lieá die Frage unbeantwortet . 000097 000016 er wollte freilich etwas sagen , aber er hustete . 000098 000016 so viel Mhe er sich gab , es zu unterdrcken , es gelang ihm nicht . 000099 000016 ich faáte mir ein Herz und fragte geradezu , ob er von den Insurgenten sei . 000100 000016 er nickte . 000101 000016 ' wer Sie auch sind ' , sagte ich , ' ich werde Sie nicht verraten ' . 000102 000016 Kindchen , stelle dir das vor ! . 000103 000016 ist es nicht das , wovon alle jungen M„dchen tr„umen ? . 000104 000016 zu meiner Zeit jedenfalls taten sie das . 000105 000016 wir waren ja noch , m”chte man sagen , eine romantische Generation . 000106 000016 ' Sie k”nnen hier nicht bleiben ' , erkl„rte ich ihm . 000107 000016 ' wir haben Soldaten im Quartier . 000108 000016 das heiát , fr den Augenblick sind Sie hier im Tempelchen noch am sichersten , bei diesem Wetter wird niemand herkommen , das ist ungef„hrlicher , als wenn Sie versuchen wollten , sich durch den Park davonzuschleichen . 000109 000016 sicher haben Sie Hunger ? ' . 000110 000017 er nickte , und sein L„cheln war wieder sp”ttisch und schwermtig zugleich . 000111 000017 ' seit l„ngerem ' , antwortete er . 000112 000017 ' ich werde Ihnen nachher etwas bringen ' , sagte ich . 000113 000017 ' aber vielleicht mssen Sie noch ein wenig Geduld haben . 000114 000017 ich muá vorsichtig sein ' . 000115 000017 ' Sie sind ein Engel ' , erwiderte er . 000116 000017 , mein Schutzengel sind Sie ' . 000117 000017 dann erkundigte er sich , wo er sei , und aus seinen Fragen entnahm ich , daá er gar keinen Begriff von der Gegend hatte . 000118 000017 ich antwortete , in Makarjewskoje , beschrieb ihm die Lage und gab ihm Auskunft ber den Fluá , den Brckenbau und unsere Kreisstadt und nannte ihm auch meinen Namen . 000119 000017 daran muáte er merken , daá wir keine Polen waren , aber das hat er wohl schon vorher gewuát . 000120 000017 n„mlich zuerst hatte er polnisch gesprochen und dann franz”sisch , und als er wahrnahm , daá mir das Franz”sische nicht so gel„ufig war wie ihm , da war er zum Russischen bergegangen , aus H”flichkeit gegen mich . 000121 000017 sein Franz”sisch war aber nicht unser lumpiges Provinzfranz”sisch , nein , wie ein Genfer oder Pariser hat er gesprochen . 000122 000017 ich merke schon , es hat keinen Sinn , daá ich dir das alles mit solcher Ausfhrlichkeit erz„hle , und es ist ja auch nur , weil meine Erinnerung so innig dabei verweilen m”chte . 000123 000017 kurz , ich muáte ihn jetzt verlassen , hinbergehen und mich zu den andern an den Frhstckstisch setzen . 000124 000018 Groápapa war nicht dabei , der war schon l„ngst bei seiner Brcke , aber ich habe seine Abwesenheit kaum bemerkt . 000125 000018 es fiel mir nicht leicht , mich am Gespr„ch zu beteiligen , und ein paar Male habe ich konfuse Antworten gegeben ; da sah ich , wie meine Eltern l„chelten und einander zunickten und sich damit zu verstehen geben wollten , ich sei wohl in Gedanken an Groápapa befangen . 000126 000018 gut , sollten sie das nur denken ! . 000127 000018 ich aber konnte gar keine anderen Gedanken mehr haben , als wie ich ihn versorgen und ihm weiterhelfen k”nnte , und es kamen mir listige Einf„lle und lauter kleine Verschlagenheiten , die ich mir bisher in meinem einfachen und bersichtlichen Leben nie zugetraut h„tte . 000128 000018 pl”tzlich befiel mich auch eine brennende Neugier , seinen Namen zu erfahren . 000129 000018 ja , wahrhaftig , ich merkte , daá ich schon anfing , mir Namen fr ihn auszudenken . 000130 000018 sp„ter ging ich wieder ins Tempelchen , mit klopfendem Herzen . 000131 000018 unter meinem Mantel hatte ich ein schottisches Plaid untergebracht und eine Flasche mit heiáem Tee und ein Fl„schchen mit Schnaps und allerlei zum Essen , und es war nicht ganz einfach gewesen , das alles ohne Aufsehen zusammenzubekommen . 000132 000018 als ich eintrat , lag er nicht mehr , sondern saá am Tisch , und die blaugelbe Decke hatte er sich umgeh„ngt , das war wie in der Oper , irgend so ein Ritter oder Spanier oder auch Sarastro . 000133 000019 er bedankte sich feurig , er káte mir die Hand und nannte mich wieder seinen Schutzengel . 000134 000019 dann sagte er mit einer kleinen Verlegenheit , die viel Anmut hatte , ohne mich anzublicken und mit halblauter Stimme : ' ich bin sehr ausgehungert . 000135 000019 es ist mir nicht lieb , wenn Sie mir beim Essen zusehen ' . 000136 000019 ich ging hinaus und stellte mich ins tropfende Gebsch und sagte mir , so halte ich zugleich Wache fr ihn . 000137 000019 mich befiel die Neigung , ans Fenster zu schleichen und einen verstohlenen Lauerblick zu tun , aber ich mochte dieser Neigung doch nicht den Willen lassen , und so blieb ich drauáen und fuhr in meinen šberlegungen fort . 000138 000019 ich wuáte natrlich , daá auch in unserem Gouvernement der Kriegszustand verkndet worden war und daá Strafen darauf standen , wenn jemand geflchtete Insurgenten bei sich beherbergte . 000139 000019 ich hatte auch geh”rt , daá Gter konfisziert worden waren , nur weil sich ohne Wissen der Besitzer dort Flchtlinge aufgehalten hatten . 000140 000019 freilich hatte es sich da um polnische Gutsbesitzer gehandelt , und h„tte man denn auch mit uns so verfahren k”nnen ? . 000141 000019 einen Augenblick hatte ich wohl gedacht , mich meiner Mutter zu Fáen zu werfen und sie um Schutz und Hilfe fr meinen Polen zu bitten . 000142 000019 aber dann sagte ich mir , wenn etwas Unglckliches geschieht , dann ist es besser , die Eltern wissen von nichts und k”nnen sagen , das war eine Kinderei von unserer Tochter , und dann wrde man ihnen das nicht zu schlimm anrechnen , und mein Vater hatte doch bei der Garde gestanden und hatte seine Konnexionen von frher her . 000143 000020 und nur wenn er selber wissentlich gegen die Gesetze verstoáen h„tte , dann wrden ihm auch seine Verbindungen nicht viel helfen . 000144 000020 nein , es lag auf mir allein , und ich muáte es zu Ende fhren . 000145 000020 in das Tempelchen zurckgekehrt , fand ich den Insurgenten in besserer Verfassung . 000146 000020 er hatte sich ges„ttigt und schlrfte nun langsam den Tee , am Tische sitzend und in das Plaid gehllt . 000147 000020 ich wollte ihm vortragen , was ich ausgeheckt hatte , aber ich mochte das nicht zu geradwegig tun , und so fragte ich ihn , nachdem ich seine Dankesworte abgewehrt hatte , wie ich ihn anreden sollte . 000148 000020 ' nennen Sie mich Jerome ' , antwortete er rasch . 000149 000020 und dann setzte er z”gernd hinzu : ' ich habe keinen Namen mehr . 000150 000020 ich habe meinen Namen abgelegt , und ich werde ihn erst wieder an mich nehmen , wenn Polen frei ist ' . 000151 000020 diese letzten Worte waren in einem Ton der Hoffnungslosigkeit gesprochen , der mein Mitleid noch vermehrte . 000152 000020 mein Gott , dachte ich , wir haben L„nder genug , soll man doch diesen Polen geben , was sie sich so sehr wnschen , was kann das schon ausmachen ? . 000153 000021 ich sagte dir ja schon , ich war nicht so sehr fr das Patriotische , und es kann ja auch keine Bedeutung haben , sobald man einen Menschen vor sich hat , der in Not ist . 000154 000021 es war , als sei sein Vertrauen zu mir gewachsen , seit er mir die M”glichkeit gegeben hatte , ihn bei einem Namen zu nennen . 000155 000021 denn nun begann er , etwas von seinen Schicksalen zu erz„hlen . 000156 000021 er hatte eine Schuáwunde gehabt , und da hatten die anderen ihn zu den Bernhardinern gebracht , - er hat mir aber nicht gesagt , in welches Kloster , - und die haben ihn versteckt gehalten und gepflegt . 000157 000021 dann sollte das Kloster durchsucht werden , aber unmittelbar vorher haben sie eine Warnung bekommen , und da hat er fliehen k”nnen . 000158 000021 das war jetzt einige Wochen her , und seitdem war er unterwegs , ohne Obdach und ohne alles , was der Mensch n”tig hat , und in steter Gefahr . 000159 000021 ' nun , und die Bauern ' , sagte er , ' von denen habe ich nicht viel Gutes zu erwarten ; Sie wissen ja , wie die Beh”rden sie gegen uns aufgehetzt haben ' . 000160 000021 ich fragte nach seiner Wunde . 000161 000021 ' ach , die war schon so gut wie verheilt , ich dachte ohnehin an den Aufbruch , und nur , daá es so schnell gehen muáte , war schlimm . 000162 000021 ich konnte mich nur notdrftig anziehen und fast nichts zu mir stecken als ein Stck Brot ' . 000163 000022 jetzt kam ich mit der Frage heraus , die mich am st„rksten besch„ftigte , n„mlich was er weiter vorhabe und wohin er sich zu wenden denke . 000164 000022 er nannte mir keinen Ortsnamen ; er sagte nur , er habe Leute , auf die er sich verlassen k”nne , aber bis zu denen sei es weit , und die Russen h„tten mehr Wachsamkeit als frher . 000165 000022 ' Gott wird Sie behten ! ' rief ich aus . 000166 000022 ' ja , gewiá , und ich werde seine Mutter Ihretwegen anrufen . 000167 000022 und was ich fr Sie tun kann , das werde ich tun ' . 000168 000022 fr einen Augenblick streichelte er flchtig meinen Arm , sagte aber nichts . 000169 000022 ' h”ren Sie , was ich mir ausgedacht habe ' , fuhr ich fort . 000170 000022 ' Sie mssen heute den Tag ber hier im Tempelchen bleiben , es wird bestimmt niemand kommen . 000171 000022 und zur Nacht bringe ich Sie wo anders unter . 000172 000022 ich fhre Sie in eine Kammer bei der Brennerei , da ist es warm , und nach Feierabend ist kein Mensch in der N„he . 000173 000022 morgen frh fhre ich Sie dann hierher zurck ' . 000174 000022 ' morgen frh ? . 000175 000022 wo denken Sie hin ? . 000176 000022 ich muá sehen , daá ich noch heute bei Dunkelheit weiterkomme ' . 000177 000022 ' das ist nicht m”glich ! ' rief ich . 000178 000022 ' bei dem Zustande , in dem Sie sind , kann ich Sie doch nicht in die N„sse und Khle hinauslassen . 000179 000022 und wenn wir auch Milit„r im Quartier haben , Ihr Leben ist hier doch weniger gef„hrdet als in der Elendsfreiheit im Walde . 000180 000023 den Tod k”nnen Sie sich holen ' . 000181 000023 wie zur Bekr„ftigung meiner Worte berkam ihn ein Hustenanfall . 000182 000023 er unterdrckte ihn mhsam . 000183 000023 ' sehen Sie wohl ! ' sagte ich rasch , und dabei atmete ich auf , als h„tte ich nun bereits alles gewonnen . 000184 000023 ich dachte dabei aber nicht nur an ihn . 000185 000023 ich dachte auch an mich selbst und daran , wie ich denn den n„chsten Tag und alle folgenden Tage leben sollte , wenn er fort w„re . 000186 000023 mir wrde ja zumut sein , wie in einen ausgetrockneten tiefen Brunnen gefallen , dunkel , leer , ohne Laut . 000187 000023 noch einmal wurde er von einem heftigen Hustenanfall erfaát , sein ganzer K”rper schtterte , aber es war kein Ger„usch zu h”ren , und ich bewunderte seine Willenskraft . 000188 000023 er entschuldigte sich . 000189 000023 ' in der Kammer bei der Brennerei drfen Sie nicht husten ' , sagte ich , als sei alles brige schon abgemacht . 000190 000023 ' ebensowenig wie Licht machen . 000191 000023 sonst aber kann Ihnen dort nichts zustoáen . 000192 000023 ich werde Ihnen ein Fl„schchen Kirschlorbeerwasser bringen , zw”lf Tropfen gengen , dann schlucken Sie jeden Husten hinunter ' . 000193 000023 er str„ubte sich noch ein wenig , aber schlieálich gab er nach . 000194 000023 vielleicht h„tte er gleich nachgegeben , wenn ich ihm einen Spiegel h„tte zeigen k”nnen ; wahrscheinlich wuáte er gar nicht , wie erb„rmlich er aussah . 000195 000024 wir trafen nun die n”tigen Verabredungen . 000196 000024 am Abend , schon bei g„nzlicher Dunkelheit , geleitete ich ihn zur Brennerei . 000197 000024 die Soldaten kannten mich . 000198 000024 ich nahm an , sie wrden auch meine Stimme kennen . 000199 000024 als wir die N„he des Postens passierten , sang ich laut , und wir wurden nicht angehalten . 000200 000024 heute ist ja auch die Brennerei umgebaut . 000201 000024 berhaupt , seit Onkel Kostja mit seiner groáen Tatkraft oder auch mit seiner groáen Unruhe hier gewirtschaftet hat , ist vieles anders geworden , und manchmal habe ich Mhe , mein altes Makarjewskoje wiederzuerkennen . 000202 000024 damals hatte die Brennerei einen Anbau nach der Seite des Obstgartens hin , mit ein paar Zimmern , in denen sich nur tagsber jemand aufhielt , und auch das nicht immer . 000203 000024 es wurden da irgendwelche Akten verwahrt , Rechnungspapiere , was weiá ich , und es gab in der Kammer auch einen Diwan , so groá , wie damals diese M”belstcke waren , auch zum Schlafen geeignet , und auf dem sollte Jerome liegen . 000204 000024 ich konnte ihn nur hinbringen , dann muáte ich gleich wieder hinber , denn bei uns war es so , daá abends alle beisammen sitzen muáten . 000205 000024 Groápapa hatte sich entschuldigt , er hatte noch schriftliche Arbeiten zu erledigen . 000206 000025 ich hatte etwas zu n„hen , und ich konnte es kaum ertragen , daá dieser Abend hingehen sollte wie jeder andere Abend . 000207 000025 mein Vater rauchte seine Pfeife und las Zeitungen , und Mama legte ihre Patience und murmelte mitunter vor sich hin , wo denn die Coeur-Zwei geblieben sei , sie habe sie doch vorhin noch in der Hand gehabt , und Tasso , Papas Lieblingshund , lag auf dem Teppich und schnaufte im Traum . 000208 000025 und ich saá dabei in all meiner Aufregung und muáte mir ein allt„gliches Ansehen geben . 000209 000025 glaube mir , Kindchen , es ist herrlich , ein wichtiges und gef„hrliches Geheimnis zu haben in einem Alter , in dem man eigentlich noch keine Geheimnisse bewahren kann ! . 000210 000025 das ist , als wrde man in die Luft gehoben , zw”lf Ellen ber alle andern und ber sich selbst ! . 000211 000025 man kommt sich vor wie eine Zarentochter im M„rchen , unscheinbar gekleidet und von niemandem erkannt , und doch weiá sie , ich bin mehr als alle diese Leute um mich her , ich máte mich nur offenbaren , dann wrden sie Augen machen ! . 000212 000025 vielleicht wrden sie alle zu Boden fallen und einem den Rocksaum kssen , vielleicht wrden sie einen auch t”ten , aber in jedem Falle stnde man da wie in einem Glorienlicht . 000213 000025 dies Glorienlicht ist eine berm„chtige Versuchung , aber man darf ihr nicht nachgeben , und davon kommt dies berauschende Kraftgefhl . 000214 000026 nur spielen darf man mit dem Gedanken der strahlenden Helligkeit , aber wenn man versuchen m”chte , sie wirklich zu kosten , dann ist auch schon alles zu Ende . 000215 000026 am n„chsten Morgen holte ich ihn ab , und am Abend brachte ich ihn wieder in die Brennerei . 000216 000026 wenn ich dir sage , das ist drei Tage hindurch so gegangen , dann habe ich damit noch gar nichts gesagt . 000217 000026 wenn man jung ist , dann ist ja die Zeit ausgedehnt ; erst wenn man alt ist , fliegt sie davon wie mit acht Pferden und hat fr nichts mehr Raum . 000218 000026 damals aber war es wie Wochen , Monate , Jahre - das Herz fragt ja nicht nach der Uhr und nicht nach dem Kalender . 000219 000026 h„tte das nun nicht immer so fortgehen k”nnen ? . 000220 000026 ja , h„tte es nicht eigentlich so fortgehen mssen ? . 000221 000026 ich versuchte , ihm die Meinung aufzun”tigen , er sei doch noch zu geschw„cht zum Weitermarsch , noch einige Tage , noch zwei , einen einzigen nur - . 000222 000026 er l„chelte , wenn ich so redete . 000223 000026 und einmal unterbrach er mich mit der Frage , ob ich ihm nicht eine Landkarte beschaffen k”nnte . 000224 000026 ' meine Dankesschuld ist schon so riesengroá wie der Ozean ' , fgte er bei . 000225 000026 ' so haben Sie mich dreist gemacht und nun bitte ich Sie ungeniert , Sie m”chten noch ein Fláchen dazu str”men lassen , eins und noch eins ' . 000226 000027 sp„ter hat es mir wie ein Wunder vorkommen wollen , daá es mir gelungen ist , ihn drei Tage lang verborgen zu halten , und daá alles gut gegangen ist . 000227 000027 vielleicht hatte ich Glck . 000228 000027 aber ich muá auch schon sagen , daá ich all meinen Verstand und all mein biáchen Schlauheit zusammengenommen habe , und vielleicht hat es in meinem ganzen Leben nie wieder eine Zeit gegeben , wo ich in einer solchen strengen Zusammengefaátheit aller Kr„fte gelebt habe wie damals . 000229 000027 ich war wie im Fieber , wie in der Betrunkenheit , wie in der Verzauberung , und dabei doch von einer hellsichtigen Besonnenheit . 000230 000027 manchmal war es auch ein traumhaftes Gefhl , immer inmitten der Gefahr , und ich kam mir vor wie jemand aus Tausendundeiner Nacht : der muáte barfuá einen Abgrund berschreiten , jenseits dessen das Paradies lag , und die Brcke bestand nur aus einem bloáen Schwert , dessen Schneide nach oben gekehrt war . 000231 000027 ich erwog jede M”glichkeit , jeden Schatten einer Bedrohung . 000232 000027 ich habe mich selbst darber gewundert , welche Kraft der Verstellung ein M„dchen berkommt , wenn es - ja , soll ich wirklich sagen : wenn es liebt ? . 000233 000027 nun , ob man meinen Zustand nun Liebe nennen oder ihn mit irgendeinem neumodischeren Ausdruck bezeichnen will , so mit irgendetwas aus der Psychologie , in jedem Falle hatte Jerome sich alle meine Gedanken untertan gemacht . 000234 000028 ich muáte sehr vorsichtig sein , bei allem , das ich ihm brachte . 000235 000028 was h„tte ich denn sagen sollen , wenn ich ertappt worden w„re ? . 000236 000028 und wie oft habe ich mich in diesen Tagen zu ihm geschlichen , denn bei jedem einzelnen Male konnte ich ihm doch nur soviel hintragen , wie sich bequem unter dem Mantel verbergen lieá . 000237 000028 ich habe ihm auch Bcher gebracht , damit er sich nicht langweilte und nicht immer gezwungen war , an seine Verschw”rungen und Staatsverfassungen zu denken . 000238 000028 wir hatten ja genug franz”sische Bcher , auch solche , die fr mich zu schwierig waren . 000239 000028 es fiel mir jedesmal schwer , mich von ihm zu trennen , ob es nun im Tempelchen war oder in der Kammer , und einige Male hat er mich ans Fortgehen erinnern mssen und hat gesagt , ich k”nnte in der Familie vermiát werden . 000240 000028 es war immer nur eine kurze Zeit , daá ich bei ihm sein konnte , ich hatte ihm so tausend Dinge erz„hlen wollen , und dann fiel mir doch nichts Gescheites ein . 000241 000028 und er ? . 000242 000028 ja , er hatte wohl eine bezaubernde Art , zu sprechen , aber eigentlich hat er mir doch von sich selber fast nichts erz„hlt , das er nicht schon an jenem ersten Morgen ausgesprochen h„tte , auáer daá er auf ausl„ndischen Universit„ten gewesen war und Glucksche Opern liebte . 000243 000028 ja , und dann hat er einmal auch noch gesagt , mit der englischen Kche habe er sich nicht befreunden k”nnen . 000244 000029 es war so vieles , an das ich zu denken hatte . 000245 000029 zum Beispiel an Bijou . 000246 000029 das war ein drolliger junger Pudel , der sehr an mich gew”hnt war und mich meistens zu begleiten pflegte . 000247 000029 ja , er rannte herzu , sobald ich nur Miene machte , das Haus zu verlassen . 000248 000029 ich war ihm sehr gut , aber er hatte die Unart , daá er alle Augenblicke kl„ffen muáte , und mein Vater sagte manchmal , das sei , als habe man mir eine Glocke um den Hals geh„ngt , so wisse man immer , wo ich sei . 000249 000029 du kannst dir denken , was das nun fr Schwierigkeiten mit sich brachte ! . 000250 000029 und es durfte doch niemand merken , daá ich pl”tzlich nicht mehr von Bijou begleitet werden wollte , denn wie h„tte ich das erkl„ren sollen ? . 000251 000029 dann muáte ich auch sehr achtgeben , daá nicht irgendeine dumme Kleinigkeit in der Kammer zurckblieb , und sei es auch nur ein Papierfetzchen . 000252 000029 ich weiá noch genau , wie besorgt ich war , als Jerome am zweiten Morgen ein wenig Kirschlorbeerwasser verschttet hatte und nun der bittere , aromatische Geruch in der Luft h„ngen blieb . 000253 000029 und dann hatte ich mir auch zur Gewohnheit gemacht , jeden Gang , den wir miteinander getan hatten , hinterher allein zu wiederholen , um die Spuren zu zertreten , die Jeromes Stiefel in dem aufgeweichten Boden hinterlassen hatten . 000254 000029 heute kommt mir ja vor , als sei das etwas bertrieben gewesen . 000255 000030 denn daá Fuáspuren eine solche Wichtigkeit haben , das ist doch nur in den Kriminalromanen . 000256 000030 es half alles nichts , die Zeit lieá sich nicht festhalten , Jerome muáte fort . 000257 000030 er wollte mir seine Ungeduld nicht zeigen , aber ich sprte sie . 000258 000030 er war gut ausgeruht , und auch der Husten schien ihn nicht mehr zu plagen . 000259 000030 er war ja noch in dem Alter , wo die Kr„fte sich geschwind erneuern . 000260 000030 an seinen Fragen merkte ich , wie sehr ihn die einzuschlagende Richtung besch„ftigte . 000261 000030 Kindchen , hier muá ich mich etwas anklagen . 000262 000030 n„mlich , so fest ich entschlossen war , ihm zu helfen und so sehr ich hierin meine eigentliche Lebensaufgabe zu sehen meinte , - ich frchtete mich doch schrecklich davor , er k”nnte fr seine Flucht von mir ein Pferd verlangen . 000263 000030 das h„tte mich in groáe Schwierigkeiten gestrzt , und ich konnte mir nicht vorstellen , wie ich mit ihnen fertig werden sollte , und so bat ich Gott , er m”ge es doch einrichten , daá Jerome kein Pferd von mir verlangte . 000264 000030 aber er sagte bald von selbst , ein Pferd wrde ihn zwar schneller vom Fleck , zugleich aber sicherer ins Verderben bringen , und in den W„ldern verstecke sich ein Fuág„nger am leichtesten . 000265 000030 da fiel mir ein Stein von der Seele , und zugleich habe ich mich gesch„mt wie eine Treulose . 000266 000030 ja , wenn es damals schon Fahrr„der gegeben h„tte , das w„re das Richtige gewesen ! . 000267 000030 aber vielleicht auch nicht , denn Jerome konnte sich ja nicht an die Landstraáen halten , und auf den feuchten Waldwegen w„re es ein schlechtes Vorw„rtskommen gewesen . 000268 000031 und ich meine ja auch nur , weil doch ein paar Fahrr„der , um die sich keiner mehr kmmert , heute in jedem gr”áeren Haushalt herumliegen , da h„tte es mir keine Mhe gemacht , eins fr ihn auf die Seite zu schaffen , und vermutlich w„re das erst viele Monate sp„ter bemerkt worden oder auch nie . 000269 000031 ' werden Sie mir irgendeine Botschaft schicken k”nnen , daá Sie glcklich durchgekommen sind ? ' fragte ich . 000270 000031 ' mir schreiben ? ' . 000271 000031 er l„chelte wieder , sp”ttisch , nachsichtig und schwermtig . 000272 000031 ' mein liebes Fr„ulein ' , sagte er , ' ich bin kein ganz ungef„hrlicher Korrespondent . 000273 000031 aber wenn sich , m”glicherweise erst viel sp„ter , einmal eine Gelegenheit bieten sollte , daá ich Ihnen eine Nachricht geben k”nnte , ohne Sie zu gef„hrden oder bloázustellen , dann wrde ich das natrlich mit Freuden tun ' . 000274 000031 wie h„tte das geschehen sollen ? . 000275 000031 ich merkte mit Bekmmernis , daá er das nur zu meiner Beschwichtigung sagte . 000276 000031 ich hatte Jerome eine Landkarte aus Papas Arbeitszimmer gebracht , der arme Papa hat nachher lange gesucht , ich habe ihm suchen geholfen , und ich konnte ihm doch nicht sagen , was aus ihr geworden war . 000277 000032 Jerome entschied sich zuletzt dafr , den Weg durch die Smpfe von Stary Dwor zu nehmen . 000278 000032 du weiát ja , daá Onkel Kostja nichts so lassen konnte , wie es war - immer bauen und drainieren und meliorieren und was weiá ich alles ! . 000279 000032 so ist das Sumpfgebiet heute nicht mehr so groá wie in meiner Jugend , und da ist auch kein solcher Urwald mehr , freilich sind auch die Bekassinen seltener geworden . 000280 000032 die heutige Kreisstraáe gab es noch nicht , durch die Smpfe fhrten ein paar Knppelwege , aber wer die nicht kannte , der verirrte sich leicht , besonders im Dunkeln , und es war ja klar , daá Jeromes Aufbruch in der Dunkelheit sein muáte . 000281 000032 darum bot ich ihm an , ich wollte ihn fhren , wenigstens bis auf die H”he von Onissimowitschi , von da an konnte er nicht mehr fehlen , und wenigstens der Sumpf war dann keine Gefahr mehr . 000282 000032 ich brachte ihm einen alten Halbpelz von Papa , den dieser doch nicht mehr trug , und W„sche und Lebensmittel und alles Geld , das ich besaá , in das Tempelchen , und von hier aus sind wir dann aufgebrochen , in den Wald und in den Sumpf . 000283 000032 an diesem letzten Abend hatte ich mich gleich zurckgezogen und hatte gesagt , ich h„tte Kopfschmerzen , und Mama hatte mich auch gehen lassen , nur ein Pulver muáte ich noch unter ihren Augen schlucken . 000284 000033 ich schloá mich in meinem Zimmer ein , und ein wenig sp„ter bin ich aus dem Fenster gestiegen . 000285 000033 als wir den Park verlieáen , da sahen wir von weitem eine Patrouille , das heiát , wir sahen nicht sie , sondern bloá die Stallaternen , die sie bei sich hatten . 000286 000033 das war eigentlich dumm , denn mit diesem Lichtschein warnten sie doch jeden , der nicht mit ihnen zusammentreffen wollte . 000287 000033 aber wahrscheinlich wuáten sie das selbst und machten den Rundgang nur , weil er ihnen einmal vorgeschrieben war . 000288 000033 dann kamen wir in den Wald . 000289 000033 es regnete nicht mehr , und auch der Nebel hatte sich verzogen , und dazwischen blitzten die Sterne durch die Baumkronen . 000290 000033 jeder Stern , jeder Vogelruf schien mir Bedeutung zu haben und jedes Rascheln und Knacken mir zu gelten . 000291 000033 wir sprachen wenig , aber das Herz war mir so voll , und wie wir da nebeneinander durch die Dunkelheit wanderten , da kam es mir vor , als wrde und drfe dieser n„chtliche Gang in alle Ewigkeit kein Ende nehmen . 000292 000033 ich besaá eine kleine geweihte Silbermedaille , die ich bei meinem Taufkreuzchen um den Hals trug . 000293 000033 auf der einen Seite war die Gottesmutter mit dem Kinde , auf der andern der heilige Wundert„ter Nikolai . 000294 000034 ich hatte sie am Nachmittag von dem Kettchen abgel”st und sie auf eine Schnur gezogen und hatte sie jetzt in der Manteltasche . 000295 000034 wir waren an die Stelle gekommen , wo ich umzukehren gedachte . 000296 000034 von hier fhrte ein Weg schnurstracks zu einem Platz , wo mein Vater im Winter das Reh- und Schwarzwild fttern lieá . 000297 000034 es war eine Htte dabei mit Heuvorr„ten und dergleichen , und die Tr war mit einem Holzpflock verschlossen , damit das Wild nicht von selber darangehen konnte . 000298 000034 dort sollte Jerome bernachten , und beim Morgengrauen wollte er seinen Weg fortsetzen . 000299 000034 wir blieben stehen , und nun kam die Verzweiflung ber mich . 000300 000034 alles was sonst zu meinem Leben geh”rte , das hatte mit einem Schlage seine Wirklichkeit und seinen Anspruch verloren . 000301 000034 ich wuáte und fhlte nur noch das eine , daá ich mich nicht von ihm trennen konnte und daá wir zueinander geh”ren muáten . 000302 000034 ich fing an , in ihn zu dringen . 000303 000034 ich weiá nicht , was ich ihm alles gesagt habe , es mag verworren genug gewesen sein . 000304 000034 er sollte mich mitnehmen , ich wollte alles fr ihn tun , ihn pflegen und fr ihn sorgen und ihm dienen . 000305 000034 er sollte hier warten , ich wollte nur noch ein paar Sachen von Hause holen , ja , und auch ein Pferd wrde ich holen , denn jetzt hatte ich alle Bedenken hinter mich geworfen , und ich hatte auch ganz vergessen , daá er mir doch auseinandergesetzt hatte , wie ein Pferd eher Gefahr bringen werde als Nutzen . 000306 000035 Jerome h”rte mir zu , ohne mich zu unterbrechen , und streichelte nur ein wenig meinen Arm . 000307 000035 ' das w„re ein schlechter Dank fr alle Ihre Gte ' , sagte er dann , ' wenn ich meinem Herzen folgen und Sie mit mir in Elend und in Gefahren verschleppen wollte ' . 000308 000035 ja , das hat er gesagt , ' meinem Herzen folgen ' , und dafr bin ich ihm dankbar gewesen , und selbst wenn das gelogen war und er nur an sich selbst dabei dachte und keine Fessel am Bein haben wollte , - diese drei Worte sind mir doch ein Trost gewesen , und in den folgenden Tagen habe ich sie mir unz„hlbare Male wiederholt . 000309 000035 ' wir mssen jetzt Abschied nehmen ' , sagte er . 000310 000035 ich konnte nicht sprechen . 000311 000035 ich zog die Medaille heraus , h„ngte sie ihm um den Hals und bekreuzte ihn . 000312 000035 und jetzt will ich dir auch gleich erz„hlen , was weiter mit dieser Medaille gewesen ist . 000313 000035 aber nein , ich will doch lieber bei der Reihenfolge bleiben . 000314 000035 er dankte mir noch einmal , er káte mir beide H„nde , und dann schloá er mich in die Arme und káte mich auf den Mund . 000315 000035 das war nur eine Sekunde , nur eine flchtige Lippenberhrung war es . 000316 000035 ich dachte , daá ich von dieser Sekundenberhrung ein ganzes Leben lang wrde zehren mssen , aber in diesem Augenblick glaubte ich , daá ich die Kraft dazu haben wrde . 000317 000036 dann war auch schon alles vorbei , und Jerome war im Dunkel verschwunden . 000318 000036 einmal habe ich ihn noch husten h”ren , aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet . 000319 000036 ich meinte sogar , mit diesem lauten Husten zeigte er , vielleicht ohne Absicht , mir an , daá er jetzt in seine wilde Freiheit zurckgekehrt war und es nicht mehr n”tig hatte , sich Zwang und Rcksichten aufzuerlegen . 000320 000036 als ich wieder zu Hause und an manchen Gefahren vorbei in mein Zimmer gekommen war , da lag ich lange wach in Elend , aber auch in Erhobenheit . 000321 000036 zuletzt bin ich dann doch eingeschlafen , denn ein biáchen schl„ft der Mensch immer , auch wenn er noch so verzweifelt ist , alles andere ist Unsinn oder Schwindel . 000322 000036 am n„chsten Morgen , noch vor dem Frhstck , lieá mein Vater mich in sein Arbeitszimmer rufen . 000323 000036 ich glaubte , alles sei entdeckt und nun máten sich frchterliche Dinge ereignen . 000324 000036 ich bekreuzte mich , ehe ich hinberging , und die Knie haben mir gewankt . 000325 000036 Papa saá an seinem Schreibtisch und Mama auf dem kleinen Sofa zwischen den Fenstern , und beide sahen sie ernst und feierlich aus , und Mama hatte ihr Taschentuch in der Hand . 000326 000036 Papa r„usperte sich zuerst , und darauf fing er an zu reden , und bald hatte ich verstanden , daá Groápapa um mich angehalten hatte . 000327 000037 Papa sagte dann noch allerlei , n”tigen wolle er mich nicht , aber Mama und er h„tten sich entschlossen , mir zuzureden . 000328 000037 ' das ist ein ordentlicher Mensch , er trinkt nicht und spielt nicht , immer hinter den Bchern her , Mathematik und Fortifikationswesen und solche Wissenschaften ' , und dann fiel Mama ein , schluchzte ein wenig und meinte , er k”nnte es weit bringen , und sicher k„me er noch in den Generalstab . 000329 000037 Entt„uschungen wie manche andere Frauen wrde ich bei ihm nicht erleben , und ganz unbemittelt sei er ja auch nicht . 000330 000037 dann sahen sie mich erwartungsvoll an . 000331 000037 was sollte ich sagen ? . 000332 000037 ich fand ja auch , daá er ein ehrenhafter und guter Mensch war , und mein Herz war so zerrissen , daá ich mir irgendjemanden oder irgendetwas zum Trost gewnscht habe , und da habe ich denn Ja gesagt . 000333 000037 sie haben mich dann umarmt und beglckwnscht und waren gerhrt , und mittags , wenn Groápapa von der Brcke zurckkam , sollte es festlich zugehen . 000334 000037 einstweilen sagte ich , ich wollte ein wenig allein sein , und das fanden sie begreiflich und káten mich , und dann bin ich zum Tempelchen gelaufen . 000335 000037 Bijou rannte mit mir und kl„ffte und war ganz n„rrisch vor Freude , daá er wieder zu Gnaden angenommen war . 000336 000038 aufzur„umen gab es nichts mehr . 000337 000038 ich habe den ”den Raum betrachtet , wie ich es in der folgenden Zeit so oft tat , und habe gedacht , daá ich in diesem Tempelchen ein G”tterbild hatte beherbergen und verehren drfen . 000338 000038 ich habe geweint und bin mit beiden H„nden ber die blaugelbe Tischdecke hin und her gefahren , und dann bin ich niedergekniet und habe alles Himmlische um Beistand fr Jerome angerufen . 000339 000038 besonders die Gottesmutter und den Wundert„ter Nikolai , die ja auf den beiden Seiten der Medaille abgebildet waren . 000340 000038 und jetzt komme ich wieder auf die Medaille . 000341 000038 also denke dir , fast zwei Jahre sp„ter , nicht lange vor meiner Hochzeit , gingen wir einmal im Wald spazieren , meine Mutter und ein paar G„ste und ich , und wir waren schon jenseits von Onissimowitschi . 000342 000038 es wurden Blumen gepflckt , und ich kam an so eine morastige Stelle , wo Vergiámeinnicht wuchsen ; nun , da habe ich eben Vergiámeinnicht gepflckt , ohne mir etwas dabei zu denken . 000343 000038 da hatte ich pl”tzlich jene Medaille in der Hand . 000344 000038 fast h„tte ich laut aufgeschrien ! . 000345 000038 ich reinigte sie rasch im Bachwasser , und dann habe ich sie zu mir gesteckt , und ich habe Mhe gehabt , die andern nicht merken zu lassen , daá mir etwas Bedeutungsvolles zugestoáen war . 000346 000039 siehst du , das riecht nun abscheulich nach einer sentimentalen Geschichte . 000347 000039 gerade Vergiámeinnicht , das ist ohnehin so eine lyrische Blume , das klingt nach Heine , nach Burns , der hat doch auch solche Lieder gemacht , oder nicht ? . 000348 000039 ( dann verwechsle ich ihn ) . 000349 000039 sp„ter habe ich freilich manchmal gedacht , und mitunter denke ich das noch heute , es k”nnte auch eine andere Medaille gewesen sein , so eine „hnliche , es gibt deren ja viele , und wer weiá , wer sie verloren hat und wann das gewesen ist , vielleicht erst ein paar Tage , bevor ich sie fand , und vielleicht schon vor meiner Geburt . 000350 000039 ich habe sie dann in einer Schatulle verwahrt , bei meinen Andenken ; jetzt allerdings weiá ich nicht mehr , wo sie hingekommen ist , wir sind auch so oft umgezogen . 000351 000039 aber selbst wenn es nicht die Medaille gewesen ist , die ich ihm damals umh„ngte , - darin , daá ich sie in einer so auffallenden Art gefunden hatte , darin muáte doch fr mich ein Hinweis auf Jerome liegen , das wirst du zugeben , und ich wuáte nur nicht , wie er zu deuten war . 000352 000039 damals habe ich noch die ganze Umgegend jener Vergiámeinnichtstelle abgesucht . 000353 000039 aber da war nichts , aus dem ich irgendeinen Schluá ziehen konnte . 000354 000039 hatte er die Medaille in einem Gefecht verloren und war er am Ende ums Leben gekommen ? . 000355 000039 aber konnte es nicht auch so gewesen sein , daá er sie fortgeworfen hatte , weil er nicht an mich erinnert werden wollte ? . 000356 000040 vielleicht war er auch so fanatisch , daá er einer Russin nichts zu verdanken haben mochte ? . 000357 000040 ungl„ubig ist er m”glicherweise auch gewesen . 000358 000040 aber natrlich ist auch das denkbar , daá die Schnur sich an einem Zweig verfangen hat und gerissen ist , ich hatte sie ihm ja im Dunkeln ber Papas Halbpelz umgeh„ngt und konnte sie nicht erst unter den Hemdkragen schieben . 000359 000040 ach , ich habe noch viel ber Jerome nachgegrbelt und darber , daá diese drei Tage mit ihm etwas so Einzigartiges waren ! . 000360 000040 weiát du , wenn ich sie mit meinem brigen Leben vergleiche , dann ist das wie ein groáer Garten , wo alles M”gliche w„chst , eins besser , eins schlechter , und da sind natrlich auch sehr bunte und starkriechende Blumen dabei . 000361 000040 aber diese drei Tage , das war wie der Extrakt , Tausende von Rosen braucht es wohl , bis ein Fl„schchen mit Rosen”l zustandekommt , und manchmal m”chte man den ganzen brigen Garten verachten . 000362 000040 nun , das ist wohl falsch , und sp„ter habe ich das auch nicht mehr getan . 000363 000040 nur in den ersten Jahren nach meiner Heirat , da konnte ich noch nicht anders , und als wir in Baden-Baden und in Ems waren , da habe ich mir immer eingebildet , pl”tzlich wrde ich Jerome vor mir sehen , in der Lichtentaler Allee oder auf der Kurpromenade , und ich habe mir das so sehnlich gewnscht , und sei es auch nur , um gewiá zu werden , daá er noch lebte und nicht im Walde von Stary Dwor umgekommen ist . 000364 000041 das war natrlich l„cherlich , aber du weiát wohl , wie wir von der „lteren Generation waren : immer , wenn wir im Auslande reisten , bildeten wir uns ein , wir máten jemanden von zu Hause treffen , einen Gutsnachbarn oder einen Kameraden von der Junkerschule , eine Gef„hrtin aus dem Fr„ulein-Institut , eine entfernte Cousine oder einen ehemaligen T„nzer . 000365 000041 und oft geschah das auch . 000366 000041 habe ich dir schon erz„hlt , wem ich einmal auf dem Markusplatz begegnet bin ? . 000367 000041 nun , ein andermal , ich merke schon , eben will mir der Name nicht einfallen , und dann geh”rt es wohl auch nicht her . 000368 000041 verzeih mir schon , Kindchen , du weiát , ich werde leicht mde , und dann bin ich noch vergeálicher als sonst . 000369 000041 nachher kam natrlich eine Zeit , wo Jerome fr mich in den Hintergrund geriet , denn der Mensch muá ja an das Gegenw„rtige denken , an Kinder und an ihre Krankheiten , an Dienstboten und Verkehr mit anderen Menschen und an Rechnungen , und dann sind da die Schneiderinnen und Modistinnen , du weiát ja , wie das geht . 000370 000041 aber dann bin ich viel , viel sp„ter noch einmal an Jerome erinnert worden , und doch konnte ich nicht mit aller Sicherheit dahinterkommen , ob es sich um ihn handelte oder um jemand anders , das war ebenso ungewiá wie die Geschichte mit der Medaille , und manchmal m”chte ich meinen , etwas von dieser Ungewiáheit steckt in allen den Dingen , aus denen unser Leben sich zusammensetzt . 000371 000042 n„mlich , als unsere Kinder schon anfingen , groá zu werden , da war einmal so ein kameradschaftliches Erinnerungsfest , da kamen , soweit sie noch am Leben waren und nicht gerade in kaukasischen oder sibirischen Garnisonen standen , alle die zusammen , die damals an der Niederwerfung der Insurrektion teilgenommen hatten . 000372 000042 Groápapa muáte sich dabei auch sehen lassen , und am n„chsten Morgen ( er war ein biáchen verdrieálich , wie immer , wenn er den Abend zuvor hatte trinken mssen , er tat es nicht gern , aber er konnte doch nicht ganz gegen die H”flichkeit und die Kameradschaftlichkeit verstoáen ) , also am n„chsten Morgen , beim Frhstck , erz„hlte er dies und das , und dann sagte er auch : ' weiát du , wen ich getroffen habe ? . 000373 000042 Denis Denissowitsch , diesen Sosnowski ... du kennst ihn nicht ? . 000374 000042 natrlich , woher solltest du ihn auch kennen ? . 000375 000042 aber er ist damals , als wir uns verlobten , mit seiner Kompagnie eine Weile in eurem Nachbarkreise stationiert gewesen . 000376 000042 es kommt brigens auf ihn nicht weiter an , aber er hat mir da eine interessante Geschichte erz„hlt . 000377 000042 das heiát , eine Geschichte ist es gar nicht , und interessant eigentlich auch nicht , nur daá mir dabei allerhand Gedanken gekommen sind . 000378 000043 also nach dem , was Denis Denissowitsch erz„hlt hat , muá sich damals in der Gegend von Makarjewskoje ein ganz toller Kerl herumgetrieben haben , ein Insurgentenoffizier , der sich erst in einem Kloster versteckt gehalten hatte . 000379 000043 alle Kommandostellen und alle Zivilbeh”rden waren alarmiert worden , und es waren Belohnungen ausgesetzt . 000380 000043 ' daá Sie aber auch gar nichts davon wissen ! ' sagte er . 000381 000043 ' Sie sind doch damals in Makarjewskoje im Quartier gewesen , oder vielleicht haben Sie es auch bloá vergessen ! ' . 000382 000043 und nun stelle dir vor , wenn ich den erwischt h„tte ! . 000383 000043 einen Orden h„tte ich gekriegt und vielleicht auch eine Bef”rderung auáer der Reihe . 000384 000043 ich h„tte auf mich aufmerksam gemacht , und vielleicht w„re alles anders gekommen . 000385 000043 na , so habe ich Jahrzehnte lang den Karren gezogen , und jetzt muá ich diese dummen Jungen belehren , wie ein alter Schulmeister ! ' . 000386 000043 ' und hat man ihn erwischt ? ' fragte ich . 000387 000043 ' wen ? ' fragte Groápapa zerstreut zurck , und ich merkte daran , daá er nur an seine eigenen Angelegenheiten gedacht hatte . 000388 000043 ach so , den Polen ? . 000389 000043 nein , ich glaube nicht , wenigstens wuáte Denis Denissowitsch nichts davon . 000390 000043 wie er hieá ? . 000391 000043 den Namen hatte Denis Denissowitsch nicht mehr im Ged„chtnis , es wird einer von diesen verdammten polnischen Namen gewesen sein , die einander alle so „hnlich sind . 000392 000044 aber weiát du , - daá diese ganze Geschichte auch so v”llig an mir vorbeigehen konnte ! . 000393 000044 das muá doch im Divisionsbefehl gestanden haben ! . 000394 000044 aber freilich , ich hatte damals ja fr nichts Sinn als fr diese alberne Brcke , aus der ich ein Wunderwerk an Akkuratheit und gutem Bau machen wollte , als ob das nun eine Wichtigkeit gewesen w„re . 000395 000044 wahrhaftig , nichts als die Brcke hatte ich im Kopf ! . 000396 000044 und dann natrlich auch dich , natrlich , natrlich , das versteht sich ja von selbst ' . 000397 000044 als Groápapa das erz„hlte , da war ich wohl zuerst sehr betroffen , und ich dachte , ob ich diese Geschichte wohl als eine Brgschaft dafr aufnehmen drfte , daá Jerome heil davongekommen sei . 000398 000044 und dann kam mir auch der Gedanke , allerdings nur fr einen Augenblick , ob ich nicht jetzt alles erz„hlen sollte . 000399 000044 aber es lag doch nun so weit zurck , da w„re es mir sinnlos vorgekommen , davon zu sprechen . 000400 000044 zugleich freilich muá ich sagen , daá von diesem Tage an meine Gedanken wieder an Jerome hingen . 000401 000044 indessen ist das vielleicht nicht richtig ausgedrckt , und sie hingen nicht an Jerome , sondern an meinem eigenen Schicksal , und an Jerome eben nur insofern , als er zu diesem Schicksal geh”rte . 000402 000045 meine Eltern hatten mir gesagt , gewiá wrde ich mit Groápapa glcklich sein . 000403 000045 nun , glcklich bin ich wahrscheinlich nicht gewesen , aber zufrieden , - ja , das war ich wohl . 000404 000045 ich habe gute Kinder gehabt , und mit der Gesundheit ist es die l„ngste Zeit auch gegangen , und mein Mann kam vorw„rts , das ist fr eine Frau doch auch eine Genugtuung . 000405 000045 nun ja , er hat keine sensationelle Karriere gemacht , aber immerhin , - der General w„re ihm sicher gewesen , er ist nur zu frh gestorben . 000406 000045 also zufrieden konnte ich schon sein , und wenn man zum Beispiel sich gew”hnte , statt von ewiger Glckseligkeit lieber von ewiger Zufriedenheit zu sprechen , w„re das nicht auch schon etwas ? . 000407 000045 ja , damals , ich war ja noch ein halbes Kind , also da hatte ich natrlich das Glck im Kopf , und das ist wohl berhaupt sehr verbreitet . 000408 000045 aber im Grunde weiá man doch recht wenig ber das Glck , und auch derselbe Mensch stellt sich etwas ganz Verschiedenes darunter vor , je nachdem , in welchem Alter und in welchen Lebensumst„nden er gerade ist . 000409 000045 damals , hier in Makarjewskoje , dachte ich mir unter Glck irgendetwas Gewaltiges , so etwas , das einen packt wie ein Bussard , der auf ein M„uschen st”át ! . 000410 000045 von diesem Herniederstoáen und von diesem Gepacktwerden tr„umt man . 000411 000045 und wenn man selber dabei sein Leben verlieren sollte , sein armes kleines M„uschenleben , was l„ge daran ! . 000412 000046 ja , so w„re es vielleicht mit Jerome gewesen . 000413 000046 ach nein , glcklich w„re ich mit ihm nicht geworden , und zufrieden erst recht nicht . 000414 000046 er hat wohl auch eine Schuld auf sich geladen . 000415 000046 ich habe ihm mein ganzes menschliches Herz angetragen - nein , angetragen habe ich es ihm eigentlich nicht , aber entgegengetragen , verstehst du , stillschweigend entgegengetragen , und ganz zuletzt , im Walde , auch nicht mehr stillschweigend . 000416 000046 und er ? . 000417 000046 er hing nur an Dingen auáerhalb des menschlichen Herzens . 000418 000046 die Stelle der Herzensempfindungen , die hatte bei ihm etwas anderes eingenommen , sein Nationalstolz oder sein Ehrgeiz oder sein Zorn auf die Russen oder seine Gew”hnung an die Konspiration ( es heiát ja , man k”nne an ihr Geschmack finden wie am Morphium ) ; irgend so eine Besessenheit , was weiá ich ! . 000419 000046 und sieh mal , wenn die Umst„nde danach gewesen w„ren , h„tte er sich wom”glich auch nicht bedacht , mich nur auszunutzen und dann in irgendeiner Weise aufzuopfern , - diese Menschen , deren ganzes Leben aus Selbstaufopferung besteht und die sich selber nicht schonen , die haben ja auch keine Schonung fr andere . 000420 000046 und wer sich selber nicht liebt , wie kann denn der einen andern lieben ? . 000421 000046 nein , Kindchen , da habe ich ihn dir falsch geschildert , verzeih mir , und er soll mir auch verzeihen . 000422 000047 Jerome war darin nicht anders als alle anderen M„nner . 000423 000047 ich liebte ihn , und ich fhlte , daá er mich auch geliebt hat oder doch , daá er mich h„tte lieben wollen oder lieben mssen . 000424 000047 ja , geliebt hat er mich , das lasse ich mir nicht nehmen , allerdings nicht auf die Art , wie man es sich wnscht und wie in den Romanen und in den Gedichten geliebt wird . 000425 000047 aber so lieben die M„nner ja berhaupt nicht , dazu sind sie nicht geschaffen . 000426 000047 in der Jugend bilden sie es sich allenfalls ein , aber nachher ist da immer etwas anderes , und dies Andere ist das Wichtigere , selbst wenn ein Mann noch so sehr von der Leidenschaft ergriffen wird , und es kann die verschiedensten Namen haben , Konspiration oder Karriere , Kaiser , Brckenbau , Insurrektion , Beruf , Pflicht , Interesse , Orden oder wom”glich ganz einfach Geld oder daá sie bauen und ver„ndern mssen wie Onkel Kostja . 000427 000047 also diese Verschrobenheiten haben alle M„nner , und wahrscheinlich muá das so sein . 000428 000047 es ist nur arg , daá man uns das nicht von vorneherein klarmacht . 000429 000047 aber h„tte es denn einen Zweck ? . 000430 000047 wir k”nnten es ja doch nicht aufnehmen . 000431 000047 also , wie gesagt , Kindchen , wenn schon nicht Glck , dann wenigstens Zufriedenheit . 000432 000047 nur manchmal denkt man , wir k”nnten auch mit der Zufriedenheit nie ganz zufrieden sein , so wie mit dem Glck nie ganz glcklich . 000433 000047 nun , das w„re noch lange nicht das Schlimmste . 000434 000048 denn alsdann k”nnte man immer noch denken , man wrde auch mit dem Unglck nie ganz unglcklich und mit der Unzufriedenheit nie ganz unzufrieden sein " . 000000 000000 LFH : FRISCH, HOMO FABER 000001 000003 v+ Max Frisch +v . 000002 000003 u+ homo faber +u . 000003 000003 u+ ein Bericht +u . 000004 000003 d+ Suhrkamp Verlag , Frankfurt am Main , 161. - 180. Tausend 1966 +d . 000005 000005 u+ erste Station +u . 000006 000007 wir starteten in La Guardia , New York , mit dreistndiger Versp„tung infolge Schneestrmen . 000007 000007 unsere Maschine war , wie blich auf dieser Strecke , eine Super-Constellation . 000008 000007 ich richtete mich sofort zum Schlafen , es war Nacht . 000009 000007 wir warteten noch weitere vierzig Minuten drauáen auf der Piste , Schnee vor den Scheinwerfern , Pulverschnee , Wirbel ber der Piste , und was mich nerv”s machte , so daá ich nicht sogleich schlief , war nicht die Zeitung , die unsere Stewardeá verteilte , f+ First: Pictures: Of: World's: Greatest: Air: Crash: In: Nevada: +f , eine Neuigkeit , die ich schon am Mittag gelesen hatte , sondern einzig und allein diese Vibration in der stehenden Maschine mit laufenden Motoren - dazu der junge Deutsche neben mir , der mir sogleich auffiel , ich weiá nicht wieso , er fiel auf , wenn er den Mantel auszog , wenn er sich setzte und sich die Bgelfalten zog , wenn er berhaupt nichts tat , sondern auf den Start wartete wie wir alle und einfach im Sessel saá , ein Blonder mit rosiger Haut , der sich sofort vorstellte , noch bevor man die Grtel geschnallt hatte . 000010 000007 seinen Namen hatte ich berh”rt , die Motoren dr”hnten , einer nach dem andern auf Vollgasprobe - . 000011 000007 ich war todmde . 000012 000007 Ivy hatte drei Stunden lang , w„hrend wir auf die versp„tete Maschine warteten , auf mich eingeschwatzt , obschon sie wuáte , daá ich grunds„tzlich nicht heirate . 000013 000007 ich war froh , allein zu sein . 000014 000008 endlich ging's los - . 000015 000008 ich habe einen Start bei solchem Schneetreiben noch nie erlebt , kaum hatte sich unser Fahrgestell von der weiáen Piste gehoben , war von den gelben Bodenlichtern nichts mehr zu sehen , kein Schimmer , sp„ter nicht einmal ein Schimmer von Manhattan , so schneite es . 000016 000008 ich sah nur das grne Blinklicht an unsrer Tragfl„che , die heftig schwankte , zeitweise wippte ; fr Sekunden verschwand sogar dieses grne Blinklicht im Nebel , man kam sich wie ein Blinder vor . 000017 000008 Rauchen gestattet . 000018 000008 er kam aus Dsseldorf , mein Nachbar , und so jung war er auch wieder nicht , anfangs Dreiáig , immerhin jnger als ich ; er reiste , wie er mich sofort unterrichtete , nach Guatemala , gesch„ftlich , soviel ich verstand - . 000019 000008 wir hatten ziemliche B”en . 000020 000008 er bot mir Zigaretten an , mein Nachbar , aber ich bediente mich von meinen eignen , obschon ich nicht rauchen wollte , und dankte , nahm nochmals die Zeitung , meinerseits keinerlei Bedrfnis nach Bekanntschaft . 000021 000008 ich war unh”flich , mag sein . 000022 000008 ich hatte eine strenge Woche hinter mir , kein Tag ohne Konferenz , ich wollte Ruhe haben , Menschen sind anstrengend . 000023 000008 sp„ter nahm ich meine Akten aus der Mappe , um zu arbeiten ; leider gab es gerade eine heiáe Bouillon , und der Deutsche ( er hatte , als ich seinem schwachen Englisch entgegenkam mit Deutsch , sofort gemerkt , daá ich Schweizer bin ) war nicht mehr zu stoppen . 000024 000008 er redete ber Wetter , beziehungsweise ber Radar , wovon er wenig verstand ; dann machte er , wie blich nach dem zweiten Weltkrieg , sofort auf europ„ische Brderschaft . 000025 000008 ich sagte wenig . 000026 000008 als man die Bouillon gel”ffelt hatte , blickte ich zum Fenster hinaus , obschon nichts andres zu sehen war als das grne Blinklicht drauáen an unsrer nassen Tragfl„che , ab und zu Funkenregen wie blich , das rote Glhen in der Motor-Haube . 000027 000009 wir stiegen noch immer - . 000028 000009 sp„ter schlief ich ein . 000029 000009 die B”en lieáen nach . 000030 000009 ich weiá nicht , warum er mir auf die Nerven ging , irgendwie kannte ich sein Gesicht , ein sehr deutsches Gesicht . 000031 000009 ich berlegte mit geschlossenen Augen , aber vergeblich . 000032 000009 ich versuchte , sein rosiges Gesicht zu vergessen , was mir gelang , und schlief etwa sechs Stunden , berarbeitet wie ich war - kaum war ich erwacht , ging er mir wieder auf die Nerven . 000033 000009 er frhstckte bereits . 000034 000009 ich tat , als schliefe ich noch . 000035 000009 wir befanden uns ( ich sah es mit meinem rechten Auge ) irgendwo ber dem Mississippi , flogen in groáer H”he und vollkommen ruhig , unsere Propeller blinkten in der Morgensonne , die blichen Scheiben , man sieht sie und sieht hindurch , ebenso gl„nzten die Tragfl„chen , starr im leeren Raum , nichts von Schwingungen , wir lagen reglos in einem wolkenlosen Himmel , ein Flug wie hundert andere zuvor , die Motoren liefen in Ordnung . 000036 000009 " guten Tag ! " sagte er - . 000037 000009 ich gráte zurck . 000038 000009 " gut geschlafen ? " fragte er - . 000039 000009 man erkannte die Wasserzweige des Mississippi , wenn auch unter Dunst , Sonnenglanz drauf , Geriesel wie aus Messing oder Bronze ; es war noch frher Morgen , ich kenne die Strecke , ich schloá die Augen , um weiterzuschlafen . 000040 000009 er las ein Heftlein , rororo . 000041 000010 es hatte keinen Zweck , die Augen zu schlieáen , ich war einfach wach , und mein Nachbar besch„ftigte mich ja doch , ich sah ihn sozusagen mit geschlossenen Augen . 000042 000010 ich bestellte mein Frhstck ... . 000043 000010 er war zum ersten Mal in den Staaten , wie vermutet , dabei mit seinem Urteil schon fix und fertig , wobei er das eine und andere ( im ganzen fand er die Amerikaner kulturlos ) trotzdem anerkennen muáte , beispielsweise die Deutschfreundlichkeit der meisten Amerikaner . 000044 000010 ich widersprach nicht . 000045 000010 kein Deutscher wnsche Wiederbewaffnung , aber der Russe zwinge Amerika dazu , Tragik , ich als Schweizer ( Schwyzzer , wie er mit Vorliebe sagte ) k”nne alldies nicht beurteilen , weil nie im Kaukasus gewesen , er sei im Kaukasus gewesen , er kenne den Iwan , der nur durch Waffen zu belehren sei . 000046 000010 er kenne den Iwan ! . 000047 000010 das sagte er mehrmals . 000048 000010 nur durch Waffen zu belehren ! sagte er , denn alles andere mache ihm keinen Eindruck , dem Iwan - . 000049 000010 ich sch„lte meinen Apfel . 000050 000010 Unterscheidung nach Herrenmenschen und Untermenschen , wie's der gute Hitler meinte , sei natrlich Unsinn ; aber Asiaten bleiben Asiaten - . 000051 000010 ich aá meinen Apfel . 000052 000010 ich nahm meinen elektrischen Rasierapparat aus der Mappe , um mich zu rasieren , beziehungsweise um eine Viertelstunde allein zu sein , ich mag die Deutschen nicht , obschon Joachim , mein Freund , auch Deutscher gewesen ist ... . 000053 000010 in der Toilette berlegte ich mir , ob ich mich nicht anderswohin setzen k”nnte , ich hatte einfach kein Bedrfnis , diesen Herrn n„her kennenzulernen , und bis Mexico-City , wo mein Nachbar umsteigen muáte , dauerte es noch mindestens vier Stunden . 000054 000011 ich war entschlossen , mich anderswohin zu setzen ; es gab noch freie Sitze . 000055 000011 als ich in die Kabine zurckkehrte , rasiert , so daá ich mich freier fhlte , sicherer - ich vertrage es nicht , unrasiert zu sein - hatte er sich gestattet , meine Akten vom Boden aufzuheben , damit niemand drauf tritt , und berreichte sie mir , seinerseits die H”flichkeit in Person . 000056 000011 ich bedankte mich , indem ich die Akten in meine Mappe versorgte , etwas zu herzlich , scheint es , denn er benutzte meinen Dank sofort , um weitere Fragen zu stellen . 000057 000011 ob ich fr die Unesco: arbeite ? . 000058 000011 ich sprte den Magen - wie ”fter in der letzten Zeit , nicht schlimm , nicht schmerzhaft , ich sprte nur , daá man einen Magen hat , ein bl”des Gefhl . 000059 000011 vielleicht war ich drum so unausstehlich . 000060 000011 ich setzte mich an meinen Platz und berichtete , um nicht unausstehlich zu sein , von meiner T„tigkeit , technische: Hilfe: fr: unterentwickelte: V”lker: , ich kann darber sprechen , w„hrend ich ganz anderes denke . 000061 000011 ich weiá nicht , was ich dachte . 000062 000011 die Unesco: , scheint es , machte ihm Eindruck , wie alles Internationale , er behandelte mich nicht mehr als Schwyzzer , sondern h”rte zu , als sei man eine Autorit„t , geradezu ehrfrchtig , interessiert bis zur Unterwrfigkeit , was nicht hinderte , daá er mir auf die Nerven ging . 000063 000011 ich war froh um die Zwischenlandung . 000064 000011 im Augenblick , als wir die Maschine verlieáen und vor dem Zoll uns trennten , wuáte ich , was ich vorher gedacht hatte : sein Gesicht ( rosig und dicklich , wie Joachim nie gewesen ist ) erinnerte mich doch an Joachim - . 000065 000011 ich vergaá es wieder . 000066 000011 das war in Houston , Texas . 000067 000012 nach dem Zoll , nach der blichen Schererei mit meiner Kamera , die mich schon um die halbe Welt begleitet hat , ging ich in die Bar , um einen Drink zu haben , bemerkte aber , daá mein Dsseldorfer bereits in der Bar saá , sogar einen Hocker freihielt - vermutlich fr mich ! - und ging gradaus in die Toilette hinunter , wo ich mir , da ich nichts andres zu tun hatte , die H„nde wusch . 000068 000012 Aufenthalt : 20 Minuten . 000069 000012 mein Gesicht im Spiegel , w„hrend ich Minuten lang die H„nde wasche , dann trockne : weiá wie Wachs , mein Gesicht , beziehungsweise grau und gelblich mit violetten Adern darin , scheuálich wie eine Leiche . 000070 000012 ich vermutete , es kommt vom Neon-Licht , und trocknete meine H„nde , die ebenso gelblich-violett sind , dann der bliche Lautsprecher , der alle R„ume bedient , somit auch das Untergeschoá : f+ your: attention: please: , your: attention: please: ! +f . 000071 000012 ich wuáte nicht , was los ist . 000072 000012 meine H„nde schwitzten , obschon es in dieser Toilette geradezu kalt ist , drauáen ist es heiá . 000073 000012 ich weiá nur soviel : - als ich wieder zu mir kam , kniete die dicke Negerin neben mir , Putzerin , die ich vorher nicht bemerkt hatte , jetzt in n„chster N„he , ich sah ihr Riesenmaul mit den schwarzen Lippen , das Rosa ihres Zahnfleisches , ich h”rte den hallenden Lautsprecher , w„hrend ich noch auf allen vieren war - . 000074 000012 f+ plane: is: ready: for: departure: +f . 000075 000012 zweimal : f+ plane: is: ready: for: departure: +f . 000076 000012 ich kenne diese Lautsprecherei . 000077 000012 f+ all: passengers: for: Mexico-Guatemala-Panama: +f , dazwischen Motorenl„rm , f+ kindly: requested: +f , Motorenl„rm , f+ gate: number: five: , thank: you: +f . 000078 000013 ich erhob mich . 000079 000013 die Negerin kniete noch immer - . 000080 000013 ich schwor mir , nie wieder zu rauchen , und versuchte , mein Gesicht unter die R”hre zu halten , was nicht zu machen war wegen der Schssel , es war ein Schweiáanfall , nichts weiter , Schweiáanfall mit Schwindel . 000081 000013 f+ your: attention: please: - +f . 000082 000013 ich fhlte mich sofort wohler . 000083 000013 f+ passenger: Faber: , passenger: Faber: ! +f . 000084 000013 das war ich . 000085 000013 f+ please: to: the: information-desk: +f . 000086 000013 ich h”rte es , ich tauchte mein Gesicht in die ”ffentliche Schssel , ich hoffte , daá sie ohne mich weiterfliegen , das Wasser war kaum k„lter als mein Schweiá , ich begriff nicht , wieso die Negerin pl”tzlich lachte - es schttelte ihre Brust wie einen Pudding , so muáte sie lachen , ihr Riesenmaul , ihr Kruselhaar , ihre weiáen und schwarzen Augen , Groáaufnahme aus Afrika , dann neuerdings : f+ plane: is: ready: for: departure: +f . 000087 000013 ich trocknete mein Gesicht mit dem Taschentuch , w„hrend die Negerin an meinen Hosen herumwischte . 000088 000013 ich k„mmte mich sogar , bloá um Zeit zu verlieren , der Lautsprecher gab Meldung um Meldung , Anknfte , Abflge , dann nochmals : f+ passenger: Faber: , passenger: Faber: - +f . 000089 000013 sie weigerte sich , Geld anzunehmen , es w„re ein Vergngen f+ ( pleasure ) +f fr sie , daá ich lebe , daá der Lord ihr Gebet erh”rt habe , ich hatte ihr die Note einfach hingelegt , aber sie folgte mir noch auf die Treppe , wo sie als Negerin nicht weitergehen durfte , und zwang mir die Note in die Hand . 000090 000013 in der Bar war es leer - . 000091 000014 ich rutschte mich auf einen Hocker , zndete mir eine Zigarette an , schaute zu , wie der Barmann die bliche Olive ins kalte Glas wirft , dann aufgieát , die bliche Geste : mit dem Daumen h„lt er das Sieb vor dem silbernen Mischbecher , damit kein Eis ins Glas plumpst , und ich legte meine Note hin , drauáen rollte eine Super-Constellation vorbei und auf die Piste hinaus , um zu starten . 000092 000014 ohne mich ! . 000093 000014 ich trank meinen Martini-Dry , als wieder der Lautsprecher mit seinem Knarren einsetzte : f+ your: attention: please: ! +f . 000094 000014 eine Weile h”rte man nichts , drauáen brllten gerade die Motoren der startenden Super-Constellation , die mit dem blichen Dr”hnen ber uns hinwegflog - dann neuerdings : f+ passenger: Faber: , passenger: Faber: - +f . 000095 000014 niemand konnte wissen , daá ich gemeint war , und ich sagte mir , lange k”nnen sie nicht mehr warten - ich ging aufs Observation-Dach , um unsere Maschine zu sehen . 000096 000014 sie stand , wie es schien , zum Start bereit ; die Shell-Tanker waren weg , aber die Propeller liefen nicht . 000097 000014 ich atmete auf , als ich das Rudel unsrer Passagiere ber das leere Feld gehen sah , um einzusteigen , mein Dsseldorfer ziemlich voran . 000098 000014 ich wartete auf das Anspringen der Propeller , der Lautsprecher hallte und schepperte auch hier : f+ please: to: the: information-desk: ! +f . 000099 000014 aber es geht nicht mich an . 000100 000014 f+ Miá: Sherbon: , Mr.: and: Mrs.: Rosenthal: - +f . 000101 000014 ich wartete und wartete , die vier Propellerkreuze blieben einfach starr , ich hielt sie nicht aus , diese Warterei auf meine Person , und begab mich neuerdings ins Untergeschoá , wo ich mich hinter der geriegelten Tr eines Cabinets versteckte , als es nochmals kam : f+ passenger: Faber: , passenger: Faber: +f . 000102 000015 es war eine Frauenstimme , ich schwitzte wieder und muáte mich setzen , damit mir nicht schwindlig wurde , man konnte meine Fáe sehen . 000103 000015 f+ this: is: our: last: call: +f . 000104 000015 zweimal : f+ this: is: our: last: call: +f . 000105 000015 ich weiá nicht , wieso ich mich eigentlich versteckte . 000106 000015 ich sch„mte mich ; es ist sonst nicht meine Art , der letzte zu sein . 000107 000015 ich blieb in meinem Versteck , bis ich festgestellt hatte , daá der Lautsprecher mich aufgab , mindestens zehn Minuten . 000108 000015 ich hatte einfach keine Lust weiterzufliegen . 000109 000015 ich wartete hinter der geriegelten Tr , bis man das Donnern einer startenden Maschine geh”rt hatte - eine Super-Constellation , ich kenne ihren Ton ! - dann rieb ich mein Gesicht , um nicht durch Bl„sse aufzufallen , und verlieá das Cabinet wie irgendeiner , ich pfiff vor mich hin , ich stand in der Halle und kaufte irgendeine Zeitung , ich hatte keine Ahnung , was ich in diesem Houston , Texas , anfangen sollte . 000110 000015 es war merkwrdig ; pl”tzlich ging es ohne mich ! . 000111 000015 ich horchte jedes Mal , wenn der Lautsprecher ert”nte - dann ging ich , um etwas zu tun , zur Western Union : um eine Depesche aufzugeben , betreffend mein Gep„ck , das ohne mich nach Mexico flog , ferner eine Depesche nach Caracas , daá unsere Montage um vierundzwanzig Stunden verschoben werden sollte , ferner eine Depesche nach New York , ich steckte gerade meinen Kugelschreiber zurck , als unsere Stewardeá , die bliche Liste in der andern Hand , mich am Ellbogen faáte : f+ " there: you: are: ! " +f . 000112 000015 ich war sprachlos - . 000113 000015 f+ " we're late , Mister Faber , we're late ! " +f . 000114 000015 ich folgte ihr , meine berflssigen Depeschen in der Hand , mit allerlei Ausreden , die nicht interessierten , hinaus zu unsrer Super-Constellation ; ich ging wie einer , der vom Gef„ngnis ins Gericht gefhrt wird - Blick auf den Boden beziehungsweise auf die Treppe , die sofort , kaum war ich in der Kabine , ausgeklinkt und weggefahren wurde . 000115 000016 f+ " I'm sorry ! " +f sagte ich , f+ " I'm sorry " +f . 000116 000016 die Passagiere , alle schon angeschnallt , drehten ihre K”pfe , ohne ein Wort zu sagen , und mein Dsseldorfer , den ich vergessen hatte , gab mir sofort den Fensterplatz wieder , geradezu besorgt : was denn geschehen w„re ? . 000117 000016 ich sagte , meine Uhr sei stehengeblieben , und zog meine Uhr auf . 000118 000016 Start wie blich - . 000119 000016 das N„chste , was mein Nachbar erz„hlte , war interessant - berhaupt fand ich ihn jetzt , da ich keine Magenbeschwerden mehr hatte , etwas sympathischer ; er gab zu , daá die deutsche Zigarre noch nicht zur Weltklasse geh”rt , Voraussetzung einer guten Zigarre , sagte er , sei ein guter Tabak . 000120 000016 er entfaltete eine Landkarte . 000121 000016 die Plantage , die seine Firma auszubauen hoffte , lag allerdings , wie mir schien , am Ende der Welt , Staatsgebiet von Guatemala , von Flores nur mit Pferd zu erreichen , w„hrend man von Palenque ( Staatsgebiet von Mexico ) mit einem Jeep ohne weiteres hinkommt ; sogar ein Nash , behauptete er , w„re schon durch diesen Dschungel gefahren . 000122 000016 er selbst flog zum ersten Mal dahin . 000123 000016 Bev”lkerung : Indios . 000124 000016 es interessierte mich , insofern ich ja auch mit der Nutzbarmachung unterentwickelter Gebiete besch„ftigt bin ; wir waren uns einig , daá Straáen erstellt werden mssen , vielleicht sogar ein kleiner Flugplatz , alles nur eine Frage der Verbindungen , Einschiffung in Puerto Barrios - ein khnes Unternehmen , schien mir , jedoch nicht unvernnftig , vielleicht wirklich die Zukunft der deutschen Zigarre . 000125 000017 er faltete die Karte zusammen - . 000126 000017 ich wnschte Glck . 000127 000017 auf seiner Karte ( 1 : 500000 ) war sowieso nichts zu erkennen , Niemandsland , weiá , zwei blaue Linien zwischen grnen Staatsgrenzen , Flsse , die einzigen Namen ( rot , nur mit Lupe zu lesen ) bezeichneten Maya-Ruinen - . 000128 000017 ich wnschte Glck . 000129 000017 ein Bruder von ihm , der schon seit Monaten da unten lebte , hatte offenbar Mhe mit dem Klima , ich konnte es mir vorstellen , Flachland , tropisch , Feuchte der Regenzeit , die senkrechte Sonne . 000130 000017 damit war dieses Gespr„ch zu Ende . 000131 000017 ich rauchte , Blick zum Fenster hinaus : unter uns der blaue Golf von Mexico , lauter kleine Wolken , und ihre violetten Schatten auf dem grnlichen Meer , Farbspiel wie blich , ich habe es schon oft genug gefilmt - ich schloá die Augen , um wieder etwas Schlaf nachzuholen , den Ivy mir gestohlen hatte ; unser Flug war nun vollkommen ruhig , mein Nachbar ebenso . 000132 000017 er las seinen Roman . 000133 000017 ich mache mir nichts aus Romanen - sowenig wie aus Tr„umen , ich tr„umte von Ivy , glaube ich , jedenfalls fhlte ich mich bedr„ngt , es war in einer Spielbar in Las Vegas ( wo ich in Wirklichkeit nie gewesen bin ) , Klimbim , dazu Lautsprecher , die immer meinen Namen riefen , ein Chaos von blauen und roten und gelben Automaten , wo man Geld gewinnen kann , Lotterie , ich wartete mit lauter Splitternackten , um mich scheiden zu lassen ( dabei bin ich in Wirklichkeit gar nicht verheiratet ) , irgendwie kam auch Professor O. vor , mein gesch„tzter Lehrer an der Eidgen”ssischen Technischen Hochschule , aber vollkommen sentimental , er weinte immerfort , obschon er Mathematiker ist , beziehungsweise Professor fr Elektrodynamik , es war peinlich , aber das Bl”dsinnigste von allem : - ich bin mit dem Dsseldorfer verheiratet ! ... . 000134 000018 ich wollte protestieren , aber konnte meinen Mund nicht aufmachen , ohne die Hand davor zu halten , da mir soeben , wie ich sprte , s„mtliche Z„hne ausgefallen sind , alle wie Kieselsteine im Mund - . 000135 000018 ich war , kaum erwacht , sofort im Bild : unter uns das offene Meer - . 000136 000018 es war der Motor links , der die Panne hatte ; ein Propeller als starres Kreuz im wolkenlosen Himmel - das war alles . 000137 000018 unter uns , wie gesagt , der Golf von Mexico . 000138 000018 unsere Stewardeá , ein M„dchen von zwanzig Jahren , ein Kind mindestens ihrem Aussehen nach , hatte mich an der linken Schulter gefaát , um mich zu wecken , ich wuáte aber alles , bevor sie's erkl„rte , indem sie mir eine grne Schwimmweste reichte ; mein Nachbar war eben dabei , seine Schwimmweste anzuschnallen , humorig wie bei Alarm-šbungen dieser Art - . 000139 000018 wir flogen mindestens auf zweitausend Meter H”he . 000140 000018 natrlich sind mir keine Z„hne ausgefallen , nicht einmal mein Stiftzahn , der Vierer oben rechts ; ich war erleichtert , geradezu vergngt . 000141 000018 im Korridor , vorn , der Captain : f+ there: is: no: danger: at: all: - +f . 000142 000019 alles nur eine Maánahme der Vorsicht , unsere Maschine ist sogar imstande mit zwei Motoren zu fliegen , wir befinden uns 8,5 Meilen von der mexikanischen Kste entfernt , Kurs auf Tampico , alle Passagiere freundlich gebeten , Ruhe zu bewahren und vorl„ufig nicht zu rauchen . 000143 000019 f+ thank: you: +f . 000144 000019 alle saáen wie in einer Kirche , alle mit grnen Schwimmwesten um die Brust , ich kontrollierte mit meiner Zunge , ob mir wirklich keine Z„hne wackelten , alles andere regte mich nicht auf . 000145 000019 Zeit : 10.25 Uhr . 000146 000019 ohne unsere Versp„tung wegen Schneesturm in den n”rdlichen Staaten w„ren wir jetzt in Mexico-City gelandet , ich sagte es meinem Dsseldorfer - bloá um zu reden . 000147 000019 ich hasse Feierlichkeit . 000148 000019 keine Antwort . 000149 000019 ich fragte nach seiner genauen Zeit - . 000150 000019 keine Antwort . 000151 000019 die Motoren , die drei anderen , liefen in Ordnung , von Ausfall nichts zu spren , ich sah , daá wir die H”he hielten , dann Kste im Dunst , eine Art von Lagune , dahinter Smpfe . 000152 000019 aber von Tampico noch nichts zu sehen . 000153 000019 ich kannte Tampico von frher , von einer Fischvergiftung , die ich nicht vergessen werde bis ans Ende meiner Tage . 000154 000019 " Tampico " , sagte ich , " das ist die dreckigste Stadt der Welt , ™lhafen , Sie werden sehen , entweder stinkt's nach ™l oder nach Fisch - " . 000155 000019 er fingerte an seiner Schwimmweste . 000156 000019 " ich rate Ihnen wirklich " , sagte ich , " essen Sie keinen Fisch , mein Herr , unter keinen Umst„nden - " . 000157 000019 er versuchte zu l„cheln . 000158 000020 " die Einheimischen sind natrlich immun " , sagte ich , " aber unsereiner - " . 000159 000020 er nickte , ohne zu h”ren . 000160 000020 ich hielt ganze Vortr„ge , scheint es , ber Am”ben , beziehungsweise ber Hotels in Tampico . 000161 000020 sobald ich merkte , daá er gar nicht zuh”rte , mein Dsseldorfer , griff ich ihn am Žrmel , was sonst nicht meine Art ist , im Gegenteil , ich hasse diese Manie , einander am Žrmel zu greifen . 000162 000020 aber anders h”rte er einfach nicht zu . 000163 000020 ich erz„hlte ihm die ganze Geschichte meiner langweiligen Fischvergiftung in Tampico , 1951 , also vor sechs Jahren - . 000164 000020 wir flogen indessen , wie sich zeigte , gar nicht der Kste entlang , sondern pl”tzlich landeinw„rts . 000165 000020 also doch nicht Tampico ! . 000166 000020 ich war sprachlos , ich wollte mich bei der Stewardeá erkundigen . 000167 000020 Rauchen wieder gestattet ! . 000168 000020 vielleicht war der Flughafen von Tampico zu klein fr unsere Super-Constellation ( damals ist es eine DC-4: gewesen ) oder sie hatten Weisung bekommen , trotz der Motorpanne nach Mexico-City durchzufliegen , was ich allerdings angesichts der Sierra Madre Oriental , die uns noch bevorstand , nicht begriff . 000169 000020 unsere Stewardeá - ich griff sie am Ellenbogen , was sonst , wie gesagt , nicht meine Art ist - hatte keine Zeit fr Ausknfte , sie wurde zum Captain gerufen . 000170 000020 tats„chlich stiegen wir . 000171 000020 ich versuchte an Ivy zu denken - . 000172 000020 wir stiegen . 000173 000020 unter uns immer noch Smpfe , seicht und trbe , dazwischen Zungen von Land , Sand , die Smpfe teilweise grn und dann wieder r”tlich , Lippenstiftrot , was ich mir nicht erkl„ren konnte , eigentlich keine Smpfe , sondern Lagunen , und wo die Sonne spiegelt , glitzert es wie Lametta beziehungsweise wie Stanniol , jedenfalls metallisch , dann wieder himmelblau und w„sserig ( wie die Augen von Ivy ) mit gelben Untiefen , Flecken wie violette Tinte , finster , vermutlich ein Unterwassergew„chs , einmal eine Einmndung , braun wie amerikanischer Milchkaffee , widerlich , Quadratmeilen nichts als Lagunen . 000174 000021 auch der Dsseldorfer hatte das Gefhl , wir steigen . 000175 000021 die Leute redeten wieder . 000176 000021 eine anst„ndige Landkarte , wie bei der Swissair: immer zur Hand , gab es hier nicht , und was mich nerv”s machte , war lediglich diese idiotische Information : Kurs nach Tampico , w„hrend die Maschine landeinw„rts fliegt - steigend , wie gesagt , mit drei Motoren , ich beobachtete die drei glitzernden Scheiben , die manchmal zu stocken scheinen , was auf optischer T„uschung beruht , ein schwarzes Zucken wie blich . 000177 000021 es war kein Grund , sich aufzuregen , komisch nur der Anblick : das starre Kreuz eines stehenden Propellers bei voller Fahrt . 000178 000021 unsere Stewardeá tat mir leid . 000179 000021 sie muáte von Reihe zu Reihe gehen , l„chelnd wie Reklame , und fragen , ob jedermann sich wohlfhle in seiner Schwimmweste ; sobald man ein Witzchen machte , verlor sie ihr L„cheln . 000180 000021 ob man im Gebirge schwimmen k”nne ? fragte ich - . 000181 000021 Order war Order . 000182 000021 ich hielt sie am Arm , die junge Person , die meine Tochter h„tte sein k”nnen , beziehungsweise am Handgelenk ; ich sagte ihr ( natrlich zum Spaá ! ) mit erhobenem Finger , sie habe mich zu diesem Flug gezwungen , jawohl , niemand anders als sie - sie sagte : f+ " there is no danger , Sir , no danger at all +f . 000183 000022 f+ we're going to land in Mexico-City in about one hour and twenty minutes " +f . 000184 000022 das sagte sie jedem . 000185 000022 ich lieá sie los , damit sie wieder l„cheln und ihre Pflicht erfllen konnte , schauen , ob jedermann angeschnallt war . 000186 000022 kurz darauf hatte sie Order , Lunch zu bringen , obschon es noch nicht Lunchtime war ... . 000187 000022 zum Glck hatten wir sch”nes Wetter auch ber Land , fast keine Wolken , jedoch B”en wie blich vor Gebirgen , die normale Thermik , so daá unsere Maschine sackte , schaukelte , bis sie sich wieder im Gleichgewicht hatte und stieg , um neuerdings zu sacken mit schwingenden Tragfl„chen ; Minuten lang flog man vollkommen ruhig , dann wieder ein Stoá , so daá die Tragfl„chen wippten , und wieder das Schlenkern , bis die Maschine sich fing und stieg , als w„re es fr immer in Ordnung , und wieder sackte - wie blich bei B”en . 000188 000022 in der Ferne die blauen Gebirge . 000189 000022 Sierra Madre Oriental . 000190 000022 unter uns die rote Wste . 000191 000022 als kurz darauf - wir erhielten gerade unsren Lunch , mein Dsseldorfer und ich , das šbliche : f+ Juice +f , ein schneeweiáes Sandwich mit grnem Salat - pl”tzlich ein zweiter Motor aussetzte , war die Panik natrlich da , unvermeidlich , trotz Lunch auf dem Knie . 000192 000022 jemand schrie . 000193 000022 von diesem Augenblick an ging alles sehr rasch - . 000194 000022 offenbar befrchtete man noch den Ausfall der anderen Motoren , so daá man sich zur Notlandung entschloá . 000195 000022 jedenfalls sanken wir , der Lautsprecher knackte und knarrte , so daá man von den Anweisungen , die gegeben werden , kaum ein Wort versteht . 000196 000023 meine erste Sorge : wohin mit dem Lunch ? . 000197 000023 wir sanken , obschon zwei Motoren , wie gesagt , gengen sollten , das reglose Pneu-Paar in der Luft , wie blich vor einer Landung , und ich stellte meinen Lunch einfach auf den Boden des Korridors , dabei befanden wir uns noch mindestens fnfhundert Meter ber dem Boden . 000198 000023 jetzt ohne B”en . 000199 000023 f+ no: smoking: +f . 000200 000023 die Gefahr , daá unsere Maschine bei der Notlandung zerschellt oder in Flammen aufgeht , war mir bewuát - ich staunte ber meine Ruhe . 000201 000023 ich dachte an niemand . 000202 000023 alles ging sehr geschwind , wie schon gesagt , unter uns Sand , ein flaches Tal zwischen Hgeln , die felsig zu sein schienen , alles vollkommen kahl , Wste - . 000203 000023 eigentlich war man nur gespannt . 000204 000023 wir sanken , als l„ge eine Piste unter uns , ich preáte mein Gesicht ans Fenster , man sieht ja diese Pisten immer erst im letzten Augenblick , wenn schon die Bremsklappen drauáen sind . 000205 000023 ich wunderte mich , daá die Bremsklappen nicht kommen . 000206 000023 unsere Maschine vermied offensichtlich jede Kurve , um nicht abzusacken , und wir flogen ber die gnstige Ebene hinaus , unser Schatten flog immer n„her , er sauste schneller als wir , so schien es , ein grauer Fetzen auf dem r”tlichen Sand , er flatterte . 000207 000023 dann Felsen - . 000208 000023 jetzt stiegen wir wieder . 000209 000023 dann , zum Glck , neuerdings Sand , aber Sand mit Agaven , beide Motoren auf Vollgas , so flogen wir Minuten lang auf Haush”he , das Fahrgestell wurde wieder eingezogen . 000210 000023 also Bauchlandung ! . 000211 000023 wir flogen , wie man sonst in groáen H”hen fliegt , ziemlich ruhig und ohne Fahrgestell - aber auf Haush”he , wie gesagt , und ich wuáte , es wird keine Piste kommen , trotzdem preáte ich das Gesicht ans Fenster . 000212 000024 pl”tzlich war unser Fahrgestell neuerdings ausgeschwenkt , ohne daá eine Piste kam , dazu die Bremsklappen , man sprte es wie eine Faust gegen den Magen , Bremsen , Sinken wie im Lift , im letzten Augenblick verlor ich die Nerven , so daá die Notlandung - ich sah nur noch die flitzenden Agaven zu beiden Seiten , dann beide H„nde vors Gesicht ! - nichts als ein blinder Schlag war , Sturz vornber in die Bewuátlosigkeit . 000213 000024 dann Stille . 000214 000024 wir hatten ein Affenschwein , kann ich nur sagen , niemand hatte auch nur eine Nottre aufgetan , ich auch nicht , niemand rhrte sich , wir hingen vornber in unseren Gurten . 000215 000024 f+ " go on " +f , sagte der Captain , f+ " go on ! " +f . 000216 000024 niemand rhrte sich . 000217 000024 f+ " go on ! " +f . 000218 000024 zum Glck kein Feuer , man muáte den Leuten sagen , sie drften sich abschnallen , die Tre war offen , aber es kam natrlich keine Treppe angerollt , wie man's gewohnt ist , bloá Hitze , wie wenn man einen Ofen aufmacht , Glutluft . 000219 000024 ich war unverletzt . 000220 000024 endlich die Strickleiter ! . 000221 000024 man versammelte sich , ohne daá es eine Order brauchte , im Schatten unter der Tragfl„che , alle stumm , als w„re Sprechen in der Wste strengstens verboten . 000222 000024 unsere Super-Constellation stand etwas vornber gekippt , nicht schlimm , nur das vordere Fahrgestell war gestaucht , weil eingesunken im Sand , nicht einmal gebrochen . 000223 000025 die vier Propeller-Kreuze gl„nzten im knallblauen Himmel , ebenso die drei Schwanzsteuer . 000224 000025 niemand rhrte sich , wie gesagt , offenbar warteten alle , daá der Captain etwas sagte . 000225 000025 f+ " well " +f , sagte er , f+ " there we are ! " +f . 000226 000025 er lachte . 000227 000025 ringsum nichts als Agaven , Sand , die r”tlichen Gebirge in der Ferne , ferner als man vorher gesch„tzt hat , vor allem Sand und nochmals Sand , gelblich , das Flimmern der heiáen Luft darber , Luft wie flssiges Glas - . 000228 000025 Zeit : 11.05 Uhr . 000229 000025 ich zog meine Uhr auf - . 000230 000025 die Besatzung holte Wolldecken heraus , um die Pneus vor der Sonne zu schtzen , w„hrend wir in unseren grnen Schwimmwesten umherstanden , unt„tig . 000231 000025 ich weiá nicht , warum niemand die Schwimmweste auszog . 000232 000025 ich glaube nicht an Fgung und Schicksal , als Techniker bin ich gewohnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen . 000233 000025 wieso Fgung ? . 000234 000025 ich gebe zu : ohne die Notlandung in Tamaulipas ( 2. IV. ) w„re alles anders gekommen ; ich h„tte diesen jungen Hencke nicht kennengelernt , ich h„tte vielleicht nie wieder von Hanna geh”rt , ich wáte heute noch nicht , daá ich Vater bin . 000235 000025 es ist nicht auszudenken , wie anders alles gekommen w„re ohne diese Notlandung in Tamaulipas . 000236 000025 vielleicht wrde Sabeth noch leben . 000237 000025 ich bestreite nicht : es war mehr als ein Zufall , daá alles so gekommen ist , es war eine ganze Kette von Zuf„llen . 000238 000026 aber wieso Fgung ? . 000239 000026 ich brauche , um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen , keinerlei Mystik ; Mathematik gengt mir . 000240 000026 mathematisch gesprochen : das Wahrscheinliche ( daá bei 6 000 000 000 Wrfen mit einem regelm„áigen Sechserwrfel ann„hernd 1 000 000 000 Einser vorkommen ) und das Unwahrscheinliche ( daá bei 6 Wrfen mit demselben Wrfel einmal 6 Einser vorkommen ) unterscheiden sich nicht dem Wesen nach , sondern nur der H„ufigkeit nach , wobei das H„ufigere von vornherein als glaubwrdiger erscheint . 000241 000026 es ist aber , wenn einmal das Unwahrscheinliche eintritt , nichts H”heres dabei , keinerlei Wunder oder Derartiges , wie es der Laie so gerne haben m”chte . 000242 000026 indem wir vom Wahrscheinlichen sprechen , ist ja das Unwahrscheinliche immer schon inbegriffen und zwar als Grenzfall des M”glichen , und wenn es einmal eintritt , das Unwahrscheinliche , so besteht fr unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung , zur Erschtterung , zur Mystifikation . 000243 000026 vergleiche hierzu : Ernst Mally Wahrscheinlichkeit: und: Gesetz: , ferner Hans Reichenbach Wahrscheinlichkeitslehre: , ferner Whitehead und Russel f+ Principia: Mathematica: +f , ferner v. Mises Wahrscheinlichkeit: , Statistik: und: Wahrheit: . 000244 000026 unser Aufenthalt in der Wste von Tamaulipas , Mexico , dauerte vier Tage und drei N„chte , total 85 Stunden , worber es wenig zu berichten gibt - ein grandioses Erlebnis ( wie jedermann zu erwarten scheint , wenn ich davon spreche ) war es nicht . 000245 000026 dazu viel zu heiá ! . 000246 000026 natrlich dachte ich auch sofort an den Disney-Film , der ja grandios war , und nahm sofort meine Kamera ; aber von Sensation nicht die Spur , ab und zu eine Eidechse , die mich erschreckte , eine Art von Sandspinnen , das war alles . 000247 000027 es blieb uns nichts als Warten . 000248 000027 das erste , was ich in der Wste von Tamaulipas tat : ich stellte mich dem Dsseldorfer vor , denn er interessierte sich fr meine Kamera , ich erl„uterte ihm meine Optik . 000249 000027 andere lasen . 000250 000027 zum Glck , wie sich bald herausstellte , spielte er auch Schach , und da ich stets mit meinem Steck-Schach reise , waren wir gerettet ; er organisierte sofort zwei leere Coca-Cola-Kistchen , wir setzten uns abseits , um das allgemeine Gerede nicht h”ren zu mssen , in den Schatten unter dem Schwanzsteuer - kleiderlos , bloá in Schuhen ( wegen der Hitze des Sandes ) und in Jockey-Unterhosen . 000251 000027 unser Nachmittag verging im Nu . 000252 000027 kurz vor Einbruch der D„mmerung erschien ein Flugzeug , Milit„r , es kreiste lange ber uns , ohne etwas abzuwerfen , und verschwand ( was ich gefilmt habe ) gegen Norden , Richtung Monterrey . 000253 000027 Abendessen : ein K„se-Sandwich , eine halbe Banane . 000254 000027 ich sch„tze das Schach , weil man Stunden lang nichts zu reden braucht . 000255 000027 man braucht nicht einmal zu h”ren , wenn der andere redet . 000256 000027 man blickt auf das Brett , und es ist keineswegs unh”flich , wenn man kein Bedrfnis nach pers”nlicher Bekanntschaft zeigt , sondern mit ganzem Ernst bei der Sache ist - . 000257 000027 " Sie sind am Zug ! " sagte er - . 000258 000027 die Entdeckung , daá er Joachim , meinen Freund , der seit mindestens zwanzig Jahren einfach verstummt war , nicht nur kennt , sondern daá er geradezu sein Bruder ist , ergab sich durch Zufall ... . 000259 000028 als der Mond aufging ( was ich ebenfalls gefilmt habe ) zwischen schwarzen Agaven am Horizont , h„tte man noch immer Schach spielen k”nnen , so hell war es , aber pl”tzlich zu kalt ; wir waren hinausgestapft , um eine Zigarette zu rauchen , hinaus in den Sand , wo ich gestand , daá ich mir aus Landschaften nichts mache , geschweige denn aus einer Wste . 000260 000028 " das ist nicht Ihr Ernst ! " sagte er . 000261 000028 er fand es ein Erlebnis . 000262 000028 " gehen wir schlafen ! " sagte ich , f+ " - Hotel Super-Constellation , Holiday In Desert With All Accommodations ! " +f . 000263 000028 ich fand es kalt . 000264 000028 ich habe mich schon oft gefragt , was die Leute eigentlich meinen , wenn sie von Erlebnis reden . 000265 000028 ich bin Techniker und gewohnt , die Dinge zu sehen , wie sie sind . 000266 000028 ich sehe alles , wovon sie reden , sehr genau ; ich bin ja nicht blind . 000267 000028 ich sehe den Mond ber der Wste von Tamaulipas - klarer als je , mag sein , aber eine errechenbare Masse , die um unseren Planeten kreist , eine Sache der Gravitation , interessant , aber wieso ein Erlebnis ? . 000268 000028 ich sehe die gezackten Felsen , schwarz vor dem Schein des Mondes ; sie sehen aus , mag sein , wie die gezackten Rcken von urweltlichen Tieren , aber ich weiá : es sind Felsen , Gestein , wahrscheinlich vulkanisch , das máte man nachsehen und feststellen . 000269 000028 wozu soll ich mich frchten ? . 000270 000028 es gibt keine urweltlichen Tiere mehr . 000271 000028 wozu sollte ich sie mir einbilden ? . 000272 000028 ich sehe auch keine versteinerten Engel , es tut mir leid ; auch keine D„monen , ich sehe , was ich sehe : die blichen Formen der Erosion , dazu meinen langen Schatten auf dem Sand , aber keine Gespenster . 000273 000028 wozu weibisch werden ? . 000274 000028 ich sehe auch keine Sintflut , sondern Sand , vom Mond beschienen , vom Wind gewellt wie Wasser , was mich nicht berrascht ; ich finde es nicht fantastisch , sondern erkl„rlich . 000275 000029 ich weiá nicht , wie verdammte Seelen aussehen ; vielleicht wie schwarze Agaven in der n„chtlichen Wste . 000276 000029 was ich sehe , das sind Agaven , eine Pflanze , die ein einziges Mal blht und dann abstirbt . 000277 000029 ferner weiá ich , daá ich nicht ( wenn es im Augenblick auch so aussieht ) der erste oder letzte Mensch auf der Erde bin ; und ich kann mich von der bloáen Vorstellung , der letzte Mensch zu sein , nicht erschttern lassen , denn es ist nicht so . 000278 000029 wozu hysterisch sein ? . 000279 000029 Gebirge sind Gebirge , auch wenn sie in gewisser Beleuchtung , mag sein , wie irgend etwas anderes aussehen , es ist aber die Sierra Madre Oriental , und wir stehen nicht in einem Totenreich , sondern in der Wste von Tamaulipas , Mexico , ungef„hr sechzig Meilen von der n„chsten Straáe entfernt , was peinlich ist , aber wieso ein Erlebnis ? . 000280 000029 ein Flugzeug ist fr mich ein Flugzeug , ich sehe keinen ausgestorbenen Vogel dabei , sondern eine Super-Constellation mit Motor-Defekt , nichts weiter , und da kann der Mond sie bescheinen , wie er will . 000281 000029 warum soll ich erleben , was gar nicht ist ? . 000282 000029 ich kann mich auch nicht entschlieáen , etwas wie die Ewigkeit zu h”ren ; ich h”re gar nichts , ausgenommen das Rieseln von Sand nach jedem Schritt . 000283 000029 ich schlottere , aber ich weiá : in sieben bis acht Stunden kommt wieder die Sonne . 000284 000029 Ende der Welt , wieso ? . 000285 000029 ich kann mir keinen Unsinn einbilden , bloá um etwas zu erleben . 000286 000029 ich sehe den Sand-Horizont , weiálich in der grnen Nacht , sch„tzungsweise zwanzig Meilen von hier , und ich sehe nicht ein , wieso dort , Richtung Tampico , das Jenseits beginnen soll . 000287 000029 ich kenne Tampico . 000288 000029 ich weigere mich , Angst zu haben aus bloáer Fantasie , beziehungsweise fanatisch zu werden aus bloáer Angst , geradezu mystisch . 000289 000030 " kommen Sie ! " sagte ich . 000290 000030 Herbert stand und erlebte noch immer . 000291 000030 " brigens" , sagte ich , " sind Sie irgendwie verwandt mit einem Joachim Hencke , der einmal in Zrich studiert hat ? " . 000292 000030 es kam mir ganz pl”tzlich , als wir so standen , die H„nde in den Hosentaschen , den Rockkragen heraufgestlpt ; wir wollten gerade in die Kabine steigen . 000293 000030 " Joachim ? " sagte er , " das ist mein Bruder " . 000294 000030 " nein ! " sagte ich - . 000295 000030 " ja " , sagte er , " natrlich - ich erz„hlte Ihnen doch , daá ich meinen Bruder in Guatemala besuche " . 000296 000030 wir muáten lachen . 000297 000030 " wie klein die Welt ist ! " . 000298 000030 die N„chte verbrachte man in der Kabine , schlotternd in Mantel und Wolldecken ; die Besatzung kochte Tee , solange Wasser vorhanden . 000299 000030 " wie geht's ihm denn ? " fragte ich . 000300 000030 " seit zwanzig Jahren habe ich nichts mehr von ihm geh”rt " . 000301 000030 " danke " , sagte er , " danke - " . 000302 000030 " damals " , sagte ich , " waren wir sehr befreundet - " . 000303 000030 was ich erfuhr , war so das šbliche : Heirat , ein Kind ( was ich offenbar berh”rt habe ; sonst h„tte ich mich nicht sp„ter danach erkundigt ) , dann Krieg , Gefangenschaft , Heimkehr nach Dsseldorf und so fort , ich staunte , wie die Zeit vergeht , wie man „lter wird . 000304 000030 " wir sind besorgt " , sagte er - . 000305 000030 " wieso ? " . 000306 000030 " er ist der einzige Weiáe da unten " , sagte er , " seit zwei Monaten keinerlei Nachrichten - " . 000307 000031 er berichtete . 000308 000031 die meisten Passagiere schliefen schon , man muáte flstern , das groáe Licht in der Kabine war lange schon gel”scht , und um die Batterie zu schonen , war man gebeten , auch das kleine L„mpchen ber dem Sitz auszuknipsen ; es war dunkel , nur drauáen die Helligkeit des Sandes , die Tragfl„chen im Mondlicht , gl„nzend , kalt . 000309 000031 " wieso Revolte ? " fragte ich . 000310 000031 ich beruhigte ihn . 000311 000031 " wieso Revolte ? " sagte ich , " vielleicht sind seine Briefe einfach verlorengegangen - " . 000312 000031 jemand bat uns , endlich zu schweigen . 000313 000031 zweiundvierzig Passagiere in einer Super-Constellation , die nicht fliegt , sondern in der Wste steht , ein Flugzeug mit Wolldecken um die Motoren ( um sie vor Sand zu schtzen ) und mit Wolldecken um jeden Pneu , die Passagiere genau so , wie wenn man fliegt , in ihren Sesseln schlafend mit schr„gen K”pfen und meistens offenen Mndern , aber dazu Totenstille , drauáen die vier blanken Propeller-Kreuze , der weiáliche Mondglanz auch auf den Tragfl„chen , alles reglos - es war ein komischer Anblick . 000314 000031 jemand redete im Traum - . 000315 000031 beim Erwachen am Morgen , als ich zum Fensterchen hinausschaute und den Sand sah , die N„he des Sandes , erschrak ich eine Sekunde lang , unn”tigerweise . 000316 000031 Herbert las wieder ein rororo . 000317 000031 ich nahm mein Kalenderchen : 3. IV. Montage in Caracas ! . 000318 000031 zum Frhstck gab es f+ Juice +f , dazu zwei Biscuits , dazu Versicherungen , daá Lebensmittel unterwegs sind , Getr„nke auch , kein Grund zu Besorgnis - sie h„tten besser nichts gesagt ; denn so wartete man natrlich den ganzen Tag auf Motorenger„usch . 000319 000032 wieder eine Irrsinnshitze ! . 000320 000032 in der Kabine war's noch heiáer - . 000321 000032 was man h”rte : Wind , dann und wann Pfiffe von Sandm„usen , die man allerdings nicht sah , das Rascheln einer Eidechse , vor allem ein steter Wind , der den Sand nicht aufwirbelte , wie gesagt , aber rieseln lieá , so daá unsere Trittspuren immer wieder gel”scht waren ; immer wieder sah es aus , als w„re niemand hier gewesen , keine Gesellschaft von zweiundvierzig Passagieren und fnf Leuten der Besatzung . 000322 000032 ich wollte mich rasieren - . 000323 000032 zu filmen gab es berhaupt nichts . 000324 000032 ich fhle mich nicht wohl , wenn unrasiert ; nicht wegen der Leute , sondern meinetwegen . 000325 000032 ich habe dann das Gefhl , ich werde etwas wie eine Pflanze , wenn ich nicht rasiert bin , und ich greife unwillkrlich an mein Kinn . 000326 000032 ich holte meinen Apparat und versuchte alles m”gliche , beziehungsweise unm”gliche , denn ohne elektrischen Strom ist mit diesem Apparat ja nichts zu machen , das weiá ich - das war es ja , was mich nerv”s machte : daá es in der Wste keinen Strom gibt , kein Telefon , keinen Stecker , nichts . 000327 000032 einmal , mittags , h”rte man Motoren . 000328 000032 alle , auáer Herbert und mir , standen drauáen in der brtenden Sonne , um Ausschau zu halten in dem violetten Himmel ber dem gelblichen Sand und den grauen Disteln und den r”tlichen Gebirgen , es war nur ein dnnes Summen , eine gew”hnliche DC-7: , die da in groáer H”he gl„nzte , im Widerschein weiá wie Schnee , Kurs auf Mexico-City , wo wir gestern um diese Zeit h„tten landen sollen . 000329 000033 die Stimmung war miserabler als je . 000330 000033 wir hatten unser Schach , zum Glck . 000331 000033 viele Passagiere folgten unserem Vorbild , indem sie sich mit Schuhen und Unterhosen begngten ; die Damen hatten es schwieriger , einige saáen in aufgekrempelten R”cken und in Bstenhaltern , blau oder weiá oder rosa , ihre Bluse um den Kopf gewickelt wie einen Turban . 000332 000033 viele klagten ber Kopfschmerz . 000333 000033 jemand muáte sich erbrechen - . 000334 000033 wir hockten wieder abseits , Herbert und ich , im Schatten unter dem Schwanzsteuer , das , wie die Tragfl„chen auch , im Widerschein des besonnten Sandes blendete , so daá man sogar im Schatten wie unter einem Scheinwerfer saá , und wir redeten wie blich wenig beim Schach . 000335 000033 einmal fragte ich : " ist Joachim denn nicht mehr verheiratet ? " . 000336 000033 " nein " , sagte er . 000337 000033 " geschieden ? " . 000338 000033 " ja " , sagte er . 000339 000033 " wir haben viel Schach gespielt - damals " . 000340 000033 " so " , sagte er . 000341 000033 seine Einsilbigkeit reizte mich . 000342 000033 " wen hat er denn geheiratet ? " . 000343 000033 ich fragte zum Zeitvertreib , es machte mich nerv”s , daá man nicht rauchen durfte , ich hatte eine Zigarette im Mund , feuerlos , weil Herbert sich so lange besann , obschon er sehen muáte , daá es nichts mehr zu retten gibt ; ich lag mit einem Pferdchen-Gewinn im sicheren Vorteil , als er nach langem Schweigen , dann so beil„ufig , wie ich meinerseits gefragt hatte , den Namen von Hanna erw„hnte . 000344 000034 " - Hanna Landsberg , Mnchnerin , Halbjdin " . 000345 000034 ich sagte nichts . 000346 000034 " Sie sind am Zug ! " sagte er . 000347 000034 ich lieá nichts merken , glaube ich . 000348 000034 ich zndete versehentlich meine Zigarette an , was strengstens verboten war , und l”schte sofort aus . 000349 000034 ich tat , als berlegte ich meine Zge , und verlor Figur um Figur - . 000350 000034 " was ist los ? " lachte er , " was ist los ? " . 000351 000034 wir spielten die Partie nicht zu Ende , ich gab auf und drehte das Brettchen , um die Figuren neuerdings aufzustellen . 000352 000034 ich wagte nicht einmal zu fragen , ob Hanna noch am Leben sei . 000353 000034 stundenlang spielten wir ohne ein Wort , von Zeit zu Zeit gen”tigt , unsere Coca-Cola-Kiste zu verrutschen , um im Schatten zu bleiben , das heiát : gen”tigt , immer wieder auf Sand zu sitzen , der gerade noch in der Sonne geglht hatte . 000354 000034 wir schwitzten wie in der Sauna , wortlos ber mein ledernes Steckschach gebeugt , das sich von unseren Schweiátropfen leider verf„rbte . 000355 000034 zu trinken gab es nichts mehr . 000356 000034 warum ich nicht fragte , ob Hanna noch lebt , weiá ich nicht - vielleicht aus Angst , er wrde mir sagen , Hanna sei nach Theresienstadt gekommen . 000357 000034 ich errechnete ihr heutiges Alter . 000358 000034 ich konnte sie mir nicht vorstellen . 000359 000034 gegen Abend , kurz vor D„mmerung , kam endlich das versprochene Flugzeug , eine Sportmaschine , die lange kreiste , bis sie endlich den Fallschirmabwurf wagte : drei S„cke , zwei Kisten , die es im Umkreis von dreihundert Metern zu holen galt - wir waren gerettet : f+ Carta: blanca: , Cerveza: Mexicana: +f , ein gutes Bier , das sogar Herbert , der Deutsche , anerkennen muáte , als man mit Bierdosen in der Wste stand , Gesellschaft in Bstenhaltern und Unterhosen , dazu wieder Sonnenuntergang , den ich auf Farbfilm nahm . 000360 000035 ich tr„umte von Hanna . 000361 000035 Hanna als Krankenschwester zu Pferd ! . 000362 000035 am dritten Tag endlich ein erster Helikopter , um wenigstens die argentinische Mama mit ihren zwei Kindern zu holen , Gott sei Dank , und um Post mitzunehmen ; er wartete eine Stunde auf Post . 000363 000035 Herbert schrieb sofort nach Dsseldorf . 000364 000035 jedermann saá und schrieb . 000365 000035 man muáte fast schreiben , bloá damit die lieben Leute nicht fragten , ob man denn keine Frau habe , keine Mutter , keine Kinder , - ich holte meine Hermes-Baby ( sie ist heute noch voll Sand ) und spannte einen Bogen ein , Bogen mit Durchschlag , da ich annahm , ich wrde an Williams schreiben , tippte das Datum und schob - Platz fr Anrede : f+ " my Dear ! " +f . 000366 000035 ich schrieb also an Ivy . 000367 000035 lange schon hatte ich das Bedrfnis , einmal sauberen Tisch zu machen . 000368 000035 endlich einmal hatte ich die Ruhe und Zeit , die Ruhe einer ganzen Wste . 000369 000035 f+ my Dear - " +f . 000370 000035 daá ich in der Wste hocke , sechzig Meilen von der befahrbaren Welt entfernt , war bald gesagt . 000371 000035 daá es heiá ist , sch”nes Wetter , keine Spur von Verletzung und so weiter , dazu ein paar Details zwecks Anschaulichkeit : Coca-Cola-Kiste , Unterhosen , Helikopter , Bekanntschaft mit einem Schachspieler , all dies fllte noch keinen Brief . 000372 000035 was weiter ? . 000373 000035 die bl„ulichen Gebirge in der Ferne . 000374 000035 was weiter ? . 000375 000035 gestern Bier . 000376 000035 was weiter ? . 000377 000035 ich konnte sie nicht einmal um Zustellung von Filmen bitten und war mir bewuát , daá Ivy , wie jede Frau , eigentlich nur wissen m”chte , was ich fhle , beziehungsweise denke , wenn ich schon nichts fhle , und das wuáte ich zwar genau : ich habe Hanna nicht geheiratet , die ich liebte , und wieso soll ich Ivy heiraten ? - aber das zu formulieren , ohne daá es verletzte , war verdammt nicht leicht , denn sie wuáte ja nichts von Hanna und war ein lieber Kerl , aber eine Art von Amerikanerin , die jeden Mann , der sie ins Bett nimmt , glaubt heiraten zu mssen . 000378 000036 dabei war Ivy durchaus verheiratet , ich weiá nicht zum wievielten Mal , und ihr Mann , Beamter in Washington , dachte ja nicht dran , sich scheiden zu lassen ; denn er liebte Ivy . 000379 000036 ob er ahnte , warum Ivy regelm„áig nach New York flog , weiá ich nicht . 000380 000036 sie sagte , sie ginge zum Psychiater , und das ging sie n„mlich auch . 000381 000036 jedenfalls klopfte es nie an meiner Tre , und ich sah nicht ein , wieso Ivy , sonst in ihren Ansichten modern , eine Ehe daraus machen wollte ; sowieso hatten wir in letzter Zeit nur noch Krach , schien mir , Krach um jede Kleinigkeit . 000382 000036 Krach wegen Studebaker-oder-Nash ! . 000383 000036 ich brauchte nur daran zu denken - und es tippte pl”tzlich wie von selbst , im Gegenteil , ich muáte auf die Uhr sehen , damit mein Brief noch fertig wird , bis der Helikopter startet . 000384 000036 sein Motor lief bereits - . 000385 000036 nicht ich , sondern Ivy hatte den Studebaker gewollt ; vor allem die Farbe ( Tomatenrot nach ihrer Meinung , Himbeerrot nach meiner Meinung ) war ihr Geschmack , nicht meiner , denn das Technische kmmerte sie wenig . 000386 000036 Ivy war Mannequin , sie w„hlte ihre Kleider nach der Wagenfarbe , glaube ich , die Wagenfarbe nach ihrem Lippenstift oder umgekehrt , ich weiá es nicht . 000387 000036 ich kannte nur ihren ewigen Vorwurf : daá ich berhaupt keinen Geschmack habe und daá ich sie nicht heirate . 000388 000037 dabei war sie , wie gesagt , ein lieber Kerl . 000389 000037 aber daá ich daran dachte , ihren Studebaker zu verkaufen , das fand sie unm”glich , beziehungsweise typisch fr mich , daá ich nicht eine Sekunde lang an ihre Garderobe d„chte , die mit dem Himbeer-Studebaker stand und fiel , typisch fr mich , denn ich sei ein Egoist , ein Rohling , ein Barbar in bezug auf Geschmack , ein Unmensch in bezug auf die Frau . 000390 000037 ich kannte ihre Vorwrfe und hatte sie satt . 000391 000037 daá ich grunds„tzlich nicht heirate , das hatte ich oft genug gesagt , zumindest durchblicken lassen , zuletzt aber auch gesagt , und zwar auf dem Flugplatz , als wir drei Stunden lang auf diese Super-Constellation hatten warten mssen . 000392 000037 Ivy hatte sogar geweint , somit geh”rt , was ich sagte . 000393 000037 aber vielleicht brauchte Ivy es schwarz auf weiá . 000394 000037 w„ren wir bei dieser Notlandung verbrannt , k”nnte sie auch ohne mich leben ! - schrieb ich ihr ( zum Glck mit Durchschlag ) deutlich genug , so meinte ich , um uns ein Wiedersehen zu ersparen . 000395 000037 der Helikopter war startbereit - . 000396 000037 ich konnte meinen Brief nicht mehr durchlesen , nur in den Umschlag stecken , zukleben und geben - schauen , wie der Helikopter startete . 000397 000037 langsam hatte man B„rte . 000398 000037 ich sehnte mich nach elektrischem Strom - . 000399 000037 langsam wurde die Sache doch langweilig , eigentlich ein Skandal , daá die zweiundvierzig Passagiere und fnf Leute der Besatzung nicht l„ngst aus dieser Wste befreit waren , schlieálich reisten die meisten von uns in dringenden Gesch„ften . 000400 000037 einmal fragte ich doch : " lebt sie eigentlich noch ? " . 000401 000038 " wer ? " fragte er . 000402 000038 " Hanna - seine Frau " . 000403 000038 " ach so " , sagte er und berlegte nur , wie er meine Gambit-Er”ffnung abwehren solle , dazu sein Pfeifen , das mir sowieso auf die Nerven ging , ein halblautes Pfeifen ohne jede Melodie , Gezisch wie bei einem Ventil , unwillkrlich - ich muáte nochmals fragen : " wo lebt sie denn heute ? " . 000404 000038 " weiá ich nicht " , sagte er . 000405 000038 " aber sie lebt noch ? " . 000406 000038 " ich nehme an " . 000407 000038 " du weiát es nicht ? " . 000408 000038 " nein " , sagte er , " aber ich nehme an - " . 000409 000038 er wiederholte alles wie sein eigenes Echo : " - ich nehme an " . 000410 000038 unser Schach war ihm wichtiger . 000411 000038 " vielleicht ist alles zu sp„t " , sagte er sp„ter , " vielleicht ist alles zu sp„t " . 000412 000038 damit meinte er das Schach . 000413 000038 " hat sie denn noch emigrieren k”nnen ? " . 000414 000038 " ja " , sagte er , " das hat sie - " . 000415 000038 " wann ? " . 000416 000038 " 1938 " , sagte er , " in letzter Stunde - " . 000417 000038 " wohin ? " . 000418 000038 " Paris " , sagte er , " dann vermutlich weiter , denn ein paar Jahre sp„ter waren wir ja auch in Paris . 000419 000038 - brigens meine sch”nste Zeit ! . 000420 000038 bevor ich in den Kaukasus kam . 000421 000038 f+ sous les toits de Paris ! " +f . 000422 000038 mehr war nicht zu erfragen . 000423 000038 " du " , sagte er , " das ist eine beschissene Sache , scheint mir , wenn ich jetzt nicht abtausche " . 000424 000039 wir spielten immer lustloser . 000425 000039 wie man sp„ter erfuhr , warteten damals acht Helikopter der f+ US-Army: +f an der mexikanischen Grenze auf die beh”rdliche Bewilligung , uns zu holen . 000426 000039 ich putzte meine Hermes-Baby . 000427 000039 Herbert las . 000428 000039 es blieb uns nichts als Warten . 000429 000039 was Hanna betrifft : ich h„tte Hanna gar nicht heiraten k”nnen , ich war damals , 1933 bis 1935 , Assistent an der Eidgen”ssischen Technischen Hochschule , Zrich , arbeitete an meiner Dissertation ( ber die Bedeutung des sogenannten Maxwell'schen D„mons ) und verdiente dreihundert Franken im Monat , eine Heirat kam damals nicht in Frage , wirtschaftlich betrachtet , abgesehen von allem anderen . 000430 000039 Hanna hat mir auch nie einen Vorwurf gemacht , daá es damals nicht zur Heirat kam . 000431 000039 ich war bereit dazu . 000432 000039 im Grunde war es Hanna selbst , die damals nicht heiraten wollte . 000433 000039 mein Entschluá , eine Dienstreise einfach zu „ndern und einen privaten Umweg ber Guatemala zu machen , bloá um einen alten Jugendfreund wiederzusehen , fiel auf dem neuen Flugplatz in Mexico-City , und zwar im letzten Augenblick ; ich stand schon an der Schranke , nochmals H„ndeschtteln , ich bat Herbert , seinen Bruder zu gráen von mir , sofern Joachim sich berhaupt noch an mich erinnerte - dazu wieder der bliche Lautsprecher : f+ your: attention: please: , your: attention: please: +f , es war wieder eine Super-Constellation , f+ all: passengers: for: Panama: - Caracas: - Pernambuco: +f , es ”dete mich einfach an , schon wieder in ein Flugzeug zu steigen , schon wieder Grtel zu schnallen , Herbert sagte : " Mensch , du muát gehen ! " . 000434 000040 ich gelte in beruflichen Dingen als „uáerst gewissenhaft , geradezu pedantisch , jedenfalls ist es noch nicht vorgekommen , daá ich eine Dienstreise aus purer Laune verz”gerte , geschweige denn „nderte - eine Stunde sp„ter flog ich mit Herbert . 000435 000040 " du " , sagte er , " das ist flott von dir ! " . 000436 000040 ich weiá nicht , was es wirklich war . 000437 000040 " nun warten die Turbinen einmal auf mich " , sagte ich , " ich habe auch schon auf Turbinen gewartet - nun warten sie einmal auf mich ! " . 000438 000040 natrlich ist das kein Standpunkt . 000439 000040 schon in Campeche empfing uns die Hitze mit schleimiger Sonne und klebriger Luft , Gestank von Schlamm , der an der Sonne verwest , und wenn man sich den Schweiá aus dem Gesicht wischt , so ist es , als stinke man selbst nach Fisch . 000440 000040 ich sagte nichts . 000441 000040 schlieálich wischt man sich den Schweiá nicht mehr ab , sondern sitzt mit geschlossenen Augen und atmet mit geschlossenem Mund , Kopf an eine Mauer gelehnt , die Beine von sich gestreckt . 000442 000040 Herbert war ganz sicher , daá der Zug jeden Dienstag f„hrt , laut Reisefhrer von Dsseldorf , er hatte es sogar schwarz auf weiá - aber es war , wie sich nach fnfstndigem Warten pl”tzlich herausstellte , nicht Dienstag , sondern Montag . 000443 000040 ich sagte kein Wort . 000444 000040 im Hotel gibt es wenigstens eine Dusche , ein Handtuch , das nach Campfer riecht wie blich in diesen Gegenden , und wenn man sich duschen will , fallen die fingerlangen K„fer aus dem schimmligen Vorhang - ich ers„ufte sie , doch kletterten sie nach einer Weile immer wieder aus dem Ablauf hervor , bis ich sie mit der Ferse zertrat , um mich endlich duschen zu k”nnen . 000445 000041 ich tr„umte von diesen K„fern . 000446 000041 ich war entschlossen , Herbert zu verlassen und am andern Mittag zurckzufliegen , Kameradschaft hin oder her - . 000447 000041 ich sprte wieder meinen Magen . 000448 000041 ich lag splitternackt - . 000449 000041 es stank die ganze Nacht . 000450 000041 auch Herbert lag splitternackt - . 000451 000041 Campeche ist immerhin noch eine Stadt , eine Siedlung mit elektrischem Strom , so daá man sich rasieren konnte , und mit Telefon ; aber auf allen Dr„hten hocken schon Zopilote , die reihenweise warten , bis ein Hund verhungert , ein Esel verreckt , ein Pferd geschlachtet wird , dann flattern sie herab ... . 000452 000041 wir kamen gerade hinzu , wie sie hin und her zerrten an einem solchen Geschlamp von Eingeweide , eine ganze Meute von schwarzvioletten V”geln mit blutigen D„rmen in ihren Schn„beln , nicht zu vertreiben , auch wenn ein Wagen kommt ; sie zerren das Aas anderswohin , ohne aufzufliegen , nur hpfend , nur huschend , alles mitten auf dem Markt . 000453 000041 Herbert kaufte eine Ananas . 000454 000041 ich war entschlossen , wie gesagt , nach Mexico-City zurckzufliegen . 000455 000041 ich war verzweifelt . 000456 000041 warum ich es nicht tat , weiá ich nicht . 000457 000041 pl”tzlich war's Mittag - . 000458 000041 wir standen drauáen auf einem Damm , wo es weniger stank , aber um so heiáer war , weil schattenlos , und aáen unsere Ananas , wir bckten uns vornber , so tropfte es , dann ber die Steine hinunter , um die zuckerigen Finger zu splen ; das warme Wasser war ebenfalls klebrig , nicht zuckerig , aber salzig , und die Finger stanken nach Tang , nach Motor”l , nach Muscheln , nach F„ulnis unbestimmbarer Art , so daá man sie sofort am Taschentuch abwischte . 000459 000042 pl”tzlich das Motorenger„usch ! . 000460 000042 ich stand gel„hmt . 000461 000042 meine DC-4: nach Mexico-City , sie flog gerade ber uns hinweg , dann Kurve aufs offene Meer hinaus , wo sie im heiáen Himmel sich sozusagen aufl”ste wie in einer blauen S„ure - . 000462 000042 ich sagte nichts . 000463 000042 ich weiá nicht , wie jener Tag verging . 000464 000042 er verging - . 000465 000042 unser Zug ( Campeche-Palenque-Coatzocoalcos ) war besser als erwartet : eine Dieselmaschine und vier Wagen mit f+ air-condition +f , so daá wir die Hitze vergaáen , mit der Hitze auch den Unsinn dieser ganzen Reise . 000466 000042 " ob Joachim mich noch kennt ? " . 000467 000042 ab und zu hielt unser Zug auf offener Strecke in der Nacht , man hatte keine Ahnung wieso , nirgends ein Licht , nur dank eines fernen Gewitters erkannte man , daá es durch Dschungel geht , teilweise Sumpf , Wetterleuchten hinter einem Geflecht von schwarzen B„umen , unsere Lokomotive tutete und tutete in die Nacht hinaus , man konnte das Fenster nicht ”ffnen , um zu sehen , was los ist ... . 000468 000042 pl”tzlich fuhr er wieder : dreiáig Stundenkilometer , obschon es topfeben ist , eine schnurgerade Strecke . 000469 000042 immerhin war man zufrieden , daá es weiterging . 000470 000042 einmal fragte ich : " warum sind sie eigentlich geschieden ? " . 000471 000043 " weiá ich nicht " , sagte er , " sie wurde Kommunistin , glaube ich - " . 000472 000043 " drum ? " . 000473 000043 er g„hnte . 000474 000043 " ich weiá es nicht " , sagte er , " es ging nicht . 000475 000043 ich habe nie danach gefragt " . 000476 000043 einmal , als unser Zug neuerdings hielt , ging ich zur Wagentr , um hinauszuschauen . 000477 000043 drauáen die Hitze , die man vergessen hatte , eine feuchte Finsternis und Stille . 000478 000043 ich ging aufs Trittbrett hinunter , Stille mit Wetterleuchten , ein Bffel stand auf dem schnurgeraden Geleise vor uns , nichts weiter . 000479 000043 er stand wie ausgestopft , weil vom Scheinwerfer unserer Lokomotive geblendet , stur . 000480 000043 sofort hatte man wieder Schweiá auf der Stirne und am Hals . 000481 000043 es tutete und tutete . 000482 000043 ringsum nichts als Dickicht . 000483 000043 nach einigen Minuten ging der Bffel ( oder was es war ) langsam aus dem Scheinwerfer , dann h”rte ich Rauschen im Dickicht , das Knicken von Žsten , dann ein Klatschen , sein Platschen im Wasser , das man nicht sah - . 000484 000043 dann fuhren wir wieder . 000485 000043 " haben sie denn Kinder ? " fragte ich . 000486 000043 " eine Tochter - " . 000487 000043 wir richteten uns zum Schlafen , die Jacke unter den Nacken , die Beine gestreckt auf die leeren Sitze gegenber . 000488 000043 " hast du sie gekannt ? " . 000489 000043 " ja " , sagte ich , " warum ? " . 000490 000043 kurz darauf schlief er - . 000491 000043 beim Morgengrauen noch immer Dickicht , die erste Sonne ber dem flachen Dschungel-Horizont , viel Reiher , die in weiáen Scharen aufflatterten vor unserem langsamen Zug , Dickicht ohne Ende , unabsehbar , dann und wann eine Gruppe indianischer Htten , verborgen unter B„umen mit Luftwurzeln , manchmal eine einzelne Palme , sonst meistens Laubh”lzer , Akazien und Unbekanntes , vor allem Bsche , ein vorsintflutliches Farnkraut , es wimmelte von schwefelgelben V”geln , die Sonne wieder wie hinter Milchglas , Dunst , man sah die Hitze . 000492 000044 ich hatte getr„umt - . 000493 000044 ( nicht von Hanna ! ) . 000494 000044 als wir neuerdings auf offener Strecke hielten , war es Palenque , ein Bahnh”flein irgendwo , wo niemand einsteigt und niemand aussteigt auáer uns , ein kleiner Schopf neben dem Geleise , ein Signal , nichts weiter , nicht einmal eine Verdopplung des Geleises ( wenn ich mich richtig erinnere ) , wir erkundigten uns dreimal , ob das Palenque ist . 000495 000044 sofort rann wieder der Schweiá - . 000496 000044 wir standen mit unserem Gep„ck , als der Zug weiterfuhr , wie am Ende der Welt , mindestens am Ende der Zivilisation , und von einem Jeep , der hier h„tte warten sollen , um den Herrn aus Dsseldorf sofort zur Plantage hinberzufahren , war natrlich keine Spur . 000497 000044 f+ " there we are ! " +f . 000498 000044 ich lachte . 000499 000044 immerhin gab es ein Str„álein , und nach einer halben Stunde , die uns ziemlich ersch”pft hatte , kamen Kinder aus den Bschen , sp„ter ein Eseltreiber , der unser Gep„ck nahm , ein Indio natrlich , ich behielt nur meine gelbe Aktenmappe mit Reiáverschluá . 000500 000044 fnf Tage hingen wir in Palenque . 000501 000044 wir hingen in H„ngematten , allzeit ein Bier in greifbarer N„he , schwitzend , als w„re Schwitzen unser Lebenszweck , unf„hig zu irgendeinem Entschluá , eigentlich ganz zufrieden , denn das Bier ist ausgezeichnet , Yucateca: , besser als das Bier im Hochland , wir hingen in unseren H„ngematten und tranken , um weiter schwitzen zu k”nnen , und ich wuáte nicht , was wir eigentlich wollten . 000502 000045 wir wollten einen Jeep ! . 000503 000045 wenn man es sich nicht immer wieder sagte , so vergaá man es , und sonst sagten wir wenig den ganzen Tag , ein sonderbarer Zustand . 000504 000045 ein Jeep , ja , aber woher ? . 000505 000045 Sprechen machte nur durstig . 000506 000045 der Wirt unsres winzigen Hotels ( Lacroix: ) hatte einen Landrover , offensichtlich das einzige Fahrzeug in Palenque , das er aber selber brauchte , um Bier und G„ste von der Bahn zu holen , Leute , die sich etwas aus indianischen Ruinen machen , Liebhaber von Pyramiden ; zur Zeit war nur ein einziger da , ein junger Amerikaner , der zuviel redete , aber zum Glck war er tagsber immer weg - drauáen auf den Ruinen , die auch wir , meinte er , besichtigen sollten . 000507 000045 ich dachte ja nicht daran ! . 000508 000045 jeder Schritt l”ste Schweiá aus , der sofort mit Bier ersetzt werden muáte , und es ging nur , indem man in der H„ngematte hing mit bloáen Fáen und sich nicht rhrte , rauchend , Apathie als einzig m”glicher Zustand - sogar das Gercht , die Plantage jenseits der Grenze sei seit Monaten verlassen , regte uns nicht auf ; wir blickten einander an , Herbert und ich , und tranken unser Bier . 000509 000045 unsere einzige Chance : der Landrover . 000510 000045 der stand tagelang vor dem Hotelchen - . 000511 000045 aber der Wirt , wie gesagt , brauchte ihn ! . 000512 000045 erst nach Sonnenuntergang ( die Sonne geht eigentlich nicht unter , sondern ermattet im Dunst ) wurde es khler , so daá man wenigstens bl”deln konnte . 000513 000046 ber die Zukunft der deutschen Zigarre ! . 000514 000046 ich fand es zum Lachen , nichts weiter , unsere ganze Reiserei und berhaupt . 000515 000046 Revolte der Eingeborenen ! . 000516 000046 daran glaubte ich nicht einen Augenblick lang ; dazu sind diese Indios viel zu sanft , zu friedlich , geradezu kindisch . 000517 000046 Abende lang hocken sie in ihren weiáen Strohhten auf der Erde , reglos wie Pilze , zufrieden ohne Licht , still . 000518 000046 Sonne und Mond sind ihnen Licht genug , ein weibisches Volk , unheimlich , dabei harmlos . 000519 000046 Herbert fragte , was ich denn glaube . 000520 000046 nichts ! . 000521 000046 was man denn machen solle , fragte er . 000522 000046 duschen - . 000523 000046 ich duschte mich von morgens bis abends , ich hasse Schweiá , weil man sich wie ein Kranker vorkommt . 000524 000046 ( ich bin in meinem Leben nie krank gewesen , ausgenommen Masern ) . 000525 000046 ich glaube , Herbert fand es nicht gerade kameradschaftlich von mir , daá ich berhaupt nichts glaubte , aber es war einfach zu heiá , um etwas zu glauben , oder dann glaubte man geradezu alles - wie Herbert . 000526 000046 " komm " , sagte ich , " gehen wir ins Kino ! " . 000527 000046 Herbert glaubte im Ernst , daá es in Palenque , das aus lauter indianischen Htten besteht , ein Kino gibt , und er war wtend , als ich lachte . 000528 000046 zum Regnen kam es nie . 000529 000046 es wetterleuchtete jede Nacht , unsere einzige Abendunterhaltung , Palenque besitzt einen Dieselmotor , der elektrischen Strom erzeugt , aber um 21.00 Uhr abgestellt wird , so daá man pl”tzlich in der Finsternis des Dschungels hing und nur noch das Wetterleuchten sah , bl„ulich wie Quarzlampenlicht , dazu die roten Leuchtk„fer , sp„ter Mond , schleimig , Sterne sah man nicht , dazu war es zu dunstig ... . 000530 000047 Joachim schreibt einfach keine Briefe , weil es zu heiá ist , ich konnte es verstehen ; er h„ngt in seiner H„ngematte wie wir , g„hnend , oder er ist tot - da gab es nichts zu glauben , fand ich , bloá zu warten , bis wir einen Jeep bekommen , um ber die Grenze zu fahren und zu sehen . 000531 000047 Herbert schrie mich an : " ein Jeep ! - woher ? " . 000532 000047 kurz darauf schnarchte er . 000533 000047 sonst herrschte , sobald der Dieselmotor abgestellt war , meistens Stille ; ein Pferd graste im Mondschein , im gleichen Gehege ein Reh , aber lautlos , ferner eine schwarze Sau , ein Truthahn , der das Wetterleuchten nicht vertrug und kreischte , ferner G„nse , die pl”tzlich , vom Truthahn aufgeregt , ebenfalls schnatterten , pl”tzlich ein Alarm , dann wieder Stille , Wetterleuchten ber dem platten Land , nur das grasende Pferd h”rte man die ganze Nacht . 000534 000047 ich dachte an Joachim - . 000535 000047 aber was eigentlich ? . 000536 000047 ich war einfach wach . 000537 000047 nur unser Ruinen-Freund schwatzte viel , und wenn man zuh”rte , sogar ganz interessant ; von Tolteken , Zapoteken , Azteken , die zwar Tempel erbaut , aber das Rad nicht gekannt haben . 000538 000047 er kam aus Boston und war Musiker . 000539 000047 manchmal ging er mir auf die Nerven wie alle Knstler , die sich fr h”here oder tiefere Wesen halten , bloá weil sie nicht wissen , was Elektrizit„t ist . 000540 000047 schlieálich schlief ich auch . 000541 000047 am Morgen , jedesmal , weckte mich ein sonderbarer L„rm , halb Industrie , halb Musik , ein Ger„usch , das ich mir nicht erkl„ren konnte , nicht laut , aber rasend wie Grillen , metallisch , monoton , es muáte eine Mechanik sein , aber ich erriet sie nicht , und sp„ter , wenn wir zum Frhstck ins Dorf gingen , war es verstummt , nichts zu sehen . 000542 000048 wir waren die einzigen G„ste in der einzigen Pinte , wo wir immer das gleiche bestellten : Huevos a la mexicana , sauscharf , aber vermutlich gesund , dazu Tortilla , dazu Bier . 000543 000048 die indianische Wirtin , eine Matrone mit schwarzen Z”pfen , hielt uns fr Forscher . 000544 000048 ihre Haare erinnern an Gefieder : schwarz mit einem bl„ulich-grnen Glanz darin ; dazu ihre Elfenbein-Z„hne , wenn sie einmal l„cheln , ihre ebenfalls schwarzen und weichen Augen . 000545 000048 " frag sie doch " , sagte Herbert , " ob sie meinen Bruder kennt und wann sie ihn zuletzt gesehen hat " . 000546 000048 viel war nicht zu erfahren . 000547 000048 " sie erinnert sich an ein Auto " , sagte ich , " das ist alles - " . 000548 000048 auch der Papagei wuáte nichts . 000549 000048 f+ gracias: , hihi: ! +f . 000550 000048 ich redete spanisch mit ihm . 000551 000048 f+ hihi: , gracias: , hihi: ! +f . 000552 000048 am dritten oder vierten Morgen , als wir wie blich frhstckten , begafft von lauter Maya-Kindern , die brigens nicht betteln , sondern einfach vor unserem Tisch stehen und von Zeit zu Zeit lachen , war Herbert von der fixen Idee besessen , es máte irgendwo in diesem Hhnerdorf , wenn man es grndlich untersuchte , irgendeinen Jeep geben - irgendwo hinter einer Htte , irgendwo im Dickicht von Krbis und Bananen und Mais . 000553 000048 ich lieá ihn . 000554 000048 es war Bl”dsinn , schien mir , wie alles , aber es war mir einerlei , ich hing in meiner H„ngematte , und Herbert zeigte sich den ganzen Tag nicht . 000555 000048 sogar zum Filmen war ich zu faul . 000556 000049 auáer Bier , Yucateca: , das ausgezeichnet war , aber ausgegangen , gab es in Palenque nur noch Rum , miserabel , und Coca-Cola , was ich nicht ausstehen kann - . 000557 000049 ich trank Rum und schlief . 000558 000049 jedenfalls dachte ich stundenlang an nichts - . 000559 000049 Herbert , der erst in der D„mmerung zurckkam , bleich vor Ersch”pfung , hatte einen Bach entdeckt , und gebadet , ferner zwei M„nner entdeckt , die mit krummen S„beln ( so behauptete er ) durch den Mais gingen , Indios mit weiáen Hosen und weiáen Strohhten , genau wie die M„nner im Dorf - aber mit krummen S„beln in der Hand . 000560 000049 von Jeep natrlich kein Wort ! . 000561 000049 er hatte Angst , glaube ich . 000562 000049 ich rasierte mich , solange es noch elektrischen Strom gab . 000563 000049 Herbert erz„hlte wieder von seinem Kaukasus , seine Schauergeschichten vom Iwan , die ich kenne ; sp„ter gingen wir , da es kein Bier mehr gab , ins Kino , gefhrt von unserem Ruinen-Freund , der sein Palenque kannte - es gab tats„chlich ein Kino , Schopf mit Wellblechdach , wir sahen als Vorfilm : Harald Lloyd , Fassadenkletterei in der Mode der Zwanzigerjahre ; als Hauptfilm : Liebesleidenschaft in den besten Kreisen von Mexico , Ehebruch mit Cadillac und Browning , alles in Marmor und Abendkleid . 000564 000049 wir lachten uns krumm , w„hrend die vier oder fnf Indios reglos vor der verrumpften Leinwand hockten , ihre groáen Strohhte auf dem Kopf , vielleicht zufrieden , vielleicht auch nicht , man weiá es nie , undurchsichtig , mongolisch ... . 000565 000049 unser neuer Freund , Musiker aus Boston , wie gesagt , Amerikaner franz”sischer Herkunft , war von Yucatan begeistert und konnte nicht fassen , daá wir uns nicht fr Ruinen interessieren ; er fragte , was wir hier machten . 000566 000050 Achselzucken unsrerseits - . 000567 000050 wir blickten uns an , Herbert und ich , indem es jeder dem andern berlieá , zu sagen , daá wir auf einen Jeep warten . 000568 000050 ich weiá nicht , wofr der andere uns hielt . 000569 000050 Rum hat den Vorteil , daá man nicht einen Schweiáausbruch hat wie nach jedem Bier , dafr Kopfschmerzen am anderen Morgen , wenn wieder der unverst„ndliche L„rm losgeht , halb Klavier , halb Maschinengewehr , dazu Gesang - jedesmal zwischen 6.00 und 7.00 Uhr , jedesmal will ich der Sache nachgehen , vergesse es aber im Lauf des Tages . 000570 000050 man vergiát hier alles . 000571 000050 einmal - wir wollten baden , aber Herbert fand seinen sagenhaften Bach nicht wieder , und wir gerieten pl”tzlich zu den Ruinen - trafen wir unseren Knstler an seiner Arbeit . 000572 000050 in dem Gestein , das einen Tempel vorstellen soll , glhte eine H”llenhitze . 000573 000050 seine einzige Sorge : kein Schweiátropfen auf sein Papier ! . 000574 000050 er gráte kaum ; wir st”rten ihn . 000575 000050 seine Arbeit : er spannte Pauspapier ber die steinernen Reliefs , um dann stundenlang mit einer schwarzen Kreide darber hinzustreichen , eine irrsinnige Arbeit , bloá um Kopien herzustellen ; er behauptete steif und fest , man k”nne diese Hieroglyphen und G”tterfratzen nicht fotografieren , sonst w„ren sie sofort tot . 000576 000050 wir lieáen ihn . 000577 000050 ich bin kein Kunsthistoriker - . 000578 000050 nach einiger Pyramidenkletterei aus purer Langweile ( die Stufen sind viel zu steil , gerade das verkehrte Verh„ltnis von Breite und H”he , so daá man auáer Atem kommt ) legte ich mich , schwindlig vor Hitze , irgendwo in den Schatten eines sogenannten Palastes , meine Arme und Beine von mir gestreckt , atmend . 000579 000050 die feuchte Luft - . 000580 000051 die schleimige Sonne - . 000581 000051 ich war entschlossen , meinerseits umzukehren : wenn wir bis morgen keinen Jeep h„tten ... . 000582 000051 es war schwler als je , moosig und moderig , es schwirrte von V”geln mit langen blauen Schw„nzen , jemand hatte den Tempel als Toilette benutzt , daher die Fliegen . 000583 000051 ich versuchte zu schlafen . 000584 000051 es schwirrte und l„rmte wie im Zoo , wenn man nicht weiá , was da eigentlich pfeift und kreischt und trillert , L„rm wie moderne Musik , es k”nnen Affen sein , V”gel , vielleicht eine Katzenart , man weiá es nicht , Brunst oder Todesangst , man weiá es nicht - . 000585 000051 ich sprte meinen Magen . 000586 000051 ( ich rauchte zuviel ! ) . 000587 000051 einmal , im elften oder dreizehnten Jahrhundert , soll hier eine ganze Stadt gestanden haben , sagte Herbert , eine Maya-Stadt - . 000588 000051 meinetwegen ! . 000589 000051 meine Frage , ob er eigentlich noch an die Zukunft der deutschen Zigarre glaube , beantwortete Herbert schon nicht mehr : er schnarchte , nachdem er eben noch von der Religion der Maya geredet hatte , von Kunst und Derartigem . 000590 000051 ich lieá ihn schnarchen . 000591 000051 ich zog meine Schuhe aus , Schlangen hin oder her , ich brauchte Luft , ich hatte Herzklopfen vor Hitze , ich staunte ber unseren Pauspapier-Knstler , der an der prallen Sonne arbeiten konnte und dafr seine Ferien hergibt , seine Ersparnisse , um Hieroglyphen , die niemand entziffern kann , nach Hause zu bringen - . 000592 000051 Menschen sind komisch ! . 000593 000051 ein Volk wie diese Maya , die das Rad nicht kennen und Pyramiden bauen , Tempel im Urwald , wo alles vermoost und in Feuchtigkeit verbr”ckelt - wozu ? . 000594 000052 ich verstand mich selbst nicht . 000595 000052 vor einer Woche h„tte ich in Caracas und heute ( sp„testens ) wieder in New York landen sollen ; statt dessen hockte man hier - um einem Jugendfreund , der meine Jugendfreundin geheiratet hat , Gutentag zu sagen . 000596 000052 wozu ! . 000597 000052 wir warteten auf den Landrover , der unseren Ruinen-Knstler t„glich hierher bringt , um ihn gegen Abend wieder abzuholen mit seinen Pauspapierrollen ... . 000598 000052 ich war entschlossen , Herbert zu wecken und ihm zu sagen , daá ich mit dem n„chsten Zug , der dieses Palenque verl„át , meine Rckkehr antrete . 000599 000052 die schwirrenden V”gel - . 000600 000052 nie ein Flugzeug ! . 000601 000052 wenn man den Kopf zur Seite dreht , um nicht immer diesen Milchglashimmel zu sehen , meint man jedesmal , man sei am Meer , unsere Pyramide eine Insel oder ein Schiff , ringsum das Meer ; dabei ist es nichts als Dickicht , uferlos , grn-grau , platt wie ein Ozean - Dickicht ! . 000602 000052 drber Vollmond lila im Nachmittag . 000603 000052 Herbert schnarchte nach wie vor . 000604 000052 man staunt , wie sie diese Quader herbeigeschafft haben , wenn sie das Rad nicht kannten , also auch den Flaschenzug nicht . 000605 000052 auch das Gew”lbe nicht ! . 000606 000052 abgesehen von den Verzierungen , die mir sowieso nicht gefallen , weil ich fr Sachlichkeit bin , finde ich ja diese Ruinen sehr primitiv - im Widerspruch zu unserem Ruinen-Freund , der die Maya liebt , gerade weil sie keinerlei Technik hatten , dafr G”tter , er findet es hinreiáend , daá man alle zweiundfnfzig Jahre einfach ein neues Zeitalter startet , n„mlich alles vorhandene Geschirr zerschmettert , alle Herdfeuer l”scht , dann vom Tempel her das gleiche Feuer wieder ins ganze Land hinaustr„gt , die ganze T”pferei neuerdings herstellt ; ein Volk , das einfach aufbricht und seine St„dte ( unzerst”rt ) verl„át , einfach aus Religion weiterzieht , um nach fnfzig oder hundert Meilen irgendwo in diesem immergleichen Dschungel eine vollkommen neue Tempel-Stadt zu bauen - . 000607 000053 er findet es sinnvoll , obschon unwirtschaftlich , geradezu genial , tiefsinnig ( f+ profond +f ) , und zwar im Ernst . 000608 000053 manchmal muáte ich an Hanna denken - . 000609 000053 als ich Herbert weckte , schoá er auf . 000610 000053 was los sei ? . 000611 000053 als er sah , daá nichts los war , schnarchte er weiter - um sich nicht zu langweilen . 000612 000053 von Motor kein Ton ! . 000613 000053 ich versuche , mir vorzustellen , wie es w„re , wenn es pl”tzlich keine Motoren mehr g„be wie zur Zeit der Maya . 000614 000053 irgend etwas muáte man ja denken . 000615 000053 ich fand es ein kindisches Staunen , betreffend die Herbeischaffung dieser Quader : - sie haben einfach Rampen erstellt , dann ihre Quader geschleift mit einem idiotischen Verschleiá an Menschenkraft , das ist ja gerade das Primitive daran . 000616 000053 anderseits ihre Astronomie ! . 000617 000053 ihr Kalender errechnete das Sonnenjahr , laut Ruinen-Freund , auf 365,2420 Tage , statt 365, 2422 Tage ; trotzdem brachten sie es mit ihrer Mathematik , die man anerkennen muá , zu keiner Technik und waren daher dem Untergang geweiht - . 000618 000053 endlich unser Landrover ! . 000619 000053 das Wunder geschah , als unser Ruinen-Freund h”rte , daá wir hinber nach Guatemala máten . 000620 000053 er war begeistert . 000621 000053 er zog sofort sein Kalenderchen , um die restlichen Tage seiner Ferien zu z„hlen . 000622 000053 in Guatemala , sagte er , wimmle es von Maya-St„tten , teilweise kaum ausgegraben , und wenn wir ihn mitn„hmen , wollte er alles versuchen , um den Landrover zu bekommen , den wir nicht bekommen , dank seiner Freundschaft mit dem Lacroix-Wirt: - und er bekam ihn . 000623 000054 ( hundert Pesos pro Tag ) . 000624 000054 es war Sonntag , als wir packten , eine heiáe Nacht mit schleimigem Mond , und der sonderbare L„rm , der mich jeden Morgen geweckt hatte , erwies sich als Musik , Geklimper einer altertmlichen Marimba , Geh„mmer ohne Klang , eine frchterliche Musik , geradezu epileptisch . 000625 000054 es war irgendein Fest , das mit dem Vollmond zu tun hat . 000626 000054 jeden Morgen vor der Feldarbeit hatten sie trainiert , um jetzt zum Tanz aufzuspielen , fnf Indios , die mit rasenden H„mmerchen auf ihr Instrument schlugen , eine Art h”lzernes Xylophon , lang wie ein Tisch . 000627 000054 ich berholte den Motor , um uns eine Panne im Dschungel zu ersparen , und hatte keine Zeit , die Tanzerei anzuschauen ; ich lag unter unserem Landrover . 000628 000054 die M„dchen saáen reihenweise um den Platz , die meisten mit einem S„ugling an der braunen Brust , die T„nzer schwitzten und tranken Kokos-Milch . 000629 000054 im Lauf der Nacht kamen immer mehr , schien es , ganze V”lkerst„mme ; die M„dchen trugen keine Trachten wie sonst , sondern amerikanische Konfektion zur Feier ihres Mondes , ein Umstand , worber Marcel , unser Knstler , sich stundenlang aufregte . 000630 000054 ich hatte andere Sorgen ! . 000631 000054 wir besaáen keine Waffe , keinen Kompaá , nichts . 000632 000054 ich mache mir nichts aus Folklore . 000633 000054 ich packte unseren Landrover , jemand muáte es ja machen , und ich machte es gern , um weiterzukommen . 000634 000055 Hanna hatte Deutschland verlassen mssen und studierte damals Kunstgeschichte bei Professor W”lfflin , eine Sache , die mir ferne lag , aber sonst verstanden wir uns sofort , ohne an Heiraten zu denken . 000635 000055 auch Hanna dachte nicht an Heiraten . 000636 000055 wir waren beide viel zu jung , wie schon gesagt , ganz abgesehen von meinen Eltern , die Hanna sehr sympathisch fanden , aber um meine Karriere besorgt waren , wenn ich eine Halbjdin heiraten wrde , eine Sorge , die mich „rgerte und geradezu wtend machte . 000637 000055 ich war bereit , Hanna zu heiraten , ich fhlte mich verpflichtet gerade in Anbetracht der Zeit . 000638 000055 ihr Vater , Professor in Mnchen , kam damals in Schutzhaft , es war die Zeit der sogenannten Greuelm„rchen , und es kam fr mich nicht in Frage , Hanna im Stich zu lassen . 000639 000055 ich war kein Feigling , ganz abgesehen davon , daá wir uns wirklich liebten . 000640 000055 ich erinnere mich genau an jene Zeit , Parteitag in Nrnberg , wir saáen vor dem Radio , Verkndung der deutschen Rassengesetze . 000641 000055 im Grunde war es Hanna , die damals nicht heiraten wollte ; ich war bereit dazu . 000642 000055 als ich von Hanna h”rte , daá sie die Schweiz binnen vierzehn Tagen zu verlassen habe , war ich in Thun als Offizier ; ich fuhr sofort nach Zrich , um mit Hanna zur Fremdenpolizei zu gehen , wo meine Uniform nichts „ndern konnte , immerhin gelangten wir zum Chef der Fremdenpolizei . 000643 000055 ich erinnere mich noch heute , wie er das Schreiben betrachtete , das Hanna vorwies , und sich das Dossier kommen lieá , Hanna saá , ich stand . 000644 000055 dann seine wohlmeinende Frage , ob das Fr„ulein meine Braut sei , und unsere Verlegenheit . 000645 000055 wir sollten verstehen : die Schweiz sei ein kleines Land , kein Platz fr zahllose Flchtlinge , Asylrecht , aber Hanna h„tte doch Zeit genug gehabt , ihre Auswanderung zu betreiben . 000646 000055 dann endlich das Dossier , und es stellt sich heraus , daá gar nicht Hanna gemeint war , sondern eine Emigrantin gleichen Namens , die bereits nach šbersee ausgewandert war . 000647 000056 Erleichterung allerseits ! . 000648 000056 im Vorzimmer nahm ich meine Offiziershandschuhe , meine Offiziersmtze , als Hanna nochmals an den Schalter gerufen wurde , Hanna kreidebleich . 000649 000056 sie muáte noch zehn Rappen zahlen , Porto fr den Brief , den man f„lschlicherweise an ihre Adresse geschickt hatte . 000650 000056 ihre maálose Emp”rung darber ! . 000651 000056 ich fand es einen Witz . 000652 000056 leider muáte ich am selben Abend wieder nach Thun zu meinen Rekruten ; auf jener Fahrt kam ich zum Entschluá , Hanna zu heiraten , falls ihr je die Aufenthaltsbewilligung entzogen werden sollte . 000653 000056 kurz darauf ( wenn ich mich richtig erinnere ) starb ihr alter Vater in Schutzhaft . 000654 000056 ich war entschlossen , wie gesagt , aber es kam nicht dazu . 000655 000056 ich weiá eigentlich nicht warum . 000656 000056 Hanna war immer sehr empfindlich und sprunghaft , ein unberechenbares Temperament ; wie Joachim sagte : manisch-depressiv . 000657 000056 dabei hatte Joachim sie nur ein oder zwei Mal gesehen , denn Hanna wollte mit Deutschen nichts zu tun haben . 000658 000056 ich schwor ihr , daá Joachim , mein Freund , kein Nazi ist ; aber vergeblich . 000659 000056 ich verstand ihr Miátrauen , aber sie machte es mir nicht leicht , abgesehen davon , daá unsere Interessen sich nicht immer deckten . 000660 000056 ich nannte sie eine Schw„rmerin und Kunstfee . 000661 000056 dafr nannte sie mich : Homo Faber . 000662 000056 manchmal hatten wir einen regelrechten Krach , wenn wir beispielsweise aus dem Schauspielhaus kamen , wohin sie mich immer wieder n”tigte ; Hanna hatte einerseits einen Hang zum Kommunistischen , was ich nicht vertrug , und andererseits zum Mystischen , um nicht zu sagen : zum Hysterischen . 000663 000056 ich bin nun einmal der Typ , der mit beiden Fáen auf der Erde steht . 000664 000057 nichtsdestoweniger waren wir sehr glcklich zusammen , scheint mir , und eigentlich weiá ich wirklich nicht , warum es damals nicht zur Heirat kam . 000665 000057 es kam einfach nicht dazu . 000666 000057 ich war , im Gegensatz zu meinem Vater , kein Antisemit , glaube ich ; ich war nur zu jung wie die meisten M„nner unter dreiáig , zu unfertig , um Vater zu sein . 000667 000057 ich arbeitete noch an meiner Dissertation , wie gesagt , und wohnte bei meinen Eltern , was Hanna durchaus nicht begriff . 000668 000057 wir trafen uns immer in ihrer Bude . 000669 000057 in jener Zeit kam das Angebot von Escher-Wyss , eine Chance sondergleichen fr einen jungen Ingenieur , und was mir dabei Sorge machte , war nicht das Klima von Bagdad , sondern Hanna in Zrich . 000670 000057 sie erwartete damals ein Kind . 000671 000057 ihre Offenbarung h”rte ich ausgerechnet an dem Tag , als ich von meiner ersten Besprechung mit Escher-Wyss kam , meinerseits entschlossen , die Stelle in Bagdad anzutreten sobald als m”glich . 000672 000057 ihre Behauptung , ich sei zu Tode erschrocken , bestreite ich noch heute ; ich fragte bloá : bist du sicher ? . 000673 000057 immerhin eine sachliche und vernnftige Frage . 000674 000057 ich fhlte mich bert”lpelt nur durch die Bestimmtheit ihrer Meldung ; ich fragte : bist du bei einem Arzt gewesen ? . 000675 000057 ebenfalls eine sachliche und erlaubte Frage . 000676 000057 sie war nicht beim Arzt gewesen . 000677 000057 sie wisse es ! . 000678 000057 ich sagte : warten wir noch vierzehn Tage . 000679 000057 sie lachte , weil vollkommen sicher , und ich muáte annehmen , daá Hanna es schon lange gewuát , aber nicht gesagt hatte ; nur insofern fhlte ich mich bert”lpelt . 000680 000057 ich legte meine Hand auf ihre Hand , im Augenblick fiel mir nicht viel dazu ein , das ist wahr ; ich trank Kaffee und rauchte . 000681 000057 ihre Entt„uschung ! . 000682 000057 ich tanzte nicht vor Vaterfreude , das ist wahr , dazu war die politische Situation zu ernst . 000683 000057 ich fragte : hast du denn einen Arzt , wo du hingehen kannst ? . 000684 000058 natrlich meinte ich bloá : um sich einmal untersuchen zu lassen . 000685 000058 Hanna nickte . 000686 000058 das sei keine Sache , sagte sie , das lasse sich schon machen ! . 000687 000058 ich fragte : was meinst du ? . 000688 000058 sp„ter behauptete Hanna , ich sei erleichtert gewesen , daá sie das Kind nicht haben wollte , und geradezu entzckt , drum h„tte ich meinen Arm um ihre Schultern gelegt , als sie weinte . 000689 000058 sie selber war es , die nicht mehr davon sprechen wollte , und dann berichtete ich von Escher-Wyss , von der Stelle in Bagdad , von den beruflichen M”glichkeiten eines Ingenieurs berhaupt . 000690 000058 das war keineswegs gegen ihr Kind gerichtet . 000691 000058 ich sagte sogar , wieviel ich in Bagdad verdienen wrde . 000692 000058 und w”rtlich : wenn du dein Kind haben willst , dann mssen wir natrlich heiraten . 000693 000058 sp„ter ihr Vorwurf , daá ich von Mssen gesprochen habe ! . 000694 000058 ich fragte offen heraus : willst du heiraten , ja oder nein ? . 000695 000058 sie schttelte den Kopf , und ich wuáte nicht , woran ich bin . 000696 000058 ich besprach mich viel mit Joachim , w„hrend wir unser Schach spielten ; Joachim unterrichtete mich ber das Medizinische , was bekanntlich kein Problem ist , dann ber das Juristische , bekanntlich auch kein Problem , wenn man sich die erforderlichen Gutachten zu verschaffen weiá , und dann stopfte er seine Pfeife , Blick auf unser Schach , denn Joachim war grunds„tzlich gegen Ratschl„ge . 000697 000058 seine Hilfe ( er war Mediziner im Staatsexamen ) hatte er zugesagt , falls wir , das M„dchen und ich , seine Hilfe verlangen . 000698 000058 ich war ihm sehr dankbar , etwas verlegen , aber froh , daá er keine groáe Geschichte draus machte ; er sagte bloá : du bist am Zug ! . 000699 000058 ich meldete Hanna , daá alles kein Problem ist . 000700 000058 es war Hanna , die pl”tzlich Schluá machen wollte ; sie packte ihre Koffer , pl”tzlich ihre wahnsinnige Idee , nach Mnchen zurckzukehren . 000701 000058 ich stellte mich vor sie , um sie zur Vernunft zu bringen ; ihr einziges Wort : Schluá ! . 000702 000059 ich hatte gesagt : dein Kind , statt zu sagen : unser Kind . 000703 000059 das war es , was mir Hanna nicht verzeihen konnte . 000704 000059 die Strecke zwischen Palenque und der Plantage , in der Luftlinie gemessen , betr„gt kaum siebzig Meilen , sagen wir : hundert Meilen zum Fahren , eine Bagatelle , h„tte es so etwas wie eine Straáe gegeben , was natrlich nicht der Fall war ; die einzige Straáe , die in unsrer Richtung fhrte , endete bereits bei den Ruinen , sie verliert sich einfach in Moos und Farnkraut - . 000705 000059 immerhin kamen wir voran . 000706 000059 37 Meilen am ersten Tag . 000707 000059 wir wechselten am Steuer . 000708 000059 19 Meilen am zweiten Tag . 000709 000059 wir fuhren einfach nach Himmelsrichtung , dabei natrlich im Zickzack , wo es uns durchlieá , das Dickicht , das brigens nicht so lckenlos ist , wie es aus der Ferne aussieht ; berall gab es wieder Lichtungen , sogar Herden , aber ohne Hirten , zum Glck keine gr”áeren Smpfe . 000710 000059 Wetterleuchten - . 000711 000059 zum Regnen kam es nie . 000712 000059 was mich nerv”s machte : das Scheppern unsrer Kanister , ich stoppte ”fter und befestigte sie , aber nach einer halben Stunde unserer Fahrt ber Wurzeln und faule St„mme schepperten sie wieder - . 000713 000059 Marcel pfiff . 000714 000059 obschon er hinten saá , wo es ihn hin und her schleuderte , pfiff er wie ein Bub und freute sich wie auf einer Schulreise , stundenlang sang er seine franz”sischen Kinderlieder : f+ il: etait: un: petit: navire: ... +f . 000715 000060 Herbert wurde eher still . 000716 000060 ber Joachim redeten wir kaum - . 000717 000060 was Herbert nicht ertrug , waren die Zopilote ; dabei tun sie uns , solange wir leben , berhaupt nichts , sie stinken nur , wie von Aasgeiern nicht anders zu erwarten , sie sind h„álich , und man trifft sie stets in Scharen , sie lassen sich kaum verscheuchen , wenn einmal an der Arbeit , alles Hupen ist vergeblich , sie flattern bloá , hpfen um das aufgerissene Aas , ohne es aufzugeben ... . 000718 000060 einmal , als Herbert am Steuer saá , packte ihn ein regelrechter Koller ; pl”tzlich gab er Vollgas - los und hinein in die schwarze Meute , mitten hinein und hindurch , so daá es von schwarzen Federn nur so wirbelte ! . 000719 000060 nachher hatte man es an den R„dern . 000720 000060 der sáliche Gestank begleitete uns noch stundenlang , bis man sich berwand ; das Zeug klebte in den Pneu-Rillen , und es half nichts als peinliche Handarbeit , Rille um Rille . 000721 000060 - zum Glck hatten wir Rum ! . 000722 000060 - ohne Rum , glaube ich , w„ren wir umgekehrt - sp„testens am dritten Tag - nicht aus Angst , aber aus Vernunft . 000723 000060 wir hatten keine Ahnung , wo wir sind . 000724 000060 irgendwo am 18. Breitengrad ... . 000725 000060 Marcel sang , f+ il: etait: un: petit: navire: +f , oder er schwatzte wieder die halbe Nacht lang : - von Cortez und Montezuma ( das ging noch , weil historische Tatsache ) und vom Untergang der weiáen Rasse ( es war einfach zu heiá und zu feucht , um zu widersprechen ) , vom katastrophalen Scheinsieg des abendl„ndischen Technikers ( Cortez als Techniker , weil er Schieápulver hatte ! ) ber die indianische Seele und was weiá ich , ganze Vortr„ge ber die unweigerliche Wiederkehr der alten G”tter ( nach Abwurf der H-Bombe ! ) und ber das Aussterben des Todes ( w”rtlich ! ) dank Penicillin , ber Rckzug der Seele aus s„mtlichen zivilisierten Gebieten der Erde , die Seele im Maquis usw. , Herbert erwachte an dem Wort Maquis: , das er verstand , und fragte : was sagt er ? . 000726 000061 ich sagte : Knstlerquatsch ! und wir lieáen ihm seine Theorie ber Amerika , das keine Zukunft habe , f+ the: American: way: of: life: +f : ein Versuch , das Leben zu kosmetisieren , aber das Leben lasse sich nicht kosmetisieren - . 000727 000061 ich versuchte zu schlafen . 000728 000061 ich platzte nur , wenn Marcel sich ber meine T„tigkeit „uáerte , beziehungsweise ber die Unesco: : der Techniker als letzte Ausgabe des weiáen Missionars , Industrialisierung als letztes Evangelium einer sterbenden Rasse , Lebensstandard als Ersatz fr Lebenssinn - . 000729 000061 ich fragte ihn , ob er Kommunist sei . 000730 000061 Marcel bestritt es . 000731 000061 am dritten Tag , als wir wieder durch Gebsche fuhren , ohne eine F„hrte zu haben , einfach Richtung Guatemala , hatte ich es satt - . 000732 000061 ich war fr Umkehren . 000733 000061 " weil es idiotisch ist " , sagte ich , " einfach aufs Geratewohl weiterzufahren , bis wir kein Gasoline mehr haben " . 000734 000061 Herbert holte seine Karte - . 000735 000061 was mir auf die Nerven ging : die Molche in jedem Tmpel , in jeder Eintagspftze ein Gewimmel von Molchen - berhaupt diese Fortpflanzerei berall , es stinkt nach Fruchtbarkeit , nach blhender Verwesung . 000736 000061 wo man hinspuckt , keimt es ! . 000737 000061 ich kannte sie , diese Karte 1:500000 , die nicht einmal unter der Lupe etwas hergibt , nichts als weiáes Papier : ein blaues Fláchen , eine Landesgrenze schnurgerade , die Linie eines Breitengrades im leeren Weiá ! ... . 000738 000062 ich war fr Umkehren . 000739 000062 ich hatte keine Angst ( wovor denn ! ) , aber es hatte keinen Sinn . 000740 000062 nur Herbert zuliebe fuhr man noch weiter , unglcklicherweise , denn kurz darauf kamen wir tats„chlich an einen Fluá , beziehungsweise ein Fluábett , das nichts anderes sein konnte als der Rio Usumancinta , Grenze zwischen Mexico und Guatemala , teilweise trocken , teilweise voll Wasser , das kaum zu flieáen schien , nicht ohne weiteres zu berqueren , aber es muáte Stellen geben , wo es auch ohne Brcke m”glich ist , und Herbert lieá keine Ruhe , obschon ich baden wollte , er steuerte am Ufer entlang , bis die Stelle gefunden war , wo man berqueren konnte und wo auch Joachim ( wie sich sp„ter herausstellte ) berquert hatte . 000741 000062 ich badete . 000742 000062 Marcel badete ebenfalls , und wir lagen rcklings im Wasser , Mund geschlossen , um nichts zu schlucken , es war ein trbes und warmes Wasser , das stank , jede Bewegung hinterl„át Bl„schen , immerhin Wasser , l„stig nur die zahllosen Libellen und Herbert , der weiter dr„ngte , und der Gedanke , es k”nnte Schlangen geben . 000743 000062 Herbert blieb an Land . 000744 000062 unser Landrover stand bis zur Achse in dem schlpfrigen Mergel ( oder was es ist ) , Herbert tankte - . 000745 000062 es wimmelte von Schmetterlingen . 000746 000062 als ich einen rostigen Kanister im Wasser sah , was darauf schlieáen lieá , daá auch Joachim ( wer sonst ? ) an dieser Stelle einmal getankt hatte , sagte ich kein Wort , sondern badete weiter , w„hrend Herbert versuchte , unseren Landrover aus dem schlpfrigen Mergel zu steuern ... . 000747 000063 ich war fr Umkehren . 000748 000063 ich blieb im Wasser , obschon es mich pl”tzlich ekelte , das Ungeziefer , die Bl„schen auf dem braunen Wasser , das faule Blinken der Sonne , ein Himmel voll Gemse , wenn man rcklings im Wasser lag und hinaufblickte , Wedel mit meterlangen Bl„ttern , reglos , dazwischen Akazien-Filigran , Flechten , Luftwurzeln , reglos , ab und zu ein roter Vogel , der ber den Fluá flog , sonst Totenstille ( wenn Herbert nicht gerade Vollgas-Versuche machte - ) unter einem weiálichen Himmel , die Sonne wie in Watte , klebrig und heiá , dunstig mit einem Regenbogenring . 000749 000063 ich war fr Umkehren . 000750 000063 " weil es Unsinn ist " , sagte ich , " weil wir diese verfluchte Plantage nie finden werden - " . 000751 000063 ich war fr Abstimmen . 000752 000063 Marcel war auch fr Umkehren , da er seine Ferien zu Ende gehen sah , und es handelte sich , als Herbert es tats„chlich geschafft hatte und unser Landrover am anderen Ufer stand , nur noch darum , Herbert zu berzeugen von dem Unsinn , ohne jede F„hrte weiterzufahren . 000753 000063 zuerst beschimpfte er mich , weil er meine Grnde nicht widerlegen konnte , dann schwieg er und h”rte zu , und eigentlich hatte ich ihn soweit - w„re nicht Marcel gewesen , der dazwischenfunkte . 000754 000063 f+ " voila " +f , rief er , f+ " les traces d'une Nash ! " +f . 000755 000063 wir nahmen's fr einen Witz . 000756 000063 f+ " mais regardez " +f , rief er , f+ " sans blague - " +f . 000757 000063 die verkrusteten Spuren waren teilweise verschwemmt , so daá es auch Karrenspuren sein konnten ; an andern Stellen , je nach Bodenart , erkannte man tats„chlich das Pneu-Muster . 000758 000064 damit hatten wir die F„hrte . 000759 000064 sonst w„re ich nicht gefahren , wie gesagt , und es w„re ( ich werde diesen Gedanken nicht los ) alles anders gekommen - . 000760 000064 nun gab es kein Umkehren . 000761 000064 ( leider ! ) . 000762 000064 am Morgen des vierten Tages sahen wir zwei Indios , die bers Feld gingen mit gekrmmten S„beln in der Hand , genau wie die beiden , die Herbert schon in Palenque gesehen und fr M”rder gehalten hatte ; ihre krummen S„bel waren nichts anderes als Sicheln . 000763 000064 dann die ersten Tabakfelder . 000764 000064 die Hoffnung , noch vor Einbruch der Nacht hinzukommen , machte uns nerv”ser als je , dazu die Hitze wie noch nie , ringsum Tabak , Gr„ben dazwischen , Menschenwerk , schnurgerade , aber nirgends ein Mensch . 000765 000064 wir hatten wieder die Spur verloren - . 000766 000064 wieder die Suche nach Pneu-Muster ! . 000767 000064 bald ging die Sonne unter ; wir stellten uns auf unseren Landrover und pfiffen , die Finger im Mund , so laut wir konnten . 000768 000064 wir muáten in n„chster N„he sein . 000769 000064 wir pfiffen und hupten , w„hrend die Sonne bereits in den grnen Tabak sank - wie gedunsen , im Dunst wie eine Blase voll Blut , widerlich , wie eine Niere oder so etwas . 000770 000064 ebenso der Mond . 000771 000064 es fehlte nur noch , daá wir einander in der D„mmerung verloren , indem jeder , um Pneu-Spuren zu finden , irgendwohin stapfte . 000772 000064 wir verteilten uns auf Bezirke , die jeder abzuschreiten hatte . 000773 000064 wer etwas findet , was irgendwie nach Pneu aussieht , sollte pfeifen . 000774 000064 nur die V”gel pfiffen - . 000775 000065 wir suchten noch bei Mondschein , bis Herbert auf die Zopilote stieá , Zopilote auf einem toten Esel - er schrie und fluchte und schleuderte Steine gegen die schwarzen V”gel , nicht abzuhalten in seiner Wut . 000776 000065 es war scheuálich . 000777 000065 die Augen des Esels waren ausgehackt , zwei rote L”cher , ebenso die Zunge ; nun versuchten sie , w„hrend Herbert noch immer seine Steine schleuderte , die D„rme aus dem After zu zerren . 000778 000065 das war unsere vierte Nacht - . 000779 000065 zu trinken hatten wir nichts mehr . 000780 000065 ich war todmde , die Erde wie geheizt , ich hockte , meinen Kopf in die H„nde gesttzt , schwitzend im bl„ulichen Mondschein . 000781 000065 es sprhte von Leuchtk„fern . 000782 000065 Herbert ging auf und ab . 000783 000065 nur Marcel schlief . 000784 000065 einmal - ich h”rte pl”tzlich keine Schritte mehr und blickte nach Herbert - stand er drben beim toten Esel , ohne Steine zu werfen gegen die huschenden V”gel , er stand und sah es sich an . 000785 000065 sie fraáen die ganze Nacht - . 000786 000065 als der Mond endlich in den Tabak sank , so daá der feuchte Dunst ber den Feldern aufh”rte , wie Milch zu erscheinen , schlief ich doch ; aber nicht lange . 000787 000065 schon wieder die Sonne ! . 000788 000065 der Esel lag offen , die Zopilote waren satt und hockten auf den B„umen ringsum , wie ausgestopft , als wir losfuhren ohne Weg ; Herbert als Vertreter und Neffe der Hencke-Bosch GmbH. , der diese Felder geh”rten , bernahm die Verantwortung und das Steuer , nach wie vor wortlos , und fuhr mitten durch den Tabak , es war idiotisch , hinter uns die Bahnen von zerst”rtem Tabak , aber es blieb uns nichts anderes brig , da auf unser Hupen und Pfeifen , oft genug wiederholt , keinerlei Antwort erfolgte - . 000789 000066 die Sonne stieg . 000790 000066 dann eine Gruppe von Indios , Angestellte der Hencke-Bosch GmbH. Dsseldorf , die uns sagten , ihr Senor sei tot . 000791 000066 ich muáte bersetzen , da Herbert kein Spanisch verstand . 000792 000066 wieso tot ? . 000793 000066 sie zuckten ihre Achseln . 000794 000066 ihr Senor sei tot , sagten sie , und einer zeigte uns den Weg , indem er neben unserem Landrover herlief im indianischen Trabschritt . 000795 000066 die andern arbeiteten weiter . 000796 000066 von Revolte also keine Rede ! . 000797 000066 es war eine amerikanische Baracke , gedeckt mit Wellblech , und die einzige Tre war von innen verriegelt . 000798 000066 man h”rte Radio . 000799 000066 wir riefen und klopften , Joachim sollte aufmachen . 000800 000066 f+ " nuestro Senor ha muerto - " +f . 000801 000066 ich holte den Schraubenschlssel von unserem Landrover , und Herbert sprengte die Tre . 000802 000066 ich erkannte ihn nicht mehr . 000803 000066 zum Glck hatte er's hinter geschlossenen Fenstern getan , Zopilote auf den B„umen ringsum , Zopilote auf dem Dach , aber sie konnten nicht durch die Fenster . 000804 000066 man sah ihn durch die Fenster . 000805 000066 trotzdem gingen diese Indios t„glich an ihre Arbeit und kamen nicht auf die Idee , die Tre zu sprengen und den Erh„ngten abzunehmen . 000806 000066 - er hatte es mit einem Draht gemacht - . 000807 000066 es wunderte mich , woher sein Radio , das wir sofort abstellten , den elektrischen Strom bezieht , aber das war jetzt nicht das Wichtigste - . 000808 000066 wir fotografierten und bestatteten ihn . 000809 000066 die Indios ( wie in meinem Bericht zuhanden des Verwaltungsrates bereits erw„hnt ) befolgten jede Anweisung von Herbert , obschon er damals noch kein Spanisch konnte , und anerkannten Herbert sofort als ihren n„chsten Herrn ... . 000810 000067 ich opferte noch anderthalb Tage , um Herbert zu berzeugen , daá von Revolte nicht die Rede sein konnte , und daá sein Bruder einfach dieses Klima nicht ausgehalten hat , was ich verstand ; ich weiá nicht , was Herbert sich in den Kopf setzte , er war nicht zu berreden , seinerseits entschlossen , das Klima auszuhalten . 000811 000067 wir muáten zurck . 000812 000067 Herbert tat uns leid , aber ein Bleiben kam nicht in Frage , ganz abgesehen davon , daá es keinen Zweck hatte ; Marcel muáte auch in Boston an seine Arbeit , auch ich muáte weiter , beziehungsweise zurck nach Palenque-Campeche-Mexico , um dann weiterzufliegen , ganz abgesehen davon , daá wir uns verpflichtet hatten , unseren Landrover sp„testens in einer Woche dem freundlichen Lacroix:-Wirt zurckzubringen . 000813 000067 ich muáte zu meinen Turbinen . 000814 000067 ich weiá nicht , was Herbert sich vorstellte , Herbert konnte nicht einmal Spanisch , wie gesagt , und ich fand es unkameradschaftlich , geradezu unverantwortlich , ihn zurckzulassen als einzigen Weiáen ; wir beschworen ihn , aber vergeblich . 000815 000067 Herbert hatte den Nash 55 , den ich besichtigte ; der Wagen stand in einer Indio-Htte , nur mit einem Bl„tterdach gegen Regen geschtzt , offensichtlich schon lange nicht mehr benutzt , verkratzt , verdreckt , aber fahrtchtig . 000816 000067 ich untersuchte ihn pers”nlich . 000817 000067 damals war der Motor noch in Ordnung , wenn auch verschlammt ; ich hatte den Motor probiert , und Gasoline war auch noch da . 000818 000067 sonst h„tten wir Herbert , versteht sich , nicht allein zurckgelassen . 000819 000067 wir hatten einfach keine Zeit , Marcel so wenig wie ich ; Marcel muáte zu seinen Symphonikern , wir hatten schlieálich auch unsere Berufe , ob Herbert es begriff oder nicht - er zuckte die Achsel , ohne zu widersprechen , und winkte kaum , als wir auf dem Landrover saáen , Marcel und ich , und nochmals auf ihn warteten ; er schttelte den Kopf . 000820 000068 obendrein sah es nach schweren Gewittern aus , wir muáten fahren , solange wir die eigene Spur noch hatten . 000821 000068 es ist mir heute noch ein R„tsel , wieso Hanna und Joachim geheiratet und wieso sie mich , Vater des Kindes , nie haben wissen lassen , daá dieses Kind zur Welt gekommen ist . 000822 000068 ich kann nur berichten , was ich weiá . 000823 000068 es war die Zeit , als die jdischen P„sse annulliert wurden . 000824 000068 ich hatte mir geschworen , Hanna keinesfalls im Stich zu lassen , und dabei blieb es . 000825 000068 Joachim war bereit , Trauzeuge zu sein . 000826 000068 meinen brgerlichen und besorgten Eltern war es auch recht , daá wir nicht eine Hochzeit mit Droschken und Klimbim wollten ; nur Hanna machte sich immer noch Zweifel , ob es denn richtig w„re , daá wir heirateten , richtig fr mich . 000827 000068 ich brachte unsere Papiere aufs zust„ndige Amt , unsere Eheverkndigung stand in der Zeitung . 000828 000068 auch im Fall einer Scheidung , so sagte ich mir , blieb Hanna jedenfalls Schweizerin und im Besitz eines Passes . 000829 000068 die Sache eilte , da ich meine Stelle in Bagdad anzutreten hatte . 000830 000068 es war ein Samstagvormittag , als wir endlich - nach einem komischen Frhstck bei meinen Eltern , die dann das Kirchengel„ute doch vermiáten ! - endlich ins Stadthaus gingen , um die Trauung zu vollziehen . 000831 000068 es wimmelte von Hochzeiten , wie blich an Samstagen , daher die lange Warterei , wir saáen im Vorzimmer , alle im Straáenanzug , umgeben von weiáen Br„uten und Br„utigams, die wie Kellner aussahen . 000832 000068 als Hanna gelegentlich hinausging , dachte ich nichts Schlimmes , man redete , man rauchte . 000833 000069 als endlich der Standesbeamte uns rief , war Hanna nicht da . 000834 000069 wir suchten sie und fanden sie drauáen an der Limmat , nicht zu bewegen , sie weigerte sich in das Trauzimmer zu kommen . 000835 000069 sie k”nne nicht ! . 000836 000069 ich redete ihr zu , ringsum das Elfuhrgel„ute , ich bat Hanna , die Sache ganz sachlich zu nehmen ; aber vergeblich . 000837 000069 sie schttelte den Kopf und weinte . 000838 000069 ich heirate ja bloá , um zu beweisen , daá ich kein Antisemit sei , sagte sie , und es war einfach nichts zu machen . 000839 000069 die Woche darauf , meine letzte in Zrich , war abscheulich . 000840 000069 es war Hanna , die nicht heiraten wollte , und ich hatte keine Wahl , ich muáte nach Bagdad , gem„á Vertrag . 000841 000069 Hanna begleitete mich noch an die Bahn , und wir nahmen Abschied . 000842 000069 Hanna hatte versprochen , nach meiner Abreise sofort zu Joachim zu gehen , der seine „rztliche Hilfe angeboten hatte , und in diesem Sinn nahmen wir Abschied ; es war ausgemacht , daá unser Kind nicht zur Welt kommen sollte . 000843 000069 sp„ter h”rte ich nie wieder von ihr . 000844 000069 das war 1936 . 000845 000069 ich hatte Hanna damals gefragt , wie sie Joachim , meinen Freund , nun finde . 000846 000069 sie fand ihn ganz sympathisch . 000847 000069 ich w„re nie auf die Idee gekommen , daá Hanna und Joachim einander heiraten . 000848 000069 mein Aufenthalt in Venezuela ( heute vor zwei Monaten ) dauerte nur zwei Tage , denn die Turbinen lagen noch im Hafen , alles noch in Kisten verpackt , und von Montage konnte nicht die Rede sein - . 000849 000069 20. IV. Abflug von Caracas . 000850 000070 21. IV. Ankunft in New York , Idlewild . 000851 000070 Ivy stellte mich an der Schranke , sie hatte sich erkundigt , wann ich ankomme , und war nicht zu umgehen . 000852 000070 ob sie meinen Brief nicht bekommen habe ? . 000853 000070 sie káte mich , ohne zu antworten , und wuáte bereits , daá ich in einer Woche dienstlich nach Paris fliegen muáte ; sie roch nach Whisky . 000854 000070 ich redete kein Wort . 000855 000070 man saá in unserem Studebaker , und Ivy steuerte zu meiner Wohnung . 000856 000070 kein Wort von meinem Wsten-Brief ! . 000857 000070 Ivy hatte Blumen besorgt , obschon ich mir aus Blumen nichts mache , dazu Hummer , dazu Sauternes : zur Feier meiner Errettung aus der Wste ! - dazu wieder ihre Ksse , w„hrend ich meine Post durchging . 000858 000070 ich hasse Abschiede . 000859 000070 ich hatte nicht damit gerechnet , Ivy nochmals zu sehen und schon gar nicht in dieser Wohnung , die sie " unsere " Wohnung nennt . 000860 000070 kann sein , ich duschte endlos - . 000861 000070 unser Krach beginnt , als Ivy mit einem Frottiertuch kommt , ich werfe sie hinaus - mit Gewalt leider , denn sie liebt Gewalt , dann hat sie das Recht , mich zu beiáen - . 000862 000070 zum Glck klingelte das Telefon ! . 000863 000070 nach meiner Verabredung mit Dick , der zu meiner Notlandung gratuliert , Verabredung zu einem Schach , findet Ivy , ich sei ein Rohling , ein Egoist , ein Unmensch , ich habe berhaupt keine Gefhle - . 000864 000070 ich lachte natrlich . 000865 000070 sie schl„gt mit beiden F„usten , schluchzend , aber ich hte mich , Gewalt zu brauchen , denn das m”chte sie . 000866 000070 mag sein , daá Ivy mich liebte . 000867 000071 ( sicher war ich bei Frauen nie ) . 000868 000071 eine Viertelstunde sp„ter , als ich Dick anrief und mitteilte , daá ich leider doch nicht kommen k”nnte , hatte Dick unser Schach schon aufgestellt ; ich entschuldigte mich , was peinlich war , ich konnte ja nicht sagen , warum und wieso , sagte nur , daá ich wirklich viel lieber ein Schach spielen wrde - . 000869 000071 Ivy schluchzte von neuem . 000870 000071 das war 18.00 Uhr , und ich wuáte ja genau , wie dieser lange Abend verlaufen wrde , wenn wir nicht ausgingen ; ich schlug ein franz”sisches Restaurant vor , dann ein chinesisches , dann ein schwedisches . 000871 000071 alles vergeblich ! . 000872 000071 Ivy behauptete einfach und gelassen , keinen Hunger zu haben . 000873 000071 ich behauptete : aber ich ! . 000874 000071 Ivy verwies auf den Hummer im Eisschrank , ferner auf ihr sportliches Kleid , das nicht fr ein elegantes Restaurant paáte . 000875 000071 wie ich's brigens finde , ihr Kleid ? . 000876 000071 ich hatte unseren Hummer schon in der Hand , um ihn in den f+ incinerator +f zu werfen , nicht gewillt , mich von einem Hummer zwingen zu lassen - . 000877 000071 Ivy versprach sofort vernnftig zu sein . 000878 000071 ich legte den Hummer wieder in den Eisschrank zurck , Ivy war einverstanden mit dem chinesischen Restaurant ; nur war sie , wie ich zugeben muáte , sehr verheult , ein make-up unumg„nglich . 000879 000071 ich wartete - . 000880 000071 meine Wohnung , Central Park West , war mir schon lange zu teuer , zwei Zimmer mit Dachgarten , einzigartige Lage , kein Zweifel , aber viel zu teuer , wenn man nicht verliebt ist - . 000881 000071 Ivy fragte , wann ich nach Paris fliege . 000882 000071 Schweigen meinerseits . 000883 000072 ich stand drauáen und ordnete meine letzten Filme , um sie zum Entwickeln geben zu k”nnen ; ich schrieb die Spulen an , wie blich ... . 000884 000072 der Tod von Joachim , davon zu sprechen hatte ich keine Lust , Ivy kannte ihn ja nicht , Joachim war mein einziger wirklicher Freund . 000885 000072 warum ich so schweigsam tue ? . 000886 000072 Dick , zum Beispiel , ist nett , auch Schachspieler , hochgebildet , glaube ich , jedenfalls gebildeter als ich , ein witziger Mensch , den ich bewunderte ( nur im Schach war ich ihm gewachsen ) oder wenigstens beneidete , einer von denen , die uns das Leben retten k”nnten , ohne daá man deswegen je intimer wird - . 000887 000072 Ivy k„mmte sich noch immer . 000888 000072 ich erz„hlte von meiner Notlandung - . 000889 000072 Ivy pinselte ihre Wimpern . 000890 000072 allein die Tatsache , daá man zusammen nochmals ausging , nachdem man sich schriftlich getrennt hatte , machte mich wtend . 000891 000072 aber davon schien Ivy ja nichts zu wissen , daá man sich getrennt hatte ! . 000892 000072 pl”tzlich hatte ich genug - . 000893 000072 Ivy malte ihre Fingern„gel und summte - . 000894 000072 pl”tzlich h”re ich mich am Telefon : Anfrage wegen Schiffplatz nach Europa , gleichgltig welche Linie , je rascher um so lieber . 000895 000072 " wieso Schiff ? " fragte Ivy . 000896 000072 es war sehr unwahrscheinlich , um diese Jahreszeit einen Schiffplatz nach Europa zu bekommen , und ich weiá nicht , wieso ich pl”tzlich ( vielleicht bloá weil Ivy summte und tat , als w„re nichts gewesen ) auf die Idee kam , nicht zu fliegen . 000897 000072 ich war selbst berrascht . 000898 000072 ich hatte Glck , indem ein f+ cabin-class- +f -Bett soeben freigeworden war - Ivy h”rte , wie ich bestellte , und war aufgesprungen , um mich zu unterbrechen ; aber ich hatte den H”rer bereits aufgelegt . 000899 000073 f+ " it's okay ! " +f sagte ich . 000900 000073 Ivy war sprachlos , was ich genoá ; ich zndete mir eine Zigarette an , Ivy hatte auch meine Abfahrtzeit vernommen : . 000901 000073 f+ " eleven o'clock tomorrow morning " +f . 000902 000073 ich wiederholte es . 000903 000073 f+ " you're ready ? " +f fragte ich und hielt ihren Mantel wie blich , um mit ihr ausgehen zu k”nnen . 000904 000073 Ivy starrte mich an , dann schleuderte sie pl”tzlich ihren Mantel irgendwohin ins Zimmer , stampfend , auáer sich vor Zorn ... . 000905 000073 Ivy hatte sich eingerichtet , eine Woche in Manhattan zu verbringen , jetzt gestand sie's , und mein pl”tzlicher Entschluá , nicht zu fliegen wie blich , sondern morgen schon mit dem Schiff zu reisen , um in einer Woche auch in Paris zu sein , war ein Strich durch ihre Rechnung . 000906 000073 ich hob ihren Mantel auf . 000907 000073 ich hatte ihr geschrieben , daá es Schluá ist , schwarz auf weiá ; sie hatte es einfach nicht geglaubt . 000908 000073 sie hatte gemeint , ich sei h”rig , und wenn wir zusammen eine Woche verbringen , sei alles wieder beim alten , das hatte sie gemeint - und drum lachte ich . 000909 000073 mag sein , ich war gemein . 000910 000073 sie war es auch - . 000911 000073 ihr Verdacht , daá ich Flugangst h„tte , war rhrend , und obschon ich natrlich nicht die mindeste Flugangst je erlebt habe , tat ich , als h„tte ich Flugangst . 000912 000073 ich wollte es ihr leichter machen ; ich wollte nicht gemein sein . 000913 000073 ich log und sagte , was ihr meinen Entschluá verst„ndlich machte - ich schilderte ihr ( zum zweiten Mal bereits ) meine Notlandung in Tamaulipas , und wie wenig gefehlt h„tte - . 000914 000074 f+ " oh Honey " +f , sagte sie , f+ " stop it ! " +f . 000915 000074 ein Defekt in der Brennstoffzufuhr , was natrlich nicht vorkommen sollte , eine einzige bl”de Panne gengt , sagte ich , und was ntzt es mir , daá von 1000 Flgen , die ich mache , 999 tadellos verlaufen ; was interessiert es mich , daá am gleichen Tag , wo ich ins Meer strze , 999 Maschinen tadellos landen ? . 000916 000074 sie wurde nachdenklich . 000917 000074 warum nicht einmal eine Schiffspassage ? . 000918 000074 ich rechnete , bis Ivy mir glaubte , sie setzte sich sogar und gestand , daá sie solche Rechnungen nie angestellt h„tte ; sie verstand meinen Entschluá , nicht zu fliegen . 000919 000074 sie bat mich um Verzeihung . 000920 000074 ich bin in meinem Leben , glaube ich , ber 100000 Meilen geflogen ohne die mindeste Panne . 000921 000074 von Flugangst konnte keine Rede sein ! . 000922 000074 ich tat nur so , bis Ivy mich bat , nie wieder zu fliegen . 000923 000074 ich muáte es schw”ren - . 000924 000074 nie wieder ! . 000925 000074 Ivy war komisch , - sie wollte meine Hand lesen , so glaubte sie pl”tzlich an meine Flugangst und bangte um mein Leben ! . 000926 000074 sie tat mir leid , denn sie meinte es , wie mir schien , vollkommen ernst , als sie von meiner kurzen Lebenslinie redete ( dabei bin ich schon fnfzig ! ) und weinte , ich strich mit der rechten Hand , w„hrend sie meine linke Hand entzifferte , ber ihr Haar - was ein Fehler war . 000927 000074 ich sprte ihren heiáen Sch„del . 000928 000074 Ivy ist sechsundzwanzig . 000929 000074 ich versprach , endlich zu einem Arzt zu gehen , und sprte ihre Tr„nen auf meiner linken Hand , ich fand mich kitschig , aber es war nicht zu „ndern , Ivy mit ihrem Temperament , sie glaubte , was sie redete , und obschon ich meinerseits nicht an Wahrsagerei glaube , versteht sich , nicht einen Augenblick lang , muáte ich sie tr”sten , als w„re ich schon abgestrzt und zerschmettert und zur Unkenntlichkeit verkohlt , ich lachte natrlich , aber ich streichelte sie , wie man eine junge Witwe streichelt und tr”stet , und káte sie - . 000930 000075 es kam genau , wie ich's nicht wollte . 000931 000075 eine Stunde sp„ter saá man nebeneinander , Ivy in ihrem Morgenrock , den ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte , und man aá Hummer , trank Sauternes ; ich haáte sie . 000932 000075 ich haáte mich selbst - . 000933 000075 Ivy summte . 000934 000075 wie zum Hohn . 000935 000075 ich hatte ihr geschrieben , daá es Schluá ist , und sie hatte meinen Brief ( ich sah es ) in ihrer Tasche - . 000936 000075 jetzt r„chte sie sich . 000937 000075 ich hatte Hunger , aber der Hummer ekelte mich , Ivy fand ihn himmlisch , und es ekelte mich ihre Z„rtlichkeit , ihre Hand auf meinem Knie , ihre Hand auf meiner Hand , ihr Arm auf meiner Schulter , ihre Schulter an meiner Brust , ihr Kuá , wenn ich Wein einschenkte , es war unertr„glich - ich sagte rundheraus , daá ich sie hasse . 000938 000075 Ivy glaubte es nicht . 000939 000075 ich stand am Fenster und haáte die ganze Zeit , die ich in diesem Manhattan verbracht habe , vor allem aber meine Wohnung . 000940 000075 ich h„tte sie anznden wollen ! . 000941 000075 als ich vom Fenster zurckkehrte , hatte Ivy sich noch immer nicht angekleidet , sondern zwei Grapefruits gerichtet und fragte , ob ich Kaffee m”chte . 000942 000076 ich bat sie , sich anzukleiden . 000943 000076 als sie an mir vorbeiging , um Wasser fr den Kaffee aufzusetzen , gab sie mir einen Nasenstber . 000944 000076 wie einem Hanswurst . 000945 000076 ob ich ins Kino wollte , fragte sie aus der Kchennische herber , als w„re sie bereit , sofort zu kommen - in Strmpfen und Morgenrock . 000946 000076 jetzt spielte sie Katz und Maus . 000947 000076 ich beherrschte mich und sagte kein Wort , sammelte ihre Schuhe , ihre W„sche , ihr ganzes Drum und Dran ( ich vertrage den Anblick solcher Rosa-Sachen sowieso nicht ) und warf es ins Nebenzimmer , damit Ivy noch einmal ihre endlose Toilette machen konnte . 000948 000076 ja , ich wollte ins Kino ! . 000949 000076 der Kaffee tat gut - . 000950 000076 mein Entschluá , diese Wohnung aufzugeben , war jetzt unerschtterlich , und ich sagte es auch . 000951 000076 Ivy widersprach nicht . 000952 000076 ich hatte das Bedrfnis , mich zu rasieren , nicht weil ich's n”tig hatte , sondern einfach so . 000953 000076 um nicht auf Ivy zu warten . 000954 000076 aber mein Apparat war kaputt ; ich ging von Steckdose zu Steckdose - er summte nicht . 000955 000076 Ivy fand mich tiptop . 000956 000076 aber darum ging es ja nicht ! . 000957 000076 Ivy in Mantel und Hut - . 000958 000076 natrlich war ich tiptop , ganz abgesehen davon , daá ich im Badezimmer noch einen andern Apparat hatte , einen „lteren , der ging , aber darum ging es nicht , wie gesagt , ich hatte mich gesetzt , um den Apparat auseinanderzunehmen . 000959 000076 jeder Apparat kann einmal versagen ; es macht mich nur nerv”s , solange ich nicht weiá , warum . 000960 000076 " Walter " , sagte sie , f+ " I'm waiting " +f . 000961 000077 als h„tte unsereiner noch nie gewartet ! . 000962 000077 f+ " technology ! " +f sagte sie - nicht nur verst„ndnislos , wie ich's von Frauen gewohnt bin , sondern geradezu sp”ttisch , was mich nicht hinderte , das Appar„tchen vollkommen zu zerlegen ; ich wollte wissen , was los ist . 000963 000077 es war wieder ein purer Zufall , was die Zukunft entschied , nichts weiter , ein Nylon-Faden in dem kleinen Apparat - jedenfalls ein Zufall , daá wir nicht schon aus der Wohnung gegangen waren , als der Anruf von der CGT: kam , derselbe vermutlich , den ich vor einer Stunde zwar geh”rt , aber nicht hatte abnehmen k”nnen , ein immerhin entscheidender Anruf : mein Schiffplatz nach Europa k”nne nur gebucht werden , wenn ich sofort , sp„testens bis zweiundzwanzig Uhr , mit meinem Paá vorbeikomme . 000964 000077 ich meine nur : h„tte ich das Appar„tchen nicht zerlegt , so h„tte mich jener Anruf nicht mehr erreicht , daá heiát , meine Schiffreise w„re nicht zustande gekommen , jedenfalls nicht mit dem Schiff , das Sabeth benutzte , und wir w„ren einander nie auf der Welt begegnet , meine Tochter und ich . 000965 000077 eine Stunde sp„ter saá ich in einer Bar , meine Schiffskarte in der Tasche , unten am Hudson , vergngt , nachdem ich unser Schiff gesehen hatte , einen Riesenkahn mit erleuchteten Fenstern berall , Maste und Krane und die roten Kamine im Scheinwerfer - ich freute mich aufs Leben wie ein Jngling , wie schon lange nicht mehr . 000966 000077 meine erste Schiffahrt ! . 000967 000077 ich trank ein Bier und aá einen Hamburger , Mann unter M„nnern , Hamburger mit viel Senf , denn ich hatte Hunger , sobald ich allein war , ich schob meinen Hut in den Nacken , ich leckte den Schaum von den Lippen , Blick auf einen Boxkampf in Television , ringsum standen Dockarbeiter , vor allem Neger , ich zndete mir eine Zigarette an und fragte mich , was man als Jngling eigentlich vom Leben erwartet hat - . 000968 000078 Ivy wartete in der Wohnung . 000969 000078 leider muáte ich zurck , ich muáte ja noch packen , aber es eilte nicht . 000970 000078 ich aá einen zweiten Hamburger . 000971 000078 ich dachte an Joachim - . 000972 000078 ich hatte das Gefhl , ein neues Leben zu beginnen , vielleicht bloá , weil ich noch nie eine Schiffreise gemacht hatte ; jedenfalls freute ich mich auf meine Schiffreise . 000973 000078 ich saá bis Mitternacht dort . 000974 000078 ich hoffte , daá Ivy nicht mehr wartete , sondern die Geduld verloren und meine Wohnung verlassen hatte , b”se auf mich , da ich mich ( ich wuáte es ) wie ein Flegel benahm ; aber anders wurde ich Ivy nicht los - ich zahlte und ging zu Fuá , um die Chance , Ivy nicht mehr zu treffen , nochmals um eine halbe Stunde zu vergr”áern ; ich wuáte , daá sie z„he ist - . 000975 000078 sonst wuáte ich wenig von Ivy - . 000976 000078 sie ist katholisch , Mannequin , sie duldete Witze ber alles , bloá nicht ber den Papst , vielleicht ist sie lesbisch , vielleicht frigid , es war ihr ein Bedrfnis , mich zu verfhren , weil sie fand , ich sei ein Egoist , ein Unmensch , sie ist nicht dumm , aber ein biáchen pervers , so schien mir , komisch , dabei ein herzensguter Kerl , wenn sie nicht geschlechtlich wurde ... . 000977 000078 als ich in meine Wohnung trat , saá sie in Mantel und Hut , l„chelnd , obschon ich sie ber zwei Stunden hatte sitzen lassen , ohne Vorwurf . 000978 000078 f+ " everything okay ? " +f fragte sie . 000979 000079 es gab noch Wein in der Flasche . 000980 000079 f+ " everything okay ! " +f sagte ich . 000981 000079 ihr Aschenbecher war bervoll , ihr Gesicht etwas verheult , ich fllte unsere Gl„ser so gerecht als m”glich und bat um Entschuldigung wegen vorher . 000982 000079 Strich darunter ! . 000983 000079 ich bin unausstehlich , wenn ich berarbeitet bin , und man ist meistens berarbeitet . 000984 000079 unser Sauternes war lauwarm - . 000985 000079 als wir mit unseren halbvollen Gl„sern anstieáen , wnschte mir Ivy ( sie stand ) eine glckliche Reise , ein glckliches Leben berhaupt . 000986 000079 ohne Kuá . 000987 000079 wir tranken im Stehen wie bei diplomatischen Empf„ngen . 000988 000079 alles in allem , fand ich , hatten wir zusammen eine hbsche Zeit verlebt , Ivy fand es auch , unsere Wochenende drauáen auf Fire Island , auch unsere Abende auf dem Dachgarten hier - . 000989 000079 Strich darunter ! sagte auch Ivy . 000990 000079 sie sah entzckend aus , dabei die Vernunft in Person , sie hatte die Figur eines Buben , nur ihre Brust war sehr weiblich , ihre Hften schmal , wie es sich fr Mannequins geh”rt . 000991 000079 so standen wir und nahmen Abschied . 000992 000079 ich káte sie - . 000993 000079 sie verweigerte jeden Kuá . 000994 000079 w„hrend ich sie hielt , ohne etwas anderes zu wollen als einen letzten Kuá , und ihren K”rper sprte , drehte sie ihr Gesicht zur Seite ; ich káte zum Trotz , w„hrend Ivy rauchte und ihre Zigarette nicht preisgab , ich káte ihr Ohr , ihren straffen Hals , ihre Schl„fe , ihr bitteres Haar - . 000995 000079 sie stand wie eine Kleiderpuppe . 000996 000079 sie rauchte nicht nur ihre Zigarette , als w„re es die letzte , hinunter bis zum Filter , in der anderen Hand hielt sie ihr leeres Glas . 000997 000080 ich weiá nicht , wie es wieder kam - . 000998 000080 ich glaube , Ivy wollte , daá ich mich haáte , und verfhrte mich bloá , damit ich mich haáte , und das war ihre Freude dabei , mich zu demtigen , die einzige Freude , die ich ihr geben konnte . 000999 000080 manchmal frchtete ich sie . 001000 000080 wir saáen wieder wie vor Stunden - . 001001 000080 Ivy wollte schlafen . 001002 000080 als ich Dick nochmals anrief - ich wuáte mir nicht anders zu helfen - war es Mitternacht vorbei , Dick hatte nun seinerseits Gesellschaft , ich bat ihn , mit der ganzen Bande herberzukommen . 001003 000080 man h”rte sie durchs Telefon , seine Gesellschaft , Gewirr von besoffenen Stimmen . 001004 000080 ich beschwor ihn . 001005 000080 aber Dick war erbarmungslos . 001006 000080 erst als Ivy sich an den H”rer h„ngte , bequemte sich Dick zu dem Freundesdienst , mich nicht mit Ivy allein zu lassen . 001007 000080 ich war todmde . 001008 000080 Ivy k„mmte sich zum dritten Mal - . 001009 000080 endlich , als ich im Schaukelstuhl eingeschlafen war , kamen sie : sieben oder neun M„nner , davon drei wie Invalide , die man aus dem Lift schleppen muáte . 001010 000080 einer streikte , als er h”rte , daá eine Frau zugegen w„re ; das war ihm zuviel oder zuwenig . 001011 000080 er ging , besoffen wie er war , die Treppe hinunter , schimpfend , sechzehn Stockwerke . 001012 000080 Dick stellte vor : f+ " this is a friend of mine - " +f . 001013 000080 ich glaube , er kannte die Brder selber nicht , jemand wurde vermiát . 001014 000080 ich erkl„rte , daá einer umgekehrt war ; Dick fhlte sich verantwortlich , daá keine Freunde verlorengingen , und z„hlte sie mit Fingern , um nach langem Hin und Her festzustellen , daá immer noch einer fehlte . 001015 000081 f+ " he's lost " +f , sagte er , f+ " anyhow - " +f . 001016 000081 natrlich versuchte ich , alles von der komischen Seite zu nehmen , auch als die indianische Vase in Trmmer ging , die gar nicht mir geh”rte . 001017 000081 Ivy fand mich humorlos . 001018 000081 ich hatte auch nach einer Stunde noch keine Ahnung , wer diese Leute waren . 001019 000081 einer sollte ein berhmter Artist sein . 001020 000081 um es zu beweisen , drohte er , einen Handstand auf dem Gel„nder unseres sechzehnten Stockwerkes zu machen , was verhindert werden konnte ; dabei fiel eine Whisky-Flasche ber die Fassade hinunter - natrlich war er kein Artist , sondern sie sagten es bloá , um mich zu foppen , ich weiá nicht warum . 001021 000081 zum Glck war niemand getroffen worden ! . 001022 000081 ich war sofort hinuntergegangen , darauf gefaát , eine Ansammlung von Leuten zu treffen , Sanit„t , Blut , Polizei , die mich verhaften wrde . 001023 000081 aber nichts von alledem ! . 001024 000081 als ich in meine Wohnung zurckkehrte , brachen sie in Gel„chter aus ; denn es w„re gar keine Whisky-Flasche ber die Fassade hinuntergefallen - . 001025 000081 ich wuáte nicht , was stimmte . 001026 000081 als ich gelegentlich auf die Toilette ging , war die Tr verriegelt . 001027 000081 ich holte einen Schraubenzieher und sprengte die Tre . 001028 000081 einer saá am Boden und rauchte und wollte wissen , wie ich heiáe . 001029 000081 so ging's die ganze Nacht . 001030 000081 in eurer Gesellschaft k”nnte man sterben , sagte ich , man k”nnte sterben , ohne daá ihr es merkt , von Freundschaft keine Spur , sterben k”nnte man in eurer Gesellschaft ! schrie ich , und wozu wir berhaupt miteinander reden , schrie ich , wozu denn ( ich h”rte mich selber schreien ) , wozu diese ganze Gesellschaft , wenn einer sterben k”nnte , ohne daá ihr es merkt - . 001031 000082 ich war betrunken . 001032 000082 so ging's bis zum Morgen - ich weiá nicht , wann sie die Wohnung verlassen hatten und wie ; nur Dick lag noch da . 001033 000082 9.30 Uhr muáte ich an Bord sein . 001034 000082 ich hatte Kopfschmerzen , ich packte und war froh , daá Ivy mir half , ich war sp„t , ich bat sie , noch einmal ihren guten Kaffee zu machen , sie war rhrend und begleitete mich sogar aufs Schiff . 001035 000082 natrlich weinte sie . 001036 000082 wen Ivy auáer mir hatte , abgesehen von ihrem Mann , wuáte ich nicht ; Vater und Mutter hatte sie nie erw„hnt , ich erinnerte mich nur an ihren drolligen Ausspruch : f+ I'm just a dead-end-kid ! +f . 001037 000082 sie stammte aus der Bronx , sonst wuáte ich wirklich nichts von Ivy , anfangs hatte ich sie fr eine T„nzerin gehalten , dann fr eine Kokotte , beides stimmte nicht - ich glaube , Ivy arbeitete wirklich als Mannequin . 001038 000082 wir standen auf Deck . 001039 000082 Ivy in ihrem Kolibri-Htchen - . 001040 000082 Ivy versprach , alles zu erledigen , die Sache mit der Wohnung und mit dem Studebaker . 001041 000082 ich gab ihr die Schlssel . 001042 000082 ich dankte ihr , als es tutete und der Lautsprecher immer wieder die Begleiter aufforderte , das Schiff zu verlassen ; ich káte sie , denn Ivy muáte nun wirklich gehen , unsere Sirenen widerhallten ringsum , so daá man sich die Ohren zuhalten muáte . 001043 000082 Ivy war die letzte , die ber die Brcke an Land ging . 001044 000082 ich winkte - . 001045 000082 ich muáte mich zusammennehmen , obschon ich froh war , als sie die schweren Taue l”sten . 001046 000083 wir hatten einen wolkenlosen Tag . 001047 000083 ich war froh , daá alles noch geklappt hatte . 001048 000083 Ivy winkte auch - . 001049 000083 ein lieber Kerl ! dachte ich , obschon ich Ivy nie verstanden habe ; ich stand auf dem Sockel eines Krans , als die schwarzen Schlepper uns rckw„rts hinauszogen , dazu nochmals Sirenen , ich filmte ( mit meinem neuen Tele-Objektiv ) die winkende Ivy , bis man von bloáem Auge schon keine Gesichter mehr unterscheiden konnte . 001050 000083 ich filmte die ganze Ausfahrt , solange man Manhattan sah , dann die M”wen , die uns begleiteten . 001051 000083 wir h„tten Joachim ( so denke ich oft ) nicht in die Erde begraben , sondern verbrennen sollen . 001052 000083 aber das war nun nicht mehr zu „ndern . 001053 000083 Marcel hatte vollkommen recht : Feuer ist eine saubere Sache , Erde ist Schlamm nach einem einzigen Gewitter ( wie wir's auf unsrer Rckfahrt erlebt haben ) , Verwesung voller Keime , glitschig wie Vaseline , Tmpel im Morgenrot wie Tmpel von schmutzigem Blut , Monatsblut , Tmpel voller Molche , nichts als schwarze K”pfe mit zuckenden Schw„nzchen wie ein Gewimmel von Spermatozoen , genau so - grauenhaft . 001054 000083 ( ich m”chte kremiert werden ! ) . 001055 000083 auf unsrer Rckfahrt damals machten wir berhaupt keinen Stop , ausgenommen in der Nacht , weil es zum Fahren einfach zu finster war ohne Mond . 001056 000083 es regnete . 001057 000083 es gurgelte die ganze Nacht , wir lieáen unsere Scheinwerfer an , obschon wir nicht fuhren , und es rauschte wie eine Sintflut , die Erde dampfte vor unseren Scheinwerfern , ein lauer und schwerer Regen . 001058 000083 ohne Wind . 001059 000083 was man im Scheinwerferkegel sah : Gew„chs reglos , Geschlinge von Luftwurzeln , die in unserem Scheinwerferlicht gl„nzten wie Eingeweide . 001060 000084 ich war froh , nicht allein zu sein , obschon eigentlich keinerlei Gefahr , sachlich betrachtet ; das Wasser lief ab . 001061 000084 wir schliefen nicht eine Minute . 001062 000084 wir hockten wie in der Sauna , n„mlich ohne Kleider ; es war unertr„glich , das nasse Zeug auf dem Leib . 001063 000084 dabei war es , wie ich mir immer sagte , nur Wasser , kein Grund zum Ekel . 001064 000084 gegen Morgen hatte der Regen aufgeh”rt , pl”tzlich , wie wenn man eine Dusche abstellt ; aber es tropfte von den Gew„chsen , es h”rte nicht auf zu glucksen , zu tropfen . 001065 000084 dann die Morgenr”te ! . 001066 000084 von Khlung keine Spur ; der Morgen war heiá und dampfig , die Sonne schleimig wie je , die Bl„tter gl„nzten , und wir waren naá von Schweiá und Regen und ™l , schmierig wie Neugeborene . 001067 000084 ich steuerte ; ich weiá nicht , wie wir mit unserem Landrover durch den Fluá kamen ; aber wir kamen hindurch und konnten es nicht fassen , daá wir je in diesem lauen Wasser mit fauligen Bl„schen geschwommen sind . 001068 000084 es spritzte der Schlamm nach beiden Seiten , wenn wir durch die Tmpel fuhren , diese Tmpel im Morgenrot - einmal sagte Marcel : f+ tu sais que la mort est femme ! +f . 001069 000084 ich blickte ihn an , f+ et que la terre est femme ! +f sagte er , und das letztere verstand ich , denn es sah so aus , genau so , ich lachte laut , ohne zu wollen , wie ber eine Zote - . 001070 000084 es war kurz nach der Ausfahrt , als ich das M„dchen mit dem blonden Roáschwanz zum ersten Mal erblickte , man muáte sich im Speisesaal versammeln , um anzustehen wegen Tischkarten . 001071 000084 es war mir eigentlich unwichtig , wer an meinem Tisch sitzt , immerhin hoffte ich auf M„nnertisch , gleichviel welcher Sprache . 001072 000085 aber von W„hlen keine Spur ! . 001073 000085 der Steward hatte einen Plan vor sich , ein franz”sischer Brokrat , ungn„dig , wenn ein Mensch nicht franz”sisch versteht , dann wieder geschw„tzig , wenn's ihm so paáte , charmant ohne Ende , w„hrend wir warteten , eine ganze Schlange von Passagieren - vor mir : ein junges M„dchen in schwarzer Cowboy-Hose , kaum kleiner als ich , Engl„nderin oder Skandinavierin , ich konnte ihr Gesicht nicht sehen , nur ihren blonden oder r”tlichen Roáschwanz , der bei jeder Bewegung ihres Kopfes baumelte . 001074 000085 natrlich blickte man sich um , ob man jemand kennt ; es h„tte ja sein k”nnen . 001075 000085 ich hoffte wirklich auf M„nnertisch . 001076 000085 das M„dchen bemerkte ich bloá , weil ihr Roáschwanz vor meinem Gesicht baumelte , mindestens eine halbe Stunde lang . 001077 000085 ihr Gesicht , wie gesagt , sah ich nicht . 001078 000085 ich versuchte , das Gesicht zu erraten . 001079 000085 zum Zeitvertreib ; wie man sich zum Zeitvertreib an ein Kreuzwortr„tsel macht . 001080 000085 brigens gab es fast keine jungen Leute . 001081 000085 sie trug ( ich erinnere mich genau ) einen schwarzen Pullover mit Rollkragen , existentialistisch , dazu Halskette aus gew”hnlichem Holz , Espadrilles , alles ziemlich billig . 001082 000085 sie rauchte , ein dickes Buch unter dem Arm , und in der hinteren Tasche ihrer Cowboy-Hose steckte ein grner Kamm . 001083 000085 ich war einfach durch diese Warterei gezwungen , sie zu betrachten ; sie muáte sehr jung sein : ihr Flaum auf dem Hals , ihre Bewegungen , ihre kleinen Ohren , die err”teten , als der Steward einen Spaá machte - sie zuckte nur die Achsel ; ob erster oder zweiter Service , war ihr gleichgltig . 001084 000085 sie kam in den ersten ; ich in den zweiten . 001085 000085 unterdessen war die letzte amerikanische Kste , Long Island , auch verschwunden , ringsum nichts als Wasser ; ich brachte meine Kamera in die Kabine hinunter , wo ich zum ersten Mal meinen Mitschl„fer sah , einen jungen und baumstarken Mann , Lajser Lewin , Landwirt aus Israel . 001086 000086 ich lieá ihm das untere Bett . 001087 000086 er hatte , als ich in die Kabine trat , auf dem oberen gesessen , gem„á Ticket ; aber es war uns beiden wohler , glaube ich , als er auf dem unteren Bett saá , um seine Siebensachen auszupacken . 001088 000086 eine Lawine von Mensch ! . 001089 000086 ich rasierte mich , da ich in der Morgenhetze nicht dazu gekommen war . 001090 000086 ich steckte meinen Apparat an , denselben wie gestern , und er ging . 001091 000086 Herr Lewin hatte die kalifornische Landwirtschaft studiert . 001092 000086 ich rasierte mich , ohne viel zu reden . 001093 000086 sp„ter wieder auf Deck - . 001094 000086 es gab nichts zu sehen , Wasser ringsum , ich stand und genoá es , unerreichbar zu sein - statt daá ich mich um einen Decksessel kmmerte . 001095 000086 ich wuáte das alles noch nicht . 001096 000086 M”wen folgten dem Schiff - . 001097 000086 wie man fnf Tage auf einem solchen Schiff verbringt , konnte ich mir nicht vorstellen , ich ging hin und her , H„nde in den Hosentaschen , einmal geschoben vom Wind , geradezu schwebend , dann wieder gegen den Wind , dann mhsam , so daá man sich nach vorne lehnen muáte mit flatternden Hosen , ich wunderte mich , woher die andern Passagiere ihre Sessel hatten . 001098 000086 jeder Sessel mit Namen versehen . 001099 000086 als ich den Steward fragte , gab es keine Decksessel mehr . 001100 000086 Sabeth spielte Pingpong . 001101 000086 sie spielte famos , ticktack , ticktack , das ging nur so hin und her , eine Freude zum Zuschauen . 001102 000086 ich selber hatte seit Jahren nicht mehr gespielt . 001103 000087 sie erkannte mich nicht . 001104 000087 ich hatte genickt - . 001105 000087 sie spielte mit einem jungen Herrn . 001106 000087 m”glicherweise ihr Freund oder Verlobter . 001107 000087 sie hatte sich umgekleidet und trug jetzt einen olivgrnen Manchesterrock , glockig , was ihr besser stand als die Bubenhosen , fand ich - vorausgesetzt , daá es wirklich dieselbe Person war ! . 001108 000087 jedenfalls war die andere nirgends zu finden . 001109 000087 in der Bar , die ich zuf„llig entdeckte , war kein Knochen . 001110 000087 in der Bibliothek gab es bloá Romane , anderswo Tische fr Kartenspiele , was auch nach Langweile aussah - drauáen war's windig , jedoch weniger langweilig , da man ja fuhr . 001111 000087 eigentlich bewegte sich nur die Sonne - . 001112 000087 gelegentlich ein Frachter am Horizont . 001113 000087 um vier Uhr gab's Tee . 001114 000087 ab und zu blieb ich wieder beim Pingpong stehen , jedesmal berrascht , wenn ich sie von vorne sah , gezwungen mich zu fragen , ob es wirklich dieselbe Person war , deren Gesicht ich zu erraten versucht hatte , w„hrend wir auf unsere Tischkarten hatten warten mssen . 001115 000087 ich stand bei dem groáen Fenster des Promenadendecks , rauchte und tat , als blickte ich aufs Meer hinaus . 001116 000087 von hinten gesehen , vom r”tlichen Roáschwanz her , war sie's durchaus , aber von vorne blieb sie merkwrdig . 001117 000087 ihre Augen wassergrau , wie oft bei Rothaarigen . 001118 000087 sie zog ihre Wolljacke aus , weil sie das Spiel verloren hatte , und krempelte ihre Bluse herauf . 001119 000087 einmal berrannte sie mich fast , um den Ball zu fangen . 001120 000087 ohne ein Wort der Entschuldigung . 001121 000087 das M„dchen sah mich gar nicht . 001122 000087 gelegentlich ging ich weiter - . 001123 000088 auf Deck wurde es kalt , sogar naá , weil Gischt , und der Steward klappte die Sessel zusammen . 001124 000088 man h”rte die Wellen viel lauter als zuvor , dazu Pingpong aus dem unteren Stock , ticktack , ticktack . 001125 000088 dann Sonnenuntergang . 001126 000088 ich schlotterte . 001127 000088 als ich in die Kabine hinunterging , um meinen Mantel zu holen , muáte ich nochmals durch das Promenadendeck - ich hob ihr einen Ball auf , ohne mich aufzudr„ngen , glaube ich , sie dankte kurz und englisch ( sonst sprach sie deutsch ) , und bald darauf gongte es zum Ersten Service . 001128 000088 der erste Nachmittag war berstanden . 001129 000088 als ich mit Mantel und Kamera zurckkehrte , um den Sonnenuntergang zu filmen , lagen die beiden Pingpong-Schl„ger auf dem grnen Tisch - . 001130 000088 was „ndert es , daá ich meine Ahnungslosigkeit beweise , mein Nichtwissenk”nnen ! . 001131 000088 ich habe das Leben meines Kindes vernichtet und ich kann es nicht wiedergutmachen . 001132 000088 wozu noch ein Bericht ? . 001133 000088 ich war nicht verliebt in das M„dchen mit dem r”tlichen Roáschwanz , sie war mir aufgefallen , nichts weiter , ich konnte nicht ahnen , daá sie meine eigene Tochter ist , ich wuáte ja nicht einmal , daá ich Vater bin . 001134 000088 wieso Fgung ? . 001135 000088 ich war nicht verliebt , im Gegenteil , sie war mir fremder als je ein M„dchen , sobald wir ins Gespr„ch kamen , und es war ein unwahrscheinlicher Zufall , daá wir berhaupt ins Gespr„ch kamen , meine Tochter und ich . 001136 000088 es h„tte ebensogut sein k”nnen , daá wir einfach aneinander vorbeigegangen w„ren . 001137 000088 wieso Fgung ! . 001138 000088 es h„tte auch ganz anders kommen k”nnen . 001139 000089 schon am Abend jenes ersten Tages , nachdem ich den Sonnenuntergang gefilmt hatte , spielten wir Pingpong , unser erstes und letztes . 001140 000089 ein Gespr„ch war kaum m”glich ; ich habe nicht mehr gewuát , daá ein Mensch so jung sein kann . 001141 000089 ich hatte ihr meine Kamera erl„utert , aber es langweilte sie alles , was ich sagte . 001142 000089 unser Pingpong ging besser , als meinerseits erwartet ; ich hatte seit Jahrzehnten nicht mehr gespielt . 001143 000089 nur ihr f+ " service " +f war gerissener , sie schnitt . 001144 000089 frher hatte ich auch schneiden k”nnen , aber es fehlte mir die šbung ; daher war ich zu langsam . 001145 000089 sie schnitt , wo sie nur konnte , aber nicht immer mit Erfolg ; ich wehrte mich . 001146 000089 Pingpong ist eine Frage des Selbstvertrauens , nichts weiter . 001147 000089 ich war nicht so alt , wie das M„dchen meinte , und so hopp-hopp , wie sie's offenbar erwartet hatte , ging es dann doch nicht ; langsam merkte ich , wie ihre B„lle zu nehmen sind . 001148 000089 sicher langweilte ich sie . 001149 000089 ihr Partner vom Nachmittag , ein Jngling mit Schn„uzchen , spielte natrlich viel imposanter . 001150 000089 ich hatte bald einen roten Kopf , da ich mich ”fter bcken muáte , aber auch das M„dchen muáte noch die Wolljacke ausziehen , sogar ihre Bluse krempeln , um mich zu schlagen , sie warf ihren Roáschwanz in den Nacken zurck , ungeduldig . 001151 000089 sobald ihr Schn„uzchen-Freund auftauchte , um zu l„cheln als Zuschauer mit beiden H„nden in den Hosentaschen , gab ich meinen Schl„ger ab - sie bedankte sich , ohne mich aufzufordern , die Partie zu Ende zu spielen ; ich bedankte mich gleichfalls , nahm meine Jacke . 001152 000089 ich stellte ihr nicht nach . 001153 000089 ich machte Konversation mit allerlei Leuten , meistens mit Mister Lewin , keinesfalls bloá mit Sabeth , sogar mit den alten Jungfern an meinem Tisch , Stenotypistinnen aus Cleveland , die sich verpflichtet fhlten , Europa gesehen zu haben , oder mit dem amerikanischen Geistlichen , Baptist aus Chicago , aber ein fideler Kerl - . 001154 000090 ich bin nicht gewohnt , unt„tig zu sein . 001155 000090 vor dem Schlafengehen machte ich jedesmal , um Luft zu schnappen , eine Runde um s„mtliche Decks . 001156 000090 allein . 001157 000090 traf ich sie im Dunkeln - zuf„llig - Arm in Arm mit ihrem Pingpong-Freund , so tat sie , als h„tte sie mich nicht gesehen ; als drfte ich unter keinen Umst„nden wissen , daá sie verliebt ist . 001158 000090 was ging's mich an ! . 001159 000090 ich ging , wie gesagt , um Luft zu schnappen . 001160 000090 sie meinte , ich sei eiferschtig - . 001161 000090 am andern Morgen , als ich allein an der Reling stand , trat sie zu mir und fragte , wo denn mein Freund sei . 001162 000090 es interessierte mich nicht , wen sie fr meinen Freund hielt , Israel-Landwirt oder Chicago-Baptist , sie meinte , ich fhle mich einsam , und wollte nett sein , gab's nicht auf , bis sie mich zum Plaudern brachte - ber Navigation , Radar , Erdkrmmung , Elektrizit„t , Entropie , wovon sie noch nie geh”rt hat . 001163 000090 sie war alles andere als dumm . 001164 000090 nicht viele Leute , denen ich den sogenannten Maxwell'schen D„mon erl„uterte , begreifen so flink wie dieses junge M„dchen , das ich Sabeth nannte , weil Elisabeth , fand ich , ein unm”glicher Name ist . 001165 000090 sie gefiel mir , aber ich flirtete in keiner Weise . 001166 000090 ich redete wie ein Lehrer , frchtete ich , w„hrend sie l„chelte . 001167 000090 Sabeth wuáte nichts von Kybernetik , und wie immer , wenn man mit Laien darber redet , galt es , allerlei kindische Vorstellungen vom Roboter zu widerlegen , das menschliche Ressentiment gegen die Maschine , das mich „rgert , weil es borniert ist , ihr abgedroschenes Argument : der Mensch sei keine Maschine . 001168 000091 ich erkl„rte , was die heutige Kybernetik als Information: bezeichnet : unsere Handlungen als Antworten auf sogenannte Informationen , beziehungsweise Impulse , und zwar sind es automatische Antworten , gr”átenteils unserem Willen entzogen , Reflexe , die eine Maschine ebensogut erledigen kann wie ein Mensch , wenn nicht sogar besser . 001169 000091 Sabeth rmpfte ihre Brauen ( wie stets bei Sp„áen , die ihr eigentlich miáfallen ) und lachte . 001170 000091 ich verwies sie auf Norbert Wiener : f+ Cybernetics: or: Control: and: Communication: in: the: Animal: and: the: Machine: , M:.I:.T:. 1948: +f . 001171 000091 natrlich meinte ich nicht die Roboter , wie sie die Illustrierten sich ausmalen , sondern die H”chstgeschwindigkeitsrechenmaschine , auch Elektronen-Hirn genannt , weil Steuerung durch Vakuum-Elektronenr”hren , eine Maschine , die heute schon jedes Menschenhirn bertrifft . 001172 000091 in einer Minute 2000000 Additionen oder Subtraktionen ! . 001173 000091 in ebensolchem Tempo erledigt sie eine Infinitesimal-Rechnung , Logarithmen ermittelt sie schneller , als wir das Ergebnis ablesen k”nnen , und eine Aufgabe , die bisher das ganze Leben eines Mathematikers erfordert h„tte , wird in Stunden gel”st und zuverl„ssiger gel”st , weil sie , die Maschine , nichts vergessen kann , weil sie alle eintreffenden Informationen , mehr als ein menschliches Hirn erfassen kann , in ihre Wahrscheinlichkeitsans„tze einbezieht . 001174 000091 vor allem aber : die Maschine erlebt nichts , sie hat keine Angst und keine Hoffnung , die nur st”ren , keine Wnsche in bezug auf das Ergebnis , sie arbeitet nach der reinen Logik der Wahrscheinlichkeit , darum behaupte ich : der Roboter erkennt genauer als der Mensch , er weiá mehr von der Zukunft als wir , denn er errechnet sie , er spekuliert nicht und tr„umt nicht , sondern wird von seinen eigenen Ergebnissen gesteuert f+ ( feed back ) +f und kann sich nicht irren ; der Roboter braucht keine Ahnungen - . 001175 000092 Sabeth fand mich komisch . 001176 000092 ein wenig , glaubte ich , mochte sie mich doch ; jedenfalls nickte sie , wenn sie mich auf Deck sah , sie lag in ihrem Decksessel und nahm sofort ihr Buch , aber winkte - . 001177 000092 f+ " hello , Mister Faber ! " +f . 001178 000092 sie nannte mich Mister Faber , weil ich mich , gewohnt an die englische Aussprache meines Namens , so vorgestellt hatte ; im brigen sprachen wir deutsch . 001179 000092 ich lieá sie oft in Ruhe . 001180 000092 eigentlich h„tte ich arbeiten sollen - . 001181 000092 so eine Schiffreise ist ein komischer Zustand . 001182 000092 fnf Tage ohne Wagen ! . 001183 000092 ich bin gewohnt zu arbeiten oder meinen Wagen zu steuern , es ist keine Erholung fr mich , wenn nichts l„uft , und alles Ungewohnte macht mich sowieso nerv”s . 001184 000092 ich konnte nicht arbeiten . 001185 000092 man f„hrt und f„hrt , die Motoren laufen Tag und Nacht , man h”rt sie , man sprt sie , man f„hrt pausenlos , aber nur die Sonne bewegt sich , beziehungsweise der Mond , es k”nnte auch eine Illusion sein , daá man f„hrt , unser Kahn kann noch so stampfen und Wellen werfen , Horizont bleibt Horizont , und man bleibt in der Mitte einer Kreisscheibe , wie fixiert , nur die Wellen gleiten davon , ich weiá nicht mit wieviel Knoten in der Stunde , jedenfalls ziemlich schnell , aber es „ndert sich berhaupt nichts - nur daá man „lter wird ! . 001186 000092 Sabeth spielte Pingpong oder las . 001187 000092 ich wanderte halbe Tage lang , obschon es unm”glich ist , jemand zu treffen , der nicht an Bord ist ; ich bin in zehn Jahren nicht so viel gegangen wie auf diesem Schiff , manchmal lieá der Baptist sich herbei , dieses Kinderspiel zu machen , Schieberei mit Stecken und Holzscheiben , Zeitvertreib , ich hatte Zeit wie noch nie und kam nicht einmal dazu , die t„gliche Bordzeitung zu lesen . 001188 000093 f+ News: of: Today: - +f . 001189 000093 nur die Sonne bewegt sich . 001190 000093 f+ President: Eisenhower: says: - +f . 001191 000093 meinetwegen ! . 001192 000093 wichtig ist , daá man seine Holzscheibe in das richtige Feld schiebt , und sicher ist , daá anderseits auch niemand kommen kann , der nicht schon an Bord ist , Ivy zum Beispiel , man ist einfach unerreichbar . 001193 000093 das Wetter war gut . 001194 000093 eines Morgens , als ich mit dem Baptist frhstcke , setzt Sabeth sich an unsern Tisch , was mich aufrichtig freut , Sabeth in ihren schwarzen Cowboy-Hosen . 001195 000093 ringsum gibt es leere Tische genug , ich meine , falls das M„dchen mich nicht leiden k”nnte . 001196 000093 es freut mich aufrichtig . 001197 000093 sie reden vom Louvre in Paris , den ich nicht kenne , und ich sch„le unterdessen meinen Apfel . 001198 000093 ihr Englisch l„uft ganz famos . 001199 000093 wieder die Verblffung , wie jung sie ist ! . 001200 000093 man fragt sich dann , ob man selber je so jung gewesen ist . 001201 000093 ihre Ansichten ! . 001202 000093 ein Mensch , der den Louvre nicht kennt , weil er sich nichts draus macht , das gibt es einfach nicht ; Sabeth meint , ich mache mich bloá lustig ber sie . 001203 000093 dabei ist es der Baptist , der sich lustig macht ber mich . 001204 000093 f+ " Mister Faber is an engineer " +f - sagt er - . 001205 000093 was mich aufregt , sind keineswegs seine bl”den Witze ber die Ingenieure , sondern seine Flirterei mit dem jungen M„dchen , das nicht seinetwegen an unseren Tisch gekommen ist , seine Hand , die er auf ihren Arm legt , dann auf ihre Schulter , dann wieder auf ihren Arm , seine fleischige Hand . 001206 000094 wozu faát er das M„dchen immer an ! . 001207 000094 bloá weil er ein Kenner des Louvre ist . 001208 000094 f+ " listen " +f , sagt er immer , f+ " listen ! " +f . 001209 000094 Sabeth : f+ " yes , I'm listening - " +f . 001210 000094 dabei hat er gar nichts zu sagen , der Baptist , es geht ihm mit seinem ganzen Louvre bloá darum , das M„dchen anfassen zu k”nnen , so eine Altherren-Manier , dazu sein L„cheln ber mich . 001211 000094 f+ " go on " +f , sagt er zu mir , f+ " go on ! " +f . 001212 000094 ich stehe auf dem Standpunkt , daá der Beruf des Technikers , der mit den Tatsachen fertig wird , immerhin ein m„nnlicher Beruf ist , wenn nicht der einzigm„nnliche berhaupt ; ich stelle fest , daá wir uns auf einem Schiff befinden , somit auf einem Werk der Technik - . 001213 000094 f+ " true " +f , sagt er , f+ " very true ! " +f . 001214 000094 dabei h„lt er ihren Arm die ganze Zeit , tut gespannt und aufmerksam , bloá um den Arm des M„dchens nicht loslassen zu mssen . 001215 000094 f+ " go on " +f , sagt er , f+ " go on ! " +f . 001216 000094 das M„dchen will mich untersttzen und bringt das Gespr„ch , da ich die Skulpturen im Louvre nicht kenne , auf meinen Roboter ; ich habe aber keine Lust , davon zu sprechen , und sagte lediglich , daá Skulpturen und Derartiges nichts anderes sind ( fr mich ) als Vorfahren des Roboters . 001217 000094 die Primitiven versuchten den Tod zu annullieren , indem sie den Menschenleib abbilden - wir , indem wir den Menschenleib ersetzen . 001218 000094 Technik statt Mystik ! . 001219 000094 zum Glck kam Mister Lewin . 001220 000094 als sich herausstellt , daá auch Mister Lewin noch nie im Louvre gewesen ist , wechselt das Tischgespr„ch , Gottseidank , Mister Lewin hat gestern den Maschinenraum unsres Schiffes besichtigt - das fhrt zu einem Doppelgespr„ch : Baptist und Sabeth reden weiterhin ber van Gogh , Lewin und ich reden ber Dieselmotoren , wobei ich , obschon in Dieselmotoren interessiert , das M„dchen nicht aus den Augen lasse : sie h”rt dem Baptisten ganz aufmerksam zu , w„hrend sie seine Hand nimmt , um sie neben sich auf den Tisch zu legen , wie eine Serviette . 001221 000095 f+ " why do you laugh ? " +f fragt er mich . 001222 000095 ich lache einfach . 001223 000095 f+ " van Gogh is the most intelligent fellow of his time " +f , sagt er mir , f+ " have you ever read his letters ? " +f . 001224 000095 dazu Sabeth : " er weiá wirklich sehr viel " . 001225 000095 sobald wir , Mister Lewin und ich , von Elektrizit„t sprechen , weiá er aber auch nichts , unser Baptist und Hahn im Korb , sondern sch„lt auch seinen Apfel und schweigt vor sich hin . 001226 000095 schlieálich redet man ber Israel . 001227 000095 sp„ter auf Deck „uáerte Sabeth ( ohne Dr„ngen meinerseits ) den Wunsch , einmal den Maschinenraum zu besichtigen , und zwar mit mir ; ich hatte lediglich gesagt , einmal werde ich auch den Maschinenraum besichtigen . 001228 000095 ich wollte sie keinesfalls bel„stigen . 001229 000095 sie wunderte sich , wieso ich keinen Decksessel habe , und bot mir sofort ihren Decksessel an , weil ihrerseits sowieso zu einem Pingpong verabredet . 001230 000095 ich dankte , und weg war sie - . 001231 000095 seither saá ich ”fter in ihrem Sessel ; der Steward holte ihren Sessel hervor , sowie er mich erblickte , und klappte ihn auf , begráte mich als Mister Piper , weil auf ihrem Sessel stand : f+ Miss: E.: Piper: +f . 001232 000096 ich sagte mir , daá mich wahrscheinlich jedes junge M„dchen irgendwie an Hanna erinnern wrde . 001233 000096 ich dachte in diesen Tagen wieder ”fter an Hanna . 001234 000096 was heiát schon Žhnlichkeit ? . 001235 000096 Hanna war schwarz , Sabeth blond beziehungsweise r”tlich , und ich fand es an den Haaren herbeigezogen , die beiden zu vergleichen . 001236 000096 ich tat es aus lauter Máiggang . 001237 000096 Sabeth ist jung , wie Hanna damals jung gewesen ist , und zudem redete sie das gleiche Hochdeutsch , aber schlieálich ( so sagte ich mir ) gibt es ganze V”lkerst„mme , die hochdeutsch reden . 001238 000096 stundenlang lag ich in ihrem Sessel , meine Beine auf das weiáe Gel„nder gestemmt , das zitterte , Blick aufs Meer hinaus . 001239 000096 leider hatte ich keine Fachzeitschriften bei mir , Romane kann ich nicht lesen , dann berlege ich mir lieber , woher diese Vibration , wieso sie nicht zu vermeiden ist , die Vibration , oder ich rechnete mir aus , wie alt jetzt Hanna w„re , ob sie schon weiáe Haare h„tte . 001240 000096 ich schloá die Augen , um zu schlafen . 001241 000096 w„re Hanna auf Deck gewesen , kein Zweifel , ich h„tte sie sofort erkannt . 001242 000096 ich dachte : vielleicht ist sie auf Deck ! und erhob mich , schlenderte zwischen den Decksesseln hin und her , ohne im Ernst zu glauben , daá Hanna wirklich auf Deck ist . 001243 000096 Zeitvertreib ! . 001244 000096 immerhin ( ich gebe es zu ) hatte ich Angst , es k”nnte sein , und ich musterte s„mtliche Damen , die keine jungen M„dchen mehr sind , in aller Ruhe . 001245 000096 man kann das ja , wenn man eine dunkle Sonnenbrille tr„gt ; man steht und raucht und mustert , ohne daá die Gemusterten es merken k”nnen , in aller Ruhe , ganz sachlich . 001246 000096 ich sch„tzte ihr Alter , was keine leichte Sache war ; ich achtete weniger auf die Haarfarbe , sondern auf die Beine , die Fáe , sofern sie entbl”át waren , vor allem auf die H„nde und die Lippen . 001247 000096 da und dort , fand ich , gab es sehr blhende Lippen , w„hrend der Hals an die gef„ltelte Haut von Eidechsen erinnert , und ich konnte mir denken , daá Hanna noch immer sehr sch”n ist , ich meine liebenswert . 001248 000097 leider waren ihre Augen nicht zu sehen , weil lauter Sonnenbrillen . 001249 000097 allerlei Verbrauchtes , allerlei , was vermutlich nie geblht hat , lag auch da , Amerikanerinnen , die Gesch”pfe der Kosmetik . 001250 000097 ich wuáte bloá : so wird Hanna nie aussehen . 001251 000097 ich setzte mich wieder hin . 001252 000097 der pfeifende Wind im Kamin - . 001253 000097 Wellensch„ume - . 001254 000097 einmal ein Frachter am Horizont - . 001255 000097 ich langweilte mich , daher die Spintisiererei um Hanna ; ich lag , meine Beine auf das weiáe Gel„nder gesttzt , das die Vibration nicht lassen kann , und was ich von Hanna wuáte , war gerade genug fr einen Steckbrief , der nichts ntzt , wenn die Person nicht hier ist . 001256 000097 ich sah sie nicht , wie gesagt , nicht einmal mit geschlossenen Augen . 001257 000097 zwanzig Jahre sind eine Zeit . 001258 000097 stattdessen ( ich machte die Augen auf , weil jemand an meinen Sessel gestoáen war - ) wieder das junge Ding , das Fr„ulein Elisabeth Piper heiát . 001259 000097 ihr Pingpong war zu Ende . 001260 000097 am meisten frappierte mich , wie sie im Gespr„ch , um ihren Widerspruch zu zeigen , ihren Roáschwanz in den Nacken wirft ( dabei hat Hanna nie einen Roáschwanz getragen ! ) , oder wie sie ihre Achsel zuckt , wenn's ihr durchaus nicht gleichgltig ist , bloá aus Stolz . 001261 000097 vor allem aber : das kleine und kurze Rmpfen ihrer Stirne zwischen den Brauen , wenn sie einen Witz von mir , obschon sie lachen muá , eigentlich bl”d findet . 001262 000097 es frappierte mich , es besch„ftigte mich nicht . 001263 000098 es gefiel mir . 001264 000098 schlieálich gibt es Gesten , die einem gefallen , weil man sie irgendwo schon einmal gesehen hat . 001265 000098 ich habe stets ein Fragezeichen gemacht , wenn von Žhnlichkeit die Rede ist ; aus Erfahrung . 001266 000098 was haben wir uns krumm gelacht , mein Bruder und ich , wenn die guten Leute , die's nicht wissen konnten , unsere frappante Žhnlichkeit bemerkten ! . 001267 000098 mein Bruder war adoptiert . 001268 000098 wenn jemand mit der rechten Hand ( zum Beispiel ) um den Hinterkopf greift , um sich an der linken Schl„fe zu kratzen , so frappiert es mich , ich muá sofort an meinen Vater denken , aber nie im Leben komme ich auf die Idee , jedermann fr den Bruder meines Vaters zu halten , bloá weil er sich so kratzt . 001269 000098 ich halte es mit der Vernunft . 001270 000098 ich bin kein Baptist und kein Spiritist . 001271 000098 wieso vermuten , daá irgendein M„dchen , das Elisabeth Piper heiát , eine Tochter von Hanna ist . 001272 000098 h„tte ich damals auf dem Schiff ( oder sp„ter ) auch nur den mindesten Verdacht gehabt , es k”nnte zwischen dem jungen M„dchen und Hanna , die mir nach der Geschichte mit Joachim begreiflicherweise durch den Kopf ging , ein wirklicher Zusammenhang bestehen , selbstverst„ndlich h„tte ich sofort gefragt : wer ist Ihre Mutter ? . 001273 000098 wie heiát sie ? . 001274 000098 woher kommt sie ? - ich weiá nicht , wie ich mich verhalten h„tte , jedenfalls anders , das ist selbstverst„ndlich , ich bin ja nicht krankhaft , ich h„tte meine Tochter als meine Tochter behandelt , ich bin nicht pervers ! . 001275 000098 alles war so natrlich - . 001276 000098 eine harmlose Reisebekanntschaft - . 001277 000098 einmal war Sabeth etwas seekrank ; statt auf Deck zu gehen , wie empfohlen , wollte sie in ihre Kabine , dann Erbrechen im Korridor , ihr Schn„uzchen-Freund legte sie aufs Bett , als w„re er ihr Mann . 001278 000098 zum Glck war ich dabei . 001279 000099 Sabeth in ihren schwarzen Cowboy-Hosen , ihr Gesicht seitw„rts gedreht , weil ihr Roáschwanz es anders nicht zulieá , lag , wie's gerade kam , lahm und gespreizt , bleich wie Lehm . 001280 000099 er hielt ihre Hand . 001281 000099 ich schraubte sofort ein Bullauge auf , um mehr Luft zu verschaffen , und reichte Wasser - . 001282 000099 " danke sehr ! " sagte er , w„hrend er auf dem Rand ihres Bettes hockte ; er schnrte ihre f+ Espadrilles +f auf , um Samariter zu spielen . 001283 000099 als k„me ihre šbelkeit aus den Fáen ! . 001284 000099 ich blieb in der Kabine . 001285 000099 ihr roter Grtel war viel zu eng , man sah's , ich fand es nicht unsere Sache , ihr den Grtel zu l”sen - . 001286 000099 ich stellte mich vor . 001287 000099 kaum hatten wir uns die H„nde gegeben , setzte er sich wieder auf den Rand ihres Bettes . 001288 000099 vielleicht war er wirklich ihr Freund . 001289 000099 Sabeth war schon eine richtige Frau , wenn sie so lag , kein Kind ; ich nahm eine Decke vom oberen Bett , da sie vielleicht fror , und deckte sie zu . 001290 000099 " danke ! " sagte er - . 001291 000099 ich wartete einfach , bis der junge Mann gleichfalls fand , es g„be nichts mehr zu tun , wir sollten das M„dchen jetzt allein lassen - . 001292 000099 " tschau ! " sagte er . 001293 000099 ich durchschaute ihn , er wollte mich irgendwo auf Deck verlieren , um dann allein in ihre Kabine zurckzukehren . 001294 000099 ich forderte ihn zu einem Pingpong ... . 001295 000099 so bl”d , wie vermutet , war er nicht , wenn auch keineswegs sympathisch . 001296 000099 wieso tr„gt man ein Schn„uzchen ? . 001297 000099 zum Pingpong kam's nicht , da wieder beide Tische besetzt waren ; stattdessen verwickelte ich ihn in ein Gespr„ch - natrlich in hochdeutsch ! - ber Turbinen , er war Grafiker von Beruf , Knstler , aber tchtig . 001298 000099 sowie er merkte , daá man bei mir nicht landet mit Malerei und Theater und derartigem , redete er kaufm„nnisch , nicht skrupellos , aber tchtig , Schweizer , wie sich herausstellte - . 001299 000100 ich weiá nicht , was Sabeth an ihm fand . 001300 000100 meinerseits kein Grund zu Minderwertigkeitsgefhlen , ich bin kein Genie , immerhin ein Mann in leitender Stellung , nur vertrage ich immer weniger diese jungen Leute , ihre Tonart , ihr Genie , dabei handelt es sich um lauter Zukunftstr„ume , womit sie sich so groáartig vorkommen , und es interessiert sie einen Teufel , was unsereiner in dieser Welt schon tats„chlich geleistet hat ; wenn man es ihnen einmal aufz„hlt , l„cheln sie h”flich . 001301 000100 " ich will Sie nicht aufhalten ! " sagte ich . 001302 000100 " Sie entschuldigen mich ? " . 001303 000100 " bitte ! " sagte ich - . 001304 000100 als ich die Tabletten brachte , die mir geholfen hatten , wollte Sabeth niemand in ihre Kabine lassen . 001305 000100 sie war komisch , dabei angekleidet , wie ich durch die Trspalte sah . 001306 000100 ich hatte ihr vorher die Tabletten versprochen , nur drum . 001307 000100 sie nahm die Tabletten durch die Trspalte . 001308 000100 ob er in ihrer Kabine war , weiá ich nicht . 001309 000100 ich ersuchte das M„dchen , die Tabletten auch wirklich zu nehmen . 001310 000100 ich wollte ihr ja nur helfen ; denn mit H„ndchenhalten und Espadrilles-Ausziehen war ihr nicht geholfen . 001311 000100 es interessierte mich wirklich nicht , ob ein M„dchen wie Sabeth ( ihre Unbefangenheit blieb mir immer ein R„tsel ) schon einmal mit einem Mann zusammengewesen ist oder nicht , ich fragte mich bloá . 001312 000100 was ich damals wuáte : ein Semester in Yale , f+ scholarship +f , jetzt auf der Heimreise zur Mama , die in Athen lebt , Herr Piper hingegen in Ostdeutschland , weil immer noch vom Kommunismus berzeugt , ihre Hauptsorge in diesen Tagen : ein billiges Hotel in Paris zu finden - dann will sie mit Autostop nach Rom ( was ich einen Wahnsinn fand ) und weiá nicht , was aus ihr werden soll , Kinder„rztin oder Kunstgewerblerin oder so etwas , vielleicht auch Stewardeá , um viel fliegen zu k”nnen , unter allen Umst„nden m”chte sie einmal nach Indien und nach China . 001313 000101 Sabeth sch„tzte mich ( auf meine Frage hin ) vierzig , und als sie vernahm , daá ich demn„chst fnfzig bin , verwunderte es sie auch nicht . 001314 000101 sie selbst war zwanzig . 001315 000101 was ihr am meisten Eindruck machte an mir : daá ich mich an den ersten Atlantikflug von Lindbergh ( 1927 ) noch pers”nlich erinnere , indem ich damals zwanzig war . 001316 000101 sie rechnete nach , bevor sie's glaubte ! . 001317 000101 an meinem Alter , von Sabeth aus gesehen , wrde es nichts mehr ver„ndert haben , glaube ich , wenn ich im gleichen Ton auch noch von Napoleon erz„hlt h„tte . 001318 000101 ich stand meistens am Gel„nder , weil es nicht ging , daá Sabeth ( meistens im Badkleid ) auf dem Boden sitzt , w„hrend ich im Sessel liege ; das war mir zu onkelhaft , und umgekehrt : Sabeth im Sessel , w„hrend ich mit verschr„nkten Beinen daneben hocke , das war ebenfalls komisch - . 001319 000101 keinesfalls wollte ich mich aufdr„ngen . 001320 000101 ich spielte Schach mit Mister Lewin , der seinen Kopf bei der Landwirtschaft hatte , oder mit anderen Passagieren , die nach sp„testens zwanzig Zgen matt sind ; es war langweilig , aber ich langweilte lieber mich als das M„dchen , das heiát , ich ging wirklich nur zu Sabeth , wenn ich etwas zu sagen wuáte . 001321 000101 ich verbot ihr , Stewardeá zu werden . 001322 000101 Sabeth war meistens in ihr dickes Buch vertieft , und wenn sie von Tolstoi redete , fragte ich mich wirklich , was so ein M„dchen eigentlich von M„nnern weiá . 001323 000102 ich kenne Tolstoi nicht . 001324 000102 natrlich foppte sie mich , wenn sie sagte : " jetzt reden Sie wieder wie Tolstoi ! " . 001325 000102 dabei verehrte sie Tolstoi . 001326 000102 einmal , in der Bar , erz„hlte ich - ich weiá nicht warum - pl”tzlich von meinem Freund , der es nicht ausgehalten hat , und wie wir ihn gefunden haben : - zum Glck hinter geschlossenen Tren , sonst h„tten die Zopilote ihn wie einen toten Esel auseinandergezerrt . 001327 000102 Sabeth meinte , ich bertreibe . 001328 000102 ich trank meinen dritten oder vierten Pernod , lachte und berichtete , wie das aussieht , wenn einer am Draht h„ngt : zwei Fáe ber dem Boden , als k”nne er schweben - . 001329 000102 der Sessel war umgefallen . 001330 000102 er hatte einen Bart . 001331 000102 wozu ich's erz„hlte , keine Ahnung , Sabeth fand mich zynisch , weil ich lachen muáte ; er war aber wirklich steif wie eine Puppe - . 001332 000102 dazu rauchte ich viel . 001333 000102 sein Gesicht : schwarz vom Blut . 001334 000102 er drehte sich wie eine Vogelscheuche im Wind - . 001335 000102 ferner stank er . 001336 000102 seine Fingern„gel violett , seine Arme grau , seine H„nde weiálich , Farbe von Schw„mmen - . 001337 000102 ich erkannte ihn nicht mehr . 001338 000102 seine Zunge auch bl„ulich - . 001339 000102 eigentlich gab es gar nichts zu erz„hlen , einfach ein Unglcksfall , er drehte sich im warmen Wind , wie gesagt , oberhalb des Drahtes gedunsen - . 001340 000102 ich wollte gar nicht erz„hlen . 001341 000102 seine Arme : steif wie zwei Stecken - . 001342 000103 leider waren meine Guatemala-Filme noch nicht entwickelt , man kann das nicht beschreiben , man muá es sehen , wie es ist , wenn einer so h„ngt . 001343 000103 Sabeth in ihrem blauen Abendkleidchen - . 001344 000103 manchmal hing er pl”tzlich vor meinen Augen , mein Freund , als h„tten wir ihn gar nicht begraben , pl”tzlich - vielleicht weil in dieser Bar auch ein Radio t”nte , er hatte nicht einmal sein Radio abgestellt . 001345 000103 so war das . 001346 000103 als wir ihn fanden , wie gesagt , spielte sein Radio . 001347 000103 nicht laut . 001348 000103 zuerst meinten wir noch , es spreche jemand im andern Zimmer drben , aber da war kein anderes Zimmer drben , mein Freund lebte ganz allein , und erst als Musik folgte , merkten wir , daá es Radio sein muáte , natrlich stellten wir sofort ab , weil unpassend , weil Tanzmusik - . 001349 000103 Sabeth stellte Fragen . 001350 000103 warum er's getan hat ? . 001351 000103 er sagte es nicht , sondern hing wie eine Puppe und stank , wie schon gesagt , und drehte sich im warmen Wind - . 001352 000103 so war das . 001353 000103 als ich aufstand , strzte mein Stuhl , L„rm , Aufsehen in der Bar , aber das M„dchen stellte ihn auf , meinen Stuhl , als w„re nichts dabei , und wollte mich in die Kabine begleiten , aber ich wollte nicht . 001354 000103 ich wollte auf Deck . 001355 000103 ich wollte allein sein - . 001356 000103 ich war betrunken . 001357 000103 h„tte ich damals den Namen genannt , Joachim Henke , so h„tte sich alles aufgekl„rt . 001358 000103 offenbar erw„hnte ich nicht einmal seinen Vornamen , sondern redete einfach von einem Freund , der sich in Guatemala erh„ngt hat , von einem tragischen Unglcksfall . 001359 000104 einmal filmte ich sie . 001360 000104 als Sabeth es endlich entdeckte , streckte sie die Zunge heraus ; ich filmte sie mit der gestreckten Zunge , bis sie , zornig ohne Spaá , mich regelrecht anschnauzte . 001361 000104 was mir eigentlich einfalle ? . 001362 000104 sie fragte mich rundheraus : was wollen Sie berhaupt von mir ? . 001363 000104 das war am Vormittag . 001364 000104 ich h„tte Sabeth fragen sollen , ob sie Mohammedanerin sei , daá man sie nicht filmen darf , oder sonst abergl„ubisch . 001365 000104 was bildete das M„dchen sich ein ? . 001366 000104 ich war durchaus bereit , den betreffenden Film ( mitsamt den Tele-Aufnahmen von der winkenden Ivy ) herauszuziehen und in die Sonne zu halten , um alles zu l”schen : bitte ! . 001367 000104 am meisten „rgerte mich , daá ihr Ton mich den ganzen Vormittag besch„ftigte , die Frage , wofr das M„dchen mich hielt , wenn sie sagte : " Sie beobachten mich die ganze Zeit , Mister Faber , ich mag das nicht ! " . 001368 000104 ich war ihr nicht sympathisch . 001369 000104 das stand fest , und ich machte mir keine falsche Hoffnung , als ich sie sp„ter , kurz nach dem Mittagessen , an mein Versprechen erinnerte , ihr zu sagen , wenn ich den Maschinenraum besichtige . 001370 000104 " jetzt ? " fragte sie . 001371 000104 sie muáte ein Kapitel zu Ende lesen . 001372 000104 " bitte ! " sagte ich . 001373 000104 ich schrieb sie ab . 001374 000104 ohne beleidigt zu sein . 001375 000104 ich habe es immer so gehalten ; ich mag mich selbst nicht , wenn ich andern Menschen l„stig bin , und es ist nie meine Art gewesen , Frauen nachzulaufen , die mich nicht m”gen ; ich habe es nicht n”tig gehabt , offen gestanden ... . 001376 000105 der Maschinenraum eines solchen Schiffes hat den Umfang einer ordentlichen Fabrik , zur Hauptsache bestehend aus dem groáen Dieseltriebwerk , hinzu kommen die Anlagen fr Stromerzeugung , Warmwasser , Lftung . 001377 000105 wenn auch fr den Fachmann nichts Ungewohntes zu sehen ist , so finde ich die Anlage als solche , bedingt durch den Schiffk”rper , doch sehenswert , ganz abgesehen davon , daá es immer Freude macht , Maschinen im Betrieb zu sehen . 001378 000105 ich erl„uterte die Hauptschaltbrettanlage , ohne auf Einzelheiten einzugehen ; immerhin erl„uterte ich in Krze , was ein Kilowatt ist , was Hydraulik ist , was ein Ampere ist , Dinge , die Sabeth natrlich aus der Schule kannte , beziehungsweise vergessen hatte , aber ohne Mhe wieder verstand . 001379 000105 am meisten imponierten ihr die vielen R”hren , gleichgltig wozu sie dienten , und der groáe Treppenschacht , Blick durch fnf oder sechs Stockwerke hinauf in den vergitterten Himmel . 001380 000105 es besch„ftigte sie , daá die Maschinisten , die sie alle so freundlich fand , die ganze Zeit schwitzen und ihr Leben lang auf dem Ozean fahren , ohne den Ozean zu sehen . 001381 000105 ich bemerkte , wie sie gafften , wenn das M„dchen ( das sie offensichtlich fr meine Tochter hielten ) von Eisenleiter zu Eisenleiter kletterte . 001382 000105 f+ " ca va , Mademoiselle , ca va ? " +f . 001383 000105 Sabeth kletterte wie eine Katze . 001384 000105 f+ " pas trop vite , ma petite - ! " +f . 001385 000105 ihre M„nner-Grimassen waren unversch„mt , fand ich , aber Sabeth bemerkte berhaupt nichts von alledem , Sabeth in ihren schwarzen Cowboy-Hosen mit den ehemals weiáen N„hten , der grne Kamm in ihrer Hintertasche , ihr r”tlicher Roáschwanz , der ber den Rcken baumelt , unter ihrem schwarzen Pullover die zwei Schulterbl„tter , die Kerbe in ihrem straffen und schlanken Rcken , dann ihre Hften , die jugendlichen Schenkel in der schwarzen Hose , die bei den Waden gekrempelt sind , ihre Kn”chel - ich fand sie sch”n , aber nicht aufreizend . 001386 000106 nur sehr sch”n ! . 001387 000106 wir standen vor dem gl„sernen Guckloch eines Dieselbrenners , den ich in Krze erl„uterte , meine H„nde in den Hosentaschen , um nicht ihren nahen Arm oder ihre Schulter zu fassen wie der Baptist neulich beim Frhstck . 001388 000106 ich wollte das M„dchen nicht anfassen . 001389 000106 pl”tzlich kam ich mir senil vor - . 001390 000106 ich faáte ihre beiden Hften , als ihr Fuá vergeblich nach der untersten Sprosse einer Eisenleiter suchte , und hob sie kurzerhand auf den Boden . 001391 000106 ihre Hften waren merkwrdig leicht , zugleich stark , anzufassen wie das Steuerrad meines Studebakers , grazi”s , im Durchmesser genau so - eine Sekunde lang , dann stand sie auf dem Podest aus gelochtem Blech , ohne im mindesten zu err”ten , sie dankte fr die unn”tige Hilfe und wischte sich ihre H„nde an einem Bndel bunter Putzf„den . 001392 000106 auch fr mich war nichts Aufreizendes dabei gewesen , und wir gingen weiter zu den groáen Schraubenwellen , die ich ihr noch zeigen wollte . 001393 000106 Probleme der Torsion , Reibungskoeffizient , Ermdung des Stahls durch Vibration und so fort , daran dachte ich nur im stillen , beziehungsweise in einem L„rm , wo man kaum sprechen konnte - erl„uterte dem M„dchen lediglich , wo wir uns jetzt befinden , n„mlich wo die Schraubenwellen aus dem Schiffsk”rper stoáen , um drauáen die Schrauben zu treiben . 001394 000106 man muáte brllen . 001395 000106 sch„tzungsweise acht Meter unterm Wasserspiegel ! . 001396 000106 ich wollte mich erkundigen . 001397 000107 sch„tzungsweise ! schrie ich : vielleicht nur sechs Meter ! . 001398 000107 Hinweis auf den betr„chtlichen Wasserdruck , den diese Konstruktion auszuhalten hat , war schon wieder zuviel - ihre kindliche Fantasie schon drauáen bei den Fischen , w„hrend ich auf die Konstruktion zeigte . 001399 000107 hier ! rief ich und nahm ihre Hand , legte sie auf die Siebzigmillimeter-Niete , damit sie verstand , was ich erkl„rte . 001400 000107 Haifische ? . 001401 000107 ich verstand kein anderes Wort . 001402 000107 wieso Haifische ? . 001403 000107 ich schrie zurck : weiá ich nicht ! und zeigte auf die Konstruktion , ihre Augen starrten . 001404 000107 ich hatte ihr etwas bieten wollen . 001405 000107 unsere Reise ging zu Ende , ich fand es schade , pl”tzlich das letzte F„hnlein auf der Atlantik-Karte , ein Rest von sieben Zentimetern : ein Nachmittag und eine Nacht und ein Vormittag - . 001406 000107 Mister Lewin packte schon . 001407 000107 Gespr„ch ber Trinkgelder - . 001408 000107 wenn ich mir vorstellte , wie man sich in vierundzwanzig Stunden verabschieden wird , Lebwohl nach allen Seiten , Lebwohl mit lauter guten Wnschen und Humor , Mister Lewin : viel Glck in der Landwirtschaft ! und unser Baptist : viel Glck im Louvre ! und das M„dchen mit dem r”tlichen Roáschwanz und mit seiner unbeschriebenen Zukunft : viel Glck ! - es machte mir Mhe , wenn ich daran dachte , daá man nie wieder voneinander h”ren wird . 001409 000107 ich saá in der Bar - . 001410 000107 Reisebekanntschaften ! . 001411 000107 ich wurde sentimental , was sonst nicht meine Art ist , und es gab einen groáen Ball , wie offenbar blich , es war der letzte Abend an Bord , zuf„llig mein fnfzigster Geburtstag ; davon sagte ich natrlich nichts . 001412 000108 es war mein erster Heiratsantrag . 001413 000108 eigentlich saá ich mit Mister Lewin , der sich aus B„llen mit Tanz auch nichts machte , ich hatte ihn ( ohne den besonderen Anlaá zu verraten ) zu einem Burgunder eingeladen , zum besten , was an Bord berhaupt zu haben war ( man ist nur einmal 50 , dachte ich ) : Beaune 1933 , groáartig im Bouquet , im Nachgeschmack etwas drftig , zu kurz , leider auch ein wenig trbe , was Mister Lewin , dem sogar kalifornischer Burgundy mundet , nichts ausmachte . 001414 000108 ich war entt„uscht ( ich hatte mir meinen 50. Geburtstag etwas anders vorgestellt , offen gestanden ! ) von dem Wein , aber sonst zufrieden , Sabeth erschien nur so auf einen Sprung , um einen Schluck von ihrem f+ Citron-presse +f zu nehmen , dann schon wieder ein T„nzer , ihr Schn„uzchen-Grafiker , dazwischen Schiffsoffiziere in Gala , blank wie in einer Operette , Sabeth in ihrem immergleichen blauen Abendkleidchen , nicht geschmacklos , aber billig , zu kindlich ... . 001415 000108 ich berlegte , ob ich nicht zu Bett gehen wollte , ich sprte meinen Magen , und wir saáen zu nahe bei der Musik , ein Heidenl„rm , dazu dieser kunterbunte Karneval , wo man hinsieht : Lampions , im Dunst von Zigaretten und Zigarren verschwommen wie die Sonne in Guatemala , Papierschlangen , Girlanden berall , ein Dschungel von Firlefanz , grn und rot , Herren im Smoking , schwarz wie Zopilote , deren Gefieder genau so gl„nzt - . 001416 000108 daran wollte ich nicht denken . 001417 000108 bermorgen in Paris - das war ungef„hr alles , was ich denken konnte in diesem Rummel - werde ich zu einem Arzt gehen , um einmal meinen Magen untersuchen zu lassen . 001418 000108 es war ein komischer Abend - . 001419 000108 Mister Lewin wurde geradezu amsant , da er Wein nicht gewohnt war , und hatte pl”tzlich Mut genug , mit Sabeth zu tanzen , der Riesenkerl ; sie reichte ihm bis zu den Rippen , w„hrend er , um sich nicht in Papierschlangen zu verfangen , seinen Kopf duckte . 001420 000109 Sabeth redete zu ihm hinauf . 001421 000109 Mister Lewin hatte keinen dunklen Anzug und tanzte alles auf Mazurka , weil in Polen geboren , Kindheit im Ghetto und so fort . 001422 000109 Sabeth muáte sich strecken , um ihn um die Schulter zu fassen , wie ein Schulm„dchen in der Straáenbahn , wenn es sich halten will . 001423 000109 ich saá und schwenkte meinen Burgunder , entschlossen , nicht sentimental zu werden , weil ich Geburtstag habe , und trank . 001424 000109 was deutsch war , trank Sekt beziehungsweise Champagner ; ich muáte doch an Herbert denken , beziehungsweise an die Zukunft der deutschen Zigarre und was Herbert , allein unter Indios , wohl machte . 001425 000109 sp„ter ging ich auf Deck . 001426 000109 ich war vollkommen nchtern , und als Sabeth mich aufsuchte , sagte ich sofort , sie werde sich nur erk„lten , Sabeth in ihrem dnnen Abendkleidchen . 001427 000109 ob ich traurig sei , wollte sie wissen . 001428 000109 weil ich nicht tanzte . 001429 000109 ich finde sie lustig , ihre heutigen T„nze , lustig zum Schauen , diese existentialistische Hopserei , wo jeder fr sich allein tanzt , seine eignen Faxen schwingt , verwickelt in die eignen Beine , geschttelt wie von einem Schttelfrost , alles etwas epileptisch , aber lustig , sehr temperamentvoll , muá ich sagen , aber ich kann das nicht . 001430 000109 wieso sollte ich traurig sein ? . 001431 000109 England noch nicht in Sicht - . 001432 000109 dann gab ich ihr meine Jacke , damit sie sich nicht erk„ltete ; ihr Roáschwanz wollte einfach nicht hinten bleiben , so windete es . 001433 000110 die roten Kamine im Scheinwerfer - . 001434 000110 Sabeth fand es toll , so eine Nacht auf Deck , wenn es pfeift in allen Seilen und knattert , die Segeltcher an den Rettungsbooten , der Rauch aus dem Kamin - . 001435 000110 die Musik war kaum noch zu h”ren . 001436 000110 wir sprachen ber Sternbilder - das šbliche , bis man weiá , wer sich im Himmel noch weniger auskennt als der andere , der Rest ist Stimmung , was ich nicht leiden kann . 001437 000110 ich zeigte ihr den Komet , der in jenen Tagen zu sehen war , im Norden . 001438 000110 es fehlte wenig , und ich h„tte gesagt , daá ich Geburtstag habe . 001439 000110 daher der Komet ! . 001440 000110 aber es stimmte ja nicht einmal zum Spaá : der Komet war schon seit einer halben Woche sichtbar , wenn auch nie so deutlich wie in dieser Nacht , mindestens seit dem 26. IV. . 001441 000110 also von meinem Geburtstag ( 29. IV. ) sagte ich nichts . 001442 000110 " ich wnsche mir zweierlei " , sagte ich , " zum Abschied . 001443 000110 erstens , daá Sie nicht Stewardeá werden - " . 001444 000110 " zweitens ? " . 001445 000110 " zweitens " , sagte ich , "daá Sie nicht mit Autostop nach Rom fahren . 001446 000110 im Ernst ! . 001447 000110 lieber zahle ich Ihnen die Bahn oder das Flugzeug - " . 001448 000110 ich habe damals nicht einen Augenblick daran gedacht , daá wir zusammen nach Rom fahren wrden , Sabeth und ich , der ich in Rom nichts verloren hatte . 001449 000110 sie lachte mir ins Gesicht . 001450 000110 sie miáverstand mich . 001451 000110 nach Mitternacht gab es ein kaltes Buffett , wie blich - ich behauptete , hungrig zu sein , und fhrte Sabeth hinunter , weil sie schlotterte , ich sah es , trotz meiner Jacke . 001452 000110 ihr Kinn schlotterte . 001453 000110 drunten war noch immer Ball - . 001454 000111 ihre Vermutung , ich sei traurig , weil allein , verstimmte mich . 001455 000111 ich bin gewohnt , allein zu reisen . 001456 000111 ich lebe , wie jeder wirkliche Mann , in meiner Arbeit . 001457 000111 im Gegenteil , ich will es nicht anders und sch„tze mich glcklich , allein zu wohnen , meines Erachtens der einzigm”gliche Zustand fr M„nner , ich genieáe es , allein zu erwachen , kein Wort sprechen zu mssen . 001458 000111 wo ist die Frau , die das begreift ? . 001459 000111 schon die Frage , wie ich geschlafen habe , verdrieát mich , weil ich in Gedanken schon weiter bin , gewohnt , voraus zu denken , nicht rckw„rts zu denken , sondern zu planen . 001460 000111 Z„rtlichkeiten am Abend , ja , aber Z„rtlichkeiten am Morgen sind mir unertr„glich , und mehr als drei oder vier Tage zusammen mit einer Frau war fr mich , offen gestanden , stets der Anfang der Heuchelei , Gefhle am Morgen , das ertr„gt kein Mann . 001461 000111 dann lieber Geschirr waschen ! . 001462 000111 Sabeth lachte - . 001463 000111 Frhstck mit Frauen , ja , ausnahmsweise in den Ferien , Frhstck auf einem Balkon , aber l„nger als drei Wochen habe ich es nie ertragen , offen gestanden , es geht in den Ferien , wenn man sowieso nicht weiá , was anfangen mit dem ganzen Tag , aber nach drei Wochen ( sp„testens ) sehne ich mich nach Turbinen ; die Muáe der Frauen am Morgen , zum Beispiel eine Frau , die am Morgen , bevor sie angekleidet ist , imstande ist , Blumen anders in die Vase zu stellen , dazu Gespr„ch ber Liebe und Ehe , das ertr„gt kein Mann , glaube ich , oder er heuchelt . 001464 000111 ich muáte an Ivy denken ; Ivy heiát Efeu , und so heiáen fr mich eigentlich alle Frauen . 001465 000111 ich will allein sein ! . 001466 000111 schon der Anblick eines Doppelzimmers , wenn nicht in einem Hotel , das man bald wieder verlassen kann , sondern Doppelzimmer als Dauer-Einrichtung , das ist fr mich so , daá ich an Fremdenlegion denke - . 001467 000112 Sabeth fand mich zynisch . 001468 000112 es ist aber so , wie ich sagte . 001469 000112 ich redete nicht weiter , obschon Mister Lewin , glaube ich , kein Wort verstand ; er legte sofort die Hand ber sein Glas , als ich nachfllen wollte , und Sabeth , die mich zynisch fand , wurde zum Tanz geholt ... . 001470 000112 ich bin nicht zynisch . 001471 000112 ich bin nur , was Frauen nicht vertragen , durchaus sachlich . 001472 000112 ich bin kein Unmensch , wie Ivy behauptet , und sage kein Wort gegen die Ehe ; meistens fanden die Frauen selbst , daá ich mich nicht dafr eigne . 001473 000112 ich kann nicht die ganze Zeit Gefhle haben . 001474 000112 alleinsein ist der einzigm”gliche Zustand fr mich , denn ich bin nicht gewillt , eine Frau unglcklich zu machen , und Frauen neigen ja dazu , unglcklich zu werden . 001475 000112 ich gebe zu : Alleinsein ist nicht immer lustig , man ist nicht immer in Form . 001476 000112 brigens habe ich die Erfahrung gemacht , daá Frauen , sobald unsereiner nicht in Form ist , auch nicht in Form bleiben ; sobald sie sich langweilen , kommen die Vorwrfe , man habe keine Gefhle . 001477 000112 dann , offen gestanden , langweile ich mich noch lieber allein . 001478 000112 ich gebe zu : auch ich bin nicht immer fr Television aufgelegt ( obschon berzeugt , daá die Television in den n„chsten Jahren auch noch besser wird , nebenbei bemerkt ) und Stimmungen ausgeliefert , aber gerade dann begráe ich es , allein zu sein . 001479 000112 zu den glcklichsten Minuten , die ich kenne , geh”rt die Minute , wenn ich eine Gesellschaft verlassen habe , wenn ich in meinem Wagen sitze , die Tre zuschlage und das Schlsselchen stecke , Radio andrehe , meine Zigarette anznde mit dem Glher , dann schalte , Fuá auf Gas ; Menschen sind eine Anstrengung fr mich , auch M„nner . 001480 000113 was die Stimmung betrifft , so mache ich mir nichts draus , wie gesagt . 001481 000113 manchmal wird man weich , aber man f„ngt sich wieder . 001482 000113 Ermdungserscheinungen ! . 001483 000113 wie beim Stahl . 001484 000113 Gefhle , so habe ich festgestellt , sind Ermdungserscheinungen , nichts weiter , jedenfalls bei mir . 001485 000113 man macht schlapp ! . 001486 000113 dann hilft es auch nichts , Briefe zu schreiben , um nicht allein zu sein . 001487 000113 es „ndert nichts ; nachher h”rt man doch nur seine eignen Schritte in der leeren Wohnung . 001488 000113 schlimmer noch : diese Radio-Sprecher , die Hundefutter anpreisen , Backpulver oder was weiá ich , dann pl”tzlich verstummen : auf Wiederh”ren morgen frh ! . 001489 000113 dabei ist es erst zwei Uhr . 001490 000113 dann Gin , obschon ich Gin , einfach so , nicht mag , dazu Stimmen von der Straáe , Hupen beziehungsweise das Dr”hnen der f+ Subway +f , ab und zu das Dr”hnen von Flugzeugen , es ist ja egal . 001491 000113 es kommt vor , daá ich dann einfach einschlafe , die Zeitung auf dem Knie , die Zigarette auf dem Teppich . 001492 000113 ich reiáe mich zusammen . 001493 000113 wozu ? . 001494 000113 irgendwo noch ein Sp„tsender mit Sinfonien , die ich abstelle . 001495 000113 was weiter ? . 001496 000113 dann stehe ich einfach da , Gin im Glas , den ich nicht mag , und trinke ; ich stehe , um keine Schritte zu h”ren in meiner Wohnung , Schritte , die doch nur meine eignen sind . 001497 000113 alles ist nicht tragisch , nur mhsam : man kann sich nicht selbst Gutnacht sagen - . 001498 000113 ist das ein Grund zum Heiraten ? . 001499 000113 Sabeth , von ihrem Tanz zurck , um ihr f+ Citronpresse +f zu trinken , stupste mich : - Mister Lewin schlief , der Riesenkerl , l„chelnd , als sehe er den ganzen Rummel auch so , die Papierschlangen , die Kinderballons , die sich die Paare gegenseitig verknallen muáten . 001500 000113 was ich die ganze Zeit denke ? fragte sie . 001501 000113 ich wuáte es nicht . 001502 000113 was sie denn denke ? fragte ich . 001503 000114 sie wuáte es sofort : " Sie sollten heiraten , Mister Faber ! " . 001504 000114 dann neuerdings ihr Freund , der sie drauáen auf allen Decks gesucht hatte , um sie zum Tanz zu bitten , sein Blick zu mir - . 001505 000114 " aber bitte sehr ! " sagte ich . 001506 000114 ich behielt nur ihre Handtasche . 001507 000114 ich wuáte genau , was ich denke . 001508 000114 es gibt keine W”rter dafr . 001509 000114 ich schwenkte mein Glas , um zu riechen , und wollte nicht daran denken , wie Mann und Weib sich paaren , trotzdem die pl”tzliche Vorstellung davon , unwillkrlich , Verwunderung , Schreck wie im Halbschlaf . 001510 000114 warum gerade so ? . 001511 000114 einmal von auáen gedacht : wieso eigentlich mit dem Unterleib ? . 001512 000114 man h„lt es , wenn man so sitzt und die Tanzenden sieht und es sich in aller Sachlichkeit vorstellt , nicht fr menschenm”glich . 001513 000114 warum gerade so ? . 001514 000114 es ist absurd , wenn man nicht selber durch Trieb dazu gen”tigt ist , man kommt sich verrckt vor , auch nur eine solche Idee zu haben , geradezu pervers . 001515 000114 ich bestellte Bier - . 001516 000114 vielleicht liegt's nur an mir . 001517 000114 die Tanzenden , nebenbei gesehen , waren eben dabei , eine Orange zu halten mit zwei Nasen , so zu tanzen - . 001518 000114 wie ist es fr Lajser Lewin ? . 001519 000114 er schnarchte tats„chlich , nicht zu sprechen , sein halboffener Mund dabei : wie der r”tliche Mund von einem Fisch am grnen Aquarium-Glas ! fand ich - . 001520 000114 ich dachte an Ivy . 001521 000114 wenn ich Ivy umarme und dabei denke : ich sollte meine Filme entwickeln lassen , Williams anrufen ! . 001522 000114 ich k”nnte im Kopf irgendein Schach-Problem l”sen , w„hrend Ivy sagt : f+ I'm happy , o Dear , so happy , o Dear , o Dear ! +f . 001523 000115 ich spre ihre zehn Finger um meinen Hinterkopf , ich sehe ihren epileptisch-glcklichen Mund und das Bild an der Wand , das wieder schief h„ngt , ich h”re den Lift , ich berlege mir , welches Datum wir heute haben , ich h”re ihre Frage : f+ you're happy ? +f und ich schlieáe die Augen , um an Ivy zu denken , die ich in meinen Armen habe , und ksse aus Versehen meinen eignen Ellbogen . 001524 000115 nachher ist alles wie vergessen . 001525 000115 ich vergesse , Williams anzurufen , obschon ich die ganze Zeit daran gedacht habe . 001526 000115 ich stehe am offenen Fenster und rauche endlich meine Zigarette , w„hrend Ivy drauáen einen Tee macht , und weiá pl”tzlich , welches Datum . 001527 000115 aber es spielt gar keine Rolle , welches Datum . 001528 000115 alles wie nie gewesen ! . 001529 000115 dann h”re ich , daá jemand ins Zimmer gekommen ist , und wende mich , und es ist Ivy im Morgenrock , die unsere zwei Tassen bringt , dann gehe ich zu ihr und sage : Ivy ! und ksse sie , da sie ein lieber Kerl ist , obschon sie nicht begreift , daá ich lieber allein sein m”chte - . 001530 000115 pl”tzlich stand unser Schiff . 001531 000115 Mister Lewin , pl”tzlich erwacht , obschon ich kein Wort gesprochen hatte , wollte wissen , ob wir in Southampton sind . 001532 000115 Lichter drauáen - . 001533 000115 wahrscheinlich Southampton . 001534 000115 Mister Lewin erhob sich und ging auf Deck . 001535 000115 ich trank mein Bier und versuchte , mich zu erinnern , ob es mit Hanna ( damals ) auch absurd gewesen ist , ob es immer absurd gewesen ist . 001536 000115 jedermann ging auf Deck . 001537 000115 als Sabeth in den Papierschlangensaal zurckkam , um ihre Handtasche zu holen , wunderte ich mich : sie verabschiedete ihren Freund , der eine saure Miene machte , und setzte sich neben mich . 001538 000116 ihr Hanna-M„dchen-Gesicht ! . 001539 000116 sie bat um Zigaretten , wollte nach wie vor wissen , was ich denn die ganze Zeit grbelte , und irgendetwas muáte ich ja sagen : ich gab ihr das Feuer , das ihr junges Gesicht erhellte , und fragte , ob sie mich denn heiraten wrde . 001540 000116 Sabeth err”tete . 001541 000116 ob ich das ernst meine ? . 001542 000116 warum nicht ! . 001543 000116 drauáen die Ausschiffung , die man gesehen haben muáte ; es war kalt , aber Ehrenpflicht , Damen schlotterten in ihren Abendkleidern , Nebel , die Nacht voller Lichter , Herrn in Smokings , die ihre Damen mit Umarmungen zu w„rmen suchten , Scheinwerfer , die den Verlad beleuchteten , Herren in bunten Papiermtzen , L„rm der Krane aber alles im Nebel ; die Blinkfeuer an der Kste - . 001544 000116 wir standen ohne Berhrung . 001545 000116 ich hatte gesagt , was ich nie habe sagen wollen , aber gesagt war gesagt , ich genoá es , unser Schweigen , ich war wieder vollkommen nchtern , dabei keine Ahnung , was ich denke , wahrscheinlich nichts . 001546 000116 mein Leben lag in ihrer Hand - . 001547 000116 fr eine Weile kam Mister Lewin dazwischen , ohne zu st”ren , im Gegenteil , wir waren ganz froh , Sabeth auch , glaube ich , wir standen Arm in Arm und plauderten mit Mister Lewin , der seinen Burgunder ausgeschlafen hatte , Beratung ber die Trinkgeldfrage und Derartiges . 001548 000116 unser Schiff lag mindestens eine Stunde vor Anker , es tagte bereits . 001549 000116 als wir wieder allein standen , die letzten auf dem nassen Deck , und als Sabeth mich fragte , ob ich's wirklich im Ernst meine , káte ich sie auf die Stirn , dann auf ihre kalten und zitternden Augenlider , sie schlotterte am ganzen Leib , dann auf ihren Mund , wobei ich erschrak . 001550 000117 sie war mir fremder als je ein M„dchen . 001551 000117 ihr halboffener Mund , es war unm”glich ; ich káte die Tr„nenn„sse aus ihren Augenh”hlen , zu sagen gab es nichts , es war unm”glich . 001552 000117 anderntags Ankunft in Le Havre . 001553 000117 es regnete , und ich stand auf dem Oberdeck , als das fremde M„dchen mit dem r”tlichen Roáschwanz ber die Brcke ging , Gep„ck in beiden H„nden , weswegen sie nicht winken konnte . 001554 000117 sie sah mein Winken , glaube ich . 001555 000117 ich hatte filmen wollen , ich winkte noch immer , ohne sie im Gedr„nge zu sehen . 001556 000117 sp„ter beim Zoll , als ich gerade meinen Koffer aufmachen muáte , sah ich ihren r”tlichen Roáschwanz noch einmal ; sie nickte auch und l„chelte , Gep„ck in beiden H„nden , sie sparte sich einen Tr„ger und schleppte viel zu schwer , ich konnte aber nicht helfen , sie verschwand im Gedr„nge - . 001557 000117 unser Kind ! . 001558 000117 aber das konnte ich damals nicht wissen , trotzdem wrgte es mich regelrecht in der Kehle , als ich sah , wie sie einfach im Gedr„nge unterging . 001559 000117 ich hatte sie gern . 001560 000117 nur so viel wuáte ich . 001561 000117 im Sonderzug nach Paris h„tte ich nochmals durch alle Wagen gehen k”nnen . 001562 000117 wozu ? . 001563 000117 wir hatten Abschied genommen . 001564 000117 in Paris versuchte ich sofort , Williams anzurufen , um wenigstens mndlich meinen Rapport zu geben ; er sagte Gutentag f+ ( hello ) +f und hatte keine Zeit , meine Erkl„rung anzuh”ren . 001565 000117 ich fragte mich , ob irgendetwas los ist ... . 001566 000117 Paris war wie blich , eine Woche voll Konferenzen , ich wohnte wie blich am Quai Voltaire , hatte wieder mein Zimmer mit Blick auf die Seine und auf diesen Louvre , den ich noch nie besucht hatte , gerade gegenber . 001567 000117 Williams war merkwrdig - . 001568 000117 f+ it's okay " +f , sagte er , f+ " it's okay " +f , immer wieder , w„hrend ich Rechenschaft ablegte wegen meiner kurzen Guatemala-Reise , die ja , wie sich in Caracas herausgestellt hatte , keinerlei Verz”gerung bedeutete , da unsere Turbinen noch gar nicht zur Montage bereit waren , ganz abgesehen davon , daá ich ja zu den Konferenzen hier in Paris , die das wichtigste Ereignis dieses Monats darstellten , rechtzeitig eingetroffen war . 001569 000118 f+ " it's okay " +f , sagte er , noch als ich von dem scheuálichen Selbstmord meines Jugendfreundes berichtete . 001570 000118 f+ " it's okay " +f , und zum Schluá sagte er : f+ " what about some holidays , Walter ? " +f . 001571 000118 ich begriff ihn nicht . 001572 000118 f+ " what about some holidays ? " +f sagte er , f+ " you're looking like - " +f . 001573 000118 wir wurden unterbrochen . 001574 000118 f+ " this is Mr. Faber , this is - " +f . 001575 000118 ob Williams es belnahm , daá ich nicht geflogen , sondern ausnahmsweise einmal mit dem Schiff gekommen war , weiá ich nicht ; seine Anspielung , ich h„tte Ferien sehr n”tig , konnte ja nur ironisch gemeint sein , denn ich war sonnengebr„unt wie noch selten , nach der Esserei an Bord auch weniger hager als sonst , dazu sonnengebr„unt - . 001576 000118 Williams war merkwrdig . 001577 000118 sp„ter , nach der Konferenz , ging ich in ein Restaurant , das ich nicht kannte , allein und verstimmt , wenn ich an Williams dachte . 001578 000118 er war sonst nicht kleinlich . 001579 000118 meinte er vielleicht , ich habe in Guatemala oder sonstwo auf der Strecke ein biáchen f+ love-affair +f gemacht ? . 001580 000118 sein L„cheln kr„nkte mich , da ich in beruflichen Dingen , wie erw„hnt , die Gewissenhaftigkeit in Person bin ; noch nie - und das wuáte Williams genau ! - bin ich wegen einer Frau auch nur eine halbe Stunde sp„ter zur Konferenz gekommen . 001581 000118 das gab es einfach nicht bei mir . 001582 000119 vor allem aber verstimmte mich , daá mich sein Miátrauen oder was es nun war , wenn er immerzu sagte : f+ it's okay ! +f berhaupt besch„ftigte , derart , daá der Kellner mich auch noch wie einen Idioten behandelte . 001583 000119 f+ " Beaune , Monsieur , c'est un vin rouge " +f . 001584 000119 f+ " it's okay " +f , sagte ich . 001585 000119 f+ " du vin rouge " +f , sagte er , f+ " du vin rouge - avec des poissons ? " +f . 001586 000119 ich hatte einfach vergessen , was ich bestellt habe , ich hatte anderes im Kopf ; kein Grund , deswegen einen roten Kopf zu bekommen - ich war wtend , wie dieser Kellner ( als bediene er einen Barbar ) mich unsicher machte . 001587 000119 ich habe schlieálich nicht n”tig , Minderwertigkeitsgefhle zu haben , ich leiste meine Arbeit , es ist nicht mein Ehrgeiz , ein Erfinder zu sein , aber so viel wie ein Baptist aus Ohio , der sich ber die Ingenieure lustig macht , leiste ich auch , ich glaube : was unsereiner leistet , das ist ntzlicher , ich leite Montagen , wo es in die Millionen geht , und hatte schon ganze Kraftwerke unter mir , habe in Persien gewirkt und in Afrika ( Liberia ) und Panama , Venezuela , Peru , ich bin nicht hinterm Mond daheim - wie dieser Kellner offenbar meinte . 001588 000119 f+ " voila , Monsieur ! - " +f . 001589 000119 das Theater , wenn sie die Flasche zeigen , dann entkorken , dann einen Probeschluck einfllen - fragen : f+ " il est bon ? " +f . 001590 000119 ich hasse Minderwertigkeitsgefhle . 001591 000119 f+ " it's okay " +f , sagte ich und lieá mich nicht einschchtern , ich bemerkte genau den Zapfengeruch , aber wollte keine Debatte , f+ " it's okay " +f . 001592 000120 ich hatte andres im Kopf . 001593 000120 ich war der einzige Gast , weil noch frh am Abend , und was mich irritierte , war lediglich der Spiegel gegenber , Spiegel in Goldrahmen . 001594 000120 ich sah mich , so oft ich aufblickte , sozusagen als Ahnenbild : Walter Faber , wie er Salat iát , in Goldrahmen . 001595 000120 ich hatte Ringe unter den Augen , nichts weiter , im brigen war ich sonnengebr„unt , wie gesagt , lange nicht so hager wie blich , im Gegenteil , ich sah ausgezeichnet aus . 001596 000120 ich bin nun einmal ( das wuáte ich auch ohne Spiegel ) ein Mann in den besten Jahren , grau , aber sportlich . 001597 000120 ich halte nichts von sch”nen M„nnern . 001598 000120 daá meine Nase etwas lang ist , hat mich in der Pubert„t besch„ftigt , seither nicht mehr ; seither hat es genug Frauen gegeben , die mich von falschen Minderwertigkeitsgefhlen befreit haben , und was mich irritierte , war einzig und allein dieses Lokal : wo man hinblickte , gab es Spiegel , ekelhaft , dazu die endlose Warterei auf meinen Fisch . 001599 000120 ich reklamierte entschieden , zwar hatte ich Zeit , aber das Gefhl , daá die Kellner mich nicht ernstnehmen , ich weiá nicht warum , ein leeres Etablissement mit fnf Kellnern , die miteinander flstern , und ein einziger Gast : Walter Faber , der Brot verkrmelt , in Goldrahmen , wohin ich auch blicke ; mein Fisch , als er endlich kam , war ausgezeichnet , aber schmeckte mir berhaupt nicht , ich weiá nicht , was mit mir los war . 001600 000120 f+ " you are looking like - " +f . 001601 000120 nur wegen dieser bl”den Bemerkung von Williams ( dabei mag er mich , das weiá ich ! ) blickte ich immer wieder , statt meinen Fisch zu essen , in diese l„cherlichen Spiegel , die mich insgesamt in achtfacher Ausfertigung zeigten : natrlich wird man „lter - . 001602 000121 natrlich bekommt man bald eine Glatze - . 001603 000121 ich bin nicht gewohnt , zu Žrzten zu gehen , nie in meinem Leben krank gewesen , abgesehen vom Blinddarm - ich blickte in die Spiegel , bloá weil Williams gesagt hatte : f+ what about some holidays , Walter ? +f . 001604 000121 dabei war ich sonnengebr„unt wie noch selten . 001605 000121 in den Augen eines jungen M„dchens , das Stewardeá werden m”chte , war ich ein gesetzter Herr , mag sein , jedoch nicht lebensmde , im Gegenteil , ich vergaá sogar , in Paris zu einem Arzt zu gehen , wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte - . 001606 000121 ich fhlte mich vollkommen normal . 001607 000121 anderntags ( Sonntag ) ging ich in den Louvre , aber von einem M„dchen mit r”tlichem Roáschwanz war nichts zu sehen , dabei verweilte ich eine volle Stunde in diesem Louvre . 001608 000121 meine erste Erfahrung mit einer Frau , die allererste , habe ich eigentlich vergessen , das heiát , ich erinnere mich berhaupt nicht daran , wenn ich nicht will . 001609 000121 sie war die Gattin meines Lehrers , der mich damals , kurz vor meiner Maturit„t , ber einige Wochenende zu sich ins Haus nahm ; ich half ihm bei den Korrekturen einer Neuauflage seines Lehrbuches , um etwas zu verdienen . 001610 000121 mein sehnlichster Wunsch war ein Motorrad , eine Occasion , das Vehikel konnte noch so alt sein , wenn es nur lief . 001611 000121 ich muáte Figuren zeichnen , Lehrsatz des Pythagoras und so , in Tusche , weil ich in Mathematik und Geometrie der beste Schler war . 001612 000121 seine Gattin war natrlich , von meinem damaligen Alter aus gesehen , eine gesetzte Dame , vierzig , glaube ich , lungenkrank , und wenn sie meinen Bubenk”rper káte , kam sie mir wie eine Irre vor oder wie eine Hndin ; dabei nannte ich sie nach wie vor Frau Professor . 001613 000122 das war absurd . 001614 000122 ich vergaá es von Mal zu Mal ; nur wenn mein Lehrer ins Klassenzimmer trat und die Hefte aufs Pult legte , ohne etwas zu sagen , hatte ich Angst , er habe es erfahren , und die ganze Welt werde es erfahren . 001615 000122 meistens war ich der erste , den er aufrief , wenn es ans Verteilen der Hefte ging , und man muáte vor die Klasse treten - als der einzige , der keinen einzigen Fehler gemacht hat . 001616 000122 sie starb noch im gleichen Sommer , und ich vergaá es , wie man Wasser vergiát , das man irgendwo im Durst getrunken hat . 001617 000122 natrlich kam ich mir schlecht vor , weil ich es vergaá , und ich zwang mich , einmal im Monat an ihr Grab zu gehen ; ich nahm ein paar Blumen aus meiner Mappe , wenn niemand es sah , und legte sie geschwind auf das Grab , das noch keinen Grabstein hatte , nur eine Nummer ; dabei sch„mte ich mich , weil ich jedesmal froh war , daá es vorbei ist . 001618 000122 nur mit Hanna ist es nie absurd gewesen . 001619 000122 es war Frhling , aber es schneite , als wir in den Tuilerien saáen , Schneegest”ber aus blauem Himmel ; wir hatten uns fast eine Woche lang nicht gesehen , und sie war froh um unser Wiedersehen , schien mir , wegen der Zigaretten , sie war bankrott . 001620 000122 " das habe ich Ihnen auch nie geglaubt " , sagte sie , " daá Sie nie in den Louvre gehen - " . 001621 000122 " jedenfalls selten " . 001622 000122 " selten ! " lachte sie . 001623 000122 " vorgestern schon habe ich Sie gesehen - unten bei den Antiken - und gestern auch " . 001624 000122 sie war wirklich ein Kind , wenn auch Kettenraucherin , sie hielt es wirklich fr Zufall , daá man sich in diesem Paris nochmals getroffen hatte . 001625 000123 sie trug wieder ihre schwarzen Hosen und ihre f+ Espadrilles +f , dazu Kapuzenmantel , natrlich keinerlei Hut , sondern nur ihren r”tlichen Roáschwanz , und es schneite , wie gesagt , sozusagen aus blauem Himmel . 001626 000123 " haben Sie denn nicht kalt ? " . 001627 000123 " nein " , sagte sie , " aber Sie ! " . 001628 000123 um 16.00 Uhr hatte ich nochmals Konferenz - . 001629 000123 " trinken wir einen Kaffee ? " sagte ich . 001630 000123 " oh " , sagte sie , " sehr gerne " . 001631 000123 als wir ber die Place de la Concorde gingen , gehetzt vom Pfiff eines Gendarmen , gab sie mir ihren Arm . 001632 000123 das hatte ich nicht erwartet . 001633 000123 wir muáten rennen , da der Gendarm bereits seinen weiáen Stab hob , eine Meute von Autos startete auf uns los ; auf dem Trottoir , Arm in Arm gerettet , stellte ich fest , daá ich meinen Hut verloren hatte - er lag drauáen im braunen Matsch , bereits von einem f+ Pneu +f zerquetscht . 001634 000123 f+ eh bien ! +f sagte ich und ging Arm in Arm mit dem M„dchen weiter , hutlos wie ein Jngling im Schneegest”ber . 001635 000123 Sabeth hatte Hunger . 001636 000123 um mir nichts einzubilden , sagte ich mir , daá unser Wiedersehen sie freut , weil sie fast kein Geld mehr hat ; sie futterte f+ Patisserie +f , so daá sie kaum aufblicken konnte , kaum reden ... . 001637 000123 ihre Idee , mit Autostop nach Rom zu reisen , war ihr nicht auszureden ; sie hatte sogar ein genaues Programm : Avignon , Nimes , Marseille nicht unbedingt , aber unbedingt Pisa , Firenze , Siena , Orvieto , Assisi und was weiá ich , sie hatte es an jenem Vormittag schon versucht , aber offenbar an der falschen Ausfallstraáe . 001638 000124 " und Ihre Mama weiá das ? " . 001639 000124 sie behauptete : ja . 001640 000124 " Ihre Mama macht sich keine Sorgen ? " . 001641 000124 ich saá nur noch , weil ich zahlen muáte , zum Gehen bereit , meine Mappe auf das Knie gesttzt ; gerade jetzt , wo Williams so merkwrdig tat , wollte ich nicht zu sp„t zur Konferenz kommen . 001642 000124 " natrlich macht sie sich Sorgen " , sagte das M„dchen , w„hrend sie das letzte Restchen ihrer f+ Patisserie +f zusammenl”ffelte , nur durch Erziehung daran verhindert , ihren Teller auch noch mit der Zunge zu lecken , und lachte , " Mama macht sich immer Sorgen - " . 001643 000124 sp„ter sagte sie : " ich habe ihr versprechen mssen , daá ich nicht mit jedermann fahre - aber das ist ja klar , ich bin ja nicht bl”d " . 001644 000124 ich hatte unterdessen gezahlt . 001645 000124 " ich danke Ihnen " , sagte sie . 001646 000124 ich wagte nicht zu fragen : was machen Sie denn heute abend ? . 001647 000124 ich wuáte immer weniger , was fr ein M„dchen sie eigentlich war . 001648 000124 unbekmmert in welchem Sinn ? . 001649 000124 vielleicht lieá sie sich wirklich von jedem Mann einladen , eine Vorstellung , die mich nicht entrstete , aber eiferschtig machte , geradezu sentimental . 001650 000124 " ob wir uns nochmals sehen ? " fragte ich und fgte sofort hinzu : " wenn nicht , dann wnsche ich Ihnen alles Gute - " . 001651 000124 ich muáte wirklich gehen . 001652 000124 " Sie bleiben noch hier ? " . 001653 000124 " ja " , sagte sie , " ich habe ja Zeit - " . 001654 000124 ich stand bereits . 001655 000125 " wenn Sie Zeit haben " , sagte ich , " mir einen Gefallen zu erweisen - " . 001656 000125 ich suchte meinen verlorenen Hut . 001657 000125 " ich wollte in die Opera " , sagte ich , " aber ich habe noch keine Karten - " . 001658 000125 ich staunte selbst ber meine Geistesgegenwart , ich war noch nie in der Opera gewesen , versteht sich , aber Sabeth mit ihrer Menschenkenntnis zweifelte nicht eine Sekunde , obschon ich nicht wuáte , was in der Opera gegeben wurde , und nahm das Geld fr die Karten , bereit , mir einen Gefallen zu erweisen . 001659 000125 " wenn Sie auch Lust haben " , sagte ich , " nehmen Sie zwei , und wir treffen uns um sieben Uhr - hier " . 001660 000125 " zwei ? " . 001661 000125 " es soll groáartig sein ! " . 001662 000125 das hatte ich von Mrs. Williams geh”rt . 001663 000125 " Mister Faber " , sagte sie , " das kann ich aber nicht annehmen - " . 001664 000125 zur Konferenz kam ich versp„tet . 001665 000125 ich hatte Professor O. wirklich nicht erkannt , wie er da pl”tzlich vor mir steht : wohin denn so eilig , Faber , wohin denn ? . 001666 000125 sein Gesicht ist nicht einmal bleich , aber vollkommen ver„ndert ; ich weiá nur : dieses Gesicht kenne ich . 001667 000125 sein Lachen kenne ich , aber woher ? . 001668 000125 er muá es gemerkt haben . 001669 000125 kennen Sie mich denn nicht mehr ? . 001670 000125 sein Lachen ist gr„álich geworden . 001671 000125 jaja , lacht er , ich habe etwas durchgemacht ! . 001672 000125 sein Gesicht ist kein Gesicht mehr , sondern ein Sch„del mit Haut drber , sogar mit Muskeln , die eine Mimik machen , und die Mimik erinnert mich an Professor O. , aber es ist ein Sch„del , sein Lachen viel zu groá , es entstellt sein Gesicht , viel zu groá im Verh„ltnis zu den Augen , die weit hinten liegen . 001673 000126 Herr Professor ! sage ich und muá aufpassen , daá ich nicht sage : ich weiá , man sagte es mir , daá Sie gestorben sind . 001674 000126 stattdessen : wie geht's denn immer ? . 001675 000126 er ist nie so herzlich gewesen , ich habe ihn gesch„tzt , aber so herzlich wie jetzt , da ich die Taxi-Tre halte , ist er nie gewesen . 001676 000126 Frhling in Paris ! lacht er , und es ist nicht einzusehen , warum er immer lacht , ich kenne ihn als Professor der ETH: und nicht als Clown , aber sobald er den Mund aufmacht , sieht es aus wie Lachen . 001677 000126 jaja , lacht er , jetzt geht's wieder besser ! . 001678 000126 dabei lacht er n„mlich gar nicht , so wenig wie ein Totensch„del lacht , es wirkt nur so , und ich entschuldige mich , daá ich ihn in der Eile nicht sofort erkannt habe . 001679 000126 er hat einen Bauch , was er nie gehabt hat , einen Ballon von Bauch , der unter den Rippen hervorquillt , alles andere ist mager , seine Haut wie Leder oder wie Lehm , seine Augen lebhaft , aber weit hinten . 001680 000126 ich erz„hle irgendetwas . 001681 000126 seine Ohren stehen ab . 001682 000126 wohin denn so eilig ? lacht er und fragt mich , ob ich nicht zu einem f+ Apero +f komme . 001683 000126 auch seine Herzlichkeit , wie gesagt , ist viel zu groá ; er ist mein Professor gewesen damals in Zrich , ich habe ihn gesch„tzt , aber ich habe wirklich keine Zeit fr einen f+ Apero +f . 001684 000126 lieber Herr Professor ! . 001685 000126 das habe ich sonst nie gesagt . 001686 000126 lieber Herr Professor ! sage ich , weil er mich am Arm faát , und weiá , was jedermann weiá ; aber er , scheint es , weiá es nicht . 001687 000126 er lacht . 001688 000126 dann halt ein andermal ! sagt er , und ich weiá genau , daá dieser Mann eigentlich schon gestorben ist , und sage : gerne ! und steige in meinen Taxi - . 001689 000126 die Konferenz ging mich nichts an . 001690 000126 Professor O. ist fr mich immer eine Art Vorbild gewesen , obschon kein Nobelpreistr„ger , keiner von den Professoren der ETH: Zrich , die Weltruhm genieáen , immerhin ein seri”ser Fachmann - . 001691 000127 ich werde nie vergessen , wie wir in weiáen Zeichenm„nteln , Studenten , um ihn herumstehen und lachen ber seine Offenbarung : eine Hochzeitsreise ( so sagte er immer ) gengt vollkommen , nachher finden Sie alles Wichtige in Publikationen , lernen Sie fremde Sprachen , meine Herren , aber Reisen , meine Herren , ist mittelalterlich , wir haben heute schon Mittel der Kommunikation , geschweige denn morgen und bermorgen , Mittel der Kommunikation , die uns die Welt ins Haus liefern , es ist ein Atavismus , von einem Ort zum andern zu fahren . 001692 000127 Sie lachen , meine Herren , aber es ist so , Reisen ist ein Atavismus , es wird kommen der Tag , da es berhaupt keinen Verkehr mehr gibt , und nur noch die Hochzeitspaare werden mit einer Droschke durch die Welt fahren , sonst kein Mensch - Sie lachen , meine Herren , aber Sie werden es noch erleben ! . 001693 000127 pl”tzlich stand er in Paris . 001694 000127 vielleicht hat er darum immerzu gelacht . 001695 000127 vielleicht stimmt's gar nicht , daá er ( wie es hieá ) Magenkrebs hat , und er lacht , weil seit zwei Jahren jedermann sagt , daá die Žrzte ihm keine zwei Monate mehr geben , er lacht ber uns ; er ist so sicher , daá wir uns ein andermal sehen - . 001696 000127 die Konferenz dauerte knapp zwei Stunden . 001697 000127 " Williams " , sagte ich , f+ " I changed my mind " +f . 001698 000127 f+ " what's the matter ? " +f . 001699 000127 f+ " well , I changed my mind - " +f . 001700 000127 Williams fuhr mich zu meinem Hotel , w„hrend ich darlegte , daá ich doch daran denke , ein biáchen auszusetzen , ein biáchen Ferien zu machen , frhlingshalber , zwei Wochen oder so , eine kleine Reise f+ ( trip ) +f nach Avignon und Pisa , Florenz , Rom , er war keineswegs merkwrdig , im Gegenteil , Williams war groáartig wie je : sofort bot er seinen Citroen an , da er anderntags nach New York flog . 001701 000128 " Walter " , sagte er , f+ " have a nice time ! " +f . 001702 000128 ich rasierte mich und kleidete mich um . 001703 000128 fr den Fall , daá es mit der Opera klappen sollte . 001704 000128 ich war viel zu frh , obschon ich zu Fuá in die Champs Elysees ging . 001705 000128 ich setzte mich brigens in ein Cafe nebenan , Glasveranda mit Infra-Heizung , und hatte noch kaum meinen Pernod bekommen , als das fremde M„dchen mit dem Roáschwanz vorbeiging , ohne mich zu sehen , ebenfalls viel zu frh , ich h„tte sie rufen k”nnen - . 001706 000128 sie setzte sich ins Cafe . 001707 000128 ich war glcklich und trank meinen Pernod , ohne zu eilen , ich beobachtete sie durchs Glas der Veranda , wie sie bestellte , wie sie wartete , wie sie rauchte und einmal auf die Uhr blickte . 001708 000128 sie trug den schwarzen Kapuzenmantel mit den H”lzchen und Schnren , darunter ihr blaues Abendkleidchen , bereit fr die Opera , eine junge Dame , die ihr Rouge prft . 001709 000128 sie trank f+ Citron-presse +f . 001710 000128 ich war glcklich wie noch nie in diesem Paris und wartete auf den Kellner , um zu zahlen , um gehen zu k”nnen - hinber zu dem M„dchen , das auf mich wartet ! - dabei war ich fast froh , daá der Kellner mich immer wieder warten lieá , obschon ich protestierte ; ich konnte nie glcklicher sein als jetzt . 001711 000128 seit ich weiá , wie alles gekommen ist , vor allem angesichts der Tatsache , daá das junge M„dchen , das mich in die Pariser Opera begleitete , dasselbe Kind gewesen ist , das wir beide ( Hanna auch ) mit Rcksicht auf unsere pers”nlichen Umst„nde , ganz abgesehen von der politischen Weltlage damals , nicht hatten haben wollen , habe ich mit mehreren und verschiedenartigen Leuten darber gesprochen , wie sie sich zur Schwangerschaftsunterbrechung stellen , und dabei festgestellt , daá sie ( wenn man es grunds„tzlich betrachtet ) meine Ansicht teilen . 001712 000129 Schwangerschaftsunterbrechung ist heutzutage eine Selbstverst„ndlichkeit . 001713 000129 grunds„tzlich betrachtet : wo k„men wir hin ohne Schwangerschaftsunterbrechungen ? . 001714 000129 Fortschritt in Medizin und Technik n”tigen gerade den verantwortungsbewuáten Menschen zu neuen Maánahmen . 001715 000129 Verdreifachung der Menschheit in einem Jahrhundert . 001716 000129 frher keine Hygiene . 001717 000129 zeugen und geb„ren und im ersten Jahr sterben lassen , wie es der Natur gef„llt , das ist primitiver , aber nicht ethischer . 001718 000129 Kampf gegen das Kindbettfieber . 001719 000129 Kaiserschnitt . 001720 000129 Brutkasten fr Frhgeburten . 001721 000129 wir nehmen das Leben ernster als frher . 001722 000129 Johann Sebastian Bach hatte dreizehn Kinder ( oder so etwas ) in die Welt gestellt , und davon lebten nicht 50 % . 001723 000129 Menschen sind keine Kaninchen , Konsequenz des Fortschrittes : wir haben die Sache selbst zu regeln . 001724 000129 die drohende šberbev”lkerung unserer Erde . 001725 000129 mein Oberarzt war in Nordafrika , er sagt w”rtlich : wenn die Araber eines Tages dazu kommen , ihre Notdurft nicht rings um ihr Haus herum zu verrichten , so ist mit einer Verdoppelung der arabischen Bev”lkerung innerhalb von zwanzig Jahren zu rechnen . 001726 000129 wie die Natur es berall macht : šberproduktion , um die Erhaltung der Art sicherzustellen . 001727 000129 wir haben andere Mittel , um die Erhaltung der Art sicherzustellen . 001728 000129 Heiligkeit des Lebens ! . 001729 000129 die natrliche šberproduktion ( wenn wir drauflos geb„ren wie die Tiere ) wird zur Katastrophe ; nicht Erhaltung der Art , sondern Vernichtung der Art . 001730 000130 wieviel Menschen ern„hrt die Erde ? . 001731 000130 Steigerung ist m”glich , Aufgabe der Unesco : Industrialisierung der unterentwickelten Gebiete , aber die Steigerung ist nicht unbegrenzt . 001732 000130 Politik vor ganz neuen Problemen . 001733 000130 ein Blick auf die Statistik : Rckgang der Tuberkulose beispielsweise , Erfolg der Prophylaxe , Rckgang von 30 % auf 8 % . 001734 000130 der liebe Gott ! . 001735 000130 er machte es mit Seuchen ; wir haben ihm die Seuchen aus der Hand genommen . 001736 000130 Folge davon : wir mssen ihm auch die Fortpflanzung aus der Hand nehmen . 001737 000130 kein Anlaá zu Gewissensbissen , im Gegenteil : Wrde des Menschen , vernnftig zu handeln und selbst zu entscheiden . 001738 000130 wenn nicht , so ersetzen wir die Seuchen durch Krieg . 001739 000130 Schluá mit Romantik . 001740 000130 wer die Schwangerschaftsunterbrechung grunds„tzlich ablehnt , ist romantisch und unverantwortlich . 001741 000130 es sollte nicht aus Leichtsinn geschehen , das ist klar , aber grunds„tzlich : wir mssen den Tatsachen ins Auge sehen , beispielsweise der Tatsache , daá die Existenz der Menschheit nicht zuletzt eine Rohstoff-Frage ist . 001742 000130 Unfug der staatlichen Geburtenf”rderung in faschistischen L„ndern , aber auch in Frankreich . 001743 000130 Frage des Lebensraumes . 001744 000130 nicht zu vergessen die Automation : wir brauchen gar nicht mehr so viele Leute . 001745 000130 es w„re gescheiter , Lebensstandard zu heben . 001746 000130 alles andere fhrt zum Krieg und zur totalen Vernichtung . 001747 000130 Unwissenheit , Unsachlichkeit noch immer sehr verbreitet . 001748 000130 es sind immer die Moralisten , die das meiste Unheil anrichten . 001749 000130 Schwangerschaftsunterbrechung : eine Konsequenz der Kultur , nur der Dschungel geb„rt und verwest , wie die Natur will . 001750 000130 der Mensch plant . 001751 000130 viel Unglck aus Romantik , die Unmenge katastrophaler Ehen , die aus bloáer Angst vor Schwangerschaftsunterbrechung geschlossen werden heute noch . 001752 000131 Unterschied zwischen Verhtung und Eingriff ? . 001753 000131 in jedem Fall ist es ein menschlicher Wille , kein Kind zu haben . 001754 000131 wieviele Kinder sind wirklich gewollt ? . 001755 000131 etwas anderes ist es , daá die Frau eher will , wenn es einmal da ist , Automatismus der Instinkte , sie vergiát , daá sie es hat vermeiden wollen , dazu Gefhl der Macht gegenber dem Mann , Mutterschaft als wirtschaftliches Kampfmittel der Frau . 001756 000131 was heiát Schicksal ? . 001757 000131 es ist l„cherlich , Schicksal abzuleiten aus mechanisch-physiologischen Zuf„llen , es ist eines modernen Menschen nicht wrdig . 001758 000131 Kinder sind etwas , was wir wollen , beziehungsweise nicht wollen . 001759 000131 Sch„digung der Frau ? . 001760 000131 physiologisch jedenfalls nicht , wenn nicht Eingriff durch Pfuscher ; psychisch nur insofern , als die betroffene Person von moralischen oder religi”sen Vorstellungen beherrscht wird . 001761 000131 was wir ablehnen : Natur als G”tze ! . 001762 000131 dann máte man schon konsequent sein : dann auch kein Penicillin , keine Blitzableiter , keine Brille , kein DDT: , kein Radar und so weiter . 001763 000131 wir leben technisch , der Mensch als Beherrscher der Natur , der Mensch als Ingenieur , und wer dagegen redet , der soll auch keine Brcke benutzen , die nicht die Natur gebaut hat . 001764 000131 dann máte man schon konsequent sein und jeden Eingriff ablehnen , das heiát : sterben an jeder Blinddarmentzndung . 001765 000131 weil Schicksal ! . 001766 000131 dann auch keine Glhbirne , keinen Motor , keine Atom-Energie , keine Rechenmaschine , keine Narkose - dann los in den Dschungel ! . 001767 000131 unsere Reise durch Italien - ich kann nur sagen , daá ich glcklich gewesen bin , weil auch das M„dchen , glaube ich , glcklich gewesen ist trotz Altersunterschied . 001768 000132 ihr Spott ber die jungen Herren: " Buben ! " sagte sie . 001769 000132 " das kannst du dir ja nicht vorstellen - man kommt sich wie ihre Mutter vor , und das ist furchtbar ! " . 001770 000132 wir hatten fantastisches Wetter . 001771 000132 was mir Mhe machte , war lediglich ihr Kunstbedrfnis , ihre Manie , alles anzuschauen . 001772 000132 kaum in Italien , gab es keine Ortschaft mehr , wo ich nicht stoppen muáte : Pisa , Florenz , Siena , Perugia , Arezzo , Orvieto , Assisi . 001773 000132 - ich bin nicht gewohnt , so zu reisen . 001774 000132 in Florenz rebellierte ich , indem ich ihren Fra Angelico , offen gesagt , etwas kitschig fand . 001775 000132 ich verbesserte mich dann : naiv . 001776 000132 sie bestritt es nicht , im Gegenteil , sie war begeistert ; es kann ihr nicht naiv genug sein . 001777 000132 was ich genoá : Campari ! . 001778 000132 meinetwegen auch Mandolinen-Bettler - . 001779 000132 was mich interessierte : Straáenbau , Brckenbau , der neue Fiat , der neue Bahnhof in Rom , der neue Rapido-Triebwagen , die neue Olivetti - . 001780 000132 ich kann mit Museen nichts anfangen . 001781 000132 ich saá drauáen auf der Piazza San Marco , w„hrend Sabeth aus purem Trotz , glaube ich , das ganze Kloster besichtigte , und trank meinen Campari wie blich . 001782 000132 ich hatte mir in diesen letzten Tagen , seit Avignon , schon allerhand angeschaut , bloá um in ihrer N„he zu sein . 001783 000132 ich sah keinen Grund , eiferschtig zu sein , und war es doch . 001784 000132 ich wuáte nicht , was so ein junges M„dchen sich eigentlich denkt . 001785 000132 bin ich ihr Chauffeur ? . 001786 000132 dann gut ; dann habe ich das Recht , unterdessen einen Campari zu trinken , bis meine Herrschaft aus der n„chsten Kirche kommt . 001787 000132 es h„tte mir nichts ausgemacht , ihr Chauffeur zu sein , w„re nicht Avignon gewesen . 001788 000132 ich zweifelte manchmal , wofr ich sie halten sollte . 001789 000133 ihre Idee : mit Autostop nach Rom ! . 001790 000133 auch wenn sie es schlieálich nicht getan hatte , die bloáe Idee machte mich eiferschtig . 001791 000133 was in Avignon gewesen ist , w„re es mit jedem Mann gewesen ? . 001792 000133 ich dachte an Heirat wie noch nie - . 001793 000133 ich wollte ja das Kind , je mehr ich es liebte , nicht in ein solches Fahrwasser bringen . 001794 000133 ich hoffte von Tag zu Tag , daá ich einmal mit ihr sprechen kann , ich war entschlossen , offen zu sein , nur hatte ich Angst , daá sie mir dann nicht glauben , beziehungsweise mich auslachen wrde ... . 001795 000133 noch immer fand sie mich zynisch , glaube ich , sogar schnoddrig ( nicht ihr gegenber , aber gegenber dem Leben ganz allgemein ) und ironisch , was sie nicht vertrug , und oft wuáte ich berhaupt nichts mehr zu sagen . 001796 000133 h”rte sie mich berhaupt ? . 001797 000133 ich hatte geradezu das Gefhl , daá ich die Jugend nicht mehr verstehe . 001798 000133 ich kam mir oft wie ein Betrger vor . 001799 000133 warum eigentlich ? . 001800 000133 ich wollte ihre Erwartung , daá Tivoli alles bertreffe , was ich auf dieser Welt gesehen habe , und daá ein Nachmittag in Tivoli beispielsweise das Glck im Quadrat w„re , nicht zerst”ren ; nur konnte ich's nicht glauben . 001801 000133 ihre stete Sorge , ich nehme sie nicht ernst , war verkehrt ; ich nahm mich selbst nicht ernst , und irgendetwas machte mich immer eiferschtig , obschon ich mir Mhe gab , jung zu sein . 001802 000133 ich fragte mich , ob die Jugend heute ( 1957 ) vollkommen anders ist als zu unsrer Zeit , und stellte nur fest , daá ich berhaupt nicht weiá , wie die derzeitige Jugend ist . 001803 000133 ich beobachtete sie . 001804 000133 ich folgte ihr in etliche Museen , bloá um in ihrer N„he zu sein , um Sabeth wenigstens zu sehen in der Spiegelung einer Vitrine , wo es von etruskischen Scherben wimmelte , ihr junges Gesicht , ihren Ernst , ihre Freude ! . 001805 000133 Sabeth glaubte nicht , daá ich nichts davon verstehe , und hatte einerseits ein maáloses Vertrauen zu mir , bloá weil man dreiáig Jahre „lter ist , ein kindisches Vertrauen , anderseits berhaupt keinen Respekt . 001806 000134 es verstimmte mich , daá ich Respekt erwarte . 001807 000134 Sabeth h”rte zu , wenn ich von meinen Erfahrungen redete , jedoch wie man einem Alten zuh”rt : ohne zu unterbrechen , h”flich , ohne zu glauben , ohne sich zu ereifern . 001808 000134 h”chstens unterbrach sie , um mir vorzugreifen in der Erz„hlung und dadurch anzudeuten , daá ich all das schon einmal erz„hlt hatte . 001809 000134 dann sch„mte ich mich . 001810 000134 berhaupt z„hlte fr sie nur die Zukunft , ein biáchen auch die Gegenwart ; aber auf Erfahrungen lieá sie sich berhaupt nicht ein , wie alle Jungen . 001811 000134 es interessierte sie keinen Deut , daá alles schon dagewesen ist und was unsereiner daraus gelernt hat , beziehungsweise h„tte lernen k”nnen . 001812 000134 ich achtete drauf , was sich Sabeth eigentlich von der Zukunft versprach , und stellte fest : sie weiá es selbst nicht , aber sie freut sich einfach . 001813 000134 hatte ich von der Zukunft etwas zu erwarten , was ich nicht schon kenne ? . 001814 000134 fr Sabeth war alles ganz anders . 001815 000134 sie freute sich auf Tivoli , auf Mama , auf das Frhstck , auf die Zukunft , wenn sie einmal Kinder haben wird , auf ihren Geburtstag , auf eine Schallplatte , auf Bestimmtes und vor allem Unbestimmtes : auf alles , was noch nicht ist . 001816 000134 das machte mich eiferschtig , mag sein , aber daá ich mich meinerseits nicht freuen kann , stimmt nicht ; ich freute mich ber jeden Augenblick , der sich einigermaáen dazu eignete . 001817 000134 ich mache keine Purzelb„ume , ich singe nicht , aber ich freue mich schon auch . 001818 000134 und nicht nur ber ein gutes Essen ! . 001819 000134 ich kann mich vielleicht nicht immer ausdrcken . 001820 000134 wieviele von den Menschen , die unsereiner trifft , haben denn ein Interesse an meiner Freude , berhaupt an meinen Gefhlen ! . 001821 000134 Sabeth fand , ich untertreibe immer , beziehungsweise ich verstelle mich . 001822 000135 was mich am meisten freute , war ihre Freude . 001823 000135 ich staunte manchmal , wie wenig sie brauchte , um zu singen , eigentlich berhaupt nichts ; sie zog die Vorh„nge auseinander und stellte fest , daá es nicht regnete , und sang . 001824 000135 leider hatte ich einmal meine Magenbeschwerden erw„hnt ; nun meinte sie immer , ich h„tte Magenbeschwerden , mtterlich besorgt , als w„re ich unmndig . 001825 000135 insofern war sie nicht immer leicht , unsere Reise , oft komisch : ich langweilte sie mit Lebenserfahrung , und sie machte mich alt , indem sie von Morgen bis Abend berall auf meine Begeisterung wartete ... . 001826 000135 in einem groáen Kreuzgang f+ ( Museo: Nazionale: ) +f weigerte ich mich , ihren Baedeker anzuh”ren , ich hockte auf der Brstung und versuchte eine italienische Zeitung zu lesen , ich hatte sie satt , diese Sammlungen von steinernen Trmmern . 001827 000135 ich streikte , aber Sabeth war noch immer berzeugt , ich halte sie zum besten mit meinem Gest„ndnis , daá ich nichts von Kunst verstehe - ihrerseits gesttzt auf einen Ausspruch ihrer Mama , jeder Mensch k”nne ein Kunstwerk erleben , bloá der Bildungsspieáer nicht . 001828 000135 " eine gn„dige Mama ! " sagte ich . 001829 000135 ein italienisches Paar , das durch den groáen Kreuzgang ging , interessierte mich mehr als alle Statuen , vor allem der Vater , der ihr schlafendes Kind auf den Armen trug - . 001830 000135 sonst kein Mensch . 001831 000135 V”gel zwitscherten , sonst Grabesstille . 001832 000135 dann , als Sabeth mich allein gelassen hatte , steckte ich die Zeitung ein , die ich sowieso nicht lesen konnte , und stellte mich vor irgendeine Statue , um den Ausspruch ihrer Mama zu prfen . 001833 000135 jeder Mensch k”nne ein Kunstwerk erleben ! - aber die Mama , fand ich , irrte sich . 001834 000136 ich langweilte mich bloá . 001835 000136 im kleinen Kreuzgang ( Verglasung ) hatte ich Glck : eine ganze Gruppe deutscher Touristen , gefhrt von einem katholischen Priester , dr„ngte sich vor dem Relief wie vor einer Unglcksst„tte , so daá ich neugierig wurde , und als Sabeth mich fand ( " da bist du ja , Walter , ich dachte schon , du bist zu deinem Campari verschwunden ! " ) , sagte ich , was ich eben von dem Priester geh”rt hatte : Geburt: der: Venus: . 001836 000136 vor allem das M„dchen auf der Seite , Fl”tenbl„serin , fand ich entzckend ... . 001837 000136 entzckend , fand Sabeth , das sei kein Wort fr ein solches Relief ; sie fand es toll , geradezu irrsinnig , maximal , genial , f+ terrific +f . 001838 000136 zum Glck kamen Leute - . 001839 000136 ich kann es nicht ausstehen , wenn man mir sagt , was ich zu empfinden habe ; dann komme ich mir , obschon ich sehe , wovon die Erde ist , wie ein Blinder vor . 001840 000136 Kopf: einer: schlafenden: Erinnye: . 001841 000136 das war meine Entdeckung ( im selben Seitensaal links ) ohne Hilfe eines bayerischen Priesters ; ich wuáte allerdings den Titel nicht , was mich keineswegs st”rte , im Gegenteil , meistens st”ren mich die Titel , weil ich mich mit antiken Namen sowieso nicht auskenne , dann fhlt man sich wie im Examen ... . 001842 000136 hier fand ich : groáartig , ganz groáartig , beeindruckend , famos , tiefbeeindruckend . 001843 000136 es war ein steinerner M„dchenkopf , so gelegt , daá man drauf blickt wie auf das Gesicht einer schlafenden Frau , wenn man sich auf die Ellbogen sttzt . 001844 000136 " was sie wohl zusammentr„umt - ? " . 001845 000136 keine Art der Kunstbetrachtung , mag sein , aber es interessierte mich mehr als die Frage , ob viertes Jahrhundert oder drittes Jahrhundert v. Chr. ... . 001846 000136 als ich nochmals die Geburt der Venus besichtige , sagt sie pl”tzlich : bleib ! . 001847 000137 ich darf mich nicht rhren . 001848 000137 was ist los ? frage ich . 001849 000137 bleib ! sagt sie : wenn du dort stehst , ist sie viel sch”ner , die Erinnye hier , unglaublich , was das ausmacht ! . 001850 000137 ich muá mich davon berzeugen , Sabeth besteht darauf , daá wir die Pl„tze wechseln . 001851 000137 es macht etwas aus , in der Tat , was mich aber nicht verwundert ; eine Belichtungssache . 001852 000137 wenn Sabeth ( oder sonst jemand ) bei der Geburt der Venus steht , gibt es Schatten , das Gesicht der schlafenden Erinnye wirkt , infolge einseitigen Lichteinfalls , sofort viel wacher , lebendiger , geradezu wild . 001853 000137 " toll " , sagt sie , " was das ausmacht ! " . 001854 000137 wir tauschten noch einmal oder zweimal die Pl„tze , dann war ich dafr , endlich weiterzugehen , es gab noch ganze S„le voll Statuen , die Sabeth gesehen haben wollte - . 001855 000137 ich hatte Hunger . 001856 000137 von einem Ristorante zu sprechen , das mir durch den Kopf ging , war ausgeschlossen ; ich bekam nicht einmal Antwort auf meine Frage , woher Sabeth all ihre gescheiten W”rter bezieht , nur diese W”rter selbst : - archaisch , linear , hellenistisch , dekorativ , sakral , naturalistisch , expressiv , kubisch , allegorisch , kultisch , kompositorisch und so weiter , ein ganzes f+ highbrow- +f -Vokabular . 001857 000137 erst beim Ausgang , wo es nichts mehr zu sehen gibt als B”gen aus antikem Ziegelstein , eine simple , aber korrekte Maurerarbeit , die mich interessierte , antwortete sie auf meine Frage , indem sie durch das Drehkreuz voranging , beil„ufig wie blich , wenn von Mama die Rede war : " von Mama " . 001858 000137 das M„dchen gefiel mir , wenn wir in einem Ristorante saáen , jedesmal aufs neue , ihre Freude am Salat , ihre kinderhafte Art , Br”tchen zu verschlingen , ihre Neugierde ringsherum , sie kaute Br”tchen um Br”tchen und blickte ringsherum , ihre festliche Begeisterung vor einem Hors d'oeuvre , ihr šbermut - . 001859 000138 betreffend ihre Mama : wir rupften unsere Artischocken , tauchten Blatt um Blatt in die Mayonnaise und zogen's durch unsere Z„hne , Blatt um Blatt , w„hrend ich einiges von der gescheiten Dame erfuhr , die ihre Mama ist . 001860 000138 ich war nicht sehr neugierig , offen gestanden , da ich intellektuelle Damen nicht mag . 001861 000138 ich erfuhr : sie hat eigentlich nicht Arch„ologie studiert , sondern Philologie ; sie arbeitet aber in einem Arch„ologischen Institut , sie muá ja Geld verdienen , weil von Herrn Piper getrennt - ich wartete , mein Glas in der Hand , um anzustoáen ; Herr Piper interessierte mich schon gar nicht , ein Mann , der aus šberzeugung in Ostdeutschland lebt . 001862 000138 ich hob mein Glas und unterbrach : Prosit ! und wir tranken ... . 001863 000138 ferner erfuhr ich : Mama ist auch einmal Kommunistin gewesen , aber mit Herrn Piper geht es trotzdem nicht , daher die Trennung , das kann ich verstehen , und nun arbeitet Mama eben in Athen , weil sie das derzeitige Westdeutschland auch nicht mag , das kann ich verstehen , und Sabeth ihrerseits leidet an dieser Trennung keineswegs , im Gegenteil , sie hatte einen herrlichen Appetit , w„hrend sie davon erz„hlte , und trank von dem weiáen Orvieto - der mir immer zu sá war , aber ihr Lieblingswein : Orvieto: Abbocato: ... . 001864 000138 sie hat ihren Vater nicht allzu sehr geliebt , beziehungsweise ist Herr Piper gar nicht ihr Vater , denn Mama ist frher schon einmal verheiratet gewesen , Sabeth also ein Kind aus erster Ehe , ihre Mama hat Pech gehabt mit den M„nnern , so schien mir , vielleicht weil zu intellektuell , so dachte ich , sagte natrlich nichts , sondern bestellte nochmals ein halbes Fl„schchen Orvieto: Abbocato: , und dann sprach man wieder ber alles m”gliche , ber Artischocken , ber Katholizismus , ber Cassata , ber die Schlafende Erinnye , ber Verkehr , die Not unsrer Zeit , und wie man zur Via Appia kommt - . 001865 000139 Sabeth mit ihrem Baedeker : " die Via: Appia: , die 312 vor Christus vom Censor Appius Claudius Caecus angelegte K”nigin der Straáen , fhrte ber Terracina nach Capua , von wo sie sp„ter bis Brindisi verl„ngert wurde - " . 001866 000139 wir waren die Via Appia hinaus gepilgert , drei Kilometer zu Fuá , wir lagen auf einem solchen Grabmal , Steinhgel , Schutthgel mit Unkraut , worber zum Glck nichts im Baedeker steht . 001867 000139 wir lagen im Schatten einer Pinie und rauchten eine Zigarette . 001868 000139 " Walter , schl„fst du ? " . 001869 000139 ich genoá es , nichts besichtigen zu mssen . 001870 000139 " du " sagte sie , " dort drben ist Tivoli " . 001871 000139 Sabeth wie blich in ihren schwarzen Cowboy-Hosen mit den ehemals weiáen N„hten , dazu ihre ehemals weiáen f+ Espadrilles +f , obschon ich ihr ein Paar italienische Schuhe gekauft hatte schon in Pisa . 001872 000139 " interessiert es dich wirklich nicht ? " . 001873 000139 " es interessiert mich wirklich nicht " , sagte ich , " aber ich werde mir alles ansehen , mein Liebes . 001874 000139 was tut man nicht alles auf einer Hochzeitsreise ! " . 001875 000139 Sabeth fand mich wieder zynisch . 001876 000139 es gengte mir , im Gras zu liegen , Tivoli hin oder her , Hauptsache : ihr Kopf an meiner Schulter . 001877 000140 " du bist ein Wildfang " , sagte ich , " keine Viertelstunde hast du Ruhe - " . 001878 000140 sie kniete und hielt Ausschau . 001879 000140 man h”rte Stimmen - . 001880 000140 " soll ich ? " fragte sie , ihr Mund dabei , wie wenn man spucken will . 001881 000140 " soll ich ? " . 001882 000140 ich zog sie an ihrem Roáschwanz herunter , aber sie duldete es nicht . 001883 000140 ich fand es auch schade , daá wir nicht allein sind , aber nicht zu „ndern . 001884 000140 auch nicht , wenn man ein Mann ist ! . 001885 000140 ihre komische Idee immer : du bist ein Mann ! . 001886 000140 offenbar hatte sie erwartet , daá ich aufspringe und Steine schleudere , um die Leute zu vertreiben wie eine Gruppe von Ziegen . 001887 000140 sie war allen Ernstes entt„uscht , ein Kind , das ich als Frau behandelte , oder eine Frau , die ich als Kind behandelte , das wuáte ich selber nicht . 001888 000140 " ich finde " , sagte sie , " das ist unser Platz ! " . 001889 000140 offenbar waren es Amerikaner , ich h”rte bloá die Stimmen , eine Gesellschaft , die um unser Grabmal schlenderte ; nach den Stimmen zu schlieáen , h„tten es die Stenotypistinnen von Cleveland sein k”nnen . 001890 000140 f+ oh: , isn't: it: lovely: ? +f . 001891 000140 f+ oh: , this: is: the: Campagna: ? +f . 001892 000140 f+ oh: , how: lovely: here: ! +f . 001893 000140 f+ oh: +f , usw. . 001894 000140 ich richtete mich auf , um ber das Gestrpp zu sp„hen . 001895 000140 die violetten Frisuren von Damen , dazwischen Glatzen von Herren , die ihre Panama-Hte abnehmen - Ausbruch aus einem Altersheim ! dachte ich , sagte es aber nicht . 001896 000140 " unser Grabhgel " , sagte ich , " scheint doch ein berhmter Grabhgel zu sein - " . 001897 000140 Sabeth ganz ungehalten : " du , da kommen immer mehr ! " . 001898 000141 sie stand , ich lag wieder im Gras . 001899 000141 " du " , sagt sie , - " ein ganzer f+ Autocar +f ! " . 001900 000141 wie Sabeth ber mir steht beziehungsweise neben mir : ihre f+ Espadrilles +f , dann ihre bloáen Waden , ihre Schenkel , die noch in der Verkrzung sehr schlank sind , ihr Becken in den straffen Cowboy-Hosen ; sie hatte beide H„nde in den Hosentaschen , als sie so stand . 001901 000141 ihre Taille nicht zu sehen ; wegen der Verkrzung . 001902 000141 dann ihre Brust und ihre Schultern , Kinn , Lippen , darber schon die Wimpern , ihre Augenbogen blaá wie Marmor , weil Widerschein von unten , dann ihr Haar im knallblauen Himmel , man h„tte meinen k”nnen , es werde sich im Ge„st der schwarzen Pinie verfangen , ihr r”tliches Haar . 001903 000141 so stand sie , w„hrend ich auf der Erde lag , im Wind . 001904 000141 schlank und senkrecht , dabei sprachlos wie eine Statue . 001905 000141 f+ " hello ! " +f rief jemand von unten . 001906 000141 Sabeth ganz mrrisch : f+ " hello - " +f . 001907 000141 Sabeth konnte es nicht fassen . 001908 000141 " du " , sagte sie , - " die machen Picnic ! " . 001909 000141 dann , wie zum Trotz gegen die amerikanischen Belagerer , kam sie herunter und legte sich auf meine Brust , als wollte sie einschlafen ; aber nicht lange . 001910 000141 sie sttzte sich auf und fragte , ob sie schwer sei . 001911 000141 " nein " , sagte ich , " du bist leicht - " . 001912 000141 " aber ? " . 001913 000141 " kein Aber ! " sagte ich . 001914 000141 " doch " , sagte sie , " du denkst etwas " . 001915 000141 meinerseits keine Ahnung , was ich gedacht hatte ; irgendetwas denkt man meistens , aber ich wuáte es wirklich nicht . 001916 000141 ich fragte , was sie denn gedacht h„tte . 001917 000141 sie bat um eine Zigarette , ohne zu antworten . 001918 000142 " du rauchst zuviel ! " sagte ich . 001919 000142 " als ich in deinem Alter war - " . 001920 000142 ihre Žhnlichkeit mit Hanna ist mir immer seltener in den Sinn gekommen , je vertrauter wir uns geworden sind , das M„dchen und ich . 001921 000142 seit Avignon berhaupt nicht mehr ! . 001922 000142 ich wunderte mich h”chstens , daá mir eine Žhnlichkeit mit Hanna je in den Sinn gekommen ist . 001923 000142 ich musterte sie daraufhin . 001924 000142 von Žhnlichkeit keine Spur ! . 001925 000142 ich gab ihr Feuer , obschon berzeugt , daá sie viel zu frh raucht , ein Kind von zwanzig Jahren - . 001926 000142 dann immer ihr Spott : " du tust wie ein Papa ! " . 001927 000142 vielleicht hatte ich ( wieder einmal ) daran gedacht , daá ich fr Sabeth , wenn sie sich auf meine Brust sttzt und mein Gesicht mustert , eigentlich ein alter Mann bin . 001928 000142 " du " , sagte sie , " das ist also der Ludovisische Altar , was uns heute vormittag so gefallen hat . 001929 000142 wahnsinnig berhmt ! " . 001930 000142 ich lieá mich belehren . 001931 000142 wir hatten unsere Schuhe ausgezogen , unsere bloáen Fáe auf der warmen Erde , ich genoá es , barfuá zu sein , und berhaupt . 001932 000142 ich dachte an unser Avignon . 001933 000142 ( Hotel Henri IV. ) Sabeth mit ihrem offenen Baedeker wuáte von Anfang an , daá ich ein Techniker bin , daá ich nach Italien fahre , um mich zu erholen . 001934 000142 trotzdem las sie vor : z+ " die Via: Appia: , die 312 vor Christus vom Censor Appius Claudius Caecus angelegte K”nigin der Straáen - " +z . 001935 000142 heute noch h”re ich ihre Baedeker-Stimme ! . 001936 000142 z+ " der interessantere Teil der Straáe beginnt , das alte Pflaster liegt mehrfach zutage , links die groáartigen Bogenreihen der Aqua Marcia ( vergleiche Seite 261 ) " +z . 001937 000143 dann bl„tterte sie jedesmal nach . 001938 000143 einmal meine Frage : " wie heiát eigentlich deine Mama mit Vornamen ? " . 001939 000143 sie lieá sich nicht unterbrechen . 001940 000143 " wenige Minuten weiter das Grabmal der Caecilia: Metella: , die bekannteste Ruine der Campagna , ein Rundbau von zwanzig Meter Durchmesser , auf viereckiger Basis , mit Travertin verkleidet . 001941 000143 die Inschrift auf einer Marmortafel lautet : Caecilia Q. Cretici f+ f(iliae) +f Metellae Crassi , der Tochter des Metellus Cretius , Schwiegertochter des Triumvirn Crassus . 001942 000143 das Innere ( Trkg. ) enthielt die Grabkammern " . 001943 000143 sie hielt inne und sann . 001944 000143 " Trkg. - was heiát denn das ? " . 001945 000143 " Trinkgeld " , sagte ich . 001946 000143 " aber ich habe dich etwas anderes gefragt - " . 001947 000143 " Entschuldigung " . 001948 000143 sie klappte ihren Baedeker zusammen . 001949 000143 " was hast du gefragt ? " . 001950 000143 ich ergriff ihren Baedeker und ”ffnete ihn . 001951 000143 " das dort drben " , fragte ich , " das ist Tivoli ? " . 001952 000143 in der Ebene vor Tivoli muáte ein Flugplatz liegen , wenn auch auf den Karten in diesem Baedeker nicht zu finden ; die ganze Zeit h”rte man Motoren , genau dieses vibrierende Summen wie ber meinem Dachgarten am Central Park West , ab und zu eine DC:-7 oder Super-Constellation , die ber unsere Pinie flog , das Fahrgestell ausgeschwenkt , um zur Landung anzusetzen und irgendwo in dieser Campagna zu verschwinden . 001953 000143 " dort muá der Flugplatz sein " , sagte ich . 001954 000143 es interessierte mich tats„chlich . 001955 000144 " was du gefragt hast ? " fragte sie . 001956 000144 " wie deine Mama eigentlich heiát " . 001957 000144 " Piper ! " sagte sie . 001958 000144 " wie sonst ? " . 001959 000144 ich meinte natrlich den Vornamen . 001960 000144 " Hanna " . 001961 000144 sie hatte sich schon wieder erhoben , um ber das Gestrpp zu sp„hen , ihre beiden H„nde in den Hosentaschen , ihr r”tlicher Roáschwanz auf der Schulter . 001962 000144 sie merkte mir nichts an . 001963 000144 f+ " my goodness ! " +f sagte sie . 001964 000144 " was die zusammenfressen da unten , das nimmt ja kein Ende - jetzt fangen sie noch mit Frchten an ! " . 001965 000144 sie stampfte wie ein Kind . 001966 000144 " Herrgott " , sagte sie , " ich sollte verschwinden " . 001967 000144 dann meine Fragen : hat Mama einmal in Zrich studiert ? . 001968 000144 was ? . 001969 000144 wann ? . 001970 000144 ich fragte weiter , obschon das M„dchen , wie gesagt , verschwinden sollte . 001971 000144 ihre Antworten etwas unwillig , aber ausreichend . 001972 000144 " Walter , das weiá ich doch nicht ! " . 001973 000144 es ging mir , versteht sich , um genaue Daten . 001974 000144 " damals war ich noch nicht dabei ! " sagte sie . 001975 000144 es amsierte sie , was ich alles wissen wollte . 001976 000144 ihrerseits keine Ahnung , was ihre Antworten bedeuten . 001977 000144 es amsierte sie , aber das „nderte nichts daran , daá Sabeth eigentlich verschwinden muáte . 001978 000144 ich saá , ich hatte ihren Unterarm gefaát , damit sie nicht davonl„uft . 001979 000144 " bitte " , sagte sie , " bitte " . 001980 000144 meine letzte Frage : " und ihr M„dchenname : - Landsberg ? " . 001981 000145 ich hatte ihren Unterarm losgelassen . 001982 000145 wie ersch”pft . 001983 000145 ich brauchte meine ganze Kraft , nur um dazusitzen . 001984 000145 vermutlich mit L„cheln . 001985 000145 ich hatte gehofft , daá sie nun davonl„uft . 001986 000145 stattdessen setzte sie sich , um ihrerseits Fragen zu stellen . 001987 000145 " hast du Mama denn gekannt ? " . 001988 000145 mein Nicken - . 001989 000145 " aber nein " , sagte sie , " wirklich ? " . 001990 000145 ich konnte einfach nicht sprechen . 001991 000145 " ihr habt euch gekannt " , sagte sie , " als Mama noch studiert hat ? " . 001992 000145 sie fand es toll ; nur toll . 001993 000145 " du " , sagte sie beim Weggehen , " das werde ich ihr aber schreiben , Mama wird sich freuen - " . 001994 000145 heute, wo ich alles weiá , ist es fr mich unglaublich , daá ich nicht schon damals , nach dem Gespr„ch an der Via Appia , alles wuáte . 001995 000145 was ich gedacht habe in diesen zehn Minuten , bis das M„dchen zurckkam , weiá ich nicht . 001996 000145 eine Art von Bilanz , das schon . 001997 000145 ich weiá nur : am liebsten w„re ich auf den Flugplatz gegangen . 001998 000145 kann sein , daá ich berhaupt nichts dachte . 001999 000145 eine šberraschung war es ja nicht , bloá die Gewiáheit . 002000 000145 ich sch„tze es , Gewiáheit zu haben . 002001 000145 wenn sie einmal da ist , dann amsiert sie mich fast . 002002 000145 Sabeth : die Tochter von Hanna ! . 002003 000145 was mir dazu einfiel : eine Heirat kam wohl nicht in Frage . 002004 000145 dabei dachte ich nicht einen Augenblick daran , daá Sabeth sogar mein eignes Kind sein k”nnte . 002005 000145 es lag im Bereich der M”glichkeit , theoretisch , aber ich dachte nicht daran . 002006 000145 genauer gesagt , ich glaubte es nicht . 002007 000145 natrlich dachte ich daran : unser Kind damals , die ganze Geschichte , bevor ich Hanna verlassen habe , unser Beschluá , daá Hanna zu einem Arzt geht , zu Joachim - . 002008 000146 natrlich dachte ich daran , aber ich konnte es einfach nicht glauben , weil zu unglaublich , daá dieses M„dchen , das kurz darauf wieder auf unseren Grabhgel zurckkletterte , mein eignes Kind sein soll . 002009 000146 " Walter " , fragte sie , " was ist los ? " . 002010 000146 Sabeth ganz ahnungslos . 002011 000146 " weiát du " , sagte sie , " du rauchst auch zuviel ! " . 002012 000146 dann unser Gespr„ch ber Aquaedukte - . 002013 000146 um zu reden ! . 002014 000146 meine Erkl„rung der Kommunizierenden R”hre . 002015 000146 " jaja " , sagte sie , " das haben wir gehabt " . 002016 000146 ihr Spaá , als ich beweise , daá die alten R”mer , w„ren sie bloá im Besitz dieser Skizze auf meiner Zigarettenschachtel gewesen , mindestens 90 % ihrer Maurerarbeit h„tten sparen k”nnen . 002017 000146 wir lagen wieder im Gras . 002018 000146 die Flugzeuge ber uns - . 002019 000146 " weiát du " , sagte sie , " eigentlich solltest du nicht zurckfliegen " . 002020 000146 es war unser vorletzter Tag . 002021 000146 " einmal mssen wir uns doch trennen , mein liebes Kind , so oder so - " . 002022 000146 ich beobachtete sie . 002023 000146 " natrlich " , sagte sie - sie hatte sich aufgesetzt , um einen Halm zu nehmen , dann Blick gradaus ; der Gedanke , daá wir uns trennen , machte ihr nichts aus , so schien mir , berhaupt nichts . 002024 000146 sie steckte den Halm nicht zwischen die Z„hne , sondern wickelte ihn um den Finger und sagte : " natrlich - " . 002025 000146 ihrerseits kein Gedanke an Heirat ! . 002026 000147 " ob Mama sich noch an dich erinnert ? " . 002027 000147 es amsierte sie . 002028 000147 " Mama als Studentin " , sagte sie , " das kann ich mir nicht vorstellen , weiát du , Mama als Studentin mit einer Bude , sagst du , mit einer Dachbude - davon hat Mama nie erz„hlt " . 002029 000147 es amsierte sie . 002030 000147 " wie war sie denn ? " . 002031 000147 ich hielt ihren Kopf so , daá sie sich nicht rhren konnte , mit beiden H„nden , wie man beispielsweise den Kopf eines Hundes h„lt . 002032 000147 ich sprte ihre Kraft , die ihr aber nichts ntzte , die Kraft ihres Nackens ; meine H„nde wie ein Schraubstock . 002033 000147 sie schloá die Augen . 002034 000147 ich káte nicht . 002035 000147 ich hielt bloá ihren Kopf . 002036 000147 wie eine Vase , leicht und zerbrechlich , dann immer schwerer . 002037 000147 " du " , sagte sie , " du tust mir weh - " . 002038 000147 meine H„nde hielten ihren Kopf , bis sie langsam die Augen aufmachte , um zu sehen , was ich eigentlich will : ich wuáte es selber nicht . 002039 000147 " im Ernst " , sagte sie , " du tust mir weh ! " . 002040 000147 es war an mir , irgendetwas zu sagen ; sie schloá wieder ihre Augen , wie ein Hund , wenn man ihn so festh„lt . 002041 000147 dann meine Frage - . 002042 000147 " laá mich ! " sagte sie . 002043 000147 ich wartete auf Antwort . 002044 000147 " nein " , sagte sie , " du bist nicht der erste Mann in meinem Leben , das hast du doch gewuát - " . 002045 000147 nichts hatte ich gewuát . 002046 000147 " nein " , sagte sie , " mach dir keine Sorge - " . 002047 000147 wie sie sich das gepreáte Haar aus den Schl„fen strich , man h„tte meinen k”nnen , es geht nur um die Haare . 002048 000147 sie nahm den Kamm aus ihrer schwarzen Cowboy-Hose , um sich zu k„mmen , w„hrend sie erz„hlte , beziehungsweise nicht erz„hlte , sondern nur so bekannt gab : f+ he's teaching in Yale +f . 002049 000148 sie hatte eine Spange zwischen den Z„hnen . 002050 000148 " und der andere " , sagte sie mit der Spange zwischen den Z„hnen , w„hrend sie den Roáschwanz ausk„mmte , " den hast du ja gesehen " . 002051 000148 gemeint war wohl der Pingpong-Jngling . 002052 000148 " er will mich heiraten " , sagte sie , " aber das war ein Irrtum von mir , weiát du , ich mag ihn gar nicht " . 002053 000148 dann brauchte sie die Spange , nahm sie aus dem Mund , der nun offenblieb , dabei stumm , w„hrend sie sich zu Ende k„mmte . 002054 000148 dann blies sie den Kamm aus , Blick gegen Tivoli , und war fertig . 002055 000148 " gehen wir ? " fragte sie . 002056 000148 eigentlich wollte ich nicht sitzenbleiben , sondern mich aufrichten , meine Schuhe holen , meine Schuhe anziehen , zuerst natrlich die Socken , dann die Schuhe , damit wir gehen k”nnen - . 002057 000148 " du findest mich schlimm ? " . 002058 000148 ich fand gar nichts . 002059 000148 " Walter ! " sagte sie - . 002060 000148 ich nahm mich zusammen . 002061 000148 f+ " it's okay " +f , sagte ich , f+ " it's okay " +f . 002062 000148 dann zu Fuá auf der Via Appia zurck . 002063 000148 wir saáen bereits im Wagen , als Sabeth nochmals damit anfing ( " du findest mich schlimm ? " ) und wissen wollte , was ich die ganze Zeit denke - ich steckte das Schlsselchen , um den Motor anzulassen . 002064 000148 " komm " , sagte ich , " reden wir nicht " . 002065 000148 ich wollte jetzt fahren . 002066 000149 Sabeth redete , w„hrend wir im Wagen saáen , ohne zu fahren , von ihrem Papa , von Scheidung , von Krieg , von Mama , von Emigration , von Hitler , von Ruáland - . 002067 000149 " wir wissen nicht einmal " , sagte sie , " ob Papa noch lebt " . 002068 000149 ich stellte den Motor ab . 002069 000149 " hast du den Baedeker ? " fragte sie . 002070 000149 sie studierte die Karte . 002071 000149 " das ist die Porta San Sebastiano " , sagte sie , " jetzt rechts , dann kommen wir zu San Giovanni in Laterano ! " . 002072 000149 ich lieá den Motor wieder an . 002073 000149 " ich habe ihn gekannt " , sagte ich - . 002074 000149 " Papa ? " . 002075 000149 " Joachim " , sagte ich , " ja - " . 002076 000149 dann fuhr ich , wie befohlen : zur Porta San Sebastiano , dann rechts , bis wieder eine Basilika vor uns stand . 002077 000149 wir besichtigten weiter . 002078 000149 vielleicht bin ich ein Feigling . 002079 000149 ich wagte nichts mehr zu sagen , Joachim betreffend , oder zu fragen . 002080 000149 ich rechnete im stillen ( w„hrend ich redete , mehr als sonst , glaube ich ) pausenlos , bis die Rechnung aufging , wie ich sie wollte : sie konnte nur das Kind von Joachim sein ! . 002081 000149 wie ich's rechnete , weiá ich nicht ; ich legte mir die Daten zurecht , bis die Rechnung wirklich stimmte , die Rechnung als solche . 002082 000149 in der Pizzeria , als Sabeth eine Weile weggegangen war , genoá ich es , die Rechnung auch noch schriftlich zu berprfen . 002083 000149 sie stimmte ; ich hatte ja die Daten ( die Mitteilung von Hanna , daá sie ein Kind erwartet , und meine Abreise nach Bagdad ) so gew„hlt , daá die Rechnung stimmte ; fix blieb nur der Geburtstag von Sabeth , der Rest ging nach Adam Riese , bis mir ein Stein vom Herzen fiel . 002084 000150 ich weiá , daá das M„dchen mich an jenem Abend lustiger fand als je , geradezu witzig . 002085 000150 wir saáen bis Mitternacht in dieser volkstmlichen Pizzeria zwischen Pantheon und Piazza Colonna , wo die Gitarrens„nger , nachdem sie vor den Touristen-Restaurants gebettelt haben , ihre Pizza essen und Chianti per Glas trinken ; ich zahlte ihnen Runde um Runde , und die Stimmung war ganz groá . 002086 000150 " Walter " , sagte sie , " haben wir es toll ! " . 002087 000150 auf dem Weg zu unserem Hotel ( Via Veneto ) waren wir vergngt , nicht betrunken , aber geradezu geistreich - bis zum Hotel , wo man uns die groáe Glastre h„lt und in der Alabaster-Halle sofort die Zimmerschlssel berreicht , gem„á unsrer eignen Anmeldung : f+ " Mister Faber , Miss Faber - goodnight ! " +f . 002088 000150 ich weiá nicht , wie lange ich in meinem Zimmer stand , ohne die Vorh„nge zu ziehen , so ein Grandhotel-Zimmer : viel zu groá , viel zu hoch . 002089 000150 ich stand , ohne mich auszuziehen . 002090 000150 wie ein Apparat , der die Information bekommt : wasch dich ! - aber nicht funktioniert . 002091 000150 " Sabeth " fragte ich , " was ist los ? " . 002092 000150 sie stand vor meiner Tre ; ohne zu klopfen . 002093 000150 " sag's doch ! " sagte ich . 002094 000150 sie stand barfuá und trug ihr gelbes Pyjama , darber ihren schwarzen Kapuzenmantel ; sie wollte nicht eintreten , sondern nur nochmals Gutnacht sagen . 002095 000150 ich sah ihre verheulten Augen - . 002096 000150 " warum soll ich dich nicht mehr lieb haben ? " fragte ich . 002097 000150 " wegen Hardy oder wie er heiát ? " . 002098 000150 pl”tzlich ihr Schluchzen - . 002099 000150 sp„ter schlief sie , ich hatte sie zugedeckt , denn die Nacht durchs offene Fenster war khl ; die W„rme , scheint es , beruhigte sie , so daá sie wirklich schlief trotz L„rm drauáen in der Straáe , trotz ihrer Angst , daá ich fortgehe . 002100 000151 es muáte eine Stop-Straáe sein , daher der L„rm : Motorr„der , die im Leerlauf aufheulen , dann schalten , am schlimmsten ein Alfa Romeo , der immer wieder kommt und jedesmal wie zu einem Rennstart ansetzt , sein Hall zwischen den H„usern , kaum drei Minuten lang blieb es ruhig , dann und wann der Glockenschlag einer r”mischen Kirche , dann neuerdings Hupen , Stop mit quietschenden Pneus , Vollgas auf Leerlauf , sinnlos , Lausbberei , dann wieder das blecherne Dr”hnen , es schien wirklich der gleiche Alfa Romeo zu sein , der uns die ganze Nacht lang umkreiste . 002101 000151 ich wurde immer wacher . 002102 000151 ich lag neben ihr , nicht einmal die staubigen Schuhe und meine Krawatte hatte ich ausgezogen , ich konnte mich nicht rhren , da ihr Kopf an meiner Schulter lag . 002103 000151 in den Vorh„ngen blieb der Schein einer Bogenlampe , die ab und zu wankte , und ich lag wie gefoltert , da ich mich nicht rhren konnte ; das schlafende M„dchen hatte ihre Hand auf meine Brust gelegt , beziehungsweise auf meine Krawatte , so daá sie zog , die Krawatte . 002104 000151 ich h”rte Stundenschlag um Stundenschlag , w„hrend Sabeth schlief , ein schwarzes Bndel mit heiáem Haar und Atem , meinerseits nicht imstande , vorw„rts zu denken . 002105 000151 dann wieder der Alfa Romeo , sein Hupen in den Gassen , Bremsen , Vollgas im Leerlauf , Schalten , sein blechernes Dr”hnen in der Nacht - . 002106 000151 was ist denn meine Schuld ? . 002107 000151 ich habe sie auf dem Schiff getroffen , als man auf die Tischkarten wartete , ein M„dchen mit baumelndem Roáschwanz vor mir . 002108 000151 sie war mir aufgefallen . 002109 000152 ich habe sie angesprochen , wie sich Leute auf einem solchen Schiff eben ansprechen ; ich habe dem M„dchen nicht nachgestellt . 002110 000152 ich habe dem M„dchen nichts vorgemacht , im Gegenteil , ich habe offener mit ihr gesprochen , als es sonst meine Art ist , beispielsweise ber mein Junggesellentum . 002111 000152 ich habe einen Heiratsantrag gemacht , ohne verliebt zu sein , und wir haben sofort gewuát , daá es Unsinn ist , und wir haben Abschied genommen . 002112 000152 warum habe ich sie in Paris gesucht ! . 002113 000152 wir sind zusammen in die Opera gegangen , und nachher nahmen wir noch ein Eis , dann fuhr ich sie , ohne sie l„nger aufzuhalten , zu ihrem billigen Hotel bei Saint Germain , ich habe ihr angeboten , ihre Autostop-Fahrt mit mir zu machen , da ich den Citroen von Williams hatte , und in Avignon , wo wir zum ersten Mal bernachteten , wohnten wir selbstverst„ndlich ( alles andere h„tte auf eine Absicht schlieáen lassen , die ich gar nicht hatte ) im gleichen Hotel , aber nicht einmal auf der gleichen Etage ; ich dachte nicht einen Augenblick daran , daá es dazu kommen wrde . 002114 000152 ich erinnere mich genau . 002115 000152 es war die Nacht ( 13. V. ) mit der Mondfinsternis , die uns berraschte ; ich hatte keine Zeitung gelesen , und wir waren nicht darauf gefaát . 002116 000152 ich sagte : was ist denn mit dem Mond los ? . 002117 000152 wir hatten im Freien gesessen , und es war ungef„hr zehn Uhr , Zeit zum Aufbrechen , da wir in der Morgenfrhe weiterfahren wollten . 002118 000152 die bloáe Tatsache , daá drei Himmelsk”rper , Sonne und Erde und Mond , gelegentlich in einer Geraden liegen , was notwendigerweise eine Verdunkelung des Mondes verursacht , brachte mich aus der Ruhe , als wisse ich nicht ziemlich genau , was es mit einer Mondfinsternis auf sich hat - ich zahlte , als ich den runden Erdschatten auf dem Vollmond bemerkte , sofort unseren Kaffee , und wir gingen Arm in Arm hinauf zur Terrasse ber der Rhone , um eine volle Stunde lang , nachwievor Arm in Arm , in der Nacht zu stehen und die verst„ndliche Erscheinung zu verfolgen . 002119 000153 ich erkl„rte dem M„dchen noch , wieso der Mond , vom Erdschatten g„nzlich berdeckt , trotzdem so viel Licht hat , daá wir ihn deutlich sehen konnten , im Gegensatz zum Neumond , deutlicher sogar als sonst : nicht als leuchtende Scheibe wie sonst , sondern deutlich als Kugel , als Ball , als K”rper , als Gestirn , als eine ungeheure Masse im leeren All , orange . 002120 000153 ich erinnere mich nicht , was ich alles redete in jener Stunde . 002121 000153 das M„dchen fand damals ( daran erinnere ich mich ) zum ersten Mal , daá ich uns beide ernstnehme , und káte mich wie nie vorher . 002122 000153 dabei war es , als bloáer Anblick , eher beklemmend , eine immerhin ungeheure Masse , die da im Raum schwebt , beziehungsweise saust , was die sachlich gerechtfertigte Vorstellung nahelegte , daá wir , die Erde , ebenso im Finstern schweben , beziehungsweise sausen . 002123 000153 ich redete von Tod und Leben , glaube ich , ganz allgemein , und wir waren beide aufgeregt , da wir noch nie eine dermaáen klare Mondfinsternis gesehen hatten , auch ich nicht , und zum ersten Mal hatte ich den verwirrenden Eindruck , daá das M„dchen , das ich bisher fr ein Kind hielt , in mich verliebt war . 002124 000153 jedenfalls war es das M„dchen , das in jener Nacht , nachdem wir bis zum Schlottern drauáen gestanden hatten , in mein Zimmer kam - . 002125 000153 dann das Wiedersehen mit Hanna . 002126 000153 ( 3. VI. in Athen ) . 002127 000153 ich erkannte sie schon , bevor ich erwacht war . 002128 000153 sie redete mit der Diakonissin . 002129 000154 ich wuáte , wo ich bin , und wollte fragen , ob die Operation gemacht ist - aber ich schlief , vollkommen ersch”pft , ich verdurstete , aber ich konnte es nicht sagen . 002130 000154 dabei h”rte ich ihre Stimme , griechisch . 002131 000154 man hatte mir Tee gebracht , aber ich konnte ihn nicht nehmen ; ich schlief , ich h”rte alles und wuáte , daá ich schlief , und ich wuáte : wenn ich erwache , dann vor Hanna . 002132 000154 pl”tzlich die Stille - . 002133 000154 mein Schrecken , das Kind sei tot . 002134 000154 pl”tzlich liege ich mit offenen Augen : - das weiáe Zimmer , ein Laboratorium , die Dame , die vor dem Fenster steht und meint , ich schlafe und sehe sie nicht . 002135 000154 ihr graues Haar , ihre kleine Gestalt . 002136 000154 sie wartet , beide H„nde in den Taschen ihres Jacketts , Blick zum Fenster hinaus . 002137 000154 sonst niemand im Zimmer . 002138 000154 eine Fremde . 002139 000154 ihr Gesicht ist nicht zu sehen , nur ihr Nacken , ihr Hinterkopf , ihr kurzgeschnittenes Haar . 002140 000154 ab und zu nimmt sie ihr Taschentuch , um sich zu schneuzen , und steckt es sofort wieder zurck , beziehungsweise knllt es in ihrer nerv”sen Hand zusammen . 002141 000154 sonst reglos . 002142 000154 sie tr„gt eine Brille , schwarz , Hornbrille . 002143 000154 es k”nnte sich um eine Žrztin handeln , eine Anw„ltin oder so etwas . 002144 000154 sie weint . 002145 000154 einmal greift sie mit der Hand unter ihre Hornbrille , als halte sie ihr Gesicht ; eine ganze Weile . 002146 000154 dann braucht sie ihre beiden H„nde , um das nasse Taschentuch nochmals aufzufalten , dann steckt sie's wieder ein und wartet , Blick zum Fenster hinaus , wo nichts zu sehen ist als Sonnenstores . 002147 000154 ihre Gestalt : sportlich , geradezu m„dchenhaft , w„ren nicht ihre grauen oder weiáen Haare . 002148 000154 dann nimmt sie's nochmals , ihr Taschentuch , um die Brille zu putzen , dabei sehe ich endlich ihr nacktes Gesicht , das braun ist - es k”nnte , abgesehen von ihren blauen Augen , das Gesicht von einem alten Indio sein . 002149 000155 ich tat , als schliefe ich . 002150 000155 Hanna mit weiáen Haaren ! . 002151 000155 offenbar hatte ich tats„chlich nochmals geschlafen - eine halbe Minute oder eine halbe Stunde , bis mein Kopf von der Wand rutschte , so daá ich erschrak - sie sah , daá ich wach bin . 002152 000155 sie sagte kein Wort , sondern blickte mich nur an . 002153 000155 sie saá , ihre Beine verschr„nkt , und sttzte ihren Kopf , sie rauchte . 002154 000155 " wie geht es ? " fragte ich . 002155 000155 Hanna rauchte weiter . 002156 000155 " hoffen wir das beste " , sagt sie , " es ist gemacht - hoffen wir das beste " . 002157 000155 " sie lebt ? " . 002158 000155 " ja " , sagt sie - . 002159 000155 von Begráung kein Wort . 002160 000155 " Dr. Eleutheropulos war gerade hier " , sagt sie , " es ist keine Kreuzotter gewesen , meint er - " . 002161 000155 sie fllte eine Tasse fr mich . 002162 000155 " komm " , sagt sie , " trink deinen Tee " . 002163 000155 es kam mir ( ohne Verstellung ) nicht in den Sinn , daá man sich zwanzig Jahre nicht mehr gesprochen hatte ; wir redeten ber die Operation , die vor einer Stunde gemacht worden war , oder nichts . 002164 000155 wir warteten gemeinsam auf weitere Meldungen des Arztes . 002165 000155 ich leerte Tasse um Tasse . 002166 000155 " das weiát du " , sagte sie , " daá sie dir auch eine Injektion gemacht haben ? " . 002167 000155 davon hatte ich nichts gemerkt . 002168 000156 " nur zehn Kubikzentimeter , nur prophylaktisch " , sagt sie , " wegen der Mundschleimhaut " . 002169 000156 Hanna berhaupt sehr sachlich . 002170 000156 " wie ist das gekommen ? " fragt sie . 002171 000156 " ihr seid heute in Korinth gewesen ? " . 002172 000156 ich fror . 002173 000156 " wo hast du denn deine Jacke ? " . 002174 000156 meine Jacke lag am Meer . 002175 000156 " seit wann seid ihr in Griechenland ? " . 002176 000156 ich staunte ber Hanna ; ein Mann , ein Freund , h„tte nicht sachlicher fragen k”nnen . 002177 000156 ich versuchte auch sachlich zu antworten . 002178 000156 wozu hundertmal versichern , daá ich nichts dafr kann ! . 002179 000156 Hanna machte ja keinerlei Vorwrfe , sondern fragte bloá , Blick zum Fenster hinaus . 002180 000156 sie fragte , ohne mich anzublicken : " was hast du gehabt mit dem Kind ? " . 002181 000156 dabei war sie sehr nerv”s , ich sah es . 002182 000156 " wieso keine Kreuzotter ? " frage ich . 002183 000156 " komm " , sagt sie , " trink deinen Tee ! " . 002184 000156 " seit wann tr„gst du eine Brille ? " frage ich - . 002185 000156 ich hatte die Schlange nicht gesehen , nur geh”rt , wie Sabeth schrie . 002186 000156 als ich kam , lag sie bewuátlos . 002187 000156 ich hatte gesehen , wie Sabeth gestrzt war , und lief zu ihr . 002188 000156 sie lag im Sand , bewuátlos infolge ihres Sturzes , vermutete ich . 002189 000156 dann erst sah ich die Biáwunde oberhalb der Brust , klein , drei Stiche nahe zusammen , ich begriff sofort . 002190 000156 sie blutete nur wenig . 002191 000156 natrlich sog ich die Wunde sofort aus , wie vorgeschrieben , wuáte , daá man abbinden sollte gegen das Herz hin . 002192 000156 aber wie ? . 002193 000156 der Biá war oberhalb der linken Brust . 002194 000157 ich wuáte : sofortiges Ausschneiden der Wunde beziehungsweise Ausbrennen . 002195 000157 ich schrie um Hilfe , aber ich war schon auáer Atem , bevor ich die Straáe erreicht hatte , die Verunglckte auf den Armen , das Stapfen im weichen Sand , dazu die Verzweiflung , als ich den Ford vorbeifahren sah , ich schrie , so laut ich konnte . 002196 000157 aber der Ford fuhr vorbei . 002197 000157 ich stand auáer Atem , die Bewuátlose auf den Armen , die immer schwerer wurde , ich konnte sie kaum noch halten , weil sie in keiner Weise half . 002198 000157 es war die richtige Straáe , aber kein Fahrzeug weit und breit . 002199 000157 ich verschnaufte , dann weiter auf dieser Straáe mit gekiestem Teer , zuerst Laufschritt , dann langsam und immer langsamer , ich war barfuá . 002200 000157 es war Mittag . 002201 000157 ich weinte und ging , bis endlich dieser Zweir„der kam . 002202 000157 vom Meer herauf . 002203 000157 ein Arbeiter , der nur griechisch redete , aber sofort verstand angesichts der Wunde . 002204 000157 ich saá auf dem holpernden Karren , der mit nassem Kies beladen war , mein M„dchen auf den Armen , so wie es gerade war , n„mlich im Badkleid ( Bikini ) und sandig . 002205 000157 es schttelte den Kies , so daá ich die Bewuátlose in den Armen tragen muáte weiterhin , und es schttelte auch mich . 002206 000157 ich bat den Arbeiter , geschwinder zu fahren . 002207 000157 der Esel gab nicht mehr Tempo als ein Fuág„nger . 002208 000157 es war ein „chzender Karren mit schiefen wackligen R„dern , ein Kilometer wurde zur Ewigkeit ; ich saá so , daá ich rckw„rts schaute . 002209 000157 aber von einem Auto keine Spur . 002210 000157 ich verstand nicht , was der Grieche redete , warum er stoppte bei einem Ziehbrunnen , er band den Esel an ; dazu Zeichen , ich sollte warten . 002211 000157 ich beschwor ihn , weiterzufahren und keine Zeit zu verlieren ; ich wuáte nicht , was er im Sinn hatte , als er mich allein auf dem Kieskarren lieá , allein mit der Verunglckten , die Serum brauchte . 002212 000158 ich sog neuerdings ihre Wunde aus . 002213 000158 offenbar ging er zu den Htten , um Hilfe zu holen . 002214 000158 ich wuáte nicht , wie er sich das vorstellte , Hilfe mit Kr„utern oder Aberglauben oder was weiá ich . 002215 000158 er pfiff , dann ging er weiter , da keinerlei Antwort aus den Htten . 002216 000158 ich wartete ein paar Minuten , dann los , ohne zu berlegen , weiter , die Verunglckte auf den Armen , zuerst wieder im Laufschritt , bis ich neuerdings auáer Atem war . 002217 000158 ich konnte einfach nicht mehr . 002218 000158 ich legte sie an die Straáenb”schung , weil Laufen sowieso sinnlos ; ich konnte sie ja nicht nach Athen tragen . 002219 000158 entweder kam ein Motorfahrzeug , das uns aufnimmt , oder es kam nicht . 002220 000158 als ich wieder ihre kleine Wunde oberhalb der Brust aussog , sah ich , daá Sabeth langsam zum Bewuátsein kommt : ihre Augen weit offen , aber ohne Blick , sie klagt nur ber Durst , ihre Stimme vollkommen heiser , ihr Puls sehr langsam , dann Erbrechen , dazu Schweiá . 002221 000158 ich sah jetzt die bl„ulich-rote Schwellung um ihre Wunde . 002222 000158 ich lief , um Wasser zu suchen . 002223 000158 ringsum nichts als Ginster , Disteln , Oliven auf einem trockenen Acker , kein Mensch , ein paar Ziegen im Schatten , ich konnte rufen und schreien , soviel ich wollte - es war Mittag , Totenstille , ich kniete neben Sabeth ; sie war nicht bewuátlos , nur sehr schl„frig , wie gel„hmt . 002224 000158 zum Glck sah ich den Lastwagen noch zeitig genug , so daá ich auf die Straáe laufen konnte ; er stoppte , ein Lastwagen mit einem Bndel langer Eisenr”hren . 002225 000158 sein Fahrziel war nicht Athen , sondern Megara , immerhin unsere Richtung . 002226 000158 ich saá nun neben dem Fahrer , die Verunglckte auf meinen Armen . 002227 000158 das Scheppern der langen R”hren , dazu das m”rderische Tempo ; kaum dreiáig Stundenkilometer auf gerader Strecke ! . 002228 000158 ich hatte meine Jacke am Meer , mein Geld in der Jacke - in Megara , wo er stoppte , gab ich dem Fahrer , der ebenfalls nur Griechisch versteht , meine Omega-Uhr , damit er unverzglich weiterf„hrt , ohne seine R”hren abzuladen . 002229 000159 in Eleusis , wo er tanken muáte , ging wieder eine Viertelstunde verloren . 002230 000159 ich werde diese Strecke nie vergessen . 002231 000159 ob er frchtete , daá ich meine Omega-Uhr zurckfordere , wenn ich mit einem schnelleren Vehikel weiterfahren k”nnte , oder was er sich dabei dachte , weiá ich nicht ; jedenfalls verhinderte er es zweimal , daá ich umstieg . 002232 000159 einmal war es ein Bus , ein Pullmann , einmal eine Limousine , die ich mit Winken hatte stoppen k”nnen ; mein Fahrer redete griechisch , und die andern fuhren weiter . 002233 000159 er lieá es sich einfach nicht nehmen , unser Retter zu sein , dabei war er ein miserabler Fahrer . 002234 000159 in der Steigung nach Daphni kamen wir kaum voran . 002235 000159 Sabeth schlief , und ich wuáte nicht , ob sie ihre Augen je wieder aufmachen wrde . 002236 000159 endlich die Vororte von Athen , aber es ging immer langsamer ; die Verkehrslichter , die blichen Stockungen , unser Lastwagen mit langen R”hren hinten heraus war unbeweglicher als alle anderen , die kein Serum brauchten , die scheuáliche Stadt , Wirrwarr mit Straáenbahn und Eselskarren , natrlich wuáte unser Fahrer nicht , wo ein Hospital ist , er muáte fragen , ich hatte den Eindruck , er findet es nie , ich schloá meine Augen oder blickte auf Sabeth , die ganz langsam atmete . 002237 000159 ( alle Krankenh„user liegen am andern Ende von Athen ) . 002238 000159 unser Fahrer , da er vom Land kam , kannte nicht einmal die Straáennamen , die man ihm nannte , ich verstand immer nur : f+ Leofores , Leofores +f , ich versuchte zu helfen , aber konnte ja nicht einmal lesen - wir h„tten es nie gefunden , w„re nicht der junge Bursche auf unser Trittbrett gestiegen , um uns zu fhren . 002239 000159 dann dieses Vorzimmer - . 002240 000160 lauter griechische Fragen - . 002241 000160 endlich die Diakonissin , die englisch versteht , eine Person von satanischer Ruhe : ihre Hauptsorge , unsere Personalien zu wissen ! . 002242 000160 der Arzt , der das M„dchen behandelt hatte , beruhigte uns . 002243 000160 er verstand englisch und antwortete griechisch ; Hanna bersetzte mir das Wichtige , seine Erkl„rung , warum keine Kreuzotter , sondern eine Viper ( Aspisviper ) , seines Erachtens hatte ich das Einzigrichtige unternommen : Transport ins Hospital . 002244 000160 von den volkstmlichen Maánahmen ( Aussaugen der Biáwunde , Ausschneiden oder Ausbrennen , Abschnren der betroffenen Gliedmaáen ) hielt er als Fachmann nicht viel ; zuverl„ssig nur die Serum-Injektion innerhalb drei bis vier Stunden , das Ausschneiden der Biáwunde nur als zus„tzliche Maánahme . 002245 000160 er wuáte nicht , wer ich bin . 002246 000160 ich war auch in einem Zustand ; verschwitzt und verstaubt , wie der Arbeiter auf dem Kieskarren , dazu Teer an den Fáen , zu schweigen von meinem Hemd , ein Landstreicher , barfuá und ohne Jacke , der Arzt kmmerte sich um meine Fáe , die er der Diakonissin berlieá , und redete nur mit Hanna , bis Hanna mich vorstellte . 002247 000160 f+ " Mister Faber is a friend of mine " +f . 002248 000160 was mich beruhigte : die Mortalit„t bei Schlangenbiá ( Kreuzotter , Vipern aller Art ) betr„gt drei bis zehn Prozent , sogar bei Biá von Kobra nicht ber fnfundzwanzig Prozent , was in keinem Verh„ltnis steht zu der abergl„ubischen Angst vor Schlangen , die man allgemein noch hat . 002249 000160 Hanna war auch ziemlich beruhigt - . 002250 000161 wohnen konnte ich bei Hanna . 002251 000161 ich wollte aber das Hospital nicht verlassen , ohne das M„dchen gesehen zu haben , ich bestand darauf , das M„dchen zu sehen , wenn auch nur fr eine Minute , und fand Hanna ( der Arzt willigte sofort ein ! ) sehr sonderbar - sie lieá mich , als wollte ich ihr die Tochter stehlen , nicht eine Minute lang im Krankenzimmer . 002252 000161 " komm " , sagt sie , - " sie schl„ft jetzt " . 002253 000161 vielleicht ein Glck , daá das Kind uns nicht mehr erkannt hat ; sie schlief mit offenem Mund ( sonst nicht ihre Art ) und war sehr blaá , ihr Ohr wie aus Marmor , sie atmete in Zeitlupentempo , jedoch regelm„áig , sozusagen zufrieden , und einmal , w„hrend ich vor ihrem Bett stand , dreht sie den Kopf nach meiner Seite . 002254 000161 aber sie schlief . 002255 000161 " komm " , sagt Hanna , " laá sie ! " . 002256 000161 ich w„re lieber in irgendein Hotel gefahren . 002257 000161 warum sagte ich's nicht ? . 002258 000161 vielleicht w„re es Hanna auch lieber gewesen . 002259 000161 wir hatten einander noch nicht einmal die Hand gegeben . 002260 000161 im Taxi , als es mir bewuát wurde , sagte ich : " grá dich ! " . 002261 000161 ihr L„cheln , wie stets ber meine verfehlten Witze : mit einem Rmpfen ihrer Stirne zwischen den Brauen . 002262 000161 sie glich ihrer Tochter schon sehr . 002263 000161 ich sagte natrlich nichts . 002264 000161 " wo hast du Elsbeth kennengelernt ? " fragt sie . 002265 000161 " auf dem Schiff ? " . 002266 000161 Sabeth hatte geschrieben : von einem „lteren Herrn , der ihr auf dem Schiff , kurz vor Le Havre , einen Heiratsantrag gemacht habe . 002267 000161 " stimmt das ? " fragt sie . 002268 000161 unser Taxi-Gespr„ch : lauter Fragen , keine Antworten . 002269 000162 wieso ich sie Sabeth nenne ? . 002270 000162 als Frage auf meine Frage : wieso Elsbeth ? . 002271 000162 dazwischen ihre Hinweise : das Dionysos-Theater . 002272 000162 wieso ich sie Sabeth nenne : weil Elisabeth , fand ich , ein unm”glicher Name ist . 002273 000162 dazwischen wieder ein Hinweis auf kaputte S„ulen . 002274 000162 wieso gerade Elisabeth ? . 002275 000162 ich wrde nie ein Kind so nennen . 002276 000162 dazwischen Stoplichter , die blichen Stockungen . 002277 000162 nun heiát sie eben Elisabeth , nichts zu machen , auf Wunsch ihres Vaters . 002278 000162 dazwischen redete sie mit dem Fahrer , der einen Fuág„nger beschimpfte , griechisch , ich hatte den Eindruck , wir fahren im Kreis herum , und es machte mich nerv”s , obschon wir jetzt , pl”tzlich , Zeit hatten ; dann ihre Frage : " hast du Joachim je wiedergesehen ? " . 002279 000162 ich fand Athen eine gr„áliche Stadt , Balkan , ich konnte mir nicht vorstellen , wo man hier wohnt , Kleinstadt , teilweise sogar Dorf , levantinisch , Gewimmel von Leuten mitten auf der Straáe , dann wieder Ein”de , Ruinen , dazwischen Imitation von Groástadt , gr„álich , wir hielten kurz nach ihrer Frage . 002280 000162 " hier ? " frage ich - . 002281 000162 " nein " , sagt sie , " ich komme gleich " . 002282 000162 es war das Institut , wo Hanna arbeitet , und ich muáte im Taxi warten , ohne eine Zigarette zu haben ; ich versuchte Anschriften zu lesen und kam mir wie ein Analphabet vor , v”llig verloren . 002283 000162 dann zurck zur Stadt - . 002284 000162 als sie aus dem Institut gekommen war , hatte ich Hanna , offen gestanden , nicht wieder erkannt ; sonst h„tte ich die Taxi-Tre selbstverst„ndlich ge”ffnet . 002285 000162 dann ihre Wohnung . 002286 000162 " ich geh voran " , sagt sie . 002287 000163 Hanna geht voran , die Dame mit grauem und kurzgeschnittenem Haar , mit Hornbrille , die Fremde , aber Mutter von Sabeth beziehungsweise Elsbeth ( sozusagen meine Schwiegermutter ! ) , ab und zu wundert es mich , daá man sich so ohne weiteres duzt . 002288 000163 " komm " , sagt sie , " mach es dir bequem " . 002289 000163 Wiedersehen nach zwanzig Jahren , damit hatte ich nicht gerechnet , Hanna auch nicht , brigens hat sie recht : es sind einundzwanzig Jahre , genau gerechnet . 002290 000163 " komm " , sagt sie , " setz dich " . 002291 000163 meine Fáe schmerzten . 002292 000163 ich wuáte natrlich , daá sie ihre Frage ( " was hast du gehabt mit dem M„dchen ? " ) frher oder sp„ter wiederholen wird , und ich h„tte schw”ren k”nnen : nichts ! - ohne zu lgen , denn ich glaubte es selbst nicht , sowie ich Hanna vor mir sah . 002293 000163 " Walter " , sagt sie , " warum setzt du dich nicht ? " . 002294 000163 mein Trotz , zu stehen - . 002295 000163 Hanna zog die Sonnenstores herauf . 002296 000163 Hauptsache , daá das Kind gerettet ist ! - ich sagte es mir ununterbrochen , w„hrend ich irgendetwas redete oder schwieg , Zigaretten von Hanna rauchte ; sie r„umte Bcher aus den Sesseln , damit ich mich setzen k”nnte . 002297 000163 " Walter " , fragt sie , " hast du Hunger ? " . 002298 000163 Hanna als Mutter - . 002299 000163 ich wuáte nicht , was denken . 002300 000163 " eine hbsche Aussicht " , sage ich , " was du hier hast ! . 002301 000163 das also ist diese berhmte Akropolis ? " . 002302 000163 " nein " , sagt sie , " das ist der Lykabettos " . 002303 000163 sie hatte immer schon diese Art , geradezu eine Manie , noch in Nebensachen ganz genau zu sein : nein , das ist der Lykabettos ! . 002304 000164 ich sage es ihr : " du hast dich nicht ver„ndert ! " . 002305 000164 " meinst du " ? fragt sie . 002306 000164 " hast du dich ver„ndert ? " . 002307 000164 ihre Wohnung : wie bei einem Gelehrten , ( auch das habe ich offenbar gesagt ; sp„ter hat Hanna , in irgendeinem Gespr„ch ber M„nner , meinen damaligen Ausspruch von der Gelehrten-Wohnung zitiert als Beweis dafr , daá auch ich die Wissenschaft fr ein m„nnliches Monopol halte , berhaupt den Geist ) , - alle W„nde voller Bcher , ein Schreibtisch voller Scherben mit Etiketten versehen , im brigen fand ich auf den ersten Blick nichts Antiquarisches , im Gegenteil , die M”bel waren durchaus modern , was mich bei Hanna wunderte . 002308 000164 " Hanna " , sage ich , " du bist ja fortschrittlich geworden ! " . 002309 000164 sie l„chelte bloá . 002310 000164 " ich meine es im Ernst ! " sage ich - . 002311 000164 " noch immer ? " fragt sie . 002312 000164 manchmal verstand ich sie nicht . 002313 000164 " bist du noch immer fortschrittlich ? " fragt sie , und ich war froh , daá Hanna wenigstens l„chelte ... . 002314 000164 ich sah schon : die blichen Gewissensbisse , die man sich macht , wenn man ein M„dchen nicht geheiratet hat , erwiesen sich als berflssig . 002315 000164 Hanna brauchte mich nicht . 002316 000164 sie lebte ohne eigenen Wagen , aber dennoch zufrieden ; auch ohne Television . 002317 000164 " eine hbsche Wohnung " , sage ich , " was du da hast - " . 002318 000164 ich erw„hnte ihren Mann . 002319 000164 " der Piper " , sagt sie . 002320 000164 auch ihn brauchte sie nicht , schien es , nicht einmal ”konomisch . 002321 000164 sie lebte seit Jahren von ihrer eignen Arbeit ( worunter ich mir heute noch nichts Genaues vorstellen kann , offen gestanden ) nicht groáartig , aber immerhin . 002322 000164 ich sah es . 002323 000165 ihre Kleidung h„tte sogar vor Ivy bestehen k”nnen , und abgesehen von einer archaischen Wanduhr mit zersprungenem Zifferblatt ist ihre Wohnung , wie gesagt , durchaus modern . 002324 000165 " und wie geht's denn dir ? " fragt sie . 002325 000165 ich trug eine fremde Jacke , die man mir im Hospital geliehen hatte , und es st”rte mich , eine Jacke , die mir zu groá war , ich sprte es schon die ganze Zeit : zu weit , da ich mager bin , und dabei zu kurz , Žrmel wie von einer Bubenjacke . 002326 000165 ich zog sie sofort aus , als Hanna in die Kche ging ; jedoch mein Hemd ging auch nicht , weil blutig . 002327 000165 " wenn du ein Bad nehmen willst " , sagt Hanna , " bevor ich koche - " . 002328 000165 sie deckte den Tisch . 002329 000165 " ja " , sage ich , " ich habe geschwitzt - " . 002330 000165 sie war rhrend , dabei immer sachlich ; sie stellte den Gasbrenner an und erkl„rte , wie man abstellt , und brachte ein frisches Frottiertuch , Seife . 002331 000165 " wie geht's deinen Fáen ? " fragt sie . 002332 000165 dabei hantierte sie immer . 002333 000165 " wieso ins Hotel ? " fragt sie . 002334 000165 " das ist doch selbstverst„ndlich , daá du hier wohnen kannst - " . 002335 000165 ich fhlte mich sehr unrasiert . 002336 000165 das Bad fllte sich nur sehr langsam und dampfte , Hanna lieá kaltes Wasser hinzu , als k”nnte ich es nicht selber tun ; ich saá auf einem Hocker , unt„tig wie ein Gast , meine Fáe schmerzten sehr , Hanna ”ffnete das Fensterchen , im Dampf sah ich nur noch ihre Bewegungen , die sich nicht ver„ndert haben , berhaupt nicht . 002337 000165 " ich habe immer gemeint , du bist wtend auf mich " , sage ich , " wegen damals " . 002338 000166 Hanna nur verwundert . 002339 000166 " wieso wtend ? . 002340 000166 weil wir nicht geheiratet haben ? " sagt sie . 002341 000166 " das w„re ein Unglck gewesen - " . 002342 000166 sie lachte mich geradezu aus . 002343 000166 " im Ernst " , sagt sie , " das hast du wirklich gemeint , daá ich wtend bin , Walter , einundzwanzig Jahre lang ? " . 002344 000166 mein Bad war voll . 002345 000166 " wieso ein Unglck ? " frage ich - . 002346 000166 sonst haben wir nie wieder ber die Heiratsgeschichte von damals gesprochen . 002347 000166 Hanna hatte recht , wir hatten andere Sorgen . 002348 000166 " hast du das gewuát ? " frage ich , " daá die Mortalit„t bei Schlangenbiá nur drei bis zehn Prozent betr„gt ? " . 002349 000166 ich war erstaunt . 002350 000166 Hanna h„lt nichts von Statistik , das merkte ich bald . 002351 000166 sie lieá mich einen ganzen Vortrag halten - damals im Badezimmer - ber Statistik , um dann zu sagen : " dein Bad wird kalt " . 002352 000166 ich weiá nicht , wie lange ich in jenem Bad gelegen habe , meine verbundenen Fáe auf dem Rand der Wanne - Gedanken ber Statistik , Gedanken an Joachim , der sich erh„ngt hat , Gedanken in die Zukunft , Gedanken , bis mich fr”stelte , ich wuáte selbst nicht , was ich dachte , ich konnte mich sozusagen nicht entschlieáen , zu wissen , was ich denke . 002353 000166 ich sah die Fl„schchen und Dosen , Tuben , lauter damenhafte Utensilien , ich konnte mir Hanna schon nicht mehr vorstellen , Hanna damals , Hanna heute , eigentlich keine von beiden . 002354 000166 ich fr”stelte , aber ich hatte keine Lust , mein blutiges Hemd nochmals anzuziehen - ich antwortete nicht , als Hanna mich rief . 002355 000166 was mit mir los sei ? . 002356 000167 ich wuáte es selbst nicht . 002357 000167 ob Tee oder Kaffee ? . 002358 000167 ich war ersch”pft von diesem Tag , daher meine Entschluálosigkeit , was sonst nicht meine Art ist , und daher die Spintisiererei ( die Badewanne als Sarkophag ; etruskisch ! ) , geradezu ein Delirium von fr”stelnder Entschluálosigkeit - . 002359 000167 " ja " , sage ich , " ich komme " . 002360 000167 eigentlich hatte ich nicht im Sinn gehabt , Hanna wiederzusehen ; nach unsrer Ankunft in Athen wollte ich sofort auf den Flugplatz hinaus - . 002361 000167 meine Zeit war abgelaufen . 002362 000167 wie ich den Citroen , den Williams mir geliehen hatte und der in Bari stand , nach Paris zurckbringe , war mir r„tselhaft . 002363 000167 ich wuáte nicht einmal den Namen der betreffenden Garage ! . 002364 000167 " ja " , rufe ich . 002365 000167 " ich komme ! " . 002366 000167 dabei blieb ich liegen . 002367 000167 die Via Appia - . 002368 000167 die Mumie im Vatikan - . 002369 000167 mein K”rper unter Wasser - . 002370 000167 ich halte nichts von Selbstmord , das „ndert ja nichts daran , daá man auf der Welt gewesen ist , und was ich in dieser Stunde wnschte : nie gewesen sein ! . 002371 000167 " Walter " , fragt sie , " kommst du ? " . 002372 000167 ich hatte die Badezimmertre nicht abgeschlossen , und Hanna ( so dachte ich ) k”nnte ohne weiteres eintreten , um mich von rckw„rts mit einer Axt zu erschlagen ; ich lag mit geschlossenen Augen , um meinen alten K”rper nicht zu sehen - . 002373 000167 Hanna telefonierte . 002374 000167 warum ging's nicht ohne mich ! . 002375 000168 sp„ter , im Laufe des Abends , redete ich wieder , als w„re nichts dabei . 002376 000168 ohne Verstellung ; es war eigentlich nichts dabei , Hauptsache , daá Sabeth gerettet war . 002377 000168 dank Serum . 002378 000168 ich fragte Hanna , wieso sie nicht an Statistik glaubt , statt dessen aber an Schicksal und Derartiges . 002379 000168 " du mit deiner Statistik ! " sagt sie . 002380 000168 " wenn ich hundert T”chter h„tte , alle von einer Viper gebissen , dann ja ! . 002381 000168 dann wrde ich nur drei bis zehn T”chter verlieren . 002382 000168 erstaunlich wenig ! . 002383 000168 du hast vollkommen recht " . 002384 000168 ihr Lachen dabei . 002385 000168 " ich habe nur ein einziges Kind ! " sagt sie . 002386 000168 ich widersprach nicht , trotzdem bekamen wir beinahe Streit , pl”tzlich hatten wir die Nerven verloren . 002387 000168 es begann mit einer Bemerkung meinerseits . 002388 000168 " Hanna " , sage ich , " du tust wie eine Henne ! " . 002389 000168 es war mir so herausgerutscht . 002390 000168 " entschuldige " , sage ich , " aber es ist so ! " . 002391 000168 ich merkte erst sp„ter , was mich „rgerte : - ich war aus dem Bad gekommen , Hanna am Telefon , sie hatte das Hospital angerufen , w„hrend ich im Badezimmer war - sie redete mit Elsbeth . 002392 000168 ich h”rte alles , ohne zu wollen . 002393 000168 kein Wort ber mich - . 002394 000168 sie redete , als gebe es nur Hanna , die Mutter , die um Sabeth gebangt hatte und sich freute , daá das M„dchen sich langsam wohler fhlte , sogar reden konnte , sie redeten deutsch , bis ich ins Zimmer trat , dann wechselte Hanna auf griechisch . 002395 000168 ich verstand kein Wort . 002396 000168 dann h„ngte sie den H”rer auf . 002397 000168 " wie geht es ? " frage ich . 002398 000168 Hanna sehr erleichtert - . 002399 000169 " hast du gesagt " , frage ich , " daá ich hier bin ? " . 002400 000169 Hanna nahm sich eine Zigarette . 002401 000169 " nein " , sagt sie . 002402 000169 Hanna tat sehr merkwrdig , und ich glaubte es einfach nicht , daá das M„dchen nicht nach mir gefragt h„tte ; mindestens hatte ich ein Recht darauf , scheint mir , alles zu wissen , was gesprochen worden war . 002403 000169 " komm " , sagt Hanna , " essen wir etwas " . 002404 000169 was mich wtend machte : ihr L„cheln , als h„tte ich kein Recht darauf , alles zu wissen . 002405 000169 " komm " , sagt Hanna , " setz dich " . 002406 000169 ich setzte mich aber nicht . 002407 000169 " wieso bist du gekr„nkt , wenn ich mit meinem Kind spreche ? " sagt sie . 002408 000169 " wieso ? " . 002409 000169 sie tat wirklich ( wie es die Art aller Frauen ist , vermute ich , auch wenn sie noch so intellektuell sind ) wie eine Henne , die ihr Junges unter die Flgel nehmen muá ; daher meine Bemerkung mit der Henne , ein Wort gab das andere , Hanna war auáer sich wegen meiner Bemerkung , weibischer als ich sie je gesehen habe . 002410 000169 ihr ewiges Argument : " sie ist mein Kind , nicht dein Kind " . 002411 000169 daher meine Frage : " stimmt es , daá Joachim ihr Vater ist ? " . 002412 000169 darauf keine Antwort . 002413 000169 " laá mich ! " sagt sie . 002414 000169 " was willst du berhaupt von mir ? . 002415 000169 ich habe Elsbeth ein halbes Jahr lang nicht gesehen , pl”tzlich dieser Anruf vom Hospital , ich komme und finde sie bewuátlos - weiá nicht , was geschehen ist " . 002416 000169 ich nahm alles zurck . 002417 000169 " du " , sagt sie , " du - was hast du zu sprechen mit meiner Tochter ? . 002418 000170 was willst du berhaupt von ihr ? . 002419 000170 was hast du mit ihr ? " . 002420 000170 ich sah , wie sie zitterte . 002421 000170 Hanna ist alles andere als eine alte Frau , aber ich sah natrlich ihre mrbe Haut , ihre Tr„nens„cke , ihre Schl„fen mit Kr„henfáen , die mich nicht st”rten , aber ich sah sie . 002422 000170 Hanna war magerer geworden , zarter . 002423 000170 ihr Alter stand ihr eigentlich sehr gut , fand ich , vor allem im Gesicht , abgesehen von der Haut unter ihrem Kinn , die mich an die Haut von Eidechsen erinnert - . 002424 000170 ich nahm alles zurck . 002425 000170 ich verstand ohne weiteres , daá Hanna an ihrem Kind h„ngt , daá sie die Tage gez„hlt hat , bis das Kind wieder nach Hause kommt , und daá es fr eine Mutter nicht leicht ist , wenn das Kind , das einzige , zum ersten Mal in die Welt hinaus reist . 002426 000170 " sie ist ja kein Kind mehr " , sagt sie , " ich selber habe sie ja auf diese Reise geschickt , eines Tages muá sie ja ihr eigenes Leben fhren , das ist mir klar , daá sie eines Tages nicht wiederkommt - " . 002427 000170 ich lieá Hanna sprechen . 002428 000170 " das ist nun einmal so " , sagt sie , " wir k”nnen das Leben nicht in unseren Armen behalten , Walter , auch du nicht " . 002429 000170 " ich weiá ! " sage ich . 002430 000170 " warum versuchst du es denn ? " fragt sie . 002431 000170 ich verstand Hanna nicht immer . 002432 000170 " das Leben geht mit den Kindern " , sagt sie - . 002433 000170 ich hatte mich nach ihrer Arbeit erkundigt . 002434 000170 " das ist nun einmal so " , sagt sie , " wir k”nnen uns nicht mit unseren Kindern nochmals verheiraten " . 002435 000170 keine Antwort auf meine Frage . 002436 000171 " Walter " , fragt sie , " wie alt bist du jetzt ? " . 002437 000171 dann eben ihr Ausspruch : sie habe nicht hundert T”chter , sondern eine einzige ( was ich wuáte ) , und ihre Tochter h„tte nur ein einziges Leben ( was ich ebenfalls wuáte ) wie jeder Mensch ; auch sie , Hanna , h„tte nur ein einziges Leben , ein Leben , das verpfuscht sei , und auch ich ( ob ich es wisse ? ) h„tte nur ein einziges Leben . 002438 000171 " Hanna " , sage ich , " das wissen wir " . 002439 000171 unser Essen wurde kalt . 002440 000171 " wieso verpfuscht ? " frage ich . 002441 000171 Hanna rauchte . 002442 000171 statt zu essen . 002443 000171 " du bist ein Mann " , sagt sie , " ich bin eine Frau - das ist ein Unterschied , Walter " . 002444 000171 " hoffentlich ! " lache ich . 002445 000171 " ich werde keine Kinder mehr haben - " . 002446 000171 das sagte sie im Laufe des Abends zweimal . 002447 000171 " was ich arbeite ? " sagt sie . 002448 000171 " du siehst es ja , Scherbenarbeit . 002449 000171 das soll eine Vase gewesen sein . 002450 000171 Kreta . 002451 000171 ich kleistere die Vergangenheit zusammen - " . 002452 000171 ich finde das Leben von Hanna gar nicht verpfuscht . 002453 000171 im Gegenteil . 002454 000171 ich kenne ihren zweiten Mann nicht , diesen Piper , eine Bekanntschaft aus der Emigration ; Hanna erw„hnt ihn fast nie , obschon sie ( was mich noch heute jedesmal verwundert ) seinen Namen tr„gt : Dr. Hanna Piper . 002455 000171 dabei hat Hanna immer getan , was ihr das Richtige schien , und das ist fr eine Frau , finde ich , schon allerhand . 002456 000171 sie fhrte das Leben , wie sie's wollte . 002457 000171 warum es mit Joachim nicht gegangen war , sagte sie eigentlich nicht . 002458 000171 sie nennt ihn einen lieben Menschen . 002459 000171 von Vorwurf keine Spur ; h”chstens findet sie uns komisch , die M„nner ganz allgemein . 002460 000171 Hanna hat sich vielleicht zuviel versprochen , die M„nner betreffend , wobei ich glaube , daá sie die M„nner liebt . 002461 000172 wenn Vorwurf , dann sind es Selbstvorwrfe ; Hanna wrde die M„nner , wenn sie nochmals leben k”nnte oder máte , ganz anders lieben . 002462 000172 sie findet es natrlich , daá die M„nner ( sagt sie ) borniert sind , und bereut nur ihre eigne Dummheit , daá sie jeden von uns ( ich weiá nicht , wieviele es gewesen sind ) fr eine Ausnahme hielt . 002463 000172 dabei ist Hanna , wie ich finde , alles andere als dumm . 002464 000172 sie findet es aber . 002465 000172 sie findet es dumm von einer Frau , daá sie vom Mann verstanden werden will ; der Mann ( sagt Hanna ) will die Frau als Geheimnis , um von seinem eignen Unverst„ndnis begeistert und erregt zu sein . 002466 000172 der Mann h”rt nur sich selbst , laut Hanna , drum kann das Leben einer Frau , die vom Mann verstanden werden will , nicht anders als verpfuscht sein . 002467 000172 laut Hanna . 002468 000172 der Mann sieht sich als Herr der Welt , die Frau nur als seinen Spiegel . 002469 000172 der Herr ist nicht gezwungen , die Sprache der Unterdrckten zu lernen ; die Frau ist gezwungen , doch ntzt es ihr nichts , die Sprache ihres Herrn zu lernen , im Gegenteil , sie lernt nur eine Sprache , die ihr immer unrecht gibt . 002470 000172 Hanna bereut , daá sie Dr. phil. geworden ist . 002471 000172 solange Gott ein Mann ist , nicht ein Paar , kann das Leben einer Frau , laut Hanna , nur so bleiben , wie es heute ist , n„mlich erb„rmlich , die Frau als Proletarier der Sch”pfung , wenn auch noch so elegant verkleidet - . 002472 000172 ich fand sie komisch , eine Frau von fnfzig Jahren , die wie ein Backfisch philosophiert , eine Frau , die noch so tadellos aussieht wie Hanna , geradezu attraktiv , dazu eine Pers”nlichkeit , das war mir klar , eine Dame von ihrem Ansehen , ich muáte daran denken , wie man Hanna beispielsweise im Hospital behandelt hatte , eine Ausl„nderin , die erst seit drei Jahren in Athen wohnt , geradezu wie eine Professorin , eine Nobelpreistr„gerin ! - sie tat mir leid . 002473 000173 " Walter , du iát ja gar nichts " . 002474 000173 ich faáte ihren Arm : " du , Proletarierin der Sch”pfung ! - " . 002475 000173 Hanna war nicht gewillt zu l„cheln , sie wartete darauf , daá ich ihren Arm loslieá . 002476 000173 " wo " , fragt sie , " seid ihr in Rom gewesen ? " . 002477 000173 ich rapportierte . 002478 000173 ihr Blick - . 002479 000173 man h„tte meinen k”nnen , ich sei ein Gespenst , so blickte Hanna mich an , w„hrend ich von Rom rapportierte ; ein Ungetm mit einem Rssel und mit Krallen , ein Monstrum , was Tee trinkt . 002480 000173 ich werde diesen Blick nie vergessen . 002481 000173 ihrerseits kein Wort - . 002482 000173 ich redete neuerdings , weil Schweigen unm”glich , ber Mortalit„t bei Schlangenbiá , beziehungsweise ber Statistik im allgemeinen . 002483 000173 Hanna wie taub . 002484 000173 ich wagte nicht , in ihre Augen zu blicken - so oft ich auch nur eine Sekunde lang ( l„nger konnte ich nicht ) daran dachte , daá ich Sabeth umarmt habe , beziehungsweise , daá Hanna , die vor mir sitzt , ihre Mutter ist , die Mutter meiner Geliebten , die selbst meine Geliebte ist . 002485 000173 ich weiá nicht , was ich redete . 002486 000173 ihre Hand ( ich redete sozusagen nur noch zu ihrer Hand ) war merkwrdig : klein wie eine Kinderhand , „lter als die brige Hanna , nerv”s und schlaff , h„álich , eigentlich gar keine Hand , sondern etwas Verstmmeltes , weich und knochig und welk , Wachs mit Sommersprossen , eigentlich nicht h„álich , im Gegenteil , etwas Liebes , aber etwas Fremdes , etwas Entsetzliches , etwas Trauriges , etwas Blindes , ich redete und redete , ich schwieg , ich versuchte mir die Hand von Sabeth vorzustellen , aber erfolglos , ich sah nur , was neben dem Aschenbecher auf dem Tisch lag , Menschenfleisch mit Adern unter der Haut , die wie zerknittertes Seidenpapier aussieht , so mrbe und zugleich gl„nzend . 002487 000174 ich war selber todmde . 002488 000174 " eigentlich ist sie noch ein Kind " , sagt Hanna , - " oder glaubst du , sie ist mit einem Mann zusammengewesen ? " . 002489 000174 ich blickte Hanna in die Augen - . 002490 000174 " ich wnsche es ihr ja " , sagt sie , " ich wnsche es ihr ja ! " . 002491 000174 pl”tzlich tischte sie ab . 002492 000174 ich half . 002493 000174 betreffend Statistik : Hanna wollte nichts davon wissen , weil sie an Schicksal glaubt , ich merkte es sofort , obschon Hanna es nie ausdrcklich sagte . 002494 000174 alle Frauen haben einen Hang zum Aberglauben , aber Hanna ist hochgebildet ; darum verwunderte es mich . 002495 000174 sie redet von Mythen , wie unsereiner vom W„rmesatz , n„mlich wie von einem physikalischen Gesetz , das durch jede Erfahrung nur best„tigt wird , daher in einem geradezu gleichgltigen Ton . 002496 000174 ohne Verwunderung . 002497 000174 Oedipus und die Sphinx , auf einer kaputten Vase dargestellt in kindlicher Weise , Athene , die Erinnyen beziehungsweise Eumeniden und wie sie alle heiáen , das sind Tatsachen fr sie ; es hindert sie nichts , mitten im ernsthaftesten Gespr„ch gerade damit zu kommen . 002498 000174 ganz abgesehen davon , daá ich in Mythologie und berhaupt in Belletristik nicht beschlagen bin , ich wollte nicht streiten ; wir hatten praktische Sorgen genug . 002499 000174 am 5. VI. sollte ich in Paris sein - . 002500 000175 am 7. VI. in New York - . 002501 000175 am 10. VI. ( sp„testens ) in Venezuela - . 002502 000175 Hanna arbeitet in einem Arch„ologischen Institut , G”tter geh”ren zu ihrem f+ job +f , das muáte ich mir immer wieder sagen : sicher hat auch unsereiner , ohne es zu merken , eine f+ deformation professionelle +f . 002503 000175 ich muáte l„cheln , wenn Hanna so redete . 002504 000175 " du mit deinen G”ttern ! " . 002505 000175 dann lieá sie es sofort . 002506 000175 " ich wrde ja nicht abreisen " , sage ich , " wenn es nicht feststehen wrde , daá das Kind gerettet ist , das wirst du mir glauben " . 002507 000175 Hanna hatte volles Verst„ndnis , schien es , sie wusch das Geschirr , w„hrend ich kurz von meinen beruflichen Verpflichtungen sprach , und ich trocknete ab - wie vor zwanzig Jahren , fand ich , beziehungsweise vor einundzwanzig Jahren . 002508 000175 " findest du ? " . 002509 000175 " findest du nicht ? " sage ich . 002510 000175 wie Hanna rechnete , daá sie auf einundzwanzig Jahre kam , wuáte ich nicht . 002511 000175 aber ich hielt mich daran , damit sie mich nicht jedesmal verbesserte . 002512 000175 " eine hbsche Kche " , sage ich - . 002513 000175 pl”tzlich wieder ihre Frage : " hast du Joachim je wiedergesehen ? " . 002514 000175 einmal , das war klar , muáte ich es sagen , daá Joachim aus dem Leben geschieden ist , aber nicht gerade heute , fand ich , nicht gerade am ersten Abend . 002515 000175 ich redete von irgendetwas - . 002516 000175 unsere Abendessen damals in ihrer Bude ! . 002517 000175 " erinnerst du dich an Frau Oppikofer ? " . 002518 000175 " warum ?" fragt sie . 002519 000176 " einfach so ! " sage ich , " wie sie immer mit ihrem Besenstiel klopfte , wenn ich nach zweiundzwanzig Uhr noch in deiner Bude war - " . 002520 000176 unser Geschirr war gewaschen und getrocknet . 002521 000176 " Walter " , fragt sie , " nimmst du einen Kaffee ? " . 002522 000176 Erinnerungen sind komisch . 002523 000176 " ja " , sage ich , " nach zwanzig Jahren kann man darber lachen - " . 002524 000176 Hanna setzte Wasser auf . 002525 000176 " Walter " , fragt sie , " ob du Kaffee nimmst - " . 002526 000176 sie wollte keine Erinnerungen h”ren . 002527 000176 " ja " , sage ich , " gerne " . 002528 000176 ich sehe nicht ein , wieso ihr Leben verpfuscht sein sollte . 002529 000176 im Gegenteil . 002530 000176 ich finde es allerhand , wenn jemand ungef„hr so lebt , wie er's sich einmal in den Kopf gesetzt hat . 002531 000176 ich bewundere sie . 002532 000176 ich habe , offen gesprochen , nie daran geglaubt , daá Philologie und Kunstgeschichte sich bezahlt machen . 002533 000176 dabei kann man nicht einmal sagen , Hanna sei unfraulich . 002534 000176 es steht ihr , eine Arbeit zu haben . 002535 000176 schon in der Ehe mit Joachim , scheint es , hat sie stets gearbeitet , šbersetzungen und Derartiges , und in der Emigration sowieso . 002536 000176 in Paris , nach ihrer Scheidung von Joachim , arbeitete sie in einem Verlag . 002537 000176 als dann die Deutschen kamen , floh sie nach England und sorgte allein fr ihr Kind . 002538 000176 Joachim war Arzt in Ruáland , somit zahlungsunf„hig . 002539 000176 Hanna arbeitete als deutsche Sprecherin bei BBC: . 002540 000176 heute noch ist sie britische Staatsbrgerin . 002541 000176 Herr Piper verdankt ihr sein Leben , scheint mir ; Hanna heiratete ihn aus einem Lager heraus ( soviel ich verstanden habe ) ohne viel Besinnen , dank ihrer alten Vorliebe fr Kommunisten . 002542 000176 Herr Piper war eine Entt„uschung , weil kein Kommunist , sondern Opportunist . 002543 000177 wie Hanna sagt : linientreu bis zum Verrat , neuerdings bereit , Konzentrationslager gutzufinden . 002544 000177 Hanna lacht nur : M„nner ! . 002545 000177 er unterwirft sich jeder Devise , um seine Filme machen zu k”nnen . 002546 000177 Juni 1953 hat Hanna ihn verlassen . 002547 000177 er merke es gar nicht , wenn er heute verkndet , was er gestern widerrufen hat , oder umgekehrt ; was er verloren habe : ein spontanes Verh„ltnis zur Realit„t . 002548 000177 Hanna berichtet ungern von ihm , dabei um so ausfhrlicher , je weniger es mich interessiert . 002549 000177 Hanna findet es schade , beziehungsweise typisch fr gewisse M„nner , wie dieser Piper im Leben steht : stockblind , laut Hanna , ohne Kontakt . 002550 000177 frher habe er Humor besessen ; jetzt lache er nur noch ber den Westen . 002551 000177 Hanna macht keine Vorwrfe ; eigentlich lacht sie bloá ber sich selbst , beziehungsweise ber ihre Liebe zu M„nnern . 002552 000177 " wieso soll dein Leben verpfuscht sein ? " sage ich . 002553 000177 " das redest du dir ein , Hanna - " . 002554 000177 auch mich fand sie stockblind . 002555 000177 " ich sehe nur " , sage ich , " was da ist : deine Wohnung , deine wissenschaftliche Arbeit , deine Tochter - du solltest Gott danken ! " . 002556 000177 " wieso Gott ? " . 002557 000177 Hanna wie frher : sie weiá genau , was man meint . 002558 000177 ihre Lust an Worten ! . 002559 000177 als k„me es auf die Worte an . 002560 000177 wenn man es noch so ernst meint , pl”tzlich verf„ngt sie sich in irgendeinem Wort . 002561 000177 " Walter , seit wann glaubst du an Gott ? " . 002562 000177 " komm " , sage ich , " mach einen Kaffee ! " . 002563 000177 Hanna wuáte genau , daá ich mit Gott nichts anfangen kann , und wenn man schlieálich drauf eingeht , zeigt sich , daá Hanna es gar nicht ernst meint . 002564 000178 " wieso kommst du darauf " , fragt sie , " daá ich religi”s bin ? . 002565 000178 du meinst , einer Frau im Klimakterium bleibt nichts anderes brig " . 002566 000178 ich machte Kaffee . 002567 000178 ich konnte mir nicht vorstellen , wie es sein wird , wenn Sabeth aus dem Hospital kommt . 002568 000178 Sabeth und Hanna und ich in einem Raum , beispielsweise in dieser Kche : - Hanna , die merkt , wie ich mich zusammennehmen muá , um nicht ihr Kind zu kssen oder wenigstens den Arm auf ihre Schulter zu legen , und Sabeth , die entdeckt , daá ich eigentlich ( wie ein Schwindler , der seinen Ehering ausgezogen hat ) zu Mama geh”re , obschon ich sie , Sabeth , um die Schulter halte . 002569 000178 " sie soll bloá nicht Stewardeá werden " , sage ich , " ich habe es ihr auszureden versucht " . 002570 000178 " wieso ? " . 002571 000178 " weil Stewardeá nicht in Frage kommt " , sage ich , " nicht fr ein M„dchen wie Sabeth , das schlieálich nicht irgendein M„dchen ist - " . 002572 000178 unser Kaffee war gemacht . 002573 000178 " warum soll sie nicht Stewardeá werden ? " . 002574 000178 dabei wuáte ich , daá auch Hanna , die Mutter , keineswegs entzckt war von dieser Backfisch-Idee ; sie trotzte nur , um mir zu zeigen , daá es mich nichts angeht : " Walter , das ist ihre Sache ! " . 002575 000178 ein ander Mal : " Walter , du bist nicht ihr Vater " . 002576 000178 " ich weiá ! " sage ich - . 002577 000178 vor dem Augenblick , da man sich setzt , weil es nichts zu hantieren gibt , hatte ich mich von Anfang an gefrchtet - . 002578 000178 nun war es soweit . 002579 000179 " komm " , sagt sie , " rede - ! " . 002580 000179 es war leichter als erwartet , fast allt„glich . 002581 000179 " erz„hl mir " , sagt sie , " was gewesen ist " . 002582 000179 ich staunte ber ihre Ruhe . 002583 000179 " du kannst dir meinen Schreck vorstellen " , sagt sie , " als ich ins Hospital komme und dich sehe , wie du da sitzest und schl„fst - " . 002584 000179 ihre Stimme ist unver„ndert . 002585 000179 in einem gewissen Sinn ging es weiter , als w„ren keine zwanzig Jahre vergangen , genauer : als h„tte man diese ganze Zeit , trotz Trennung , durchaus gemeinsam verbracht . 002586 000179 was wir nicht voneinander wuáten , waren Žuáerlichkeiten , nicht der Rede wert . 002587 000179 Karriere und Derartiges . 002588 000179 was h„tte ich reden sollen ? . 002589 000179 Hanna wartete aber . 002590 000179 " nimmst du Zucker ? " fragt sie . 002591 000179 ich redete von meinem Beruf - . 002592 000179 " wieso reist du mit Elsbeth ? " fragt sie . 002593 000179 Hanna ist eine Frau , aber anders als Ivy und die andern , die ich gekannt habe , nicht zu vergleichen ; auch anders als Sabeth , die ihr in vielem gleicht . 002594 000179 Hanna ist vertrauter ; ohne Hader , als sie mich anblickt . 002595 000179 ich wunderte mich . 002596 000179 " du liebst sie ? " fragt sie . 002597 000179 ich trank meinen Kaffee . 002598 000179 " seit wann hast du gewuát " , fragt sie , " daá ich ihre Mutter bin ? " . 002599 000179 ich trank meinen Kaffee . 002600 000179 " du weiát noch gar nicht " , sage ich , " daá Joachim gestorben ist - " . 002601 000179 ich hatte es nicht sagen wollen . 002602 000179 " gestorben ? " fragt sie . 002603 000179 " wann ? " . 002604 000179 ich hatte mich hinreiáen lassen , nun war's zu sp„t , ich muáte berichten - ausgerechnet an diesem ersten Abend ! - die ganze Geschichte in Guatemala , Hanna wollte alles erfahren , was ich meinerseits wuáte , seine Heimkehr aus Ruáland , seine T„tigkeit auf der Farm , sie hatte seit ihrer Scheidung nichts mehr von Joachim vernommen , zum Schluá sagte ich doch nicht , daá Joachim sich erh„ngt hat , sondern log : f+ angina pectoris +f . 002605 000180 ich staunte , wie gefaát sie blieb . 002606 000180 " hast du's dem M„dchen gesagt ? " fragt sie . 002607 000180 dann unser endloses Schweigen . 002608 000180 sie hatte ihre Hand wieder unter die Hornbrille geschoben , als halte sie ihr Gesicht zusammen ; ich kam mir wie ein Scheusal vor . 002609 000180 " was kannst denn du dafr ! " sagt sie . 002610 000180 daá Hanna nicht einmal weinte , machte alles nur schwerer ; sie stand - . 002611 000180 " ja " , sagt sie , " gehen wir schlafen " . 002612 000180 es war Mitternacht - sch„tzungsweise , ich hatte ja meine Uhr nicht mehr , aber abgesehen davon , es war tats„chlich , als stehe die Zeit . 002613 000180 " du hast das Zimmer von Elsbeth " . 002614 000180 wir standen in ihrem Zimmer . 002615 000180 " Hanna " , sage ich , " sag doch die Wahrheit : ist er ihr Vater ? " . 002616 000180 " ja ! " sagt sie , " ja ! " . 002617 000180 im Augenblick war ich erleichtert , ich hatte keinen Grund anzunehmen , daá Hanna lgt , und fand es im Augenblick ( die Zukunft war sowieso nicht zu denken ) wichtiger als alles andere , daá das M„dchen eine Serum-Injektion bekommen hat und gerettet ist . 002618 000180 ich gab ihr die Hand . 002619 000181 man stand , zum Hinsinken mde , Hanna auch , glaube ich , eigentlich hatten wir uns schon Gutnacht gesagt - als Hanna nochmals fragte : " Walter , was hast du mit Elsbeth gehabt ? " . 002620 000181 dabei wuáte sie es bestimmt . 002621 000181 " komm " , sagt sie , " sag es ! " . 002622 000181 ich weiá nicht , was ich antwortete . 002623 000181 " ja oder nein !" fragt sie . 002624 000181 gesagt war gesagt - . 002625 000181 Hanna l„chelte noch , als h„tte sie's nicht geh”rt , ich war erleichtert , daá es endlich gesagt war , geradezu munter , mindestens erleichtert . 002626 000181 " bist du mir b”se ? " frage ich . 002627 000181 ich h„tte lieber auf dem Boden geschlafen , Hanna bestand darauf , daá ich mich wirklich ausruhen sollte , das Bett war bereits mit frischen Tchern bezogen - alles fr die Tochter , die ein halbes Jahr in der Fremde gewesen ist : ein neues Pyjama , das Hanna wegnahm , Blumen auf dem Nachttisch , Schokolade , das blieb . 002628 000181 " bist du mir b”se ? " frage ich . 002629 000181 " hast du alles ? " fragt sie , " Seife ist da - " . 002630 000181 " ich konnte nicht wissen " , sage ich - . 002631 000181 " Walter " , sagt sie , " wir mssen schlafen " . 002632 000181 sie war nicht b”se , schien mir , sie gab mir sogar nochmals die Hand . 002633 000181 sie war nerv”s , nichts weiter . 002634 000181 sie war eilig . 002635 000181 ich h”rte , daá sie in die Kche ging , wo alles getan war . 002636 000181 " kann ich etwas helfen ? " . 002637 000181 " nein " , sagt sie , " schlaf jetzt ! " . 002638 000181 das Zimmer von Sabeth : etwas klein , jedoch nett , viele Bcher auch hier , Blick gegen den Lykabettos , ich stand noch lange am offenen Fenster - . 002639 000182 ich hatte kein Pyjama . 002640 000182 es ist nicht meine Art , in fremden Zimmern zu schnffeln , aber das Foto stand gerade auf dem Bchergestell , und schlieálich hatte ich Joachim , ihren Vater , selber gekannt - ich nahm's herunter . 002641 000182 aufgenommen 1936 in Zrich . 002642 000182 eigentlich war ich entschlossen , ins Bett zu gehen , nichts mehr zu denken , aber ich hatte kein Pyjama , wie gesagt , bloá mein schmutziges Hemd - . 002643 000182 endlich ging Hanna in ihr Zimmer . 002644 000182 das mochte gegen zwei Uhr sein , ich saá auf dem sauberen Bett , wie sie auf B„nken in ”ffentlichen Anlagen sitzen , wenn sie schlafen , die Obdachlosen , vornber gekrmmt , ( so denke ich stets beim Anblick solcher Schl„fer : ) wie ein F”tus - aber ich schlief nicht . 002645 000182 ich wusch mich . 002646 000182 einmal klopfte ich an ihre Wand . 002647 000182 Hanna tat , als schliefe sie . 002648 000182 Hanna wollte nicht mit mir reden , irgendwann an diesem Abend hatte sie gesagt , ich solle schweigen : es wird alles so klein , wenn du darber redest ! . 002649 000182 vielleicht schlief Hanna tats„chlich . 002650 000182 ihre Briefe aus Amerika - ich meine die Briefe von Sabeth - lagen auf dem Tisch , ein ganzes Bndel , Stempel von Yale , einer von Le Havre , dann Ansichtskarten aus Italien , ich las eine einzige , weil sie auf den Boden gefallen war : Gruá aus Assisi ( ohne Erw„hnung meiner Person ) mit tausend Kssen fr Mama , mit inniger Umarmung - . 002651 000182 ich rauchte nochmals eine Zigarette . 002652 000182 dann mein Versuch , das Hemd zu waschen - . 002653 000183 ich weiá nicht , wieso ich auf die Idee kam , alles sei berstanden , jedenfalls das Schlimmste , und wieso ich glauben konnte , Hanna schlafe . 002654 000183 ich wusch so leise als m”glich . 002655 000183 ich gebe zu , daá ich Viertelstunden lang einfach vergaá , was los ist , beziehungsweise kam es mir wie ein bloáer Traum vor : wenn man tr„umt , man sei zum Tod verurteilt , und weiá , es kann nicht stimmen , ich brauche bloá zu erwachen - . 002656 000183 ich h„ngte mein nasses Hemd ins Fenster . 002657 000183 das Gesicht von Joachim , das ich mir anschaute , ein m„nnliches Gesicht , sympathisch , aber Žhnlichkeiten mit Sabeth fand ich eigentlich nicht . 002658 000183 " Hanna ? " rufe ich , " schl„fst du ? " . 002659 000183 keine Antwort . 002660 000183 ich fr”stelte , weil ohne Hemd , ich kam nicht auf die Idee , ihren Morgenrock zu nehmen , der an der Tre hing , ich sah ihn - . 002661 000183 berhaupt ihre M„dchensachen ! . 002662 000183 ihre Fl”te auf dem Bcherbrett - . 002663 000183 ich l”schte das Licht . 002664 000183 vermutlich hatte Hanna schon eine ganze Weile geschluchzt , ihr Gesicht in die Kissen gepreát , bis es nicht mehr ging - ich erschrak , als ich sie h”rte ; mein erster Gedanke : sie hat gelogen , und ich bin doch der Vater . 002665 000183 sie schluchzte immer lauter , bis ich an ihre Tre ging , um zu klopfen . 002666 000183 " Hanna " , sage ich , " ich bin's " . 002667 000183 sie verriegelte die Tre . 002668 000183 ich stand und h”rte nur ihr Schluchzen , meine vergeblichen Bitten , sie sollte in die Diele kommen und sagen , was los ist , aber als Antwort nichts als Schluchzen , einmal leise , dann wieder lauter , es h”rte nicht auf , und wenn's einmal aufh”rte , war es noch schlimmer , ich legte mein Ohr an die Tre , wuáte nicht , was ich denken sollte , oft hatte sie einfach keine Stimme mehr , nur so ein Wimmern , so daá ich erleichtert war , wenn sie wieder aufschluchzte . 002669 000184 ich hatte kein Taschenmesser und nichts - . 002670 000184 " Hanna " , sage ich , " mach auf ! " . 002671 000184 als es mir gelungen war , mit dem Feuerhaken die Tre aufzusprengen , stemmte Hanna sich dagegen . 002672 000184 sie schrie geradezu , als sie mich sah . 002673 000184 ich stand mit nacktem Oberk”rper ; vielleicht drum . 002674 000184 natrlich tat sie mir leid , und ich lieá ab , die Tre aufzustoáen . 002675 000184 " Hanna " , sage ich , " ich bin's ! " . 002676 000184 sie wollte allein sein . 002677 000184 vor vierundzwanzig Stunden ( es kam mir wie eine Jugenderinnerung vor ! ) saáen wir noch auf Akrokorinth , Sabeth und ich , um den Sonnenaufgang zu erwarten . 002678 000184 ich werde es nie vergessen ! . 002679 000184 wir sind von Patras gekommen und in Korinth ausgestiegen , um die sieben S„ulen eines Tempels zu besichtigen , dann Abendessen in einem f+ Guest-House +f in der N„he . 002680 000184 sonst ist Korinth ja ein Hhnerdorf . 002681 000184 als sich herausstellte , daá es keine Zimmer gibt , d„mmert es bereits ; Sabeth fand es eine Glanzidee von mir , einfach weiterzuwandern in die Nacht hinaus und unter einem Feigenbaum zu schlafen . 002682 000184 eigentlich habe ich's als Spaá gemeint , aber da Sabeth es eine Glanzideee findet , ziehen wir wirklich los , um einen Feigenbaum zu finden , einfach querfeldein . 002683 000184 dann das Gebell von Hirtenhunden , Alarm ringsum , die Herden in der Nacht ; es mssen ziemliche Bestien sein , nach ihrem Gekl„ff zu schlieáen , und in der H”he , wohin sie uns treiben , gibt es keine Feigenb„ume mehr , nur Disteln dazu Wind . 002684 000185 von Schlafen keine Rede ! . 002685 000185 ich habe ja nicht gedacht , daá die Nacht in Griechenland so kalt sein wrde , eine Nacht im Juni , geradezu naá . 002686 000185 und dazu keine Ahnung , wohin er uns fhren wird , ein Saumpfad zwischen Felsen hinauf , steinig , staubig , daher im Mondlicht weiá wie Gips . 002687 000185 Sabeth findet : wie Schnee ! . 002688 000185 wir einigen uns : wie Joghurt ! . 002689 000185 dazu die schwarzen Felsen ber uns : wie Kohle ! finde ich , aber Sabeth findet wieder irgendetwas anderes , und so unterhalten wir uns auf dem Weg , der immer h”her fhrt . 002690 000185 das Wiehern eines Esels in der Nacht : wie der erste Versuch auf einem Cello ! findet Sabeth , ich finde : wie eine ungeschmierte Bremse ! . 002691 000185 sonst Totenstille ; die Hunde sind endlich verstummt , seit sie unsere Schritte nicht mehr h”ren . 002692 000185 die weiáen Htten von Korinth : wie wenn man eine Dose mit Wrfelzucker ausgeleert hat ! . 002693 000185 ich finde etwas anderes , bloá um unser Spiel weiterzumachen . 002694 000185 eine letzte schwarze Zypresse : wie ein Ausrufzeichen ! findet Sabeth , ich bestreite es ; Ausrufzeichen haben ihre Spitze nicht oben , sondern unten . 002695 000185 wir sind die ganze Nacht gewandert . 002696 000185 ohne einen Menschen zu treffen . 002697 000185 einmal erschreckt uns Gebimmel einer Ziege , dann wieder Stille ber schwarzen H„ngen , die nach Pfefferminz duften , Stille mit Herzklopfen und Durst , nichts als Wind in trockenen Gr„sern : wie wenn man Seide reiát ! findet Sabeth , ich muá mich besinnen , und oft f„llt mir berhaupt nichts ein , dann ist das ein Punkt fr Sabeth , laut Spielregel . 002698 000185 Sabeth weiá fast immer etwas . 002699 000185 Trme und Zinnen einer mittelalterlichen Bastion : wie Kulissen in der Opera . 002700 000186 wir gehen durch Tore und Tore , nirgends ein Ger„usch von Wasser , wir h”ren das Echo unsrer Schritte an den trkischen Mauern , sonst Totenstille , sobald wir stehen . 002701 000186 unsere Mondschatten : wie Scherenschnitte ! findet Sabeth . 002702 000186 wir spielen stets auf einundzwanzig Punkte , wie beim Pingpong , dann ein neues Spiel , bis wir pl”tzlich , noch mitten in der Nacht , oben auf dem Berg sind . 002703 000186 unser Komet ist nicht mehr zu sehen . 002704 000186 in der Ferne das Meer : wie Zinkblech ! finde ich , w„hrend Sabeth findet , es sei kalt , aber trotzdem ein Glanzidee , einmal nicht im Hotel zu bernachten . 002705 000186 es ist ihre erste Nacht im Freien gewesen . 002706 000186 Sabeth in meinem Arm , w„hrend wir auf den Sonnenaufgang warten , schlottert . 002707 000186 vor Sonnenaufgang ist es ja am k„ltesten . 002708 000186 dann rauchen wir zusammen noch unsere letzte Zigarette ; vom kommenden Tag , der fr Sabeth die Heimkehr bedeuten sollte , haben wir kein Wort gesprochen . 002709 000186 gegen fnf Uhr das erste D„mmerlicht : wie Porzellan ! . 002710 000186 von Minute zu Minute wird es heller , das Meer und der Himmel , nicht die Erde ; man sieht , wo Athen liegen muá , die schwarzen Inseln in hellen Buchten , es scheiden sich Wasser und Land , ein paar kleine Morgenwolken darber : wie Quasten mit Rosa-Puder ! findet Sabeth , ich finde nichts und verliere wieder einen Punkt . 002711 000186 19-/-9 fr Sabeth ! . 002712 000186 die Luft um diese Stunde : wie Herbstzeitlosen ! . 002713 000186 ich finde : wie Cellophan mit nichts dahinter . 002714 000186 dann erkennt man bereits die Brandung an den Ksten : wie Bierschaum ! Sabeth findet : wie eine Rsche ! ! . 002715 000186 ich nehme meinen Bierschaum zurck , ich finde : wie Glaswolle ! . 002716 000186 aber Sabeth weiá nicht , was Glaswolle ist - und dann die ersten Strahlen aus dem Meer : wie eine Garbe , wie Speere , wie Sprnge in einem Glas , wie eine Monstranz , wie Fotos von Elektronen-Beschieáungen . 002717 000186 fr jede Runde z„hlt aber nur ein einziger Punkt ; es erbrigt sich , ein halbes Dutzend von Vergleichen anzumelden , kurz darauf ist die Sonne schon aufgegangen , blendend : wie der erste Anstich in einem Hochofen ! finde ich , w„hrend Sabeth schweigt und ihrerseits einen Punkt verliert ... . 002718 000187 ich werde nie vergessen , wie sie auf diesem Felsen sitzt , ihre Augen geschlossen , wie sie schweigt und sich von der Sonne bescheinen l„át . 002719 000187 sie sei glcklich , sagt sie , und ich werde nie vergessen : das Meer , das zusehends dunkler wird , blauer , violett , das Meer von Korinth und das andere , das attische Meer , die rote Farbe der Žcker , die Oliven , grnspanig , ihre langen Morgenschatten auf der roten Erde , die erste W„rme und Sabeth , die mich umarmt , als habe ich ihr alles geschenkt , das Meer und die Sonne und alles , und ich werde nie vergessen , wie Sabeth singt ! . 002720 000187 ich sah das Frhstck , das Hanna gerichtet hatte , und ihren Zettel : komme bald , Hanna . 002721 000187 ich wartete . 002722 000187 ich fhlte mich sehr unrasiert und durchst”berte das ganze Badezimmer nach einer Klinge ; nichts als Fl„schlein , Dosen voll Puder , Lippenstift , Tuben , Nagellack , Spangen - im Spiegel sah ich mein Hemd : scheuálicher als gestern , die Blutflecken etwas blasser , dafr verschmiert . 002723 000187 ich wartete mindestens eine Stunde . 002724 000187 Hanna kam aus dem Hospital . 002725 000187 " wie geht es ihr ? " frage ich . 002726 000187 Hanna sehr merkwrdig . 002727 000187 " ich habe gedacht " , sagt sie , " du solltest ausschlafen - " . 002728 000187 sp„ter ohne Ausrede : " ich wollte mit Elsbeth allein sein , du brauchst deswegen nicht gekr„nkt zu sein , Walter , ich bin zwanzig Jahre mit dem Kind allein gewesen " . 002729 000188 meinerseits kein Wort . 002730 000188 " das ist kein Vorwurf " , sagt sie , " aber das muát du schon verstehen . 002731 000188 ich wollte allein mit ihr sein . 002732 000188 nur das . 002733 000188 ich wollte sprechen mit ihr " . 002734 000188 was sie denn gesprochen habe ? . 002735 000188 " wirres Zeug ! " . 002736 000188 " von mir ? " frage ich . 002737 000188 " nein " , sagt sie , " sie redete von Yale , nur von Yale , von einem jungen Mann namens Hardy , aber lauter wirres Zeug " . 002738 000188 was Hanna berichtete , gefiel mir nicht : umspringen des Pulses , gestern schnell , heute langsam , viel zu langsam , dazu ihr ger”tetes Gesicht , wie Hanna sagte , und sehr kleine Pupillen , dazu Atmungsst”rungen . 002739 000188 " ich will sie sehen ! " sage ich . 002740 000188 Hanna fand , zuerst ein Hemd kaufen - . 002741 000188 soweit war ich einverstanden . 002742 000188 Hanna am Telefon - . 002743 000188 " es ist in Ordnung ! " sagt sie . 002744 000188 " ich bekomme den Wagen vom Institut - damit wir nach Korinth fahren k”nnen , weiát du , um ihre Sachen zu holen , auch deine Sachen , deine Schuhe und deine Jacke " . 002745 000188 Hanna wie ein Manager . 002746 000188 " es ist in Ordnung " sagt sie , " das Taxi ist bestellt - " . 002747 000188 Hanna immer hin und her , ein Gespr„ch nicht m”glich , Hanna leerte die Aschenbecher , dann lieá sie die Sonnenstores herunter . 002748 000188 " Hanna " , frage ich , " warum siehst du mich nicht an ? " . 002749 000188 sie wuáte es nicht , mag sein , aber es war so , Hanna blickte mich an diesem Morgen berhaupt nicht an . 002750 000189 was konnte ich dafr , daá alles so gekommen war ! . 002751 000189 es stimmt : Hanna machte ja keine Vorwrfe , keine Anklagen , sie leerte nur die Aschenbecher vom Abend vorher . 002752 000189 ich hielt es nicht mehr aus . 002753 000189 " du " , frage ich , " k”nnen wir nicht sprechen ? " . 002754 000189 ich packte sie an den Schultern . 002755 000189 " du " , sage ich , " sieh mich an ! " . 002756 000189 ihre Figur - ich erschrak , als ich sie hielt - ist zarter , kleiner als die Tochter , zierlicher , ich weiá nicht , ob Hanna kleiner geworden ist ; ihre Augen sind sch”ner geworden , ich wollte , daá sie mich ansehen . 002757 000189 " Walter " , sagt sie , " du tust mir weh " . 002758 000189 was ich redete , war Unsinn , ich sah es an ihrem Gesicht , daá ich Unsinn rede , nur weil Schweigen , fand ich , noch unm”glicher ist ; ich hielt ihren Kopf zwischen meinen H„nden . 002759 000189 was ich wolle ? . 002760 000189 ich dachte nicht daran , Hanna zu kssen . 002761 000189 warum wehrte sie sich ? . 002762 000189 ich habe keine Ahnung , was ich sagte . 002763 000189 ich sah nur : ihre Augen , die entsetzt sind , ihre grauen und weiáen Haare , ihre Stirn , ihre Nase , alles zierlich , nobel ( oder wie man's nennen soll ) und fraulich , nobler als bei ihrer Tochter , ihre Eidechsenhaut unter dem Kinn , die Kr„henfáe an den Schl„fen , ihre Augen , die nicht mde , nur entsetzt sind , sch”ner als frher . 002764 000189 " Walter " , sagt sie , " du bist frchterlich ! " . 002765 000189 das sagte sie zweimal . 002766 000189 ich káte sie . 002767 000189 Hanna starrte mich nur an , bis ich meine H„nde wegnahm , sie schwieg und ordnete nicht einmal ihr Haar , sie schwieg - sie verfluchte mich . 002768 000189 dann das Taxi . 002769 000190 wir fuhren in die City , um ein frisches Hemd zu kaufen , das heiát , Hanna kaufte es , ich hatte ja kein Geld und wartete im Taxi , um mich in meinem alten Hemd nicht zeigen zu mssen - Hanna war rhrend : sie kommt nach einer Weile sogar zurck , um die Nummer meiner Gr”áe zu fragen ! - dann ins Institut , wo Hanna , wie vereinbart , den Wagen des Institutes bekam , einen Opel , und dann hinaus ans Meer , um die Kleider von Elsbeth zu holen und meine Brieftasche , beziehungsweise meine Jacke ( wegen Paá vor allem ) und meine Kamera . 002770 000190 Hanna am Steuer - . 002771 000190 in Daphni , also kurz nach Athen , gibt es einen Hain , wo ich mein Hemd h„tte wechseln k”nnen , schien mir ; Hanna schttelte den Kopf und fuhr weiter , ich ”ffnete das Paket . 002772 000190 wovon sollte man sprechen ! . 002773 000190 ich redete ber die griechische Wirtschaftslage , ich sah vor Eleusis die groáe Baustelle f+ Greek: Government: Oil: Refinery: +f , alles an deutsche Firmen vergeben , was Hanna jetzt ( und auch sonst ) nicht interessiert ; aber unser Schweigen war auch unertr„glich , nur einmal fragte sie : " du weiát nicht , wie die Ortschaft heiát ? " . 002774 000190 " nein " . 002775 000190 " Theodohori ? " . 002776 000190 ich wuáte es nicht , wir waren mit Bus von Korinth gekommen und irgendwo ausgestiegen , wo das Meer uns gefiel , sechsundsiebzig Kilometer vor Athen , das wuáte ich ; ich erinnerte mich an die Tafel in einer Eukalyptus-Allee . 002777 000190 Hanna , am Steuer , schwieg . 002778 000190 ich wartete auf eine Gelegenheit , um das frische Hemd anziehen zu k”nnen ; ich wollte es nicht im Wagen tun - . 002779 000191 Fahrt durch Eleusis . 002780 000191 Fahrt durch Megara . 002781 000191 ich redete ber meine Uhr , die ich dem Lastwagenfahrer vermacht hatte , und ber die Zeit ganz allgemein ; ber Uhren , die imstande w„ren , die Zeit rckw„rts laufen zu lassen - . 002782 000191 " stop ! " sagte ich . 002783 000191 " hier ist es - " . 002784 000191 Hanna stoppte . 002785 000191 " hier ? " fragte sie . 002786 000191 ich wollte nur zeigen : - die B”schung , wo ich sie niederlegen muá , bis der Lastwagen mit den Eisenr”hren kommt . 002787 000191 eine B”schung wie irgendeine andere , Fels mit Disteln , dazwischen roter Mohn , dann die schnurgerade Straáe , wo ich sie im Laufschritt zu tragen versuchte , schwarz , Teer mit Kies , dann der Ziehbrunnen mit dem ™lbaum , die steinigen Žcker , die weiáen Htten mit Wellblech - . 002788 000191 es war wieder Mittag . 002789 000191 " bitte " , bat ich , " fahre langsamer ! " . 002790 000191 was eine Ewigkeit ist , wenn man barfuá geht , mit dem Opel waren es kaum zwei Minuten . 002791 000191 sonst alles wie gestern . 002792 000191 nur der Kieskarren mit Esel stand nicht mehr bei der Zisterne . 002793 000191 Hanna glaubte mir aufs Wort ; ich weiá nicht , warum ich ihr alles zeigen wollte . 002794 000191 die Stelle , wo der Karren heraufkommt mit seinem tropfenden Kies , war ohne weiteres wieder zu finden , man sah die R„derspur , Eseltritte . 002795 000191 ich dachte , Hanna wrde im Wagen warten . 002796 000191 aber Hanna stieg aus , dann zu Fuá auf der heiáen Teerstraáe , Hanna folgte mir , ich suchte die Pinie , dann hinunter durch Ginster irgendwo , ich begriff nicht , warum Hanna nicht im Wagen warten wollte . 002797 000192 " Walter " , sagte sie , " dort ist eine Spur ! " . 002798 000192 wir waren aber , fand ich , nicht hierher gefahren , um allf„llige Blutspuren , sondern um meine Brieftasche zu finden , meine Jacke , meinen Paá , meine eignen Schuhe - . 002799 000192 alles lag unberhrt . 002800 000192 Hanna bat um eine Zigarette - . 002801 000192 alles wie gestern ! . 002802 000192 nur vierundzwanzig Stunden sp„ter : derselbe Sand , dieselbe Brandung , schwach , nur so ein Auslaufen kleiner Wellen , die sich kaum berschlagen , dieselbe Sonne , derselbe Wind im Ginster - nur daá es nicht Sabeth ist , die neben mir steht , sondern Hanna , ihre Mutter . 002803 000192 " hier habt ihr gebadet ? " . 002804 000192 " ja " , sage ich - . 002805 000192 " sch”n hier ! " sagte sie . 002806 000192 es war furchtbar . 002807 000192 was den Unfall betrifft , habe ich nichts zu verheimlichen . 002808 000192 es ist ein flacher Strand . 002809 000192 man watet hier mindestens dreiáig Meter , bis Schwimmen m”glich , und im Augenblick , als ich ihren Schrei h”re , bin ich mindestens fnfzig Meter vom Ufer entfernt . 002810 000192 ich sehe , daá Sabeth aufgesprungen ist . 002811 000192 ich rufe : was ist los ? . 002812 000192 sie rennt - . 002813 000192 wir haben , nach unsrer schlaflosen Nacht auf Akrokorinth , im Sand geschlafen , dann das Bedrfnis meinerseits , ins Wasser zu gehen und eine Weile allein zu sein , w„hrend sie schl„ft . 002814 000192 vorher habe ich noch ihre Schultern gedeckt mit ihrer W„sche , ohne sie zu wecken ; wegen Sonnenbrand . 002815 000192 es gibt hier wenig Schatten , eine vereinzelte Pinie ; hier haben wir uns in die Mulde gebettet . 002816 000192 dann aber , wie vorauszusehen , ist der Schatten gewandert , beziehungsweise die Sonne , und daran , scheint es , bin ich erwacht , weil pl”tzlich in Schweiá , dazu die Mittagsstille , ich bin erschrocken , vielleicht weil ich irgendetwas getr„umt oder gemeint habe , Schritte zu h”ren . 002817 000193 wir sind aber vollkommen allein . 002818 000193 vielleicht habe ich den Kieskarren geh”rt , Schaufeln von Kies ; ich sehe aber nichts , Sabeth schl„ft , und es ist kein Grund zum Erschrecken , ein gew”hnlicher Mittag , kaum eine Brandung , nur ein schwaches Zischeln von Wellen , die im Kies verlaufen , manchmal ein schwaches Rollen von Kies , geradezu Klingeln , sonst Stille , ab und zu eine Biene . 002819 000193 ich berlegte , ob Schwimmen vernnftig ist , wenn man Herzklopfen hat . 002820 000193 eine Weile stand ich unschlssig ; Sabeth merkte , daá niemand mehr neben ihr lag , und reckte sich , ohne zu erwachen . 002821 000193 ich streute Sand auf ihren Nacken , aber sie schlief . 002822 000193 schlieálich ging ich schwimmen - im Augenblick , als Sabeth schreit , bin ich mindestens fnfzig Meter drauáen . 002823 000193 Sabeth rennt , ohne zu antworten . 002824 000193 ob sie mich geh”rt hat , weiá ich nicht . 002825 000193 dann mein Versuch , im Wasser zu rennen ! . 002826 000193 ich rufe , sie soll stehenbleiben , meinerseits wie gel„hmt , als ich endlich aus dem Wasser komme ; ich stapfe ihr nach , bis sie stehenbleibt - . 002827 000193 Sabeth oben auf der B”schung : sie h„lt ihre rechte Hand auf die linke Brust , wartet und gibt keinerlei Antwort , bis ich die B”schung ersteige ( es ist mir nicht bewuát gewesen , daá ich nackt bin ) und mich n„here - dann der Unsinn , daá sie vor mir , wo ich ihr nur helfen will , langsam zurckweicht , bis sie rcklings ( dabei bin ich sofort stehengeblieben ! ) rcklings ber die B”schung f„llt . 002828 000193 das war das Unglck . 002829 000194 es sind keine zwei Meter , eine Mannsh”he , aber als ich zu ihr komme , liegt sie bewuátlos im Sand . 002830 000194 vermutlich Sturz auf den Hinterkopf . 002831 000194 erst nach einer Weile sehe ich die Biáwunde , drei kleine Blutstropfen , die ich sofort abwische , ich ziehe sofort meine Hosen an , mein Hemd , keine Schuhe , dann mit dem M„dchen im Arm hinauf zur Straáe , wo der Ford vorbeif„hrt , ohne mich zu h”ren - . 002832 000194 Hanna , wie sie an diesem Unglcksort stand , Hanna mit ihrer Zigarette , w„hrend ich berichtete , so genau ich es konnte , und die B”schung zeigte und alles , sie war unglaublich , Hanna wie ein Freund , dabei war ich ja gefaát darauf , daá sie , die Mutter , mich in Grund und Boden verflucht , obschon ich andererseits , sachlich betrachtet , wirklich nichts dafr kann . 002833 000194 " komm " , sagt sie , " nimm deine Sachen " . 002834 000194 w„ren wir nicht berzeugt gewesen , daá das Kind gerettet ist , h„tten wir natrlich nicht so geredet damals am Strand . 002835 000194 " du weiát " , sagt sie , " daá es dein Kind ist ? " . 002836 000194 ich wuáte es . 002837 000194 " komm " , sagt sie , " nimm deine Sachen - " . 002838 000194 wir standen , die Sachen auf dem Arm ; ich trug meine staubigen Schuhe in der Hand , Hanna die schwarze Cowboy-Hose unsrer Tochter . 002839 000194 ich wuáte selbst nicht , was ich sagen will . 002840 000194 " komm " sagt sie , " gehen wir ! " . 002841 000194 einmal meine Frage : " warum hast du's mir verheimlicht ? " . 002842 000194 darauf keine Antwort . 002843 000195 wieder die blaue Hitze ber dem Meer - wie gestern um diese Zeit , Mittag mit flachen Wellen , die sich kaum berschlagen , nur auslaufen in Schaum , dann Klirren im Kies , Stille , bis es sich wiederholt . 002844 000195 Hanna verstand mich sehr genau . 002845 000195 " du vergiát " , sagt sie , " daá ich verheiratet bin - " . 002846 000195 ein andermal : " du vergiát , daá Elsbeth dich liebt - " . 002847 000195 ich war nicht imstande , alles zugleich in meine Rechnung zu nehmen ; aber irgendeine L”sung , fand ich , muá es immer geben . 002848 000195 wir standen noch lange . 002849 000195 " warum sollte ich in diesem Land keine Arbeit finden ? " sage ich . 002850 000195 " Techniker braucht man berall , du hast gesehen , auch Griechenland wird industrialisiert - " . 002851 000195 Hanna verstand genau , wie ich's meinte , nicht romantisch , nicht moralisch , sondern praktisch : gemeinsames Wohnen , gemeinsame ™konomie , gemeinsames Alter . 002852 000195 warum nicht ? . 002853 000195 Hanna hat es gewuát , als ich noch nichts habe ahnen k”nnen , seit zwanzig Jahren hat sie es gewuát ; trotzdem war sie verwunderter als ich . 002854 000195 " Hanna " , frage ich , " warum lachst du ? " . 002855 000195 irgendeine Zukunft , fand ich , gibt es immer , die Welt ist noch niemals einfach stehengeblieben , das Leben geht weiter ! . 002856 000195 " ja " , sagt sie . 002857 000195 " aber vielleicht ohne uns " . 002858 000195 ich hatte ihre Schulter gefaát . 002859 000195 " komm ! " sagt sie . 002860 000195 " wir sind verheiratet , Walter , wir sind es ! - rhr mich nicht an " . 002861 000195 dann zum Wagen zurck . 002862 000195 Hanna hatte recht , irgendetwas vergaá ich stets ; aber auch dann , wenn sie mich erinnerte , war ich unter allen Umst„nden entschlossen , mich nach Athen versetzen zu lassen oder zu kndigen , um mich in Athen anzusiedeln , auch wenn ich im Augenblick selbst nicht sah , wie es sich machen lieáe , unser gemeinsames Wohnen ; ich bin gewohnt , L”sungen zu suchen , bis sie gefunden sind ... . 002863 000196 Hanna lieá mich ans Steuer , ich habe noch nie einen Opel-Olympia gefahren , und Hanna hatte auch die ganze Nacht nicht geschlafen ; sie tat jetzt , als schliefe sie . 002864 000196 in Athen kauften wir noch Blumen . 002865 000196 kurz vor fnfzehn Uhr . 002866 000196 noch im Wartezimmer , wo man uns warten l„át , sind wir vollkommen ahnungslos , Hanna wickelt das Papier von den Blumen - . 002867 000196 dann dieses Gesicht der Diakonissin ! . 002868 000196 Hanna am Fenster wie gestern , kein Wort zwischen uns , wir sehen einander nicht einmal an - . 002869 000196 dann kam Dr. Eleutheropulos . 002870 000196 alles griechisch ; aber ich verstehe alles . 002871 000196 ihr Tod kurz nach vierzehn Uhr . 002872 000196 -- dann vor ihrem Bett , Hanna und ich , man kann es einfach nicht glauben , unser Kind mit geschlossenen Augen , genau wie wenn sie schl„ft , aber weiálich wie Gips , ihr langer K”rper unter dem Leintuch , ihre H„nde neben den Hften , unsere Blumen auf ihrer Brust , ich meine es nicht als Trost , sondern wirklich : sie schl„ft ! . 002873 000196 ich kann es ja heute noch nicht glauben . 002874 000196 sie schl„ft ! sage ich - gar nicht zu Hanna , die pl”tzlich mich anschreit , Hanna mit ihren kleinen F„usten vor mir , ich erkenne sie nicht mehr , ich wehre mich nicht , ich merke es nicht , wie ihre F„uste mich auf die Stirne schlagen . 002875 000196 was „ndert das ! . 002876 000196 sie schreit und schl„gt mich ins Gesicht , bis sie nicht mehr kann , die ganze Zeit hatte ich nur meine Hand vor den Augen . 002877 000197 wie heute feststeht , ist der Tod unsrer Tochter nicht durch Schlangengift verursacht gewesen , das durch die Serum-Injektion erfolgreich bek„mpft worden ist ; ihr Tod war die Folge einer nichtdiagnostizierten Fraktur der Sch„delbasis , f+ compressio cerebri +f , hervorgerufen durch ihren Sturz ber die kleine B”schung . 002878 000197 Verletzung der f+ arteria meningica media +f , sog. Epidural-Haematom , was durch chirurgischen Eingriff ( wie man mir sagt ) ohne weiteres h„tte behoben werden k”nnen . 002879 000197 geschrieben in q+ Caracas , 21. Juni bis 8. Juli +q . 002880 000199 u+ zweite Station +u . 002881 000200 q+ Athen , Krankenhaus . 002882 000200 Beginn der Aufzeichnungen 19. Juli +q . 002883 000201 sie: haben: meine: Hermes-Baby: genommen: und: in: den: weiáen: Schrank: geschlossen: , weil: Mittag: , weil: Ruhestunde: . 002884 000201 ich: solle: von: Hand: schreiben: ! . 002885 000201 ich: kann: Handschrift: nicht: leiden: , ich: sitze: mit: nacktem: Oberk”rper: auf: dem: Bett: , und: mein: kleiner: Ventilator: ( Geschenk: von: Hanna: ) saust: von: Morgen: bis: Abend: ; sonst: Totenstille: . 002886 000201 heute: wieder: vierzig: Grad: im: Schatten: ! . 002887 000201 diese: Ruhestunden: ( 13.00: - 17.00: ) sind: das: Schlimmste: . 002888 000201 dabei: habe: ich: nur: noch: wenig: Zeit: , um: meinen: Kalender: nachzufhren: . 002889 000201 Hanna: besucht: mich: t„glich: , mein: Schreck: jedesmal: , wenn: es: an: die: weiáe: Doppeltre: klopft: ; Hanna: in: Schwarz: , ihr: Eintreten: in: mein: weiáes: Zimmer: . 002890 000201 warum: setzt: sie: sich: nie: ? . 002891 000201 sie: geht: t„glich: ans: Grab: , das: ist: zurzeit: alles: , was: ich: von: Hanna: weiá: , und: t„glich: ins: Institut: . 002892 000201 ihr: Stehen: am: offenen: Fenster: , w„hrend: ich: liegen: muá: , macht: mich: nerv”s: , ihr: Schweigen: . 002893 000201 kann: sie: verzeihen: ? . 002894 000201 kann: ich: wiedergutmachen: ? . 002895 000201 ich: weiá: nicht: einmal: , was: Hanna: seither: getan: hat: ; kein: Wort: davon: . 002896 000201 ich: habe: gefragt: , warum: Hanna: sich: nicht: setzt: . 002897 000201 ich: verstehe: Hanna: berhaupt: nicht: , ihr: L„cheln: , wenn: ich: frage: , ihr: Blick: an: mir: vorbei: , manchmal: habe: ich: Angst: , sie: wird: noch: verrckt: . 002898 000201 heute: sind: es: sechs: Wochen: . 002899 000201 8. VI. New York . 002900 000201 die bliche f+ Saturday-party +f drauáen bei Williams , ich wollte nicht gehen , aber ich muáte , das heiát : eigentlich konnte mich niemand zwingen , aber ich ging . 002901 000202 ich wuáte nicht, was anfangen . 002902 000202 zum Glck erwartete mich wenigstens die Meldung , daá die Turbinen fr Venezuela endlich zur Montage bereit sind , also Weiterflug sobald wie m”glich - ich fragte mich , ob ich meiner Aufgabe gewachsen bin . 002903 000202 w„hrend Williams , der Optimist , seine Hand auf meine Schulter legte , nickte ich ; aber ich fragte mich . 002904 000202 f+ come on , Walter , have a drink ! +f . 002905 000202 die bliche Umhersteherei - . 002906 000202 f+ Roman Holidays , oh , how marvellous ! +f . 002907 000202 ich habe niemand gesagt , daá meine Tochter gestorben ist , denn niemand weiá , daá es diese Tochter je gegeben hat , und ich trage auch keine Trauer im Knopfloch , denn ich will nicht , daá sie mich fragen , denn es geht sie ja alle nichts an . 002908 000202 f+ come on , Walter , another drink ! +f . 002909 000202 ich trinke viel zu viel - . 002910 000202 f+ Walter has trouble +f , sagt Williams ringsum , f+ Walter can't find the key of his home ! +f . 002911 000202 Williams meint , ich msse eine Rolle spielen , besser eine komische als keine . 002912 000202 man kann nicht einfach in der Ecke stehen und Mandeln essen . 002913 000202 f+ Fra Angelico , oh , I just love it ! +f . 002914 000202 alle verstehen mehr als ich - . 002915 000202 f+ how did you enjoy the Masaccio-fresco ? +f . 002916 000202 ich weiá nicht , was reden - . 002917 000202 f+ semantics ! +f . 002918 000202 f+ you've never heard of semantics ? +f . 002919 000202 ich komme mir wie ein Idiot vor - . 002920 000202 ich wohnte im Hotel Times Square . 002921 000202 mein Namensschild war noch an der Wohnung ; aber Freddy , der f+ doorman +f , wuáte nichts von einem Schlssel . 002922 000202 Ivy h„tte ihn abliefern sollen , ich klingelte an meiner eignen Tr . 002923 000202 ich war ratlos . 002924 000202 alles offen : f+ Office +f und Kino und f+ Subway +f , bloá meine Wohnung nicht . 002925 000203 sp„ter auf ein f+ Sightseeingboat +f , bloá um Zeit loszuwerden ; die Wolkenkratzer wie Grabsteine ( das habe ich schon immer gefunden ) , ich h”rte mir den Lautsprecher an : Rockefeller Center , Empire State , United Nations und so weiter , als h„tte ich nicht elf Jahre in diesem Manhattan gelebt . 002926 000203 dann ins Kino . 002927 000203 sp„ter fuhr ich mit der f+ Subway +f , wie blich : Irt: , Express: Uptown: , ohne Umsteigen am Columbus Circle , obschon ich mit der Independent: n„her zu meiner Wohnung gelangen k”nnte , aber ich bin in elf Jahren nie umgestiegen , ich stieg aus , wo ich immer ausgestiegen bin , und ging wie blich , im Vorbeigehen , zu meiner f+ Chinese Laundry +f , wo man mich noch kennt . 002928 000203 f+ hello Mister Faber +f , dann mit drei Hemden , die monatelang auf mich gewartet hatten , zurck zum Hotel , wo ich nichts zu tun hatte , wo ich mehrmals meine eigene Nummer anrief - natrlich ohne Erfolg ! - dann leider hierher . 002929 000203 f+ nice to see you , etc. +f . 002930 000203 vorher ging ich noch zu meiner Garage , um zu fragen , ob es meinen Studebaker noch gibt ; ich brauchte aber nicht zu fragen , man sah ihn von weither ( sein Lippenstiftrot ) im Hof zwischen schwarzen Brandmauern . 002931 000203 dann , wie gesagt , hierher . 002932 000203 f+ Walter , what's the matter with you ? +f . 002933 000203 ich habe diese f+ Saturday-party +f eigentlich von jeher gehaát . 002934 000203 es ist mir nicht gegeben , witzig zu sein . 002935 000203 aber deswegen brauche ich keine Hand auf meiner Schulter - . 002936 000203 f+ Walter , don't be silly ! +f . 002937 000203 ich wuáte , daá ich meiner Aufgabe nicht gewachsen bin . 002938 000203 ich war betrunken , ich wuáte es . 002939 000203 sie meinten , ich merke es nicht . 002940 000203 ich kannte sie . 002941 000203 wenn man nicht mehr da ist , wird niemand es bemerken . 002942 000204 ich war schon nicht mehr da . 002943 000204 ich ging ber den n„chtlichen Times Square ( zum letzten Mal , hoffe ich ) , um in einer ”ffentlichen Kabine nochmals meine Nummer einzustellen - ich verstehe heute noch nicht , wieso jemand abgenommen hat . 002944 000204 f+ " this is Walter " +f , sage ich . 002945 000204 f+ " who ? " +f . 002946 000204 " Walter Faber " , sage ich , f+ " this is Walter Faber - " +f . 002947 000204 unbekannt . 002948 000204 f+ " sorry " +f , sage ich . 002949 000204 vielleicht eine falsche Nummer ; ich nehme das riesige Manhattan-Buch , um meine Nummer nachzusehen , und versuche es nochmals . 002950 000204 f+ " who's calling ? " +f . 002951 000204 " Walter " , sage ich . 002952 000204 " Walter Faber " . 002953 000204 es antwortet dieselbe Stimme wie vorher , so daá ich eine Weile verstumme ; ich begreife nicht . 002954 000204 f+ " yes - what do you want ? " +f . 002955 000204 eigentlich kann mir nichts geschehen , wenn ich antworte . 002956 000204 ich fasse mich , bevor der andere aufh„ngt , und frage , bloá um zu sprechen , nach der Nummer . 002957 000204 f+ " yes - this is Trafalgar 4-5571 " +f . 002958 000204 ich bin betrunken . 002959 000204 f+ " that's impossible ! " +f sage ich . 002960 000204 vielleicht ist meine Wohnung vermietet , vielleicht hat die Nummer gewechselt , alles m”glich , ich sehe es ein , aber es hilft mir nichts . 002961 000204 " Trafalgar 4-5571 " , sage ich , f+ " that's me ! " +f . 002962 000204 ich h”re , wie er seine Hand auf die Muschel legt und mit jemand spricht ( mit Ivy ? ) , ich h”re Gel„chter , dann : f+ " who are you ? " +f . 002963 000205 ich frage zurck : f+ " are you Walter Faber ? " +f . 002964 000205 schlieálich h„ngte er ein , ich saá in einer Bar , schwindlig , ich vertrage keinen Whisky mehr , sp„ter bat ich den Barmann , die Nummer von Mister Faber zu suchen und mir die Nummer einzustellen , was er tat ; er gab mir den H”rer ; ich h”rte langes Klingeln , dann wurde abgenommen : f+ " Trafalgar 4-5571 - Hello ? " +f . 002965 000205 ich h„ngte auf , ohne einen Ton zu sagen . 002966 000205 meine: Operation: wird: mich: von: s„mtlichen: Beschwerden: fr: immer: erl”sen: , laut: Statistik: eine: Operation: , die: in: 94,6: von: 100: F„llen: gelingt: , und: was: mich: nerv”s: macht: , ist: lediglich: diese: Warterei: von: Tag: zu: Tag: . 002967 000205 ich: bin: nicht: gewohnt: , krank: zu: sein: . 002968 000205 was: mich: auch: nerv”s: macht: : wenn: Hanna: mich: tr”stet: , weil: sie: nicht: an: Statistik: glaubt: . 002969 000205 ich: bin: wirklich: voll: Zuversicht: , dazu: froh: , daá: ich's: nicht: in: New: York: oder: Dsseldorf: oder: Zrich: habe: machen: lassen: ; ich: muá: Hanna: sehen: , beziehungsweise: sprechen: mit: ihr: . 002970 000205 ich: kann: mir: nicht: vorstellen: , was: Hanna: auáerhalb: dieses: Zimmer: tut: . 002971 000205 iát: sie: ? . 002972 000205 schl„ft: sie: ? . 002973 000205 sie: geht: t„glich: ins: Institut: ( 08.00-11.00: und: 17.00-19.00: ) und: t„glich: ans: Grab: unsrer: Tochter: . 002974 000205 was: auáerdem: ? . 002975 000205 ich: habe: Hanna: gebeten: , daá: sie: sich: setzt: . 002976 000205 warum: spricht: sie: nicht: ?: . 002977 000205 wenn: Hanna: sich: setzt: , vergeht: keine: Minute: , bis: irgendetwas: fehlt: , Aschenbecher: oder: Feuerzeug: , so: daá: sie: sich: erhebt: und: wieder: stehenbleibt: . 002978 000205 wenn: Hanna: mich: nicht: aushalten: kann: , warum: kommt: sie: ? . 002979 000205 sie: richtet: mir: die: Kissen: . 002980 000205 wenn: es: Krebs: w„re: , dann: h„tten: sie: mich: sofort: unters: Messer: genommen: , das: ist: logisch: , ich: habe: es: Hanna: erkl„rt: , und: es: berzeugt: sie: , hoffe: ich: . 002981 000206 heute: ohne: Spritze: !: . 002982 000206 ich: werde: Hanna: heiraten: . 002983 000206 9. VI. Flug nach Caracas . 002984 000206 ich fliege diesmal ber Miami und Merida , Yucatan , wo man fast t„glich Anschluá nach Caracas hat , und unterbreche in Merida ( Magenbeschwerden ) - . 002985 000206 dann nochmals nach Campeche . 002986 000206 ( 6-1/2 Stunden mit Bus von Merida ) . 002987 000206 auf dem kleinen Bahnhof mit Schmalspurgeleise und Kakteen zwischen den Schwellen , wo ich mit Herbert Hencke schon einmal auf den Zug gewartet habe vor zwei Monaten , Kopf an die Mauer gelehnt mit geschlossenen Augen und Beine und Arme gespreizt , kommt mir alles , was seit dem letzten Warten auf diesen Zug geschehen ist , wie eine Halluzination vor - hier ist alles unver„ndert : . 002988 000206 die klebrige Luft - . 002989 000206 Geruch von Fisch und Ananas - . 002990 000206 die mageren Hunde - . 002991 000206 die toten Hunde , die niemand bestattet , die Zopilote auf den D„chern ber dem Markt , die Hitze , der flaue Gestank vom Meer , die filzige Sonne ber dem Meer , ber dem Land blitzte es aus schwarzem Gew”lk bl„ulich-weiá wie das zuckende Licht einer Quarzlampe . 002992 000206 nochmals die Bahnfahrt ! . 002993 000206 das Wiedersehen mit Palenque machte mich geradezu froh , alles unver„ndert : die Veranda mit unseren H„ngematten , unser Bier , unsere Pinte mit dem Papagei , man kennt mich noch , sogar die Kinder kennen mich , ich kaufe und verteile mexikanisches Zuckerzeug , einmal fahre ich sogar zu den Ruinen hinaus , wo sowieso alles unver„ndert ist , kein Mensch , die schwirrenden V”gel wie damals , es ist noch genau wie vor zwei Monaten - auch die Nacht , nachdem der Dieselmotor von Palenque verstummt ist : der Truthahn im Gehege vor der Veranda , sein Kreischen , weil er das Wetterleuchten nicht mag , das Reh , die schwarze Sau am Pflock , der wattige Mond , das grasende Pferd in der Nacht . 002994 000207 berall mein máiger Gedanke : w„re es doch damals ! nur zwei Monate zurck , die hier nichts ver„ndert haben ; warum kann es nicht sein , daá es April ist ! und alles andere eine Halluzination von mir . 002995 000207 dann allein mit Landrover - . 002996 000207 ich rede mit Herbert . 002997 000207 ich rede mit Marcel . 002998 000207 ich bade im Rio Usumancinta , der sich ver„ndert hat ; er hat mehr Wasser , keine Bl„schen auf dem Wasser , weil es rascher flieát , und es ist zweifelhaft , ob man jetzt noch mit einem Landrover durchkommt , ohne zu ersaufen - . 002999 000207 es ist gegangen . 003000 000207 Herbert war ver„ndert , man sah es auf den ersten Blick , Herbert mit einem Bart , aber auch sonst - sein Miátrauen : " Mensch , was willst denn du hier ? " . 003001 000207 Herbert meint , ich reise im Auftrag seiner Familie , beziehungsweise Firma , um ihn nach Dsseldorf zurckzuholen , und glaubt nicht , daá ich gekommen bin , bloá um ihn wiederzusehen , aber es ist so ; man hat nicht soviel Freunde . 003002 000207 er hat seine Brille zerbrochen . 003003 000207 " warum flickst du sie nicht ? " frage ich . 003004 000208 ich flicke seine Brille - . 003005 000208 w„hrend der Regengsse sitzen wir in der Baracke sozusagen wie in einer Arche Noah , ohne Licht , weil die Batterie , die seinerzeit noch das Radio betrieben hat , l„ngst verbraucht ist , und was man aus der Welt berichtet , interessiert ihn berhaupt nicht , auch Ereignisse aus Deutschland nicht , Aufruf der G”ttinger Professoren ; ich rede nicht von pers”nlichen Dingen . 003006 000208 ich erkundige mich nach seinem Nash - . 003007 000208 Herbert ist nie in Palenque gewesen ! . 003008 000208 ich habe Gasoline gebracht, fnf Kanister fr Herbert , damit er jederzeit fahren kann ; aber er denke nicht daran . 003009 000208 sein Grinsen im Bart . 003010 000208 wir verstanden uns berhaupt nicht . 003011 000208 sein Grinsen , als er sieht , wie ich mich mit einer alten Klinge rasiere , weil es hier keinen Strom gibt und weil ich keinen Bart will , weil ich ja weiter muá - . 003012 000208 seinerseits keinerlei Pl„ne ! . 003013 000208 sein Nash 55 stand unter dem drren Bl„tterdach wie das vorige Mal , sogar der Schlssel steckte noch ; offenbar wissen diese Indios nicht einmal , wie man einen Motor anl„át , alles war unversehrt , aber in einem sagenhaften Zustand , so daá ich mich sogleich an die Arbeit machte . 003014 000208 " wenn's dir Spaá macht " , sagt er , " bitte " . 003015 000208 Herbert auf Guana-Fang . 003016 000208 ich finde den Motor vollkommen verschlammt von Regengssen , alles muá gereinigt werden , alles verfilzt und verschleimt , Geruch von Bltenstaub , der auf Maschinen”l klebt und verwest , aber ich bin froh um Arbeit - . 003017 000208 die Maya-Kinder ringsum . 003018 000208 sie schauen tagelang zu , wie ich den Motor zerlege, Bananenbl„tter auf dem Boden , die Maschinenteile drauf - Wetterleuchten ohne Regen . 003019 000209 die Mtter gaffen auch zu , sie kommen nicht aus dem Geb„ren heraus , scheint es , sie halten ihren letzten S„ugling an der braunen Brust , abgesttzt auf ihrer neuen Schwangerschaft , so stehen sie da , w„hrend ich den Motor putze , und gaffen , ohne ein Wort zu sagen , da ich sie nicht verstehe . 003020 000209 Herbert mit seinem Guana-Bndel - . 003021 000209 sie leben , sie sind vollkommen reglos , bis man sie anrhrt , ihr Eidechsenmaul zusammengebunden mit Stroh , weil sie sehr bissig sind , gekocht schmecken sie wie Hhnerfleisch . 003022 000209 abends in H„ngematten . 003023 000209 kein Bier , nur diese Kokos-Milch - . 003024 000209 Wetterleuchten . 003025 000209 meine Sorge , es k”nnte etwas gestohlen werden , was nicht zu ersetzen ist , berhrt Herbert nicht ; er ist berzeugt , daá sie keine Maschinenteile anrhren . 003026 000209 kein Wort mehr von Revolte ! . 003027 000209 sie arbeiten sogar tchtig , sagt Herbert , sie gehorchen , obschon berzeugt , daá es nichts ntzt . 003028 000209 sein Grinsen im Bart - . 003029 000209 die Zukunft der deutschen Zigarre ! . 003030 000209 ich frage Herbert , was er sich eigentlich denke ; ob er bleiben wolle oder nach Dsseldorf zurckkehre ; was er vorhabe - . 003031 000209 f+ nada ! +f . 003032 000209 einmal sage ich , daá ich Hanna getroffen habe , daá ich Hanna heiraten werde ; aber ich weiá nicht einmal , ob Herbert es geh”rt hat . 003033 000209 Herbert wie ein Indio ! . 003034 000209 die Hitze - . 003035 000210 die Leuchtk„fer - . 003036 000210 man tropft wie in einer Sauna . 003037 000210 am andern Tag gab es Regen , pl”tzlich , nur eine Viertelstunde lang , Sintflut , dann wieder Sonne ; aber das Wasser stand in braunen Teichen , und ich hatte den Nash aus der Htte gestoáen , um in der Luft arbeiten zu k”nnen , hatte nicht wissen k”nnen , daá gerade hier ein Teich entstehen wrde . 003038 000210 ich konnte es nicht komisch finden , im Gegensatz zu Herbert . 003039 000210 das Wasser reichte ber die Achsen , ganz zu schweigen von Teilen des zerlegten Motors , die ich auf der Erde ausgebreitet hatte . 003040 000210 ich war entsetzt , als ich's sah . 003041 000210 Herbert gab mir zwanzig Indios , um mich zu beruhigen , und tat , als ginge es ihn selbst nichts an , das Baumf„llen , das ich anordnete , das Aufbocken , damit man von unten zukam . 003042 000210 ich verlor einen ganzen Tag , bis ich nur die Bestandteile des Motors gesammelt hatte , das Waten in dem trben Tmpel , das Austasten des warmen Schlammes , alles muáte ich allein machen , da Herbert sich nicht interessierte . 003043 000210 " gib's auf ! " sagte er nur . 003044 000210 " wozu ! " . 003045 000210 ich stellte die zwanzig Indios an , um Gr„ben auszuheben , damit das Wasser endlich ablief ; nur so war es m”glich , s„mtliche Bestandteile zu finden , noch immer schwierig genug , da sie zum Teil im Schlamm bereits versunken waren , einfach verschluckt . 003046 000210 sein zweites Wort : f+ nada ! +f . 003047 000210 ich lieá ihn bl”deln , ohne zu antworten . 003048 000210 ohne Nash war Herbert verloren . 003049 000210 ich lieá mich nicht anstecken und arbeitete . 003050 000210 " was machst du ohne einen Wagen ? " sagte ich . 003051 000210 als ich den Motor endlich beisammen hatte , so daá er lief , grinste er und sagte Bravo , nichts weiter , er schlug seine Hand auf meine Schulter : ich soll ihn haben , seinen Nash , er schenke ihn mir . 003052 000211 " was soll ich damit ! " sagte er - . 003053 000211 Herbert war nicht abzubringen von seiner Bl”delei : Herbert als Verkehrspolizist , w„hrend ich in dem aufgebockten Wagen , um nochmals alles zu prfen , am Steuer sitze und schalte , ringsum Mayakinder , die Mtter mit ihren weiáen Hemden , alle mit S„ugling , sp„ter auch M„nner , die im Dickicht stehen , alle mit ihrem krummen Messer , sie haben seit Monaten keinen Motor geh”rt , ich schalte und gebe Vollgas , Leerlauf der R„der in der Luft , Herbert winkt : stop ! ich stoppe , ich hupe , Herbert winkt : Durchfahrt ! . 003054 000211 die Indios ( es werden immer mehr ) gaffen uns zu , ohne zu lachen , w„hrend wir bl”deln , alle ganz stumm , geradezu and„chtig , w„hrend wir ( wozu eigentlich ! ) Stoáverkehr in Dsseldorf spielen - . 003055 000211 Diskussion: mit: Hanna: ! - ber: Technik: ( laut: Hanna: ) als: Kniff: , die: Welt: so: einzurichten: , daá: wir: sie: nicht: erleben: mssen: . 003056 000211 Manie: des: Technikers: , die: Sch”pfung: nutzbar: zu: machen: , weil: er: sie: als: Partner: nicht: aush„lt: , nichts: mit: ihr: anfangen: kann: ; Technik: als: Kniff: , die: Welt: als: Widerstand: aus: der: Welt: zu: schaffen: , beispielsweise: durch: Tempo: zu: verdnnen: , damit: wir: sie: nicht: erleben: mssen: . 003057 000211 ( was: Hanna: damit: meint: , weiá: ich: nicht: ) . 003058 000211 die: Weltlosigkeit: des: Technikers: . 003059 000211 ( was: Hanna: damit: meint: , weiá: ich: nicht: ) . 003060 000211 Hanna: macht: keine: Vorwrfe: , Hanna: findet: es: nicht: unbegreiflich: , daá: ich: mich: gegenber: Sabeth: so: verhalten: habe: ; ich: habe: ( meint: Hanna: ) eine: Art: von: Beziehung: erlebt: , die: ich: nicht: kannte: , und: sie: miádeutet: , indem: ich: mir: einredete: , verliebt: zu: sein: . 003061 000212 es: ist: kein: zuf„lliger: Irrtum: gewesen: , sondern: ein: Irrtum: , der: zu: mir: geh”rt: ( ?: ) wie: mein: Beruf: , wie: mein: ganzes: Leben: sonst: . 003062 000212 mein: Irrtum: : daá: wir: Techniker: versuchen: , ohne: den: Tod: zu: leben: . 003063 000212 w”rtlich: : Du: behandelst: das: Leben: nicht: als: Gestalt: , sondern: als: bloáe: Addition: , daher: kein: Verh„ltnis: zur: Zeit: , weil: kein: Verh„ltnis: zum: Tod: . 003064 000212 Leben: sei: Gestalt: in: der: Zeit: . 003065 000212 Hanna: gibt: zu: , daá: sie: nicht: erkl„ren: kann: , was: sie: meint: . 003066 000212 Leben: ist: nicht: Stoff: , nicht: mit: Technik: zu: bew„ltigen: . 003067 000212 mein: Irrtum: mit: Sabeth: : Repetition: , ich: habe: mich: so: verhalten: , als: gebe: es: kein: Alter: , daher: widernatrlich: . 003068 000212 wir: k”nnen: nicht: das: Alter: aufheben: , indem: wir: weiter: addieren: , indem: wir: unsere: eigenen: Kinder: heiraten: . 003069 000212 20. VI. Ankunft in Caracas . 003070 000212 endlich klappte es ; die Turbinen waren an Ort und Stelle , ebenso die angeforderten Arbeitskr„fte . 003071 000212 ich riá mich zusammen , solange es ging , und daá ich jetzt , wo die Montage endlich lief , meinerseits ausfiel wegen Magenbeschwerden , war Pech , aber nicht zu „ndern ; anl„álich meines vorigen Besuches ( 15. und 16. IV. ) war ich fit gewesen , aber alles brige nicht bereit . 003072 000212 es war insofern meine Schuld , daá ich die Montage nicht berwachen konnte ; ich muáte im Hotel liegen , was kein Spaá ist , mehr als zwei Wochen . 003073 000212 in Caracas hatte ich auf einen Brief von Hanna gehofft . 003074 000212 ein Telegramm nach Athen , das ich damals aufgab , blieb ebenfalls ohne Antwort . 003075 000212 ich wollte Hanna schreiben und fing mehrere Briefe an ; aber ich hatte keine Ahnung , wo Hanna steckt , und es blieb mir nichts anderes brig ( etwas muáte ich in diesem Hotel ja tun ! ) als einen Bericht abzufassen , ohne denselben zu adressieren . 003076 000213 die Montage ging in Ordnung - ohne mich . 003077 000213 die: Diakonissin: hat: mir: endlich: einen: Spiegel: gebracht: - ich: bin: erschrocken: . 003078 000213 ich: bin: immer: hager: gewesen: , aber: nicht: so: wie: jetzt: ; nicht: wie: der: alte: Indio: in: Palenque: , der: uns: die: feuchte: Grabkammer: zeigte: . 003079 000213 ich: bin: wirklich: etwas: erschrocken: . 003080 000213 auáer: beim: Rasieren: pflege: ich: nicht: in: den: Spiegel: zu: schauen: ; ich: k„mme: mich: ohne: Spiegel: , trotzdem: weiá: man: , wie: man: aussieht: , beziehungsweise: ausgesehen: hat: . 003081 000213 meine: Nase: ist: von: jeher: zu: lang: gewesen: , doch: meine: Ohren: sind: mir: nicht: aufgefallen: . 003082 000213 ich: trage: allerdings: ein: Pyjama: ohne: Kragen: , daher: mein: zu: langer: Hals: , die: Sehnen: am: Hals: , wenn: ich: den: Kopf: drehe: , und: Gruben: zwischen: den: Sehnen: , H”hlen: , die: mir: nie: aufgefallen: sind: . 003083 000213 meine: Ohren: : wie: bei: geschorenen: H„ftlingen: ! . 003084 000213 ich: kann: mir: im: Ernst: nicht: vorstellen: , daá: mein: Sch„del: kleiner: geworden: ist: . 003085 000213 ich: frage: mich: , ob: meine: Nase: sympathischer: ist: , und: komme: zum: Schluá: , daá: Nasen: nie: sympathisch: sind: , eher: absurd: , geradezu: obsz”n: . 003086 000213 sicher: habe: ich: damals: in: Paris: ( vor: zwei: Monaten: ! ) nicht: so: ausgesehen: , sonst: w„re: Sabeth: nie: mit: mir: in: die: Opera: gekommen: . 003087 000213 dabei: ist: meine: Haut: noch: ziemlich: gebr„unt: , nur: der: Hals: etwas: weiálich: . 003088 000213 mit: Poren: wie: bei: einem: gerupften: Hhnerhals: ! . 003089 000213 mein: Mund: ist: mir: noch: sympathisch: , ich: weiá: nicht: warum: , mein: Mund: und: meine: Augen: , die: brigens: nicht: braun: sind: , wie: ich: immer: gemeint: habe: , weil: es: im: Paá: so: heiát: , sondern: graugrnlich: ; alles: andere: k”nnte: auch: einem: andern: geh”ren: , der: sich: berarbeitet: hat: . 003090 000213 meine: Z„hne: habe: ich: schon: immer: verflucht: . 003091 000214 sobald: ich: wieder: auf: den: Beinen: bin: , muá: ich: zum: Zahnarzt: . 003092 000214 wegen: Zahnstein: , vielleicht: auch: wegen: Granulom: ; ich: spre: keinerlei: Schmerz: , nur: Puls: im: Kiefer: . 003093 000214 meine: Haare: habe: ich: stets: sehr: kurz: getragen: , weil: es: praktischer: ist: , und: auf: den: Seiten: ist: mein: Haarwuchs: keineswegs: dnner: geworden: , auch: hinten: nicht: . 003094 000214 grau: bin: ich: eigentlich: schon: lange: , silberblond: , was: mich: nicht: kmmert: . 003095 000214 wenn: ich: auf: dem: Rcken: liege: und: den: Spiegel: ber: mich: halte: , sehe: ich: immer: noch: aus: , wie: ich: ausgesehen: habe: ; nur: etwas: magerer: , was: von: der: Di„t: kommt: , begreiflicherweise: . 003096 000214 vielleicht: ist: es: auch: das: weiáliche: Jalousie-Licht: in: diesem: Zimmer: , was: einen: bleich: macht: sozusagen: hinter: der: gebr„unten: Haut: ; nicht: weiá: , aber: gelb: . 003097 000214 schlimm: nur: die: Z„hne: . 003098 000214 ich: habe: sie: immer: gefrchtet: ; was: man: auch: dagegen: tut: : ihre: Verwitterung: . 003099 000214 berhaupt: der: ganze: Mensch: ! - als: Konstruktion: m”glich: , aber: das: Material: ist: verfehlt: : Fleisch: ist: kein: Material: , sondern: ein: Fluch: . 003100 000214 PS.: . 003101 000214 es: hat: noch: nie: so: viele: Todesf„lle: gegeben: , scheint: mir: , wie: in: diesem: letzten: Vierteljahr: . 003102 000214 jetzt: ist: Professor: O.: , den: ich: in: Zrich: noch: vor: einer: Woche: pers”nlich: gesprochen: habe: , auch: gestorben: . 003103 000214 PS.: . 003104 000214 ich: habe: mich: eben: rasiert: , dann: die: Haut: massiert: . 003105 000214 l„cherlich: , was: man: sich: vor: lauter: Máiggang: alles: einbildet: ! . 003106 000214 kein: Grund: zum: Erschrecken: , es: fehlt: mir: nur: an: Bewegung: und: frischer: Luft: , das: ist: alles: . 003107 000215 9. - 13. VII. in Cuba . 003108 000215 was ich in Habana zu tun hatte : - das Flugzeug wechseln , weil ich keinesfalls ber New York fliegen wollte , KLM: von Caracas , Cubana nach Lissabon , ich blieb vier Tage . 003109 000215 vier Tage nichts als Schauen - . 003110 000215 El: Prado: : die alte Straáe mit den alten Platanen , wie die Rambla in Barcelona , Corso am Abend , die Allee der sch”nen Menschen , unglaublich , ich gehe und gehe , ich habe nichts anderes zu tun - . 003111 000215 die gelben V”gel , ihr Krawall bei D„mmerung . 003112 000215 alle wollen meine Schuhe putzen - . 003113 000215 die Neger-Spanierin , die mir ihre Zunge herausstreckt , weil ich sie bewundere , ihre Rosa-Zunge im braunen Gesicht , ich lache und gráe - sie lacht auch , ihr weiáes Gebiá in der roten Blume ihrer Lippen ( wenn man so sagen kann ) und ihre Augen , ich will nichts von ihr . 003114 000215 f+ " how do you like Habana ? " +f . 003115 000215 mein Zorn , daá sie mich immer fr einen Amerikaner halten , bloá weil ich ein Weiáer bin ; die Zuh„lter auf Schritt und Tritt : f+ " something very beautiful ! +f . 003116 000215 f+ d'you know what I mean ? +f . 003117 000215 f+ something very young ! " +f . 003118 000215 alles spaziert , alles lacht . 003119 000215 alles wie Traum - . 003120 000215 die weiáen Polizisten , die Zigarren rauchen ; die Soldaten der Marine , die Zigarren rauchen : - Buben , ihre Hften in den engen Hosen . 003121 000215 Castillo: del: Morro: ( Philipp II. ) . 003122 000215 ich lasse meine Schuhe putzen . 003123 000215 mein Entschluá , anders zu leben - . 003124 000216 meine Freunde - . 003125 000216 ich kaufe Zigarren , zwei Kistchen . 003126 000216 Sonnenuntergang - . 003127 000216 die nackten Buben im Meer , ihre Haut , die Sonne auf ihrer nassen Haut , die Hitze , ich sitze und rauche eine Zigarre , Gewitterwolken ber der weiáen Stadt : schwarz-violett , dazu der letzte Sonnenschein auf den Hochh„usern . 003128 000216 El: Prado: : die grne D„mmerung , die Eisverk„ufer ; auf der Mauer unter den Laternen sitzen die M„dchen ( in Gruppen ) und lachen . 003129 000216 Tamales: : das ist Mais , eingewickelt in Bananenbl„tter , ein Imbiá , den sie auf den Straáen verkaufen - man iát im Gehen und verliert keine Zeit . 003130 000216 meine Unrast ? . 003131 000216 wieso eigentlich ? . 003132 000216 ich hatte in Habana gar nichts zu tun . 003133 000216 meine Rast im Hotel - immer wieder - mit Duschen , dann kleiderlos auf dem Bett , Ventilator-Wind , ich liege und rauche Zigarren . 003134 000216 ich schlieáe meine Zimmertr nicht ab ; drauáen das f+ Girl +f , das im Korridor putzt und singt , auch eine Neger-Spanierin , ich rauche pausenlos . 003135 000216 meine Begierde - . 003136 000216 warum kommt sie nicht einfach ! . 003137 000216 meine Mdigkeit dabei , ich bin zu mde , um mir einen Aschenbecher zu holen ; ich liege auf dem Rcken und rauche meine Zigarre , so daá ihre weiáliche Asche nicht abf„llt , senkrecht . 003138 000216 Partagas: . 003139 000216 wenn ich wieder auf den Prado gehe , so ist es wieder wie eine Halluzination : - lauter sch”ne M„dchen , auch die M„nner sehr sch”n , lauter wunderbare Menschen , die Mischung von Neger und Spanier , ich komme nicht aus dem Gaffen heraus : ihr aufrechter und flieáender Gang , die M„dchen in blauen Glockenr”cken , ihr weiáes Kopftuch , Fesseln wie bei Negerinnen , ihre nackten Rcken sind gerade so dunkel wie der Schatten unter den Platanen , infolgedessen sieht man auf den ersten Blick bloá ihre R”cke , blau oder lila , ihr weiáes Kopftuch und das weiáe Gebiá , wenn sie lachen , das Weiá ihrer Augen ; ihre Ohrringe blinken - . 003140 000217 f+ the: Caribbean: Bar: +f . 003141 000217 ich rauche schon wieder - . 003142 000217 f+ Romeo: y: Julieta: +f . 003143 000217 ein junger Mann , den ich zuerst fr einen Zuh„lter halte , besteht darauf , meinen Whisky zu zahlen , weil er Vater geworden ist : f+ " for the first time ! " +f . 003144 000217 er umarmt mich , dazu immer wieder : f+ " isn't it a wonderful thing ? " +f . 003145 000217 er stellt sich vor und will wissen , wie man heiát , wieviel Kinder man hat , vor allem S”hne ; ich sage : f+ " five " +f . 003146 000217 er will sofort fnf Whiskys bestellen . 003147 000217 " Walter " , sagt er , f+ you're my brother ! " +f . 003148 000217 kaum hat man angestoáen , ist er weg , um den andern einen Whisky zu zahlen , um zu fragen , wieviel Kinder sie haben , vor allem S”hne - . 003149 000217 alles wie verrckt . 003150 000217 endlich das Gewitter : - wie ich allein unter den Arkaden sitze in einem gelben Schaukelstuhl , ringsum rauscht es , ein pl”tzlicher Platzregen mit Wind , die Allee ist pl”tzlich ohne Menschen , wie Alarm , Knall der Storen , drauáen die Spritzer ber dem Pflaster : wie ein pl”tzliches Beet von Narzissen ( vor allem unter den Laternen ) weiá - . 003151 000218 wie ich schaukle und schaue . 003152 000218 meine Lust , jetzt und hier zu sein - . 003153 000218 ab und zu duscht es unter die Arkaden , Blten-Konfetti , dann der Geruch von heiáem Laub und die pl”tzliche Khle auf der Haut , ab und zu Blitze , aber der Wasserfall ist lauter als alles Gedonner , ich schaukle und lache , Wind , das Schaukeln der leeren Sessel neben mir , die Flagge von Cuba . 003154 000218 ich pfeife . 003155 000218 mein Zorn auf Amerika ! . 003156 000218 ich schaukle und fr”stle - . 003157 000218 f+ the: American: Way: of: Life: ! +f . 003158 000218 mein Entschluá , anders zu leben - . 003159 000218 Licht der Blitze ; nachher ist man wie blind , einen Augenblick lang hat man gesehen : die schwefelgrne Palme im Sturm , Wolken , violett mit der bl„ulichen Schweiábrenner-Glut , das Meer , das flatternde Wellblech ; der Hall von diesem flatternden Wellblech , meine kindliche Freude daran , meine Wollust - ich singe . 003160 000218 f+ the: American: Way: of: Life: +f : schon was sie essen und trinken , diese Bleichlinge , die nicht wissen , was Wein ist , diese Vitamin-Fresser , die kalten Tee trinken und Watte kauen und nicht wissen , was Brot ist , dieses Coca-Cola-Volk , das ich nicht mehr ausstehen kann - . 003161 000218 dabei lebe ich von ihrem Geld ! . 003162 000218 ich lasse mir die Schuhe putzen - . 003163 000218 mit ihrem Geld ! . 003164 000219 der Siebenj„hrige , der mir schon einmal die Schuhe geputzt hat , jetzt wie eine ersoffene Katze ; ich greife nach seinem Kruselhaar - . 003165 000219 sein Grinsen - . 003166 000219 es ist nicht schwarz , sein Haar , eher grau wie Asche , braungrau , jung , wie Roáhaar fhlt es sich an , aber kruselig und kurz , man sprt den kindlichen Sch„del darunter , warm , wie wenn man einen geschorenen Pudel greift . 003167 000219 er grinst nur und putzt weiter - . 003168 000219 ich liebe ihn . 003169 000219 seine Z„hne - . 003170 000219 seine junge Haut - . 003171 000219 seine Augen erinnern mich an Houston , Texas , an die putzende Negerin , die in der Toilette , als ich meinen Schweiáanfall mit Schwindel hatte , neben mir kniete , das Weiá ihrer groáen Augen , die berhaupt anders sind , sch”n wie Tier-Augen . 003172 000219 berhaupt ihr Fleisch ! . 003173 000219 wir plaudern ber Auto-Marken . 003174 000219 seine flinken H„nde - . 003175 000219 es gibt keine Menschen mehr auáer uns , ein Bub und ich , die Sintflut ringsum , er hockt und gl„nzt meine Schuhe mit seinem Lappen , daá es nur so klatscht - . 003176 000219 f+ the: American: Way: of: Life: +f : schon ihre H„álichkeit , verglichen mit Menschen wie hier : ihre rosige Bratwurst-Haut , gr„álich , sie leben , weil es Penicillin gibt , das ist alles , ihr Getue dabei , als w„ren sie glcklich , weil Amerikaner , weil ohne Hemmungen , dabei sind sie nur schlaksig und laut - Kerle wie Dick , die ich mir zum Vorbild genommen habe ! - wie sie herumstehen , ihre linke Hand in der Hosentasche , ihre Schulter an die Wand gelehnt , ihr Glas in der andern Hand , ungezwungen , die Schutzherren der Menschheit , ihr Schulterklopfen , ihr Optimismus , bis sie besoffen sind , dann Heulkrampf , Ausverkauf der weiáen Rasse , ihr Vakuum zwischen den Lenden . 003177 000220 mein Zorn auf mich selbst ! . 003178 000220 ( wenn man nochmals leben k”nnte ) . 003179 000220 mein Nacht-Brief an Hanna - . 003180 000220 am andern Tag fuhr ich hinaus an den Strand , es war wolkenlos und heiá , Mittag mit schwacher Brandung : die auslaufenden Wellen , dann das Klirren im Kies , jeder Strand erinnert mich an Theodohori . 003181 000220 ich weine . 003182 000220 das klare Wasser , man sieht den Meeresgrund , ich schwimme mit dem Gesicht im Wasser , damit ich den Meeresgrund sehe ; mein eigner Schatten auf dem Meeresgrund : ein violetter Frosch . 003183 000220 Brief an Dick . 003184 000220 was Amerika zu bieten hat : Komfort , die beste Installation der Welt , f+ ready for use +f , die Welt als amerikanisiertes Vakuum , wo sie hinkommen , alles wird f+ Highway +f , die Welt als Plakat-Wand zu beiden Seiten , ihre St„dte , die keine sind , Illumination , am andern Morgen sieht man die leeren Gerste , Klimbim , infantil , Reklame fr Optimismus als Neon-Tapete vor der Nacht und vor dem Tod - . 003185 000220 sp„ter mietete ich ein Boot . 003186 000220 um allein zu sein ! . 003187 000220 noch im Badkleid sieht man ihnen an , daá sie Dollar haben ; ihre Stimmen ( wie an der Via Appia ) , nicht auszuhalten , ihre Gummi-Stimmen berall , Wohlstand-Plebs . 003188 000220 Brief an Marcel . 003189 000220 Marcel hat recht : ihre falsche Gesundheit , ihre falsche Jugendlichkeit , ihre Weiber , die nicht zugeben k”nnen , daá sie „lter werden , ihre Kosmetik noch an der Leiche , berhaupt ihr pornografisches Verh„ltnis zum Tod , ihr Pr„sident , der auf jeder Titelseite lachen muá wie ein rosiges Baby , sonst w„hlen sie ihn nicht wieder , ihre obsz”ne Jugendlichkeit - . 003190 000221 ich ruderte weit hinaus . 003191 000221 Hitze auf dem Meer - . 003192 000221 sehr allein . 003193 000221 ich las meine Briefe an Dick und an Marcel und zerriá sie , weil unsachlich ; die weiáen Fetzchen auf dem Wasser ; mein weiáes Brusthaar - . 003194 000221 sehr allein . 003195 000221 sp„ter wie ein Schulbub : ich zeichne eine Frau in den heiáen Sand und lege mich in diese Frau , die nichts als Sand ist , und spreche laut zu ihr - . 003196 000221 Wildlingin ! . 003197 000221 ich wuáte nicht , was anfangen mit diesem Tag , mit mir , ein komischer Tag , ich kannte mich selbst nicht , keine Ahnung , wie er vergangen ist , ein Nachmittag , der geradezu wie Ewigkeit aussah , blau , unertr„glich , aber sch”n , aber endlos - bis ich wieder auf der Prado-Mauer sitze ( abends ) mit geschlossenen Augen ; ich versuche mir vorzustellen , daá ich in Habana bin , daá ich auf der Prado-Mauer sitze . 003198 000221 ich kann es mir nicht vorstellen , Schrecken . 003199 000221 alle wollen meine Schuhe putzen - . 003200 000221 lauter sch”ne Menschen , ich bewundere sie wie fremde Tiere , ihr weiáes Gebiá in der D„mmerung , ihre braunen Schultern und Arme , ihre Augen - ihr Lachen , weil sie gerne leben , weil Feierabend , weil sie sch”n sind . 003201 000221 meine Wollust , zu schauen - . 003202 000221 meine Begierde - . 003203 000222 Vakuum zwischen den Lenden - . 003204 000222 ich existiere nur noch fr Schuhputzer ! . 003205 000222 die Zuh„lter - . 003206 000222 die Eisverk„ufer - . 003207 000222 ihr Vehikel : Kombination aus alten Kinderwagen und Buffet , dazu ein halbes Fahrrad , Baldachin aus verrosteten Jalousien ; Karbid-Licht ; ringsum die grne D„mmerung mit ihren blauen Glockenr”cken . 003208 000222 der lila Mond - . 003209 000222 dann meine Taxi-Geschichte : es war noch frh am Abend , aber ich ertrug es nicht l„nger als Leiche im Corso der Lebenden zu gehen und wollte in mein Hotel , um ein Schlafpulver zu nehmen , ich winkte einem Taxi , und als ich die Tre aufreiáe , sitzen bereits die zwei Damen darin , eine schwarze , eine blonde , ich sage : f+ sorry ! +f schlage die Wagentr zu , aber der f+ Driver +f springt heraus , um mich zurckzurufen : f+ yes , Sir ! +f ruft er und reiát die Wagentre wieder auf : f+ for you , Sir ! +f ich muá lachen ber soviel f+ " service " +f , steige ein - . 003210 000222 unser kostbares Souper ! . 003211 000222 dann die Blamage - . 003212 000222 ich habe gewuát , daá es einmal so kommen wird , sp„ter liege ich in meinem Hotel - schlaflos , aber gelassen , es ist eine heiáe Nacht , ab und zu dusche ich meinen K”rper , der mich verl„át , aber ich nehme kein Schlafpulver , mein K”rper taugt gerade noch , um den Ventilator-Wind zu genieáen , der hin und her schwenkt , Wind auf Brust , Wind auf Beine , Wind auf Brust . 003213 000222 mein Hirngespinst : Magenkrebs . 003214 000222 sonst glcklich - . 003215 000222 Krawall der V”gel im Morgengrauen , ich nehme meine Hermes-Baby und tippe endlich meinen Unesco-Rapport , betreffend die Montage in Venezuela , die erledigt ist . 003216 000223 dann Schlaf bis Mittag . 003217 000223 ich esse Austern , weil ich nicht weiá , was tun , meine Arbeit ist erledigt , ich rauche viel zu viel Zigarren . 003218 000223 ( daher meine Magenschmerzen ) . 003219 000223 die šberraschung abends : wie ich mich auf der Prado-Mauer einfach zu dem fremden M„dchen setze und sie anspreche , meines Erachtens dieselbe , die vorgestern die Rosa-Zunge herausgestreckt hat . 003220 000223 sie erinnert sich nicht . 003221 000223 ihr Lachen , als ich sage , daá ich kein f+ American +f bin . 003222 000223 mein Spanisch zu langsam - . 003223 000223 f+ " say it in English ! " +f . 003224 000223 ihre langen und dnnen H„nde - . 003225 000223 mein Spanisch reicht fr berufliche Verhandlungen , die Komik : ich sage nicht , was ich will , sondern was die Sprache will . 003226 000223 ihr Lachen dazu . 003227 000223 ich bin das Opfer meines kleinen Wortschatzes . 003228 000223 ihr Staunen , ihre geradezu lieben Augen , wenn ich manchmal selber staune : ber mein Leben , das mir selber , so gesagt , belanglos vorkommt . 003229 000223 Juana ist achtzehn . 003230 000223 ( noch jnger als unser Kind ) . 003231 000223 Suiza : sie meint immer Schweden . 003232 000223 ihre braunen Arme als Sttzen rckw„rts gespreizt , ihr Kopf an der Guáeisen-Laterne , ihr weiáes Kopftuch und das schwarze Haar , ihre unglaublich sch”nen Fáe ; wir rauchen ; meine beiden weiáen H„nde um mein rechtes Hosenknie gespannt - . 003233 000223 ihre Unbefangenheit . 003234 000223 sie hat Cuba noch nie verlassen - . 003235 000224 das ist erst mein dritter Abend hier , aber alles schon vertraut : die grne D„mmerung mit Neon-Reklame darin , die Eisverk„ufer , die gescheckte Rinde der Platanen , die V”gel mit ihrem Zwitschern und das Schattennetz auf dem Boden , die rote Blume ihrer Mnder . 003236 000224 ihr Lebensziel : New York ! . 003237 000224 der Vogelmist von oben - . 003238 000224 ihre Unbefangenheit : Juana ist Packerin , Freudenm„dchen nur bers Wochenende , sie hat ein Kind , sie wohnt nicht in Habana selbst . 003239 000224 wieder die jungen Matrosen schlendernd . 003240 000224 ich erz„hle von meiner Tochter , die gestorben ist , von der Hochzeitsreise mit meiner Tochter , von Korinth , von der Aspisviper , die ber der linken Brust gebissen hat , und von ihrem Begr„bnis , von meiner Zukunft . 003241 000224 f+ " I'm going to marry her " +f . 003242 000224 sie versteht mich falsch : f+ " I think she's dead " +f . 003243 000224 ich berichtige . 003244 000224 " oh " , lacht sie , f+ " you're going to marry the mother of the girl , I see ! " +f . 003245 000224 f+ " as soon as possible " +f . 003246 000224 f+ " fine ! " +f sagt sie . 003247 000224 f+ " my wife is living in Athens - " +f . 003248 000224 ihre Ohrringe , ihre Haut . 003249 000224 sie wartet hier auf ihren Bruder - . 003250 000224 meine Frage , ob Juana an eine Todsnde glaubt , beziehungsweise an G”tter ; ihr weiáes Lachen ; meine Frage , ob Juana glaubt , daá die Schlangen ( ganz allgemein ) von G”ttern gesteuert werden , beziehungsweise von D„monen . 003251 000224 f+ " what's your opinion , Sir ? " +f . 003252 000225 sp„ter der Kerl mit gestreiftem Hollywood-Hemd , der jugendliche Zuh„lter , der mich auch schon angesprochen hat , ihr Bruder . 003253 000225 sein Handschlag : f+ " hello , camerad ! " +f . 003254 000225 es ist nichts dabei , alles ganz munter , Juana legt ihre Zigarette unter den Absatz , um sie zu l”schen , und ihre braune Hand auf meine Schulter : f+ " he's going to marry his wife - he's a gentleman ! " +f . 003255 000225 Juana verschwunden - . 003256 000225 f+ " wait here ! " +f sagt er und blickt zurck , um mich festzuhalten , f+ " just a moment , Sir , just a moment ! " +f . 003257 000225 meine letzte Nacht in Habana . 003258 000225 keine Zeit auf Erden , um zu schlafen ! . 003259 000225 ich hatte keinen besonderen Anlaá , glcklich zu sein , ich war es aber . 003260 000225 ich wuáte , daá ich alles , was ich sehe , verlassen werde , aber nicht vergessen : - die Arkade in der Nacht , wo ich schaukle und schaue , beziehungsweise h”re , ein Droschkenpferd wiehert , die spanische Fassade mit den gelben Vorh„ngen , die aus schwarzen Fenstern flattern , dann wieder das Wellblech irgendwo , sein Hall durch Mark und Bein , mein Spaá dabei , meine Wollust , Wind , nichts als Wind , der die Palmen schttelt , Wind ohne Wolken , ich schaukle und schwitze , die grne Palme ist biegsam wie eine Gerte , in ihren Bl„ttern t”nt es wie Messerwetzen , Staub , dann die Guáeisen-Laterne , die zu fl”ten beginnt , ich schaukle und lache , ihr zuckendes und sterbendes Licht , es muá ein betr„chtlicher Sog sein , das wiehernde Pferd kann die Droschke kaum halten , alles will fliehen , das Schild von einem f+ barber-shop +f , Messing , sein Klingeln in der Nacht , und das unsichtbare Meer spritzt ber die Mauern , dann jedesmal Donner im Boden , darber zischt es wie eine Espresso-Maschine , mein Durst , Salz auf den Lippen , Sturm ohne Regen , kein Tropfen will fallen , es kann nicht , weil keine Wolken , nichts als Sterne , nichts als der heiáe und trockene Staub in der Luft , Backofenluft , ich schaukle und trinke einen Scotch , einen einzigen , ich vertrage nichts mehr , ich schaukle und singe . 003261 000226 stundenlang . 003262 000226 ich singe ! . 003263 000226 ich kann ja nicht singen , aber niemand h”rt mich , das Droschkenpferd auf dem leeren Pflaster , die letzten M„dchen in ihren fliegenden R”cken , ihre braunen Beine , wenn die R”cke fliegen , ihr schwarzes Haar , das ebenfalls fliegt , und die grne Jalousie , die sich losgerissen hat , ihr weiáes Gel„chter im Staub , und wie sie ber das Pflaster rutscht , die grne Jalousie , hinaus zum Meer , das Himbeer-Licht im Staub ber der weiáen Stadt in der Nacht , die Hitze , die Fahne von Cuba - ich schaukle und singe , nichts weiter , das Schaukeln der leeren Sessel neben mir , das fl”tende Guáeisen , die Wirbel von Blten . 003264 000226 ich preise das Leben ! . 003265 000226 Samstag , 13. VII. , Weiterflug . 003266 000226 morgen auf dem Prado , nachdem ich auf der Bank gewesen bin , um Geld zu wechseln , die menschenleere Allee , glitschig von Vogelmist und weiáen Blten - . 003267 000226 die Sonne - . 003268 000226 alles an die Arbeit . 003269 000226 die V”gel - . 003270 000226 dann ein Mann , der mich um Feuer bittet fr seine Zigarre , gesch„ftig , er begleitet mich trotzdem , um zu fragen : f+ " how do you like Habana ? " +f . 003271 000226 f+ " I love it ! " +f sage ich . 003272 000226 wieder ein Zuh„lter , seine Teilnahme . 003273 000226 f+ " you're happy , aren't you ? " +f . 003274 000226 er bewundert meine Kamera . 003275 000226 f+ " something very beautiful ! +f . 003276 000226 f+ d'you know what I mean ? +f . 003277 000227 f+ something very young ! " +f . 003278 000227 als ich ihm sage , daá ich verreise , will er wissen , wann ich im Flughafen sein msse . 003279 000227 f+ " ten o'clock , my friend , ten o'clock " +f . 003280 000227 sein Blick auf die Uhr . 003281 000227 f+ " well " +f , sagt er , f+ " now it's nine o'clock - Sir , that's plenty of time ! " +f . 003282 000227 ich schlendere nochmals zum Meer . 003283 000227 weit drauáen die Fischerboote - . 003284 000227 Abschied . 003285 000227 ich sitze nochmals auf den Uferbl”cken und rauche nochmals eine Zigarre - ich filme nichts mehr . 003286 000227 wozu ! . 003287 000227 Hanna hat recht : nachher muá man es sich als Film ansehen , wenn es nicht mehr da ist , und es vergeht ja doch alles - . 003288 000227 Abschied . 003289 000227 Hanna: ist: dagewesen: . 003290 000227 ich: sagte: ihr: , sie: sehe: aus: wie: eine: Braut: . 003291 000227 Hanna: in: Weiá: ! . 003292 000227 sie: kommt: pl”tzlich: nicht: mehr: in: ihrem: Trauerkleid: ; ihre: Ausrede: : es: sei: zu: heiá: drauáen: . 003293 000227 ich: habe: ihr: soviel: von: Zopiloten: geredet: , jetzt: will: sie: nicht: als: schwarzer: Vogel: neben: meinem: Bett: sitzen: - und: meint: , ich: merke: ihre: liebe: Rcksicht: nicht: , weil: ich: frher: ( noch: vor: wenigen: Wochen: ) soviel: nicht: gemerkt: habe: . 003294 000227 Hanna: hat: viel: erz„hlt: . 003295 000227 PS.: . 003296 000227 einmal: , als: Kind: , hat: Hanna: mit: ihrem: Bruder: gerungen: und: sich: geschworen: , nie: einen: Mann: zu: lieben: , weil: es: dem: jngeren: Bruder: gelungen: war: , Hanna: auf: den: Rcken: zu: werfen: . 003297 000227 sie: war: dermaáen: emp”rt: ber: den: lieben: Gott: , weil: er: die: Jungens: einfach: kr„ftiger: gemacht: hat: , sie: fand: ihn: unfair: , nicht: ihren: Bruder: , aber: den: lieben: Gott: . 003298 000228 Hanna: beschloá: , gescheiter: zu: sein: als: alle: Jungens: von: Mnchen-Schwabing: , und: grndete: einen: geheimen: M„dchenklub: , um: Jehova: abzuschaffen: . 003299 000228 jedenfalls: kam: nur: ein: Himmel: in: Frage: , wo: es: auch: G”ttinnen: gibt: . 003300 000228 Hanna: wandte: sich: vorerst: an: die: Mutter: Gottes: , veranlaát: durch: Kirchenbilder: , wo: Maria: in: der: Mitte: thront: ; sie: kniete: nieder: wie: ihre: katholischen: Freundinnen: und: bekreuzigte: sich: , was: Papa: nicht: wissen: durfte: . 003301 000228 der: einzige: Mann: , dem: sie: vertraute: , war: ein: Greis: namens: Armin: , der: in: ihren: M„dchenjahren: eine: gewisse: Rolle: gespielt: hat: . 003302 000228 ich: habe: nicht: gewuát: , daá: Hanna: einen: Bruder: hat: . 003303 000228 Hanna: sagt: : er: lebt: in: Canada: und: ist: tchtig: , glaube: ich: , er: legt: alle: auf: den: Rcken: . 003304 000228 ich: habe: gefragt: , wie: sie: mit: Joachim: lebte: , damals: , wie: und: wo: und: wie: lange: . 003305 000228 ich: habe: viel: gefragt: , dann: sagt: Hanna: immer: : aber: das: weiát: du: doch: ! . 003306 000228 am: meisten: erz„hlt: sie: von: Armin: . 003307 000228 er: war: ein: Blinder: . 003308 000228 Hanna: liebt: ihn: noch: , obschon: er: l„ngst: gestorben: , beziehungsweise: verschollen: ist: . 003309 000228 Hanna: war: noch: Schlerin: , ein: M„dchen: mit: Kniestrmpfen: , sie: traf: ihn: regelm„áig: im: Englischen: Garten: , wo: er: stets: auf: der: gleichen: Bank: saá: , und: fhrte: ihn: dann: durch: Mnchen: . 003310 000228 er: liebte: Mnchen: . 003311 000228 er: war: alt: , nach: ihren: damaligen: Begriffen: sogar: uralt: : zwischen: 50: und: 60: . 003312 000228 sie: hatten: immer: nur: wenig: Zeit: , je: Dienstag: und: Freitag: , wenn: Hanna: ihre: Geigenstunde: hatte: , und: sie: trafen: sich: bei: jedem: Wetter: , sie: fhrte: ihn: und: zeigte: ihm: die: Schaufenster: . 003313 000228 Armin: war: vollkommen: blind: , aber: er: konnte: sich: alles: vorstellen: , wenn: man: es: ihm: sagte: . 003314 000228 Hanna: sagt: : es: war: einfach: wunderbar: , mit: ihm: durch: die: Welt: zu: gehen: . 003315 000228 ich: habe: auch: gefragt: , wie: es: bei: der: Geburt: unseres: Kindes: gegangen: ist: . 003316 000228 ich: war: ja: nicht: dabei: ; wie: soll: ich's: mir: vorstellen: k”nnen: ? . 003317 000229 Joachim: war: natrlich: dabei: . 003318 000229 er: hatte: gewuát: , daá: er: nicht: der: Vater: ist: ; aber: er: war: wie: ein: richtiger: Vater: . 003319 000229 eine: leichte: Geburt: , laut: Hanna: ; sie: erinnert: sich: nur: , daá: sie: als: Mutter: sehr: glcklich: war: . 003320 000229 was: ich: auch: nicht: gewuát: habe: : meine: Mutter: wuáte: , daá: das: Kind: von: mir: ist: , sonst: niemand: in: Zrich: , mein: Vater: hatte: keine: Ahnung: . 003321 000229 ich: habe: gefragt: , warum: meine: Mutter: in: keinem: Brief: je: erw„hnt: hat: , daá: sie: es: weiá: . 003322 000229 Bund: der: Frauen: ? . 003323 000229 sie: erw„hnen: einfach: nicht: , was: wir: nicht: verstehen: , und: behandeln: uns: wie: Unmndige: . 003324 000229 meine: Eltern: sollen: berhaupt: , laut: Hanna: , anders: gewesen: sein: , als: ich: meine: ; anders: jedenfalls: gegenber: Hanna: . 003325 000229 wenn: Hanna: von: meiner: Mutter: berichtet: , kann: ich: bloá: zuh”ren: . 003326 000229 wie: ein: Blinder: ! . 003327 000229 sie: hatten: noch: jahrelang: einen: Briefwechsel: , Hanna: und: meine: Mutter: , die: brigens: nicht: an: einer: Embolie: gestorben: ist: , wie: ich: gemeint: habe: . 003328 000229 Hanna: ist: verwundert: , was: ich: alles: nicht: gewuát: habe: . 003329 000229 Hanna: ist: bei: ihrer: Beerdigung: gewesen: , 1937: . 003330 000229 ihre: Liebe: zu: den: alten: Griechen: , meint: Hanna: , begann: auch: im: Englischen: Garten: ; Armin: konnte: Griechisch: , und: das: M„dchen: muáte: ihm: aus: den: Schulbchern: vorlesen: , damit: er's: auswendiglernen: konnte: . 003331 000229 das: war: sozusagen: seine: Vergewaltigung: . 003332 000229 er: nahm: Hanna: nie: in: seine: Wohnung: . 003333 000229 sie: weiá: nicht: , wo: er: wohnte: und: wie: . 003334 000229 Hanna: traf: ihn: im: Englischen: Garten: und: verlieá: ihn: im: Englischen: Garten: , und: niemand: in: der: Welt: wuáte: von: ihrer: Vereinbarung: , daá: sie: zusammen: nach: Griechenland: fahren: , Armin: und: sie: , sobald: sie: erwachsen: ist: und: frei: , und: Hanna: wird: ihm: die: griechischen: Tempel: zeigen: . 003335 000229 ob: der: alte: Mann: es: ernst: meinte: , ist: ungewiá: ; Hanna: meinte: es: ernst: . 003336 000229 Hanna: in: Kniestrmpfen: ! . 003337 000229 einmal: , ich: erinnere: mich: , saá: im: Cafe: Odeon: , Zrich: , ein: alter: Herr: , den: Hanna: regelm„áig: abholen: muáte: , um: ihn: ins: Tram: zu: fhren: . 003338 000230 ich: habe: dieses: Cafe: Odeon: eigentlich: gehaát: ; Emigranten: und: Intellektuelle: , Boheme: . 003339 000230 Professoren: und: die: alten: Kokotten: fr: Gesch„ftsleute: vom: Land: , ich: ging: nur: Hanna: zuliebe: in: dieses: Cafe: . 003340 000230 er: wohnte: in: der: Pension: Fontana: , ich: wartete: dann: in: einer: kleinen: Anlage: ( versteckt: ) an: der: Gloriastraáe: , bis: Hanna: ihren: alten: Onkel: abgeliefert: hatte: . 003341 000230 das: also: ist: Armin: gewesen: ! . 003342 000230 ich: habe: ihn: nicht: eigentlich: wahrgenommen: . 003343 000230 Hanna: sagt: : aber: er: hat: dich: wahrgenommen: . 003344 000230 Hanna: redet: heute: noch: von: Armin: , als: lebe: er: , als: sehe: er: alles: . 003345 000230 ich: habe: gefragt: , warum: Hanna: nie: mit: ihm: nach: Griechenland: gefahren: ist: . 003346 000230 Hanna: lacht: mich: aus: , als: w„re: alles: nur: ein: Scherz: gewesen: , Kinderei: . 003347 000230 in: Paris: ( 1937: bis: 1940: ) lebte: Hanna: mit: einem: franz”sischen: Schriftsteller: , der: ziemlich: bekannt: sein: soll: ; ich: habe: seinen: Namen: vergessen: . 003348 000230 was: ich: auch: nicht: gewuát: habe: : Hanna: ist: in: Moskau: gewesen: ( 1948: ) mit: ihrem: zweiten: Mann: . 003349 000230 einmal: ist: sie: wieder: durch: Zrich: gefahren: ( 1953: ) ohne: unsere: Tochter: ; sie: hat: Zrich: ganz: gern: , als: w„re: nichts: gewesen: , und: war: auch: im: Cafe: Odeon: . 003350 000230 ich: habe: gefragt: , wie: Armin: gestorben: ist: . 003351 000230 in: London: ( 1942: ) hat: Hanna: ihn: nochmals: getroffen: . 003352 000230 Armin: wollte: auswandern: , und: Hanna: hat: ihn: noch: auf: das: Schiff: gefhrt: , da: er: nicht: sehen: konnte: und: das: wahrscheinlich: von: einem: deutschen: U-Boot: versenkt: wurde: ; jedenfalls: ist: es: nie: angekommen: . 003353 000230 15. VII. Dsseldorf . 003354 000230 was der junge Techniker , den mir die Herren von Hencke-Bosch zur Verfgung stellten , von mir denken mag , weiá ich nicht ; ich kann nur sagen , daá ich mich an diesem Vormittag zusammennahm , solange ich konnte . 003355 000231 Hochhaus mit Chrom - . 003356 000231 ich hielt es fr meine Freundespflicht , die Herren zu informieren , wie ihre Plantage in Guatemala aussieht , das heiát , ich war von Lissabon nach Dsseldorf geflogen , ohne zu berlegen , was ich in Dsseldorf eigentlich zu tun oder zu sagen habe , und saá nun einfach da , h”flich empfangen . 003357 000231 " ich habe Filme " , sagte ich - . 003358 000231 ich hatte den Eindruck , sie haben die Plantage bereits abgeschrieben ; sie interessierten sich aus purer H”flichkeit . 003359 000231 " wie lange dauern denn Ihre Filme ? " . 003360 000231 eigentlich st”rte ich bloá . 003361 000231 " wieso Unfall ? " sagte ich . 003362 000231 " mein Freund hat sich erh„ngt - das wissen Sie nicht ? " . 003363 000231 man wuáte es natrlich . 003364 000231 ich hatte das Gefhl , man nimmt mich nicht ernst , aber es muáte nun sein , Vorfhrung meines Farbfilms aus Guatemala . 003365 000231 der Techniker , der mir zur Verfgung gestellt wurde , um im Sitzungszimmer des Verwaltungsrates herzurichten , was zur Vorfhrung n”tig war , machte mich nur nerv”s ; er war sehr jung , dabei nett , aber berflssig , ich brauchte Apparatur , Bildschirm , Kabel , ich brauchte keinen Techniker . 003366 000231 " ich danke Ihnen ! " sagte ich . 003367 000231 " bitte sehr , mein Herr " . 003368 000231 " ich kenne die Apparatur " - sagte ich . 003369 000231 ich wurde ihn nicht los . 003370 000231 es war das erste Mal , daá ich die Filme selber sah ( alle noch ungeschnitten ) , gefaát , daá es von Wiederholungen wimmelt , unvermeidlich ; ich staunte , wieviel Sonnenunterg„nge , drei Sonnenunterg„nge allein in der Wste von Tamaulipas , man h„tte meinen k”nnen , ich reise als Vertreter von Sonnenunterg„ngen , l„cherlich ; ich sch„mte mich geradezu vor dem jungen Techniker , daher meine Ungeduld - . 003371 000232 " geht nicht sch„rfer , mein Herr " . 003372 000232 unser Landrover am Rio Usumancinta - . 003373 000232 Zopilote an der Arbeit - . 003374 000232 " weiter " , sagte ich , " bitte " . 003375 000232 dann die ersten Indios am Morgen , die uns melden , ihr Senor sei tot , dann Ende der Spule - Wechsel der Spule , was einige Zeit in Anspruch nimmt ; unterdessen Gespr„ch ber Ektachrom . 003376 000232 ich sitze in einem Polstersessel und rauche , weil unt„tig , die leeren Verwaltungsratssessel neben mir ; nur schaukeln sie nicht im Wind . 003377 000232 " bitte " , sagte ich , " weiter - " . 003378 000232 jetzt Joachim am Draht . 003379 000232 " stop " , sage ich , " bitte ! " . 003380 000232 es ist eine sehr dunkle Aufnahme geworden , leider , man sieht nicht sogleich , was es ist , unterbelichtet , weil in der Baracke aufgenommen mit der gleichen Blende wie vorher die Zopilote auf dem Esel drauáen in der Morgensonne , ich sage : " das ist Dr. Joachim Hencke " . 003381 000232 sein Blick auf die Leinwand : " geht nicht sch„rfer , mein Herr , - bedaure " . 003382 000232 das ist alles , was er zu sagen hat . 003383 000232 " bitte " , sage ich , " weiter ! " . 003384 000232 nochmals Joachim am Draht , aber diesmal von der Seite , so daá man besser sieht , was los ist ; es ist merkwrdig , es macht nicht nur meinem jungen Techniker , sondern auch mir berhaupt keinen Eindruck , ein Film , wie man schon manche gesehen hat , Wochenschau , es fehlt der Gestank , die Wirklichkeit , wir sprechen ber Belichtung , der junge Mann und ich , unterdessen das Grab mit den betenden Indios ringsum , alles viel zu lang , dann pl”tzlich die Ruinen von Palenque , der Papagei von Palenque . 003385 000233 Ende der Spule . 003386 000233 " vielleicht kann man hier ein Fenster aufmachen " , sagte ich , " das ist ja wie in den Tropen " . 003387 000233 " bitte sehr , mein Herr " . 003388 000233 das Miágeschick kam daher , daá der Zoll meine Spulen durcheinander gebracht hatte , beziehungsweise daá die Spulen der letzten Zeit ( seit meiner Schiffspassage ) nicht mehr angeschrieben waren ; ich wollte ja den Herrn von Hencke-Bosch , die auf 11.30 Uhr kommen sollten , lediglich vorfhren , was Guatemala betrifft . 003389 000233 was ich brauchte : mein letzter Besuch bei Herbert . 003390 000233 " stop " , sagte ich , " das ist Griechenland " . 003391 000233 " Griechenland ? " . 003392 000233 " stop ! " schrie ich , - " stop ! " . 003393 000233 " bitte sehr , mein Herr " . 003394 000233 der Junge machte mich krank , sein gef„lliges Bitte-sehr , sein herablassendes Bitte-sehr , als w„re er der erste Mensch , der sich auf eine solche Apparatur versteht , sein Quatsch ber Optik , wovon er nichts versteht , vor allem aber sein Bitte-sehr , seine Besserwisserei dabei . 003395 000233 " gibt nichts anderes , mein Herr , durchlassen und sehen ! . 003396 000233 gibt nichts anderes , wenn die Spulen nicht angeschrieben sind " . 003397 000233 es war nicht sein Fehler , daá die Spulen nicht angeschrieben waren ; insofern gab ich ihm recht . 003398 000233 " es f„ngt an " , sagte ich , " mit Herrn Herbert Hencke , ein Mann mit Bart in der H„ngematte - soviel ich mich erinnere " . 003399 000234 Licht aus , Dunkel , Surren des Films . 003400 000234 ein pures Glcksspiel ! . 003401 000234 es gengten die ersten Meter : - Ivy auf dem Pier in Manhattan , ihr Winken durch mein Tele-Objektiv , Morgensonne auf Hudson , die schwarzen Schlepper , Manhattan-Skyline , M”ven ... . 003402 000234 " stop " , sagte ich , " bitte die n„chste " . 003403 000234 Wechsel der Spulen . 003404 000234 " Sie sind wohl um die halbe Welt gereist , mein Herr , das m”chte ich auch - " . 003405 000234 es war 11.00 Uhr . 003406 000234 ich muáte meine Tabletten nehmen , um fit zu sein , wenn die Herren der Firma kommen , Tabletten ohne Wasser , ich wollte nichts merken lassen . 003407 000234 " nein " , sagte ich , " die auch nicht " . 003408 000234 wieder Wechsel der Spulen . 003409 000234 " das war der Bahnhof in Rom , was ? " . 003410 000234 meinerseits keine Antwort . 003411 000234 ich wartete auf die n„chste Spule . 003412 000234 ich lauerte , um sofort stoppen zu k”nnen . 003413 000234 ich wuáte : Sabeth auf dem Schiff , Sabeth beim Pingpong auf dem Promenadendeck ( mit ihrem Schn„uzchen-Freund ) und Sabeth in ihrem Bikini , Sabeth , die mir die Zunge herausstreckt , als sie merkt , daá ich filme - das alles muáte in der ersten Spule gewesen sein , die mit Ivy begonnen hatte : also abgelegt . 003414 000234 es lagen aber noch sechs oder sieben Spulen auf dem Tisch und pl”tzlich , wie nicht anders m”glich , ist sie da - lebensgroá - Sabeth auf dem Bildschirm . 003415 000234 in Farben . 003416 000234 ich stand auf - . 003417 000234 Sabeth in Avignon . 003418 000234 ich stoppte aber nicht , sondern lieá die ganze Spule laufen , obschon der Techniker mehrmals meldete , das k”nnte nicht Guatemala sein . 003419 000235 ich sehe diesen Streifen noch jetzt : ihr Gesicht , das nie wieder da sein wird - . 003420 000235 Sabeth im Mistral , sie geht gegen den Wind , die Terrasse , Jardin des Papes , alles flattert , Haare , ihr Rock wie ein Ballon , Sabeth am Gel„nder , sie winkt . 003421 000235 ihre Bewegungen - . 003422 000235 Sabeth , wie sie Tauben fttert . 003423 000235 ihr Lachen , aber stumm - . 003424 000235 Pont d'Avignon , die alte Brcke , die in der Mitte einfach aufh”rt . 003425 000235 Sabeth zeigt mir etwas , ihre Miene , als sie bemerkt , daá ich filme statt zu schauen , ihr Rmpfen der Stirne zwischen den Brauen , sie sagt etwas . 003426 000235 Landschaften - . 003427 000235 das Wasser der Rhone , halt , Sabeth versucht es mit den Zehen und schttelt den Kopf , Abendsonne , mein langer Schatten ist drauf . 003428 000235 ihr K”rper , den es nicht mehr gibt - . 003429 000235 das antike Theater in Nimes . 003430 000235 Frhstck unter Platanen , der Kellner , der uns nochmals f+ Brioches +f bringt , ihr Geplauder mit dem Kellner , ihr Blick zu mir , sie fllt meine Tasse mit schwarzem Kaffee . 003431 000235 ihre Augen , die es nicht mehr gibt - . 003432 000235 Pont du Gard . 003433 000235 Sabeth , wie sie Postkarten kauft , um an Mama zu schreiben ; Sabeth in ihren schwarzen Cowboy-Hosen , sie merkt nicht , daá ich filme ; Sabeth , wie sie ihren Roáschwanz aus dem Nacken wirft . 003434 000235 Hotel Henri IV. . 003435 000235 Sabeth sitzt auf der tiefen Fensterbrstung , ihre Beine verschr„nkt , barfuá , sie iát Kirschen , Blick in die Straáe hinunter , sie spuckt die Steine einfach hinaus , Regentag . 003436 000236 ihre Lippen - . 003437 000236 wie Sabeth sich mit einem franz”sischen Maulesel unterh„lt , der ihrer Meinung nach zu schwer beladen ist . 003438 000236 ihre H„nde - . 003439 000236 unser Citroen , Modell 57 . 003440 000236 ihre H„nde , die es nirgends mehr gibt , sie streichelt den Maulesel , ihre Arme , die es nirgends mehr gibt - . 003441 000236 Stierkampf in Arles . 003442 000236 Sabeth , wie sie ihre Haare k„mmt , eine Spange zwischen den jungen Z„hnen , sie merkt wieder , daá ich filme , und nimmt die Spange aus dem Mund , um mir etwas zu sagen , vermutlich sagt sie , ich soll sie nicht filmen , pl”tzlich muá sie lachen . 003443 000236 ihre gesunden Z„hne - . 003444 000236 ihr Lachen , das ich nie wieder h”ren werde - . 003445 000236 ihre junge Stirne - . 003446 000236 eine Prozession ( ebenfalls in Arles , glaube ich ) , Sabeth streckt ihren Hals und raucht mit gekniffenen Augen wegen Rauch , H„nde in den Hosentaschen . 003447 000236 Sabeth auf einem Sockel , um ber die Menge zu schauen . 003448 000236 Baldachine , vermutlich Glockengel„ute , aber unh”rbar , Muttergottes , die singenden Meáknaben , aber unh”rbar . 003449 000236 Provence-Allee , Platanen-Allee . 003450 000236 unser Picnic unterwegs . 003451 000236 Sabeth , wie sie Wein trinkt . 003452 000236 Schwierigkeit , aus der Flasche zu trinken , sie schlieát die Augen und versucht's neuerdings , dann wischt sie sich den Mund , es geht nicht , sie reicht mir die Flasche zurck , Achselzucken . 003453 000236 Pinien im Mistral . 003454 000236 nochmals Pinien im Mistral . 003455 000236 ihr Gang - . 003456 000237 Sabeth geht zu einem Kiosk , um Zigaretten zu holen . 003457 000237 Sabeth , wie sie geht . 003458 000237 Sabeth in ihren schwarzen Hosen wie blich , sie steht auf dem Trottoir , um links und rechts zu schauen , ihr baumelnder Roáschwanz dabei , dann schr„g ber die Straáe zu mir . 003459 000237 ihr hpfender Gang - . 003460 000237 nochmals Pinien im Mistral . 003461 000237 Sabeth schlafend , ihr Mund ist halboffen , Kindermund , ihr offenes Haar , ihr Ernst , die geschlossenen Augen - . 003462 000237 ihr Gesicht , ihr Gesicht - . 003463 000237 ihr atmender K”rper - . 003464 000237 Marseille . 003465 000237 Verladen von Stieren im Hafen , die braunen Stiere werden auf das ausgelegte Netz gefhrt , dann Aufzug , ihr Schrecken , ihre pl”tzliche Ohnmacht , wenn sie in der Luft h„ngen , ihre vier Beine durch die Maschen des groáen Netzes gestreckt , ihre Augen dabei epileptisch - . 003466 000237 Pinien im Mistral ; nochmals . 003467 000237 f+ L'Unite d'Habitation ( Corbusier ) - +f . 003468 000237 im groáen ganzen ist die Belichtung dieses Filmes nicht schlecht , jedenfalls besser als beim Guatemala-Streifen ; die Farben kommen groáartig , ich staune . 003469 000237 Sabeth beim Blumenpflcken - . 003470 000237 ich habe ( endlich ! ) die Kamera weniger hin und her bewegt , dadurch kommen die Bewegungen des Objektes viel st„rker . 003471 000237 Brandung - . 003472 000237 ihre Finger , Sabeth sieht zum ersten Mal eine Korkeiche , ihre Finger , wie sie die Rinde brechen , dann wirft sie nach mir ! . 003473 000237 ( Defekt ) . 003474 000237 Brandung im Mittag , nichts weiter . 003475 000238 Sabeth nochmals beim K„mmen , ihr Haar ist naá , ihr Kopf schr„g aufw„rts , um sich auszuk„mmen , sie sieht nicht , daá ich filme , und erz„hlt etwas , w„hrend sie sich ausk„mmt , ihr Haar ist dunkler als blich , weil naá , r”tlicher , ihr grner Kamm offenbar voll Sand , sie putzt ihn , ihre Marmorhaut mit Wassertropfen drauf , sie erz„hlt noch immer - . 003476 000238 Unterseeboote bei Toulon . 003477 000238 der junge Landstreicher mit dem Hummer , der sich bewegt . 003478 000238 Sabeth hat Angst , sobald der Hummer sich bewegt - . 003479 000238 unser Hotelchen in Le Trayaz . 003480 000238 Sabeth sitzt auf einer Mole - . 003481 000238 nochmals Brandung . 003482 000238 ( viel zu lang ! ) . 003483 000238 Sabeth nochmals auf der Mole drauáen , sie steht jetzt , unsere tote Tochter , und singt , ihre H„nde wieder in den Hosentaschen , sie glaubt sich mutterseelenallein und singt , aber unh”rbar - . 003484 000238 Ende der Spule . 003485 000238 was der junge Techniker von mir dachte und sagte , als die Herren kamen , weiá ich nicht , ich saá im Speisewagen ( Helvetia-Express: oder Schauinsland-Express: , das weiá ich nicht mehr ) und trank Steinh„ger . 003486 000238 wie ich das Hencke-Bosch-Haus verlassen habe , das weiá ich auch nicht mehr ; ohne Erkl„rung , ohne Ausrede , ich bin einfach gegangen . 003487 000238 nur die Filme lieá ich zurck . 003488 000238 ich sagte dem jungen Techniker , ich msse gehen , und bedankte mich fr seine Dienste . 003489 000238 ich ging in das Vorzimmer , wo ich Hut und Mantel hatte , und bat das Fr„ulein um meine Mappe , die noch in der Direktion lag . 003490 000239 ich stand schon beim Lift ; es war 11.32 Uhr , jedermann zur Vorfhrung bereit , als ich mich entschuldigte wegen Magenschmerzen ( was gar nicht stimmte ) und den Lift nahm . 003491 000239 man wollte mich mit Wagen ins Hotel bringen , beziehungsweise ins Krankenhaus ; aber ich hatte ja gar keine Magenschmerzen . 003492 000239 ich bedankte mich und ging zu Fuá . 003493 000239 ohne Hast , ohne Ahnung , wohin ich gehen sollte ; ich weiá nicht , wie das heutige Dsseldorf aussieht , ich ging durch die Stadt , Stoáverkehr in Dsseldorf , ohne auf die Verkehrslichter zu achten , glaube ich , wie blind . 003494 000239 ich ging zum Schalter , wo ich mir eine Fahrkarte kaufte , dann in den n„chsten Zug - ich sitze im Speisewagen , trinke Steinh„ger und blicke zum Fenster hinaus , ich weine nicht , ich m”chte bloá nicht mehr da sein , nirgends sein . 003495 000239 wozu auch zum Fenster hinausblicken ? . 003496 000239 ich habe nichts mehr zu sehen . 003497 000239 ihre zwei H„nde , die es nirgends mehr gibt , ihre Bewegung , wenn sie das Haar in den Nacken wirft oder sich k„mmt , ihre Z„hne , ihre Lippen , ihre Augen , die es nirgends mehr gibt , ihre Stirn : wo soll ich sie suchen ? . 003498 000239 ich m”chte bloá , ich w„re nie gewesen . 003499 000239 wozu eigentlich nach Zrich ? . 003500 000239 wozu nach Athen ? . 003501 000239 ich sitze im Speisewagen und denke : warum nicht diese zwei Gabeln nehmen , sie aufrichten in meinen F„usten und mein Gesicht fallen lassen , um die Augen loszuwerden ? . 003502 000239 meine: Operation: auf: bermorgen: angesetzt: . 003503 000239 PS.: . 003504 000239 ich: habe: ja: auf: meiner: ganzen: Reise: berhaupt: keine: Ahnung: gehabt: , was: Hanna: nach: dem: Unglck: machte: . 003505 000239 kein: einziger: Brief: von: Hanna: ! . 003506 000239 ich: weiá: es: heute: noch: nicht: . 003507 000240 wenn: ich: sie: frage: , ihre: Antwort: : was: kann: ich: machen: ! . 003508 000240 ich: verstehe: berhaupt: nichts: mehr: . 003509 000240 wie: kann: Hanna: nach: allem: was: geschehen: ist: , mich: aushalten: ? . 003510 000240 sie: kommt: hierher: , um: zu: gehen: , und: kommt: wieder: , sie: bringt: mir: , was: ich: noch: wnsche: , sie: h”rt: mich: an: . 003511 000240 was: denkt: sie: ? . 003512 000240 ihre: Haare: sind: weiáer: geworden: . 003513 000240 warum: sagt: sie's: nicht: , daá: ich: ihr: Leben: zerst”rt: habe: ? . 003514 000240 ich: kann: mir: nach: allem: , was: geschehen: ist: , ihr: Leben: nicht: vorstellen: . 003515 000240 ein: einziges: Mal: habe: ich: Hanna: verstanden: , als: sie: mit: beiden: F„usten: in: mein: Gesicht: schlug: damals: am: Totenbett: . 003516 000240 seither: verstehe: ich: sie: nicht: mehr: . 003517 000240 16. VII. Zrich . 003518 000240 ich fuhr von Dsseldorf nach Zrich , glaube ich , bloá weil ich meine Vaterstadt seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe . 003519 000240 ich hatte in Zrich nichts zu tun . 003520 000240 Williams erwartete mich in Paris - . 003521 000240 in Zrich , als er neben mir stoppte und aus dem Wagen stieg , um mich zu begráen , erkannte ich ihn wieder nicht ; genau wie das letzte Mal : ein Sch„del mit Haut darber , die Haut wie gelbliches Leder , sein Ballon-Bauch , die abstehenden Ohren , seine Herzlichkeit , sein Lachen wie bei einem Totenkopf , seine Augen noch immer lebendig , aber weit hinten , ich wuáte bloá , daá ich ihn kenne , aber im ersten Augenblick wuáte ich wieder nicht , wer's ist . 003522 000240 " immer in Eile " , lachte er , " immer in Eile - " . 003523 000240 was ich denn in Zrich mache ? . 003524 000240 " Sie kennen mich wieder nicht ? " fragte er . 003525 000240 er sah grauenhaft aus , ich wuáte nicht , was sagen , natrlich kannte ich ihn , es war nur der erste Schreck gewesen , dann die Angst , etwas Unm”gliches zu sagen , ich sagte : " natrlich habe ich Zeit " . 003526 000241 dann zusammen ins Cafe Odeon . 003527 000241 " es tut mir leid " , sagte ich , " daá ich Sie das letzte Mal in Paris nicht erkannt habe - " . 003528 000241 er nahm's mir aber nicht bel , er lachte , ich h”rte zu , Blick auf seine alten Z„hne , es sah nur so aus , als lache er , seine Z„hne viel zu groá , die Muskeln reichten nicht mehr fr ein Gesicht ohne Lachen , Unterhaltung mit einem Totensch„del , ich muáte mich zusammennehmen , um Professor O. nicht zu fragen , wann er denn sterbe . 003529 000241 er lachte : " was zeichnen Sie denn , Faber ? " . 003530 000241 ich zeichnete auf das Marmor-Tischlein , nichts weiter , eine Spirale , in dem gelben Marmor gab es eine versteinerte Schnecke , daher meine Spirale - ich steckte meinen f+ Fixpencil +f wieder ein , Gespr„ch ber Weltlage , sein Lachen st”rte mich derart , daá ich einfach nichts zu sagen wuáte . 003531 000241 ich sei ja so schweigsam . 003532 000241 einer der Odeon-Kellner , Peter , ein alter Wiener , kannte mich noch ; er findet mich unver„ndert - . 003533 000241 Professor O. lachte . 003534 000241 er findet es schade , daá ich damals meine Dissertation ( ber den sog. Maxwell'schen D„mon ) nicht gemacht habe - . 003535 000241 die Odeon-Kokotten wie damals . 003536 000241 " das wissen Sie nicht " , lachte er , " daá das Odeon abgerissen wird ? " . 003537 000241 einmal seine pl”tzliche Frage : " wie geht's Ihrer sch”nen Tochter ? " . 003538 000241 er hatte Sabeth gesehen , als wir uns in dem Cafe verabschiedeten , damals in Paris ; wie er sagt : neulich in Paris ! . 003539 000242 es war der Nachmittag , bevor wir in die Opera gingen , Sabeth und ich , Vorabend unserer Hochzeitsreise - ich sagte nichts , nur : " wieso wuáten Sie , daá es meine Tochter war ? " . 003540 000242 " ich dachte es mir - ! " . 003541 000242 sein Lachen dabei . 003542 000242 ich hatte in Zrich nichts verloren , noch am gleichen Tag ( nach dem Odeon-Geplauder mit Professor O. ) fuhr ich nach Kloten hinaus , um weiterzufliegen - . 003543 000242 mein letzter Flug ! . 003544 000242 wieder eine Super-Constellation . 003545 000242 dabei war es eigentlich ein ruhiger Flug , nur schwachen F”hn ber den Alpen , die ich noch aus jungen Jahren einigermaáen kenne , aber zum ersten Mal berfliege , ein blauer Nachmittag mit blicher F”hn-Mauer , Vierwaldst„ttersee , rechts das Wetterhorn , dahinter Eiger und Jungfrau , vielleicht Finsteraarhorn , so genau kenne ich sie nicht mehr unsere Berge , ich habe andres im Kopf - . 003546 000242 was eigentlich ? . 003547 000242 T„ler im Schr„glicht des sp„teren Nachmittags , Schattenh„nge , Schattenschluchten , die weiáen B„che drin , Weiden im Schr„glicht , Heustadel , von der Sonne ger”tet , einmal eine Herde in einer Mulde voll Ger”ll ber der Waldgrenze : wie weiáe Maden ! . 003548 000242 ( Sabeth wrde es natrlich anders taufen , aber ich weiá nicht wie ) . 003549 000242 meine Stirne am kalten Fenster mit máigen Gedanken - . 003550 000242 Wunsch , Heu zu riechen ! . 003551 000242 nie wieder fliegen ! . 003552 000242 Wunsch , auf der Erde zu gehen - dort unter den letzten F”hren , die in der Sonne stehen , ihr Harz riechen und das Wasser h”ren , vermutlich ein Tosen , Wasser trinken - . 003553 000243 alles geht vorbei wie im Film ! . 003554 000243 Wunsch , die Erde zu greifen - . 003555 000243 stattdessen steigen wir immer h”her . 003556 000243 Zone des Lebens , wie dnn sie eigentlich ist , ein paar hundert Meter , dann wird die Atmosph„re schon zu dnn , zu kalt , eine Oase eigentlich , was die Menschheit bewohnt , die grne Talsohle , ihre schmalen Verzweigungen , dann Ende der Oase , die W„lder sind wie abgeschnitten ( hierzulande auf 2000 m , in Mexico auf 4000 m ) , eine Zeit lang gibt es noch Herden , weidend am Rand des m”glichen Lebens , Blumen - ich sehe sie nicht , aber weiá es - bunt und wrzig , aber winzig , Insekten , dann nur noch Ger”ll , dann Eis - . 003557 000243 einmal ein neuer Stausee . 003558 000243 sein Wasser : wie Pernod , grnlich und trbe , darin Spiegelweiá von einem Firn , ein Ruderschiff auf dem Ufer , Segment-Damm , kein Mensch . 003559 000243 dann die ersten Nebel , jagend - . 003560 000243 die Gletscherspalten : grn wie Bierflaschenglas . 003561 000243 Sabeth wrde sagen : wie Smaragd ! . 003562 000243 wieder unser Spiel auf einundzwanzig Punkte ! . 003563 000243 die Felsen im sp„ten Licht : wie Gold . 003564 000243 ich finde : wie Bernstein , weil matt und beinahe durchsichtig , oder wie Knochen , weil bleich und spr”de . 003565 000243 unser Flugzeugschatten ber Mor„nen und Gletschern : wie er in die Schlnde sackt , man meint jedesmal , er sei verloren und verlocht , und schon klebt er an der n„chsten Felswand , im ersten Augenblick : wie mit einer Pflasterkelle hingeworfen , aber er bleibt nicht wie Verputz , sondern gleitet und f„llt wieder ins Leere jenseits des Grates . 003566 000243 unser Flugzeugschatten : wie eine Fledermaus ! so wrde Sabeth sagen , ich finde nichts und verliere einen Punkt , ich habe anderes im Kopf : eine Spur im Firn , Menschenspur , sie sieht aus wie eine Nieten-Naht , Sabeth wrde finden : wie eine Halskette , bl„ulich , in groáer Schleife um eine weiáe Firn-Bste geh„ngt . 003567 000244 was ich im Kopf habe : wenn ich jetzt noch auf jenem Gipfel stehen wrde , was tun ? . 003568 000244 zu sp„t , um abzusteigen ; es d„mmert schon in den T„lern , und die Abendschatten strecken sich ber ganze Gletscher , dann Knick in die senkrechten W„nde hinauf . 003569 000244 was tun ? . 003570 000244 wir fliegen vorbei ; man sieht das Gipfelkreuz , weiá , es leuchtet , aber sehr einsam , ein Licht , das man als Bergsteiger niemals trifft , weil man vorher absteigen muá , Licht , das man mit dem Tod bezahlen máte , aber sehr sch”n , ein Augenblick , dann Wolken , Luftl”cher , die Alpensdseite bew”lkt , wie zu erwarten war , die Wolken : wie Watte , wie Gips , wie Blumenkohl , wie Schaum mit Seifenblasenfarben , ich weiá nicht , was Sabeth alles finden wrde , es wechselt rasch , manchmal ein Wolkenloch , in der Tiefe : ein schwarzer Wald , ein Bach , der Wald wie ein Igel , aber nur eine Sekunde lang , die Wolken schieben sich durcheinander , Schatten der oberen Wolken auf den unteren Schatten wie Vorh„nge , wir fliegen hindurch , Gew”lk in der Sonne vor uns : als msse unsere Maschine daran zerschellen , Gebirge aus Wasserdampf , aber prall und weiá wie griechischer Marmor , k”rnig - . 003571 000244 wir fliegen hinein . 003572 000244 seit meiner Notlandung in Tamaulipas habe ich mich stets so gesetzt , daá ich das Fahrgestell sehe , wenn sie es ausschwenken , gespannt , ob die Piste sich im letzten Augenblick , wenn die Pneus aufsetzen , nicht doch in Wste verwandelt - . 003573 000244 Mailand : Depesche an Hanna , daá ich komme . 003574 000245 wohin sonst ? . 003575 000245 es ist nicht einzusehen , wieso ein solches Fahrgestell , bestehend aus zwei Pneu-Paaren mit Federung im Rohrgestell und mit Schmier”l auf dem blanken Metall , wie es sich geh”rt , sich pl”tzlich wie ein D„mon benehmen soll , wenn es den Boden berhrt , wie ein D„mon , der die Piste pl”tzlich in Wste verwandelt - Spintisiererei , die ich natrlich selber nicht ernstnahm ; ich bin in meinem Leben noch keinem D„mon begegnet , ausgenommen der sog. Maxwell'sche D„mon , der bekanntlich keiner ist . 003576 000245 Rom : Depesche an Williams , daá ich kndige . 003577 000245 langsam wurde ich ruhig . 003578 000245 es war Nacht , als man weiterflog , und wir flogen zu n”rdlich , so daá ich den Golf von Korinth - gegen Mitternacht - nicht erkennen konnte . 003579 000245 alles wie blich : Auspuff mit Funkensprhen in der Nacht - . 003580 000245 das grne Blinklicht an der Tragfl„che - . 003581 000245 Mondglanz auf der Tragfl„che - . 003582 000245 das rote Glhen in der Motorhaube - . 003583 000245 ich war gespannt , als fliege ich zum ersten Mal in meinem Leben ; ich sah , wie das Fahrgestell langsam ausschwenkte , Aufblenden der Scheinwerfer unter der Tragfl„che , ihr weiáer Schein in den Scheiben der Propeller , dann l”schen sie wieder aus , Lichter unter uns , Straáen von Athen , beziehungsweise Pir„us , wir sanken , dann die Bodenlichter , gelb , die Piste , wieder unsere Scheinwerfer , dann der bliche weiche Stoá ( ohne Sturz vornber ins Bewuátlose ) mit den blichen Staubschwaden hinter dem Fahrgestell - . 003584 000245 ich l”se meinen Grtel - . 003585 000246 Hanna am Flughafen . 003586 000246 ich sehe sie durch mein Fenster - . 003587 000246 Hanna in Schwarz . 003588 000246 ich habe nur meine Mappe , meine Hermes-Baby , Mantel und Hut , so daá der Zoll sofort erledigt ist ; ich komme als erster heraus , aber wage nicht einmal zu winken . 003589 000246 kurz vor der Schranke bin ich einfach stehengeblieben ( sagt Hanna ) und habe gewartet , bis Hanna auf mich zuging . 003590 000246 ich sah Hanna zum ersten Mal in Schwarz . 003591 000246 sie káte mich auf die Stirn . 003592 000246 sie empfahl das Hotel Estia Emborron . 003593 000246 heute: nur: noch: Tee: , noch: einmal: die: ganze: Untersucherei: , nachher: ist: man: erledigt: . 003594 000246 morgen: endlich: Operation: . 003595 000246 bis heute bin ich ein einziges Mal an ihrem Grab gewesen , da sie mich hier ( ich verlangte nur eine Untersuchung ) sofort behalten haben ; ein heiáes Grab , Blumen verdorren in einem halben Tag - . 003596 000246 18.00: Uhr: . 003597 000246 sie: haben: meine: Hermes-Baby: genommen: . 003598 000246 19.30: Uhr: . 003599 000246 Hanna: ist: nochmals: dagewesen: . 003600 000246 24.00: Uhr: . 003601 000246 ich: habe: noch: keine: Minute: geschlafen: und: will: auch: nicht: . 003602 000246 ich: weiá: alles: . 003603 000246 morgen: werden: sie: mich: aufmachen: , um: festzustellen: , was: sie: schon: wissen: : daá: nichts: mehr: zu: retten: ist: . 003604 000247 sie: werden: mich: wieder: zun„hen: , und: wenn: ich: wieder: zum: Bewuátsein: komme: , wird: es: heiáen: , ich: sei: operiert: . 003605 000247 ich: werde: es: glauben: , obschon: ich: alles: weiá: . 003606 000247 ich: werde: nicht: zugeben: , daá: die: Schmerzen: wieder: kommen: , st„rker: als: je: . 003607 000247 das: sagt: man: so: : wenn: ich: wáte: , daá: ich: Magenkrebs: habe: , dann: wrde: ich: mir: eine: Kugel: in: den: Kopf: schieáen: ! . 003608 000247 ich: h„nge: an: diesem: Leben: wie: noch: nie: , und: wenn: es: nur: noch: ein: Jahr: ist: , ein: elendes: , ein: Vierteljahr: , zwei: Monate: ( das: w„ren: September: und: Oktober: ) , ich: werde: hoffen: , obschon: ich: weiá: , daá: ich: verloren: bin: . 003609 000247 aber: ich: bin: nicht: allein: , Hanna: ist: mein: Freund: , und: ich: bin: nicht: allein: . 003610 000247 02.40: Uhr: . 003611 000247 Brief: an: Hanna: geschrieben: . 003612 000247 04.00: Uhr: . 003613 000247 Verfgung: fr: Todesfall: : alle: Zeugnisse: von: mir: wie: Berichte: , Briefe: , Ringheftchen: , sollen: vernichtet: werden: , es: stimmt: nichts: . 003614 000247 auf: der: Welt: sein: : im: Licht: sein: . 003615 000247 irgendwo: ( wie: der: Alte: neulich: in: Korinth: ) Esel: treiben: , unser: Beruf: ! - aber: vor: allem: : standhalten: dem: Licht: , der: Freude: ( wie: unser: Kind: , als: es: sang: ) im: Wissen: , daá: ich: erl”sche: im: Licht: ber: Ginster: , Asphalt: und: Meer: , standhalten: der: Zeit: , beziehungsweise: Ewigkeit: im: Augenblick: . 003616 000247 ewig: sein: : gewesen: sein: . 003617 000247 04.15: Uhr: . 003618 000247 auch: Hanna: hat: keine: Wohnung: mehr: , erst: heute: ( gestern: ! ) sagte: sie: es: . 003619 000247 sie: wohnt: jetzt: in: einer: Pension: . 003620 000247 schon: meine: Depesche: aus: Caracas: hat: Hanna: nicht: mehr: erreicht: . 003621 000247 es: muá: um: diese: Zeit: gewesen: sein: , als: Hanna: sich: einschiffte: . 003622 000248 zuerst: ihre: Idee: , ein: Jahr: lang: auf: die: Inseln: zu: gehen: , wo: sie: griechische: Bekannte: hat: aus: der: Zeit: der: Ausgrabungen: ( Delos: ) ; man: lebe: auf: diesen: Inseln: sehr: billig: . 003623 000248 in: Mykonos: kauft: man: ein: Haus: fr: zweihundert: Dollar: , meint: Hanna: , in: Amorgos: fr: hundert: Dollar: . 003624 000248 sie: arbeitet: auch: nicht: mehr: im: Institut: , wie: ich: immer: gemeint: habe: . 003625 000248 Hanna: hat: versucht: , ihre: Wohnung: mitsamt: der: Einrichtung: zu: vermieten: , was: in: der: Eile: nicht: gelungen: ist: ; dann: verkaufte: sie: alles: , viele: Bcher: verschenkte: sie: . 003626 000248 sie: hielt: es: in: Athen: einfach: nicht: mehr: aus: , sagte: sie: . 003627 000248 als: sie: sich: einschiffte: , habe: sie: an: Paris: gedacht: , vielleicht: auch: an: London: ; alles: ungewiá: , denn: es: ist: nicht: so: einfach: , meint: Hanna: , in: ihrem: Alter: eine: neue: Arbeit: zu: finden: , beispielsweise: als: Sekret„rin: . 003628 000248 Hanna: hat: nicht: eine: Minute: daran: gedacht: , mich: um: Hilfe: zu: bitten: ; drum: schrieb: sie: auch: nicht: . 003629 000248 im: Grunde: hatte: Hanna: nur: ein: einziges: Ziel: : weg: von: Griechenland: ! . 003630 000248 sie: verlieá: die: Stadt: , ohne: sich: von: ihren: hiesigen: Bekannten: zu: verabschieden: , ausgenommen: der: Direktor: des: Instituts: , den: sie: sehr: sch„tzt: . 003631 000248 die: letzten: Stunden: vor: der: Abfahrt: verbrachte: sie: drauáen: auf: dem: Grab: und: muáte: um: 14.00: Uhr: an: Bord: sein: , Ausfahrt: um: 15.00: Uhr: , aber: aus: irgendeinem: Grunde: verz”gerte: sich: die: Ausfahrt: um: fast: eine: Stunde: . 003632 000248 pl”tzlich: ( sagt: Hanna: ) kam: es: ihr: sinnlos: vor: , und: sie: verlieá: das: Schiff: mit: ihrem: Handgep„ck: . 003633 000248 fr: die: drei: groáen: Koffer: im: Lager: war: es: zu: sp„t: ; die: Koffer: fuhren: nach: Neapel: und: sollen: demn„chst: zurckkommen: . 003634 000248 sie: wohnte: zuerst: im: Hotel: Estia: Emborron: , das: ihr: aber: auf: die: Dauer: zu: teuer: war: , und: meldete: sich: wieder: im: Institut: , wo: ihr: bisheriger: Mitarbeiter: unterdessen: ihre: Stelle: bernommen: hat: , Vertrag: auf: drei: Jahre: , nicht: mehr: zu: „ndern: , da: ihr: Nachfolger: lange: genug: gewartet: hat: und: nicht: freiwillig: zurckzutreten: gedenkt: . 003635 000249 der: Direktor: soll: „uáerst: nett: sein: , aber: das: Institut: nicht: reich: genug: , um: diesen: Posten: doppelt: zu: besetzen: . 003636 000249 was: man: ihr: geben: kann: : Aussicht: auf: gelegentliche: Sonderarbeiten: , dazu: Empfehlungen: nach: ausw„rts: . 003637 000249 aber: Hanna: will: in: Athen: bleiben: . 003638 000249 ob: Hanna: mich: hier: erwartet: oder: Athen: hat: verlassen: wollen: , um: mich: nicht: wiederzusehen: , weiá: ich: nicht: . 003639 000249 es: war: ein: Zufall: , daá: sie: meine: Depesche: aus: Rom: zeitig: genug: bekommen: hat: ; sie: war: , als: die: Depesche: kam: , gerade: in: der: leeren: Wohnung: , um: die: Schlssel: an: den: Hausverwalter: auszuh„ndigen: . 003640 000249 was: Hanna: jetzt: arbeitet: : Fremdenfhrerin: vormittags: im: Museum: , nachmittags: auf: Akropolis: , abends: nach: Sunion: . 003641 000249 sie: fhrt: vor: allem: Gruppen: , die: alles: an: einem: Tag: machen: , Mittelmeerreisegesellschaften: . 003642 000249 06.00: Uhr: . 003643 000249 Brief: an: Hanna: nochmals: geschrieben: . 003644 000249 06.45: Uhr: . 003645 000249 ich: weiá: es: nicht: , warum: Joachim: sich: erh„ngt: hat: , Hanna fragt: mich: immer: wieder: . 003646 000249 wie: soll: ich's: wissen: ? . 003647 000249 sie: kommt: immer: wieder: damit: , obschon: ich: von: Joachim: weniger: weiá: als: Hanna: . 003648 000249 sie: sagt: : das: Kind: , als: es: dann: da: war: , hat: mich: nie: an: dich: erinnert: , es: war: mein: Kind: , nur: meines: . 003649 000249 in: bezug: auf: Joachim: : ich: liebte: ihn: , gerade: weil: er: nicht: der: Vater: meines: Kindes: war: , und: in: den: ersten: Jahren: war: alles: so: einfach: . 003650 000249 Hanna: meint: , unser: Kind: w„re: nie: zur: Welt: gekommen: , wenn: wir: uns: damals: nicht: getrennt: h„tten: . 003651 000249 davon: ist: Hanna: berzeugt: . 003652 000249 es: entschied: sich: fr: Hanna: , noch: bevor: ich: in: Bagdad: angekommen: war: , scheint: es: ; sie: hatte: sich: ein: Kind: gewnscht: , die: Sache: hatte: sie: berfallen: , und: erst: als: ich: verschwunden: war: , entdeckte: sie: , daá: sie: ein: Kind: wnschte: ( sagt: Hanna: ) ohne: Vater: , nicht: unser: Kind: , sondern: ihr: Kind: . 003653 000250 sie: war: allein: und: glcklich: , schwanger: zu: sein: , und: als: sie: zu: Joachim: ging: , um: sich: berreden: zu: lassen: , war: Hanna: bereits: entschlossen: , ihr: Kind: zu: haben: ; es: st”rte: sie: nicht: , daá: Joachim: damals: meinte: , sie: in: einem: entscheidenden: Beschluá: ihres: Lebens: bestimmt: zu: haben: , und: daá: er: sich: in: Hanna: verliebte: , was: kurz: darauf: zur: Heirat: fhrte: . 003654 000250 auch: mein: unglcklicher: Ausspruch: neulich: in: ihrer: Wohnung: : du: tust: wie: eine: Henne: ! hat: Hanna: sehr: besch„ftigt: , weil: auch: Joachim: , wie: sie: zugibt: , einmal: dieselben: Worte: gebraucht: hat: . 003655 000250 Joachim: sorgte: fr: das: Kind: , ohne: sich: in: die: Erziehung: einzumischen: ; es: war: ja: nicht: sein: Kind: , auch: nicht: mein: Kind: , sondern: ein: vaterloses: , einfach: ihr: Kind: , ihr: eigenes: , ein: Kind: , das: keinen: Mann: etwas: angeht: , womit: Joachim: sich: offenbar: zufriedengeben: konnte: , wenigstens: in: den: ersten: Jahren: , solange: es: ein: Kleinkind: war: , das: sowieso: ganz: zur: Mutter: geh”rt: , und: Joachim: g”nnte: es: ihr: , da: es: Hanna: glcklich: machte: . 003656 000250 von: mir: , sagt: Hanna: , war: nie: die: Rede: . 003657 000250 Joachim: hatte: keinen: Grund: , eiferschtig: zu: sein: , und: war: es: auch: nicht: in: bezug: auf: mich: ; er: sah: , daá: ich: nicht: als: Vater: galt: , nicht: fr: die: Welt: , die: ja: nichts: davon: wuáte: , und: schon: gar: nicht: fr: Hanna: , die: mich: einfach: vergaá: ( wie: Hanna: immer: wieder: versichert: ) , ohne: Vorwurf: . 003658 000250 schwieriger: wurde: es: zwischen: Joachim: und: Hanna: erst: , als: sich: die: Erziehungsfragen: mehrten: : weniger: wegen: Meinungsunterschieden: , die: selten: waren: , aber: Joachim: vertrug: es: grunds„tzlich: nicht: , daá: Hanna: sich: in: allem: , was: Kinder: betrifft: , als: die: einzige: und: letzte: Instanz: betrachtete: . 003659 000251 Hanna: gibt: zu: , daá: Joachim: ein: vertr„glicher: Mensch: gewesen: ist: , allergisch: nur: in: diesem: Punkt: . 003660 000251 offenbar: hoffte: er: mehr: und: mehr: auf: ein: Kind: , ein: gemeinsames: , das: ihm: die: Stellung: des: Vaters: geben: wrde: , und: meinte: , dann: wrde: alles: durchaus: selbstverst„ndlich: , Elsbeth: hielt: ihn: fr: ihren: Papa: ; sie: liebte: ihn: , aber: Joachim: miátraute: ihr: , meint: Hanna: , und: kam: sich: berflssig: vor: . 003661 000251 es: gab: damals: allerlei: vernnftige: Grnde: , keine: weiteren: Kinder: in: die: Welt: zu: setzen: , vor: allem: fr: eine: deutsche: Halbjdin: ; Hanna: pocht: auf: diese: Grnde: noch: heute: , als: wrde: ich: sie: bestreiten: . 003662 000251 Joachim: glaubte: ihr: die: Grnde: nicht: ; sein: Verdacht: : du: willst: keinen: Vater: im: Haus: ! er: meinte: , Hanna: wolle: nur: Kinder: , wenn: nachher: der: Vater: verschwindet: . 003663 000251 was: ich: auch: nicht: gewuát: habe: : Joachim: betrieb: seine: Auswanderung: nach: šbersee: seit: 1935: , seinerseits: zu: allem: entschlossen: , um: sich: nicht: von: Johanna: trennen: zu: mssen: . 003664 000251 auch: Hanna: dachte: nie: an: eine: Trennung: ; sie: wollte: mit: Joachim: nach: Canada: oder: Australien: , sie: lernte: zus„tzlich: den: Beruf: einer: Laborantin: , um: ihm: berall: in: der: Welt: helfen: zu: k”nnen: . 003665 000251 dazu: ist: es: aber: nicht: gekommen: . 003666 000251 als: Joachim: erf„hrt: , daá: Hanna: sich: hat: unterbinden: lassen: , kommt: es: zu: seiner: Kurzschluáhandlung: : Joachim: meldet: sich: ( nachdem: er: sich: zum: Verdruá: seiner: Sippe: hat: freimachen: k”nnen: ) freiwillig: zur: Wehrmacht: . 003667 000251 Hanna: hat: ihn: nie: vergessen: . 003668 000251 obschon: sie: in: den: folgenden: Jahren: nicht: ohne: M„nner: lebt: , opfert: sie: ihr: ganzes: Leben: fr: ihr: Kind: . 003669 000251 sie: arbeitet: in: Paris: , sp„ter: in: London: , in: Ostberlin: , in: Athen: . 003670 000251 sie: flieht: mit: ihrem: Kind: . 003671 000251 sie: unterrichtet: ihr: Kind: , wo: es: keine: deutschsprachige: Schule: gibt: , selbst: und: lernt: mit: vierzig: Jahren: noch: Geige: , um: ihr: Kind: begleiten: zu: k”nnen: . 003672 000252 nichts: ist: Hanna: zuviel: , wenn: es: um: ihr: Kind: geht: . 003673 000252 sie: pflegt: ihr: Kind: in: einem: Keller: , als: die: Wehrmacht: nach: Paris: kommt: , und: wagt: sich: auf: die: Straáe: , um: Medikamente: zu: holen: . 003674 000252 Hanna: hat: ihr: Kind: nicht: verw”hnt: ; dazu: ist: Hanna: zu: gescheit: , finde: ich: , auch: wenn: sie: sich: selbst: ( seit: einigen: Tagen: ) immerzu: als: Idiotin: bezeichnet: . 003675 000252 warum: ich: das: gesagt: habe: ? fragt: sie: jetzt: immerzu: . 003676 000252 damals: : dein: Kind: , statt: unser: Kind: . 003677 000252 ob: als: Vorwurf: oder: nur: aus: Feigheit: ? . 003678 000252 ich: verstehe: ihre: Frage: nicht: . 003679 000252 ob: ich: damals: gewuát: h„tte: , wie: recht: ich: habe: ? . 003680 000252 und: warum: ich: neulich: gesagt: habe: : du: benimmst: dich: wie: eine: Henne: ! . 003681 000252 ich: habe: diesen: Ausspruch: schon: mehrmals: zurckgenommen: und: widerrufen: , seit: ich: weiá: , was: Hanna: alles: geleistet: hat: ; aber: es: ist: Hanna: , die: nicht: davon: loskommt: . 003682 000252 ob: ich: ihr: verzeihen: k”nne: ! . 003683 000252 sie: hat: geweint: , Hanna: auf: den: Knien: , w„hrend: jeden: Augenblick: die: Diakonissin: eintreten: kann: , Hanna: , die: meine: Hand: kát: , dann: kenne: ich: sie: gar: nicht: . 003684 000252 ich: verstehe: nur: , daá: Hanna: , nach: allem: was: geschehen: ist: , Athen: nie: wieder: verlassen: will: , das: Grab: unseres: Kindes: . 003685 000252 wir: beide: werden: hier: bleiben: , denke: ich: . 003686 000252 ich: verstehe: auch: , daá: sie: ihre: Wohnung: aufgab: mit: dem: leeren: Zimmer: ; es: ist: Hanna: schon: schwer: genug: gefallen: , das: M„dchen: allein: auf: die: Reise: zu: lassen: , wenn: auch: nur: fr: ein: halbes: Jahr: . 003687 000252 Hanna: hat: immer: schon: gewuát: , daá: ihr: Kind: sie: einmal: verlassen: wird: ; aber: auch: Hanna: hat: nicht: ahnen: k”nnen: , daá: Sabeth: auf: dieser: Reise: gerade: ihrem: Vater: begegnet: , der: alles: zerst”rt: - . 003688 000252 08.05: Uhr: . 003689 000252 sie: kommen: . 003690 000253 meine Arbeit an diesem Buch hat durch eine Gabe der Stiftung Pro: Helvetia: F”rderung erfahren . 003691 000253 nun das Buch abgeschlossen ist , soll mein ausdrcklicher Dank an die Stiftung fr ihren Beitrag auch an seinem Schluá stehen . 003692 000253 q+ Zrich , im August 1957 +q . 003693 000253 v+ M. F. +v . 000000 000000 LGB : GRASS, DIE BLECHTROMMEL 000001 000003 v+ Gnter Grass +v . 000002 000003 u+ die Blechtrommel +u . 000003 000005 u+ fr Anna Grass +u . 000004 000009 u+ erstes Buch +u . 000005 000009 u+ der weite Rock +u . 000006 000009 zugegeben : ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt , mein Pfleger beobachtet mich , l„át mich kaum aus dem Auge ; denn in der Tr ist ein Guckloch , und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun , welches mich , den Blau„ugigen , nicht durchschauen kann . 000007 000009 mein Pfleger kann also gar nicht mein Feind sein . 000008 000009 liebgewonnen habe ich ihn , erz„hle dem Gucker hinter der Tr , sobald er mein Zimmer betritt , Begebenheiten aus meinem Leben , damit er mich trotz des ihn hindernden Guckloches kennenlernt . 000009 000009 der Gute scheint meine Erz„hlungen zu sch„tzen , denn sobald ich ihm etwas vorgelogen habe , zeigt er mir , um sich erkenntlich zu geben , sein neuestes Knotengebilde . 000010 000009 ob er ein Knstler ist , bleibe dahingestellt . 000011 000009 eine Ausstellung seiner Kreationen wrde jedoch von der Presse gut aufgenommen werden , auch einige K„ufer herbeilocken . 000012 000009 er knotet ordin„re Bindf„den , die er nach den Besuchsstunden in den Zimmern seiner Patienten sammelt und entwirrt , zu vielschichtig verknorpelten Gespenstern , taucht diese dann in Gips , l„át sie erstarren und spieát sie mit Stricknadeln , die auf Holzs”ckelchen befestigt sind . 000013 000009 oft spielt er mit dem Gedanken , seine Werke farbig zu gestalten . 000014 000009 ich rate davon ab , weise auf mein weiálackiertes Metallbett hin und bitte ihn , sich dieses vollkommenste Bett bunt bemalt vorzustellen . 000015 000009 entsetzt schl„gt er dann seine Pflegerh„nde ber dem Kopf zusammen , versucht in etwas zu starrem Gesicht allen Schrecken gleichzeitig Ausdruck zu geben und nimmt Abstand von seinen farbigen Pl„nen . 000016 000009 mein weiálackiertes metallenes Anstaltsbett ist also ein Maástab . 000017 000009 mir ist es sogar mehr : mein Bett ist das endlich erreichte Ziel , mein Trost ist es und k”nnte mein Glaube werden , wenn mir die Anstaltsleitung erlaubte , einige Žnderungen vorzunehmen : das Bettgitter m”chte ich erh”hen lassen , damit mir niemand mehr zu nahe tritt . 000018 000009 einmal in der Woche unterbricht ein Besuchstag meine zwischen weiáen Metallst„ben geflochtene Stille . 000019 000009 dann kommen sie , die mich retten wollen , denen es Spaá macht , mich zu lieben , die sich in mir sch„tzen , achten und kennenlernen m”chten . 000020 000009 wie blind , nerv”s , wie unerzogen sie sind . 000021 000009 kratzen mit ihren Fingernagelscheren an meinem weiálackierten Bettgitter , kritzeln mit ihren Kugelschreibern und Blaustiften dem Lack langgezogene unanst„ndige Strichm„nnchen . 000022 000009 mein Anwalt stlpt jedesmal , sobald er mit seinem Hallo das Zimmer sprengt , den Nylonhut ber den linken Pfosten am Fuáende meines Bettes . 000023 000010 solange sein Besuch w„hrt - und Anw„lte wissen viel zu erz„hlen - raubt er mir durch diesen Gewaltakt das Gleichgewicht und die Heiterkeit . 000024 000010 nachdem meine Besucher ihre Geschenke auf dem weiáen , mit Wachstuch bezogenen Tischchen unter dem Anemonenaquarell deponiert haben , nachdem es ihnen gelungen ist , mir ihre gerade laufenden oder geplanten Rettungsversuche zu unterbreiten und mich , den sie unermdlich retten wollen , vom hohen Standard ihrer N„chstenliebe zu berzeugen , finden sie wieder Spaá an der eigenen Existenz und verlassen mich . 000025 000010 dann kommt mein Pfleger , um zu lften und die Bindf„den der Geschenkpackungen einzusammeln . 000026 000010 oftmals findet er nach dem Lften noch Zeit , an meinem Bett sitzend , Bindf„den aufdr”selnd , so lange Stille zu verbreiten , bis ich die Stille Bruno und Bruno die Stille nenne . 000027 000010 Bruno Mnsterberg - ich meine jetzt meinen Pfleger , lasse das Wortspiel hinter mir - kaufte auf meine Rechnung fnfhundert Blatt Schreibpapier . 000028 000010 Bruno , der unverheiratet , kinderlos ist und aus dem Sauerland stammt , wird , sollte der Vorrat nicht reichen , die kleine Schreibwarenhandlung , in der auch Kinderspielzeug verkauft wird , noch einmal aufsuchen und mir den notwendigen unlinierten Platz fr mein hoffentlich genaues Erinnerungsverm”gen beschaffen . 000029 000010 niemals h„tte ich meine Besucher , etwa den Anwalt oder Klepp , um diesen Dienst bitten k”nnen . 000030 000010 besorgte , mir verordnete Liebe h„tte den Freunden sicher verboten , etwas so Gef„hrliches wie unbeschriebenes Papier mitzubringen und meinem unabl„ssig Silben ausscheidenden Geist zum Gebrauch freizugeben . 000031 000010 als ich zu Bruno sagte : " ach Bruno , wrdest du mir fnfhundert Blatt unschuldiges Papier kaufen ? " antwortete Bruno , zur Zimmerdecke blickend und seinen Zeigefinger , einen Vergleich herausfordernd , in die gleiche Richtung schickend : " Sie meinen weiáes Papier , Herr Oskar " . 000032 000010 ich blieb bei dem W”rtchen unschuldig und bat den Bruno , auch im Gesch„ft so zu sagen . 000033 000010 als er am sp„ten Nachmittag mit dem Paket zurckkam , wollte er mir wie ein von Gedanken bewegter Bruno erscheinen . 000034 000010 mehrmals und anhaltend starrte er zu jener Zimmerdecke empor , von der er all seine Eingebungen bezog , und „uáerte sich etwas sp„ter : " Sie haben mir das rechte Wort empfohlen . 000035 000010 unschuldiges Papier verlangte ich , und die Verk„uferin err”tete heftig , bevor sie mir das Verlangte brachte " . 000036 000010 ein l„ngeres Gespr„ch ber Verk„uferinnen in Schreibwarenhandlungen frchtend , bereute ich , das Papier unschuldig genannt zu haben , verhielt mich deshalb still , wartete , bis Bruno das Zimmer verlassen hatte , und ”ffnete dann erst das Paket mit den fnfhundert Blatt Schreibpapier . 000037 000010 nicht allzu lange hob und wog ich den z„h flexiblen Packen . 000038 000010 zehn Blatt z„hlte ich ab , der Rest wurde im Nachttischchen versorgt , den Fllfederhalter fand ich in der Schublade neben dem Fotoalbum : er ist voll , an seiner Tinte soll es nicht fehlen , wie fange ich an ? . 000039 000011 man kann eine Geschichte in der Mitte beginnen und vorw„rts wie rckw„rts khn ausschreitend Verwirrung anstiften . 000040 000011 man kann sich modern geben , alle Zeiten , Entfernungen wegstreichen und hinterher verknden oder verknden lassen , man habe endlich und in letzter Stunde das Raum-Zeit-Problem gel”st . 000041 000011 man kann auch ganz zu Anfang behaupten , es sei heutzutage unm”glich , einen Roman zu schreiben , dann aber , sozusagen hinter dem eigenen Rcken , einen kr„ftigen Knller hinlegen , um schlieálich als letztm”glicher Romanschreiber dazustehn . 000042 000011 auch habe ich mir sagen lassen , daá es sich gut und bescheiden ausnimmt , wenn man anfangs beteuert : es gibt keine Romanhelden mehr , weil es keine Individualisten mehr gibt , weil die Individualit„t verloren gegangen , weil der Mensch einsam , jeder Mensch gleich einsam , ohne Recht auf individuelle Einsamkeit ist und eine namen- und heldenlos einsame Masse bildet . 000043 000011 das mag alles so sein und seine Richtigkeit haben . 000044 000011 fr mich , Oskar , und meinen Pfleger Bruno m”chte ich jedoch feststellen : wir beide sind Helden , ganz verschiedene Helden , er hinter dem Guckloch , ich vor dem Guckloch ; und wenn er die Tr aufmacht , sind wir beide , bei aller Freundschaft und Einsamkeit , noch immer keine namen- und heldenlose Masse . 000045 000011 ich beginne weit vor mir ; denn niemand sollte sein Leben beschreiben , der nicht die Geduld aufbringt , vor dem Datieren der eigenen Existenz wenigstens der H„lfte seiner Groáeltern zu gedenken . 000046 000011 Ihnen allen , die Sie auáerhalb meiner Heil- und Pflegeanstalt ein verworrenes Leben fhren mssen , Euch Freunden und allw”chentlichen Besuchern , die Ihr von meinem Papiervorrat nichts ahnt , stelle ich Oskars Groámutter mtterlicherseits vor . 000047 000011 meine Groámutter Anna Bronski saá an einem sp„ten Oktobernachmittag in ihren R”cken am Rande eines Kartoffelackers . 000048 000011 am Vormittag h„tte man sehen k”nnen , wie es die Groámutter verstand , das schlaffe Kraut zu ordentlichen Haufen zu rechen , mittags aá sie ein mit Sirup versátes Schmalzbrot , hackte dann letztmals den Acker nach , saá endlich in ihren R”cken zwischen zwei fast vollen K”rben . 000049 000011 vor senkrecht gestellten , mit den Spitzen zusammenstrebenden Stiefelsohlen schwelte ein manchmal asthmatisch auflebendes , den Rauch flach und umst„ndlich ber die kaum geneigte Erdkruste hinschickendes Kartoffelkrautfeuer . 000050 000011 man schrieb das Jahr neunundneunzig , sie saá im Herzen der Kaschubei , nahe bei Bissau , noch n„her der Ziegelei , vor Ramkau saá sie , hinter Viereck , in Richtung der Straáe nach Brenntau , zwischen Dirschau und Karthaus , den schwarzen Wald Goldkrug im Rcken saá sie und schob mit einem an der Spitze verkohlten Haselstock Kartoffeln unter die heiáe Asche . 000051 000011 wenn ich soeben den Rock meiner Groámutter besonders erw„hnte , hoffentlich deutlich genug sagte : sie saá in ihren R”cken - ja , das Kapitel " der weite Rock " berschreibe , weiá ich , was ich diesem Kleidungsstck schuldig bin . 000052 000012 meine Groámutter trug nicht nur einen Rock , vier R”cke trug sie bereinander . 000053 000012 nicht etwa , daá sie einen Ober- und drei Unterr”cke getragen h„tte ; vier sogenannte Oberr”cke trug sie , ein Rock trug den n„chsten , sie aber trug alle vier nach einem System , das die Reihenfolge der R”cke von Tag zu Tag ver„nderte . 000054 000012 was gestern oben saá , saá heute gleich darunter ; der zweite war der dritte Rock . 000055 000012 was gestern noch dritter Rock war , war ihr heute der Haut nahe . 000056 000012 jener ihr gestern n„chste Rock lieá heute deutlich sein Muster sehen , n„mlich gar keines : die R”cke meiner Groámutter Anna Bronski bevorzugten alle denselben kartoffelfarbenen Wert . 000057 000012 die Farbe muá ihr gestanden haben . 000058 000012 auáer dieser Farbgebung zeichnete die R”cke meiner Groámutter ein fl„chenm„áig extravaganter Aufwand an Stoff aus . 000059 000012 weit rundeten sie sich , bauschten sich , wenn der Wind ankam , erschlafften , wenn er genug hatte , knatterten , wenn er vorbei ging , und alle vier flogen meiner Groámutter voraus , wenn sie den Wind im Rcken hatte . 000060 000012 wenn sie sich setzte , versammelte sie ihre R”cke um sich . 000061 000012 neben den vier st„ndig gebl„hten , h„ngenden , Falten werfenden oder steif und leer neben ihrem Bett stehenden R”cken besaá meine Groámutter einen fnften Rock . 000062 000012 dieses Stck unterschied sich in nichts von den vier anderen kartoffelfarbenen Stcken . 000063 000012 auch war der fnfte Rock nicht immer derselbe fnfte Rock . 000064 000012 gleich seinen Brdern - denn R”cke sind m„nnlicher Natur - war er dem Wechsel unterworfen , geh”rte er vier getragenen R”cken an und muáte gleich ihnen , wenn seine Zeit gekommen war , an jedem fnften Freitag in die Waschbtte , sonnabends an die W„scheleine vors Kchenfenster und nach dem Trocknen aufs Bgelbrett . 000065 000012 wenn meine Groámutter nach solch einem Hausputzbackwaschundbgelsonnabend , nach dem Melken und Fttern der Kuh ganz und gar in den Badezuber stieg , der Seifenlauge etwas mitteilte , das Wasser im Zuber dann wieder fallen lieá , um sich in groágeblmtem Tuch auf die Bettkante zu setzen , lagen vor ihr auf den Dielen die vier getragenen R”cke und der frischgewaschene Rock ausgebreitet . 000066 000012 sie sttzte mit dem rechten Zeigefinger das untere Lid ihres rechten Auges , lieá sich von niemandem , auch von ihrem Bruder Vinzent nicht , beraten und kam deshalb schnell zum Entschluá . 000067 000012 barfuá stand sie und stieá mit den Zehen jenen Rock zur Seite , welcher vom Glanz der Kartoffelfarbe den meisten Schmelz eingebát hatte . 000068 000012 dem reinlichen Stck fiel dann der frei gewordene Platz zu . 000069 000012 Jesu zu Ehren , von dem sie feste Vorstellungen hatte , wurde am folgenden Sonntagmorgen die aufgefrischte Rockreihenfolge beim Kirchgang nach Ramkau eingeweiht . 000070 000012 wo trug meine Groámutter den gewaschenen Rock ? . 000071 000012 sie war nicht nur eine saubere , war auch eine etwas eitle Frau , trug das beste Stck sichtbar und bei sch”nem Wetter in der Sonne . 000072 000013 nun war es aber ein Montagnachmittag , an dem meine Groámutter hinter dem Kartoffelfeuer saá . 000073 000013 der Sonntagsrock kam ihr montags eins n„her , w„hrend ihr jenes Stck , das es sonntags hautwarm gehabt hatte , montags recht mont„glich trb oberhalb von den Hften floá . 000074 000013 sie pfiff , ohne ein Lied zu meinen , und scharrte mit dem Haselstock die erste gare Kartoffel aus der Asche . 000075 000013 weit genug schob sie die Bulve neben den schwelenden Krautberg , damit der Wind sie streifte und abkhlte . 000076 000013 ein spitzer Ast spieáte dann die angekohlte und krustig geplatzte Knolle , hielt diese vor ihren Mund , der nicht mehr pfiff , sondern zwischen windtrocknen , gesprungenen Lippen Asche und Erde von der Pelle blies . 000077 000013 beim Blasen schloá meine Groámutter die Augen . 000078 000013 als sie meinte , genug geblasen zu haben , ”ffnete sie die Augen nacheinander , biá mit Durchblick gew„hrenden , sonst fehlerlosen Schneidez„hnen zu , gab das Gebiá sogleich wieder frei , hielt die halbe , noch zu heiáe Kartoffel mehlig und dampfend in offener Mundh”hle und starrte mit gerundetem Blick ber gebl„hten , Rauch und Oktoberluft ansaugenden Nasl”chern den Acker entlang bis zum nahen Horizont mit den einteilenden Telegrafenstangen und dem knappen oberen Drittel des Ziegeleischornsteines . 000079 000013 es bewegte sich etwas zwischen den Telegrafenstangen . 000080 000013 meine Groámutter schloá den Mund , nahm die Lippen nach innen , verkniff die Augen und mmmelte die Kartoffel . 000081 000013 es bewegte sich etwas zwischen den Telegrafenstangen . 000082 000013 es sprang da etwas . 000083 000013 drei M„nner sprangen zwischen den Stangen , drei auf den Schornstein zu , dann vorne herum und einer kehrt , nahm neuen Anlauf , schien kurz und breit zu sein , kam auch drber , ber die Ziegelei , die beiden anderen , mehr dnn und lang , knapp aber doch , ber die Ziegelei , schon wieder zwischen den Stangen , der aber , klein und breit , schlug Haken und hatte es klein und breit eiliger als dnn und lang , die anderen Springer , die wieder zum Schornstein hin muáten , weil der schon drber rollte , als die , zwei Daumensprnge entfernt , noch Anlauf nahmen und pl”tzlich weg waren , die Lust verloren hatten , so sah es aus , und auch der Kleine fiel mitten im Sprung vom Schornstein hinter den Horizont . 000084 000013 da blieben sie nun und machten Pause oder wechselten das Kostm oder strichen Ziegel und bekamen bezahlt dafr . 000085 000013 als meine Groámutter die Pause ntzen und eine zweite Kartoffel spieáen wollte , stach sie daneben . 000086 000013 kletterte doch jener , der klein und breit zu sein schien , im selben Kostm ber den Horizont , als w„re das ein Lattenzaun , als f+ h„tt' +f er die beiden Hinterherspringer hinter dem Zaun , zwischen den Ziegeln oder auf der Chaussee nach Brenntau gelassen , und hatte es trotzdem eilig , wollte schneller sein als die Telegrafenstangen , machte lange , langsame Sprnge ber den Acker , lieá Dreck von den Sohlen springen , sprang sich vom Dreck weg , aber so breit er auch sprang , so z„h kroch er doch ber den Lehm . 000087 000013 und manchmal schien er unten zu kleben , dann wieder so lange in der Luft still zu stehn , daá er die Zeit fand , sich mitten im Sprung klein aber breit die Stirn zu wischen , bevor sich sein Sprungbein wieder in jenes frischgepflgte Feld stemmen konnte , das neben den fnf Morgen Kartoffeln zum Hohlweg hinfurchte . 000088 000014 und er schaffte es bis zum Hohlweg , war kaum klein und breit im Hohlweg verschwunden , da kletterten auch schon lang und dnn die beiden anderen , die inzwischen die Ziegelei besucht haben mochten , ber den Horizont , stiefelten sich so lang und dnn , dabei nicht einmal mager ber den Lehm , daá meine Groámutter wiederum nicht die Kartoffel spieáen konnte ; denn so etwas sah man nicht alle Tage , daá da drei Ausgewachsene , wenn auch verschieden gewachsene , um Telegrafenstangen hpften , der Ziegelei fast den Schornstein abbrachen und dann in Abst„nden , erst klein und breit dann dnn und lang , aber alle drei gleich mhsam , z„h und immer mehr Lehm unter den Sohlen mitschleppend , frischgeputzt durch den vor zwei Tagen vom Vinzent gepflgten Acker sprangen und im Hohlweg verschwanden . 000089 000014 nun waren alle drei weg und meine Groámutter konnte es wagen , eine fast erkaltete Kartoffel zu spieáen . 000090 000014 flchtig blies sie Erde und Asche von der Pelle , paáte sie sich gleich ganz in die Mundh”hle , dachte , wenn sie dachte : die werden wohl aus der Ziegelei sein , und kaute noch kreisf”rmig , als einer aus dem Hohlweg sprang , sich ber schwarzem Schnauz wild umsah , die zwei Sprnge zum Feuer hin machte , vor , hinter , neben dem Feuer gleichzeitig stand , hier fluchte , dort Angst hatte , nicht wuáte wohin , zurck nicht konnte , denn rckw„rts kamen sie dnn durch den Hohlweg lang , daá er sich schlug , aufs Knie schlug und Augen im Kopf hatte , die beide raus wollten , auch sprang ihm Schweiá von der Stirn . 000091 000014 und keuchend , mit zitterndem Schnauz , erlaubte er sich n„her zu kriechen , heranzukriechen bis vor die Sohlen ; ganz nah heran kroch er an die Groámutter , sah meine Groámutter an wie ein kleines und breites Tier , daá sie aufseufzen muáte , nicht mehr die Kartoffel kauen konnte , die Schuhsohlen kippen lieá , nicht mehr an die Ziegelei , nicht an Ziegel , Ziegelbrenner und Ziegelstreicher dachte , sondern den Rock hob , nein , alle vier R”cke hob sie hoch , gleichzeitig hoch genug , daá der , der nicht aus der Ziegelei war , klein aber breit ganz darunter konnte und weg war mit dem Schnauz und sah nicht mehr aus wie ein Tier und war weder aus Ramkau noch aus Viereck , war mit der Angst unterm Rock und schlug sich nicht mehr aufs Knie , war weder breit noch klein und nahm trotzdem seinen Platz ein , vergaá das Keuchen , Zittern und Hand aufs Knie : still war es wie am ersten Tag oder am letzten , ein biáchen Wind kl”hnte im Krautfeuer , die Telegrafenstangen z„hlten sich lautlos , der Schornstein der Ziegelei behielt Haltung und sie , meine Groámutter , sie strich den obersten Rock berm zweiten Rock glatt und vernnftig , sprte ihn kaum unterm vierten Rock und hatte mit ihrem dritten Rock noch gar nicht begriffen , was ihrer Haut neu und erstaunlich sein wollte . 000092 000014 und weil das erstaunlich war , doch oben vernnftig lag , und zweitens wie drittens noch nicht begriffen hatte , scharrte sie sich zwei drei Kartoffeln aus der Asche , griff vier rohe aus dem Korb unter ihrem rechten Ellenbogen , schob die rohen Bulven nacheinander in die heiáe Asche , bedeckte sie mit noch mehr Asche und stocherte , daá der Qualm auflebte - was h„tte sie anderes tun sollen ? . 000093 000015 kaum hatten sich die R”cke meiner Groámutter beruhigt , kaum hatte sich der dickflssige Qualm des Kartoffelkrautfeuers , der durch heftiges Knieschlagen , durch Platzwechsel und Stochern seine Richtung verloren hatte , wieder windgerecht gelb den Acker bekriechend nach Sdwest gewandt , da spuckte es die beiden Langen und Dnnen , die dem kleinen aber breiten , nun unter den R”cken wohnenden Kerl hinterher waren , aus dem Hohlweg , und es zeigte sich , daá sie lang , dnn und von Berufs wegen die Uniformen der Feldgendarmerie trugen . 000094 000015 fast schossen sie an meiner Groámutter vorbei . 000095 000015 sprang nicht der eine sogar bers Feuer ? . 000096 000015 hatten jedoch auf einmal Hacken und in den Hacken ihr Hirn , bremsten , drehten , stiefelten , standen in Uniformen gestiefelt im Qualm und zogen hstelnd die Uniformen , Qualm mitziehend , aus dem Qualm und hstelten immer noch , als sie meine Groámutter ansprachen , wissen wollten , ob sie den Koljaiczek gesehen , denn sie msse ihn gesehen haben , da sie doch hier am Hohlweg sitze , und er , der Koljaiczek , sei durch den Hohlweg entkommen . 000097 000015 meine Groámutter hatte keinen Koljaiczek gesehen , weil sie keinen Koljaiczek kannte . 000098 000015 ob der von der Ziegelei sei , wollte sie wissen , denn sie kenne nur die von der Ziegelei . 000099 000015 die Uniformen aber beschrieben ihr den Koljaiczek als einen , der nichts mit Ziegeln zu tun habe , der vielmehr ein Kleiner , Breiter sei . 000100 000015 meine Groámutter erinnerte sich , hatte solch einen laufen sehen , zeigte , ein Ziel ansprechend , mit dampfender Kartoffel auf spitzem Ast in Richtung Bissau , das der Kartoffel nach zwischen der sechsten und siebenten Telegrafenstange , wenn man vom Ziegelschornstein nach rechts z„hlte , liegen muáte . 000101 000015 ob aber jener L„ufer ein Koljaiczek gewesen , wuáte meine Groámutter nicht , entschuldigte ihre Unwissenheit mit dem Feuer vor ihren Stiefelsohlen ; das g„be ihr genug zu tun , das brenne nur m„áig , deshalb k”nne sie sich auch nicht um andere Leute kmmern , die hier vorbeiliefen oder im Qualm stnden , berhaupt kmmere sie sich nie um Leute , die sie nicht kenne , sie wisse nur , welche es in Bissau , Ramkau , Viereck und in der Ziegelei g„be - die reichten ihr gerade . 000102 000015 als meine Groámutter das gesagt hatte , seufzte sie ein biáchen , doch laut genug , daá die Uniformen wissen wollten , was es zu seufzen g„be . 000103 000015 sie nickte dem Feuer zu , was besagen sollte , sie h„tte wegen des m„áigen Feuerchens geseufzt und wegen der vielen Leute im Qualm auch etwas , biá dann mit ihren weit auseinanderstehenden Schneidez„hnen der Kartoffel die H„lfte ab , verfiel ganz dem Kauen und lieá die Aug„pfel nach oben links rutschen . 000104 000016 die in den Uniformen der Feldgendarmerie konnten dem abwesenden Blick meiner Groámutter keinen Zuspruch entnehmen , wuáten nicht , ob sie hinter den Telegrafenstangen Bissau suchen sollten , und stieáen deshalb einstweilen mit ihren Seitengewehren in die benachbarten , noch nicht brennenden Krauthaufen . 000105 000016 pl”tzlicher Eingebung folgend , warfen sie gleichzeitig die beiden fast vollen Kartoffelk”rbe unter den Ellenbogen meiner Groámutter um und konnten lange nicht begreifen , warum nur Kartoffeln aus dem Geflecht vor ihre Stiefel rollten und kein Koljaiczek . 000106 000016 miátrauisch umschlichen sie die Kartoffelmiete , als h„tte sich der Koljaiczek in solch kurzer Zeit einmieten k”nnen , stachen auch gezielt zu und vermiáten den Schrei eines Gestochenen . 000107 000016 ihr Verdacht traf jedes noch so heruntergekommene Gebsch , jedes Mauseloch , eine Kolonie Maulwurfshgel und immer wieder meine Groámutter , die dasaá wie gewachsen , Seufzer ausstieá , die Pupillen unter die Lider zog , doch das Weiáe sehen lieá , die die kaschubischen Vornamen aller Heiligen aufz„hlte - was eines nur m„áig brennenden Feuerchens und zweier umgestrzter Kartoffelk”rbe wegen leidvoll betont und laut wurde . 000108 000016 die Uniformen blieben eine gute halbe Stunde . 000109 000016 manchmal standen sie fern , dann wieder dem Feuer nahe , peilten den Schornstein der Ziegelei an , wollten auch Bissau besetzen , schoben den Angriff auf und hielten blaurote H„nde bers Feuer , bis sie von meiner Groámutter , ohne daá sie das Seufzen unterbrochen h„tte , jeder eine geplatzte Kartoffel am St”ckchen bekamen . 000110 000016 doch mitten im Kauen besannen sich die Uniformen ihrer Uniformen , sprangen einen Steinwurf weit in den Acker , den Ginster am Hohlweg entlang und scheuchten einen Hasen auf , der aber nicht Koljaiczek hieá . 000111 000016 am Feuer fanden sie wieder die mehligen , heiáduftenden Bulven und entschlossen sich friedfertig , auch etwas abgek„mpft , die rohen Bulven in jene K”rbe wieder zu sammeln , welche umzustrzen zuvor ihre Pflicht gewesen war . 000112 000016 erst als der Abend dem Oktoberhimmel einen feinen schr„gen Regen und tintige D„mmerung ausquetschte , griffen sie noch rasch und lustlos einen entfernten , dunkelnden Feldstein an , lieáen es dann aber , nachdem der erledigt , genug sein . 000113 000016 noch etwas Beinevertreten und H„nde segnend bers verregnete , breit und lang qualmende Feuerchen halten , noch einmal Husten im grnen Qualm , ein tr„nendes Auge im gelben Qualm , dann hstelndes , tr„nendes Davonstiefeln in Richtung Bissau . 000114 000016 wenn der Koljaiczek nicht hier war , muáte Koljaiczek in Bissau sein . 000115 000016 Feldgendarmen kennen immer nur zwei M”glichkeiten . 000116 000016 der Rauch des langsam sterbenden Feuers hllte meine Groámutter gleich einem fnften und so ger„umigen Rock ein , daá sie sich in ihren vier R”cken , mit Seufzern und heiligen Vornamen , „hnlich dem Koljaiczek , unterm Rock befand . 000117 000016 erst als die Uniformen nur noch wippende , langsam im Abend zwischen Telegrafenstangen versaufende Punkte waren , erhob sich meine Groámutter so mhsam , als h„tte sie Wurzeln geschlagen und unterbr„che nun , F„den und Erdreich mitziehend , das gerade begonnene Wachstum . 000118 000017 dem Koljaiczek wurde es kalt , als er auf einmal so ohne Haube klein und breit unter dem Regen lag . 000119 000017 schnell kn”pfte er sich jene Hose zu , welche unter den R”cken offen zu tragen , ihm Angst und ein grenzenloses Bedrfnis nach Unterschlupf geboten hatten . 000120 000017 er fingerte eilig , eine allzu rasche Abkhlung seines Kolbens befrchtend , mit den Kn”pfen , denn das Wetter war voller herbstlicher Erk„ltungsgefahren . 000121 000017 es war meine Groámutter , die noch vier heiáe Kartoffeln unter der Asche fand . 000122 000017 drei gab sie dem Koljaiczek , eine gab sie sich selbst und fragte noch , bevor sie zubiá , ob er von der Ziegelei sei , obgleich sie wissen muáte , daá der Koljaiczek sonstwoher , aber nicht von den Ziegeln kam . 000123 000017 sie gab dann auch nichts auf seine Antwort , lud ihm den leichteren Korb auf , beugte sich unter dem schwereren , hatte noch eine Hand frei fr Krautrechen und Hacke , wehte mit Korb , Kartoffeln , Rechen und Hacke in ihren vier R”cken in Richtung Bissau-Abbau davon . 000124 000017 das war nicht Bissau selbst . 000125 000017 das lag mehr Richtung Ramkau . 000126 000017 da lieáen sie die Ziegelei links liegen , machten auf den schwarzen Wald zu , in dem Goldkrug lag und dahinter Brenntau . 000127 000017 aber vor dem Wald in einer Kuhle lag Bissau-Abbau . 000128 000017 dorthin folgte meiner Groámutter klein und breit Joseph Koljaiczek , der nicht mehr von den R”cken lassen konnte . 000129 000017 u+ unterm Floá +u . 000130 000017 es ist gar nicht so einfach , hier , im abgeseiften Metallbett einer Heil- und Pflegeanstalt , im Blickfeld eines verglasten und mit Brunos Auge bewaffneten Guckloches liegend , die Rauchschwaden kaschubischer Kartoffelkrautfeuer und die Schraffur eines Oktoberregens nachzuzeichnen . 000131 000017 h„tte ich nicht meine Trommel , der bei geschicktem und geduldigem Gebrauch alles einf„llt , was an Nebens„chlichkeiten n”tig ist , um die Hauptsache aufs Papier bringen zu k”nnen , und h„tte ich nicht die Erlaubnis der Anstalt , drei bis vier Stunden t„glich mein Blech sprechen zu lassen , w„re ich ein armer Mensch ohne nachweisliche Groáeltern . 000132 000017 jedenfalls sagte meine Trommel : an jenem Oktobernachmittag des Jahres neunundneunzig , w„hrend in Sdafrika Ohm Krger seine buschig englandfeindlichen Augenbrauen brstete , wurde zwischen Dirschau und Karthaus , nahe der Ziegelei Bissau , unter vier gleichfarbigen R”cken , unter Qualm , Žngsten , Seufzern , unter schr„gem Regen und leidvoll betonten Vornamen der Heiligen , unter den einfallslosen Fragen und rauchgetrbten Blicken zweier Landgendarmen vom kleinen , aber breiten Joseph Koljaiczek meine Mutter Agnes gezeugt . 000133 000017 Anna Bronski , meine Groámutter , wechselte noch unterm Schwarz der n„mlichen Nacht ihren Namen : lieá sich also mit Hilfe eines freigebig mit Sakramenten umgehenden Priesters zur Anna Koljaiczek machen und folgte dem Joseph , wenn nicht nach Žgypten , so doch in die Provinzhauptstadt an der Mottlau , wo Joseph Arbeit als Fl”áer und einstweilen Ruhe vor der Gendarmerie fand . 000134 000018 nur um die Spannung etwas zu erh”hen , nenne ich den Namen jener Stadt an der Mottlaumndung noch nicht , obgleich sie als Geburtsstadt meiner Mama jetzt schon nennenswert w„re . 000135 000018 Ende Juli des Jahres nullnull - man entschloá sich gerade , das kaiserliche Schlachtflottenbauprogramm zu verdoppeln - erblickte Mama im Sternzeichen L”we das Licht der Welt . 000136 000018 Selbstvertrauen und Schw„rmerei , Groámut und Eitelkeit . 000137 000018 das erste Haus , auch f+ Domus vitae +f genannt , im Zeichen des Aszendenten : leicht zu beeinflussende Fische . 000138 000018 die Konstellation Sonne in Opposition Neptun , siebentes Haus oder f+ Domus matrimonii uxoris +f , sollte Verwirrungen bringen . 000139 000018 Venus in Opposition zu Saturn , der bekanntlich Krankheit an Milz und Leber bringt , den man den sauren Planeten nennt , der im Steinbock herrscht und im L”wen seine Vernichtung feiert , dem Neptun Aale anbietet und den Maulwurf dafr erh„lt , der Tollkirschen , Zwiebeln und Runkelrben liebt , der Lava hustet und den Wein s„uert ; er bewohnte mit Venus das achte , das t”dliche Haus und lieá an Unfall denken , w„hrend die Zeugung auf dem Kartoffelacker gewagtestes Glck unter Merkurs Schutz im Haus der Verwandten versprach . 000140 000018 hier muá ich den Protest meiner Mama einschieben , denn sie hat immer bestritten , auf dem Kartoffelacker gezeugt worden zu sein . 000141 000018 zwar habe ihr Vater - soviel gab sie zu - es dort schon versucht , allein seine Lage und gleichviel die Position der Anna Bronski seien nicht glcklich genug gew„hlt gewesen , um dem Koljaiczek die Voraussetzungen frs Schw„ngern zu schaffen . 000142 000018 " es muá in der Nacht auf der Flucht passiert sein oder in Onkel Vinzents Kastenwagen oder sogar erst auf dem Troyl , als wir bei den Fl”áern Kammer und Unterschlupf fanden " . 000143 000018 mit solchen Worten pflegte meine Mama die Begrndung ihrer Existenz zu datieren , und meine Groámutter , die es eigentlich wissen muáte , nickte dann geduldig und gab der Welt zu verstehen : f+ " jewess Kindchen , auf Kastenwagen wird jewaisen sein oder auf Troyl erst , nur nich auf Acker : weil windig war und hat auch jeregnet wie Deikert komm raus " +f . 000144 000018 Vinzent hieá der Bruder meiner Groámutter . 000145 000018 nach dem frhen Tode seiner Frau war er nach Tschenstochau gepilgert und hatte von der Matka Boska Czestochowska Weisung erhalten , in ihr die zuknftige K”nigin Polens zu sehen . 000146 000018 seitdem kramte er nur noch in merkwrdigen Bchern , fand in jedem Satz den Thronanspruch der Gottesgeb„rerin auf das Reich der Polen best„tigt , berlieá seiner Schwester den Hof und die paar Žcker . 000147 000018 Jan , sein damals vierj„hriger Sohn , ein schw„chliches , immer zum Weinen bereites Kind , htete G„nse , sammelte bunte Bildchen und , verh„ngnisvoll frh , Briefmarken . 000148 000019 in jenes der himmlischen K”nigin Polens geweihte Geh”ft brachte meine Groámutter die Kartoffelk”rbe und den Koljaiczek , daá der Vinzent erfuhr , was geschehen , nach Ramkau lief und den Priester heraustrommelte , damit der ausgerstet mit Sakramenten komme und die Anna dem Joseph antraue . 000149 000019 kaum hatte Hochwrden schlaftrunken seinen durchs G„hnen in die L„nge gezogenen Segen ausgeteilt und mit einer guten Seite Speck versehen den geweihten Rcken gezeigt , spannte Vinzent das Pferd vor den Kastenwagen , packte das Hochzeitspaar hinten darauf , bettete es auf Stroh und leeren S„cken , setzte seinen frierenden , dnn weinenden Jan neben sich auf den Bock und gab dem Pferd zu verstehen , daá es jetzt geradeaus und scharf in die Nacht hineingehe : die Hochzeitsreisenden hatten es eilig . 000150 000019 in immer noch dunkler , doch schon verausgabter Nacht erreichte das Gef„hrt den Holzhafen der Provinzhauptstadt . 000151 000019 befreundete M„nner , die gleich dem Koljaiczek den Beruf der Fl”áer ausbten , nahmen das flchtende Paar auf . 000152 000019 Vinzent konnte wenden , das Pferdchen wieder gen Bissau treiben ; eine Kuh , die Ziege , die Sau mit den Ferkeln , acht G„nse und der Hofhund wollten gefttert , der Sohn Jan ins Bett gelegt werden , denn er fieberte leicht . 000153 000019 Joseph Koljaiczek blieb drei Wochen lang verborgen , gew”hnte seinem Haar eine neue , gescheitelte Frisur an , nahm sich den Schnauz ab , versorgte sich mit unbescholtenen Papieren und fand Arbeit als Fl”áer Joseph Wranka . 000154 000019 warum aber muáte Koljaiczek mit den Papieren des bei einer Schl„gerei vom Floá gestoáenen , ohne Wissen der Beh”rden oberhalb Modlin im Fluá Bug ertrunkenen Fl”áers Wranka in der Tasche , bei den Holzh„ndlern und S„gereien vorsprechen ? . 000155 000019 weil er , der eine Zeitlang die Fl”áerei aufgegeben , in einer S„gemhle bei Schwetz gearbeitet , dort Streit mit dem S„gemeister wegen eines von Koljaiczeks Hand aufreizend weiárot gestrichenen Zaunes bekommen hatte . 000156 000019 gewiá um der Redensart recht zu geben , die da besagt , man k”nne einen Streit vom Zaune brechen , brach sich der S„gemeister je eine weiáe und eine rote Latte aus dem Zaun , zerschlug die polnischen Latten auf Koljaiczeks Kaschubenrcken zu soviel weiárotem Brennholz , daá der Geprgelte Anlaá genug fand , in der folgenden , sagen wir , sternklaren Nacht die neuerbaute , weiágek„lkte S„gemhle rotflammend zur Huldigung an ein zwar aufgeteiltes , doch gerade deshalb geeintes Polen werden zu lassen . 000157 000019 Koljaiczek war also ein Brandstifter , ein mehrfacher Brandstifter , denn in ganz Westpreuáen boten in der folgenden Zeit S„gemhlen und Holzfelder den Zunder fr zweifarbig aufflackernde Nationalgefhle . 000158 000019 wie immer , wenn es um Polens Zukunft geht , war auch bei jenen Br„nden die Jungfrau Maria mit von der Partie , und es mag Augenzeugen gegeben haben - vielleicht leben heute noch welche - , die eine mit Polens Krone geschmckte Mutter Gottes auf den zusammenbrechenden D„chern mehrerer S„gemhlen gesehen haben wollen . 000159 000019 Volk , das bei Groábr„nden immer zugegen ist , soll das Lied von der Bogurodzica , der Gottesgeb„rerin , angestimmt haben - wir drfen glauben , es ging bei Koljaiczeks Brandstiftungen feierlich zu : es wurden Schwre geschworen . 000160 000020 so belastet und gesucht der Brandstifter Koljaiczek war , so unbescholten , elternlos , harmlos , ja beschr„nkt und von niemandem gesucht , kaum gekannt hatte der Fl”áer Joseph Wranka seinen Kautabak in Tagesrationen eingeteilt , bis ihn der Fluá Bug aufnahm und drei Tagesrationen Kautabak in seiner Joppe mit den Papieren zurckblieben . 000161 000020 und da der ertrunkene Wranka sich nicht mehr melden konnte und niemand nach dem ertrunkenen Wranka peinliche Fragen stellte , kroch Koljaiczek , der die „hnliche Statur und den gleichen Rundsch„del wie der Ertrunkene hatte , zuerst in dessen Joppe , sodann in dessen amtlich papierene , nicht vorbestrafte Haut , gew”hnte sich die Pfeife ab , verlegte sich auf Kautabak , bernahm sogar vom Wranka das Pers”nlichste , dessen Sprachfehler , und gab in den folgenden Jahren einen braven , sparsamen , leicht stotternden Fl”áer ab , der ganze W„lder auf Njemen , Bobr , Bug und Weichsel zu Tal fl”áte . 000162 000020 so muá auch gesagt werden , daá er es bei den Leibhusaren des Kronprinzen unter Mackensen zum Gefreiten Wranka brachte , denn Wranka hatte noch nicht gedient , Koljaiczek jedoch , der vier Jahre „lter war als der Ertrunkene , hatte in Thorn bei der Artillerie ein schlechtes Zeugnis hinterlassen . 000163 000020 der gef„hrlichste Teil aller R„uber , Totschl„ger und Brandstifter wartet , w„hrend noch geraubt , totgeschlagen und in Brand gesteckt wird , auf die Gelegenheit eines solideren Metiers . 000164 000020 manchen zeigt sich gesucht oder zuf„llig die Chance : Koljaiczek war als Wranka ein guter und vom hitzigen Laster so kurierter Ehemann , daá ihn der bloáe Anblick eines Streichholzes schon zittern machte . 000165 000020 Streichholzschachteln , die frei und selbstgef„llig auf dem Kchentisch lagen , waren vor ihm , der das Streichholz h„tte erfunden haben k”nnen , nie sicher . 000166 000020 zum Fenster warf er die Versuchung hinaus . 000167 000020 Mhe hatte meine Groámutter , das Mittagessen rechtzeitig und warm auf den Tisch zu bekommen . 000168 000020 oft saá die Familie im Dunkeln , weil der Petroleumlampe das Fl„mmchen fehlte . 000169 000020 dennoch war Wranka kein Tyrann . 000170 000020 am Sonntag fhrte er seine Anna Wranka zur Kirche in die Niederstadt und erlaubte ihr , die ihm standesamtlich angetraut war , wie auf dem Kartoffelacker vier R”cke bereinanderzutragen . 000171 000020 im Winter , wenn die Flsse vereist waren und die Fl”áer magere Zeiten hatten , saá er brav im Troyl , wo nur Fl”áer , Stauer und Werftarbeiter wohnten , und paáte auf seine Tochter Agnes auf , die von der Art des Vaters zu sein schien , denn wenn sie nicht unter das Bett kroch , dann steckte sie im Kleiderschrank , und wenn Besuch da war , saá sie unter dem Tisch und mit ihr ihre Kodderpuppen . 000172 000020 es kam dem M„dchen Agnes also darauf an , versteckt zu bleiben und im Versteck „hnliche Sicherheit , wenn auch anderes Vergngen zu finden , als Joseph unter den R”cken der Anna fand . 000173 000021 Koljaiczek der Brandstifter war gebrannt genug , um das Schutzbedrfnis seiner Tochter verstehen zu k”nnen . 000174 000021 deshalb baute er ihr , als auf dem balkon„hnlichen Vorbau der Eineinhalbzimmerwohnung ein Kaninchenstall gezimmert werden muáte , einen extra fr ihre Maáe gedachten Verschlag . 000175 000021 in solch einem Geh„use saá meine Mama als Kind , spielte mit Puppen und wurde gr”áer dabei . 000176 000021 sp„ter , als sie schon zur Schule ging , soll sie die Puppen verworfen und mit Glaskugeln und farbigen Federn spielend , den ersten Sinn fr zerbrechliche Sch”nheit gezeigt haben . 000177 000021 man mag mir , der ich darauf brenne , den Beginn eigener Existenz anzeigen zu drfen , erlauben , die Wrankas , deren Familienfloá ruhig dahinglitt , bis zum Jahre dreizehn , da die " Columbus " bei Schichau vom Stapel lief , unbeobachtet zu lassen ; da kam n„mlich die Polizei , die nichts vergiát , dem falschen Wranka auf die Spur . 000178 000021 es begann damit , daá Koljaiczek , wie in jedem Sp„tsommer so auch im August des Jahres dreizehn , das groáe Floá von Kijew ber den Pripet , durch den Kanal , ber den Bug bis Modlin und von dort die Weichsel herunterfl”áen sollte . 000179 000021 sie fuhren , insgesamt zw”lf Fl”áer , mit dem Schlepper " Radaune " , der im Dienste ihrer S„gerei dampfte , von Westlich Neuf„hr gegen die Tote Weichsel bis Einlage , dann die Weichsel herauf an K„semark , Letzkau , Czattkau , Dirschau und Pieckel vorbei und machten am Abend in Thorn fest . 000180 000021 dort kam der neue S„gemeister an Bord , der den Holzeinkauf in Kijew berwachen sollte . 000181 000021 als die Radaune um vier Uhr frh loswarf , hieá es , er sei an Bord . 000182 000021 Koljaiczek sah ihn erstmals beim Frhstck auf der Back . 000183 000021 sie saáen sich kauend und Gerstenkaffee schlrfend gegenber . 000184 000021 Koljaiczek erkannte ihn sofort . 000185 000021 der breite , oben schon kahle Mann lieá Wodka kommen und in die leeren Kaffeetassen eingieáen . 000186 000021 mitten im Kauen , w„hrend am Ende der Back noch eingeschenkt wurde , stellte er sich vor : " damit ihr Bescheid wiát , ich bin der neue S„gemeister , heiáe Dckerhoff , bei mir herrscht Ordnung ! " . 000187 000021 die Fliáacken nannten auf Verlangen der Reihe nach , wie sie saáen , ihre Namen und kippten die Tassen , daá die Adams„pfel ruckten . 000188 000021 Koljaiczek kippte erst , sagte dann " Wranka " und fixierte den Dckerhoff dabei . 000189 000021 der nickte , wie er zuvor genickt hatte , wiederholte das W”rtchen Wranka , wie er auch die Namen der anderen Fliáacken wiederholt hatte . 000190 000021 dennoch wollte es Koljaiczek vorkommen , als habe Dckerhoff den Namen des ertrunkenen Fl”áers besonders , nicht etwa scharf , eher nachdenklich betont . 000191 000021 die Radaune stampfte , Sandb„nken geschickt , unterm Beistand wechselnder Lotsen ausweichend , gegen die lehmtrbe , nur eine Richtung kennende Flut . 000192 000021 links und rechts lag hinter den Deichen immer dasselbe , wenn nicht flache , dann gehgelte , schon abgeerntete Land . 000193 000021 Hecken , Hohlwege , eine Kesselkuhle mit Ginster , plan zwischen Einzelgeh”ften , geschaffen fr Kavallerieattacken , fr eine links im Sandkasten einschwenkende Ulanendivision , fr ber Hecken hetzende Husaren , fr die Tr„ume junger Rittmeister , fr die Schlacht , die schon dagewesen , die immer wieder kommt , fr das Gem„lde : Tataren flach , Dragoner aufb„umend , Schwertritter strzend , Hochmeister f„rbend den Ordensmantel , dem Kraá kein Kn”pfchen fehlt , bis auf einen , den abhaut Masoviens Herzog , und Pferde , kein Zirkus hat solche Schimmel , nerv”s , voller Troddeln , die Sehnen peinlich genau und die Nstern gebl„ht , karminrot , draus W”lkchen , durchstochen von Lanzen , bewimpelt , gesenkt und den Himmel , das Abendrot teilend , die S„bel und dort , im Hintergrund - denn jedes Gem„lde hat einen Hintergrund - fest auf dem Horizont klebend , schmauchend ein D”rfchen friedlich zwischen den Hinterbeinen des Rappen , geduckte Katen , bemoost , strohgedeckt ; und in den Katen , das konserviert sich , die hbschen , vom kommenden Tage tr„umenden Panzer , da auch sie ins Bild , hinausdrfen auf die Ebene hinter den Weichseldeichen , gleich leichten Fohlen zwischen der schweren Kavallerie . 000194 000022 bei Wloclawek tippte der Dckerhoff dem Koljaiczek gegen den Rock : f+ " sag'n Se mal , Wranka , ham Se nich vor sounsovll Jahre uff de Mhle in Schwetz jearbeitet ? . 000195 000022 is dann hintaher abjebrannt , die Mhle ? " +f . 000196 000022 Koljaiczek schttelte z„h , wie gegen einen Widerstand den Kopf , und es gelang ihm dabei , traurige und mde Augen zu bekommen , daá Dckerhoff , solchem Blick ausgesetzt , weitere Fragen bei sich hielt . 000197 000022 als Koljaiczek , wie alle Fliáacken es taten , bei Modlin , wo der Bug in die Weichsel mndet und die " Radaune " einbog , ber die Reling gelehnt dreimal spuckte , stand Dckerhoff mit einer Zigarre neben ihm und wollte Feuer haben . 000198 000022 dieses W”rtchen und das W”rtchen Streichholz gingen Koljaiczek unter die Haut . 000199 000022 f+ " Mann , brauchen Se doch nich rot zu werden , wenn ich Feuer haben will . 000200 000022 sind doch kein M„dchen , oder ? " +f . 000201 000022 sie hatten Modlin schon hinter sich , da erst verging dem Koljaiczek jene R”te , die keine Schamr”te war , sondern ein sp„ter Abglanz von ihm in Brand gesteckter S„gemhlen . 000202 000022 zwischen Modlin und Kijew , also den Bug hinauf , durch den Kanal , der Bug und Pripet verbindet , bis die " Radaune " , dem Pripet folgend , den Dnjepr fand , passierte nichts , was sich als Wechselrede zwischen Koljaiczek-Wranka und Dckerhoff wiedergeben lieáe . 000203 000022 auf dem Schlepper , zwischen den Fl”áern , zwischen den Heizern und Fl”áern , zwischen Steuermann , Heizern und Kapit„n , zwischen dem Kapit„n und den st„ndig wechselnden Lotsen wird sich natrlich , wie es zwischen M„nnern blich sein soll , vielleicht sogar ist , mancherlei ereignet haben . 000204 000022 ich k”nnte mir H„ndel zwischen den kaschubischen Fliáacken und dem aus Stettin gebrtigen Steuermann vorstellen , vielleicht den Anflug einer Meuterei : Versammlung auf der Back , Lose werden gezogen , Parole ausgegeben , die Poggenkniefe geschliffen . 000205 000023 lassen wir das . 000206 000023 weder kam es zu politischen H„ndeln , deutsch-polnischen Messerstechereien , noch zur Milieuattraktion einer handfesten , aus sozialen Miást„nden geborenen Meuterei . 000207 000023 brav Kohlen fressend machte die " Radaune " ihren Weg , lief einmal - es war , glaub ich , kurz hinter Plock - auf eine Sandbank , konnte aber mit eigener Kraft wieder freikommen . 000208 000023 ein kurzer , bissiger Wortwechsel zwischen dem Kapit„n Barbusch aus Neufahrwasser und dem ukrainischen Lotsen , das war alles - und das Bordbuch wáte kaum mehr zu berichten . 000209 000023 máte und wollte ich ein Bordbuch fr Koljaiczeks Gedanken oder gar ein Journal des Dckerhoffschen , s„gemeisterlichen Innenlebens fhren , g„be es Wechsel und Abenteuer genug , Verdacht und Best„tigung , Miátrauen und fast gleichzeitiges , eiliges Beschwichtigen des Miátrauens zu beschreiben . 000210 000023 Angst hatten alle beide . 000211 000023 Dckerhoff mehr als Koljaiczek ; denn man befand sich in Ruáland . 000212 000023 Dckerhoff h„tte , wie einst der arme Wranka , ber Bord fallen k”nnen , h„tte - und jetzt sind wir schon in Kijew - auf den Holzpl„tzen , die so groá und unbersichtlich sind , daá man seinen Schutzengel in solch h”lzernem Irrgarten verlieren kann , unter einen Stoá sich pl”tzlich l”sende , durch nichts mehr aufzuhaltende Langh”lzer geraten - oder auch gerettet werden k”nnen . 000213 000023 gerettet von einem Koljaiczek , der den S„gemeister zuerst aus dem Pripet oder Bug gefischt , der den Dckerhoff im letzten Augenblick auf dem schutzengelarmen Holzplatz in Kijew zurckgerissen und dem Verlauf der Langholzlawine entzogen h„tte . 000214 000023 wie sch”n w„re es , jetzt berichten zu k”nnen , wie der halbertrunkene oder fast zermalmte Dckerhoff noch schwer atmend und eine Spur Tod im Auge bewahrend , dem angeblichen Wranka ins Ohr geflstert h„tte : " Dank Koljaiczek , Dank ! " dann , nach der notwendigen Pause : " jetzt sind wir quitt - Schwamm drber ! " . 000215 000023 und sie h„tten sich herb freundschaftlich , verlegen l„chelnd und fast mit Tr„nen zwinkernd in die M„nneraugen gesehen , h„tten einen scheuen , aber schwieligen H„ndedruck gewechselt . 000216 000023 wir kennen diese Szene aus bet”rend gut fotografierten Filmen , wenn es den Regisseuren einf„llt , famos schauspielernde , feindliche Brder zu fortan durch dick und dnn gehenden , noch tausend Abenteuer bestehenden Spieágesellen zu machen . 000217 000023 Koljaiczek aber fand weder Gelegenheit , den Dckerhoff ertrinken zu lassen , noch ihn den Klauen des rollenden Langh”lzertodes zu entreiáen . 000218 000023 aufmerksam und um den Vorteil seiner Firma bedacht , kaufte Dckerhoff in Kijew das Holz ein , berwachte noch die Zusammenstellung der neun Fl”áe , teilte , wie blich , unter den Fliáacken ein ordentliches Handgeld russischer W„hrung fr die Talfahrt aus und setzte sich dann in die Eisenbahn , die ihn ber Warschau , Modlin , Deutsch-Eylau , Marienburg , Dirschau zu seiner Firma brachte , deren S„gerei im Holzhafen zwischen der Klawitterwerft und der Schichauwerft lag . 000219 000024 bevor ich die Fl”áer nach Wochen ernsthaftester Arbeit von Kijew die Flsse , den Kanal und endlich die Weichsel bergab kommen lasse , berlege ich mir , ob Dckerhoff sicher war , im Wranka den Brandstifter Koljaiczek erkannt zu haben . 000220 000024 ich m”chte sagen , solange der S„gemeister mit dem harmlosen , gutwilligen , trotz seiner Beschr„nktheit allgemein beliebten Wranka auf einem Dampfer saá , hoffte er , einen zu allem Frevel entschlossenen Koljaiczek nicht zum Reisegenossen zu haben . 000221 000024 diese Hoffnung gab er erst in den Polstern des Eisenbahncoupes auf . 000222 000024 und als der Zug sein Ziel erreichte , im Hauptbahnhof Danzig - jetzt sprech ich es aus - einrollte , hatte Dckerhoff seine Dckerhoffschen Beschlsse gefaát , lieá seine Koffer in eine Kutsche packen , nach Hause rollen , ging forsch , weil ohne Gep„ck , zum nahen Polizeipr„sidium am Wiebenwall , nahm dort springend die Treppen zum Hauptportal , fand nach kurzem sensiblem Suchen jenes Zimmer , welches sachlich genug eingerichtet war , dem Dckerhoff einen knappen , nur Tatsachen nennenden Bericht abzun”tigen . 000223 000024 nicht etwa , daá der S„gemeister Anzeige erstattete . 000224 000024 schlicht bat er , den Fall Koljaiczek-Wranka zu prfen , was ihm von der Polizei versprochen wurde . 000225 000024 w„hrend der folgenden Wochen , da das Holz mit den Schilfhtten und den Fl”áern langsam fluáabw„rts glitt , wurde auf mehreren Žmtern viel Papier beschrieben . 000226 000024 da gab es die Milit„rakte des Joseph Koljaiczek , gemeiner Kanonier im soundsovielten westpreuáischen Feldartillerieregiment . 000227 000024 zweimal drei Tage mittleren Arrest hatte der ble Kanonier wegen im Zustand der Trunkenheit lauthals geschrieener , halb polnischer , halb deutscher Sprache zugeordneter anarchistischer Parolen absitzen mssen . 000228 000024 Schandflecke waren das , die in den Papieren des Gefreiten Wranka , gedient beim zweiten Leibhusarenregiment in Langfuhr , nicht zu entdecken waren . 000229 000024 rhmlich hervorgetan hatte sich der Wranka , war dem Kronprinzen als Bataillonsmelder beim Man”ver angenehm aufgefallen , hatte von jenem , der immer Taler in der Tasche trug , einen Kronprinzentaler geschenkt bekommen . 000230 000024 letzterer Taler war jedoch nicht in der Milit„rakte des Gefreiten Wranka vermerkt , den gestand vielmehr laut jammernd meine Groámutter Anna , als sie mit ihrem Bruder Vinzent verh”rt wurde . 000231 000024 nicht nur mit jenem Taler bek„mpfte sie das W”rtchen Brandstifter . 000232 000024 Papiere konnte sie vorzeigen , die mehrmals besagten , daá Joseph Wranka schon im Jahre nullvier der Freiwilligen Feuerwehr Danzig-Niederstadt beigetreten und w„hrend der Wintermonate , da alle Fl”áer Pause machten , als Feuerwehrmann manch kleinem und groáem Brand begegnet war . 000233 000024 auch eine Urkunde gab es , die bekundete , daá der Feuerwehrmann Wranka w„hrend des Groábrandes im Eisenbahnhauptwerk Troyl , anno nullneun , nicht nur gel”scht , sondern auch zwei Schlosserlehrlinge gerettet hatte . 000234 000024 „hnlich sprach der als Zeuge geladene Hauptmann der Feuerwehr Hecht . 000235 000024 der gab zu Protokoll : " wie soll der Brandstifter sein , der da l”scht ! . 000236 000024 seh ich ihn nicht immer noch auf der Leiter , da die Kirche in Heubude brannte ? . 000237 000025 ein Ph”nix aus Asche und Flamme tauchend , nicht nur das Feuer , den Brand dieser Welt und den Durst unseres Herrn Jesus l”schend ! . 000238 000025 wahrlich ich sage Euch : wer da den Mann mit dem Feuerwehrhelm , der die Vorfahrt hat , den die Versicherungen lieben , der immer ein wenig Asche in der Tasche tr„gt , sei es zum Zeichen , sei's von Berufs wegen , wer ihn , den herrlichen Ph”nix einen roten Hahn heiáen will , er verdient , daá man ihm einen Mhlstein um den Hals ... " . 000239 000025 Sie werden es bemerkt haben , der Hauptmann Hecht der freiwilligen Feuerwehr war ein wortgewaltiger Pfarrer , stand Sonntag fr Sonntag auf der Kanzel seiner Pfarrkirche St. Barbara auf Langgarten und verschm„hte es nicht , solange die Untersuchungen gegen Koljaiczek-Wranka betrieben wurden , mit „hnlichen Worten Gleichnisse vom himmlischen Feuerwehrmann und dem h”llischen Brandstifter seiner Gemeinde einzuh„mmern . 000240 000025 da jedoch die Beamten der Kriminalpolizei nicht in Sankt Barbara zur Kirche gingen , auch aus dem W”rtchen Ph”nix eher eine Majest„tsbeleidigung denn eine Rechtfertigung des Wranka herausgeh”rt h„tten , wirkte sich Wrankas T„tigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann belastend aus . 000241 000025 Zeugnisse verschiedener S„gereien , Beurteilungen der Heimatgemeinden wurden eingeholt : Wranka erblickte in Tuchel das Licht dieser Welt ; Koljaiczek war ein geborener Thorner . 000242 000025 kleine Umstimmigkeiten bei den Aussagen „lterer Fl”áer und entfernter Familienangeh”riger . 000243 000025 der Krug ging immer wieder zum Wasser ; was blieb ihm brig , als zu brechen . 000244 000025 als die Verh”re soweit gediehen waren , erreichte das groáe Floá gerade das Reichsgebiet und wurde ab Thorn unauff„llig kontrolliert und bei den Anlegepl„tzen beschattet . 000245 000025 meinem Groávater fielen erst hinter Dirschau seine Beschatter auf . 000246 000025 er hatte sie erwartet . 000247 000025 eine ihm zeitweilig anhaftende Tr„gheit , die an Schwermut grenzte , mag ihn daran gehindert haben , bei Letzkau etwa oder K„semark einen Ausbruchversuch zu wagen , der in so vertrauter Gegend mit Hilfe einiger ihm gewogener Fliáacken noch m”glich gewesen w„re . 000248 000025 ab Einlage , als sich die Fl”áe langsam und einander stoáend in die Tote Weichsel schoben , lief auff„llig unauff„llig ein Fischerkutter , der viel zu viel Besatzung an Bord hatte , neben den Fl”áen her . 000249 000025 kurz hinter Plehnendorf schossen die beiden Motorbarkassen der Hafenpolizei aus dem Schilfufer und rissen , best„ndig kreuz und quer hetzend , das immer brackiger den Hafen ankndigende Wasser der Toten Weichsel auf . 000250 000025 hinter der Brcke nach Heubude begann die Absperrkette der " Blauen " . 000251 000025 Holzfelder gegenber der Klawitterwerft , die kleineren Bootswerften , der immer breiter werdende , zur Mottlau hindr„ngende Holzhafen , die Anlegebrcken verschiedener S„gereien , die Brcke der eigenen Firma mit den wartenden Angeh”rigen und berall " Blaue " , nur drben bei Schichau nicht , da war alles geflaggt , da war etwas anderes los , da sollte wohl etwas vom Stapel laufen , da war viel Volk , das regte die M”wen auf , da wurde ein Fest gegeben - ein Fest fr meinen Groávater ? . 000252 000026 erst als mein Groávater den Holzhafen voller blau Uniformierter sah , als die Barkassen immer unheilverkndender ihren Kurs nahmen und Wellen ber die Fl”áe warfen , erst als er den ganzen kostspieligen Aufwand begriff , der ihm zuteil wurde , da erst erwachte sein altes Koljaiczeksches Brandstifterherz , und er spuckte den sanften Wranka aus , entschlpfte dem freiwilligen Feuerwehrmann Wranka , sagte sich lauthals und ohne Stocken vom stotternden Wranka los und floh , floh ber die Fl”áe , floh ber weite , schwankende Fl„chen , barfuá ber ein ungehobeltes Parkett , von Langholz zu Langholz Schichau entgegen , wo die Fahnen lustig im Winde , ber H”lzer vorw„rts , wo etwas auf Stapel lag , Wasser hat dennoch Balken , wo sie die sch”nen Reden hielten , wo niemand Wranka rief oder gar Koljaiczek , wo es hieá : ich taufe dich auf den Namen SMS: Columbus , Amerika , ber vierzigtausend Tonnen Wasserverdr„ngung , dreiáigtausend PS: , Seiner Majest„t Schiff , Rauchsalon erster Klasse , zweiter Klasse Backbordkche , Turnhalle aus Marmor , Bcherei , Amerika , Seiner Majest„t Schiff , Wellentunnel , Promenadendeck , Heil dir im Siegerkranz , die G”schflagge des Heimathafens , Prinz Heinrich steht am Steuerrad und mein Groávater Koljaiczek barfuá , die Rundh”lzer kaum noch berhrend , der Blasmusik entgegen , ein Volk das solche Frsten hat , von Floá zu Floá , jubelt das Volk ihm zu , Heil dir im Siegerkranz , und alle Werftsirenen und die Sirenen der im Hafen liegenden Schiffe , der Schlepper und Vergngungsdampfer , Columbus , Amerika , Freiheit und zwei Barkassen vor Freude irrsinnig neben ihm her , von Floá zu Floá , seiner Majest„t Fl”áe und schneiden ihm den Weg ab und machen den Spielverderber , so daá er stoppen muá , wo er so sch”n im Schwung war , und steht ganz einsam auf einem Floá und sieht schon Amerika , da sind die Barkassen l„ngsseits , da muá er sich abstoáen - und schwimmen sah man meinen Groávater , auf ein Floá schwamm er zu , das in die Mottlau glitt . 000253 000026 und muáte tauchen wegen Barkassen und unten bleiben wegen Barkassen , und das Floá schob sich ber ihn und wollte nicht mehr aufh”ren , gebar immer ein neues Floá : Floá von deinem Floá , in alle Ewigkeit : Floá . 000254 000026 die Barkassen stellten ihre Motoren ab . 000255 000026 unerbittliche Augenpaare suchten auf der Wasseroberfl„che . 000256 000026 doch Koljaiczek hatte sich endgltig verabschiedet , hatte sich der Blechmusik , den Sirenen , den Schiffsglocken und Seiner Majest„t Schiff , der Taufrede des Prinzen Heinrich und den irrsinnigen M”wen Seiner Majest„t , hatte sich Heil dir im Siegerkranz und der Schmierseife Seiner Majest„t fr den Stapellauf Seiner Majest„t Schiff , hatte sich Amerika und der " Columbus " , hatte sich allen Nachforschungen der Polizei unter dem endlosen Holz entzogen . 000257 000027 man hat die Leiche meines Groávaters nie gefunden . 000258 000027 ich , der ich fest daran glaube , daá er unter dem Floá seinen Tod schaffte , muá mich , um glaubwrdig zu bleiben , hier dennoch bequemen , all die Versionen wunderbarer Rettungen wiederzugeben . 000259 000027 da hieá es , er habe unter dem Floá eine Lcke zwischen den H”lzern gefunden ; von unten her gerade groá genug , um die Atmungsorgane ber Wasser halten zu k”nnen . 000260 000027 nach oben hin soll sich die Lcke dergestalt verengt haben , daá es den Polizisten , die bis in die Nacht hinein die Fl”áe und sogar die Schilfhtten auf den Fl”áen absuchten , unsichtbar blieb . 000261 000027 dann , im Schutz der Dunkelheit - so hieá es weiter - habe er sich treiben lassen , habe zwar ersch”pft , doch mit einigem Glck das andere Mottlauufer und das Gel„nde der Schichauwerft erreicht , habe dort im Schrottlager Unterschlupf gefunden und sei sp„ter , wahrscheinlich mit Hilfe griechischer Matrosen , auf einen jener schmierigen Tanker gelangt , die schon manch einem Flchtling Schutz geboten haben sollen . 000262 000027 andere behaupteten : Koljaiczek , der ein guter Schwimmer mit einer noch besseren Lunge war , unterschwamm nicht nur das Floá ; auch die betr„chtliche restliche Breite der Mottlau durchtauchte er , schaffte mit Glck das Festgel„nde der Schichauwerft , mischte sich dort , ohne Aufsehen zu erregen , unter die Werftarbeiter , und schlieálich unters begeisterte Volk , sang mit dem Volk " Heil dir im Siegerkranz " , h”rte sich noch beifallsfreudig des Prinzen Heinrich Taufrede auf Seiner Majest„t Schiff " Columbus " an , verdrckte sich nach geglcktem Stapellauf mit der Menge in halb getrockneten Kleidern vom Festgel„nde und avancierte am n„chsten Tag schon - hier trifft sich die erste mit der zweiten Rettungsversion - zum blinden Passagier auf einem der berhmt berchtigten griechischen Tanker . 000263 000027 der Vollst„ndigkeit halber sei hier noch die dritte unsinnige Fabel erw„hnt , die meinen Groávater gleich Treibholz in die offene See treiben lieá , wo ihn prompt Fischer aus Bohnsack auffischten und auáerhalb der Dreimeilenzone einem schwedischen Hochseekutter bergaben . 000264 000027 dort , auf dem Schweden , lieá ihn die Fabel dann langsam und wunderbarerweise wieder zu Kr„ften kommen , Malm” erreichen - und so weiter , und so weiter . 000265 000027 das alles ist Unsinn und Fischergeschw„tz . 000266 000027 auch gebe ich keinen Pfifferling fr die Aussagen jener in allen Hafenst„dten gleich unglaubwrdigen Augenzeugen , welche meinen Groávater kurz nach dem ersten Weltkrieg in Buffalo USA: gesehen haben wollen . 000267 000027 Joe Colchic soll er sich genannt haben . 000268 000027 Holzhandel mit Kanada gab man als sein Gewerbe an . 000269 000027 Aktien bei Streichholzfirmen . 000270 000027 Begrnder von Feuerversicherungen . 000271 000027 schwerreich und einsam beschrieb man meinen Groávater : in einem Wolkenkratzer hinter riesigem Schreibtisch sitzend , Ringe mit glhenden Steinen an allen Fingern tragend , mit seiner Leibwache exerzierend , die Feuerwehruniform trug , polnisch singen konnte und Ph”nixgarde hieá . 000272 000028 u+ Falter und Glhbirne +u . 000273 000028 ein Mann lieá alles zurck , fuhr ber das groáe Wasser , kam nach Amerika und wurde reich . 000274 000028 - ich will es genug sein lassen mit meinem Groávater , ob er sich nun polnisch Goljaczek , kaschubisch Koljaiczek oder amerikanisch Joe Colchic nannte . 000275 000028 es bereitet Schwierigkeiten , auf einer simplen , in Spielzeugl„den und Kaufh„usern erh„ltlichen Blechtrommel h”lzerne , mit dem Fluá fast bis zum Horizont hinlaufende Fl”áe abzutrommeln . 000276 000028 dennoch ist es mir gelungen , den Holzhafen , alles Treibholz , in Fluábuchten schlingernd , im Schilf verfilzt , mit weniger Mhe die Hellingen der Schichauwerft , der Klawitterwerft , der vielen , teilweise nur Reparaturen ausfhrenden Bootswerften , das Schrottlager der Waggonfabrik , die ranzigen Kokoslager der Margarinefabrik , alle mir bekannten Schlupfwinkel der Speicherinsel abzutrommeln . 000277 000028 er ist tot , gibt mir keine Antwort , zeigt kein Interesse fr kaiserliche Stapell„ufe , fr den oft Jahrzehnte w„hrenden , mit dem Stapellauf beginnenden Untergang eines Schiffes , das in diesem Fall " Columbus " hieá , auch der Stolz der Flotte genannt wurde , selbstverst„ndlich Kurs auf Amerika nahm und sp„ter versenkt wurde , oder sich selbst versenkte , vielleicht auch gehoben und umgebaut , umgetauft oder verschrottet wurde . 000278 000028 wom”glich tauchte sie nur , die " Columbus " , machte es meinem Groávater nach , und treibt sich heute noch mit ihren vierzigtausend Tonnen , mit Rauchsalon , Turnhalle in Marmor , Schwimmbassin und Massagekabinen in , sagen wir , sechstausend Meter Tiefe des Philippinengrabens oder Emdentiefs herum ; man kann das nachlesen im " Weyer " oder in Flottenkalendern - ich glaube , die erste oder zweite " Columbus " versenkte sich selbst , weil der Kapit„n irgendeine mit dem Krieg zusammenh„ngende Schande nicht berleben wollte . 000279 000028 einen Teil der Floágeschichte habe ich Bruno vorgelesen , dann , um Objektivit„t bittend , meine Frage gestellt . 000280 000028 " ein sch”ner Tod ! " schw„rmte Bruno und begann sofort meinen ertrunkenen Groávater mittels Bindfaden in eine seiner Knotengeburten zu verwandeln . 000281 000028 ich sollte mit seiner Antwort zufrieden sein und nicht mit tollkhnen Gedanken nach USA: auswandern und ein Erbe erschleichen wollen . 000282 000028 meine Freunde Klepp und Vittlar besuchten mich . 000283 000028 Klepp brachte eine Jazzplatte mit zweimal King Oliver , Vittlar reichte geziert tuend ein am rosa Band h„ngendes Schokoladenherz . 000284 000028 sie trieben allerlei Unsinn , parodierten Szenen aus meinem Prozeá , und ich zeigte mich , um ihnen eine Freude zu machen , wie an allen Besuchstagen aufger„umt und selbst den dmmsten Scherzen gegenber eines Gel„chters f„hig . 000285 000028 so unter der Hand und bevor Klepp seinen unvermeidlichen Lehrvortrag ber die Zusammenh„nge zwischen Jazz und Marxismus starten konnte , erz„hlte ich die Geschichte eines Mannes , der im Jahre dreizehn , also kurz bevor es los ging , unter ein schier endloses Floá geriet , nicht mehr hervorkam ; selbst seine Leiche habe man nicht gefunden . 000286 000029 auf meine Frage hin - ich stellte sie zwanglos , betont gelangweilt - drehte Klepp miámutig den Kopf ber verfettetem Hals , kn”pfte sich auf und zu , machte Schwimmbewegungen und tat so , als w„re er unter dem Floá . 000287 000029 schlieálich schttelte er meine Frage ab und gab dem zu frhen Nachmittag die Schuld an der ausbleibenden Antwort . 000288 000029 Vittlar hielt sich steif , schlug die Beine , dabei den Bgelfalten Sorge tragend , bereinander , zeigte jenen feingestreiften , bizarren Hochmut , der nur noch Engeln im Himmel gel„ufig sein mag : " ich befinde mich auf dem Floá . 000289 000029 hbsch ist es auf dem Floá . 000290 000029 Mcken stechen mich , das ist l„stig . 000291 000029 - ich befinde mich unter dem Floá . 000292 000029 hbsch ist es unter dem Floá . 000293 000029 keine Mcke sticht mich , das ist angenehm . 000294 000029 es lieáe sich , glaube ich , leben unter dem Floá , wenn man nicht gleichzeitig die Absicht h„tte , auf dem Floá weilend sich von Mcken stechen zu lassen " . 000295 000029 Vittlar machte seine bew„hrte Pause , musterte mich , hob dann , wie immer , wenn er einer Eule gleichen will , seine von Natur aus schon hohen Augenbrauen und betonte scharf theatralisch : " ich nehme an , daá es sich bei dem Ertrunkenen , bei dem Mann unter dem Floá , um deinen Groáonkel , wenn nicht sogar Groávater handelte . 000296 000029 da er sich als Groáonkel und in weit gr”áerem Maáe als Groávater dir gegenber verpflichtet fhlte , ist er zu Tode gekommen ; denn nichts w„re dir l„stiger , als einen lebenden Groávater zu haben . 000297 000029 du bist nicht nur der M”rder deines Groáonkels , du bist der M”rder deines Groávaters ! . 000298 000029 da jener dich jedoch , wie es jeder echte Groávater gerne tut , ein wenig strafen wollte , lieá er dir nicht die Genugtuung eines Enkelkindes , das auf eine aufgedunsene Wasserleiche stolz hinweist und Worte gebraucht wie : seht meinen toten Groávater . 000299 000029 er war ein Held ! . 000300 000029 er ging ins Wasser , als sie ihn verfolgten . 000301 000029 - dein Groávater unterschlug der Welt und seinem Enkelkind die Leiche , damit sich die Nachwelt und das Enkelkind noch lange mit ihm befassen m”gen " . 000302 000029 dann , aus einem Pathos ins andere springend , ein listiger , leicht vorgebeugter , Vers”hnung gaukelnder Vittlar : " Amerika , freue dich , Oskar ! . 000303 000029 du hast ein Ziel , eine Aufgabe . 000304 000029 man wird dich hier freisprechen , entlassen . 000305 000029 wohin , wenn nicht nach Amerika , wo man alles wiederfindet , selbst seinen verschollenen Groávater ! " . 000306 000029 so h”hnisch und anhaltend verletzend die Antwort Vittlars auch sein mochte , gab sie mir dennoch mehr Gewiáheit , als das zwischen Tod und Leben kaum unterscheidende Geraunze meines Freundes Klepp oder die Antwort des Pflegers Bruno , der den Tod meines Groávaters nur deshalb einen sch”nen Tod nannte , weil kurz nach ihm " SMS: Columbus " vom Stapel lief und Wellen machte . 000307 000029 da lobe ich mir doch Vittlars Groáv„ter konservierendes Amerika , das angenommene Ziel , das Vorbild , an dem ich mich aufrichten kann , wenn ich europasatt die Trommel und Feder aus der Hand geben will : " schreib weiter Oskar , tu es fr deinen schwerreichen , aber mden , in Buffalo USA: Holzhandel treibenden Groávater Koljaiczek , der im Inneren seines Wolkenkratzers mit Streichh”lzern spielt ! " . 000308 000030 als sich Klepp und Vittlar verabschiedeten und endlich gingen , wies Bruno durch kr„ftiges Lften allen st”renden Geruch der Freunde aus dem Zimmer . 000309 000030 darauf nahm ich wieder meine Trommel , trommelte aber nicht mehr die H”lzer todverdeckender Fl”áe ab , sondern schlug jenen schnellen , sprunghaften Rhythmus , dem alle Menschen vom August des Jahres vierzehn an gehorchen muáten . 000310 000030 so wird es sich nicht vermeiden lassen , daá auch mein Text , bis zur Stunde meiner Geburt , nur andeutend den Weg jener Trauergemeinde nachzeichnen wird , welche mein Groávater in Europa zurcklieá . 000311 000030 als Koljaiczek unter dem Floá verschwand , „ngstigten sich zwischen den Angeh”rigen der Fl”áer auf der Anlegebrcke der S„gerei meine Groámutter mit ihrer Tochter Agnes , Vinzent Bronski und dessen siebzehnj„hriger Sohn Jan . 000312 000030 etwas abseits stand Gregor Koljaiczek , der „ltere Bruder des Joseph , den man anl„álich der Verh”re in die Stadt gerufen hatte . 000313 000030 jener Gregor hatte vor der Polizei allzeit dieselbe Antwort bereitzuhalten gewuát : " kenne ja meinen Bruder kaum . 000314 000030 weiá im Grunde nur , daá er Joseph heiát , und als ich ihn letztes Mal sah , war er vielleicht zehn oder sagen wir , zw”lf . 000315 000030 die Schuhe hat er mir geputzt und Bier geholt , falls Mutter und ich Bier wollten " . 000316 000030 wenn sich auch herausstellte , daá meine Urgroámutter eine Biertrinkerin war , konnte der Polizei mit der Antwort des Gregor Koljaiczek nicht geholfen werden . 000317 000030 dafr aber half die Existenz des „lteren Koljaiczek um so mehr meiner Groámutter Anna . 000318 000030 Gregor , der in Stettin , Berlin , zuletzt in Schneidemhl Jahre seines Lebens zugebracht hatte , blieb in Danzig , fand Arbeit auf der Pulvermhle bei " Bastion Kaninchen " und heiratete nach Jahresfrist , nachdem alles Komplizierte , wie die Ehe mit dem falschen Wranka , gekl„rt und zu den Akten gelegt worden war , meine Groámutter , die nicht von den Koljaiczeks lassen wollte , die den Gregor nie oder nicht so schnell geheiratet h„tte , wenn er nicht ein Koljaiczek gewesen w„re . 000319 000030 die Arbeit auf der Pulvermhle bewahrte Gregor vor dem bunten und bald darauf grauen Rock . 000320 000030 zu dritt wohnten sie in derselben Eineinhalbzimmerwohnung , die dem Brandstifter jahrelang Unterschlupf geboten hatte . 000321 000030 es zeigte sich jedoch , daá ein Koljaiczek nicht wie der n„chste Koljaiczek zu sein braucht , denn meine Groámutter sah sich nach einem knappen Jahr Ehe gezwungen , den gerade leerstehenden Kellerladen des Mietshauses im Troyl zu mieten und Krimskrams , von der Stecknadel bis zum Kohlkopf verkaufend , Verdienst zu suchen , weil der Gregor bei der Pulvermhle zwar eine Stange Geld verdiente , dennoch nicht das N”tigste nach Hause brachte , sondern alles vertrank . 000322 000030 w„hrend Gregor , wahrscheinlich von meiner Urgroámutter her , ein Trinker war , war mein Groávater Joseph ein Mann , der ab und zu gerne einen Schnaps trank . 000323 000030 Gregor trank nicht , weil er traurig war . 000324 000030 selbst wenn er fr”hlich zu sein schien , was selten bei ihm vorkam , weil er der Melancholie anhing , trank er nicht um der Lustigkeit willen . 000325 000031 er trank , weil er allen Dingen auf den Grund ging , so auch dem Alkohol . 000326 000031 niemand hat Gregor Koljaiczek zu Lebzeiten ein halbvolles Gl„schen Machandel stehenlassen sehen . 000327 000031 meine Mama , damals ein rundliches , fnfzehnj„hriges M„dchen , machte sich ntzlich , half im Gesch„ft , klebte Lebensmittelmarken , trug am Sonnabend die Ware aus und schrieb ungelenke , doch phantasievolle Mahnbriefe , die die Schulden der Pumpkundschaft eintreiben sollten . 000328 000031 schade , daá ich keinen dieser Briefe besitze . 000329 000031 wie sch”n w„re es , an dieser Stelle einige halb kindliche , halb m„dchenhafte Notschreie aus den Episteln einer Halbwaise zitieren zu k”nnen , denn der Gregor Koljaiczek gab keinen vollwertigen Stiefvater ab . 000330 000031 vielmehr hatten meine Groámutter und ihre Tochter Mhe , ihre zumeist mit Kupfer und wenig Silber gefllte Kasse , die aus zwei bereinandergestlpten Blechtellern bestand , vor dem melancholischen koljaiczekschen Blick des immer durstigen Pulvermllers zu bewahren . 000331 000031 erst als Gregor Koljaiczek im Jahre siebzehn an der Grippe starb , steigerte sich die Verdienstspanne des Tr”delladens etwas , doch nicht viel ; denn was konnte man im Jahre siebzehn schon verkaufen ? . 000332 000031 die Kammer der Eineinhalbzimmerwohnung , die seit dem Tod des Pulvermllers leer stand , weil meine Mama , die H”lle frchtend , dort nicht einziehen wollte , bezog Jan Bronski , der damals etwa zwanzigj„hrige Cousin meiner Mama , der Bissau und seinen Vater Vinzent verlassen hatte , um mit einem guten Abschluázeugnis der Mittelschule Karthaus und nach abgeschlossener Lehrzeit auf der Post des Kreisst„dtchens , nun auf der Hauptpost Danzig @I die mittlere Verwaltungslaufbahn einzuschlagen . 000333 000031 Jan brachte auáer seinem Koffer auch seine umfangreiche Briefmarkensammlung in die Wohnung seiner Tante . 000334 000031 er sammelte schon seit frhester Jugend , hatte also zur Post nicht nur ein berufliches , sondern auch ein privates , immer behutsames Verh„ltnis . 000335 000031 der schm„chtige , leicht gebckt gehende junge Mann zeigte ein hbsches , ovales , vielleicht etwas zu sáes Gesicht und blaue Augen genug , daá sich meine Mama , die damals siebzehn war , in ihn verlieben konnte . 000336 000031 man hatte den Jan schon dreimal gemustert , ihn aber bei jeder Musterung wegen seines miesen Zustandes zurckgestellt ; was in jenen Zeiten , da man alles nur einigermaáen gerade Gewachsene nach Verdun schickte , um es auf Frankreichs Boden in die ewige Waagrechte zu bringen , allerlei ber die Konstitution des Jan Bronski besagte . 000337 000031 die Liebelei h„tte eigentlich schon beim gemeinsamen Besehen der Briefmarkenalben , beim Kopf-an-Kopf-Prfen der Zahnungen besonders wertvoller Exemplare beginnen mssen . 000338 000031 sie begann aber oder kam erst zum Ausbruch , als Jan zu seiner vierten Musterung bestellt wurde . 000339 000031 meine Mama begleitete ihn , da sie ohnehin in die Stadt muáte , vor das Bezirkskommando , wartete dort neben dem vom Landsturm bewachten Schilderh„uschen und war sich mit Jan darin einig , daá der Jan diesmal nach Frankreich msse , um seinen kmmerlichen Brustkorb in der eisen- und bleihaltigen Luft jenes Landes kurieren zu k”nnen . 000340 000032 vielleicht hat meine Mama des Landsturmmannes Kn”pfe mehrmals und mit wechselndem Ergebnis abgez„hlt . 000341 000032 ich k”nnte mir vorstellen , daá die Kn”pfe aller Uniformen so bemessen sind , daá der zuletzt gez„hlte Knopf immer Verdun , einen der vielen Hartmannsweilerk”pfe oder ein Fláchen meint : Somme oder Marne . 000342 000032 als sich nach einer knappen Stunde das zum viertenmal gemusterte Kerlchen aus dem Portal des Bezirkskommandos schob , die Treppen hinunterstolperte und der Agnes , meiner Mama , um den Hals fallend , den damals so beliebten Spruch zuflsterte : z+ " kein Arsch , kein f+ Gnick +f , ein Jahr zurck ! " +z da hielt meine Mutter den Jan Bronski zum erstenmal , und ich weiá nicht , ob sie ihn sp„terhin jemals glcklicher gehalten hat . 000343 000032 Details jener jungen Kriegsliebe sind mir nicht bekannt . 000344 000032 Jan verkaufte einen Teil seiner Briefmarkensammlung , um den Ansprchen meiner Mama , die einen wachen Sinn frs Sch”ne , Kleidsame und Teure hatte , nachkommen zu k”nnen , und soll zu jener Zeit ein Tagebuch gefhrt haben , das sp„ter leider verlorenging . 000345 000032 meine Groámutter schien das Bndnis der beiden jungen Leute - man kann annehmen , daá es bers Verwandtschaftliche hinaus ging - geduldet zu haben , denn Jan Bronski wohnte bis kurz nach dem Kriege in der engen Wohnung auf dem Troyl . 000346 000032 er zog erst aus , als sich die Existenz eines Herrn Matzerath nicht mehr leugnen lieá und auch zugegeben wurde . 000347 000032 jenen Herrn muá meine Mama im Sommer achtzehn kennengelernt haben , als sie im Lazarett Silberhammer bei Oliva als Hilfskrankenschwester Dienst tat . 000348 000032 Alfred Matzerath , ein gebrtiger Rheinl„nder , lag dort mit einem glatten Oberschenkeldurchschuá und wurde auf rheinisch fr”hliche Art bald der Liebling aller Krankenschwestern - die Schwester Agnes nicht ausgenommen . 000349 000032 halb genesen humpelte er am Arm dieser oder jener Pflegerin auf dem Korridor und half der Schwester Agnes in der Kche , weil ihr das Schwesternh„ubchen so gut zum runden Gesicht stand , auch weil er , ein passionierter Koch , Gefhle in Suppen zu wandeln verstand . 000350 000032 als die Verwundung ausgeheilt war , blieb Alfred Matzerath in Danzig und fand dort sofort Arbeit als Vertreter seiner rheinischen Firma , eines gr”áeren Unternehmens der papierverarbeitenden Industrie . 000351 000032 der Krieg hatte sich verausgabt . 000352 000032 man bastelte , Anlaá zu ferneren Kriegen gebend , Friedensvertr„ge : das Gebiet um die Weichselmndung , etwa von Vogelsang auf der Nehrung , der Nogat entlang bis Pieckel , dort mit der Weichsel abw„rts laufend bis Czattkau , links einen rechten Winkel bis Sch”nflieá bildend , dann einen Buckel um den Saskoschiner Forst bis zum Ottominer See machend , Mattern , Ramkau und das Bissau meiner Groámutter liegen lassend und bei Klein-Katz die Ostsee erreichend , wurde zum Freien Staat erkl„rt und dem V”lkerbund unterstellt . 000353 000032 Polen erhielt im eigentlichen Stadtgebiet einen Freihafen , die Westerplatte mit Munitionsdepot , die Verwaltung der Eisenbahn und eine eigene Post am Heveliusplatz . 000354 000033 w„hrend die Briefmarken des Freistaates ein hanseatisch rotgoldenes , Koggen und Wappen zeigendes Gepr„nge den Briefen boten , frankierten die Polen mit makaber violetten Szenen , die Kasimirs und Batorys Historien illustrierten . 000355 000033 Jan Bronski wechselte zur Polnischen Post ber . 000356 000033 sein šbertritt wirkte spontan , desgleichen seine Option fr Polen . 000357 000033 viele wollen den Grund fr die Erwerbung der polnischen Staatsangeh”rigkeit im Verhalten meiner Mama gesehen haben . 000358 000033 im Jahre zwanzig , da Marszalek Pilsudski die Rote Armee bei Warschau schlug und das Wunder an der Weichsel von Leuten wie Vinzent Bronski der Jungfrau Maria , von Milit„rsachverst„ndigen entweder General Sikorski oder General Weygand zugesprochen wurde , in jenem polnischen Jahr also verlobte sich meine Mama mit dem Reichsdeutschen Matzerath . 000359 000033 fast m”chte ich glauben , daá meine Groámutter Anna gleich dem Jan mit dieser Verlobung nicht einverstanden war . 000360 000033 sie berlieá den Kellerladen auf dem Troyl , der es inzwischen zu einiger Blte gebracht hatte , ihrer Tochter , zog zu ihrem Bruder Vinzent nach Bissau , also ins Polnische , bernahm wie in vorkoljaiczekschen Zeiten den Hof mit Rben- und Kartoffel„ckern , g”nnte dem mehr und mehr von Gnade gerittenen Bruder Umgang und Zwiegespr„ch mit der jungfr„ulichen K”nigin Polens und begngte sich damit , in vier R”cken hinter herbstlichen Kartoffelkrautfeuern zu hocken und zum Horizont hinzublinzeln , den immer noch Telegrafenstangen einteilten . 000361 000033 erst als Jan Bronski seine Hedwig , eine Kaschubsche aus der Stadt , die aber in Ramkau noch Žcker besaá , fand und auch heiratete , besserte sich das Verh„ltnis zwischen Jan und meiner Mama . 000362 000033 bei einem Tanzvergngen im Cafe Woyke , da man sich zuf„llig traf , soll sie den Jan dem Matzerath vorgestellt haben . 000363 000033 die beiden so verschiedenen , doch in bezug auf Mama einmtigen Herren fanden Gefallen aneinander , obgleich Matzerath den šbertritt Jans zur Polnischen Post schlankweg und lautrheinisch eine Schnapsidee nannte . 000364 000033 Jan tanzte mit Mama , Matzerath mit der starkknochigen , groágeratenen Hedwig , die den unfaábaren Blick einer Kuh hatte , was ihre Umgebung veranlaáte , in ihr st„ndig eine Schwangere zu sehen . 000365 000033 man tanzte noch oft miteinander , durcheinander , dachte beim Tanz an den n„chsten Tanz , war sich beim Schieber voraus und beim Englischen Walzer enthoben , fand schlieálich im Charleston den Glauben an sich selbst und im Slowfox Sinnlichkeit , die an Religion grenzte . 000366 000033 als Alfred Matzerath im Jahre dreiundzwanzig , da man fr den Gegenwert einer Streichholzschachtel ein Schlafzimmer tapezieren , also mit Nullen mustern konnte , meine Mama heiratete , war Jan der eine Trauzeuge , ein Kolonialwarenh„ndler Mhlen der andere . 000367 000033 von jenem Mhlen weiá ich nicht viel zu berichten . 000368 000033 er ist nur nennenswert , weil Mama und Matzerath von ihm einen schlechtgehenden , durch Pumpkundschaft ruinierten Kolonialwarenladen im Vorort Langfuhr zu einem Zeitpunkt bernahmen , da die Rentenmark eingefhrt wurde . 000369 000034 innerhalb kurzer Zeit gelang es Mama , die sich im Kellerladen auf dem Troyl geschickte Umgangsformen mit jeder Art Pumpkundschaft erworben hatte , die dazu einen angeborenen Gesch„ftssinn , Witz und Schlagfertigkeit besaá , das verkommene Gesch„ft soweit wieder hochzuarbeiten , daá Matzerath seinen Vertreterposten in der ohnehin berlaufenen Papierbranche aufgeben muáte , um im Gesch„ft helfen zu k”nnen . 000370 000034 die beiden erg„nzten sich auf wunderbare Weise . 000371 000034 was Mama hinter dem Ladentisch der Kundschaft gegenber leistete , erreichte der Rheinl„nder im Umgang mit Vertretern und beim Einkauf auf dem Groámarkt . 000372 000034 dazu kam die Liebe Matzeraths zur Kochschrze , zur Arbeit in der Kche , die auch das Abwaschen einbezog und Mama , die es mehr mit Schnellgerichten hielt , entlastete . 000373 000034 die Wohnung , die sich dem Gesch„ft anschloá , war zwar eng und verbaut , aber verglichen mit den Wohnverh„ltnissen auf dem Troyl , die ich nur vom Erz„hlen her kenne , kleinbrgerlich genug , daá sich Mama , zumindest w„hrend der ersten Ehejahre , im Labesweg wohlgefhlt haben muá . 000374 000034 auáer dem langen , leicht geknickten Korridor , in dem sich zumeist Persilpackungen stapelten , gab es die ger„umige , jedoch gleichfalls mit Waren wie Konservendosen , Mehlbeuteln und Haferflockenp„ckchen zur guten H„lfte belegte Kche . 000375 000034 das aus zwei Fenstern auf den sommers mit Ostseemuscheln verzierten Vorgarten und die Straáe blickende Wohnzimmer bildete das Kernstck der Paterrewohnung . 000376 000034 wenn die Tapete viel Weinrot hatte , bezog beinahe Purpur die Chaiselongue . 000377 000034 ein ausziehbarer , an den Ecken abgerundeter Eátisch , vier schwarze gelederte Sthle und ein rundes Rauchtischchen , das st„ndig seinen Platz wechseln muáte , standen schwarzbeinig auf blauem Teppich . 000378 000034 schwarz und golden zwischen den Fenstern die Standuhr . 000379 000034 schwarz an die purpurne Chaiselongue stoáend , das zuerst gemietete , sp„ter langsam abgezahlte Klavier , mit Drehschemelchen auf weiágelblichem Langhaarfell . 000380 000034 demgegenber das Bfett . 000381 000034 das schwarze Bfett mit von schwarzen Eierst„ben eingefaáten , geschliffenen Schiebefenstern , mit schwerschwarzen Fruchtornamenten auf den unteren , das Geschirr und die Tischdecken verschlieáenden Tren , mit schwarzgekrallten Beinen , schwarz profiliertem Aufsatz - und zwischen der Kristallschale mit Zierobst und dem grnen , in einer Lotterie gewonnenen Pokal jene Lcke , die dank der gesch„ftlichen Tchtigkeit meiner Mama sp„ter mit einem hellbraunen Radioapparat geschlossen werden sollte . 000382 000034 das Schlafzimmer war in Gelb gehalten und sah auf den Hof des vierst”ckigen Mietshauses . 000383 000034 glauben Sie mir bitte , daá der Betthimmel der breiten Eheburg hellblau war , daá am Kopfende im hellblauen Licht die gerahmte , verglaste , báende Magdalena fleischfarben in einer H”hle lag , zum rechten oberen Bildrand aufseufzte und vor der Brust soviel Finger rang , daá man immer wieder , mehr als zehn Finger vermutend , nachz„hlen muáte . 000384 000035 dem Ehebett gegenber der weiá gelackte Kleiderschrank mit Spiegeltren , links ein Frisiertoilettchen , rechts eine Kommode mit Marmor drauf , von der Decke h„ngend , nicht stoffbespannt wie im Wohnzimmer , sondern an zwei Messingarmen unter leichtrosa Porzellanschalen , so daá die Glhbirnen sichtbar blieben , Licht verbreitend : die Schlafzimmerlampe . 000385 000035 ich habe heute einen langen Vormittag zertrommelt , habe meiner Trommel Fragen gestellt , wollte wissen , ob die Glhbirnen in unserem Schlafzimmer vierzig oder sechzig Watt z„hlten . 000386 000035 es ist nicht das erste Mal , daá ich diese , fr mich so wichtige Frage mir und meiner Trommel stelle . 000387 000035 oft dauert es Stunden , bis ich zu jenen Glhbirnen zurckfinde . 000388 000035 denn mssen nicht jedesmal die tausend Lichtquellen , die ich beim Betreten und Verlassen vieler Wohnungen durch Ein- und Ausschalten der entsprechenden Schaltdosen belebte oder einschlafen lieá , vergessen werden , damit ich durch floskellosestes Trommeln aus einem Wald genormter Beleuchtungsk”rper zu jenen Leuchten unseres Schlafzimmers im Labesweg zurckfinde ? . 000389 000035 Mama kam zu Hause nieder . 000390 000035 als die Wehen einsetzten , stand sie noch im Gesch„ft und fllte Zucker in blaue Pfund- und Halbpfundtten ab . 000391 000035 schlieálich war es fr den Transport in die Frauenklinik zu sp„t ; eine „ltere Hebamme , die nur noch dann und wann zu ihrem K”fferchen griff , muáte aus der nahen Hertastraáe gerufen werden . 000392 000035 im Schlafzimmer half sie mir und Mama , voneinander loszukommen . 000393 000035 ich erblickte das Licht dieser Welt in Gestalt zweier Sechzig-Watt-Glhbirnen . 000394 000035 noch heute kommt mir deshalb der Bibeltext : z+ " es werde Licht und es ward Licht " +z - wie der gelungenste Werbeslogan der Firma Osram vor . 000395 000035 bis auf den obligaten Dammriá verlief meine Geburt glatt . 000396 000035 mhelos befreite ich mich aus der von Mttern , Embryonen und Hebammen gleichviel gesch„tzten Kopflage . 000397 000035 damit es sogleich gesagt sei : ich geh”rte zu den hellh”rigen S„uglingen , deren geistige Entwicklung schon bei der Geburt abgeschlossen ist und sich fortan nur noch best„tigen muá . 000398 000035 so unbeeinfluábar ich als Embryo nur auf mich geh”rt und mich im Fruchtwasser spiegelnd geachtet hatte , so kritisch lauschte ich den ersten spontanen Žuáerungen der Eltern unter den Glhbirnen . 000399 000035 mein Ohr war hellwach . 000400 000035 wenn es auch klein , geknickt , verklebt und allenfalls niedlich zu benennen war , bewahrte es dennoch jede jener fr mich fortan so wichtigen , weil als erste Eindrcke gebotenen Parolen . 000401 000035 noch mehr : was ich mit dem Ohr einfing , bewertete ich sogleich mit winzigstem Hirn und beschloá , nachdem ich alles Geh”rte genug bedacht hatte , dieses und jenes zu tun , anderes gewiá zu lassen . 000402 000035 " ein Junge " , sagte jener Herr Matzerath , der in sich meinen Vater vermutete . 000403 000035 " er wird sp„ter einmal das Gesch„ft bernehmen . 000404 000035 jetzt wissen wir endlich , wofr wir uns so abarbeiten " . 000405 000036 Mama dachte weniger ans Gesch„ft , mehr an die Ausstattung ihres Sohnes : f+ " na , wuát' ich doch , daá es ein Jungchen ist , auch wenn ich manchmal jesagt hab' , es wird ne Marjell " +f . 000406 000036 so machte ich verfrhte Bekanntschaft mit weiblicher Logik und h”rte mir hinterher an : " wenn der kleine Oskar drei Jahre alt ist , soll er eine Blechtrommel bekommen " . 000407 000036 l„ngere Zeit mtterliches und v„terliches Versprechen gegeneinander abw„gend , beobachtete und belauschte ich , Oskar , einen Nachtfalter , der sich ins Zimmer verflogen hatte . 000408 000036 mittelgroá und haarig umwarb er die beiden Sechzig-Watt-Glhbirnen , warf Schatten , die in bertriebenem Verh„ltnis zur Spannweite seiner Flgel den Raum samt Inventar mit zuckender Bewegung deckten , fllten , erweiterten . 000409 000036 mir blieb jedoch weniger das Licht- und Schattenspiel , als vielmehr jenes Ger„usch , welches zwischen Falter und Glhbirne laut wurde : der Falter schnatterte , als h„tte er es eilig , sein Wissen loszuwerden , als k„me ihm nicht mehr Zeit zu fr sp„tere Plauderstunden mit Lichtquellen , als w„re das Zwiegespr„ch zwischen Falter und Glhbirne in jedem Fall des Falters letzte Beichte und nach jener Art von Absolution , die Glhbirnen austeilen , keine Gelegenheit mehr fr Snde und Schw„rmerei . 000410 000036 heute sagt Oskar schlicht : der Falter trommelte . 000411 000036 ich habe Kaninchen , Fchse und Siebenschl„fer trommeln h”ren . 000412 000036 Fr”sche k”nnen ein Unwetter zusammentrommeln . 000413 000036 dem Specht sagt man nach , daá er Wrmer aus ihren Geh„usen trommelt . 000414 000036 schlieálich schl„gt der Mensch auf Pauken , Becken , Kessel und Trommeln . 000415 000036 er spricht von Trommelrevolvern , vom Trommelfeuer , man trommelt jemanden heraus , man trommelt zusammen , man trommelt ins Grab . 000416 000036 das tun Trommelknaben , Trommelbuben . 000417 000036 es gibt Komponisten , die schreiben Konzerte fr Streicher und Schlagzeug . 000418 000036 ich darf an den Groáen und Kleinen Zapfenstreich erinnern , auch auf Oskars bisherige Versuche hinweisen ; all das ist nichts gegen die Trommelorgie , die der Nachtfalter anl„álich meiner Geburt auf zwei simplen Sechzig-Watt-Glhbirnen veranstaltete . 000419 000036 vielleicht gibt es Neger im dunkelsten Afrika , auch solche in Amerika , die Afrika noch nicht vergessen haben , vielleicht mag es diesen rhythmisch organisierten Leuten gegeben sein , gleich oder „hnlich meinem Falter oder afrikanische Falter imitierend - die ja bekanntlich noch gr”áer und pr„chtiger als die Falter Osteuropas sind - zuchtvoll und entfesselt zugleich zu trommeln ; ich halte meine osteurop„ischen Maást„be , halte mich also an jenen mittelgroáen , br„unlich gepuderten Nachtfalter meiner Geburtsstunde , nenne ihn Oskars Meister . 000420 000036 es war in den ersten Septembertagen . 000421 000036 die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau . 000422 000036 von fernher schob ein sp„tsommerliches Gewitter , Kisten und Schr„nke verrckend , durch die Nacht . 000423 000036 Merkur machte mich kritisch , Uranus einfallsreich , Venus lieá mich ans kleine Glck , Mars an meinen Ehrgeiz glauben . 000424 000036 im Haus des Aszendenten stieg die Waage auf , was mich empfindlich stimmte und zu šbertreibungen verfhrte . 000425 000037 Neptun bezog das zehnte , das Haus der Lebensmitte und verankerte mich zwischen Wunder und T„uschung . 000426 000037 Saturn war es , der im dritten Haus in Opposition zu Jupiter mein Herkommen in Frage stellte . 000427 000037 wer aber schickte den Falter und erlaubte ihm und dem oberlehrerhaften Gepolter eines sp„tsommerlichen Donnerwetters , in mir die Lust zur mtterlicherseits versprochenen Blechtrommel zu steigern , mir das Instrument immer handlicher und begehrlicher zu machen ? . 000428 000037 „uáerlich schreiend und einen S„ugling blaurot vort„uschend , kam ich zu dem Entschluá , meines Vaters Vorschlag , also alles was das Kolonialwarengesch„ft betraf , schlankweg abzulehnen , den Wunsch meiner Mama jedoch zu gegebener Zeit , also anl„álich meines dritten Geburtstages , wohlwollend zu prfen . 000429 000037 neben all diesen Spekulationen , meine Zukunft betreffend , best„tigte ich mir : Mama und jener Vater Matzerath hatten nicht das Organ , meine Einw„nde und Entschlsse zu verstehen und gegebenenfalls zu respektieren . 000430 000037 einsam und unverstanden lag Oskar unter den Glhbirnen , folgerte , daá das so bleibe , bis sechzig , siebenzig Jahre sp„ter ein endgltiger Kurzschluá aller Lichtquellen Strom unterbrechen werde , verlor deshalb die Lust , bevor dieses Leben unter den Glhbirnen anfing ; und nur die in Aussicht gestellte Blechtrommel hinderte mich damals , dem Wunsch nach Rckkehr in meine embryonale Kopflage st„rkeren Ausdruck zu geben . 000431 000037 zudem hatte die Hebamme mich schon abgenabelt ; es war nichts mehr zu machen . 000432 000037 u+ das Fotoalbum +u . 000433 000037 ich hte einen Schatz . 000434 000037 all die schlimmen , nur aus Kalendertagen bestehenden Jahre lang habe ich ihn gehtet , versteckt , wieder hervorgezogen ; w„hrend der Reise im Gterwagen drckte ich ihn mir wertvoll gegen die Brust , und wenn ich schlief , schlief Oskar auf seinem Schatz , dem Fotoalbum . 000435 000037 was t„te ich ohne dieses alles deutlich machende , offen zu Tage liegende Familiengrab ? . 000436 000037 hundertundzwanzig Seiten hat es . 000437 000037 auf jeder Seite kleben neben- und untereinander , rechtwinklig , sorgf„ltig verteilt , die Symmetrie hier wahrend , dort in Frage stellend , vier oder sechs , manchmal nur zwei Fotos . 000438 000037 es ist in Leder gebunden und riecht , je „lter es wird , um so mehr danach . 000439 000037 es gab Zeiten , da Wind und Wetter dem Album zusetzten . 000440 000037 die Fotos l”sten sich , zwangen mich durch ihren hilflosen Zustand , Ruhe und Gelegenheit zu suchen , damit Klebstoff den fast verlorenen Bildchen ihren angestammten Platz sicherte . 000441 000037 was auf dieser Welt , welcher Roman h„tte die epische Breite eines Fotoalbums ? . 000442 000037 der liebe Gott , der uns als fleiáiger Amateur jeden Sonntag von oben herab , also schrecklich verkrzt fotografiert und mehr oder weniger gut belichtet in sein Album klebt , m”ge mich sicher und jeden noch so genuávollen , doch unschicklich langen Aufenthalt verhindernd , durch dieses mein Album leiten und Oskars Liebe zum Labyrinthischen nicht n„hren ; ich m”chte doch allzu gerne den Fotos die Originale nachliefern . 000443 000038 so obenhin bemerkt : da gibt es die verschiedensten Uniformen , da wechseln die Mode und der Haarschnitt , da wird Mama dicker , Jan schlaffer , da gibt es Leute , die kenne ich gar nicht , da darf man raten : wer machte die Aufnahme , da geht es schlieálich bergab ; und aus dem Kunstfoto der Jahrhundertwende degeneriert sich das Gebrauchsfoto unserer Tage . 000444 000038 nehmen wir jenes Denkmal meines Groávaters Koljaiczek und dieses Paáfoto meines Freundes Klepp . 000445 000038 ein bloáes Nebeneinanderhalten des br„unlich get”nten Groávaterportr„ts und des glatten , nach einem Stempel schreienden Kleppschen Paáfotos macht mir immer wieder deutlich , wohin uns der Fortschritt auf dem Gebiet des Fotografierens gebracht hat . 000446 000038 allein schon das Drum und Dran dieser Schnellfotografiererei . 000447 000038 dabei muá ich mir noch mehr Vorwrfe als Klepp machen , da ich , der Besitzer dieses Albums , verpflichtet gewesen w„re , das Niveau zu wahren . 000448 000038 sollte uns eines Tages die H”lle blhen , wird eine der ausgesuchtesten Qualen darin bestehen , den nackten Menschen mit den gerahmten Fotos seiner Tage in einen Raum zu sperren . 000449 000038 schnell etwas Pathos : oh Mensch zwischen Momentaufnahmen , Schnappschssen , Paáfotos ! . 000450 000038 Mensch im Blitzlicht , Mensch aufrecht stehend vor Pisas schiefem Turm , Kabinenmensch , der sein rechtes Ohr belichten lassen muá , damit er paáwrdig wird ! . 000451 000038 und - Pathos weg : vielleicht wird auch diese H”lle ertr„glich sein , weil ja die schlimmsten Aufnahmen nur getr„umt , nicht gemacht , oder wenn gemacht , nicht entwickelt werden . 000452 000038 Klepp und ich lieáen die Aufnahmen w„hrend unserer ersten Zeit in der Jlicher Straáe , da wir Spaghetti essend Freundschaft schlossen , machen und auch entwickeln . 000453 000038 ich trug mich damals mit Reisepl„nen . 000454 000038 das heiát , ich war so traurig , daá ich eine Reise machen und deshalb einen Paá beantragen wollte . 000455 000038 da ich aber nicht gengend Geld hatte , um eine vollwertige , also Rom , Neapel oder wenigstens Paris einschlieáende Reise finanzieren zu k”nnen , war ich froh ber diesen Mangel an Bargeld , denn nichts w„re trauriger gewesen , als in bedrcktem Zustand verreisen zu mssen . 000456 000038 da wir beide aber Geld genug hatten , um ins Kino gehen zu k”nnen , besuchten Klepp und ich in jener Zeit Lichtspielh„user , in denen , Klepps Geschmack folgend , Wildwestfilme , meinem Bedrfnis nach , Streifen gezeigt wurden , auf denen Maria Schell als Krankenschwester weinte und der Borsche als Chefarzt kurz nach schwierigster Operation bei offener Balkontr Beethovensonaten spielte und Verantwortung zeigte . 000457 000038 wir litten sehr unter der nur zweistndigen Dauer der Filmvorfhrungen . 000458 000038 manches Programm h„tte man sich zweimal ansehen m”gen . 000459 000038 oftmals erhoben wir uns auch nach Filmschluá , um an der Kasse abermals ein Billett fr dieselben Darbietungen zu erstehen . 000460 000039 aber sobald wir den Kinosaal verlassen hatten und die l„ngere oder krzere Menschenreihe vor der Tageskasse sahen , schwand uns der Mut . 000461 000039 nicht nur vor der Kassiererin , auch vor wildfremden Typen , die wahrhaft unversch„mt unsere Physiognomie erwanderten , sch„mten wir uns zu sehr , als daá wir gewagt h„tten , die Reihe vor der Kasse zu verl„ngern . 000462 000039 so gingen wir damals nach fast jeder Filmvorfhrung in ein Fotogesch„ft in der N„he des Graf-Adolf-Platzes , um Paábildaufnahmen von uns machen zu lassen . 000463 000039 man kannte uns dort schon , l„chelte , wenn wir eintraten , bat aber freundlich Platz zu nehmen ; wir waren Kunden , mithin geachtete Leute . 000464 000039 sobald die Kabine frei war , schob uns nacheinander ein Fr„ulein , von dem ich nur noch weiá , daá es nett war , in die Kabine , rckte und zupfte erst mich , dann Klepp mit einigen Griffen zurecht , hieá uns , auf einen bestimmten Punkt zu blicken , bis zuckendes Licht und eine mit dem Licht verbundene Klingel verrieten , daá wir nun sechsmal nacheinander auf der Platte waren . 000465 000039 kaum fotografiert und noch leicht starr in den Mundwinkeln , drckte uns das Fr„ulein in bequeme Korbsthle und bat nett , nur nett und auch nett gekleidet , um fnf Minuten Geduld . 000466 000039 wir warteten gerne . 000467 000039 schlieálich hatten wir etwas zu erwarten : unsere Paábildchen , auf die wir so neugierig waren . 000468 000039 nach knappen sieben Minuten reichte das immer noch nette , sonst unbeschreibliche Fr„ulein zwei Ttchen , und wir zahlten . 000469 000039 dieser Triumph in Klepps leicht vortretenden Augen . 000470 000039 sobald wir die Tten hatten , hatten wir auch den Anlaá , in die n„chste Bierschwemme zu gehen ; denn niemand betrachtet seine eigenen Paábildaufnahmen gerne auf offener , staubiger Straáe , im L„rm stehend , im Strom der Passanten ein Hindernis bildend . 000471 000039 wie wir dem Fotogesch„ft treu waren , besuchten wir auch immer wieder dieselbe Kneipe in der Friedrichstraáe . 000472 000039 Bier , Blutwurst mit Zwiebeln und Schwarzbrot bestellend , breiteten wir , noch bevor das Bestellte gebracht wurde , die etwas feuchten Aufnahmen , das ganze Rund der h”lzernen Tischplatte einbeziehend , aus und vertieften uns bei prompt serviertem Bier mit Blutwurst in die eigenen angestrengten Gesichtszge . 000473 000039 immer trugen wir auáerdem Aufnahmen bei uns , die anl„álich des letzten Kinotages gemacht worden waren . 000474 000039 so bot sich Gelegenheit zum Vergleich ; und wo sich Gelegenheit zum Vergleich bietet , darf man auch ein zweites , drittes , viertes Glas Bier bestellen , damit Lustigkeit aufkommt oder , wie man im Rheinland sagt : Stimmung . 000475 000039 dennoch soll hier nicht behauptet werden , daá es einem traurigen Menschen m”glich ist , mittels einer Paábildaufnahme seiner selbst , die eigene Trauer ungegenst„ndlich zu machen ; denn die echte Trauer ist schon an sich ungegenst„ndlich , zumindest meine und auch Klepps lieá sich auf nichts zurckfhren und bewies gerade in ihrer nahezu freifr”hlichen Ungegenst„ndlichkeit eine durch nichts zu vergr„mende St„rke . 000476 000040 wenn es eine M”glichkeit gab , mit unserer Trauer anzub„ndeln , dann nur ber die Fotos , weil wir in serienm„áig hergestellten Schnellaufnahmen uns selbst zwar nicht deutlich , aber , was wichtiger war , passiv und neutralisiert fanden . 000477 000040 wir konnten mit uns beliebig umgehen , Bier dabei trinken , mit Blutwrsten grausam sein , Stimmung aufkommen lassen und spielen . 000478 000040 wir knickten , falteten , zerschnitten mit Scheren , die wir eigens zu diesem Zweck immer bei uns trugen , die Bildchen . 000479 000040 wir setzten „ltere und neuere Konterfeie zusammen , gaben uns ein„ugig , drei„ugig , beohrten uns mit Nasen , sprachen oder schwiegen mit dem rechten Ohr und boten dem Kinn die Stirn . 000480 000040 nicht nur dem eigenen Abbild widerfuhren diese Montagen ; Klepp lieh sich Details bei mir aus , ich erbat mir Charakteristisches von ihm : es gelang uns , neue und , wie wir hofften , glcklichere Gesch”pfe zu erschaffen . 000481 000040 dann und wann verschenkten wir ein Foto . 000482 000040 wir - ich beschr„nke mich auf Klepp und mich , lasse montierte Pers”nlichkeiten aus dem Spiel - wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht , dem Kellner der Bierschwemme , den wir Rudi nannten , bei jedem Besuch , und die Schwemme sah uns wenigstens einmal in der Woche , ein Foto zu schenken . 000483 000040 Rudi , ein Typ , der zw”lf Kinder verdient h„tte und die Vormundschaft fr acht weitere , kannte unsere Not , besaá schon Dutzende Profilaufnahmen und noch mehr Bildchen f+ en face +f , zeigte doch jedesmal ein anteilnehmendes Gesicht und sagte Dank , wenn wir nach langer Beratung und peinlich gestrenger Auswahl die Fotos berreichten . 000484 000040 der Serviererin am Bfett und dem fuchsigen M„dchen mit dem Zigarettenbauchladen hat Oskar nie ein Foto geschenkt ; denn Frauen soll man keine Fotos schenken - sie treiben nur Miábrauch damit . 000485 000040 Klepp jedoch , der bei all seiner Beh„bigkeit Frauen gegenber sich nie genug tun konnte und mitteilsam bis zur Tollkhnheit vor jeder das Hemd gewechselt h„tte , er muá eines Tages dem Zigarettenm„dchen , ohne mein Wissen , ein Foto geschenkt haben , denn er hat sich mit dem grnen schnippischen Ding verlobt , hat es eines Tages geheiratet , weil er sein Foto wieder zurck haben will . 000486 000040 ich habe vorgegriffen und den letzten Bl„ttern des Fotoalbums zu viele Worte gewidmet . 000487 000040 die dummen Schnappschsse verdienen es nicht oder nur im Sinne eines Vergleiches , der klarmachen sollte , wie groá und unerreichbar , ja knstlerisch das Protr„t meines Groávaters Koljaiczek auf der ersten Seite des Fotoalbums heute noch auf mich wirkt . 000488 000040 klein und breit steht er neben einem gedrechselten Tischchen . 000489 000040 leider lieá er die Aufnahme nicht als Brandstifter , sondern als freiwilliger Feuerwehrmann Wranka machen . 000490 000040 es fehlt ihm also der Schnauzbart . 000491 000040 aber die straff sitzende Feuerwehruniform mit Rettungsmedaille und dem das Tischchen zum Altar machenden Feuerwehrhelm ersetzen den Schnauz des Brandstifters beinahe . 000492 000040 wie ernst und um alles Leid der Jahrhundertwende wissend er dreinzublicken weiá . 000493 000041 jener bei aller Tragik noch stolze Blick schien in den Zeiten des zweiten Kaiserreiches beliebt und gel„ufig gewesen zu sein , zeigt ihn doch gleichfalls Gregor Koljaiczek , der trunkene , auf den Fotos eher nchtern wirkende Pulvermller . 000494 000041 mehr mystisch , weil in Tschenstochau aufgenommen , h„lt es den eine geweihte Kerze haltenden Vinzent Bronski fest . 000495 000041 ein Jugendbildnis des schm„chtigen Jan Bronski ist ein mit den Mitteln der frhen Fotografie gewonnenes Zeugnis bewuát schwermtiger M„nnlichkeit . 000496 000041 den Frauen jener Zeit gelang dieser Blick ber entsprechender Haltung seltener . 000497 000041 selbst meine Groámutter Anna , die doch , bei Gott , eine Person war , ziert sich auf den Aufnahmen vor Ausbruch des ersten Weltkrieges hinter einem dmmlich draufgesetzten L„cheln und l„át nichts von der Asyl bietenden Spannweite ihrer vier bereinanderfallenden , so verschwiegenen R”cke ahnen . 000498 000041 sie l„chelten auch noch w„hrend der Kriegsjahre dem knipsknips machenden , unter schwarzem Tuch t„nzelnden Fotografen zu . 000499 000041 gleich dreiundzwanzig Krankenschwestern , darunter Mama als Hilfskrankenschwester im Lazarett Silberhammer , habe ich verschchtert , um einen Halt bietenden Stabsarzt dr„ngend , auf festem Karton von doppelter Postkartengr”áe . 000500 000041 etwas lockerer geben sich die Lazarettdamen in der gestellten Szene eines Kostmfestes , bei dem auch fast genesene Krieger mitwirkten . 000501 000041 Mama riskiert ein zugekniffenes Auge und einen Kuámund , der trotz ihrer Engelsflgel und Lamettahaare sagen will : auch Engel haben ein Geschlecht . 000502 000041 der vor ihr knieende Matzerath hat eine Verkleidung gew„hlt , die er allzu gerne zur t„glichen Kleidung gemacht h„tte : er zeigt sich als l”ffelschwingender Koch unter gest„rkter Kochmtze . 000503 000041 hingegen in Uniform , mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse behaftet , blickt auch er , den Koljaiczeks und Bronskis „hnlich , tragisch bewuát geradeaus und ist den Frauen auf allen Fotos berlegen . 000504 000041 nach dem Kriege zeigte man ein anderes Gesicht . 000505 000041 die M„nner schauen leicht abgemustert drein , und nun sind es die Frauen , die es verstehen , sich ins Bildformat zu stellen , die den Grund haben , ernst dreinzublicken , die , selbst wenn sie l„cheln , die Untermalung gelernten Schmerz nicht leugnen wollen . 000506 000041 sie stand ihnen gut , die Wehmut den Frauen der zwanziger Jahre . 000507 000041 gelingt es ihnen nicht , sitzend , stehend und halb liegend , schwarzhaarige Mondsicheln an die Schl„fe klebend , zwischen Madonna und K„uflichkeit eine vers”hnliche Bindung zu knpfen ? . 000508 000041 das Bild meiner dreiundzwanzigj„hrigen Mama - es muá kurz vor Beginn ihrer Schwangerschaft aufgenommen worden sein - zeigt eine junge Frau , die den runden , ruhig geformten Kopf auf straff fleischigem Hals leicht neigt , den jeweiligen Beschauer ihres Bildes jedoch direkt anblickt , die bloá sinnlichen Konturen mit besagt wehmtigem L„cheln und einem Augenpaar aufl”st , das gewohnt zu sein scheint , mehr grau als blau die Seelen der Mitmenschen wie auch die eigene Seele gleich einem festen Gegenstand - sagen wir , Kaffeetasse oder Zigarettenspitze - zu betrachten . 000509 000042 es drfte das W”rtchen seelenvoll allerdings nicht reichen , setzte ich es dem Blick meiner Mama als Eigenschaftswort davor . 000510 000042 nicht interessanter , aber leichter zu beurteilen und darum aufschluáreicher sind die Gruppenfotos jener Zeit . 000511 000042 erstaunlich , um wieviel sch”ner und br„utlicher die Hochzeitskleider waren , als man den Vertrag zu Rapallo unterzeichnete . 000512 000042 Matzerath tr„gt auf seinem Hochzeitsfoto noch einen steifen Kragen . 000513 000042 er sieht gut aus , elegant , fast intellektuell . 000514 000042 den rechten Fuá stellt er vor , m”chte vielleicht einem Filmschauspieler seiner Tage , Harry Liedtke etwa , gleichen . 000515 000042 man trug damals kurz . 000516 000042 das br„utliche Kleid meiner br„utlichen Mama , ein weiáer , tausendf„ltiger Plisseerock reicht bis knapp unters Knie , zeigt ihre gutgeformten Beine und zierlichen Tanzfáchen in weiáen Spangenschuhen . 000517 000042 auf anderen Abzgen dr„ngt die ganze Hochzeitsgesellschaft . 000518 000042 zwischen st„dtisch Gekleideten und Posierenden fallen immer wieder die Groámutter Anna und ihr begnadeter Bruder Vinzent durch provinzielle Strenge und Vertrauen einfl”áende Unsicherheit auf . 000519 000042 Jan Bronski , der ja gleich meiner Mama vom selben Kartoffelacker herstammt wie seine Tante Anna und sein der himmlischen Jungfrau ergebener Vater , weiá l„ndlich kaschubische Herkunft hinter der festlichen Eleganz eines polnischen Postsekret„rs zu verbergen . 000520 000042 so klein und gef„hrdet er auch zwischen den Gesunden und Platzeinnehmenden stehen mag , sein ungew”hnliches Auge , die fast weibische Ebenm„áigkeit seines Gesichtes bilden , selbst wenn er am Rande steht , den Mittelpunkt jedes Fotos . 000521 000042 schon l„ngere Zeit betrachte ich eine Gruppe , die kurz nach der Hochzeit aufgenommen wurde . 000522 000042 ich muá zur Trommel greifen und mit meinen St”cken vor dem matten , br„unlichen Viereck versuchen , das auf dem Karton erkennbare Dreigestirn auf gelacktem Blech zu beschw”ren . 000523 000042 die Gelegenheit fr dieses Bild wird sich Ecke Magdeburger Straáe - Heeresanger neben dem polnischen Studentenheim , also in der Wohnung der Bronskis ergeben haben , denn es zeigt den Hintergrund eines sonnenbeschienenen , mit Kletterbohnen halb zugerankten Balkons solcher Machart , wie sie nur den Wohnungen der Polensiedlung vorklebten . 000524 000042 Mama sitzt , Matzerath und Jan Bronski stehen . 000525 000042 aber wie sie sitzt und wie die beiden stehen ! . 000526 000042 eine Zeitlang war ich dumm genug , mit einem Schulzirkel , den Bruno mir kaufen muáte , mit Lineal und Dreieck die Konstellation dieses Triumvirates - denn Mama ersetzte vollwertig einen Mann - ausmessen zu wollen . 000527 000042 Halsneigungswinkel , ein Dreieck mit ungleichen Schenkeln , es kam zu Parallelverschiebungen , zur gewaltsam herbeigefhrten Deckungsgleichheit , zu Zirkelschl„gen , die sich bedeutungsvoll auáerhalb , also im Grnzeug der Kletterbohnen trafen und einen Punkt ergaben , weil ich einen Punkt suchte , punktgl„ubig , punktschtig , Anhaltspunkt , Ausgangspunkt , wenn nicht sogar den Standpunkt erstrebte . 000528 000043 nichts ist bei dieser dilettantischen Messerei herausgekommen , als winzige und dennoch st”rende L”cher , die ich mit der Zirkelspitze den wichtigsten Stellen dieses kostbaren Fotos grub . 000529 000043 was ist besonderes an dem Abzug ? . 000530 000043 was hieá mich , mathematische und , l„cherlich genug , kosmische Bezge auf diesem Viereck suchen und , wenn man will , sogar finden ? . 000531 000043 drei Menschen : eine sitzende Frau , zwei stehende M„nner . 000532 000043 sie mit dunkler Wasserwelle , Matzeraths krauses Blond , Jans anliegendes , zurckgek„mmtes Kastanienbraun . 000533 000043 alle drei l„cheln : Matzerath mehr als Jan Bronski , beide die oberen Z„hne zeigend , zusammen fnfmal so stark wie Mama , der es nur eine Spur in den Mundwinkeln und berhaupt nicht in den Augen sitzt . 000534 000043 Matzerath l„át seine linke Hand auf Mamas rechter Schulter ruhen ; Jan begngt sich mit einer flchtigen rechtsh„ndigen Belastung der Stuhllehne . 000535 000043 sie , mit den Knien nach rechts , von den Hften ab frontal , h„lt ein Heft auf dem Schoá , das ich l„ngere Zeit fr eines der Bronskischen Briefmarkenalben , dann fr eine Modezeitschrift , schlieálich fr die Zigarettenbildchensammlung berhmter Filmschauspieler hielt . 000536 000043 Mamas H„nde tun so , als wollten sie bl„ttern , sobald die Platte belichtet , die Aufnahme gemacht ist . 000537 000043 alle drei scheinen glcklich , einander gutheiáend gegen šberraschungen der Art gefeit zu sein , zu denen es nur kommt , wenn ein Partner des Dreibundes Geheimf„cher anlegt oder von Anfang an birgt . 000538 000043 zusammengeh”rend sind sie auf die vierte Person , n„mlich auf Jans Frau , Hedwig Bronski , geborene Lemke , die zu dem Zeitpunkt wom”glich schon mit dem sp„teren Stephan schwanger ging , nur insofern angewiesen , als diese den Fotoapparat auf die drei und das Glck dieser drei Menschen richten muá , damit sich dreifaches Glck wenigstens mit den Mitteln der Fotografie festhalten l„át . 000539 000043 ich habe andere Vierecke aus dem Album gel”st und neben dieses Viereck gehalten . 000540 000043 Ansichten , auf denen entweder Mama mit Matzerath oder Mama mit Jan Bronski zu erkennen sind . 000541 000043 auf keinem dieser Bilder wird das Unab„nderliche , die letztm”gliche L”sung so deutlich wie auf dem Balkonbild . 000542 000043 Jan und Mama auf einer Platte : da riecht es nach Tragik , Goldgr„berei und Verstiegenheit , die zum šberdruá wird , šberdruá der Verstiegenheit mit sich fhrt . 000543 000043 Matzerath neben Mama : da tr”pfelt Wochenendpotenz , da brutzeln die Wiener Schnitzel , da n”rgelt es ein biáchen vor dem Essen und g„hnt nach der Mahlzeit , da muá man sich vor dem Schlafengehen Witze erz„hlen oder die Steuerabrechnung an die Wand malen , damit die Ehe einen geistigen Hintergrund bekommt . 000544 000043 dennoch ziehe ich diese fotografierte Langeweile dem anst”áigen Schnappschuá sp„terer Jahre vor , der Mama auf dem Schoá des Jan Bronski vor den Kulissen des Olivaer Waldes nahe Freudental zeigt . 000545 000043 erfaát diese Unfl„terei - Jan l„át eine Hand unter Mamas Kleid verschwinden - doch nur die blindwtige Leidenschaft des unglcklichen , vom ersten Tage der Matzerath-Ehe an ehebrecherischen Paares , dem hier , wie ich vermute , Matzerath den abgestumpften Fotografen lieferte . 000546 000044 nichts wird von jener Gelassenheit , von den behutsam wissenden Gesten des Balkonbildes sichtbar , die sich wahrscheinlich nur dann erm”glichen lieáen , wenn beide M„nner sich hinter , neben Mama stellten oder ihr zu Fáen lagen , wie im Seesand der Badeanstalt Heubude ; siehe Foto . 000547 000044 da gibt es noch ein Viereck , das die drei wichtigsten Menschen meiner ersten Jahre , ein Dreieck bildend , aufzeigt . 000548 000044 wenn es auch nicht so konzentriert wie das Balkonbild ist , strahlt es dennoch denselben spannungsreichen Frieden aus , der sich wohl nur zwischen drei Menschen schlieáen und wom”glich unterschreiben l„át . 000549 000044 man mag noch soviel ber die beliebte Dreiecksthematik des Theaters schimpfen ; zwei Personen alleine auf der Bhne , was sollen sie tun , als sich totdiskutieren oder insgeheim nach dem Dritten sehnen . 000550 000044 auf meinem Bildchen sind sie zu dritt . 000551 000044 sie spielen Skat . 000552 000044 das heiát , sie halten die Karten wie wohlorganisierte F„cher , blicken aber nicht , ein Spiel ausreizen wollend , auf ihre Trmpfe , sondern in den Fotoapparat . 000553 000044 Jans Hand liegt flach , bis auf den sich richtenden Zeigefinger , neben dem Kleingeld , Matzerath drckt die Fingern„gel ins Tischtuch , Mama erlaubt sich einen kleinen und , wie ich glauben m”chte , gelungenen Scherz : sie hat eine Karte gezogen , zeigt sie der Linse des Fotoapparates , aber nicht ihren Mitspielern . 000554 000044 wie leicht durch eine einzige Geste , durch das bloáe Aufzeigen der Skatkarte Herz Dame , ein gerade noch unaufdringliches Symbol beschworen werden kann ; denn wer schwre nicht auf Herz Dame ! . 000555 000044 das Skatspiel - man kann es , wie bekannt sein drfte , nur zu dritt spielen - war fr Mama und die beiden M„nner nicht nur das angemessenste Spiel ; es war ihre Zuflucht , ihr Hafen , in den sie immer dann fanden , wenn das Leben sie verfhren wollte , in dieser oder jener Zusammenstellung zu zweit existierend , dumme Spiele wie Sechsundsechzig oder Mhle zu spielen . 000556 000044 Schluá mit den Drein jetzt , die mich in die Welt setzten , obgleich es ihnen an nichts fehlte . 000557 000044 bevor ich zu mir komme , ein Wort ber Gretchen Scheffler , Mamas Freundin , und deren B„ckermeister wie Ehemann , Alexander Scheffler . 000558 000044 er kahlk”pfig , sie mit einem zur guten H„lfte aus Goldz„hnen bestehenden Pferdegebiá lachend . 000559 000044 er kurzbeinig und auf Sthlen sitzend , nie den Teppich erreichend , sie in selbstgestrickten Kleidern , die sich in Mustern nie genug tun konnten . 000560 000044 sp„ter Fotos der beiden Schefflers in Liegesthlen oder vor Rettungsbooten des KdF-Schiffes: " Wilhelm Gustloff " , auch auf dem Promenadendeck der " Tannenberg " vom Seedienst Ostpreuáen . 000561 000044 Jahr fr Jahr machten sie Reisen und brachten Andenken aus Pillau , Norwegen , von den Azoren , aus Italien unbesch„digt nach Hause in den Kleinhammerweg , wo er Semmeln buk und sie Kissenbezge mit Mausez„hnchen versah . 000562 000044 wenn Alexander Scheffler nicht sprach , befeuchtete er unermdlich mit der Zungenspitze seine Oberlippe , was ihm Matzeraths Freund , der uns schr„g gegenber wohnende Gemseh„ndler Greff , als unanst„ndige Geschmacklosigkeit belnahm . 000563 000045 obgleich Greff verheiratet war , war er mehr ein Pfadfinderfhrer denn ein Ehemann . 000564 000045 ein Foto zeigt ihn breit , trocken , gesund in kurzhosiger Uniform , mit Fhrerschnren und dem Pfadfinderhut . 000565 000045 neben ihm steht in gleicher Montur ein blonder , etwas zu groá„ugiger , vielleicht dreizehnj„hriger Junge , den Greff mit linker Hand an der Schulter h„lt und Zuneigung bezeugend an sich drckt . 000566 000045 den Jungen kannte ich nicht , aber Greff sollte ich durch seine Frau Lina sp„ter kennen und begreifen lernen . 000567 000045 ich verliere mich zwischen Schnappschssen von KdF-Reisenden: und Zeugnissen zarter Pfadfindererotik . 000568 000045 schnell will ich einige Seiten berbl„ttern und zu mir , zu meiner ersten fotografischen Abbildung kommen . 000569 000045 ich war ein sch”nes Kind . 000570 000045 die Aufnahme wurde Pfingsten fnfundzwanzig gemacht . 000571 000045 acht Monate war ich alt und zwei Monate jnger als Stephan Bronski , der auf der n„chsten Seite im gleichen Format abgebildet ist und unbeschreibliche Gew”hnlichkeit ausstrahlt . 000572 000045 einen gewellten , kunstvoll gerissenen Rand hat die Postkarte , deren Rckseite frs Adressieren liniert , wahrscheinlich in gr”áerer Auflage abgezogen wurde und fr den Familiengebrauch bestimmt war . 000573 000045 der fotografische Ausschnitt zeigt auf dem breitgezogenen Viereck die Form eines allzu symmetrisch geratenen Eies . 000574 000045 nackt und den Dotter versinnbildlichend liege ich b„uchlings auf weiáem Fell , das irgendein arktischer Eisb„r fr einen auf Kinderfotos spezialisierten osteurop„ischen Berufsfotografen gestiftet haben muá . 000575 000045 wie fr viele Fotos jener Zeit hat man auch fr mein erstes Konterfei jenen unverwechselbaren br„unlich warmen Farbton gew„hlt , den ich menschlich im Gegensatz zum unmenschlich glatten Schwarzweiáfoto unserer Tage nennen m”chte . 000576 000045 matt verschwommenes , wahrscheinlich gemaltes Blattwerk erstellt den dunklen , mit wenigen Lichtflecken aufgelockerten Hintergrund . 000577 000045 w„hrend mein glatter , gesunder K”rper in platter Ruhe leicht diagonal auf dem Fell ruht und die polarische Heimat des Eisb„rs auf sich wirken l„át , halte ich den platzrunden Kinderkopf angestrengt hoch , blicke den jeweiligen Beschauer meiner Nacktheit mit Glanzlichtaugen an . 000578 000045 man mag sagen , ein Kinderfoto wie alle Kinderfotos . 000579 000045 betrachten Sie bitte die H„nde : Sie werden zugeben mssen , daá sich mein frhestes Konterfei von den ungez„hlten , immer die gleich niedliche Existenz aufweisenden Blten diverser Fotoalben einpr„gsam unterscheidet . 000580 000045 mit geballten F„usten sieht man mich . 000581 000045 keine Wurstfinger , die selbstvergessen , einem noch dunklen haptischen Trieb gehorchend , mit den Zotteln des Eisb„rfells spielen . 000582 000045 ernst gesammelt schweben die kleinen Griffe zu seiten des Kopfes , immer bereit , niederzufallen , den Ton anzugeben . 000583 000045 welchen Ton ? . 000584 000045 den Trommelton ! . 000585 000046 noch fehlt sie , die man mir anl„álich meiner Geburt unter den Glhbirnen zum dritten Geburtstag versprach ; doch w„re es einem gebten Fotomonteur mehr als leicht , das entsprechende , also verkleinerte Klischee einer Kindertrommel einzurcken , ohne die geringsten Retuschen an meiner K”rperlage vornehmen zu mssen . 000586 000046 nur das dumme , von mir nicht beachtete Stofftier máte fort . 000587 000046 es ist ein Fremdk”rper in dieser sonst gelungenen Komposition , der man jenes scharfsinnige , hellsichtige Alter , da die ersten Milchz„hne durchbrechen wollen , zum Thema stellte . 000588 000046 sp„ter hat man mich nicht mehr auf Eisb„rfelle gelegt , eineinhalb Jahre alt mag ich gewesen sein , da man mich in einem hochr„drigen Kinderwagen vor einen Bretterzaun schob , dessen Zacken und Querverbindungen von einer Schneeschicht dergestalt deutlich nachgezeichnet sind , daá ich annehmen muá , die Aufnahme wurde im Januar sechsundzwanzig gemacht . 000589 000046 die klobige , nach geteertem Holz riechende Machart des Zaunes verbindet sich mir bei l„ngerer Betrachtung mit dem Vorort Hochstrieá , dessen weitl„ufige Kasernenanlagen vormals den Mackensen-Husaren , zu meiner Zeit der Schutzpolizei des Freistaates , als Unterkunft dienten . 000590 000046 da ich mich jedoch an keine Person erinnern kann , die in dem so benannten Vorort wohnte , wird die Aufnahme anl„álich eines einmaligen Besuches meiner Eltern bei Leuten , die man sp„ter nie wieder oder nur flchtig sah , gemacht worden sein . 000591 000046 Mama und Matzerath , die den Kinderwagen zwischen sich halten , tragen trotz der kalten Jahreszeit keine Winterm„ntel . 000592 000046 vielmehr kleidet Mama eine lang„rmelige Russenbluse , deren draufgestickte Ornamente sich dem winterlichen Bild den Eindruck erweckend mitteilen : im tiefsten Ruáland wird eine Aufname der Zarenfamilie gemacht , Rasputin h„lt den Apparat , ich bin der Zarewitsch und hinter dem Zaun hocken Menschewiki und Bolschewiki , beschlieáen , Bomben bastelnd , den Untergang meiner selbstherrscherlichen Familie . 000593 000046 Matzeraths korrektes , mitteleurop„isches , wie man sehen wird , zukunfttr„chtiges Kleinbrgertum bricht der im Foto schlummernden Moritat die gewaltsame Spitze ab . 000594 000046 man war im friedlichen Hochstrieá , verlieá fr einen Augenblick , ohne die Winterm„ntel anzulegen , die Wohnung der Gastgeber , lieá sich mit dem kleinen , wunschgem„á drollig blickenden Oskar in der Mitte vom Hausherrn fotografieren , um es gleich darauf bei Kaffee , Kuchen und Schlagsahne warm , sá und vergngt zu haben . 000595 000046 es gibt noch ein gutes Dutzend Schnappschsse des liegenden , sitzenden , kriechenden , laufenden , einj„hrigen , zweij„hrigen , zweieinhalbj„hrigen Oskar . 000596 000046 die Aufnahmen sind mehr oder weniger gut , bilden insgesamt nur die Vorstufe zu jenem ganzfigrlichen Portr„t , das man anl„álich meines dritten Geburtstages machen lieá . 000597 000046 da habe ich sie , die Trommel . 000598 000046 da h„ngt sie mir gerade , neu und weiárot gezackt vor dem Bauch . 000599 000046 da kreuze ich selbstbewuát und unter ernst entschlossenem Gesicht h”lzerne Trommelst”cke auf dem Blech . 000600 000047 da habe ich einen gestreiften Pullover an . 000601 000047 da stecke ich in gl„nzenden Lackschuhen . 000602 000047 da stehen mir die Haare wie eine putzschtige Brste auf dem Kopf , da spiegelt sich in jedem meiner blauen Augen der Wille zu einer Macht , die ohne Gefolgschaft auskommen sollte . 000603 000047 da gelang mir damals eine Position , die aufzugeben ich keine Veranlassung hatte . 000604 000047 da sagte , da entschloá ich mich , da beschloá ich , auf keinen Fall Politiker und schon gar nicht Kolonialwarenh„ndler zu werden , vielmehr einen Punkt zu machen , so zu verbleiben - und ich blieb so , hielt mich in dieser Gr”áe , in dieser Ausstattung viele Jahre lang . 000605 000047 kleine und groáe Leut' , kleiner und groáer Belt , kleines und groáes ABC: , H„nschenklein und Karl der Groáe , David und Goliath , Mann im Ohr und Gardemaá ; ich blieb der Dreij„hrige , der Gnom , der D„umling , der nicht aufzustockende Dreik„sehoch blieb ich , um Unterscheidungen wie kleiner und groáer Katechismus enthoben zu sein , um nicht als einszweiundsiebzig groáer , sogenannter Erwachsener , einem Mann , der sich selbst vor dem Spiegel beim Rasieren mein Vater nannte , ausgeliefert und einem Gesch„ft verpflichtet zu sein , das , nach Matzeraths Wunsch , als Kolonialwarengesch„ft einem einundzwanzigj„hrigen Oskar die Welt der Erwachsenen bedeuten sollte . 000606 000047 um nicht mit einer Kasse klappern zu mssen , hielt ich mich an die Trommel und wuchs seit meinem dritten Geburtstag keinen Fingerbreit mehr , blieb der Dreij„hrige , aber auch Dreimalkluge , den die Erwachsenen alle berragten , der den Erwachsenen so berlegen sein sollte , der seinen Schatten nicht mit ihrem Schatten messen wollte , der innerlich und „uáerlich vollkommen fertig war , w„hrend jene noch bis ins Greisenalter von Entwicklung faseln muáten , der sich best„tigen lieá , was jene mhsam genug und oftmals unter Schmerzen in Erfahrung brachten , der es nicht n”tig hatte , von Jahr zu Jahr gr”áere Schuhe und Hosen zu tragen , nur um beweisen zu k”nnen , daá etwas im Wachsen sei . 000607 000047 dabei , und hier muá auch Oskar Entwicklung zugeben , wuchs etwas - und nicht immer zu meinem Besten - und gewann schlieálich messianische Gr”áe ; aber welcher Erwachsene hatte zu meiner Zeit den Blick und das Ohr fr den anhaltend dreij„hrigen Blechtrommler Oskar ? . 000608 000047 u+ Glas , Glas , Gl„schen +u . 000609 000047 beschrieb ich soeben ein Foto , das Oskars ganze Figur mit Trommel , Trommelst”cken zeigt , und gab gleichzeitig kund , was fr l„ngstgereifte Entschlsse Oskar w„hrend der Fotografiererei und angesichts der Geburtstagsgesellschaft um den Kuchen mit den drei Kerzen faáte , muá ich jetzt , da das Fotoalbum verschlossen neben mir schweigt , jene Dinge zur Sprache bringen , die zwar meine anhaltende Dreij„hrigkeit nicht erkl„ren , sich aber dennoch - und von mir herbeigefhrt - ereigneten . 000610 000048 von Anfang an war mir klar : die Erwachsenen werden dich nicht begreifen , werden dich , wenn du fr sie nicht mehr sichtbar w„chst , zurckgeblieben nennen , werden dich und ihr Geld zu hundert Žrzten schleppen , und wenn nicht deine Genesung , dann die Erkl„rung fr deine Krankheit suchen . 000611 000048 ich muáte also , um die Konsultationen auf ein ertr„gliches Maá beschr„nken zu k”nnen , noch bevor der Arzt seine Erkl„rung abgab , meinerseits den plausiblen Grund frs ausbleibende Wachstum liefern . 000612 000048 ein sonniger Septembertag , mein dritter Geburtstag . 000613 000048 zarte , nachsommerliche Glasbl„serei , selbst Gretchen Schefflers Gel„chter ged„mpft . 000614 000048 Mama am Klavier aus dem Zigeunerbaron intonierend , Jan hinter ihr und dem Schemelchen stehend , ihre Schulter berhrend , die Noten studieren wollend . 000615 000048 Matzerath schon das Abendbrot vorbereitend in der Kche . 000616 000048 Groámutter Anna mit Hedwig Bronski und Alexander Scheffler zum Gemseh„ndler Greff hinberrckend , weil Greff immer Geschichten wuáte , Pfadfindergeschichten , in deren Verlauf sich Treue und Mut zu beweisen hatten ; dazu eine Standuhr , die keine Viertelstunde des feingesponnenen Septembertages auslieá ; und da alle gleich der Uhr so besch„ftigt waren und sich vom Ungarnland des Zigeunerbarons , ber Greffs Vogesen durchwandernde Pfadfinder eine Linie an Matzeraths Kche vorbei , wo kaschubische Pfifferlinge mit Rhrei und Bauchfleisch in der Pfanne erschraken , zum Laden hin durch den Korridor zog , folgte ich , leichthin auf meiner Trommel dr”selnd , der Flucht , stand schon im Laden hinter dem Ladentisch : fern das Klavier , die Pfifferlinge und Vogesen , und bemerkte , daá die Falltr zum Keller offen stand ; Matzerath , der eine Konservendose mit gemischtem Obst fr den Nachtisch hochgeholt hatte , mochte vergessen haben , sie zu schlieáen . 000617 000048 es bedurfte doch immerhin einer Minute , bis ich begriff , was die Falltr zu unserem Lagerkeller von mir verlangte . 000618 000048 bei Gott , keinen Selbstmord ! . 000619 000048 das w„re wirklich zu einfach gewesen . 000620 000048 das andere jedoch war schwierig , schmerzhaft , verlangte ein Opfer und trieb mir schon damals , wie immer , wenn mir ein Opfer abverlangt wird , den Schweiá auf die Stirn . 000621 000048 vor allen Dingen durfte meine Trommel keinen Schaden nehmen , wohlbehalten galt es , sie die sechzehn ausgetretenen Stufen hinab zu tragen und zwischen den Mehls„cken , ihren unbesch„digten Zustand motivierend , zu placieren . 000622 000048 dann wieder hinauf bis zur achten Stufe , nein , eine tiefer , oder die fnfte t„te es auch . 000623 000048 aber Sicherheit und glaubwrdiger Schaden lieáen sich von dort herab nicht verbinden . 000624 000048 wieder hinauf , zu hoch hinauf auf die zehnte Stufe , und endlich von der neunten Stufe hinab strzte ich mich , ein Regal voller Flaschen mit Himbeersirup mitreiáend , kopfvoran auf den Zementboden unseres Lagerkellers . 000625 000049 noch bevor sich meinem Bewuátsein die Gardine vorzog , best„tigte ich mir den Erfolg des Experimentes : die mit Absicht herabgerissenen Himbeersirupflaschen l„rmten genug , um Matzerath aus der Kche , Mama vom Klavier , den Rest der Geburtstagsgesellschaft aus den Vogesen in den Laden zur offenen Falltr und die Treppe hinunter zu locken . 000626 000049 bevor sie kamen , lieá ich noch den Geruch des flieáenden Himbeersirups auf mich wirken , nahm auch wahr , daá mein Kopf blutete , und berlegte mir noch , w„hrend sie schon auf der Treppe waren , ob wohl Oskars Blut oder die Himbeeren so sá und mde machend rochen , war aber heilfroh , daá alles geklappt und die Trommel dank meiner Vorsicht keinen Schaden genommen hatte . 000627 000049 ich glaube , Greff trug mich hoch . 000628 000049 im Wohnzimmer erst tauchte Oskar wieder aus jener Wolke auf , die wohl zur H„lfte aus Himbeersirup und zur anderen H„lfte aus seinem jungen Blut bestand . 000629 000049 der Arzt war noch nicht da , Mama schrie und schlug Matzerath , der sie beruhigen wollte , mehrmals und nicht nur mit der Handfl„che , auch mit dem Handrcken , ihn einen M”rder nennend , ins Gesicht . 000630 000049 da hatte ich also - und die Žrzte haben es immer wieder best„tigt - mit einem einzigen , zwar nicht harmlosen , aber doch von mir wohldosierten Sturz nicht nur den fr die Erwachsenen so wichtigen Grund des ausbleibenden Wachstums geliefert , sondern als Zugabe und ohne es eigentlich zu wollen , den guten harmlosen Matzerath zu einem schuldigen Matzerath gemacht . 000631 000049 er hatte die Falltr offen gelassen , ihm wurde von Mama alle Schuld aufgebrdet , und er hatte Gelegenheit , Jahre an dieser Schuld , die ihm Mama zwar nicht oft , aber dann unerbittlich vorwarf , zu tragen . 000632 000049 mir brachte der Sturz vier Wochen Krankenhausaufenthalt ein und danach , bis auf die sp„teren Mittwochbesuche bei Dr. Hollatz , verh„ltnism„áige Ruhe vor den Žrzten ; schon anl„álich meines ersten Trommlertages war es mir gelungen , der Welt ein Zeichen zu geben , mein Fall war gekl„rt , bevor die Erwachsenen ihn dem wahren , von mir bestimmten Sachverhalt nach begriffen hatten . 000633 000049 fortan hieá es : an seinem dritten Geburtstag strzte unser kleiner Oskar die Kellertreppe hinunter , blieb zwar sonst beieinander , nur wachsen wollte er nicht mehr . 000634 000049 und ich begann zu trommeln . 000635 000049 unser Mietshaus z„hlte vier Etagen . 000636 000049 vom Parterre bis zu den Bodenverschl„gen trommelte ich mich hoch und wieder treppab . 000637 000049 vom Labesweg zum Max-Halbe-Platz , von dort nach Neuschottland , Anton-M”ller-Weg , Marienstraáe , Kleinhammerpark , Aktienbierbrauerei , Aktienteich , Fr”belwiese , Pestalozzischule , Neuer Markt und wieder hinein in den Labesweg . 000638 000049 meine Trommel hielt das aus , die Erwachsenen weniger , wollten meiner Trommel ins Wort fallen , wollten meinem Blech im Wege sein , wollten meinen Trommelst”cken ein Bein stellen - aber die Natur sorgte fr mich . 000639 000050 die F„higkeit , mittels einer Kinderblechtrommel zwischen mir und den Erwachsenen eine notwendige Distanz ertrommeln zu k”nnen , zeitigte sich kurz nach dem Sturz von der Kellertreppe fast gleichzeitig mit dem Lautwerden einer Stimme , die es mir erm”glichte , in derart hoher Lage anhaltend und vibrierend zu singen , zu schreien oder schreiend zu singen , daá niemand es wagte , mir meine Trommel , die ihm die Ohren welk werden lieá , wegzunehmen ; denn wenn mir die Trommel genommen wurde , schrie ich , und wenn ich schrie , zersprang Kostbarstes : ich war in der Lage , Glas zu zersingen ; mein Schrei t”tete Blumenvasen ; mein Gesang lieá Fensterscheiben ins Knie brechen und Zugluft regieren ; meine Stimme schnitt gleich einem keuschen und deshalb unerbittlichen Diamanten Vitrinen auf und verging sich im Inneren der Vitrinen , ohne dabei die Unschuld zu verlieren , an harmonischen , edel gewachsenen , von lieber Hand geschenkten , leicht verstaubten Lik”rgl„sern . 000640 000050 es dauerte nicht lange , und meine F„higkeiten wurden in unserer Straáe , vom Br”sener Weg bis zur Siedlung am Flugplatz , also im ganzen Quartier bekannt . 000641 000050 sahen mich die Kinder der Nachbarschaft , deren Spiele wie z+ " saurer Hering , eins , zwei drei " +z oder z+ " ist die Schwarze K”chin da " +z oder z+ " ich sehe was , was du nicht siehst " +z - meine Anteilnahme nicht fanden , pl„rrte auch schon ein ganzer ungewaschener Chor : z+ Glas , Glas , Gl„schen , Zucker ohne Bier , Frau Holle macht das Fenster auf und spielt Klavier +z . 000642 000050 gewiá , ein dummer und nichtssagender Kindervers . 000643 000050 mich st”rte das Liedchen kaum , wenn ich hinter meiner Trommel mitten hindurch , durch Gl„schen und Frau Holle stampfte , dabei den einf„ltigen Rhythmus , der ja nicht ohne Reiz ist , aufnahm und Glas , Glas , Gl„schen trommelnd , ohne ein Rattenf„nger zu sein , die Kinder nachzog . 000644 000050 auch heute noch , etwa wenn Bruno die Scheiben meines Zimmerfensters putzt , r„ume ich diesem Vers und Rhythmus auf meiner Trommel ein Pl„tzchen ein . 000645 000050 st”render als das Spottlied der Nachbarskinder und „rgerlicher , besonders fr meine Eltern , war die kostspielige Tatsache , daá mir oder vielmehr meiner Stimme jede in unserem Viertel von mutwilligen , unerzogenen Rowdys zerworfene Fensterscheibe zur Last gelegt wurde . 000646 000050 anfangs bezahlte Mama auch treu und brav die zumeist mit Katapultschleudern zertrmmerten Kchenfensterscheiben , dann endlich begriff auch sie mein Stimmph„nomen , forderte bei Schadenansprchen Beweise und machte dabei sachlich khlgraue Augen . 000647 000050 die Leute der Nachbarschaft taten mir wirklich Unrecht . 000648 000050 nichts war zu dem Zeitpunkt verfehlter , als anzunehmen , es bes„áe mich kindliche Zerst”rungswut , ich f„nde das Glas oder Glasprodukte auf jene unerkl„rliche Art hassenswert , wie eben Kinder manchmal ihre dunklen und planlosen Abneigungen in wtigen Amokl„ufen demonstrieren . 000649 000051 nur wer spielt , zerst”rt mutwillig . 000650 000051 ich spielte nie , ich arbeitete auf meiner Trommel , und was meine Stimme anging , gehorchte diese vorerst nur der Notwehr . 000651 000051 allein Sorge um den Fortbestand meiner Arbeit auf der Trommel hieá mich , meine Stimmb„nder so zielstrebig zu gebrauchen . 000652 000051 wenn es mir m”glich gewesen w„re , mit den gleichen T”nen und Mitteln etwa langweilige , kreuz und quer bestickte , Gretchen Schefflers Musterphantasie entsprungene Tischtcher zu zerschneiden oder die dstere Politur vom Klavier zu l”sen , h„tte ich alles Gl„serne mit Freude heil und klangvoll belassen . 000653 000051 doch meiner Stimme blieben Tischdecken und Polituren gleichgltig . 000654 000051 weder gelang es mir , mit unermdlichem Schrei das Tapetenmuster zu l”schen , noch mit zwei langgezogenen , auf und ab schwellenden , sich steinzeitlich mhsam aneinander reibenden T”nen W„rme bis Hitze zu erzeugen , endlich den Funken springen zu lassen , der n”tig gewesen w„re , die zundertrockenen , tabakrauchgewrzten Gardinen vor den beiden Fenstern des Wohnzimmers zu dekorativen Flammen werden zu lassen . 000655 000051 keinem Stuhl , auf dem etwa Matzerath oder Alexander Scheffler saáen , sang ich das Bein ab . 000656 000051 gerne h„tte ich mich harmloser und weniger wunderbar gewehrt , aber nichts Harmloses wollte mir dienen , einzig das Glas h”rte auf mich und muáte dafr bezahlen . 000657 000051 die erste erfolgreiche Darbietung dieser Art bot ich kurz nach meinem dritten Geburtstag . 000658 000051 ich besaá die Trommel damals vielleicht reichliche vier Wochen und hatte sie w„hrend dieser Zeit , fleiáig wie ich war , kaputtgeschlagen . 000659 000051 zwar hielt die weiárot geflammte Einfassung noch Trommelboden und Trommelfl„che zusammen , aber das Loch in der Mitte der tonangebenden Seite lieá sich nicht mehr bersehen , wurde , da ich den Trommelboden verschm„hte , auch immer gr”áer , franste aus , bekam zackige , scharfe R„nder , dnngetrommelte Blechteilchen splitterten ab , fielen ins Innere der Trommel , klapperten miágelaunt bei jedem Schlag mit , und berall auf dem Teppich des Wohnzimmers und auf den rotbraunen Dielen des Schlafzimmers schimmerten weiáe Lackpartikel , die es auf meinem gemarterten Trommelblech nicht mehr hatten aushalten wollen . 000660 000051 man befrchtete , ich wrde mich an den gef„hrlich scharfen Blechkanten reiáen . 000661 000051 besonders Matzerath , der nach meinem Sturz von der Kellertreppe Vorsicht mit Vorsicht berbot , riet mir Vorsicht beim Trommeln an . 000662 000051 da ich mit den Pulsadern tats„chlich immer und in heftigster Bewegung dem gezackten Kraterrand nahe war , muá ich zugeben , daá Matzeraths Befrchtungen zwar bertrieben , doch nicht ganz grundlos waren . 000663 000051 nun h„tte man mit einer neuen Trommel alle Gefahr aus dem Wege r„umen k”nnen ; sie aber dachten gar nicht an eine neue Trommel , wollten mir mein gutes altes Blech , das mit mir strzte , ins Krankenhaus kam und mit mir gleichzeitig entlassen wurde , das mit mir treppauf treppab , das mit mir auf Kopfsteinpflaster und Brgersteigen , durch z+ " saurer Hering , eins , zwei , drei " +z hindurch und an z+ " ich sehe was , was du nicht siehst " +z , an der z+ " Schwarzen K”chin " +z vorbei , dieses Blech wollten sie mir wegnehmen und keinen Ersatz heranschaffen . 000664 000052 dumme Schokolade sollte mich k”dern . 000665 000052 Mama hielt sie und machte einen spitzen Mund dabei . 000666 000052 Matzerath war es , der mit gemachter Strenge nach meinem invaliden Instrument griff . 000667 000052 ich klammerte mich an das Wrack . 000668 000052 er zog . 000669 000052 schon lieáen meine gerade frs Trommeln bemessenen Kr„fte nach . 000670 000052 langsam entglitt mir eine rote Flamme nach der anderen , schon wollte mir das Rund der Einfassung entschlpfen , da gelang Oskar , der bis zu jenem Tage als ein ruhiges , fast zu braves Kind gegolten hatte , jener erste zerst”rerische und wirksame Schrei : die runde geschliffene Scheibe , die das honiggelbe Zifferblatt unserer Standuhr vor Staub und sterbenden Fliegen schtzte , zersprang , fiel , teilweise nochmals zerscherbend , auf die braunroten Dielen - denn der Teppich reichte nicht ganz bis zur Standfl„che der Uhr hin . 000671 000052 das Innere des kostbaren Werkes nahm jedoch keinen Schaden : ruhig setzte das Pendel - wenn man so von einem Pendel sagen kann - seinen Weg fort , desgleichen die Zeiger . 000672 000052 nicht einmal das L„utwerk , das sonst empfindlich , ja fast hysterisch auf den geringsten Stoá , auf drauáen vorbeirollende Bierwagen reagierte , zeigte sich durch meinen Schrei beeindruckt ; allein die Scheibe sprang , jedoch zersprang sie grndlich . 000673 000052 " die Uhr ist kaputt ! " rief Matzerath und lieá die Trommel los . 000674 000052 mit knappem Blick berzeugte ich mich , daá mein Schrei der eigentlichen Uhr keinen Schaden angetan hatte , daá nur das Glas hinber war . 000675 000052 fr Matzerath jedoch , auch fr Mama und Onkel Jan Bronski , der an jenem Sonntagnachmittag seine Visite machte , schien mehr als das Glas vorm Zifferblatt kaputt zu sein . 000676 000052 bleich und mit hilflos verrutschenden Blicken „ugten sie einander an , tasteten nach dem Kachelofen , hielten sich am Klavier und Bfett , wagten sich nicht vom Fleck , und Jan Bronski bewegte trockene Lippen unter flehentlich verdrehtem Auge , daá ich noch heute glaube , des Onkels Bemhungen galten dem Wortlaut eines Hilfe und Erbarmen fordernden Gebetes , wie etwa : z+ oh , du Lamm Gottes , du nimmst hinweg die Snden der Welt +z - f+ Miserere Nobis +f . 000677 000052 und diesen Text dreimal und hernach noch ein : o Herr , ich bin nicht wrdig , daá du eingehst unter mein Dach ; aber sprich nur ein Wort ... . 000678 000052 natrlich sprach der Herr kein Wort . 000679 000052 es war ja auch nicht die Uhr kaputt , nur das Glas . 000680 000052 es ist aber das Verh„ltnis der Erwachsenen zu ihren Uhren h”chst sonderbar und kindisch in jenem Sinne , in welchem ich nie ein Kind gewesen bin . 000681 000052 dabei ist die Uhr vielleicht die groáartigste Leistung der Erwachsenen . 000682 000052 aber wie es nun einmal ist : im selben Maá , wie die Erwachsenen Sch”pfer sein k”nnen und bei Fleiá , Ehrgeiz und einigem Glck auch sind , werden sie gleich nach der Sch”pfung Gesch”pfe ihrer eigenen epochemachenden Erfindungen . 000683 000052 dabei ist die Uhr nach wie vor nichts ohne den Erwachsenen . 000684 000052 er zieht sie auf , er stellt sie vor oder zurck , er bringt sie zum Uhrmacher , damit der sie kontrolliere , reinige und notfalls repariere . 000685 000053 „hnlich wie beim Kuckucksruf , der zu frh ermdet , beim umgestrzten Salzf„áchen , beim Spinnen am Morgen , schwarzen Katzen von links , beim ™lbild des Onkels , das von der Wand f„llt , weil sich der Haken im Putz lockerte , „hnlich wie beim Spiegel sehen die Erwachsenen hinter und in der Uhr mehr , als eine Uhr darzustellen vermag . 000686 000053 Mama , die trotz einiger schw„rmerisch phantastischer Zge den nchternsten Blick hatte , auch leichtsinnig , wie sie sein konnte , jedes vermeintliche Zeichen stets zu ihrem Besten wertete , fand damals das erl”sende Wort . 000687 000053 " Scherben bringen Glck ! " rief sie fingerschnalzend , holte Kehrblech und Handfeger und kehrte die Scherben oder das Glck zusammen . 000688 000053 ich habe , wenn ich mich auf Mamas Worte berufen will , meinen Eltern , den Verwandten , bekannten und auch unbekannten Leuten viel Glck gebracht , indem ich jedem , der mir meine Trommel wegnehmen wollte , Fensterscheiben , volle Biergl„ser , leere Bierflaschen , den Frhling freigebende Parfmflakons , Kristallschalen mit Zierobst , kurz , alles was gl„sern aus Glashtten dank Glasbl„sers Atem hervorgebracht wurde , teils nur mit Glases Wert , teils als knstlerische Gl„schen auf den Markt kam , zerschrie , zersang , zerscherbte . 000689 000053 um nicht allzuviel Schaden anzurichten , denn ich liebte und liebe heute noch sch”ngeformte Glasprodukte , zermrbte ich , wenn man mir abends meine Blechtrommel nehmen wollte , die ja zu mir ins Bettchen geh”rte , eine oder mehrere Glhbirnen unserer viermal sich Mhe gebenden Wohnzimmerh„ngelampe . 000690 000053 so versetzte ich an meinem vierten Geburtstag , Anfang September achtundzwanzig , die versammelte Geburtstagsgesellschaft , die Eltern , die Bronskis , die Groámutter Koljaiczek , Schefflers und Greffs , die mir alles m”gliche geschenkt hatten , Bleisoldaten , ein Segelschiff , ein Feuerwehrauto - nur keine Blechtrommel ; sie alle , die da haben wollten , daá ich mich mit Bleisoldaten abg„be , daá ich den Irrsinn einer Feuerwehr spielenswert f„nde , die mir meine zerschlagene , aber brave Trommel nicht g”nnten , die mir das Blech nehmen und dafr das alberne , obendrein unsachgem„á mit Segeln besetzte Schiffchen in die H„nde drcken wollten , alle die da Augen hatten , um mich und meine Wnsche zu bersehen , versetzte ich mit einem rundlaufenden , alle vier Glhbirnen unserer H„ngelampe t”tenden Schrei in vorweltliche Finsternis . 000691 000053 wie nun Erwachsene einmal sind : nach den ersten Schreckensrufen , fast inbrnstigem Verlangen nach Wiederkehr des Lichtes , gew”hnten sie sich an die Dunkelheit , und als meine Groámutter Koljaiczek , die als einzige auáer dem kleinen Stephan Bronski der Finsternis nichts abgewinnen konnte , mit dem pl„rrenden Stephan am Rock Talgkerzen aus dem Laden holte und mit brennenden Kerzen , das Zimmer aufhellend , zurckkam , zeigte sich die restliche , stark angetrunkene Geburtstagsgesellschaft in merkwrdiger Paarung . 000692 000054 wie zu erwarten war , hockte Mama mit verrutschter Bluse auf Jan Bronskis Schoá . 000693 000054 unappetitlich war es , den kurzbeinigen B„ckermeister Alexander Scheffler fast in der Greffschen verschwinden zu sehen . 000694 000054 Matzerath leckte an Gretchen Schefflers Gold- und Pferdez„hnen . 000695 000054 nur Hedwig Bronski saá mit im Kerzenlicht frommen Kuhaugen , die H„nde im Schoá haltend , nahe aber nicht zu nahe dem Gemseh„ndler Greff , der nichts getrunken hatte und dennoch sang , sá sang , melancholisch , Wehmut mitschleppend sang , Hedwig Bronski zum Mitsingen auffordernd sang . 000696 000054 ein zweistimmig Pfadfinderlied sangen sie , nach dessen Text ein gewisser Rbezahl durchs Riesengebirge zu geistern hatte . 000697 000054 mich hatte man vergessen . 000698 000054 unter dem Tisch saá Oskar mit dem Fragment seiner Trommel , holte noch etwas Rhythmus aus dem Blech heraus , und es mochte sich ergeben haben , daá die sparsamen , aber gleichm„áigen Trommelger„usche jenen , die da vertauscht und verzckt im Zimmer lagen oder saáen , nur angenehm sein konnten . 000699 000054 denn wie Firnis verdeckte die Trommelei Schmatz- und Saugt”ne , die jenen bei all den fieberhaften und angestrengten Beweisen ihres Fleiáes unterliefen . 000700 000054 ich blieb auch unter dem Tisch , als meine Groámutter kam , mit den Kerzen einem zornigen Erzengel glich , im Kerzenschein Sodom besichtigte , Gomorrha erkannte , mit zitternden Kerzen Krach schlug , das alles eine Sauerei nannte und die Idylle wie Rbezahls Spazierg„nge durch das Riesengebirge beendete , indem sie die Kerzen auf Untertassen stellte , Skatkarten vom Bfett langte , auf den Tisch warf und , den immer noch greinenden Stephan tr”stend , den zweiten Teil der Geburtstagsfeier ankndigte . 000701 000054 bald darauf schraubte Matzerath neue Glhbirnen in die alten Fassungen unserer H„ngelampe , Sthle wurden gerckt , Bierflaschen schnalzten aufspringend ; man begann ber mir einen Zehntelpfennigskat zu kloppen . 000702 000054 Mama schlug gleich zu Anfang einen Viertelpfennigskat vor , aber das war dem Onkel Jan zu riskant , und wenn nicht Bockrunden und ein gelegentlicher Grand mit Viern den Einsatz dann und wann betr„chtlich erh”ht h„tten , w„re es bei der Zehntelpfennigfuchserei geblieben . 000703 000054 ich fhlte mich wohl unter der Tischplatte , im Windschatten des herabh„ngenden Tischtuches . 000704 000054 leichthin trommelnd begegnete ich den ber mir Karten dreschenden F„usten , ordnete mich dem Verlauf der Spiele unter und meldete mir nach einer knappen Stunde Skat : Jan Bronski verlor . 000705 000054 er hatte gute Karten , verlor aber trotzdem . 000706 000054 kein Wunder , da er nicht aufpaáte . 000707 000054 hatte ganz andere Dinge im Kopf als seinen Karo ohne Zweien . 000708 000054 hatte sich gleich zu Anfang des Spiels , noch mit seiner Tante redend , die kleine Orgie von vorher banalisierend , den schwarzen Halbschuh vom linken Fuá gestreift und mit graubesocktem linken Fuá an meinem Kopf vorbei das Knie meiner Mama , die ihm gegenber saá , gesucht und auch gefunden . 000709 000054 kaum berhrt , rckte Mama n„her an den Tisch heran , so daá Jan , der gerade von Matzerath gereizt wurde und bei dreiunddreiáig paáte , den Saum ihres Kleides lpfend erst mit der Fuáspitze , dann mit dem ganzen gefllten Socken , der allerdings vom selben Tage und beinah frisch war , zwischen ihren Schenkeln wandern konnte . 000710 000055 alle Bewunderung fr meine Mama , die trotz dieser wollenen Bel„stigung unter der Tischplatte oben auf strammem Tischtuch die gewagtesten Spiele , darunter einen Kreuz ohne Viern , sicher und von humorigster Rede begleitet , gewann , w„hrend Jan mehrere Spiele , die selbst Oskar mit schlafwandlerischer Sicherheit nach Hause gebracht h„tte , unten immer forscher werdend , oben verlor . 000711 000055 sp„ter kroch noch das mde Stephanchen unter den Tisch , schlief dort bald ein und begriff vorm Einschlafen nicht , was seines Vaters Hosenbein unterm Kleid meiner Mama suchte . 000712 000055 heiter bis wolkig . 000713 000055 leichte Schauer am Nachmittag . 000714 000055 am n„chsten Tag schon kam Jan Bronski , holte sein fr mich bestimmtes Geburtstagsgeschenk , das Segelschiff ab , tauschte das drftige Spielzeug beim Sigismund Markus in der Zeughauspassage gegen eine Blechtrommel ein , kam leicht verregnet am sp„ten Nachmittag mit jener mir so vertraut weiárot geflammten Trommel zu uns , hielt sie mir hin , faáte gleichzeitig das gute alte Blechwrack , dem nur Fragmente weiároten Lackes geblieben waren . 000715 000055 und w„hrend Jan das mde Blech , ich das frische faáten , blieben Jans , Mamas , Matzeraths Augen auf Oskar gerichtet - fast muáte ich l„cheln - ja dachten die denn , ich klebte am Althergebrachten , n„hrte Prinzipien in meiner Brust ? . 000716 000055 ohne den von allen erwarteten Schrei , ohne den glast”tenden Gesang laut werden zu lassen , gab ich die Schrotttrommel ab und widmete mich sogleich mit beiden H„nden dem neuen Instrument . 000717 000055 nach zwei Stunden aufmerksamster Trommelei hatte ich mich eingespielt . 000718 000055 doch nicht alle Erwachsenen meiner Umgebung zeigten sich so einsichtig wie Jan Bronski . 000719 000055 kurz nach meinem fnften Geburtstag im Jahre neunundzwanzig - man erz„hlte sich damals viel von einem New Yorker B”rsenkrach , und ich berlegte , ob auch mein mit Holz handelnder Groávater Koljaiczek im fernen Buffalo Verluste zu erleiden hatte - begann Mama , durch mein nun nicht mehr zu bersehendes , ausbleibendes Wachstum beunruhigt , mich bei der Hand nehmend , mit den Mittwochbesuchen in der Praxis des Dr. Hollatz im Brunsh”ferweg . 000720 000055 ich lieá mir die beraus l„stigen und endlos w„hrenden Untersuchungen gefallen , weil mir die weiáe , dem Auge wohltuende Schwesterntracht der Schwester Inge , die dem Hollatz helfend zur Seite stand , schon damals gefiel , an Mamas im Foto festgehaltene Krankenschwesternzeit w„hrend des Krieges erinnerte , und es mir durch intensive Besch„ftigung mit dem immer neuen Faltenwurf der Pflegerinnentracht gelang , den r”hrenden , betont kraftvollen , dann wieder unangenehm onkelhaften Wortschwall des Arztes zu berh”ren . 000721 000055 mit den Brillengl„sern das Inventar der Praxis spiegelnd - es gab da viel Chrom , Nickel und Schleiflack ; dazu Regale , Vitrinen , in denen sauber beschriftete Gl„ser mit Schlangen , Molchen , Kr”ten , Schweine- , Menschen- und Affenembryonen standen - diese Frchte im Spiritus mit dem Brillenglas einfangend , schttelte Hollatz nach den Untersuchungen bedenklich und in meiner Krankengeschichte bl„tternd den Kopf , lieá sich immer wieder von Mama meinen Sturz von der Kellertreppe erz„hlen und beruhigte sie , wenn sie Matzerath , der die Falltr offen gelassen hatte , hemmungslos beschimpfte und fr alle Zeiten schuldig sprach . 000722 000056 als er mir nach Monaten anl„álich eines Mittwochbesuches , wahrscheinlich um sich , vielleicht auch der Schwester Inge den Erfolg seiner bisherigen Behandlung zu beweisen , meine Trommel nehmen wollte , zerst”rte ich ihm den gr”áten Teil seiner Schlangen- und Kr”tensammlung , auch alles was er an Embryonen verschiedenster Herkunft zusammengetragen hatte . 000723 000056 von gefllten , aber nicht abgedeckten Biergl„sern abgesehen und Mamas Parfmflakons ausgenommen , war es das erste Mal , daá Oskar sich an einer Menge gefllter und peinlich verschlossener Gl„ser versuchte . 000724 000056 der Erfolg war einzigartig und fr alle Beteiligten , selbst fr Mama , die ja mein Verh„ltnis zum Glas kannte , berw„ltigend , berraschend . 000725 000056 gleich mit dem ersten noch sparsam beschnittenen Ton schnitt ich die Vitrine , in der Hollatz all seine ekelhaften Merkwrdigkeiten verwahrte , der L„nge und Breite nach auf , lieá sodann eine nahezu quadratische Scheibe aus der Ansichtsseite der Vitrine vornber klappen und auf den Linoleumfuáboden fallen , wo sie platt auf dem Boden , die quadratische Form bewahrend , tausendmal zersprang , gab dann dem Schrei etwas mehr Profil und eine geradezu verschwenderische Dringlichkeit , besuchte mit diesem so reich ausgersteten Ton ein Reagenzglas nach dem anderen . 000726 000056 die Gl„ser sprangen knallend . 000727 000056 der grnliche , teilweise eingedickte Alkohol spritzte , floá , seine pr„parierten , blassen , etwas vergr„mt dreinschauenden Einschlsse mit sich fhrend ber den roten Linoleumboden der Praxis und fllte mit , m”chte sagen , greifbarem Geruch den Raum dergestalt , daá Mama bel wurde und Schwester Inge die Fenster zum Brunsh”ferweg hin ”ffnen muáte . 000728 000056 Dr. Hollatz verstand es , den Verlust seiner Sammlung in einen Erfolg umzubiegen . 000729 000056 wenige Wochen nach meinem Attentat erschien von seiner Hand in der Fachzeitschrift " Arzt und Welt " ein Aufsatz ber mich , das glaszersingende Stimmph„nomen Oskar M. . 000730 000056 die dort auf ber zwanzig Seiten vertretene These des Dr. Hollatz soll in Fachkreisen des In- und Auslandes Aufsehen erregt , Widerspruch , aber auch Zuspruch aus berufenem Munde gefunden haben . 000731 000056 Mama , der mehrere Exemplare der Zeitschrift zugeschickt wurden , war auf eine mich nachdenklich stimmende Art ber den Aufsatz stolz und konnte es nicht lassen , den Greffs , Schefflers , ihrem Jan und immer wieder nach Tisch ihrem Gatten Matzerath daraus vorzulesen . 000732 000056 selbst die Kunden des Kolonialwarengesch„ftes muáten sich Lesungen aus dem Artikel gefallen lassen und bewunderten auch Mama , die die Fachausdrcke zwar falsch , aber phantasievoll betonte , nach Gebhr . 000733 000057 mir selbst sagte die Tatsache , daá da mein Vorname zu erstenmal in einer Zeitung Platz fand , so viel wie gar nichts . 000734 000057 meine schon damals hellwache Skepsis lieá mich das Werkchen des Dr. Hollatz als das werten , was es , genau besehen , darstellte : als das seitenlange , nicht ungeschickt formulierte Vorbeireden eines Arztes , der auf einen Lehrstuhl spekulierte . 000735 000057 heute , in seiner Heil- und Pflegeanstalt , da seine Stimme nicht mal sein Zahnputzglas zu rhren vermag , da „hnliche Žrzte wie jener Hollatz bei ihm ein und aus gehen , sogenannte Rorschachversuche , Assoziationsversuche und sonstige Tests mit ihm anstellen , damit seine Zwangseinweisung endlich einen klingenden Vornamen bekommt , heute denkt Oskar gerne an die archaische Frhzeit seiner Stimme zurck . 000736 000057 wenn er in jener ersten Periode nur notfalls , dann allerdings grndlich Quarzsandprodukte zersang , machte er sp„ter , w„hrend der Blte- und Verfallszeit seiner Kunst , Gebrauch von seinen F„higkeiten , ohne „uáeren Zwang zu verspren . 000737 000057 aus bloáem Spieltrieb , dem Manierismus einer Sp„tepoche verfallend , dem f+ l'art: pour: l'art: +f ergeben , sang Oskar sich dem Glas ins Gefge und wurde „lter dabei . 000738 000057 u+ der Stundenplan +u . 000739 000057 Klepp schl„gt zeitweise Stunden mit dem Entwerfen von Stundenpl„nen tot . 000740 000057 daá er w„hrend des Entwerfens st„ndig Blutwurst und angew„rmte Linsen in sich hineinschlingt , best„tigt meine These , die schlankweg behauptet : Tr„umer sind Fresser . 000741 000057 daá Klepp beim Ausfllen der Rubriken nicht ohne Fleiá ist , gibt meiner anderen These recht : nur wahre Faulpelze k”nnen arbeitsparende Erfindungen machen . 000742 000057 auch in diesem Jahr gab sich Klepp ber vierzehn Tage lang Mhe , seinen Tag in Stunden zu planen . 000743 000057 als er mich gestern besuchte , tat er erst l„ngere Zeit geheimnisvoll , fischte dann das neunmal gefaltete Papier aus der Brusttasche , reichte es mir strahlend , schon selbstgef„llig ; er hatte wieder einmal eine arbeitsparende Erfindung gemacht . 000744 000057 ich berflog den Zettel , viel Neues brachte er nicht : um zehn Frhstck , bis zum Mittagessen Nachdenken , nach dem Essen ein Stndchen Schlaf , dann Kaffee - wenn m”glich ans Bett , im Bett sitzend eine Stunde Fl”te , aufstehend und umhermarschierend eine Stunde Dudelsack im Zimmer , eine halbe Stunde Dudelsack im Freien auf dem Hof , jeden zweiten Tag wechselnd , entweder zwei Stunden Bier und Blutwurst oder zwei Stunden Kino , in jedem Fall aber vor dem Kino oder beim Bier unauff„lliges Werben fr die illegale KPD: - halbe Stunde - nicht bertreiben ! . 000745 000057 die Abende fllte an drei Wochentagen Tanzmusik-Machen im " Einhorn " aus , am Sonnabend wurde das Nachmittagsbier mit KPD-Werbung: auf den Abend verlegt , weil der Nachmittag fr das Bad mit Massage in der Grnstraáe reserviert war ; und danach ins " U 9 " , ein Dreiviertelstndchen lang Hygiene mit M„dchen , dann mit demselben M„dchen und Freundin des M„dchens bei Schwab Kaffee und Kuchen , noch kurz vor Gesch„ftsschluá Rasieren , wenn n”tig Haareschneiden , schnell Foto machen lassen bei Fotomaton , dann Bier , Blutwurst , KPD-Werbung: und Behaglichkeit . 000746 000058 ich lobte Klepps s„uberlich hingemaltes Maáwerk , bat ihn um eine Abschrift , wollte wissen , wie er gelegentlich tote Punkte berwinde . 000747 000058 " schlafen oder an KPD: denken " , gab mir Klepp nach krzestem Sinnen zur Antwort . 000748 000058 ob ich ihm erz„hlte , wie Oskar Bekanntschaft mit seinem ersten Stundenplan machte ? . 000749 000058 es begann harmlos mit Tante Kauers Kindergarten . 000750 000058 Hedwig Bronski holte mich jeden Morgen ab , brachte mich mit ihrem Stephan zur Tante Kauer in den Posadowskiweg , wo wir mit sechs bis zehn G”ren - einige waren immer krank - bis zum Erbrechen spielen muáten . 000751 000058 zum Glck galt meine Trommel als Spielzeug , und es wurden mir keine Baukl”tze aufgezwungen und Schaukelpferde nur dann untergeschoben , wenn man einen trommelnden Reiter mit Papierhelm brauchte . 000752 000058 als Trommelvorlage diente mir Tante Kauers schwarzseidenes , tausendmal gekn”pftes Kleid . 000753 000058 getrost kann ich sagen , es gelang mir auf meinem Blech , das dnne , nur aus F„ltchen bestehende Fr„ulein mehrmals am Tage an- und auszuziehen , indem ich sie trommelnd auf- und zukn”pfte , ohne eigentlich ihren K”rper zu meinen . 000754 000058 die Spazierg„nge am Nachmittag durch Kastanienalleen zum Jeschkentaler Wald , den Erbsberg hoch , am Gutenbergdenkmal vorbei , waren so angenehm langweilig und unbeschwert albern , daá ich mir heute noch Bilderbuchspazierg„nge an Tante Kauers Papierhand wnsche . 000755 000058 ob wir acht oder zw”lf G”ren waren , wir muáten ins Geschirr . 000756 000058 dieses Geschirr bestand aus einer hellblauen , gestickten , eine Deichsel meinenden Leine . 000757 000058 sechsmal ergab sich links und rechts dieser Wolldeichsel wollenes Zaumzeug fr insgesamt zw”lf G”ren . 000758 000058 alle zehn Zentimeter hing eine Schelle . 000759 000058 vor Tante Kauer , die die Zgel fhrte , trotteten wir klingelingeling machend , plappernd , ich z„hflssig trommelnd , durch herbstliche Vorortstraáen . 000760 000058 dann und wann stimmte Kauer z+ " Jesus dir leb' ich , Jesus dir sterb' ich " +z an oder auch , z+ " Meerstern ich dich gráe " +z , was die Straáenpassanten rhrte , wenn wir z+ " oh Maria hilf " +z und z+ " Gottesmutter , shhháe " +z der klaren Oktoberluft anvertrauten . 000761 000058 sobald wir die Hauptstraáe berquerten , muáte der Verkehr aufgehalten werden . 000762 000058 Straáenbahnen , Autos , Pferdefuhrwerke stauten sich , wenn wir den Meerstern ber den Fahrdamm hinber sangen . 000763 000058 jedesmal bedankte sich dann Tante Kauer mit knisternder Hand bei dem uns das Geleit gebenden Verkehrspolizisten . 000764 000058 " unser Herr Jesus wird Ihnen den Lohn geben " , versprach sie und raschelte mit dem Seidenkleid . 000765 000059 eigentlich habe ich es bedauert , als Oskar im Frhjahr , nach seinem sechsten Geburtstag , Stephans wegen und mit ihm zusammen das auf- und zukn”pfbare Fr„ulein Kauer verlassen muáte . 000766 000059 wie immer , wenn Politik im Spiele ist , kam es zu Gewaltt„tigkeiten . 000767 000059 wir waren auf dem Erbsberg , Tante Kauer nahm uns das Wollgeschirr ab , das Jungholz gl„nzte , in den Zweigen begann es sich zu mausern . 000768 000059 Tante Kauer saá auf einem Wegstein , der unter wucherndem Moos verschiedene Richtungen fr ein- bis zweistndige Spazierg„nge angab . 000769 000059 gleich einem M„dchen , das nicht weiá , wie ihm im Frhling ist , tr„llerte sie mit ruckhaften Kopfbewegungen , die man sonst nur noch bei Perlhhnern beobachten kann , und strickte uns ein neues Geschirr , verteufelt rot sollte es werden , leider durfte ich es nie tragen : denn da gab es Geschrei im Gebsch , Fr„ulein Kauer flatterte auf , st”ckelte mit Gestricktem , roten Wollfaden nach sich ziehend , dem Geschrei und Gebsch zu . 000770 000059 ich folgte ihr und dem Faden , sollte sogleich noch mehr Rot sehen : Stephans Nase blutete heftig und einer , der Lothar hieá , gelockt war und blaue Žderchen an den Schl„fen zeigte , hockte dem windigen und so wehleidigen Kerlchen auf der Brust und tat , als wollte er dem Stephan die Nase nach innen schlagen . 000771 000059 " Pollack " , zischte er zwischen Schlag und Schlag . 000772 000059 " Pollack ! " . 000773 000059 als Tante Kauer uns fnf Minuten sp„ter wieder im hellblauen Geschirr hatte - nur ich lief frei und wickelte den roten Faden auf - , sprach sie uns allen ein Gebet vor , das man normalerweise zwischen Opfer und Wandlung hersagt : z+ " besch„mt , voll Reue und Schmerz ... " +z . 000774 000059 dann den Erbsberg hinunter und vor dem Gutenbergdenkmal Halt . 000775 000059 auf Stephan , der sich wimmernd ein Taschentuch gegen die Nase drckte , mit langem Finger weisend , gab sie mild zu verstehen : " er kann doch nicht dafr , daá er ein kleiner Pole ist " . 000776 000059 Stephan durfte auf Anraten Tante Kauers nicht mehr in ihren Kindergarten . 000777 000059 Oskar , obgleich kein Pole und den Stephan nicht besonders sch„tzend , erkl„rte sich mit ihm solidarisch . 000778 000059 und dann kam Ostern , und man versuchte es einfach . 000779 000059 Dr. Hollatz befand hinter seiner mit breitem Horn eingefaáten Brille , es k”nne nicht schaden , lieá den Befund auch laut werden : " es kann dem kleinen Oskar nicht schaden " . 000780 000059 Jan Bronski , der seinen Stephan gleichfalls nach Ostern in die polnische Volksschule schicken wollte , lieá sich davon nicht abraten , wiederholte meiner Mama und Matzerath immer wieder : er sei Beamter in polnischen Diensten . 000781 000059 fr korrekte Arbeit auf der polnischen Post bezahle der polnische Staat ihn korrekt . 000782 000059 schlieálich sei er Pole und Hedwig werde es auch , sobald der Antrag genehmigt . 000783 000059 zudem lerne ein aufgewecktes und berdurchschnittlich begabtes Kind wie Stephan die deutsche Sprache im Elternhaus , und was den kleinen Oskar betreffe - immer wenn er Oskar sagte , seufzte er ein biáchen - Oskar sei genau wie der Stephan sechs Jahre alt , k”nne zwar noch nicht recht sprechen , sei berhaupt reichlich zurck fr sein Alter , und was das Wachstum angehe , versuchen solle man es trotzdem , Schulpflicht sei Schulpflicht - vorausgesetzt , daá die Schulbeh”rde sich nicht dagegenstelle . 000784 000060 die Schulbeh”rde „uáerte Bedenken und verlangte ein „rztliches Attest . 000785 000060 Hollatz nannte mich einen gesunden Jungen , der dem Wachstum nach einem Dreij„hrigen gleiche , geistig jedoch , wenn er auch noch nicht recht spreche , einem Fnf- bis Sechsj„hrigen in nichts nachstehe . 000786 000060 auch sprach er von meinen Schilddrsen . 000787 000060 ich verhielt mich bei all den Untersuchungen , w„hrend der mir zur Gewohnheit gewordenen Testerei ruhig , gleichgltig bis wohlwollend , zumal mir niemand meine Trommel nehmen wollte . 000788 000060 die Zerst”rung der Hollatzschen Schlangen- , Kr”ten- und Embryonensammlung war allen , die mich da untersuchten und testeten , noch gegenw„rtig und frchtenswert . 000789 000060 nur zu Hause , und zwar am ersten Schultag , sah ich mich gezwungen , den Diamanten in meiner Stimme Wirkung zeigen zu lassen , da Matzerath , gegen bessere Einsicht handelnd , von mir verlangte , daá ich den Weg zur Pestalozzischule gegenber der Fr”belwiese ohne meine Trommel zurcklege und sie , meine Blechtrommel , auch nicht in die Pestalozzischule hineinnehme . 000790 000060 als er schlieálich handgreiflich wurde , nehmen wollte , was ihm nicht geh”rte , womit er gar nicht umgehen konnte , wofr ihm der Nerv fehlte , schrie ich eine leere Vase entzwei , der man Echtheit nachsagte . 000791 000060 nachdem die echte Vase in Gestalt von echten Scherben auf dem Teppich lag , wollte mich Matzerath , der sehr an der Vase hing , mit der Hand schlagen . 000792 000060 doch da sprang Mama auf , und Jan , der mit Stephan und Schultte noch schnell und wie zuf„llig bei uns vorbeischaute , trat dazwischen . 000793 000060 " ich bitte dich , Alfred " , sagte er in seiner ruhig salbungsvollen Art , und Matzerath lieá , von Jans blauem und Mamas grauem Blick getroffen , die Hand sinken und steckte sie in die Hosentasche . 000794 000060 die Pestalozzischule war ein neuer , ziegelroter , mit Sgraffitos und Fresken modern geschmckter , dreist”ckiger , l„nglicher , oben flacher Kasten , der auf lautes Dr„ngen der damals noch recht aktiven Sozialdemokraten hin vom Senat der kinderreichen Vorstadt gebaut wurde . 000795 000060 mir gefiel der Kasten , bis auf seinen Geruch und die sporttreibenden Jugendstilknaben auf den Sgraffitos und Fresken , nicht schlecht . 000796 000060 unnatrlich winzige und obendrein grn werdende B„umchen standen zwischen schtzenden , dem Krummstab „hnlichen Eisenst„ben im Kies vorm Portal . 000797 000060 aus allen Richtungen drangen Mtter vor , die bunte spitze Tten hielten und schreiende oder musterhafte Knaben nach sich zogen . 000798 000060 noch nie hatte Oskar so viele Mtter in eine Richtung streben sehen . 000799 000060 es mutete an , als pilgerten sie einem Markt zu , auf dem ihre Erst- und Zweitgeburten feilgeboten werden sollten . 000800 000060 schon in der Vorhalle dieser Schulgeruch , der , oft genug beschrieben , jedes bekannte Parfm dieser Welt an Intimit„t bertrifft . 000801 000060 auf den Fliesen der Halle standen zwanglos angeordnet vier oder fnf granitene Becken , aus deren Vertiefungen Wasser aus mehreren Quellen gleichzeitig hochsprudelte . 000802 000061 von Knaben , auch solchen in meinem Alter umdr„ngt , erinnerten sie mich an die Sau meines Onkels Vinzent in Bissau , die sich manchmal auf die Seite warf und einen „hnlich durstig brutalen Andrang ihrer Ferkel erduldete . 000803 000061 die Knaben beugten sich ber die Becken und senkrechten , st„ndig in sich zusammenfallenden Wassertrmchen , lieáen die Haare vornberfallen und sich von den Font„nen in ge”ffnete Mnder fingern . 000804 000061 ich weiá nicht , ob sie spielten oder tranken . 000805 000061 manchmal richteten sich zwei Knaben fast gleichzeitig und mit gebl„hten Backen auf , um sich unanst„ndig laut das sicher mit Speichel gemischte und von Brotkrmeln durchsetzte , mundwarme Wasser ins Gesicht zu prusten . 000806 000061 ich , der ich beim Eintritt in den Vorraum leichtsinnigerweise einen Blick in die links anschlieáende , offene Turnhalle geworfen hatte , versprte , das lederne Langpferd , die Kletterstangen und Kletterseile , das entsetzliche , immer eine Riesenwelle abverlangende Reck sichtend , einen echten , durch nichts zu berredenden Durst und h„tte gleich den anderen Knaben gerne einen Schluck Wasser zu mir genommen . 000807 000061 es war mir aber unm”glich , Mama , die mich an der Hand hielt , zu bitten , Oskar , den Dreik„sehoch , ber solch ein Becken zu heben . 000808 000061 selbst wenn ich mir meine Trommel untergestellt h„tte , die Font„ne w„re mir unerreichbar geblieben . 000809 000061 als ich jedoch leicht springend einen Blick ber den Rand eines dieser Becken warf und bemerken muáte , wie fettige Brotreste den Abfluá des Wassers betr„chtlich blockierten und also in der Schale eine ble Brhe stand , verging mir der Durst , den ich mir zwar in Gedanken , aber dennoch leibhaftig zwischen Turnger„ten in einer Turnhallenwstenei irrend , angespeichert hatte . 000810 000061 Mama fhrte mich monumentale , fr Riesen geschlagene Treppen hoch , durch hallende Korridore in einen Raum , ber dessen Tr ein Schildchen mit der Aufschrift @Ia hing . 000811 000061 der Raum war voller Knaben in meinem Alter . 000812 000061 die Mtter der Knaben drckten sich an die Wand gegenber der Fensterfront und hielten die traditionellen spitzbunten , oben mit Seidenpapier verschlossenen , mich berragenden Tten fr den ersten Schultag hinter verschr„nkten Armen . 000813 000061 Mama trug auch solch eine Tte bei sich . 000814 000061 als ich an ihrer Hand eintrat , lachten das Volk und gleichfalls des Volkes Mtter . 000815 000061 einem dicklichen Knaben , der mir auf meine Trommel pauken wollte , muáte ich , um nicht Glas zersingen zu mssen , mehrmals gegen das Schienbein treten , woraufhin der Bengel umfiel , mit der Frisur gegen eine Schulbank schlug , weshalb ich von Mama eins auf den Hinterkopf bekam . 000816 000061 der Bengel schrie . 000817 000061 natrlich schrie ich nicht , denn ich schrie nur , wenn man mir meine Trommel wegnehmen wollte . 000818 000061 Mama , der dieser Auftritt vor den anderen Mttern peinlich war , schob mich in die erste Bank der Bankabteilung neben den Fenstern . 000819 000061 selbstverst„ndlich war die Bank zu groá . 000820 000061 doch weiter nach hinten hin , wo das Volk immer gr”ber und sommersprossiger wurde , waren die B„nke noch gr”áer . 000821 000062 ich gab mich zufrieden , saá ruhig , weil ich keinerlei Grund zur Beunruhigung hatte . 000822 000062 Mama , die mir immer noch verlegen zu sein schien , drckte sich zwischen die anderen Mtter . 000823 000062 wahrscheinlich sch„mte sie sich meiner sogenannten Zurckgebliebenheit wegen vor ihren Artgenossinnen . 000824 000062 die taten , als wenn sie Grund gehabt h„tten , auf ihre , fr mein Gefhl viel zu schnell gewachsenen Lmmel stolz zu sein . 000825 000062 ich konnte nicht aus dem Fenster auf die Fr”belwiese blicken , da mir die H”he des Fensterbordes genauso wenig angemessen war wie die Gr”áe der Schulbank . 000826 000062 dabei h„tte ich gerne einen Blick auf die Fr”belwiese geworfen , auf der , wie ich wuáte , Pfadfinder unter der Leitung des Gemseh„ndlers Greff Zelte bauten , Landsknecht spielten und , wie es sich fr Pfadfinder geh”rt , Gutes taten . 000827 000062 nicht etwa , daá ich an dieser bertriebenen Verherrlichung des Lagerlebens Anteil genommen h„tte . 000828 000062 nur die Figur des kurzbehosten Greff interessierte mich . 000829 000062 war seine Liebe zu schmalen , m”glichst groá„ugigen , wenn auch bleichen Knaben doch so groá , daá er ihr die Uniform des f+ Boy-Scout- +f -Erfinders Baden-Powell gegeben hatte . 000830 000062 durch eine infame Architektur um einen lohnenden Ausblick gebracht , schaute ich mir nur noch den Himmel an und fand schlieálich darin Genge . 000831 000062 immer neue Wolken wanderten von Nordwest nach Sdost aus , als h„tte jene Richtung den Wolken etwas Besonderes zu bieten gehabt . 000832 000062 meine Trommel , die bisher keinen Schlag lang ans Auswandern gedacht hatte , klemmte ich mir zwischen die Knie und das Fach der Schulbank . 000833 000062 die fr den Rcken bestimmte Lehne schtzte Oskars Hinterkopf . 000834 000062 hinter mir schnatterten , brllten , lachten , weinten und tobten meine sogenannten Mitschler . 000835 000062 man warf mit Papierkugeln nach mir , aber ich drehte mich nicht , hielt vielmehr die zielbewuáten Wolken fr „sthetischer als den Anblick einer Horde Grimassen schneidende , v”llig berdrehte Rpel . 000836 000062 es wurde ruhiger in der Klasse @Ia , als eine Frau eintrat , die sich hinterher Fr„ulein Spollenhauer nannte . 000837 000062 ich brauchte nicht ruhiger zu werden , da ich zuvor schon still und fast in mich gekehrt auf kommende Dinge gewartet hatte . 000838 000062 um ganz ehrlich zu sein : Oskar hatte es nicht einmal fr n”tig befunden , auf Kommendes zu warten , er bedurfte ja keiner Zerstreuung , wartete also nicht , sondern saá , nur seine Trommel sprend , im Schulgeb„nk und hatte es vergngt mit den Wolken hinter oder vielmehr vor den ”sterlich geputzten Schulfensterscheiben . 000839 000062 Fr„ulein Spollenhauer trug ein eckig zugeschnittenes Kostm , das ihr ein trocken m„nnliches Aussehen gab . 000840 000062 dieser Eindruck wurde noch durch den knappsteifen , Halsfalten ziehenden , am Kehlkopf schlieáenden und , wie ich zu bemerken glaubte , abwaschbaren Hemdkragen verst„rkt . 000841 000062 kaum hatte sie in flachen Wanderschuhen die Klasse betreten , wollte sie sich sogleich beliebt machen und stellte die Frage : " nun , liebe Kinder , k”nnt ihr auch ein Liedchen singen ? " . 000842 000063 als Antwort wurde ihr Gebrll zuteil , welches sie jedoch als Bejahung ihrer Frage wertete , denn sie stimmte geziert hoch das Frhlingslied z+ " der Mai ist gekommen " +z an , obgleich wir Mitte April hatten . 000843 000063 kaum hatte sie den Mai verkndet , brach die H”lle los . 000844 000063 ohne auf das Zeichen zum Einsatz zu warten , ohne den Text recht zu kennen , ohne das geringste Gefhl fr den simplen Rhythmus dieses Liedchens , begann die Bande hinter mir , den Putz an den W„nden lockernd , durcheinanderzugr”len . 000845 000063 trotz ihrer gelblichen Haut , trotz Bubikopf und unterm Kragen vorlugendem m„nnlichen Schlips tat mir die Spollenhauer leid . 000846 000063 von den Wolken , die offensichtlich schulfrei hatten , mich losreiáend , raffte ich mich auf , zog mit einem Griff die St”cke unter meinen Hosentr„gern hervor und trommelte laut und einpr„gsam den Takt des Liedes . 000847 000063 aber die Bande hinter mir hatte keinen Sinn und kein Ohr dafr . 000848 000063 nur Fr„ulein Spollenhauer nickte mir aufmunternd zu , l„chelte die an der Wand klebende Mtterschar an , blinzelte besonders zu Mama hinber und veranlaáte mich , dieses als Zeichen zu ruhigem , schlieálich kompliziertem , alle meine Kunststcke aufzeigendem Weitertrommeln zu werten . 000849 000063 l„ngst hatte die Bande hinter mir aufgeh”rt , die barbarischen Stimmen zu mischen . 000850 000063 schon bildete ich mir ein , meine Trommel unterrichte , lehre , mache meine Mitschler zu meinen Schlern , da stellte sich die Spollenhauer vor meine Bank , blickte mir aufmerksam und nicht einmal ungeschickt , vielmehr selbstvergessen l„chelnd auf H„nde und Trommelst”cke , versuchte sogar , meinen Takt mitzuklopfen , gab sich fr ein Mintchen als ein nicht unsympathisches „lteres M„dchen , das , seinen Lehrberuf vergessend , der ihm vorgeschriebenen Existenzkarikatur entschlpft , menschlich wird , das heiát , kindlich , neugierig , vielschichtig , unmoralisch . 000851 000063 als es dem Fr„ulein Spollenhauer jedoch nicht gelang , meinen Trommlertakt sogleich und richtig nachzuklopfen , verfiel sie wieder ihrer alten gradlinig dummen , obendrein schlechtbezahlten Rolle , gab sich den Ruck , den sich Lehrerinnen dann und wann geben mssen , sagte : " du bist sicher der kleine Oskar . 000852 000063 von dir haben wir schon viel geh”rt . 000853 000063 wie sch”n du trommeln kannst . 000854 000063 nicht wahr , Kinder ? . 000855 000063 unser Oskar ist ein guter Trommler ? " . 000856 000063 die Kinder brllten , die Mtter rckten enger zusammen , die Spollenhauer hatte sich wieder in der Gewalt . 000857 000063 " doch nun " , fistelte sie , " wollen wir die Trommel im Klassenschrank verwahren , sie wird mde sein und schlafen wollen . 000858 000063 nachher , wenn die Schule aus ist , sollst du deine Trommel wiederbekommen " . 000859 000063 noch w„hrend sie diese scheinheilige Rede abspulte , zeigte sie mir ihre kurzbeschnittenen Lehrerinnenfingern„gel , wollte sich an der Trommel , die , bei Gott , weder mde war noch schlafen wollte , zehnmal kurzbeschnitten vergreifen . 000860 000063 vorerst hielt ich fest , schloá die Arme in Pullover„rmeln um das weiárotgeflammte Rund , blickte sie an , blickte dann , da sie unentwegt den uralten schablonenhaften Volksschullehrerinnenanblick gew„hrte , durch sie hindurch , fand im Inneren des Fr„ulein Spollenhauer Erz„hlenswertes genug fr drei unmoralische Kapitel , riá mich aber , da es um meine Trommel ging , von ihrem Innenleben los und registrierte , als mein Blick zwischen ihren Schulterbl„ttern hindurchfand , auf guterhaltener Haut einen guldenstckgroáen , langbehaarten Leberfleck . 000861 000064 sei es , daá sie sich von mir durchschaut fhlte , tat es meine Stimme , mit der ich ihr warnend , keinen Schaden anrichtend , am rechten Brillenglas kratzte : sie gab die nackte Gewalt , die ihr die Kn”chel schon weiá kreidete , auf , vertrug wohl das Schaben am Glas nicht , das befahl ihr eine G„nsehaut , fr”stelnd lieá sie von meiner Trommel ab , sagte : " du bist aber ein b”ser Oskar " , warf meiner Mama , die nicht wuáte , wo hinblicken , einen vorwurfsvollen Blick zu , lieá mir meine hellwache Trommel , machte kehrt , marschierte mit flachen Abs„tzen zum Pult , kramte aus ihrer Aktentasche eine andere , wahrscheinlich die Lesebrille hervor , nahm sich jenes Gestell , an dem meine Stimme geschabt hatte , wie man mit Fingern„geln an Fensterscheiben schabt , mit entschiedener Bewegung von der Nase , tat so , als h„tte ich ihr die Brille gesch„ndet , setzte sich , den kleinen Finger beim Aufsetzen wegspreizend , das zweite Gestell auf die Nase , straffte dann ihre Figur , daá es knackte , und gab , w„hrend sie abermals in die Aktentasche langte , zu verstehen : " ich lese euch jetzt den Stundenplan vor " . 000862 000064 einen Stoá Zettel fischte sie aus dem Schweinsleder , hob einen Zettel fr sich ab , gab den Rest an die Mtter , so auch an Mama weiter und verriet endlich den schon unruhig werdenden Sechsj„hrigen , was der Stundenplan zu bieten hatte . 000863 000064 " Montag : Religion , Schreiben , Rechnen , Spielen ; Dienstag : Rechnen , Sch”nschreiben , Singen , Naturkunde ; Mittwoch : Rechnen , Schreiben , Zeichnen , Zeichnen ; Donnerstag : Heimatkunde , Rechnen , Schreiben , Religion ; Freitag : Rechnen , Schreiben , Spielen , Sch”nschreiben ; Sonnabend : Rechnen , Singen , Spielen , Spielen " . 000864 000064 das verkndigte Fr„ulein Spollenhauer wie ein unab„nderliches Schicksal , gab diesem Produkt einer Volksschullehrerkonferenz ihre gestrengte , keinen Buchstaben verschm„hende Stimme , wurde dann , sich ihrer Seminarzeit erinnernd , fortschrittlich milde , jauchzte , in erzieherische Lustigkeit ausbrechend : " das , liebe Kinder , wollen wir nun alle zusammen wiederholen . 000865 000064 bitte - Montag ? " . 000866 000064 die Horde brllte Montag . 000867 000064 sie darauf : " Religion ? " . 000868 000064 die getauften Heiden brllten das W”rtchen Religion . 000869 000064 ich schonte meine Stimme , trommelte dafr die religi”sen Silben aufs Blech . 000870 000064 hinter mir schrien sie , durch die Spollenhauer veranlaát : " Schrei - ben ! " . 000871 000064 zweimal gab meine Trommel Antwort . 000872 000064 " Rech - nen ! " . 000873 000064 abermals zwei Schl„ge . 000874 000064 so ging das Geschrei hinter mir , das Vorbeten der Spollenhauer vor mir weiter , und ich schlug m„áig , gute Miene zum l„ppischen Spiel machend , die Silben auf meinem Blech an , bis die Spollenhauer - ich weiá nicht auf wessen Geheiá - aufsprang , offensichtlich erbost - doch nicht etwa wegen der Lmmel hinter mir wurde sie sauer - ich gab ihr hektisches Wangenrot , Oskars harmlose Trommel war ihr Stein des Anstoáes genug , einen taktsicheren Trommler ins Gebet zu nehmen . 000875 000065 " Oskar , du wirst jetzt auf mich h”ren ; Donnerstag : Heimatkunde ? " . 000876 000065 das W”rtchen Donnerstag ignorierend , schlug ich viermal fr Heimatkunde , frs Rechnen und Schreiben je zweimal , der Religion widmete ich , wie es sich geh”rt , nicht etwa vier , sondern drei dreieinige , alleinseligmachende Trommelschl„ge . 000877 000065 aber die Spollenhauer bemerkte die Unterschiede nicht . 000878 000065 ihr war alle Trommelei gleich zuwider . 000879 000065 zehnmal zeigte sie mir , wie schon vorher , die abgehacktesten Fingern„gel und wollte zehnmal zugreifen . 000880 000065 doch bevor sie noch mein Blech berhrte , lieá ich schon meinen glast”tenden Schrei los , der den drei bergroáen Klassenfenstern die oberen Scheiben nahm . 000881 000065 einem zweiten Schrei fielen die mittleren Fenster zum Opfer . 000882 000065 ungehindert drang die milde Frhlingsluft in den Klassenraum . 000883 000065 daá ich mit einem dritten Schrei auch die unteren Fensterscheiben tilgte , war im Grunde berflssig , ja reiner šbermut , denn die Spollenhauer zog schon beim Versagen der oberen und mittleren Scheiben ihre Krallen ein . 000884 000065 anstatt sich aus reinem und knstlerisch fragwrdigem Mutwillen an den letzten Scheiben zu vergehen , h„tte Oskar weiá Gott klger gehandelt , wenn er die zurcktaumelnde Spollenhauer im Auge behalten h„tte . 000885 000065 weiá der Teufel , wo sie den Rohrstock hergezaubert haben mochte . 000886 000065 jedenfalls war er auf einmal da , zitterte in jener sich mit der Frhlingsluft kreuzenden Klassenluft , und durch diese Luftmischung lieá sie ihn sausen , lieá ihn biegsam sein , hungrig , durstig , auf platzende Haut versessen sein , auf das Sssst , auf die vielen Vorh„nge , die ein Rohrstock vorzut„uschen vermag , auf die Befriedigung beider Teile . 000887 000065 und sie lieá ihn auf meinen Pultdeckel knallen , daá die Tinte im F„áchen einen violetten Sprung machte . 000888 000065 und sie schlug , als ich ihr die Hand nicht zum Draufschlagen anbieten wollte , auf meine Trommel . 000889 000065 auf mein Blech schlug sie . 000890 000065 sie , die Spollenhauersche , schlug auf meine Blechtrommel . 000891 000065 was hatte die zu schlagen ? . 000892 000065 gut , wenn sie schlagen wollte , warum dann auf meine Trommel ? . 000893 000065 saáen nicht gewaschene Lmmel genug hinter mir ? . 000894 000065 muáte es unbedingt mein Blech sein ? . 000895 000065 muáte sie , die nichts , rein gar nichts von der Trommelei verstand , sich an meiner Trommel vergreifen ? . 000896 000065 was blitzte ihr da im Auge ? . 000897 000065 wie hieá das Tier , das schlagen wollte ? . 000898 000065 welchem Zoo entsprungen , welche Nahrung suchend , wonach l„ufig ? - . 000899 000065 es kam Oskar an , es drang ihm , ich weiá nicht aus welchen Grnden aufsteigend , durch die Schuhsohlen , Fuásohlen , fand hoch , besetzte seine Stimmb„nder , lieá ihn einen Brunstschrei ausstoáen , der gereicht h„tte , eine ganze herrliche , sch”nfenstrige , lichtfangende , lichtbrechende , gotische Kathedrale zu entglasen . 000900 000066 ich formte mit anderen Worten einen Doppelschrei , der beide Brillengl„ser der Spollenhauer wahrhaft zu Staub werden lieá . 000901 000066 mit leicht blutenden Augenbrauen und aus nunmehr leeren Brillenfassungen blinzelnd , tastete sie sich rckw„rts , begann schlieálich h„álich und fr eine Volksschullehrerin viel zu unbeherrscht zu greinen , w„hrend die Bande hinter mir „ngstlich verstummte , teils unter den B„nken verschwand , teils die Z„hnchen klappern lieá . 000902 000066 einige rutschten von Bank zu Bank den Mttern entgegen . 000903 000066 die jedoch , da sie den Schaden begriffen , suchten den Schuldigen und wollten ber meine Mama herfallen , w„ren wohl auch ber meine Mama hergefallen , h„tte ich mich nicht , meine Trommel greifend , aus der Bank geschoben . 000904 000066 an der halbblinden Spollenhauer vorbei fand ich zu meiner von Furien bedrohten Mama , faáte sie bei der Hand , zog sie aus dem zugigen Klassenzimmer der Klasse @Ia . 000905 000066 hallende Korridore . 000906 000066 Steintreppen fr Riesenkinder . 000907 000066 Brotreste in sprudelnden Granitbecken . 000908 000066 in der offenen Turnhalle zitterten Knaben unterm Reck . 000909 000066 Mama hielt noch immer das Zettelchen . 000910 000066 vor dem Portal der Pestalozzischule nahm ich es ihr ab und machte aus einem Stundenplan eine sinnlose Papierkugel . 000911 000066 dem Fotografen jedoch , der zwischen den S„ulen des Portals auf die Erstkl„áler mit den Schultten und Mttern wartete , erlaubte Oskar , eine Aufnahme von ihm und seiner bei all dem Durcheinander nicht verlorengegangenen Schultte zu machen . 000912 000066 die Sonne kam hervor , ber uns summten Klassenzimmer . 000913 000066 der Fotograf stellte Oskar vor die Kulisse einer Schultafel , auf der geschrieben stand : mein erster Schultag . 000914 000066 u+ Rasputin und das ABC: +u . 000915 000066 meinem Freund Klepp und dem mit halbem Ohr hinh”renden Pfleger Bruno , Oskars erste Begegnung mit dem Stundenplan erz„hlend , sagte ich soeben : auf jener Schultafel , die dem Fotografen den traditionellen Hintergrund fr postkartengroáe Aufnahmen sechsj„hriger Knaben mit Tornistern und Schultten abgab , stand geschrieben : mein erster Schultag . 000916 000066 selbstverst„ndlich war dieses S„tzchen nur den Mttern leserlich , die hinter dem Fotografen standen und aufgeregter als ihre Knaben taten . 000917 000066 die Knaben vor der Tafel mit Inschrift konnten allenfalls ein Jahr sp„ter , entweder bei der ”sterlichen Einschulung der neuen Erstkl„áler oder auf den ihnen gebliebenen Fotos entziffern , daá jene bildsch”nen Aufnahmen anl„álich ihres ersten Schultages gemacht worden waren . 000918 000066 Stterlinschrift kroch b”sartig spitzig und in den Rundungen falsch , weil ausgestopft , ber die Schultafel , kreidete jene , den Anfang eines neuen Lebensabschnittes markierende Inschrift . 000919 000067 in der Tat l„át sich gerade die Stterlinschrift fr Markantes , Kurzformuliertes , fr Tageslosungen etwa , gebrauchen . 000920 000067 auch gibt es gewisse Dokumente , die ich zwar nie gesehen habe , die ich mir dennoch mit Stterlinschrift beschrieben vorstelle . 000921 000067 ich denke da an Impfscheine , Sporturkunden und handgeschriebene Todesurteile . 000922 000067 schon damals , da ich Stterlinschrift zwar durchschauen , aber nicht lesen konnte , wollte die Doppelschlinge des Stterlin M: , mit dem die Inschrift begann , tckisch und nach Hanf riechend , mich ans Schafott gemahnen . 000923 000067 dennoch h„tte ich's gerne Buchstabe fr Buchstabe gelesen und nicht nur dunkel geahnt . 000924 000067 es soll ja niemand glauben , ich h„tte meine Begegnung mit dem Fr„ulein Spollenhauer von so hoher Warte aus glaszersingend gestaltet und als revoltierende Protesttrommelei betrieben , weil ich des ABC: m„chtig gewesen w„re . 000925 000067 o nein , ich wuáte allzu gut , daá es mit dem Durchschauen der Stterlinschrift nicht getan war , daá mir das simpelste Schulwissen fehlte . 000926 000067 es konnte dem Oskar leider nicht die Methode gefallen , mit der ihn ein Fr„ulein Spollenhauer zum Wissenden machen wollte . 000927 000067 demnach beschloá ich keinesfalls beim Verlassen der Pestalozzischule : mein erster Schultag soll auch mein letzter sein . 000928 000067 die Schule ist aus , jetzt gehn wir nach Haus . 000929 000067 nichts dergleichen ! . 000930 000067 schon w„hrend der Fotograf mich fr immer ins Bild bannte , dachte ich : du stehst hier vor einer Schultafel , stehst unter einer wahrscheinlich bedeutenden , wom”glich verh„ngnisvollen Inschrift . 000931 000067 du kannst zwar dem Schriftbild nach die Inschrift beurteilen und dir Assoziationen wie Einzelhaft , Schutzhaft , Oberaufsicht und Alle-an-einem-Strick aufz„hlen , aber entziffern kannst du die Inschrift nicht . 000932 000067 dabei hast du bei all deiner zum halbbew”lkten Himmel schreienden Unwissenheit vor , diese Stundenplanschule nie wieder zu betreten . 000933 000067 wo , Oskar , wo willst du das groáe und das kleine ABC: lernen ? . 000934 000067 daá es ein groáes und ein kleines ABC: gab , hatte ich , dem eigentlich ein kleines ABC: gengt h„tte , unter anderem der unbersehbaren , nicht aus der Welt zu denkenden Existenz groáer Leute entnommen , die sich selbst Erwachsene nannten . 000935 000067 man wird schlieálich nicht mde , die Existenzberechtigung eines groáen und kleinen ABC: durch einen groáen und kleinen Katechismus , durch ein groáes und kleines Einmaleins zu belegen , und bei Staatsbesuchen spricht man , je nachdem wie groá der Aufmarsch dekorierter Diplomaten und Wrdentr„ger ist , von einem groáen oder kleinen Bahnhof . 000936 000067 weder Matzerath noch Mama kmmerten sich w„hrend der n„chsten Monate um meine Ausbildung . 000937 000067 das Elternpaar lieá es mit dem einen , fr Mama so anstrengenden und besch„menden Einschulungsversuch genug sein . 000938 000067 sie taten es dem Onkel Jan Bronski gleich , seufzten , wenn sie mich von oben her betrachteten , kramten alte Geschichten , wie meinen dritten Geburtstag aus : " die offene Falltr ! . 000939 000067 du hast sie offen gelassen , stimmt's ! . 000940 000067 du warst in der Kche und vorher im Keller , stimmts ! . 000941 000068 du hast eine Konservendose mit gemischtem Obst fr den Nachtisch hochgeholt , stimmts ! . 000942 000068 du hast die Falltr zum Keller offen gelassen , stimmts ! " . 000943 000068 es stimmte alles , was Mama dem Matzerath vorwarf , und stimmte dennoch nicht , wie wir wissen . 000944 000068 aber er trug die Schuld und weinte sogar manchmal , weil sein Gemt weich sein konnte . 000945 000068 dann muáte er von Mama und Jan Bronski getr”stet werden , und sie nannten mich , Oskar , ein Kreuz , das man tragen msse , ein Schicksal , das wohl unab„nderlich sei , eine Prfung , von der man nicht wisse , womit man sie verdiene . 000946 000068 von diesen schwergeprften , vom Schicksal geschlagenen Kreuztr„gern war also keine Hilfe zu erwarten . 000947 000068 auch Tante Hedwig Bronski , die mich oft holen kam , damit ich mit ihrer zweij„hrigen Marga im Sandkasten des Steffensparkes spielte , schied als Lehrerin fr mich aus : sie war zwar gutmtig , aber himmelblau dumm . 000948 000068 gleichfalls muáte ich mir die Schwester Inge des Dr. Hollatz , die weder himmelblau noch gutmtig war , aus dem Sinn schlagen : denn die war klug , keine gew”hnliche Sprechstundenhilfe , sondern eine unersetzliche Assistentin und hatte deshalb auch keine Zeit fr mich . 000949 000068 ich bew„ltigte mehrmals am Tage die ber hundert Treppenstufen des vierst”ckigen Mietshauses , trommelte Rat suchend auf jeder Etage , roch , was es bei neunzehn Mietparteien zu Mittag gab , und klopfte dennoch an keine Tr , weil ich weder im alten Heilandt , noch im Uhrmacher Laubschad , schon gar nicht in der dicken Frau Kater oder , bei aller Zuneigung , in Mutter Truczinski meinen knftigen Magister erkennen wollte . 000950 000068 da gab es unter dem Dach den Musiker und Trompeter Meyn . 000951 000068 Herr Meyn hielt sich vier Katzen und war immer betrunken . 000952 000068 Tanzmusik spielte er auf " Zinglers H”he " , und am Heiligen Abend stampfte er mit fnf „hnlich Betrunkenen durch Schnee und Straáen und k„mpfte mit Chor„len gegen gestrengen Frost an . 000953 000068 ihm begegnete ich einmal auf dem Dachboden : in schwarzer Hose , weiáem Extrahemd lag er auf dem Rcken , rollte mit unbeschuhten Fáen eine leere Machandelflasche und blies ganz wundersch”n Trompete . 000954 000068 ohne sein Blech abzusetzen , nur leicht die Augen verdrehend , nach mir , der ich hinter ihm stand , schielend , respektierte er mich als ihn begleitenden Trommler . 000955 000068 es war ihm sein Blech nicht mehr wert als mein Blech . 000956 000068 unser Duo trieb seine vier Katzen aufs Dach und lieá die Dachpfannen leicht vibrieren . 000957 000068 als wir die Musik beendeten , das Blech sinken lieáen , holte ich unter meinem Pullover eine alte " Neueste Nachrichten " hervor , gl„ttete das Papier , kauerte mich neben den Trompeter Meyn , hielt ihm die Lektre hin und verlangte Unterrichtung im groáen und kleinen ABC: . 000958 000068 aber Herr Meyn war aus seiner Trompete heraus sogleich in den Schlaf gefallen . 000959 000068 es gab fr ihn nur drei wahre Beh„ltnisse : die Machandelflasche , die Trompete und den Schlaf . 000960 000069 zwar haben wir noch oftmals , genau gesagt , bis er in die Reiter-SA: als Musiker eintrat und fr einige Jahre den Machandel aufgab , Duette , ohne vorher zu ben , auf dem Dachboden den Kaminen , Dachpfannen , Tauben und Katzen vorgespielt , aber zum Lehrer wollte er nicht taugen . 000961 000069 ich versuchte es mit dem Gemseh„ndler Greff . 000962 000069 ohne meine Trommel , denn Greff h”rte nicht gerne das Blech , besuchte ich mehrmals den Kellerladen schr„g gegenber . 000963 000069 die Voraussetzungen fr ein grndliches Studium schienen gegeben : lagen doch berall in der Zweizimmerwohnung , im Laden selbst , hinter und auf dem Ladentisch , sogar in dem verh„ltnism„áig trockenen Kartoffelkeller lagen Bcher , Abenteuerbcher , Liederbcher , der Cherubinische Wandersmann , des Walter Flex Schriften , Wiecherts einfaches Leben , Daphnis und Chloe , Knstlermonographien , Stapel Sportzeitschriften , auch Bildb„nde mit halbnackten Knaben , die aus unerfindlichen Grnden , zumeist zwischen Dnen am Strand , B„llen nachsprangen und ge”lt gl„nzende Muskeln dabei zeigten . 000964 000069 Greff hatte schon zu jener Zeit viel Žrger im Gesch„ft . 000965 000069 Prfer vom Eichamt hatten beim Kontrollieren der Waage und Gewichte einiges zu bem„ngeln gehabt . 000966 000069 das W”rtchen Betrug fiel . 000967 000069 Greff muáte eine Buáe zahlen und neue Gewichte kaufen . 000968 000069 sorgenvoll wie er war , konnten ihn nur noch seine Bcher und die Heimabende und Wochenendwanderungen mit seinen Pfadfindern aufheitern . 000969 000069 kaum bemerkte er meinen Eintritt ins Gesch„ft , schrieb weiter Preisschildchen , und ich griff mir , die gnstige Gelegenheit der Preisschildchenschreiberei nutzend , drei , vier weiáe Pappen , dazu einen Rotstift und versuchte eifrig tuend , die schon beschrifteten Schildchen , Stterlin imitierend , als Vorlage zu benutzen und dadurch Greffs Aufmerksamkeit zu erregen . 000970 000069 Oskar war ihm wohl zu klein , nicht groá„ugig und bleich genug . 000971 000069 so lieá ich also vom Rotstift , w„hlte mir einen Schm”ker voller dem Greff ins Auge springender Nackedeis , tat auffallend mit dem Buch , hielt Fotos sich bckender oder dehnender Knaben , von denen ich annehmen konnte , daá sie dem Greff etwas bedeuteten , schr„g und auch ihm zur Ansicht . 000972 000069 da der Gemseh„ndler , wenn nicht gerade Kundschaft im Laden war und rote Rben verlangte , allzu exakt an den Preisschildchen herumpinselte , muáte ich schon ger„uschvoll mit den Buchdeckeln klappen oder die Seiten rasch und knisternd bewegen , damit er aus seinen Preisschildchen auftauchte und Anteil an mir , dem Leseunkundigen , nahm . 000973 000069 um es gleich zu sagen : Greff begriff mich nicht . 000974 000069 wenn Pfadfinder im Laden waren - und nachmittags waren immer zwei oder drei seiner Unterfhrer um ihn - bemerkte er Oskar berhaupt nicht . 000975 000069 war Greff jedoch alleine , konnte er nerv”s streng und der St”rungen wegen ver„rgert aufspringen und Befehle erteilen : " laá das Buch liegen , Oskar ! . 000976 000070 kannst ja doch nichts damit anfangen . 000977 000070 f+ biste viel zu dumm fr und zu klein . 000978 000070 wirste noch kaputtmachen +f . 000979 000070 hat ber sechs Gulden gekostet . 000980 000070 wenn du spielen willst , da sind Kartoffeln und f+ Weiákohlk”ppe +f genug ! " . 000981 000070 dann nahm er mir den Schm”ker weg , bl„tterte darin , ohne das Gesicht zu verziehen , und lieá mich zwischen Wirsingkohl , Rosenkohl , Rotkohl und Weiákohl , zwischen Wruken und Bulven stehen , vereinsamen ; denn Oskar hatte seine Trommel nicht bei sich . 000982 000070 zwar gab es noch die Frau Greff , und ich schob mich auch zumeist nach der Abfuhr durch den Gemseh„ndler ins Schlafzimmer des Ehepaares . 000983 000070 Frau Lina Greff lag zu dem Zeitpunkt schon wochenlang zu Bett , tat kr„nklich , roch nach faulendem Nachthemd und nahm alles m”gliche in die Hand , nur kein Buch , das mich unterrichtet h„tte . 000984 000070 leichten Neid kauend , sah Oskar in der folgenden Zeit gleichaltrigen Knaben auf die Schultornister , an deren Seiten Schw„mme und L„ppchen der Schiefertafeln wippten und wichtig taten . 000985 000070 trotzdem kann er sich nicht erinnern , jemals Gedanken gehabt zu haben wie : du hast es dir selbst eingebrockt , Oskar , h„ttest gute Miene zum Schulspiel machen sollen . 000986 000070 h„ttest es nicht mit der Spollenhauer auf alle Zeiten verderben sollen . 000987 000070 die Bengels berholen dich ! . 000988 000070 die haben entweder das groáe oder das kleine ABC: intus , w„hrend du nicht einmal die " Neuesten Nachrichten " richtig zu halten weiát . 000989 000070 leichter Neid , sagte ich soeben , mehr war es nicht . 000990 000070 bedurfte es doch nur einer flchtigen Geruchsprobe , um von der Schule endgltig die Nase voll zu haben . 000991 000070 haben Sie einmal an den schlechtausgewaschenen , halbzerfressenen Schw„mmen und L„ppchen jener abbl„tternd gelbumrandeten Schiefertafeln geschnuppert , die im billigsten Leder der Schultornister die Ausdnstungen aller Sch”nschreiberei , den Dunst des kleinen und groáen Einmaleins , den Schweiá quietschender , stockender , verrutschender , mit Spucke befeuchteter Griffel aufbewahren ? . 000992 000070 dann und wann , wenn aus der Schule heimkehrende Schler in meiner N„he die Tornister ablegten , um Fuáball oder V”lkerball zu spielen , bckte ich mich zu den in der Sonne d”rrenden Schw„mmen und stellte mir vor , daá ein eventuell vorhandener Satan in seinen Achselh”hlen dererlei s„uerliche Wolken zchte . 000993 000070 die Schule der Schiefertafeln war also kaum nach meinem Geschmack . 000994 000070 Oskar will aber nicht behaupten , daá jenes Gretchen Scheffler , das bald darauf seine Ausbildung in die Hand nahm , ihm gem„áen Geschmack verk”rperte . 000995 000070 alles Inventar der Schefflerschen B„ckerwohnung im Kleinhammerweg beleidigte mich . 000996 000070 diese Zierdeckchen , wappenbestickten Kissen , in Sofaecken lauernden K„the-Kruse-Puppen , Stofftiere , wohin man auch trat , Porzellan , das nach einem Elefanten verlangte , Reiseandenken in jeder Blickrichtung , angefangenes Geh„keltes , Gestricktes , Besticktes , Geflochtenes , Geknotetes , Gekl”ppeltes und mit Mausez„hnchen Umrandetes . 000997 000070 zu dieser sániedlichen , entzckend gemtlichen , erstickend winzigen , im Winter berheizten , im Sommer mit Blumen vergifteten Behausung f„llt mir nur eine Erkl„rung ein : Gretchen Scheffler hatte keine Kinder , h„tte so gerne Kinderchen zum Bestricken gehabt , h„tte , ach lag es am Scheffler , lag es an ihr , so zum Auffressen gerne ein Kindchen beh„kelt , beperlt , umrandet und mit Kreuzstichkáchen besetzt . 000998 000071 hier trat ich ein , um das kleine und groáe ABC: zu lernen . 000999 000071 Mhe gab ich mir , daá kein Porzellan oder Reiseandenken zu Schanden wurde . 001000 000071 meine glast”tende Stimme lieá ich sozusagen zu Hause , drckte ein Auge zu , wenn das Gretchen befand , es sei nun genug getrommelt worden , und mir mit Gold- und Pferdez„hnen l„chelnd die Trommel von den Knien zog , das Blech zwischen Teddyb„ren legte . 001001 000071 ich befreundete mich mit zwei K„the-Kruse-Puppen , drckte die B„lge an mich , klimperte wie verliebt mit den Wimpern der immer erstaunt blickenden Damen , damit diese falsche , doch deshalb um so echter wirkende Freundschaft mit Puppen das zwei glatt , zwei kraus gestrickte Herz des Gretchens bestricke . 001002 000071 mein Plan war nicht schlecht . 001003 000071 schon beim zweiten Besuch ”ffnete Gretchen ihr Herz , das heiát , sie ribbelte es auf , wie man Strmpfe aufribbelt , zeigte mir den ganzen langen , an einigen Stellen schon Kn”tchen zeigenden fadenscheinigen Faden , indem sie alle Schr„nke , Kisten und Sch„chtelchen vor mir aufschloá , den mit Perlen besetzten Plunder vor mir ausbreitete , Stapel Kinderj„ckchen , Kinderl„tzchen , Kinderh”schen , die fr Fnflinge gereicht h„tten , mir anhielt , anzog und wieder abnahm . 001004 000071 dann zeigte sie Schefflers im Kriegerverein erworbene Schtzenabzeichen , Fotos danach , die sich zum Teil mit unseren Fotos deckten , und endlich , da sie den Babykram noch einmal anfaáte und irgend etwas Strampeliges suchte , da endlich kamen Bcher zum Vorschein ; hatte Oskar doch fest damit gerechnet , Bcher hinter dem Babykram zu finden ; hatte Oskar sie doch mit Mama ber Bcher sprechen h”ren ; wuáte er doch , wie eifrig die beiden , da sie noch verlobt und schlieálich fast gleichzeitig jung verheiratet waren , Bcher getauscht , Bcher aus der Leihbcherei am Filmpalast entliehen hatten , um mit Lesestoff vollgepumpt der Kolonialwarenh„ndlerehe und B„ckerehe mehr Welt , Weite und Glanz vermitteln zu k”nnen . 001005 000071 viel war es nicht , was Gretchen mir zu bieten hatte . 001006 000071 sie , die nicht mehr las , seitdem sie nur noch strickte , mochte wohl wie Mama , die wegen Jan Bronski nicht mehr zum Lesen kam , die stattlichen B„nde der Buchgemeinschaft , deren Mitglieder beide l„ngere Zeit waren , an Leute verschenkt haben , die noch lasen , weil sie nicht strickten und auch keinen Jan Bronski hatten . 001007 000071 auch schlechte Bcher sind Bcher und deshalb heilig . 001008 000071 was ich da fand , stellte Kraut und Rben dar , stammte wohl zum guten Teil aus der Bcherkiste ihres Bruders Theo , der auf der Doggerbank den Seemannstod gefunden hatte . 001009 000071 sieben oder acht B„nde K”hlers Flottenkalender voller Schiffe , die l„ngst gesunken waren , die Dienstgrade der kaiserlichen Marine , Paul Benecke , der Seeheld - das durfte wohl kaum die Speise gewesen sein , nach der Gretchens Herz verlangte . 001010 000072 Erich Keysers Geschichte der Stadt Danzig und jener Kampf um Rom , den ein Mann namens Felix Dahn mit Hilfe von Totila und Teja , Belisar und Narses gefhrt haben muáte , hatten wohl gleichfalls unter den H„nden des zur See gefahrenen Bruders an Glanz und Buchrckenhalt verloren . 001011 000072 Gretchens Bchergestell sprach ich ein Buch zu , das ber Soll und Haben abrechnete , und etwas ber Wahlverwandtschaften von Goethe sowie den reichbebilderten dicken Band : Rasputin und die Frauen . 001012 000072 nach l„ngerem Z”gern - die Auswahl war zu klein , als daá ich mich h„tte schnell entscheiden m”gen - griff ich , ohne zu wissen , was ich griff , nur dem bekannten inneren Stimmchen gehorchend , zuerst den Rasputin und dann den Goethe . 001013 000072 dieser Doppelgriff sollte mein Leben , zumindest jenes Leben , welches abseits meiner Trommel zu fhren ich mir anmaáte , festlegen und beeinflussen . 001014 000072 bis zum heutigen Tage - da Oskar die Bcherei der Heil- und Pflegeanstalt bildungsbeflissen nach und nach in sein Zimmer lockt - schwanke ich , auf Schiller und Konsorten pfeifend , zwischen Goethe und Rasputin , zwischen dem Gesundbeter und dem Alleswisser , zwischen dem Dsteren , der die Frauen bannte , und dem lichten Dichterfrsten , der sich so gern von den Frauen bannen lieá . 001015 000072 wenn ich mich zeitweilig mehr dem Rasputin zugeh”rig betrachtete und Goethes Unduldsamkeit frchtete , lag das an dem leisen Verdacht : der Goethe h„tte , h„ttest du , Oskar , zu seiner Zeit getrommelt , in dir nur Unnatur erkannt , dich als leibhaftige Unnatur verurteilt und seine Natur - die du schlieálich immer , selbst wenn sie sich noch so unnatrlich spreizte , bewundert und angestrebt hast - sein Naturell h„tte er mit bersáem Konfekt gefttert und dich armen Tropf wenn nicht mit dem Faust dann mit einem dicken Band seiner Farbenlehre erschlagen . 001016 000072 doch zurck zu Rasputin . 001017 000072 er hat mir mit Gretchen Schefflers Hilfe das kleine und groáe ABC: beigebracht , hat mich gelehrt , die Frauen aufmerksam zu behandeln , und hat mich getr”stet , wenn Goethe mich kr„nkte . 001018 000072 es war gar nicht so einfach , das Lesen zu lernen und dabei den Unwissenden zu spielen . 001019 000072 das sollte mir schwerer fallen als das jahrelange Vort„uschen eines kindlichen Bettn„ssens . 001020 000072 galt es beim Bettn„ssen doch , allmorgendlich einen Mangel zu demonstrieren , der mir im Grunde entbehrlich gewesen w„re . 001021 000072 den Unwissenden spielen , hieá jedoch fr mich , mit meinen rapiden Fortschritten hinter dem Berg zu halten , einen st„ndigen Kampf mit beginnender intellektueller Eitelkeit zu fhren . 001022 000072 daá die Erwachsenen in mir einen Bettn„sser sahen , nahm ich innerlich achselzuckend hin , daá ich ihnen aber jahraus , jahrein als Dummerjan herhalten muáte , kr„nkte Oskar und auch seine Lehrerin . 001023 000073 Gretchen begriff , sobald ich die Bcher aus der Babyw„sche gerettet hatte , auf der Stelle und heiter jauchzend ihren Lehrberuf . 001024 000073 es gelang mir , die g„nzlich verstrickte Kinderlose aus ihrer Wolle zu locken und beinahe glcklich zu machen . 001025 000073 eigentlich h„tte sie es lieber gesehen , wenn ich Soll und Haben zu meinem Schulbuch gemacht h„tte ; aber ich bestand auf Rasputin und wollte Rasputin , als sie zur zweiten Unterrichtsstunde ein richtiges Bchlein fr ABC-Schtzen: gekauft hatte , und entschloá mich endlich zum Sprechen , als sie mir immer wieder mit Bergbauerromanen , M„rchen wie Zwerg Nase und D„umeling kam . 001026 000073 " Rapupin ! " schrie ich oder auch : " Raschuschin ! " . 001027 000073 zeitweilig tat ich ganz und gar albern : " Raschu , Raschu ! " h”rte man Oskar plappern , damit das Gretchen einerseits begriff , welche Lektre mir angenehm war , andererseits aber im unklaren blieb ber sein erwachendes , Buchstaben pickendes Genie . 001028 000073 ich lernte rasch , regelm„áig , ohne mir viel dabei zu denken . 001029 000073 nach einem Jahr fhlte ich mich in Petersburg , in den Privatgem„chern des Selbstherrschers aller Russen , im Kinderzimmer des immer kr„nklichen Zarewitsch , zwischen Verschw”rern und Popen und nicht zuletzt als Augenzeuge Rasputinscher Orgien wie zu Hause . 001030 000073 das hatte ein mir zusagendes Kolorit , da ging es um eine zentrale Figur . 001031 000073 das sagten auch die im Buch verstreuten zeitgen”ssischen Stiche , die den b„rtigen Rasputin mit den Kohleaugen inmitten schwarze Strmpfe tragender , sonst nackter Damen zeigte . 001032 000073 Rasputins Tod ging mir nach : man hat ihn mit vergifteter Torte , vergiftetem Wein vergiftet , dann , als er mehr von der Torte wollte , mit Pistolen erschossen , und als ihn das Blei in der Brust tanzlustig stimmte , gefesselt und in einem Eisloch der Newa versenkt . 001033 000073 das taten alles m„nnliche Offiziere . 001034 000073 die Damen der Metropole Petersburg h„tten ihrem V„terchen Rasputin niemals giftige Torte , sonst aber alles gegeben , was er von ihnen verlangte . 001035 000073 die Frauen glaubten an ihn , w„hrend die Offiziere ihn erst aus dem Weg r„umen muáten , um wieder an sich selbst glauben zu k”nnen . 001036 000073 war es ein Wunder , daá nicht nur ich Gefallen am Leben und Ende des athletischen Gesundbeters fand ? . 001037 000073 das Gretchen tastete sich wieder zur Lektre ihrer ersten Ehejahre zurck , l”ste sich w„hrend des lauten Vorlesens gelegentlich auf , zitterte , wenn das W”rtchen Orgie fiel , hauchte das Zauberwort Orgie besonders , war , wenn sie Orgie sagte , zur Orgie bereit und konnte sich dennoch unter einer Orgie keine Orgie vorstellen . 001038 000073 schlimm wurde es , wenn Mama in den Kleinhammerweg mitkam und in der Wohnung ber der B„ckerei meinem Unterricht beiwohnte . 001039 000073 das artete manchmal zur Orgie aus , das wurde Selbstzweck und kein Unterricht fr Klein-Oskar mehr , das gab bei jedem dritten Satz zweistimmiges Gekicher , das lieá die Lippen trocken und rissig werden , das rckte die beiden verheirateten Frauen , wenn Rasputin es nur wollte , immer n„her zusammen , das machte sie unruhig auf Sofakissen , das brachte sie auf den Gedanken , die Schenkel zusammenzupressen , da wurde aus anf„nglichem Gekalber schluáendliches Seufzen , da hatte man nach zw”lf Seiten Rasputinlektre , was man vielleicht gar nicht gewollt , kaum erwartet hatte , aber am hellen Nachmittag gerne mitnahm , wogegen Rasputin sicher nichts einzuwenden gehabt h„tte , was er vielmehr gratis und bis in alle Ewigkeit austeilen wird . 001040 000074 schlieálich , wenn beide Frauen achgottachgott gesagt hatten und sich verlegen in den verrutschten Frisuren nestelten , gab Mama zu bedenken : " ob Oskarchen auch wirklich nichts davon versteht ? " . 001041 000074 " aber wo doch " , beschwichtigte dann das Gretchen , " ich f+ geb' +f mir ja soviel Mhe , aber er lernt und lernt f+ nich' +f , und Lesen wird er wohl nie lernen " . 001042 000074 um von meiner durch nichts zu erschtternden Unwissenheit Zeugnis abzulegen , fgte sie noch dazu : " stell dir nur vor , Agnes , die Seiten reiát er aus unserem Rasputin raus , zerknllt sie und nachher sind sie weg . 001043 000074 manchmal m”cht' ich es aufgeben . 001044 000074 aber wenn ich dann seh' , wie glcklich er ist berm Buch , laá ich ihn reiáen und kaputtmachen . 001045 000074 ich hab Alex schon gesagt , er soll uns'n neuen Rasputin auf Weihnachten schenken " . 001046 000074 es gelang mir also - Sie werden es bemerkt haben - nach und nach , im Verlauf von drei oder vier Jahren - so lange und noch l„nger unterrichtete mich das Gretchen Scheffler - ber die H„lfte der Buchseiten aus dem Rasputin herauszutrennen , vorsichtig , dabei Mutwillen vort„uschend , zu zerknllen , um dann hinterher , zu Hause , in meiner Trommelecke , die Bl„tter unter dem Pullover hervorzuziehen , sie gegl„ttet und gestapelt zur heimlichen , von Frauen ungest”rten Lektre zu verwenden . 001047 000074 „hnlich verfuhr ich mit dem Goethe , den ich anl„álich jeder vierten Unterrichtsstunde , " D”te " rufend , dem Gretchen abforderte . 001048 000074 allein auf Rasputin wollte ich mich nicht verlassen , denn allzubald wurde mir klar , daá auf dieser Welt jedem Rasputin ein Goethe gegenbersteht , daá Rasputin Goethe oder der Goethe einen Rasputin nach sich zieht , sogar erschafft , wenn es sein muá , um ihn hinterher verurteilen zu k”nnen . 001049 000074 wenn Oskar mit seinem ungebundenen Buch auf dem Dachboden oder im Schuppen des alten Herrn Heilandt hinter Fahrradgestellen hockte und die losen Bl„tter der Wahlverwandtschaften mit einem Bndel Rasputin mischte , wie man Karten mischt , las er das neu entstandene Buch mit wachsendem , aber gleichwohl l„chelndem Erstaunen , sah Ottilie zchtig an Rasputins Arm durch mitteldeutsche G„rten wandeln und Goethe mit einer ausschweifend adligen Olga im Schlitten sitzend durchs winterliche Petersburg von Orgie zu Orgie schlittern . 001050 000074 doch noch einmal zurck in meine Schulstube am Kleinhammerweg . 001051 000074 das Gretchen hatte , auch wenn ich keine Fortschritte zu machen schien , die m„dchenhafteste Freude an mir . 001052 000074 sie blhte in meiner N„he , auch unter der segnenden , zwar unsichtbaren , aber dennoch behaarten Hand des russischen Gesundbeters m„chtig , selbst ihre Zimmerlinden und Kakteen mitreiáend , auf . 001053 000075 h„tte der Scheffler nur in jenen Jahren dann und wann die Finger aus dem Mehl gezogen und die Semmeln der Backstube gegen ein anderes Semmelchen vertauscht . 001054 000075 das Gretchen h„tte sich gerne von ihm kneten , walken , einpinseln und backen lassen . 001055 000075 wer weiá , was aus dem Ofen herausgekommen w„re ? . 001056 000075 am Ende etwa doch noch ein Kindchen . 001057 000075 es w„re dem Gretchen diese Backfreude zu g”nnen gewesen . 001058 000075 so aber saá sie nach angeregtester Rasputinlektre mit feurigem Auge und leicht wirrem Haar da , bewegte ihre Gold- und Pferdez„hne , hatte aber nichts zu beiáen , sagte achgottachgott und meinte den uralten Sauerteig . 001059 000075 da Mama , die ja ihren Jan hatte , dem Gretchen nicht helfen konnte , h„tten die Minuten nach diesem Teil meines Unterrichtes leicht unglcklich enden k”nnen , wenn das Gretchen nicht ein so fr”hliches Herz gehabt h„tte . 001060 000075 schnell sprang sie dann in die Kche , kam mit der Kaffeemhle wieder , nahm die wie einen Liebhaber , sang , w„hrend der Kaffee zu Schrot wurde , wehmtig leidenschaftlich und von Mama untersttzt z+ " schwarze Augen " +z z+ " der rote Sarafan " +z , nahm die schwarzen Augen in die Kche mit , setzte dort Wasser auf , lief , w„hrend sich das Wasser auf der Gasflamme erhitzte , hinunter in die B„ckerei , holte dort , oft gegen Schefflers Einspruch , Frisch- und Altgebackenes , deckte das Tischchen mit geblmten Sammeltassen , Sahnek„nnchen , Zuckerd”schen , Kuchengabeln und streute Stiefmtterchen dazwischen , goá dann den Kaffee ein , lenkte zu Melodien aus dem " Zarewitsch " ber , reichte Liebesknochen , Bienenstiche , z+ es steht ein Soldat am Wolgastrand +z , und mit Mandelsplittern gespickten Frankfurter Kranz , z+ hast du dort droben viel Englein bei dir +z , auch Baiser mit Schlagsahne so sá , so sá ; und kauend kam man wieder , doch jetzt mit dem n”tigen Abstand , auf Rasputin zu sprechen , konnte sich alsbald , nach kurzer , kuchenges„ttigter Zeit ehrlich ber die so schlimme und abgrundtiefverdorbene Zarenzeit entrsten . 001061 000075 ich aá in jenen Jahren entschieden zuviel Kuchen . 001062 000075 wie man auf Fotos nachprfen kann , wurde Oskar davon zwar nicht gr”áer , aber dicker und unf”rmig . 001063 000075 oft wuáte ich mir nach allzu sáen Unterrichtsstunden im Kleinhammerweg nicht anders zu helfen , als daá ich im Labesweg hinter dem Ladentisch , sobald Matzerath auáer Sicht war , ein Stck trockenes Brot an einen Bindfaden band , in das norwegische F„áchen mit eingelegten Heringen tunkte und erst herauszog , wenn das Brot von der Salzlauge bis zum šberdruá durchtr„nkt war . 001064 000075 Sie k”nnen sich nicht vorstellen , wie nach dem unm„áigen Kuchengenuá dieser Imbiá als Brechmittel wirkte . 001065 000075 oftmals gab Oskar , um abzunehmen , auf unserem Klosett fr ber einen Danziger Gulden Kuchen aus der B„ckerei Scheffler von sich ; das war damals viel Geld . 001066 000076 mit noch etwas anderem muáte ich dem Gretchen die Unterrichtsstunden bezahlen . 001067 000076 sie , die so gerne Kindersachen n„hte und strickte , machte mich zur Ankleidepuppe . 001068 000076 Kittelchen , Mtzchen , H”schen , M„ntelchen mit und ohne Kapuzen muáte ich mir in jeder Machart , in allen Farben , aus wechselnden Stoffen anpassen und gefallen lassen . 001069 000076 ich weiá nicht , ob es Mama , ob es Gretchen war , die mich anl„álich meines achten Geburtstages in einen kleinen , erschieáenswerten Zarewitsch verwandelte . 001070 000076 damals erreichte der Rasputinkult der beiden Frauen seinen H”hepunkt . 001071 000076 ein Foto jenes Tages zeigt mich neben dem Geburtstagskuchen , den acht nicht tropfende Kerzen umz„unten , in besticktem Russenkittel , unter keá schief sitzender Kosakenmtze , hinter gekreuzten Patronengurten , in gepluderten weiáen Hosen und kurzen Stiefeln stehend . 001072 000076 ein Glck , daá meine Trommel mit ins Bild durfte . 001073 000076 welch weiteres Glck , daá Gretchen Scheffler , wom”glich auf mein Dr„ngen hin , mir ein Kostm zuschnitt , n„hte , schlieálich verpaáte , das biedermeierlich und wahlverwandt genug , heute noch in meinem Fotoalbum den Geist Goethes beschw”rt , von meinen zwei Seelen zeugt , mich also mit einer einzigen Trommel in Petersburg und Weimar gleichzeitig zu den Mttern hinabsteigen , mit Damen Orgien feiern l„át . 001074 000076 u+ fernwirkender Gesang vom Stockturm aus gesungen +u . 001075 000076 Fr„ulein Dr. Hornstetter , die fast jeden Tag auf eine Zigarettenl„nge in mein Zimmer kommt , als Žrztin mich behandeln sollte , doch jedesmal von mir behandelt weniger nerv”s das Zimmer verl„át , sie , die so scheu ist und eigentlich nur mit ihren Zigaretten n„heren Umgang pflegt , behauptet immer wieder : ich sei in meiner Jugend kontaktarm gewesen , habe zu wenig mit anderen Kindern gespielt . 001076 000076 nun , was die anderen Kinder betrifft , mag sie nicht ganz unrecht haben . 001077 000076 war ich doch so durch Gretchen Schefflers Lehrbetrieb beansprucht , so zwischen Goethe und Rasputin hin und her gerissen , daá ich selbst beim besten Willen keine Zeit fr f+ Ringelreihn +f und Abz„hlspiele fand . 001078 000076 sooft ich aber gleich einem Gelehrten die Bcher mied , sogar als Buchstabengr„ber verfluchte und auf Kontakt mit dem einfachen Volk aus war , stieá ich auf die G”ren unseres Mietshauses , durfte froh sein , wenn es mir nach einiger Berhrung mit jenen Kannibalen gelang , heil zu meiner Lektre wieder zurckzufinden . 001079 000076 Oskar konnte die Wohnung seiner Eltern entweder durch den Laden verlassen , dann stand er auf dem Labesweg , oder er schlug die Wohnungstr hinter sich zu , befand sich im Treppenhaus , hatte links die M”glichkeit zur Straáe geradeaus , die vier Treppen hoch zum Dachboden , wo der Musiker Meyn die Trompete blies , und als letzte Wahl bot sich der Hof des Mietshauses . 001080 000076 die Straáe , das war Kopfsteinpflaster . 001081 000077 auf dem gestampften Sand des Hofes vermehrten sich Kaninchen und wurden Teppiche geklopft . 001082 000077 der Dachboden bot , auáer gelegentlichen Duetten mit dem betrunkenen Herrn Meyn , Ausblick , Fernsicht und jenes hbsche , aber trgerische Freiheitsgefhl , das alle Turmbesteiger suchen , das Mansardenbewohner zu Schw„rmern macht . 001083 000077 w„hrend der Hof fr Oskar voller Gefahren war , bot ihm der Dachboden Sicherheit , bis Alex Mischke und sein Volk ihn auch dort vertrieben . 001084 000077 der Hof hatte die Breite des Mietshauses , maá aber nur sieben Schritte in die Tiefe und stieá mit einem geteerten , oben Stacheldraht treibenden Bretterzaun an drei andere H”fe . 001085 000077 vom Dachboden aus lieá sich dieses Labyrinth gut berschauen : die H„user des Labesweges , der beiden Querstraáen Hertastraáe und Luisenstraáe und der entfernt gegenberliegenden Marienstraáe schlossen ein aus H”fen bestehendes betr„chtliches Viereck ein , in dem sich auch eine Hustenbonbonfabrik und mehrere Krauterwerkst„tten befanden . 001086 000077 hier und da dr„ngten B„ume und Bsche aus den H”fen und zeigten die Jahreszeit an . 001087 000077 sonst waren die H”fe zwar in der Gr”áe unterschiedlich , was aber die Kaninchen und Teppichklopfstangen anging , von einem Wurf . 001088 000077 w„hrend es die Kaninchen das ganze Jahr ber gab , wurden die Teppiche , laut Hausordnung , nur am Dienstag und Freitag geklopft . 001089 000077 an solchen Tagen best„tigte sich die Gr”áe des Hofkomplexes . 001090 000077 vom Dachboden herab h”rte und sah Oskar es : ber hundert Teppiche , L„ufer , Bettvorleger wurden mit Sauerkohl eingerieben , gebrstet , geklopft und zum endlichen Vorzeigen der eingewebten Muster gezwungen . 001091 000077 hundert Hausfrauen trugen Teppichleichen aus den H„usern , hoben dabei nackte runde Arme , bewahrten ihr Kopfhaar und dessen Frisuren in kurz geknoteten Kopftchern , warfen die Teppiche ber die Klopfstangen , griffen zu geflochtenen Teppichklopfern und sprengten mit trockenen Schl„gen die Enge der H”fe . 001092 000077 Oskar haáte diese einmtige Hymne an die Sauberkeit . 001093 000077 auf seiner Trommel k„mpfte er gegen den L„rm an und muáte sich dennoch , auch auf dem Dachboden , der ja Distanz bot , seine Ohnmacht den Hausfrauen gegenber eingestehen . 001094 000077 hundert teppichklopfende Weiber k”nnen einen Himmel erstrmen , k”nnen jungen Schwalben die Flgelspitzen stumpf machen und brachten Oskars in die Aprilluft getrommeltes Tempelchen mit wenigen Schl„gen zum Einsturz . 001095 000077 an Tagen , da keine Teppiche geklopft wurden , turnten die G”ren unseres Mietshauses an der h”lzernen Teppichklopfstange . 001096 000077 selten war ich auf dem Hof . 001097 000077 nur der Schuppen des alten Herrn Heilandt bot mir dort einige Sicherheit , denn der Alte lieá nur mich in seine Rumpelkammer und erlaubte den G”ren kaum einen Blick auf die verrotteten N„hmaschinen , unvollst„ndigen Fahrr„der , Schraubst”cke , Flaschenzge und in Zigarrenschachteln aufbewahrten krummen und wieder gerade geklopften N„gel . 001098 000077 das war so eine Besch„ftigung : wenn er nicht N„gel aus Kistenbrettern zog , klopfte er am Vortag gezogene N„gel auf einem Amboá gerade . 001099 000077 abgesehen davon , daá er keinen Nagel verkommen lieá , war er auch der Mann , der bei Umzgen half , der vor Festtagen die Kaninchen schlachtete , der berall auf dem Hof , im Treppenhaus und auf dem Dachboden seinen Kautabaksaft hinspuckte . 001100 000078 als die G”ren eines Tages , wie Kinder es tun , neben seinem Schuppen eine Suppe kochten , bat Nuchi Eyke den alten Heilandt , dreimal in den Sud zu spucken . 001101 000078 der Alte tat es von weit herholend , verschwand dann in seinem Kabuff und klopfte schon wieder N„gel , als Axel Mischke der Suppe eine weitere Zutat , einen zerstoáenen Ziegelstein , beimengte . 001102 000078 Oskar sah diesen Kochversuchen neugierig zu , stand aber abseits . 001103 000078 aus Decken und Lumpen hatten Axel Mischke und Harry Schlager so etwas wie ein Zelt errichtet , damit ihnen kein Erwachsener in die Suppe gucken konnte . 001104 000078 als das Ziegelsteinmehl aufkochte , entleerte H„nschen Kollin seine Taschen und stiftete zwei lebende Fr”sche fr die Suppe , die er am Aktienteich gefangen hatte . 001105 000078 Susi Kater , das einzige M„dchen in dem Zelt , zeigte sich um den Mund herum entt„uscht und bitter , als die Fr”sche so sang- und klanglos , auch ohne jeden letzten Sprungversuch in der Suppe untergingen . 001106 000078 zuerst machte Nuchi Eyke seine Hose auf und pinkelte , ohne auf Susi Rcksicht zu nehmen , in das Eintopfgericht . 001107 000078 Axel , Harry und H„nschen Kollin taten es ihm nach . 001108 000078 als Klein-K„schen es den Zehnj„hrigen zeigen wollte , gab sein Schnibbel nichts her . 001109 000078 alle blickten nun Susi an , und Axel Mischke reichte ihr einen persilblau emaillierten , an den R„ndern bestoáenen Kochtopf . 001110 000078 eigentlich wollte Oskar sofort gehen . 001111 000078 aber er wartete noch , bis sich Susi , die wohl keine H”schen unter dem Kleid trug , niederhockte , dabei die Knie umklammerte , sich zuvor den Topf unterschob , mit glatten Augen vor sich hinsah , dann die Nase krauste , als der Topf blechern klingelnd verriet , daá Susi etwas fr die Suppe brig hatte . 001112 000078 ich lief damals davon . 001113 000078 ich h„tte nicht laufen , sondern ruhig gehen sollen . 001114 000078 weil ich aber lief , blickten mir alle nach , die zuvor mit den Augen noch in dem Kochtopf gefischt hatten . 001115 000078 ich h”rte Susi Katers Stimme , f+ d„ will uns v„petzen , was scheest „ so ! " +f in meinem Rcken , das stach mich noch , als ich schon die vier Treppen hochstolperte und erst auf dem Dachboden wieder zu Atem kam . 001116 000078 siebeneinhalb war ich . 001117 000078 Susi z„hlte vielleicht neun . 001118 000078 Klein-K„schen war knapp acht . 001119 000078 Axel , Nuchi , H„nschen und Harry zehn oder elf . 001120 000078 es gab noch Maria Truczinski . 001121 000078 die war etwas „lter als ich , spielte jedoch nie im Hof , sondern mit Puppen in Mutter Truczinskis Kche oder mit ihrer erwachsenen Schwester Guste , die im evangelischen Kindergarten aushalf . 001122 000078 was Wunder , wenn ich es heute noch nicht anh”ren kann , wenn Frauen auf Nachtt”pfen urinieren . 001123 000078 als Oskar damals die Trommel rhrend sein Ohr bes„nftigt hatte , sich auf dem Dachboden der unten brodelnden Suppe entrckt fhlte , kamen sie alle , barfuá und in Schnrschuhen , die da zur Suppe beigesteuert hatten , und Nuchi brachte die Suppe mit . 001124 000079 sie lagerten sich um Oskar , als Nachzgler kam Klein-K„schen . 001125 000079 sie stieáen einander an , zischten : f+ " nu mach ! " +f bis Axel den Oskar von hinten packte , ihn , seine Arme zw„ngend , gefgig werden lieá und Susi , mit feuchten , regelm„áigen Z„hnen , mit der Zunge dazwischen lachend , nichts dabei fand , wenn man es tue . 001126 000079 Nuchi nahm sie den L”ffel ab , wischte das Blechding an ihren Schenkeln silbrig , tauchte das L”ffelchen in den dampfenden Topf , rhrte langsam , den Widerstand des Breies auskostend , einer guten Hausfrau gleich , darin herum , pustete khlend in den gefllten L”ffel und ftterte endlich Oskar , mich ftterte sie , ich habe so etwas nie wieder gegessen , der Geschmack wird mir bleiben . 001127 000079 erst als mich jenes um mein Leibeswohl so berm„áig besorgte Volk verlassen hatte , weil es Nuchi in den Topf hinein bel wurde , kroch auch ich in eine Ecke des Trockenbodens , auf dem damals nur einige Bettlaken hingen , und gab die paar L”ffel r”tlichen Sud von mir , ohne im Ausgespieenen Froschreste entdecken zu k”nnen . 001128 000079 auf eine Kiste unter der offenen Bodenluke kletterte ich , schaute auf entlegene H”fe , lieá Ziegelsteinrckst„nde zwischen den Z„hnen knirschen , versprte den Drang nach einer Tat , musterte die fernen Fenster der H„user an der Marienstraáe , blinkendes Glas , schrie , sang fernwirkend in jene Richtung , konnte zwar keinen Erfolg beobachten und war dennoch von den M”glichkeiten des fernwirkenden Gesanges so berzeugt , daá mir der Hof und die H”fe fortan zu eng wurden , daá ich nach Ferne , Entfernung und Fernblick hungernd jede Gelegenheit wahrnahm , die mich alleine oder an Mamas Hand aus dem Labesweg , dem Vorort fhrte und den Nachstellungen aller Suppenk”che auf unserem engen Hof enthob . 001129 000079 am Donnerstag jeder Woche machte Mama Eink„ufe in der Stadt . 001130 000079 meistens nahm sie mich mit . 001131 000079 immer nahm sie mich mit , wenn es galt , beim Sigismund Markus in der Zeughauspassage am Kohlenmarkt eine neue Trommel zu kaufen . 001132 000079 in jener Zeit , etwa von meinem siebenten bis zum zehnten Lebensjahr schaffte ich eine Trommel in glatt vierzehn Tagen . 001133 000079 vom zehnten bis vierzehnten Jahr bedurfte es keiner Woche , um ein Blech durchzuschlagen . 001134 000079 sp„ter sollte es mir gelingen , einerseits eine neue Trommel an einem einzigen Trommlertag zu Schrott zu machen , andererseits , bei ausgeglichenem Gemt , drei oder vier Monate lang achtsam und dennoch kr„ftig zu schlagen , ohne daá meinem Blech , bis auf einige Sprnge im Lack , ein Schaden anzusehen gewesen w„re . 001135 000079 doch hier soll die Rede von jener Zeit sein , da ich unseren Hof mit der Teppichklopfstange , mit dem N„gel klopfenden alten Heilandt , den Suppen erfindenden G”ren verlieá und mit meiner Mama alle vierzehn Tage beim Sigismund Markus eintreten , im Sortiment seiner Kinderblechtrommeln ein neues Blech aussuchen durfte . 001136 000079 manchmal nahm mich Mama auch mit , wenn die Trommel noch halbwegs heil war , und ich genoá diese Nachmittage in der farbigen , immer etwas musealen , st„ndig mit diesen oder jenen Kirchenglocken l„rmenden Altstadt . 001137 000080 zumeist verliefen die Besuche in angenehmer Gleichm„áigkeit . 001138 000080 einige Eink„ufe bei Leiser , Sternfeld oder Machwitz , dann wurde der Markus aufgesucht , der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte , meiner Mama aussortierte und schmeichelhafteste Artigkeiten zu sagen . 001139 000080 ohne Zweifel machte er ihr den Hof , lieá sich aber , soviel ich weiá , zu gr”áeren Ovationen , als die heiá ergriffene , goldeswert genannte Hand meiner Mama lautlos zu kssen , nie hinreiáen - den Kniefall jenes Besuches ausgenommen , von dem hier die Rede sein soll . 001140 000080 Mama , die von der Groámutter Koljaiczek die stattliche , fllig stramme Figur , auch liebenswerte Eitelkeit , gepaart mit Gutmtigkeit , mitbekommen hatte , lieá sich den Dienst des Sigismund Markus um so eher gefallen , als er sie hier und da mit spottbilligen N„hseidesortimenten , im Ramschhandel erworbenen , doch tadellosen Damenstrmpfen eher beschenkte als belieferte . 001141 000080 ganz zu schweigen von meinen , fr einen l„cherlichen Preis in vierzehnt„gigen Abst„nden ber den Ladentisch gereichten Blechtrommeln . 001142 000080 w„hrend jedes Besuches bat Mama den Sigismund pnktlich um halb fnf am Nachmittag , mich , den Oskar , bei ihm im Gesch„ft seiner Obhut berlassen zu drfen , da sie noch wichtige eilige Besorgungen zu machen habe . 001143 000080 merkwrdig l„chelnd verbeugte sich dann der Markus und versprach Mama mit floskelreicher Rede , mich , den Oskar , wie seinen Augapfel zu hten , w„hrend sie ihren so wichtigen Besorgungen nachgehe . 001144 000080 ein ganz leichter , doch nicht verletzender Spott , der seinen S„tzen eine auffallende Betonung gab , lieá Mama gelegentlich err”ten und ahnen , daá der Markus Bescheid wuáte . 001145 000080 aber auch ich wuáte um die Art der Besorgungen , die Mama wichtig nannte , denen sie allzu eifrig nachkam . 001146 000080 hatte ich sie doch eine Zeitlang in eine billige Pension der Tischlergasse begleiten drfen , wo sie im Treppenhaus verschwand , um eine knappe Dreiviertelstunde wegzubleiben , w„hrend ich bei der meist Mampe schlrfenden Wirtin hinter einer mir wortlos servierten , immer gleich scheuálichen Limonade ausharren muáte , bis Mama , kaum ver„ndert , wiederkam , der Wirtin , die von ihrem Halb und Halb nicht aufblickte , einen Gruá sagte , mich bei der Hand nahm und vergaá , daá die Temperatur ihrer Hand sie verriet . 001147 000080 heiá Hand in Hand suchten wir dann das Cafe Weitzke in der Wollwebergasse auf . 001148 000080 Mama bestellte sich einen Mokka , Oskar ein Zitroneneis und wartete , bis prompt und wie zuf„llig Jan Bronski vorbeikam , der sich zu uns an den Tisch setzte , sich gleichfalls einen Mokka auf die beruhigend khle Marmorplatte stellen lieá . 001149 000080 sie sprachen vor mir ganz ungeniert und ihre Reden best„tigten , was ich schon lange wuáte : Mama und Onkel Jan trafen sich fast jeden Donnerstag in einem auf Jans Kosten gemieteten Zimmer der Pension in der Tischlergasse , um es eine Dreiviertelstunde lang miteinander zu treiben . 001150 000081 wahrscheinlich war es Jan , der den Wunsch „uáerte , mich nicht mehr in die Tischlergasse und anschlieáend ins Cafe Weitzke mitzunehmen . 001151 000081 er war mitunter sehr schamhaft und schamhafter als Mama , die nichts dabei fand , wenn ich Zeuge einer ausklingenden Liebesstunde war , von deren Rechtm„áigkeit sie immer , auch hinterher , berzeugt zu sein schien . 001152 000081 so blieb ich , auf Jans Wunsch , fast jeden Donnerstag nachmittag von halb fnf bis kurz vor sechs beim Sigismund Markus , durfte das Sortiment seiner Blechtrommeln betrachten , benutzen , durfte - wo w„re das Oskar sonst m”glich gewesen - auf mehreren Trommeln gleichzeitig laut werden und dem Markus ins traurige Hundegesicht blicken . 001153 000081 wenn ich auch nicht wuáte , wo seine Gedanken herkamen , ahnte ich , wo sie hingingen , daá sie in der Tischlergasse weilten , dort an numerierten Zimmertren schabten oder sie hockten gleich dem armen Lazarus unter dem Marmortischchen des Cafe Weitzke , worauf wartend ? . 001154 000081 auf Krmel ? . 001155 000081 Mama und Jan Bronski lieáen kein Krmelchen brig . 001156 000081 die aáen alles selbst auf . 001157 000081 die hatten den groáen Appetit , der nie aufh”rt , der sich selbst in den Schwanz beiát . 001158 000081 die waren so besch„ftigt , daá sie die Gedanken des Markus unter dem Tisch allenfalls fr die aufdringliche Z„rtlichkeit eines Luftzuges genommen h„tten . 001159 000081 an einem jener Nachmittage - es wird im September gewesen sein , denn Mama verlieá den Laden des Markus im rostbraunen Herbstkomplet - trieb es mich , da ich den Markus versunken , vergraben und wohl auch verloren hinter dem Ladentisch wuáte , mit meiner gerade neuerstandenen Trommel hinaus in die Zeughauspassage , den khldunklen Tunnel , an dessen Seiten sich ausgesuchteste Gesch„fte , wie Juwelierl„den , Feinkosthandlungen und Bchereien , Schaufenster an Schaufenster reihten . 001160 000081 mich hielt es jedoch nicht vor den sicher preiswerten , mir dennoch unerschwinglichen Auslagen ; vielmehr trieb es mich aus dem Tunnel hinaus auf den Kohlenmarkt . 001161 000081 mitten hinein in staubiges Licht stellte ich mich vor die Fassade des Zeughauses , deren basaltfarbenes Grau mit verschieden groáen Kanonenkugeln , verschiedenen Belagerungszeiten entstammend , gespickt war , damit jene Eisenbuckel die Historie der Stadt jedem Passanten in Erinnerung riefen . 001162 000081 mir sagten die Kugeln nichts , zumal ich wuáte , daá sie nicht von alleine stecken geblieben waren , daá es einen Maurer in dieser Stadt gab , den das Hochbauamt in Verbindung mit dem Amt fr Denkmalschutz besch„ftigte und bezahlte , damit er die Munition vergangener Jahrhunderte in den Fassaden diverser Kirchen , Rath„user , so auch in der Front- wie Rckseite des Zeughauses einmauerte . 001163 000081 ich wollte ins Stadttheater , das zur rechten Hand , nur durch eine schmale , lichtlose Gasse vom Zeughaus getrennt , sein S„ulenportal zeigte . 001164 000081 da ich das Stadttheater , wie ich es mir gedacht hatte , um diese Zeit verschlossen fand - die Abendkasse machte erst um sieben auf - trommelte ich mich unentschlossen , schon einen Rckzug erw„gend , nach links , bis Oskar zwischen dem Stockturm und dem Langgasser Tor stand . 001165 000082 durch das Tor in die Langgasse und dann links einbiegend in die Groáe Wollwebergasse wagte ich mich nicht , denn da saáen Mama und Jan Bronski , und wenn sie noch nicht saáen , so waren sie in der Tischlergasse vielleicht gerade fertig oder schon unterwegs zu ihrem erfrischenden Mokka am Marmortischchen . 001166 000082 ich weiá nicht , wie ich ber die Fahrbahn des Kohlenmarktes kam , auf der st„ndig Straáenbahnen entweder durchs Tor wollten oder sich aus dem Tor klingelnd und in der Kurve kreischend zum Kohlenmarkt , Holzmarkt , Richtung Hauptbahnhof wanden . 001167 000082 vielleicht nahm mich ein Erwachsener , ein Polizist wom”glich bei der Hand und leitete mich frsorglich durch die Gefahren des Verkehrs . 001168 000082 ich stand vor dem steil gegen den Himmel gesttzten Backstein des Stockturms und klemmte eigentlich nur zuf„llig , aus aufkommender Langeweile meine Trommelst”cke zwischen das Mauerwerk und den eisenbeschlagenen Anschlag der Turmtr . 001169 000082 sobald ich den Blick am Backstein hochschickte , war es schwierig , ihn an der Fassade entlanglaufen zu lassen , weil sich st„ndig Tauben aus Mauernischen und Turmfenstern abstieáen , um gleich darauf auf Wasserspeiern und Erkern fr kurze , taubenbemessene Zeit zu ruhen , dann wieder abfallend vom Gem„uer meinen Blick mitzureiáen . 001170 000082 mich „rgerte das Gesch„ft der Tauben . 001171 000082 mein Blick war mir zu schade , ich nahm ihn zurck und benutzte ernsthaft , auch um meinen Žrger loszuwerden , beide Trommelst”cke als Hebel : die Tr gab nach und Oskar war , ehe er sie ganz aufgestoáen hatte , schon drinnen im Turm , schon auf der Wendeltreppe , stieg schon , immer das rechte Bein vorsetzend , das linke nachziehend , erreichte die ersten vergitterten Verliese , schraubte sich h”her , lieá die Folterkammer mit ihren sorgf„ltig gepflegten und unterweisend beschrifteten Instrumenten hinter sich , warf beim weiteren Aufstieg - er setzte jetzt das linke Bein vor , zog das rechte nach - einen Blick durch ein schmalvergittertes Fenster , sch„tzte die H”he ab , begriff die Dicke des Mauerwerkes , scheuchte Tauben auf , traf dieselben Tauben eine Drehung der Wendeltreppe h”her wieder an , setzte abermals rechts vor , um links nachzuziehen , und als Oskar nach weiterem Wechsel der Beine oben war , h„tte er noch lange so weiter steigen m”gen , obgleich ihm das rechte wie linke Bein schwer waren . 001172 000082 aber die Treppe hatte es vorzeitig aufgegeben . 001173 000082 er erfaáte den Unsinn und die Ohnmacht des Turmbaues . 001174 000082 ich weiá nicht , wie hoch der Stockturm war und noch ist , denn er berdauerte den Krieg . 001175 000082 auch habe ich keine Lust , meinen Pfleger Bruno um ein Nachschlagewerk ber ostdeutsche Backsteingotik zu bitten . 001176 000082 ich sch„tze , er wird bis zur Turmspitze gut und gerne seine fnfundvierzig Meter gehabt haben . 001177 000083 ich , und das lag an der zu schnell ermdenden Wendeltreppe , hatte auf einer Galerie haltmachen mssen , die den Turmhelm umlief . 001178 000083 ich setzte mich , schob die Beine zwischen die S„ulchen der Balustrade , beugte mich vor und blickte an einer S„ule , die ich mit dem rechten Arm umklammert hielt , vorbei und hinunter auf den Kohlenmarkt , w„hrend ich mich links meiner Trommel vergewisserte , die den ganzen Aufstieg mitgemacht hatte . 001179 000083 ich will Sie nicht mit der Beschreibung eines vieltrmigen , mit Glocken l„utenden , altehrwrdigen , angeblich noch immer vom Atem des Mittelalters durchwehten , auf tausend guten Stichen abgebildeten Panoramas , mit der Vogelschau der Stadt Danzig langweilen . 001180 000083 gleichfalls lasse ich mich nicht auf die Tauben ein , auch wenn es zehnmal heiát , ber Tauben k”nne man gut schreiben . 001181 000083 mir sagt eine Taube so gut wie gar nichts , eine M”we schon etwas mehr . 001182 000083 der Ausdruck Friedenstaube will mir nur als Paradox stimmen . 001183 000083 eher wrde ich einem Habicht oder gar Aasgeier eine Friedensbotschaft anvertrauen als der Taube , der streitschtigsten Mieterin unter dem Himmel . 001184 000083 kurz und gut : auf dem Stockturm gab es Tauben . 001185 000083 aber Tauben gibt es schlieálich auf jedem anst„ndigen Turm , der mit Hilfe seiner ihm zustehenden Denkmalpfleger auf sich h„lt . 001186 000083 auf etwas ganz anderes hatte es mein Blick abgesehen : auf das Geb„ude des Stadttheaters , das ich , aus der Zeughauspassage kommend , verschlossen gefunden hatte . 001187 000083 der Kasten zeigte mit seiner Kuppel eine verteufelte Žhnlichkeit mit einer unvernnftig vergr”áerten , klassizistischen Kaffeemhle , wenn ihm auch am Kuppelknopf jener Schwengel fehlte , der n”tig gewesen w„re , in einem allabendlich vollbesetzten Musen- und Bildungstempel ein fnfaktiges Drama samt Mimen , Kulissen , Souffleuse , Requisiten und allen Vorh„ngen zu schaurigem Schrot zu mahlen . 001188 000083 mich „rgerte dieser Bau , von dessen s„ulenflankierten Foyerfenstern eine absackende und immer mehr Rot auftragende Nachmittagssonne nicht lassen wollte . 001189 000083 zu jener Stunde , etwa dreiáig Meter ber dem Kohlenmarkt , ber Straáenbahnen und Broschluá feiernden Angestellten , hoch berm sáriechenden Ramschladen des Markus , ber den khlen Marmortischchen des Cafe Weitzke , zwei Tassen Mokka , Mama und Jan Bronski berragend , auch unser Mietshaus , den Hof , die H”fe , verbogene und gerade N„gel , die Kinder der Nachbarschaft und deren Ziegelsuppe unter mir lassend , wurde ich , der ich bislang nur aus zwingenden Grnden geschrien hatte , zu einem Schreier ohne Grund und Zwang . 001190 000083 hatte ich bis zur Besteigung des Stockturmes meine dringlichen T”ne nur dann ins Gefge eines Glases , ins Innere der Glhbirnen , in eine abgestandene Bierflasche geschickt , wenn man mir meine Trommel nehmen wollte , schrie ich vom Turm herab , ohne daá meine Trommel im Spiel war . 001191 000083 niemand wollte Oskar die Trommel nehmen , trotzdem schrie er . 001192 000083 nicht etwa , daá ihm eine Taube ihren Dreck auf die Trommel geworfen h„tte , um ihm einen Schrei abzukaufen . 001193 000084 in der N„he gab es zwar Grnspan auf Kupferplatten , aber kein Glas ; Oskar schrie trotzdem . 001194 000084 die Tauben hatten r”tlich blanke Augen , aber kein Glasauge „ugte ihn an ; dennoch schrie er . 001195 000084 wohin schrie er , welche Distanz lockte ihn ? . 001196 000084 sollte , was auf dem Dachboden , nach dem Genuá der Ziegelmehlsuppe planlos ber H”fe hinweg versucht wurde , hier zielstrebig demonstriert werden ? . 001197 000084 welches Glas meinte Oskar ? . 001198 000084 mit welchem Glas - und es kam ja nur Glas in Frage - wollte Oskar Experimente anstellen ? . 001199 000084 es war das Theater der Stadt , die dramatische Kaffeemhle , die meine neuartigen , erstmals auf unserem Dachboden ausprobierten , ich m”chte sagen , ans Manierierte grenzenden T”ne in ihre Abendsonnenfensterscheiben lockte . 001200 000084 nach wenigen Minuten verschieden geladenen Geschreis , das jedoch nichts ausrichtete , gelang mir ein nahezu lautloser Ton , und mit Freude und verr„terischem Stolz durfte Oskar sich melden : zwei mittlere Scheiben im linken Foyerfenster hatten den Abendsonnenschein aufgeben mssen , lasen sich als zwei schwarze , schleunigst neu zu verglasende Vierecke ab . 001201 000084 es galt , den Erfolg zu best„tigen . 001202 000084 gleich einem modernen Kunstmaler produzierte ich mich , der seinen einmal gefundenen , seit Jahren gesuchten Stil zeitigt , indem er eine ganze Serie gleichgroáartiger , gleichkhner , gleichwertiger , oftmals gleichformatiger Fingerbungen seiner Manier der verblfften Welt schenkt . 001203 000084 es gelang mir , innerhalb einer knappen Viertelstunde alle Fenster des Foyers und einen Teil der Tren zu entglasen . 001204 000084 vor dem Theater sammelte sich eine , wie es von oben aussah , aufgeregte Menschenmenge . 001205 000084 es gibt immer Schaulustige . 001206 000084 mich beeindruckten die Bewunderer meiner Kunst nicht besonders . 001207 000084 allenfalls veranlaáten sie Oskar , noch strenger , noch formaler zu arbeiten . 001208 000084 gerade wollte ich mich anschicken , mit einem noch khneren Experiment das Innere aller Dinge freizulegen , n„mlich durchs offene Foyer hindurch , durchs Schlsselloch einer Logentr in den noch dunklen Theaterraum hinein einen speziellen Schrei schicken , der den Stolz aller Abonnenten , den Kronleuchter des Theaters mit all seinem geschliffenen , spiegelnden , lichtbrechend facettierten Klimborium treffen sollte , da erblickte ich einen rostbraunen Stoff in der Menge vor dem Theater : Mama hatte vom Cafe Weitzke zurckgefunden , hatte den Mokka genossen , Jan Bronski verlassen . 001209 000084 es sei aber zugegeben , daá Oskar dennoch einen Schrei auf den Protzlster losschickte . 001210 000084 er schien jedoch keinen Erfolg gehabt zu haben , denn die Zeitungen berichteten am n„chsten Tage nur von den aus r„tselhaften Grnden zersprungenen Foyer- und Trscheiben . 001211 000084 halbwissenschaftliche und auch wissenschaftliche Untersuchungen im feuilletonistischen Teil der Tagespresse breiteten noch wochenlang spaltenreichen phantastischen Unsinn aus . 001212 000084 die " Neuesten Nachrichten " wuáten von kosmischen Strahlen zu erz„hlen . 001213 000084 Leute von der Sternwarte , also hochqualifizierte Geistesarbeiter , sprachen von Sonnenflecken . 001214 000085 ich fand damals , so schnell es meine kurzen Beine erlaubten , die Wendeltreppe des Stockturmes hinunter und erreichte einigermaáen atemlos die Menge vor dem Theaterportal . 001215 000085 Mamas rostbraunes Herbstkomplet leuchtete nicht mehr , sie muáte im Laden des Markus sein , berichtete vielleicht ber Sch„den , die meine Stimme verursacht haben muáte . 001216 000085 und der Markus , der meinen sogenannten zurckgebliebenen Zustand , auch meine diamantene Stimme wie das natrlichste Geschehen hinnahm , wrde mit der Zungenspitze wedeln , so dachte Oskar , und die weiágelblichen H„nde reiben . 001217 000085 im Ladeneingang bot sich mir ein Bild , das sofort alle Erfolge des scheibenvernichtenden Ferngesanges vergessen lieá . 001218 000085 Sigismund Markus kniete vor meiner Mama , und all die Stofftiere , B„ren , Affen , Hunde , sogar Puppen mit Klappaugen , desgleichen Feuerwehrautos , Schaukelpferde , auch alle seinen Laden htenden Hampelm„nner schienen mit ihm aufs Knie fallen zu wollen . 001219 000085 er aber hielt mit zwei H„nden Mamas beide H„nde verdeckt , zeigte hellbeflaumte , br„unliche Flecken auf den Handrcken und weinte . 001220 000085 auch Mama blickte ernst und der Situation entsprechend beteiligt . 001221 000085 " nicht Markus " , sagte sie , " bitte nicht hier im Laden " . 001222 000085 doch Markus fand kein Ende , und seine Rede hatte einen mir unvergeálichen , beschw”renden und zugleich bertriebenen Tonfall : f+ " machen Se das nich m„ middem Bronski , wo er doch bei de Post is , die polnisch is und das nich gut geht , sag ich , weil er is midde Polen . 001223 000085 setzen Se nich auf de Polen , setzen Se , wenn Se setzen wollen , auf de Deitschen , weil se hochkommen , wenn nich heit dann morgen ; und sind se nich schon wieder biáchen hoch und machen sich , und de Frau Agnes setzt immer noch auffen Bronski . 001224 000085 wenn Se doch wrd setzen auffen Matzerath , den Se hat , wenn schon . 001225 000085 oder wenn Se mechten setzen gef„lligst auffen Markus und kommen Se middem Markus , wo er getauft is seit neilich . 001226 000085 gehn w„ nach London , Frau Agnes , wo ich Lait hab drieben und Papiere genug , wenn Se nur wollten kommen oder wolln Se nich middem Markus , weil Se ihn verachten , nu denn verachten Se ihn . 001227 000085 aber er bittet Ihnen von Herzen , wenn Se doch nur nicht mehr setzen wollen auffen meschuggenen Bronski , d„ bei de polnische Post bleibt , wo doch bald f„rtich is midde Polen , wenn se kommen de Deitschen ! " +f . 001228 000085 gerade als auch Mama , von soviel M”glichkeiten und Unm”glichkeiten verwirrt , zu Tr„nen kommen wollte , erblickte mich Markus in der Ladentr und wies , Mamas eine Hand freilassend , mit fnf sprechenden Fingern auf mich : f+ " no , bittschen , den werden w„ auch mitnehmen nach London . 001229 000085 wie Prinzchen soll er es haben , wie Prinzchen ! " +f . 001230 000085 nun blickte mich auch Mama an und kam zu einigem L„cheln . 001231 000085 vielleicht dachte sie an die scheibenlosen Foyerfenster des Stadttheaters , oder die in Aussicht gestellte Metropole London stimmte sie heiter . 001232 000086 zu meiner šberraschung schttelte sie dennoch den Kopf und sagte leichthin , als wrde sie einen Tanz ausschlagen : " ich danke Ihnen , Markus , aber es geht nicht , wirklich nicht - wegen Bronski " . 001233 000086 des Onkels Namen wie ein Stichwort wertend , erhob sich Markus sogleich , klappmesserte eine Verbeugung und lieá h”ren : f+ " verzeihn Se dem Markus , hatt„ sich doch gleich gedacht , daá es wegen dem nich mecht sein " +f . 001234 000086 als wir den Laden in der Zeughauspassage verlieáen , schloá der H„ndler , obgleich noch nicht Gesch„ftsschluá war , von auáen ab und begleitete uns zur Haltestelle der Linie Fnf . 001235 000086 vor der Fassade des Stadttheaters standen noch immer Passanten und einige Polizisten . 001236 000086 ich frchtete mich aber nicht und hatte meine Erfolge dem Glas gegenber kaum noch gegenw„rtig . 001237 000086 Markus beugte sich zu mir , flsterte mehr zu sich als zu uns : f+ " was er nich alles kann , der Oskar . 001238 000086 de Trommel schl„gt er und macht Skandal vorm Theater " +f . 001239 000086 Mamas angesichts der Scherben aufkommende Unsicherheit beschwichtigte er mit Handbewegungen , und als die Bahn kam und wir in den Anh„nger einstiegen , beschwor er noch einmal leise , eventuelle Zuh”rer frchtend : f+ " no , denn bleiben Se gef„lligst bei dem Matzerath , den Se haben und setzen Se nich merr auf Polen " +f - . 001240 000086 wenn Oskar heute in seinem Metallbett liegend oder sitzend , in jeder Lage aber trommelnd , die Zeughauspassage , die Kritzeleien auf den Kerkerw„nden des Stockturmes , den Stockturm selber und seine ge”lten Folterinstrumente , die drei Foyerfenster des Stadttheaters hinter den S„ulen und wieder die Zeughauspassage und den Laden des Sigismund Markus aufsucht , um Einzelheiten eines Septembertages nachzeichnen zu k”nnen , muá er auch gleichzeitig das Land der Polen suchen . 001241 000086 sucht es womit ? . 001242 000086 er sucht es mit seinen Trommelst”cken . 001243 000086 sucht er das Land der Polen auch mit seiner Seele ? . 001244 000086 mit allen Organen sucht er , aber die Seele ist kein Organ . 001245 000086 und ich suche das Land der Polen , das verloren ist , das noch nicht verloren ist . 001246 000086 andere sagen : bald verloren , schon verloren , wieder verloren . 001247 000086 hierzulande sucht man das Land der Polen neuerdings mit Krediten , mit der Leica , mit dem Kompaá , mit Radar , Wnschelruten und Delegierten , mit Humanismus , Oppositionsfhrern und Trachten einmottenden Landsmannschaften . 001248 000086 w„hrend man hierzulande das Land der Polen mit der Seele sucht - halb mit Chopin , halb mit Revanche im Herzen - w„hrend sie hier die erste bis zur vierten Teilung verwerfen und die fnfte Teilung Polens schon planen , w„hrend sie mit Air France nach Warschau fliegerontationen : Hitler und das Genie hingen sich gegenber , blickten sich an , durchschauten sich und konnten dennoch aneinander nicht froh werden . 001396 000093 nach und nach kaufte sich Matzerath die Uniform zusammen . 001397 000093 wenn ich mich recht erinnere , begann er mit der Parteimtze , die er gerne , auch bei sonnigem Wetter mit unterm Kinn scheuerndem Sturmriemen trug . nn nicht ber die Chaiselongue , dann bers Bfett k„me . 001395 000093 so kam es zu jener finstersten aller Konf